#rhetorische Institutionen
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Mater et caput
Apropos Ăbersetzung: Die LateranvertrĂ€ge heiĂen auf Italienisch patti lateranensi (wie Patti Smith, nur dass die Familie der Laterani keine Schmiede, dafĂŒr aber viele Immobilien hatte und dann enteignet wurde).
1.
Im Januar habe ich aus Anlass der im November anstehenden Reise nach Recife von unserer kleinen Forschungsgruppe zur Ăbersetzungen der Rhetorik berichtet. Die Gruppe ist informell organisiert, man kann das ein Netzwerk nennen.
Mich interessiert im Moment, noch im Zusammenhang mit dem Projekt zu Warburg, die PolaritĂ€t rhetorischer Institutionen. Das heisst, dass ich mich dafĂŒr interessiere, was in rhetorischen Institutionen ĂŒber PolaritĂ€t geschrieben wird. Diese Frage ist unter anderem eine Frage nach dem decorum und nach juridischen Kulturtechniken, die mustern und stratifizieren (vgl. Bildregeln).
Das ist zweitens eine Frage nach der historisch wandernden Bedeutung zweier, leicht verwechselbarer Begriffe: energeia und enargeia. Kurz gesagt sind beide Begriffe auch Teile eines Diskurses zu Energien (Regungen?), die laden und geladen sein sollen, noch bevor Aby Warburg seine Vorstellungen zur PolaritÀt auf die NaturWissenschaften des 19. Jahrhunderts einzustellen versucht.
2.
Die Fragen sind zwar Fragen danach, was in rhetorischen Institutionen zur PolaritĂ€t geschrieben steht. Aber sie können nicht allein im RĂŒckgriff auf schriftliche Zeugnisse und Begriffsgeschichte beantwortet werden, wenn man nicht den Begriff der Schrift zum einem Begriff der Graphien und Choreographien und den Begriff des Begriffes nicht zum einem Begriff fassender und erfassender oder tragender und trachtender Kulturtechnik erweitert.
Was in rhetorischen Institutionen geschrieben steht, also zum Beispiel bei Quinitilian, muss ĂŒber Protokolle erschlossen werden, die Quintilians Schreiben erstens ĂŒbersetzt haben und zweitens ĂŒbersetzbar gehalten haben. Quintilian schreibt nĂ€mlich ĂŒber das Sublime und das Subtile, ĂŒber hohen und niedrigen Stil, in einer Stadt, die schon hĂŒgelig war und dabei höhere und niedere Stadtteile hatte, als er noch flach lag und in Windeln steckte. Die SĂ€ulen standen bereits in stratifizierter Ordnung, die Statuen der Götter, Nymphen und Satyre hatten und warfen schon Blicke, noch bevor sich der kleine Quintilian auch nur einmal in seiner Wiege umdrehen und ah oder oh sagen konnte. Autorinnen wie Nadia Koch rekonstruieren die Begriffe darum archĂ€ologisch aus den Objekten, die dem Schreiben vorlagen.
Quintilians Schreiben ist schon ĂŒbersetzt, ĂŒbersetzt Rom ins Schreiben, ĂŒbersetzt pastoralen und urbanen Verkehr, sogar Segeln und Schifffahrt in Worte - und wird wieder in alles das ĂŒbersetzt. Quintilians Schreiben kann archĂ€ologisch gelesen werden, weil Quinitilian schon archĂ€ologisch schreibt, also mit Brocken Roms Brocke Roms schreibt. MultipliCity ist keine Erfindung der Moderne, das ist ein Erinnerung daran, dass Recht und Stadt koextensiv sind, dass damit auch Grundbegriffe und grĂŒndliche Linien, allen imaginĂ€r und symbolisch voran das Wort Roma und seine grĂŒndlichen ZĂŒge durch das das pomerium koexistent und kooperativ sind.
Die Frage danach, was in rhetorischen Institutionen zur PolaritĂ€t geschrieben steht, die geht in die Frage nach dem Nachleben der Antike ĂŒber. Die rhetorische LektĂŒre definiere ich technisch als eine umwegige, umgeschlagene (involvierte und konvertierte) also selber schon technische LektĂŒre, die ĂŒber antike Quellen fĂŒhrt. Den Begriff der rhetorischen LektĂŒre will ich insofern verengen, wie ich den Begriff der rhetorischen Institution verengen möchte. Nur die LektĂŒre, die Umwege ĂŒber Rom und antike Referenzen macht, soll rhetorische LektĂŒre sein. Nur eine kleine Anzahl von Texten sollen rhetorische Institutionen sein: Quintilian gehört dazu, wie die Rhetorik, die dem Herennius geschrieben wurde, also als klamme Sendung oder Letter (nicht als Buch) konzipiert wurde. Ciceros Schreiben, Horaz' Schreiben: Die gehören auch sicher dazu.
Und das Nachleben der Antike? Auf den Zetteln meines Tumblr habe schon öfters die beiden Helmut Rahns erwĂ€hnt, den braven und nicht öffentlich polaren Ăbersetzer und den offen polaren, nĂ€mlich öffentlich fuĂballspielenden Helmut Rahn. Der brave Ăbersetzer hat aus Quintilian das gemacht, was Johann Joachim Winckelmann aus der Antike gemacht hat. Sprich: Dieser Rahn hat die rhetorische Institution edel, einfĂ€ltig, still und groĂ gemacht. Der hat etwas extrapoliert. Die deutsche Version ist in einem sogar mehr als nietzeanischen Sinn ein Halbschreiben, das die FrivolitĂ€t und das Satirische, die MuliplizitĂ€t (das Urbane und das Pastorale!), das Laute/ Kreischende/ Nöselnde und das Kleine/ Mindere der rhetorischen Institutionen zwar nicht hat verschwinden lassen, aber so entfernt hat, dass es verstellt und die Wahrnehmung insofern sediert ist. Die deutsche Ăbersetzung ist nicht total einschlĂ€fernd, nur zur HĂ€lfte, und zwar zu allem dem, was weder edel noch einfĂ€ltig, weder still noch groĂ ist. Das schlummert im deutschen Text.
So ĂŒbersetzt man in einigen Momenten und an einigen Orten decorum mit Angemessenheit, nicht mit Messung, Messe oder Missen, nicht mit Pass, Passion, Passieren oder Passage. Man muss nur mal lesen, was sich die Frankfurter Schule Abteilung Nichtbenjamin in den 1990' er Jahren unter einem Sinn fĂŒr Angemessenheit vorstellt. Kaum das, was im FuĂballstadion und bei Doktor Flotte abgeht Man denkt ans Musterhaft Habermasianische und bei Musterung kaum an die Censoren oder gar an KreiswehrersatzĂ€mter. Dass Musterung etwas mit Blicken und Schirmen einer kriegerischen Stadt inklusive ihres Hafens, ihres Nachtlebens und inklusiver intensiver, hoher und niederer Milieus zu tun hat, das kann man ĂŒbersehen. Aber wozu sollte man das tun? Der Asket macht aus der Tugend eine Not, man muss ja kein Asket sein.
Paene omnia decent, gegen Ende (beinahe) geht doch alles durch, das schreibt Quinitilian selbst, natïżœïżœrlich erst nahe beim Ende seiner Institutionen. Man muss mit den rhetorischen Institutionen machen, was Aby Warburg mit der Antike gemacht hat: Die PolaritĂ€t protokollarisch und archĂ€ologisch wieder entfalten, statt sie einzuschlĂ€fern und schlummern zu lassen.
Die PolaritĂ€t rhetorischer Institutionen ist ihre Meteorologie. Rhetorische Institutionen sind vorĂŒbergehend, ihre Elemente sind Details, die kommen und gehen, deren Erscheinung schwer berechenbar bis notorisch unkalkulierbar bleiben und deren Entfernung zwar gemessen werden kann. Die MaĂe rasten aber nicht ein, sie können nur limitiert anhalten, sind nur befristet parkbar, nur episodisch paradiesisch.
2.
Im Juni sammelt sich ein Teil der Gruppe um Ino Augsberg in Kiel. Ich schlage vor, einmal die PolaritÀt der Institutionen zu diskutieren.
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On Jupiter
Jupiter, so heiĂt es, sei der phobische Körper schlechthin. Er kann der klamme Körper mit den engsten Stellen schlechthin sein. Dennoch, eventuell gerade deswegen, ist er ein unruhiger, unbestĂ€ndiger Körper. Es ist möglich, dass er fröhlich ist. Er kreist elliptisch, fliehend und fallend, elliptisch auch im Sinne rhetorischer Institutionen, also juridischer Kulturtechnik. Er wirbelt, windet und tost, auch im Sinne juristischer Institutionen, nĂ€mlich im Sinne von Gaius' Deutung der venditio, und im Sinne von Institutionen der Renaissance, nĂ€mlich in Petrarcas Deutung des Mont Ventoux.
