#Pendelgang
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fabiansteinhauer · 1 year ago
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Gasse
Vor der Gasse des Warburg Institutes sind im Moment, während der Baumaßnahmen, Tafeln angebracht, die etwas zur Geschichte des Institutes erzählen. Hier wird noch einmal der Mythos von dem legendären Deal zwischen Aby und Max erzählt (das ist fast schon ein Text, der lebenslänglich aufgehängt gehört, vor allem, soweit er als Ausweis des Dogmas großer Trennung auftaucht). Das berühmte Foto von der Kuratoriumssitzung des Sommers 1929, derjenigen, für die Warburg das amtliche Schreiben Vor dem Kuratorium entwirft und in dem er nicht einfach vom Pendeln, sondern vom Pendelgang (wie von einer bürokratischen Einrichtung, einem Corridor) spricht, das sieht man hier (also auch, wie Warburg hier seine Hände zu einer Waagschale formt).
Und man sieht das Schiff, das jeder deutsche Jurastudent und jede deutsche Jurastudentin im ersten Semester kennen lernt (wenn die denn das Urteil und die Akten studieren). Das ist sie SS Hermia, das Schiff, auf dem einmal Haakjöringsköd transportiert und dann im Hamburger Hafen beschlagnahmt wurde. Das Haakjöringsköd-Fall, den das Reichsgericht zu entscheiden hatte, ist ein Schulklassiker für Dogmatik der Anfechtbarkeit von Willenserklärungen geworden. Ist Haakjöringsköd Haiflischfleisch? Walfischfleisch? Lies RG 99, 147 ff.
Später transportiert das gleiche Schiff Aby Warburgs Sammlung nach London, also sieht man das Foto des unter juristischen Nerds berühmten Dampfers hier. Rudolf Wiethölter hatte mich im Mittwochsseminar auf diese historische Zufälligkeit hingewiesen (nach meinem ersten Referat über Marc Amstutz dort, weil ich Bilder angeschleppt und an die Bibliotheksregale gepinnt hatte). Er sagte, ihn hätte einmal ein Student in der Vorlesung darauf hingewiesen. Da muss bei ihm erstens ein Student gesessen haben, der an Einführung ins Zivilrecht so interessiert war, wie an Aby Warburg, und der zweitens Rudolf Wiethölter treffend einschätze, nämlich dass Wiethölter der Richtige sei, ihm so eine Geschichte anzuvertrauen, weil sie dort nicht vergessen wird, auch wenn sich angeblich ihr Sinn nicht erschließt. Im besten Fall ist Geschichte freie Assoziation, die muss kein (Plan-)Ziel erfüllen. Nichts ist von selbst mit nichts verbunden, nichts ist von selbst mit allem verbunden: Im besten Fall ist etwas mit etwas durch freie Assoziation verbunden.
Kein vertun: so etwas ist denen, die ihre Macht auf sogenannte Kompetenz stützen und behaupten, bestimme Verbindungen seien erstens etabliert (andere aber nicht) und zweitens ihnen sicher, ist freie Assoziation ein Albtraum, ich nenne jetzt keine Namen.
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aileenback · 11 years ago
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So, we bought dope blankets. #Blankets #BlanketParty #Pendleton #PendelGang (at Quinault Beach Resort and Casino)
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fabiansteinhauer · 1 year ago
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Familienbildung
Familienbildung ist auch ein Strukturprinzip.
Holbeins Bilder der Diplomaten (unter anderem des Protonotars, dessen Amt man auch von Warburgs Staatstafeln kennt, dort ist es Borgongini Duca) und der diplomatischen 'Polobjekte' hängt nicht, wie beim letzten mal, an einer Kopfwand. Es hängt jetzt an einer Seitenwand, wie in einem Korridor, oder wie Warburg sagen könnte: in einem Pendelgang.
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fabiansteinhauer · 3 years ago
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fabiansteinhauer · 2 years ago
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Vor dem Kuratorium
1.
Mit Warburgs Staatstafeln (Tafel 78 und 79 aus den Editionen des Mnemosyne-Atlas) besteht die Möglichkeit, Bild- und Rechtswissenschaft erstens als Teil von Polarforschungen und zweitens ohne das Dogma der großen Trennung, drittens ohne epistemologische Monopolansprüche zu betreiben.