Jupiter Planet
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VerfĂŒhrung
Zusammenfassung âDer Zerfall der Demokratieâ von Yascha Mounk Populismus ist populĂ€re geworden. Ein Politikstil, der sich ĂŒber IdentitĂ€t, Gemeinschaft durch Ausgrenzung (Stammesdenken), definiert. Ăber konstruierte Feindbilder. Der Politikstil diskutiert, wer zur Gemeinschaft gehört und wer nicht. Spaltend wertend âwirâ und âdie anderenâ. Das scheint das wichtigste Stilmittel des Populismus zu sein. Was auch ins Extreme rutschen kann. Was will dieser Politikstil behaupten? Sich als FĂŒrsprecher des âVolkesâ stilisieren, als zuverlĂ€ssiges Sprachrohr. Alle anderen sind VerrĂ€ter (sind korrupt - diese Behauptung trifft nicht selten genau umgekehrt zu). Die Populisten wollen entmachten, um dann die Macht - ganz ungehindert und ĂŒberhaupt nicht mehr fĂŒr irgendwen, schon gar nicht fĂŒr âdas Volkâ - sondern, nicht selten, nur noch fĂŒr sich - als Diktator. Â
Mit einfachen Einsatzantworten oder Behauptungen wird das gebetsmĂŒhlenartig wiederholt, zitiert. Es prĂ€gt und brennt sich ein. LĂ€uft die Timeline hoch und runter. Wird geliket, geshared. Bis es mehr âwahrâ wird? Die WĂ€hlerinnen sollen es glauben (Parteien-Werbung als Mogelpackung).
Trump: âIch bin eure Stimme.â  Erdogan: âWir sind das Volk. Wer seid ihr?â Marie le Penn: âau nom du peupleâ - âIm Namen des Volkesâ Norbert Hofer: âSie haben eben die Haute-VolĂ©e. Wir haben das Volkâ (zu Alexander van der Bellen) AFD 2017: âBurkas? Wir stehen auf Bikini. Deutschland, trau dich.â Interessant: Der Frauenkörper wird als Objekt und âWareâ der VerfĂŒgbarkeit stilisiert. An deren OberflĂ€che wird, ĂŒber die Kleidung, die Religionszugehörig bewertet, die Spaltung âwirâ und die âanderenâ festgemacht. Ordensschwestern, Mönche und Nonnen sind ausgenommen...) âDer Islam passt nicht zu unserer KĂŒcheâ (Ferkelmotiv), âDirektdemokratisch, wie in der Schweizâ > Vorsicht, vorher Stimmung machen und dann: Brexit oder Grundlagen der Religionsfreiheit verbieten (Schweizer Minaretteverbot). VerfĂŒhren (ausgrenzen) mit den Mitteln der Demokratie. Was nicht zu Diskussion steht: Verfassung, Menschenrechte, MenschenwĂŒrde, Religionsfreiheit, Meinungs-und Pressefreiheit. Eine liberale und reprĂ€sentative Demokratie definiert sich darĂŒber, wie sie mit Minderheiten umgeht.
Mit den Wahlslogans beanspruchen diese Partien (und definieren) ein âmoralisches Monopol der authentischen ReprĂ€sentationâ fĂŒr sich. Dieses Monopol hat eine lange und blutige Geschichte . Diese rhetorische Masche wirkt bis heute. Die Wut der Populisten richtet sich gegen ethnische oder religiöse Gruppen, die fĂŒr sie nicht zum âwahren Volkâ gehören. An die politische Macht gekommen, richtet sich ihr Zorn auf sĂ€mtliche formelle wie informelle Institutionen, die den Anspruch der Populisten auf das moralische Monopol der ReprĂ€sentation in Frage stellen.Â
Nachtrag. UK - âLetâs take back control again.â (alte GröĂe, schwelgen in Great Empire, was fĂŒr viele nie bzw. âwenigerâ weg gewĂŒnscht war. Und die âNormalisierungâ Englands in der Union schien eine Art KrĂ€nkung fĂŒr viele Briten gewesen zu sein. Kontrollieren, herrschen, im Sinne das alten Britischen Weltreiches der gröĂten Kolonialmacht, scheint ein verlorener Trumpf zu sein, dem wohl immer noch nachgetrauert wird)Â
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Debug oder: Die soziologische Entzauberung der Black Box
Armin Nassehi ist der homo ludens der Soziologie. Rasend intelligent, aufs Blut provokativ, rhetorisch ein Genuss. Berechenbar ist er nur in seiner Unberechenbarkeit. Mit âMuster« hat er nun das Buch geschrieben, dass uns nicht nur die digitalisierte Moderne, sondern auch die Wirkung der immer wechselnden Gadgets erklĂ€rt. Wenn die gesammelte Academia die GrĂŒnde eines gesellschaftlichen Problems analysiert und benennt, so muss man nicht lange darauf warten, dass Nassehi seine entgegengesetzte Meinung kundtut. Selten weiĂ man, ob er nun seine Meinung kundtut oder dem Publikum vorfĂŒhrt, welche Möglichkeiten des Denkens ihm eigentlich offenstehen. ZurĂŒck bleiben die Fragen: Was meint Nassehi ernst? Und: Wie ernst meint Nassehi es? Nassehi ist nicht nur public intellectual, sondern auch ein soziologisches Schwergewicht. Einer, den die Deutsche Gesellschaft fĂŒr Soziologie erst vor zwei Jahren fĂŒr seine »herausragende Leistungen auf dem Gebiet der öffentlichen Wirksamkeit der Soziologie« auszeichnete. Seit 1998 hat er einen Lehrstuhl fĂŒr Soziologie an der UniversitĂ€t MĂŒnchen inne, wo er sich mit Problemen der Kultur- und Religionssoziologie, Wissens- und Wissenschaftssoziologie und der Politischen Soziologie beschĂ€ftigt. Seine Art, Soziologie zu betreiben, schlieĂt an die Systemtheorie von Niklas Luhmann an, was sich auch in seinem jĂŒngsten Buch »Muster« niederschlĂ€gt. »Muster« war fĂŒr mich der Topfavorit fĂŒr den Sachbuchpreis der Leipziger Buchmesse. Dass es diesen Preis nicht erhielt, lag an dem ebenso guten Werk »Krebs fĂŒhlen. Eine Emotionsgeschichte des 20. Jahrhunderts« von Bettina Hitzer, das in der Zeit einer um sich greifenden Corona-Krise wohl das aktuellere war. Mit »Muster« verarbeitete Nassehi â und der Untertitel »Theorie der digitalen Gesellschaft« verrĂ€t es â ein zeitloses wie aktuelles Thema: die Digitalisierung. Warum war die Digitalisierung so erfolgreich? Warum haben wir Menschen uns so schnell auf diese Technologie eingelassen? Warum konnte sich Digitalisierung so gut, so tief und so selbstverstĂ€ndlich in unser Alltagsleben integrieren? Das sind die einfachen Ausgangsfragen des MĂŒnchner Soziologen. Oder mit seinen Worten: »FĂŒr welches Problem ist die Digitalisierung eine Lösung?« Nassehis Antwort lautet, dass die Digitalisierung nicht als Fremdkörper eindrang oder sich von auĂen an die Moderne heranpirschte. Im Gegenteil, Digitalisierung gehörte vielmehr schon immer zum Wesen moderner Gesellschaften. Nassehi bricht mit dieser ErklĂ€rung â und das ist die StĂ€rke seines Buches â den Mythos, die Digitalisierung habe eine in sich geordnete und bestens funktionierende analoge Welt zerstört. Fremd- und Selbstbeobachtung, Selftracking und Selbstoptimierung sind inhĂ€rente Bestandteile moderner Gesellschaften, lediglich die Gadgets haben sich verĂ€ndert. Nach »Muster« war die gesellschaftliche Moderne immer schon digital, weil »Digitaltechnik letztlich nur die logische Konsequenz einer in ihrer Grundstruktur digital gebauten Gesellschaft ist«. Zwei Merkmale stellen das Wesen der Moderne dar: ihre DigitalitĂ€t und ihre KomplexitĂ€t. Sie sind konstitutiv fĂŒr und strukturell in die Moderne eingewoben. Auf diese KomplexitĂ€t bezieht sich Digitalisierung, die RegelmĂ€Ăigkeit der Gesellschaft selbst ist ihr Bezugsproblem. Die Moderne war und ist stets auf der Suche nach Ordnung durch Kennzahlen, QuantitĂ€ten, Mustern. Nassehi widerspricht der Vorstellung, dass Modernisierung den Verlust von Ordnung darstellt, im Gegenteil, Modernisierung weist auf Ordnung/Ordnungen hin, sie bildet Ordnung/Ordnungen.