Statt behaupten zu müssen, die moderne Bild- und Rechtswissenschaft habe sich von der Vergangenheit oder von fremdem Wissen erfolgreich abgetrennt, sie sei frei, kreativ und ausdifferenziert geworden, kann man einer Bild- und Rechtswissenschaft nachspüren, die zwar vage und verschlungen, aber weder unbestimmt noch unpräzise ist. Diese Bild- und Rechtswissenschaft verspricht keinen Ausdifferenzierungsschutz, keine Netzwerkgerechtigkeit, keine "evolutionären Errungenschaften" (Luhmann), nicht einmal einen "Take-Off" des Westens. Das muss sie auch gar nicht, dafür gibt es wunderschöne und unheimlich interessante Literaturen, ob zum Anfang des westlichen Rechts oder zu seinem Ende, mit vielen Tipps und Gegenvorschlägen, wie man so ein Ende verhindern und die Zukunft vor der Vergangenheit retten solle. Die folgenden Überlegungen gehen davon aus, dass es Erlösungsversprechen und Lösungsvorschläge gibt. Sie beginnen mit einem Zweifel.
2.
Nach der Rückkehr aus Rom ist Aby Warburg im Sommer 1929 unter anderem mit der Vorbereitung einer Sitzung beschäftigt. Die K.B.W. und das Bankhaus Warburg sind eng verflochten. Manche Autoren haben aus der Gründungslegende, die Aby Warburgs jüngerer Bruder Max überliefert hat auch einen Schluss gezogen, der vom Dogma großer Trennung geprägt sein kann. Die Gründungslegende hat Max Warburg als ein Tauschgeschäft beschrieben: Max sollte von Aby, dem Erstgeborenen, das Bankgeschäft übernehmen und dafür sollte Aby die Bibliothek 'erhalten'. Manche haben daraus geschlossen, Aby sei aus dem Wechselgeschäft ausgestiegen und die Welt der Bilder, der Kunst und Kultur eingestiegen. Das wäre ein Missverständnis, ähnlich solchen, die einmal zu Franz Kafka kursierten.
Für Aby Warburg bleibt Bildwissenschaft auch Wechselwissenschaft, Kreditwissenchaft, vor allem aber bleibt er der Bank verbunden und musst weiter Geschäfte der Bank führen. Dazu mögen die wöchentlichen Besprechungen mit Max gehören und in denen Aby Warburg immer wieder Einschätzungen zu Geschäften und Partner beisteuert. Aber auch die K.B.W. selber musst als 'Geschäft', wenn auch nicht im engeren Sinne gewinnorientiertes Geschäft geführt werden und ist rechenschaftspflichtig. Aby Warburg beharrt sogar darauf, dass die K.B.W. in weiterem Sinne gewinnbringend ist, nicht nur durch Prestige.
3.
1928 wurde für die K.B.W. ein Kuratorium eingerichtet, dass unter anderem über das Budget der Bibliothek entscheidet. Im Sommer 1929 findet schon die letzte Sitzung statt, an der Aby Warburg noch teilnimmt. Dafür schreibt er einen Text, den Dieter Wuttke in Verbindung mit Carl Georg Heise 1979 als Teil der ausgewählten Schriften herausgegeben hat. Dieser Text gehört zu Aby Warburgs amtlichen Schreiben, und er ist hervorragend geeignet, einen bild- und rechtswissenschaftlichen Aspekt der Staatstafeln zu verstehen.
Aby Warburg beginnt dieses amtliche Scheiben damit, "den seelischen Ort zu präzisieren, an dem sich innerhab der forschenden Welt die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg befindet". Er beschreibt das Programm der Bibliothek als Institution. Wörtlich nämlich heißt es dort, bedeut[e] diese Bibliothek in dem noch ungeschriebenen Handbuch der Selbsterziehung des Menschengeschlechtes ein Kapitel, das den Titel haben könnte 'Von der mythisch-fürchtenden zur wissenschaftlich-errechnenden Orientierung des Menschen sich selbst und dem Kosmos gegenüber."