DigitalitĂ€t ermöglicht Ordnungen erstmalig und neu zu erkennen | Photo by panumas nikhomkhai from Pexels Die Digitale Revolution als gesellschaftliches PhĂ€nomen der Moderne ist somit eine Revolution der gesellschaftlichen KomplexitĂ€t selbst. So sei die vormoderne Gesellschaft in Hierarchien â oben, unten â geschichtet. Moderne Gesellschaften sind geordnet nach â wie Nassehi es im systemtheoretischen Sprech nennt â sachorientierten Funktionen wie Politik, Ăkonomie, Recht, Wissenschaft, Medien, Medizin, Erziehung/Bildung und anderen. Die Moderne ist also, so Nassehi, nicht das Ende einer Ordnung. DigitalitĂ€t ermöglicht nun, diese Ordnungen erstmalig und neu zu entdecken und zu erkennen. Diese neue Gesellschaft entdeckt â und hier ist ein Verweis auf die Soziologie als wissenschaftliche Wegbereiterin zur Entdeckung enthalten â sich in drei Phasen. Im 18. und 19. Jahrhundert rund um die Französische Revolution erkennt sie, dass Zukunft nicht die Fortschreibung der Gegenwart ist, sondern ein gesellschaftlicher Auftrag, das Neue zu schaffen. Sie generiert neuartige Ordnungen mit neuen Rechten und arrangiert neue Institutionen fĂŒr den neuen Nationalstaat mit einem neuen Volk. Vor lauter Wunschdenken, das Neue zu gestalten, gab es aber damals auch die Erfahrung von struktureller TrĂ€gheit. Residuen des Gestern bleiben, sie weichen dem Neuen nicht. Diese Erfahrung gilt auch fĂŒr die nĂ€chste Phase im 20. Jahrhundert, die die sozialen Liberalisierungen und gesellschaftlichen Pluralisierungen entdeckt. Gesellschaftliche Inklusion und soziale MobilitĂ€t, plurale Lebensformen und Demokratisierung der Ăffentlichkeit haben die Welt neu kombiniert, haben der Welt neue Muster gegeben. Bei allen Reformen und VerĂ€nderungen gilt auch fĂŒr das 20. Jahrhundert die Feststellung, dass gesellschaftliche Strukturen nicht so leicht zu verĂ€ndern waren, wie man es erwartet hatte. Nun aber steht mit der digitalen Entdeckung die dritte â und »vielleicht sogar endgĂŒltige« â Entdeckung der Gesellschaft bevor. FĂŒr alle Entdeckungen der Gesellschaft gilt die Beobachtungen, dass sie verĂ€nderlich wie verĂ€nderungsresistent sind. Leider geht Nassehi nicht darauf ein, inwieweit digitale Gesellschaften trĂ€ge sind und Residuen des Gestern weitertragen. Klar geworden sein muss, dass es fĂŒr Nassehi bei den Entdeckungen moderner Gesellschaften eine enge VerschrĂ€nkung mit der Soziologie beziehungsweise ihren protowissenschaftlichen VorlĂ€uferinnen gibt. Schaffung, Planung und Steuerung von Gesellschaften bedĂŒrfen grundlegender Daten und ihrer Interpretation. »Die Zentralisierung von Herrschaft in Nationalstaaten, die Stadtplanung und der Betrieb von StĂ€dten, der Bedarf fĂŒr die schnelle Bereitstellung von Waren fĂŒr eine abstrakte Anzahl von Betrieben, Verbrauchern und StĂ€dten/Regionen hat die Datenverarbeitung hervorgebracht.« Daten â analoge wie digitale â und die FĂ€higkeiten, sie zu verarbeiten sind die Bausteine dessen, was Nassehi mit Verdoppelungen bezeichnet. So legt er den Beginn der Digitalisierung der Gesellschaft auf die FrĂŒhzeit der Moderne, just zu dem Moment, als der Buchdruck eine neue, mechanisierte, vervielfĂ€ltigbare Form der Schriftlichkeit und damit die Voraussetzung schafft, sich wie ein Netz ĂŒber die gesellschaftlichen Praktiken zu legt und damit eine zweite RealitĂ€t zu erzeugen, die in einem Wechselspiel ineinander eingreifen. RealitĂ€t verdoppelt sich. Verdoppelungen werden damit selbst zum Teil der Gesellschaft. Der Geist der Kybernetik entsteht dann, als Schriftlichkeit sich wie ein zweiter Layer ĂŒber die Welt legt als »Kosmos einer geschriebenen Welt«. Im Gegensatz zu einer frĂŒhmodernen Konfiguration befinden sich in unserer modernen und funktional differenzierten Gesellschaft unterschiedliche Verdoppelungen nebeneinander: Verdoppelungen fĂŒr die Ăkonomie, die Politik, die Kultur, das Recht, die Wissenschaft oder die Religion. Klar ist: »Daten verdoppeln die Welt, enthalten sie aber nicht.« Seit dem Beginn der frĂŒhmodernen Medienrevolution wird die Welt in Datenform ĂŒbersetzt, seit dem 19. Jahrhundert wird unter diesen Datenpunkten nach Mustern gesucht, um Unsichtbares sichtbar zu machen. Moderne Digitaltechnik ist sogar in der Lage, nicht nur angenommenes Unsichtbares sichtbar zu machen, sondern gar unknown unknowns zu destillieren und an die Ăffentlichkeit zu bringen. Eine wesentliche Rolle fĂŒr diese Entdeckungen spielt die Einfachheit digitaler Daten. FĂŒr den Autoren ist diese Einfachheit der Daten der SchlĂŒssel fĂŒr ihre Wirksamkeit. Es ist vor allem ihre binĂ€re Codierung, die eine unglaubliche Anzahl von operativen Möglichkeiten schafft. Die radikale Reduktion auf eine Zeichenfolge lĂ€sst diese Potenz(ierungen) zu. Oder in den Worten Nassehis: »Daten sind zugleich grenzenlos in ihren Möglichkeiten, aber radikal begrenzt auf sich selbst. Ihre Offenheit ist eine Funktion ihrer Geschlossenheit. Sie kennen nicht die Welt, sondern nur sich selbst, und verdoppeln die Welt doch mit dem, was sie tun.« Was noch geleistet werden muss, ist die Ăbersetzung der Daten in Fragen und Antworten. Hier greift das Werk der Computertechnologie, die die KomplexitĂ€t der gesellschaftlichen Moderne sichtbar macht. Eine Technologie â dies sei in Klammern, aber in FortfĂŒhrung der Antwort auf die Frage, warum Digitalisierung so erfolgreich werden konnte â, die als Black Box, als Wundermaschine ihre Arbeit macht. Dass Technik funktioniert, ist ihr unschĂ€tzbarer Vorteil, darauf verweist Nassehi immer wieder. Technische und gesellschaftliche Zweifel am Digitalen, so die Beobachtung von Nassehi, lösen sich immer dann auf, wenn sich die Digitaltechnik als Technik auch praktisch bewĂ€hrt. Und das tut sie. »Gerade weil sie sich geradezu nahtlos in die gesellschaftliche Funktionsweise einfĂŒgt, erscheint sie spĂ€testens dann, wenn sie in ihren konkreten Anwendungsgebieten funktioniert, nicht mehr als fremd, sondern kommt der Praxis der Gesellschaft selbst entgegen.«
»Daten kennen nicht die Welt, sondern nur sich selbst« | Photo by Bradley Hook from Pexels Diese Digitaltechnik ist in der Lage, die Welt in Daten zu reprĂ€sentieren, um Muster und Strukturen zu erkennen, die mit bloĂem Auge und den Wahrnehmungs- und RechenkapazitĂ€ten des natĂŒrlichen Bewusstseins nicht erfasst werden können. Laut Nassehi haben die qualitativen VerĂ€nderungen gesellschaftlicher KomplexitĂ€tslagen erhöhte Berechnungen bedurft. Die Vermessung der Gesellschaft ist keine quantitative Aufgabe, sondern eine qualitative. Dies ist die Geburtsstunde der Soziologie. Somit ist auch die die Digitalisierung weniger ein soziales als vielmehr ein soziologisches PhĂ€nomen. »Eine Soziologie der Digitalisierung ist genau genommen eine Soziologie der Soziologie, denn die Fragen, die sich als digitale Fragen stellen, sind soziologischen Fragen unmittelbar verwandt.« Und so ist das abschlieĂende Kapitel â vom MĂŒnchner Soziologen im Digitalisierungssprech »Debug« genannt â mit »Die Wiedergeburt der Soziologie aus dem Geist der Digitalisierung« ĂŒberschrieben. Neben der Entwicklung und Verdeutlichung seiner Thesen streut Armin Nassehi noch die eine oder andere Trouvaille in seine Studie. Seine Ein- und Auslassung ĂŒber Privatheit â Privatheit 1.0 vs. Privatheit 2.0 â lassen die Beobachtungsgabe und den feinen Humor des Soziologen immer wieder durchscheinen: »Oft wird der Verlust von etwas beklagt oder etwas zu retten versucht, das es so nie gab.« Hier sind sie dann doch zu finden, die Residuen des Gestrigen.