Warburg versteht hier Institution nicht abstrakt, nicht als etwas, was 'immer schon' der Gesellschaft vorausginge und von Gesellschaft nicht einholbar sei. Er 'transzendiert" Institution nicht nach dem Muster einer unsichtbaren Hand oder eine vorgehenden Geistes. Institutionen sind Handbücher, wie sie etwa auch bei Quintilian oder bei Gaius und im römischen Recht Handbücher sind, das sind Apparate. Insgesamt mag 'das Handbuch' ungeschrieben sein, aber die Institution steht schon, auch am Kapitel wurde nicht nur fleissig geschrieben, auch publiziert, das kostet alles, dafür braucht man neben dem Programm ein Budget. Warburg schreibt hier über seine Institution ohne dasjenige, was man einen Foucaultschnupfen nennen kann, er bestreitet gar nicht, dass die Institution mit Erziehung, mit Disziplin, mit "Selbsterziehung" zu tun hat.
Den Ort, den Warburg präzisiert, würde ich als Pol beschreiben, so etwas kommt im Singular nicht vor, Warburg beschreibt Pole. Die Orientierung, an der Warburg gelegen ist, ist die Orientierung eines Polarforschers. So beschreibt Warburg die methodische Eigenart der K.B.W. sogar als etwas, was in "zwei Richtungen zu Tage" trete, nicht nur ambigue ist,sondern sich auch schlangenartig in zwei Richtungen zu wenden scheint. In zwei durchnummerierten Punkten beschreibt Warburg eine solche Polarforschung als Forschung (1.) zu einem "Pendelgang", zu Pendelwegen oder Pendelkorridoren und (2.) zu "Pendelschwingungen". Wie schon seit seinen Fragmenten zur Ausdruckskunde aus den 90`er Jahren, wie etwa seit der Amerikareise und den dortgemachten Notizen dazu, wie sich Subjekt und Objekt "mit dem Perpendikel identifizieren" oder identifizieren lassen beschreibt Warburg Polarität als Pendeln. Er bescheibt es an anderen Stellen auch als Schwingen, Wippen/Kippen, Schaukeln, Hier bescheibt er Pendeln aber auch einmal als Pendelgang.
Erstens bestünde die methodische Eigenart in der K.B.W. darin, illustriert vorzugehen, also die Entwicklung von mythischer zu wissenschaftlicher Aufassung erstens als Pendelgang [nicht als große Trennung oder Sprung vom Mythos zum Logos] zu begreifen und im Spiegel künstlerischer Gestaltung durch etwas drei Jahrtausende "systematisch-historisch" zu verfolgen. Dazu entstehe der Atlas mit ausgewählten Reproduktonen, also zum Beispiel die Staatstafeln.
Zweitens bestünde die methodische Eigenart darin, dieses Pendeln auch als 'seelische Pendelschwingung' und 'realgeographisch als Mittelmeer-Vorgang' aufzufassen. Noch vor einer Theoie und Geschichte des Abendlandes oder des Westens entwirft Warburg die Institution als Meeresvorgangsforschungsinstitut zu einem Meer, das fünf 'schöpferische Kraftfelder' haben solle: Babylon, Athen, Alexandrien, Jerusalem, Rom. Es ist unklar, ob er an dieser Stelle Oraibi (den Ort seiner Forschung zum Schlangenritual) vergisst oder ob er Oraibi extra weglässt, ob das Mittelmeer wirklich das einzige oder nur ein exemplarisches Meer ist, dessen Vor- und Pendelgänge die K.B.W. beschäftigen sollen. An diesem Schreiben entwirft Warburg 'nur' die Methode für etwas, was er ein "Urprägewerk europäischer Mentalität" nennt, aber man sieht: Auch das ist schon einiges, geht über Europa und den Westen hinaus, vor allem aber bleibt auch dieses Institut ein Polarforschungsinstitut. Die Vorgänge auf dem Meer sind Pendelgänge, sie pendeln, sie sind vage, auch weil sie wogen. Gründlichkeit scheitert hier nicht daran, dass etwas mit der Zeit kommt, ohne in der Gegenwart anzufangen, und dass es mit der Zeit geht, ohne zu verschwinden. Warburg muss hier keinen Kreativitätsschutz, Schöpfungsschutz, Ausdiffernzierungsschutz oder Vernetzungsgerechtigkeit versprechen; es geht nur um Orientierung und Erziehung mit Schwerpunkten zur Polarforschung.
4.
Ich würde im Hinblick auf das Material, das Aby Warburg auch im Atlas präsentiert von einem 'vierfachen Pendelsinn' sprechen, weil sich dieses Material auf Zeit/Geschichte, auf Raum/ Geographie, auf Psyche (als Involvierung von Geist/Körper) und auf Gesellschaften bezieht. Warburg entwirft in dem Schreiben ein Programm, dessen bedeutung auch für weitere Bild- und Rechtswissenschaft nicht unterschätzt werden kann. Das ist nicht nur ein Wissenschaftler, der keine Scheu hat, das Dogma der großen Trennung einmal nicht auszuspielen und der keine Scheu hat, das vage und die Polarität von Bild und Recht nicht als Inkommensurabilität nur auf der Aussenseite des Wissens zu verorten. Anders herum: er involviert das alles in seine Wissenschaft. Das etwas nur äußerlich, nicht kreativ, nur ungewiss sei, wird in diesem Programm nicht zu dem Abwehrschild, mit dem an anderen Stellen das Dogma der großen Trennung aufgestellt wird. Warburgs luxuriöse Unbefangenheit, das, was Mario Wimmer "Warburgs Kredit" nennt, kann nicht unterschätzt werden.
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fabiansteinhauer · 3 years ago
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fabiansteinhauer · 3 years ago
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fabiansteinhauer · 3 years ago
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Messen
1.
Die Szene ist in Florenz. Das ist das Wuppertal der Toskana. Enge Tallage, Textilindustrie und Bankwesen. Die Bergisch-Märkische Bank mag gerade etwas vergessen sein. Diejenige Bank, die diese Bank verschlungen hat und dadurch eine zeitlang zur großen Deutschen Bank wurde, mag auch gerade nicht groß erscheinen. Aber immerhin haben die Wuppertaler Krupp finanziert. Berthold Beitz kaufte noch in Elberfeld seinen Mercedes 600, also einen der ideologischen Nachläufer florentinischer Bilderfahrzeuge. Denkraum, Hubraum: wir Wuppertaler können alles liefern. Darum mein Reden: Florenz ist das Wuppertal der Toskana.
Nicht lachen, einfach mal in die Laurentiuskirche gehen, das ist meine Taufkirche. Die hat den Businesscharme, den auch florentinische Kirchen haben und der diese Kirchen zum Beispiel von römischen Kirchen unterscheidet. Mir kann kein Wuppertaler erzählen, dass er in Santa Maria del Fiori nicht dem Charme der Harmonie und Rationalität erlag und sich doch auch ein bisschen an die Wuppertaler Sparkasse erinnert fühlte. Mir kann kein Italienreisender erzählen, dass sich florentinische Kirche im Vergleich zu allen anderen italienischen Kirchen durch ihren besonderen Sparkassencharme auszeichnen. Ich wette, dass die Wuppertaler Katholiken beim Bau der Laurentiuskirche nicht nur den heiligen Laurentius preisen wollten, sondern auch il Magnífico Lorenzo di Medici. Ob das alles gelungen ist, ist ja nicht nur in Wuppertal die Frage.
2.
Die Szene ist in Santa Maria del Fiore, da tritt Messer Niccola di Veri de' Medici auf. Gerade wurde das Messopfer gefeiert. Da beginnt dieser Text, der in der ganzen Menge von Texten, die Leon Battista Alberti zu Recht, Apparaten und Architektur geschrieben hat, der Polarforschung näher kommt als alle anderen.
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fabiansteinhauer · 3 years ago
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Pendelgang
Von dem Polarforscher Aby Warburg gibt es einen Text aus dem Sommer 1929, der also nach der Rückkehr aus Rom und während derjenigen "Gestellschieberei" geschrieben wurde, aus der heraus auch die Fotos der beiden Staatstafeln entstanden. Dieser Text gehört zu Warburgs amtlichen Schreiben. Es ist ein Text aus der Kanzleikultur des Wechselgeschäftes über solche Kanzleikulturen, die über die Bürokratie hinaus auch den studiokratischen Apparat, die römischen Bild- oder Tafelverwaltungen umfassen. Warburg umreißt sein Forschungsprogramm und die Rolle der Bibliothek.
In den Publikationen trägt dieser Text treffenderweise einen fast kafkaesken Titel, er heißt Vor dem Kuratorium. Dieser Text ist in gewisser Hinsicht der Text zu dem berühmten Bild, das das Kuratorium der KBW (Aby und seine vierBrüder Max, Paul, Feilix und Fritz) an einem Tisch [!], zeigt und auf dem Aby seine selbstironische Geste mit der aufgehaltenen, zu einer Waagschale geformten Hand vorführt.