Armin Nassehi: Muster. Theorie der digitalen Gesellschaft. Verlag C.H. Beck 2019. 352 Seiten. 26,- Euro. Hier bestellen Wie Nassehi den französischen Ethnologen und Strukturalisten Claude LĂ©vi-Strauss in seine Deutungen einarbeitet, um die DysfunktionalitĂ€ten einiger User auf dem politischen rechten Rand zu erklĂ€ren, ist brillant. LĂ©vi-Strauss hatte einst kalte und heiĂe Gesellschaften voneinander unterschieden. Die erste verwendet ihre Energie darauf, den Status quo zu erhalten. Die zweite hingegen ist wachstumsorientiert, strebt nach dem Neuen und gibt sich mit dem Status quo nicht zufrieden. Den Unterschied zwischen heiĂen und ĂŒberhitzten Gesellschaften verdeutlicht Nassehi folgendermaĂen: »HeiĂe Gesellschaften lernen systematisch, ĂŒberhitzte Gesellschaften lernen nicht, sondern kollabieren an der eigenen Dynamik.« Trotz der schlichten und gerade deswegen intellektuell so beeindruckenden Ausgangsfrage und trotz der Brillanz, wie Nassehi sie beantwortet, bleiben ein, zwei Kritikpunkte am Ende stehen. Da erinnert mich Armin Nassehi an die Art, wie Carl Schmitt schriebt. Jeder Satz fĂŒr sich ist klar. Aneinander gereiht verunklaren sie. Dies mag der soziologischen Herkunft Nassehis von der Systemtheorie geschuldet sein, die eine eigene Sprache und dadurch einen hermetischen Zugang geschaffen hat. Systemtheorie hat mir immer wieder neue, andere Blicke auf die Gesellschaft mit groĂem Erkenntnisgewinn ermöglicht. Dass sie fĂŒr mich, der leider kein Experte fĂŒr Systemtheorie ist, immer allzu mechanistisch, wenig menschlich operiert, sei nur kurz erwĂ€hnt. Aber auch fĂŒr Nicht-Systemtheoretiker liegt die wahre StĂ€rke Nassehis darin, dass er uns vor zu viel NaivitĂ€t schĂŒtzt. Wie er im Stile von Helmuth Plessner unsere kleingeistigen Hoffnungen auf klare, einfache Gesellschaften, die Hoffnung, eine Gesellschaft zusammenzufĂŒhren, beiseite streift und auf die Grenzen der Gemeinschaft verweist, das ist groĂer intellektueller Sport. DafĂŒr hat sich die LektĂŒre allemal gelohnt. Read the full article
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Vorzeitennotiz
1.
Das AnthropozĂ€n ist das PolyesterozĂ€n und das KohlenhydratozĂ€n, ein aufwirbelndes und umgrabendes CarbonozĂ€n. Anders gesagt und jetzt scharf definiert: AntropozĂ€n ist, wenn zweibeinig laufende und zweihĂ€ndig begreifende Kohlenstoffverbindungen alle anderen Kohlenstofferbindungen total durcheinanderbringen. Seit den Inventionen des schwedischen Forschers Jöns Jakobs Berzelius (a B-Narrator) nennen wir das einen organischen Vorgang und wollen alles Vorteilhafte daran als Leben und alles Nachteilhafte daran als Tod verstehen. Seit dem wird auch die organische Chemie von der anorganischen Chemie unterschieden, das ist richtig so und soll so gemacht werden. Man soll auch die Chemie von der Physik und die natĂŒrlichen ScheidekĂŒnste von den juristischen ScheidekĂŒnsten unterscheiden, weil sonst noch was durcheinander kommt.
FrĂŒher war nicht nur mehr Lametta, sondern auch weniger Unordnung im Ganzen, nur den Steinen war das egal. Man soll nicht definieren, um Probleme zu entsorgen, man soll definieren, um Probleme scharf zu stellen und damit hĂ€ndelbar zu machen. Im Umgang mit problematischen Kohlenhydraten und Kohlenstoffverbindungen könnte der Mensch das problematischste Kohlenhydrat oder die schĂ€dlichste Kohlenstoffassoziation sein, man sollte ĂŒberlegen, wie man seine Erfolge limitiert, das könnte seinen Wert steigern. Der Mensch hat selbst einen anthropologischen Geiz, spart also daran und dabei, seine Eigenschaften auf das Ganze der Gattung zu verteilen. Quasi die HĂ€lfte der Menschen gilt als unmenschlich, ihr angehörende Leute als Tiere, Bestien oder ein Haufen ScheiĂe. Damit könnte man arbeiten, sollte das aber sorgsam und sorgfĂ€ltig tun.
2.
Die Leute waren frĂŒher nicht reicher, sie trugen weniger Polyester und aĂen weniger sĂŒĂe und salzige Kohlenhydrate. Die alten Fotos aus Recife machen mich fertig, das macht nervös zu sehen, wie die jeweiligen Unterschichten, die immer irgendwo am Rande der Bilder auftauchen, 1960 aussahen und wie sie heute in dieser Stadt aussehen. Oben im Bild sieht man ausnahmsweise keine Unterschicht im Zentrum von Recife, aber percaico postet fleissig aus dem Archiv - und oft sieht man dann die Unterschichten aus einer Zeit, die noch nicht mit Polyester und Zucker geflutet war. So, wie Arbeitssklaven 1960 aussahen, sehen heute smarte AnwĂ€lte im Urlaub in Recife aus. Ich will nicht zynisch sein, aber etwas irritiert mich und lĂ€sst mir etwas entgleiten. Etwas stimmt nicht. Etwas ist rotten und das könnten die Kohlenstoffverbindungen sein.
Die Kohlenhydrate, die Kohlenstoffverbindungen, das Karbon: nicht nur weniger Autos verbrauchten was davon, die Leute aĂen auch weniger davon und trugen weniger davon. Man spricht heute von der groĂen Anreicherung und von der groĂen Bereicherung. Great enrichment ist ein Begriff, den Deirdre McCloskey auf eine Weise geprĂ€gt hat, dass man nicht weiĂ, ob man beleidigt sein, ein schlechtes Gewissen haben oder erleichtert lĂ€cheln soll. Dass man davon mehr oder weniger mitbekommen haben soll, kann einem diese Entscheidung nĂ€mlich nicht abnehmen.
2.
Schichten sind verschachtelt. Nicht nur das decorum stratifiziert und skaliert auf eine verschachtelte Weise. Luhmann hat einmal gesagt, dass man nur in Schichten von Schichten sprechen können.
Die rhetorische AusprĂ€gung der Stratifikation und Skalierung wird in den Manualen und Institutionen mit drei Werten versehen, einem unteren, mittleren und oberen Wert, zum Beispiel mit dem Subtilen, dem Medium und dem Sublimen. Das sind drei Schichten des decorum und decorum ist insofern eine nomen actionis fĂŒr Skalierung, Stratifikation und Musterung. Mit dem decorum wird in juridischen Kulturtechniken z.B. unterschieden, geschichtet und gemustert.
Aber auf jeder Schicht klappt die Musterung durchgehend und sozusagen vollstĂ€ndig, auch durchgehend und vollstĂ€ndig auf. Das heiĂt, dass sich auf jeder Schicht wieder drei Schichten finden. In der Unterschicht gibt es auch wieder eine Unterschicht, eine Mittelschicht und eine Oberschicht und so weiter und so fort.
Das französische Rokoko mit seinen feuchtwarmen und lichtarmen Muschelgrotten (architektonisch betrachtet sind das Petrischalen des Venerischen) und den zaunpfahlartig winkenden bockfĂŒĂigen Satyren davor sowie die kleberschnĂŒffelnden und unterernĂ€hrten Zombies in den MangrovensĂŒmpfen von Recife sind auf solche Weise bemessen: Das Rokoko ist der niedrige Stil am höchsten Hof; die kleberschnĂŒffelnden Zombies sind die Unterschicht der Unterschicht, im Ranking stehen sie noch unter den crackabhĂ€ngigen Prostituierten, die eine Mittelschicht im Sumpf bilden und den Freiern und Dealern, die dort die Oberschicht bilden. Auf jeder Schicht wiederholt sich die ganze Musterung (unter den Dealern gibt es auf erkennbare Weise untere, mittlere und obere), das kann man nicht nur als Verschachtelung begreifen.
Es ist Schalenbildung, von mir aus sogar Eierschalenbildung, weil jede Schicht an ihrem Rand und im Kreisen zwar eine Spannung aufbaut, die ein Durchbrechen der Schicht erschwert, aber alles weitere dennoch eiern und kreisen lĂ€sst. Obwohl eine Schicht nicht eins ist, obschon die uneins ist und nicht nur Pack und Pack sich schlĂ€gt, hĂ€lt die Verschachtelung und die Verschalung Schichten zusammen und Schichten auseinander. Graphisch stelle ich mir das wie jene Verschachtelung vor, die Aby Warburg als Tafel B im Atlas, also im Schema der Unterscheidung zwischen Mikro- und Makrokosmos vorfĂŒhrt.
TrĂłlebus Ănibus ElĂ©trico, N° 030, Linha 18 Bairro de Campo Grande, Circulando no Centro do Recife - DĂ©cada de 1960.
Photo Wilson Carneiro da Cunha.
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Wir sind die Guten!
Die Monopolkommission der Bundesregierung hat sich in ihrem aktuellen Hauptgutachten, das sie im Juli 2014 vorstellte, auch mit der Kinder- und Jugendhilfe beschĂ€ftigt. Bereits in 1996/97 hatte die Kommission die VerschrĂ€nkung der freien Wohlfahrtspflege mit dem sozialen Versicherungssystem als âbilaterales Kartellâ beschrieben.
An dieser Diagnose hat sich in den vergangenen knapp 20 Jahren offensichtlich wenig geÀndert. So fasst die Monopolkommission im aktuellen Gutachten zusammen:
âPrivilegien weniger groĂer etablierter Anbieter wie der Liga der SpitzenverbĂ€nde zulasten Dritter be- oder gar verhindern den Wettbewerb.â
Die dargestellten Wettbewerbsverzerrungen widersprechen laut Monopolkommission zentralen Vorgaben der Kinder- und Jugendhilfe:
âAnbieter im Arbeitsbereich der Kinder- und Jugendhilfe dĂŒrfen nicht diskriminiert werden (Freiheit auf Anbieterseite), und den Leistungsberechtigten als primĂ€ren Nachfragern muss ein möglichst vielfĂ€ltiges, bedarfsgerechtes Angebot zur VerfĂŒgung stehen (Freiheit auf Nachfragerseite).â
Soweit die Monopolkommission.
Wer zu diesen allgemein gehaltenen Aussagen konkrete Anschauung benötigt, kann einen der vielen neuen Sozialunternehmer im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe befragen, die in den letzten Jahren versucht haben, mit innovativen und oftmals nachweislich wirksamen LösungsansĂ€tzen öffentliche Förderung einzuwerben. NatĂŒrlich drĂ€ngt sich hier die Frage auf, wie es angehen kann, dass Mitglieder von WohlfahrtsverbĂ€nden oder â wie von der Monopolkommission dokumentiert â die WohlfahrtsverbĂ€nde selbst offensichtlich immer wieder gegen die (Freiheits-)Interessen unser aller Wohlfahrt handeln können, ohne dass dem (insbesondere aus den eigenen Reihen) Einhalt geboten wird?
Institutionen, gleich ob privatwirtschaftlich gefĂŒhrt oder öffentlich gefördert, sind grundsĂ€tzlich an ihrem Fortbestand interessiert. Dies gilt natĂŒrlich auch fĂŒr Einrichtungen der freien Wohlfahrt. Sich gegen Wettbewerber zu verteidigen, ist ein natĂŒrlicher, legitimer Reflex, der ein wertvoller Treiber fĂŒr die Entwicklung neuer Lösungen ist. Mit Innovationen punkten lĂ€sst sich allerdings nur in einem funktionierenden Markt, der Innovationen auch honoriert. Wer sich dagegen erfolgreich in Kartellen organisiert, setzt den Markt auĂer Kraft und unterbindet damit automatisch die Entwicklung auĂergewöhnlicher und eventuell ĂŒberraschender Lösungen.
Im Unterschied zur âfreienâ Wirtschaft haben wir es im sozialen Sektor vorwiegend mit Einrichtungen zu tun, die sich nicht nur âWohlfahrtâ nennen, sondern sich der allgemeinen Wohlfahrt auch glaubhaft verpflichtet fĂŒhlen. Wie also können diese es vor sich und ihrem gemeinwohlorientierten Anspruch rechtfertigen, produktive MarktkrĂ€fte auĂer Kraft zu setzen?
Vielleicht weil âMarktâ in diesem Feld ohnehin nichts zu suchen hat? Weil die nichtsoziale Marktwirtschaft doch genau die Ungerechtigkeiten und Nöte produziert, die zu lindern die Wohlfahrt angetreten ist? Weil die Wohlfahrt, maĂgeblich geprĂ€gt von Caritas und Diakonie, per se die Guten sind? Weil sie es â Krankenasyl und Armenspeisung â doch immer schon waren? Und alle, die das anders sehen, grundsĂ€tzlich die eher nicht so Guten?
Wenn dem so wĂ€re, hĂ€tte unser Gemeinwesen ein Problem. Das Problem, dass in einem gewaltigen Markt (allein die Kinder- und Jugendhilfe hatte in 2012 ein Volumen von 32 Mrd. EUR) Gesinnungskartelle entstanden sind, in denen Mitglieder sich per se fĂŒr die Wohlfahrt berufen fĂŒhlen und anderen ihre Eignung aufgrund falscher Gesinnung absprechen. Dies wĂŒrde auch erklĂ€ren, warum derzeit die VerstĂ€ndigung so schwierig ist zwischen Vertretern von WohlfahrtsverbĂ€nden und BĂŒrgern, die Wirksamkeitsnachweise einfordern, um damit die Grundlage fĂŒr einen Wettbewerb um die besten sozialen Lösungen zu schaffen. Weil es vielleicht gar nicht um Argumente geht. Sondern um Ideologie.
Wenn dies zutrÀfe, bliebe nur noch eine Frage. Sie ist, zugegeben, rhetorisch: War Ideologie in unserer Geschichte jemals eine gute Grundlage, um drÀngende soziale Probleme zu lösen?
(ursprĂŒnglich veröffentlicht auf dem Blog der Benckiser Stiftung Zukunft, 10.02.2015)Â
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Robert Reich: Trump hat der amerikanischen Demokratie nie eine gröĂere Bedrohung bereitet
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Robert Reich: Trump hat der amerikanischen Demokratie nie eine gröĂere Bedrohung bereitet
Bildnachweis: Youtube Screengrab
Der bockige Heranwachsende im WeiĂen Haus â der die meisten Erwachsenen um sich herum mit wĂŒtenden Speichelleckern ersetzt hat und seinen Stabschef John Kelly zum SchoĂhund degradiert hat â ist nicht ausreichend ĂŒberwacht.
Vorher war er nur kleinlich und rachsĂŒchtig. Er twitterte böse Dinge ĂŒber Leute, die er demĂŒtigen wollte, wie der ehemalige San Francisco 49ers Quarterback Colin Kaepernick.
Jetzt ist seine Rachsucht grausam geworden. Nachdem der stellvertretende Direktor des FBI, Andrew McCabe, mit unbegrĂŒndeten Anschuldigungen beschimpft worden war, dass er die Ermittler belogen hatte, sorgte der neue Trump dafĂŒr, dass McCabe nur wenige Tage vor seiner Pensionierung entlassen wurde, nachdem er mehr als einundzwanzig Jahre Dienst geleistet hatte
. er war nur auslÀnderfeindlich. Er nannte Mexikaner Mörder und Vergewaltiger.
Jetzt ist seine Fremdenfeindlichkeit streitlustig geworden. Er schickt Tausende Soldaten der Nationalgarde an die mexikanische Grenze, obwohl illegale GrenzĂŒbergĂ€nge auf Rekordtiefstand sind.
Und er beginnt einen Handelskrieg gegen China.
China enteignet seit Jahren amerikanisches geistiges Eigentum. Aber Trump versucht nicht einmal, einen Ausweg aus diesem Stau zu finden oder eine Koalition von anderen Handelspartnern aufzubauen, um Druck auf China auszuĂŒben. Er erhöht nur den Ante â und fĂŒhrt nicht zufĂ€llig dazu, dass der Aktienmarkt verrĂŒckt wird.
Aber das gefÀhrlichste am neuen Trump sind seine verstÀrkten Angriffe auf die amerikanische Demokratie selbst.
Beginnen Sie mit einer freien Presse. Zuvor hatte er nur rhetorische Bomben auf die Washington Post, CNN und andere Stellen geworfen, die ihn kritisierten.
Jetzt versucht er, sie finanziell zu bestrafen, wÀhrend er GeschÀften, die ihn loben, Vorteile bringt.
Letzte Woche forderte er Amazon Die Gesellschaft, die von dem Mann geleitet wird, der die Washington Post besitzt, zahlt höhere PostgebĂŒhren und mehr Steuern, und dass die Post als Amazon-Lobbyist registriert werden sollte. Die Amazon-BestĂ€nde sind unter dem Angriff verwelkt.
Sie sind absurde VorwĂŒrfe. Amazon sammelt und zahlt staatliche Umsatzsteuern auf seine Produkte, und die Post verliert wegen des RĂŒckgangs erstklassiger Post und nicht von Paketlieferungen Geld.
Vermutlich kann Amazon fĂŒr sich selbst sorgen. Trumps Attacke war als Warnung fĂŒr andere Unternehmen mit Medienverbindungen gedacht, dass sie sich besser nicht mit ihm anlegen sollten
Trump versucht auch, CNN zu verletzen. Am Tag nachdem das Justizministerium den Kauf von Time-Warner, Elternteil von CNN, blockiert hatte, sagte er, der Deal sei nicht "gut fĂŒr das Land". Wenige haben die Verbindung verpasst.