In diesem Text spricht Warburg von Polen und Polarisierung, er wählt aber auch ein Wort, dass die Polarität in Korridoren verortet. Er spricht nämlich nicht bloß vom Schwingen, wie er es in dem Einleitungstext zum Atlas macht, nicht bloß vom Pendeln, Schaukeln oder Kippen. Er spricht von einem Pendelgang, einem Polarkorridor, einem Gang, der pendelt oder Pendel hat. In diesem Text entfaltet Warburg wieder einmal seine Vorstellung von Polen, Polarität und Polarisierung, er macht das in mehrfacher Hinsicht. Auch wenn es etwas bemüht, und etwas arg zugerichtet erscheint, kann man doch sagen, dass er in diesem amtlichen Schreiben das Bild eines vierfachen Pendelsinnes, vierfacher Pole, vierfacher Polarität oder vierfacher Polarisierung zeichnet.
Im Distanzschaffen, also demjenigen Vorgang der Operationalisierung von Differenz, den man als symbolischen, normativen und juridischen Vorgang verstehen kann, gibt es eine Ausprägung: Das ist die Operationalisierung von Polarität, also das, was man im Warburgschen Sinne Polarisierung nennen müsste und Polarität weder hervorbringt noch verschwinden lässt, sondern nur handhabbar, umgehbar macht, also auch einen Umgang damit ermöglicht. Diese Polarisierung verläuft gespannt, mehr als Dual und (wenn die Dualität wie eine Leitdifferenz oder eine Zielführung erscheint) weniger als Dual. Es sind mehr als zwei Pole, der Zwist darin ist mannigfaltig, zu mannigfaltig für ein dialektisches Statut, zu irrisierend für ein evolutionär oder geschichtsphilosophische Errungenschaften à la tiktok, pingpong oder These und Antithese.
Im vierfachen Sinn pendelt das Distanzschaffen historisch, geografisch, sozial und psychisch - und diese vier Bahnen verlaufen weder parallel, noch in einem homogen gesponnen Faden. Bilder pendeln von Indien nach Ferrara, aus dem Jahr 1435 ins Jahr 1929, aus dem Kellergeschoß des Küchenpersonals in der Vorstandsetagen von ROSNEFT und aus der frivolen Euphorie eines Maimorgens in die gefasste Stimmung eines souveränen Septemberbewußtseins. Wollte man den Pendelgang tabellarisch und kalendarisch organisieren, dann braucht man solche Tafeln wie Tafel 78 und 79, die mit ihren Spalten, Zeilen, Blöcken, ihren Kurven und Unterbrechungen, ein widerständig und insistierend geschichtetes Gelenke durch Homogenität und Heterogenität hindurch bilden. Das sind Haufen, das ist ein sedimentäres Geschichte, von dem Didi-Huberman treffend gesagt hat, es zeige Warburg als einen Seismographen.
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fabiansteinhauer · 3 years ago
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Polarforschung
1.
Quid est roma? Romanorum contubernium. Fisimatenten sind auch römisch, aber keine Sorge, denn es geht alles mit Recht zu.
Warburgs Interesse an Objekten, die Bilder sein sollen und die zuerst damit beginnen, die 'Differenz der Polarität' zu operationalisieren , trifft auf jene juridische Bereiche, in denen es nicht vordinglich um Nomos und Entscheidung geht. Nicht das "Zaunwort" (Trier) und nicht die großen Unter- oder Entscheidungen, nicht die 'Scheidekünste' interessieren Warburg, sondern solche juridische Techniken, mit denen Differenzen operationalisiert werden, in dem man etwas abschichtet und skaliert, misst und mustert. Ihn interessiert nicht so sehr das Gesetz und der Gesetzgeber, nicht der Satz und nicht der Gegensatz, also zum Beispiel auch nicht Verhältnisse, wie sie Schmitt mit "Land und Meer" beschreibt, um Gegensätze mit ihrer Logik der großen Trennung und wie zum Endkampf heraufzubeschwören. In Warburgs Forschung ein dialektisches Gerüst zu suchen, führt nicht weit. Bei ihm begegnet man Recht und Gesetz über die diplomatischen Routinen und die Arbeit der Sekretäre, also über Akten, Tabellen und das Protokoll und dann über den Verzehr und seine Rolle für römische Musterungen.