Inzwischen lobt er Trump-Anbetung Sinclair Broadcasting signalisierte der FCC, dass Sinclair 3,9 Milliarden US-Dollar an TV-Stationen von Tribune Media kaufen soll.
Wir betreten eine neue und gefÀhrlichere Phase von Trumps "Teile und herrsche" -Strategie und teilen die Nation in Kriegslager (19659003) Sogar Trumps Tweets sind dreist spalterischer geworden. Letzte Woche nannte er seinen VorgÀnger "Cheatin 'Obama". Wann haben Sie das letzte Mal gehört, dass ein PrÀsident der Vereinigten Staaten einen anderen PrÀsidenten herabsetzt?
Er ist entschlossener als je zuvor, AnhĂ€nger davon zu ĂŒberzeugen, dass Sonderberater Robert Mueller mit Demokraten in einer Sackgasse steht und das FBI, um ihn abzuheben.
Dies könnte ihm etwas Schutz geben, wenn Trump beschlieĂt, Mueller zu feuern, oder wenn MĂŒllers Untersuchung Beweise dafĂŒr liefert, dass Trump mit Russland zusammengearbeitet hat, um die Wahl zu gewinnen, und der Kongress sich bewegt, ihn anzugreifen.
"Versuchen Sie, ihn anzuklagen, versuchen Sie es einfach", warnte Roger Stone, Trumps ehemaliger Wahlkampfberater, letzten Sommer. "Sie werden in diesem Land einen Krampf der Gewalt haben, einen Aufstand, wie Sie ihn noch nie gesehen haben."
Aber Trumps Strategie könnte genauso leicht ĂŒber Mueller hinausgehen. Was passiert, wenn ein rivalisierender Kandidat im Jahr 2020 mehr WahlmĂ€nner ansammelt, aber Trump ihn beschuldigt, betrogen zu haben, und sich weigert, zurĂŒckzutreten?
"Er ist jetzt PrĂ€sident auf Lebenszeit", sagte Trump kĂŒrzlich von Xi Jinping und fĂŒgte hinzu: "Vielleicht Ich werde das irgendwann mal versuchen. «Manche dachten, Trump hĂ€tte Witze gemacht. Ich bin mir nicht sicher.
Demokratien erfordern FĂŒhrer, die verstehen, dass ihre Hauptverantwortung darin besteht, die Institutionen zu schĂŒtzen, von denen die Demokratie abhĂ€ngt. Der neue Trump scheint darauf bedacht zu sein, seine Macht zu behalten, was auch immer nötig ist.
Demokratien erfordern auch genĂŒgend soziales Vertrauen, dass die BĂŒrger diejenigen, mit denen sie nicht einverstanden sind, als gleichrangig betrachten, also werden sie politische Ergebnisse akzeptieren, die sie nicht mögen. Der neue Trump zerstört dieses Vertrauen.
Trump untethered ist nicht nur eine kleinlichere, rachsĂŒchtige und kriegerische Version seines frĂŒheren Ichs. Er ist auch eher bereit, die amerikanische Demokratie fĂŒr seine Zwecke zu opfern. Das macht ihn gefĂ€hrlicher denn je.
Robert Reich ist der 22. US-amerikanische Arbeitsminister und Professor an der UniversitÀt von Kalifornien in Berkeley. Reichs Dokumentarfilm "Saving Capitalism" streamt auf Netflix. Sein neuestes Buch "Das Gemeinwohl" ist jetzt in Buchhandlungen erhÀltlich.
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Evangelische Kirche und die Ehe fĂŒr alle
Modernes PharisÀer*innentum
Die Traditionalisten wollen keinen Frieden geben: In der evangelischen Kirche wĂŒtet weiter der Kulturkampf um die EhefĂ€higkeit Gleichgeschlechtlicher.
Das Gesetz zur âEhe fĂŒr alleâ fand auch den ĂŒberwiegenden Beifall von protestantisch gesinnten Christen, aber nicht von allen. Besonders prominent formulierten eine Art Widersprach zwei evangelische SuperfunktionĂ€re: Petra Bahr, Landessuperintendentin fĂŒr den Sprengel Hannover, und Stephan Schaede, Leiter der Evangelischen Akademie Loccum (bei Hannover) in einem Beitrag fĂŒr Christ und Welt, einst als Zeitungsmedium selbstĂ€ndig, seit einiger Zeit der Wochenzeitung Die Zeit beiliegend.
Vorige Woche schrieben beide, innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft ausgewiesene Stimmen traditionalistischen VerstĂ€ndnis fĂŒr modernes Christentum nichtkatholischer Provenienz, unter dem Titel â Der heilige Standâ einen mahnend-kritisch gemeinten Text zur evangelischen Begei-sterung fĂŒr die âEhe der alleâ, die sie kritisieren, zugleich aber ist es ein Dokumenten wohlgesinnten Giftmischertums, ein ZettelkaÂŹsten voller Klischees und moralischer AnmaĂungen: âWarum die Kirchenleitung zur Abwechslung mal wieder an ihre Mitglieder denken sollteâ, heiĂt es in der Unterzeile ihres Appells, was bei Lichte besehen die Aussage in sich trĂ€gt, das Lob höchster WĂŒrdentrĂ€ger*innen in der Evangelischen Kirche Deutschlands sei ĂŒber die GefĂŒhle der evangelischen Christenheit in Deutschland hinweg gegangen worden. Diese âArgumenteâ entsprechen rhetorisch einer klassischen Redeweise von AfD-Politikern (und, von links, der Linkspartei): Von oben sei etwas gegen die sogenannte Basis bestimmt worden.
Davon abgesehen, dass beide Autor*innen die theologische GrĂŒbelei zur Frage, was Ehe eigentlich bedeutet, durchweg bevölkerungspolitisch beantworten â mit dem Hinweis, dass die (heterosexuelle) Ehe die Zeugung von Kindern in den Mittelpunkt zu stellen habe â, kritisiert ihr Statement, dass der Gesetzgeber im Bundestag das Ehereformprojekt âEhe fĂŒr alleâ viel zu eilig beschlossen habe. Man habe nicht debattieren können:
âWas viele Christinnen und Christen in den Gemeinden irritiert, ist nicht nur die Geschwindigkeit, in der die evangelischen Kirchen ihre Haltung zu Ehefragen in den letzten Jahren verĂ€ndert haben. Es ist die Konfrontation mit dem Umstand, dass es so etwas wie die NormativitĂ€t des Normalen nicht mehr zu geben hat. Wer vorsichtige Vorbehalte gegen eine grundlegende NeubeÂŹstimmung des Begriffs der Ehe Ă€uĂert, hat ein Problem.â
Unter Christ*innen gab es ausufernde Erörterungen
Das aber ist eine Verkennung der DiskursverhĂ€ltnisse in den evangelischen Landeskirchen, ja, in gewisser Hinsicht eine LĂŒge antilutherischÂŹsten Kalibers: Keine Frage wurde unter reformatorischen Sonnen so intensiv in den vergangenen 25 Jahren diskutiert wie die der WĂŒrdigung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und ihrer EhefĂ€higkeit.
Kein Sprengel, der nicht homosexuelle Paarschaften heftig und in der Tat alle mitnehmend und abholend debattiert hĂ€tte â durchaus nicht immer zur Zufriedenheit von schwulen oder lesbischen Mitgliedern der Kirchen. Die sĂ€chsische Landeskirche akzeptiert bis dato nicht fraglos das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Theolog*innen in PfarrhĂ€usern.
Aber zu behaupten, die höchsten FunktionstrĂ€ger*innen der EKD hĂ€tten sich Ende Juni in theologisch opportunistischer Art dem BundestagsbeschluĂ löblich angeschlossen, fĂŒhrt ins biblische Nirwana: Es wĂ€re wĂŒnschenswert gewesen, hĂ€tten andere gesellschaftliche Institutionen sich Ă€hnlich hitzig diesem Thema gewidmet â aber gerade unter Christ*innen hat es hierzu ausufernde Erörterungen gegeben. Sie fĂŒhrten nur nicht zu Resultaten, die Bahr und Schaede gefallen.
Schwule wĂŒrden die âEhe fĂŒr alleâ nicht wollen
Im Nachhinein zu wehklagen, ist billig â aber gefĂ€hrlich, ja homophob gesinnt wird ihr Text dadurch, dass er von der jahrhundertelangen Praxis christlich gesinnter Verfolgung Homosexueller absieht: Und darĂŒber können beide sehr wohl wissen. Sie behaupten, Schwule wĂŒrden die âEhe fĂŒr alleâ gar nicht wollen, weil sie gar nicht dem Leben jener Heterosexueller entsprechen wollen. Ja, sie verweisen darauf, selbst Homosexuelle nicht zu diskriminieren, sie im Freundeskreis zu wissen:
Denn ganzen Artikel und noch mehr Infos rund um das Thema Queer und Glauben, wenn Du dem Link folgst.
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HistĂłria e teoria de uma lei inconstante e polar
1.
Loslassen: In der zweiten Sitzung der Vorlesung in Recife will ich Vismann loslassen, voll loslassen auf bleiernd-trÀge Wissenschaften vom Recht, loslassen aber auch, wie man nach Hannah Arendt etwas sein lÀsst, nÀmlich ziehen lÀsst.
In der zweiten Sitzung am 13.11. will ich also die 3 Stunden nutzen, um den Blick von Vismann auch abwenden und auf Literaturen der Kulturtechnikforschung lenken zu können, die den widerstĂ€ndigen und insistierenden Kooperationen nach 2010 weiter nachgegangen sind. Navigationen ist auch der Name einer Zeitschrift fĂŒr Medien- und Kulturwissenschaften, die an der UniversitĂ€t Siegen herausgegeben wird. Siegen ist neben Berlin, Weimar und Basel das vierte Zentrum der deutschsprachigen Kulturtechnikforschung (also den Kreisen, die Vesting mit Weite, Dominanz und dem Namen Kittler verbindet). Erhard SchĂŒttpelz ist einer der Herausgeber, der sich auch intensiv mit juridischen Kulturtechniken befasst. einer der besten Kenner Cornelia Vismanns und Adolf Reinachs (dem Autor der PhĂ€nomenologie des bĂŒrgerlichen Rechts), nicht nur in der Szene der Kulturtechnikforschung.
Navigation 15 (2015) ist ein Heft ĂŒber Kooperation. Alle AufsĂ€tze sind dort hervorzuheben, besonders wohl Susan Leigh Stars Aufsatz ĂŒber die Struktur schlecht strukturierter Lösungen, ĂŒber Grenzobjekte und heterogenes, verteiltes Problemlösen; SchĂŒttpelz' Kommentar dazu, die Notiz zum Grenzobjekt, dann der von ihm und Sebastian GieĂmann geschrieben Text zu den Medien der Kooperation (auch zur einer anderen, nicht staatsrechtslehrenden Rezeption Vismanns). Dort liest man zu Infrastrukturen und dem, was Vesting inkrementelle Prozesse nennt, auch wenn er in seinem Aufsatz zur Kulturtechnikforschung die Forschungen und die Rezeptionen Vismanns gar nicht erwĂ€hnt, die dazu stattfinden, um fĂŒr den Leser ein verkĂŒrztes und einseitiges Bild der Kulturtechnikforschung zeichnen zu können. Sein Text zu Vismann, parteilich, ein, wie es jemand mal zu seinem Kommentar gesagt hat, ein Kommentar in eigener Sache, der Schlagseite hat, u.a., weil er sich auf Schlagworte stĂŒtzt.
2.
Ich glaube, dass Kooperationen, die widerstĂ€ndig und insistierend sind, VerhĂ€kelungen sind (ein Begriff, den Nietzsche zur ArchĂ€ologie der Wissenschaften vom Recht eingefĂŒhrt hat). Die Kooperationen haben Haken, etwa den, sich auf das einlassen zu mĂŒssen, was sich nicht dem ImaginĂ€ren fĂŒgt. Denkt man Kooperation nach wie vor in Bezug auf die drei elementaren ZĂŒge juridischer Kulturtechnik, also in Bezug zum Trennen, Assoziieren und zum Austauschmanöver, denn bietet es sich in Bezug auf die Literatur Baseler ArchĂ€ologen und ihrer Folgen (also Bachofen, Nietzsche, Warburg, Benjamin, Klossowski, Caillois) auch an, auf die Literatur von Jacques Ranciere zu achten, zum Beispiel auf den Text Si l'art rĂ©siste Ă quelque chose? den er zu Nietzsche und Deleuze vorgetragen hat. Frank Ruda und Jan Völker haben den Text ĂŒbersetzt: Ist Kunst widerstĂ€ndig?
Ich wĂŒrde den Begriff der Kunst hier nicht nur so lesen, wie er systemtheoretisch oder aber in Grundrechte als Institution oder in Helmut Ridders Text zur Freiheit der Kunst nach dem Grundgesetz und zu den Kollektiven gelesen wird, nicht nur so, wie er in Kommentaren zum Grundgesetz gelesen wird. Ich wĂŒrde ihn auch so lesen, wie er in Passagen der juridischer, juristische und rhetorischer Institutionen gelesen wird (Quintilian, Corpus Iuris Civilis), auch wie er bei Michel de Certeau gelesen wird. Dann ist Kunst auch Begriff und Technik, die maĂlos kontrahieren und distrahieren können, sich damit nicht in Vorstellungen der Ausdifferenzierungen fĂŒgen, sondern auf eine Weise wild pulsieren, wild denken (LĂ©vi-Strauss) oder wildern, die z.B. Aby Warburg erst die Diagnose schizoider Paranoia, spĂ€ter dann, korrigiert, einer schweren manisch-depressiven Phase, also einer aus den Fugen geratener Melancholie und BipolaritĂ€t eingebracht hat. Dass man das wieder fĂŒgen kann, das hat Warburg auch gezeigt, aber im Grunde genommen fĂŒgt sich da in erster Linie oder prinzipiell nichts. Messen lĂ€sst es sich, sgar wilder und archaischer, als es Gertrude Bing vielleicht vor ihrem Besuch der Feiern der LateranvertrĂ€ge im Petersdom unmöglich, danach aber auch möglich erschien (sie schreibt dazu im Tagebuch der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg ein Protokoll, das fĂŒr Tafel 78 und 79 maĂgeblich wird)
Kunst setzt was, nicht unbedingt Ohrfeigen oder andere SĂ€tze. Kunst ist insofern etwas mit 'nem Akkusativ, 'nem Genitiv oder 'nem Dativ, wie juridische Kulturtechnik. Sie ist aber eben auf die ambigue Weise eigen, die auf ebenso ambuige Weise fremd ist. Mit ihr stellt und verstellt sich was, mit juridischer Kulturtechnik kultiviert man was, kultiviert sich was, wenn auch wie auf dem Land, wo in einem Jahr die Kartoffeln verfaulen wĂ€hrend man nicht weiĂ, wohin mit den Ăpfeln. Mit Kunst und juridischer Kulturtechnik lĂ€sst sich eins prima operationalisieren: Waiting for Pommes.
3.
Damit der Widerstand verkehren und noch insistieren kann, man ihn dann wahrnehmen kann ist er in Spannungen zu entfalten, die man wiederum mit groĂen und kleinen Zahlen messen, schĂ€tzen und zĂ€hlen kann, auf-, nach- und vorlesen kann, schreiben kann.
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HistĂłria e teoria de uma lei inconstante e polar
1.
Sergio Buarque de Holanda, der Vater von Chico Buarque und des Dieter-Thomas Hecks der DDR Sergio GĂŒnther, also ein Vater sehr unterschiedlicher Welten, durch die jedoch 'das Selbe' geht, zeichnet das Bild einer brasilianischen Gesellschaft, die grast, genau gesagt abgrast.
Das beschreibt er als einen Teil der Raizes do Brasil, also eines einerseits reizenden, andererseits rasenden und sogar wĂŒtenden Brasiliens. Es ist möglich, dass er Recht hat. Er war eine zeitlang Teil der modernen anthropofagen Bewegung. Die Techniken dieser Bewegung sind vague und verzehrend. Sie können auch etwas mit rasen/ grasen/ ragen/ reizen/ wĂŒten/ rationalisieren sowie reiĂen zu tun haben.
Die Architekturen in Recife geben Indizien her, die Sergio Buarque de Holandas Beschreibung evident machen. Oft wachsen sie nicht in die Höhe, sie reiĂen in die Höhe und die Bewohner dieser Architekturen nutzen sie kurz, ziehen dann aber weiter und geben Bau den Pilzen preis. Die vielen Kachelarchitekturen sollen den am Stein zurĂŒckhalten, aber nicht die Leuten in ihrer UnbestĂ€ndigkeit aufhalten.
Apropos Evidenz: Man beschreibt Evidenz im RĂŒckgriff auf rhetorische Institutionen als ein Verfahren, etwas vor Augen zu stellen. Weil der Begriff der evidentia in den rhetorischen Institutionen aber mit den Begriffen energeia und enargeia assoziiert wird und weil ich Vismann- und Warburgkenner bin, wĂŒrde ich evidentia als ein Verfahren beschreiben, etwas vor Augen zu laden. Ich meine das im Sinne des ersten Satzes der Zwölf-Tafeln. Si in ius vocat Ito, das ist ein juridisches Verfahren, man macht etwas evident, um zu urteilen, zu richten, zu verwalten oder zu verfassen. Ich meine das aber auch im Warburgschen Sinne: vor Augen ist etwas geladen, das er PrĂ€gewerk oder geprĂ€gt nennt, dem etwas eingedrĂŒckt ist, damit ist es eindrĂŒcklich. Was vor Augen geladen ist, passt, ist passiert und ist passioniert. Es ist aufgeladen. Es wird vor Augen geladen, aufgeladen und abgeladen. Das Verfahren ist energetisch.
2.