Warburg interessieren vor allem paralegale Materialien wie z.B. Chronographen oder Kalender: Techniken und Dinge, mit denen man etwas kehrt und kehren lässt, um es laufend sortieren zu können. Die gehören auch zum decorum des Rechts, zu dem, was nicht nur die Dogmatik erscheinen lässt, denn insoweit übersetzt decorum ornatus und kosmos - und damit auch ein Wissen, das von den Censoren, Poly- und Kosmographen, den Landvermessern, Astronomen und Astrologen bis zur Statistik und zum Alltagsgeschäft der Berater, Verwaltungen und Sekretariate reicht. Vom Gesetz und dem Gesetzgeber, auch von Sätzen lassen sich die Schichtungen und Musterungen nicht groß abtrennen, wenn es nicht nur reicht, dass es Recht und Gesetz gibt, sondern auch geplant werden muss, wann und wo etwas von Recht und Gesetz zum Einsatz kommt, wie weit es noch bis dahin ist und wann oder wo überhaupt die beste Gelegenheit sich ergeben soll, um etwas von Recht und Gesetz zu bekommen oder wieder loszuwerden.
2.
Amez Droit, Bilance!
Aus der engumsponnenen burgundischen Raupe entpuppt sich der florentinische Schmetterling, die Nynfa mit dem Flügelkopfputz und der flatternden Gewandung der griechischen Mänade oder römischen Victoria. Wenn Warburg in seinem Vortrag über Italienische Kunst und internationale Astrologie im Palazzo Schifanoia das Aprilblatt aus dem sog. Baldini-Kalender beschreibt und so noch einmal seine These entfaltet, dass dieser Kalender Botticelli zugeschrieben werden muss, Botticelli sich burgundischer 'Formulare' bedient, dann beschreibt er etwas von dem, was er 1929 "Pendelgang" nennt. Er beschreibt auch (Er-)Regungen, die auf mindestens vierfachen Wegen, nämlich auf historischen, geographischen, psychischen und gesellschaftlichen 'Korridoren' verlaufen. Vor allem aber springt dabei etwas von dem einen Korridor in den anderen, sprich: Ein historische Verlauf springt zu Psyche über, ein geographischer Verlauf springt ins Gesellschaftliche über. Etwas springt vom Subjekt zum Objekt über und zurück: etwas vom Schreiben in den Kalender, vom Kalender in das Bild und vom Bild in den Körper.
Schon wie Warburg die Entwicklung von Botticellis Venus beschreibt, ist quasi venerisch angesteckt. Seine Schreiben vollzieht noch im Stil einen historischen Verlauf der Frührenaissance, einen geographischen Verlauf zwischen Burgund und Italien und einen gesellschaftlichen Verlauf von Lizensierungen nach. So blühend wie in der Passage über den florentinischen Schmetterling schreibt er nicht immer. Manchmal schreibt er sachlicher und nüchterner, mal befangener und ohne jeden Tanz, aber im und am April kann sich das Schreiben bei ihm so (er-)regen, selbst wenn der April ihn nur im September über ein florentinisches Blatt im nebeligen Hamburg erreicht. Bei Botticelli regt sich im April was? Bei Warburg auch.
Das ist auch einer der Vorteile von chronographischen Wahrheiten, sie gehören zu den Wahrheiten, die über die Tafel ziehen und gezogen werden, und darum mal mehr oder weniger drängen, mal bildlicher und mal wörtlicher, mal direkter und mal 'übertragener', mal 'innerer' und mal 'äußerlicher', mal nahe- mal fernliegend verstanden werden können. Die Übertragunsgwege, die Korridore oder Pendelgänge sind, führen auf mehrfache Weise von hier und dort nach da. Diese Pendelgänge sind Korridore, aber Zugänge zum Machthaber sind sie nicht, sie sind Teil einer Kanzleikultur und ihres studio- und bürokratischen Apparates. Sie verbinden vielleicht zwei Punkte, aber nicht den Souverän, von dem es heißt, dass er der Dritte wäre.
3.
Was in der psychoanalytischen Literatur das Begehren oder auch die "Liebe des Zensors" ist, das hat bei Warburg mit vagen Dingen und vagen Techniken zu tun, also auch mit Waagen und Wagen, auch mit Verkehren, Verzehren und Bekehren. Wenn die Frage nach dem Gesetz psychoanalytisch auch die Frage nach der "Remanz der Zeichen und ihrem Insistieren im Verhalten der Körper" (Ute Holl) ist, dann kann das auch eine Frage sein, die man an und mit Warburgs Forschungen stellt, man muss sie nur übersetzen.
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