Am Morgen habe ich ein festes Programm: von 3.50 an bis 4.40 beobachte ich von der Terrasse des Penthauses aus den spektakulĂ€ren Sonnenaufgang, machte Notizen, PlĂ€ne und erledige Mails, oft höre ich Lieder, auch um die Sprache zu lernen, vor allem aber um den Kalender und die Erinnern an bestimmte Danach gehe ich zu BĂ€ckerei am Eck, da gibt es Kaffee ohne Zucker, den gibt es auf den StraĂen nicht, da ist er immer stark gezuckert. Im Hotel gibt es auch Kaffee ohne Zucker, aber erst ab 7.00 Uhr. Ab 5.15 radele ich den Stadtplan ab, um Fotos und Filme zu machen. 7.15 gibt es FrĂŒhstĂŒck im Hotel, ab 8.00 werden Zettel geschrieben, die Vorlesung vorbereitet oder ich gehe ins Archiv. Wenn keine Vorlesung ist, die beginnt um 14.00 Uhr, dann ist um 14.00 Arbeitsschluss. Sooo heiĂ ist es momentan nicht, nur um 30 Grad, aber feucht wie immer: 85 Prozent. Dazu kommt, dass Sonnenstrahlen hier Laserbeams sind. Je kĂŒhler es ist, desto gefĂ€hrlicher: man merkt nicht, dass man gerade gegart wird. Ab 17.00, nach Sonnenuntergang, kann man auch wieder raus.
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Essers Tafeln
Essers Lehrbuch von 1949 ist eine Institution im Sinne juristischer Institutionen (Gaius), und im Sinne rhetorischer Institutionen (Quintilian). Das ist auch ein Objekt. Cornelia Vismann hat angeregt, solche Objekte auf ihre juridischen Kulturtechniken hin zu betrachten, also nicht einfach als gebene, institutionelle Macht zu begreifen, die vorliegt und darin einen Sinn bewahrt. LehrbĂŒcher sind Objekte, die mitgemacht werden mĂŒssen, mit denen man kooperieren muss, den sie tun es ja auch. Esser kooperiert hier etwa mit einer Tabelle, die man nach Ramus ramistisch nennt und u.a. auch Hobbes im Leviathan nutzt. Die Geschichte und Theorie juridischer Kulturtechniken fokussiert, wie mit diesen Objekten operiert und kooperiert wird, wie sie gemacht sind und wie sie etwas machen. Im Anhang des Buches gibt Josef Esser Rat fĂŒr die graphische Erarbeitung von Grundbegriffen. Er leitet zur Zeichnung von Diagrammen und Tabellen an. Auch darum behaupte ich, dass Bild- und Rechtswissenschaft eine Wissenschaft ist, wenn auch eine, die gehĂ€ndelt werden muss, weil alles in ihr umstritten ist.
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Juristen fabrizieren
Nicht jeder mĂŒsse verfahren oder verfĂŒhren, aber der Mensch des Hofes mĂŒsse das, mĂŒsse verfahren oder verfĂŒhren, das legt eine Ausgabe von Balthasar Gracians Institution des Höflichen, der Kur/ Kurien und Kuratorien (Courtoisie/ Politeness/ KĂŒr) nahe. Der Mensch des Hofes, L'Homme de Cour, den nennt diese Ăbersetzung auf einer Klapptafel einen Welt-Staats- und Hoffmann, bildlich zeigt die Tafel dazu auch einen Satyr und ein Frau. Der Mensch, l'homme, ist nicht nur Mann, er ist ein ausschlagendes Wesen, dessen Geschlecht geteilt ist und sogar die Schwelle des Menschen ĂŒber- oder unterschreitet.
Der Film fĂŒhrt vor, an welchen Objekten ich im Alltag forsche. Dieses Objekt ist Teil eines rhetorischen Ensembles, das heiĂt eines Ensembles aller derjenigen Medien, die Teil rhetorischer Institutionen und damit auch juridischer Kulturtechniken sind. Dieses Buch wird nicht nur gelesen, man schnĂŒrt es auf und zu, reist mit ihm herum, klappt eine Tafel auf und zu, schaut und redet vor der kleinen Tafel, die auch ein Argument bildet und zu kleinem GesprĂ€ch einlĂ€dt. Der Mensch des Hofes muss kein Regierender oder SouverĂ€n sein, Ich forsche, wie Vismann, nicht nur zu SouverĂ€nen. Wenn er regiert, kann das stoische Selbstregierung sein, seine SouverĂ€nitĂ€t kann metaphorisch und im ĂŒbertragenen Sinne gemeint sein. Der Hof kann sogar ein Bauernhof oder ein Bahnhof sein, eine Stelle an der ZĂŒge angehalten werden und abgefahren werden. Im Rahmen zweier kleinerer Projekte sitze ich an diesem Objekt: satyre schreiben/ saturiertes schreiben und im Rahmen des Projektes Juristen fabrizieren.
Satyre schreiben, sie verfahren auch. Satyre können als Juristen ausgebildet oder ausgebildete Juristen sein. Der Welt-Staats-Mann (gemeint sind auch Frauen und Satyre) kann ein privater, pendelnder, vagabundierender Kosmopolit sein, dann ist er nicht nur kosmopolitisch, sondern auch kosmopolar. Das Forschungsprojekt zu Warburgs Staatstafeln entfaltet im gröĂeren Zusammenhang zu Wesen, die solche Objekte nutzen, die Geschichte und Theorie unbestĂ€ndig-polaren Rechts.
Gracians Buch ist ein sogenannter Spiegel und ich betrachte ihn archĂ€ologisch auch als das Material, dem heutige Lehren zur Fabrikation der Juristen aufsitzen, zum Beispiel Thomas Vestings Buch ĂŒber den Gentleman, den Manager und den Homo Digitalis, der das Subjekt auch als Ideal und als Leitbild versteht.
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Recife
Jetzt ist es offiziell. Im Novermber 2024 werde ich fĂŒr vier Wochen nach Recife zurĂŒckkehren, unterrichten und vortragen, forschen, d.h. Material sammeln und protokollieren, Zettelkasten fĂŒttern.
Ausgehend von den Forschungen der Abteilung fĂŒr Rechtstheorie am Max-Planck-Institut bauen wir eine Foerschungsgruppe mit Projekten zu Ăbersetzungen der Rhetorik auf. Von Fragen des Transfers, also etwas der Rezeption und des Pendelns zwischen brasilianischer und deutscher Rechtswissenschaft bis in zu der Spannbreite in den Ăbersetzungen rhetorischer Institutionen reichen die Teilprojekte. Die Bilder oben stammen aus dem Trailer des neuen Films von Kleber Medoca Filha. Kann es kaum erwarten, wieder in Recife zu sein und im Licht chromatischer Aberration zu stehen. Kann die kurzen Schatten kaum erwarten. Die Musik rauscht schon, kann es kaum erwarten, ins Archiv und die Bibliothek zurĂŒckzukehren, um jedes Papier von und ĂŒber Tobias Barreto umzudrehen - mit dem ich mich besonders beschĂ€ftigen werde. Der wird eines der Grenzobjekte der Forschung im November. Vier Wochen Zeit, das will gut vorbereitet sein, denn die Zeit ist knapp.
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Paene omnia decent
Zum Geburtstag Kants fĂ€llt JĂŒrgen Kaube die Schlauheit und der Witz ein zu sagen, dass Kant heute diejenigen Philosophen, die sagen, was er heute zu anderen Dingen gesagt hĂ€tte, als GrillenfĂ€nger bezeichnet hĂ€tte. HĂ€tte-HĂ€tte-Sagenkette. Witzbold Ouroboros! Gibt GrillenfĂ€nger und GrillanfĂ€nger. GrillanfĂ€nger ist Kaube keiner.
Kaube testet die Theorie und Praxis der Rekursion aus, testet, was von ihr bleibt, wenn Rekursion wie im Ouro-Hamsterrad exerziert wird. Sie wird geschliffen. Das ist nicht immer angenehm, denn Praxis und Theorie der Rekursion ist an sich faszinierend und man sieht Faszinierendes ungern abrauschend, schwitzend und ratternd. Aber wie heiĂt es schon in den rhetorischen Institutionen zu den Ventilen, Membranen und DrĂŒsen rhetorischer Rekursion (also eines Redens mit Rede, Sprechens mit Sprache, Schreibens mit Schrift und Verkörperns mit Körpern, eines Wortemachens mit Worten und Bildens mit Bildern ): Paene omnia decent, am Ende geht alles durch, schlieĂlich mustert alles und lĂ€sst sich alles mustern. Das decorum stellt sich immer zuerst an und dann ein. Alles ist, wird und bleibt geschieden, geschichtet, gemessen und gemustert. Die Rekursion kristallisiert zwar hier und da aus, aber nur in zĂŒgigen Formen und meteorologischen Situationen, dann schmilzt sie wieder. Sie versteinert, aber nur meteorologisch, selbst versteinert schwimmt sie noch wie tektonische Platten, noch planetarisch fest kreist sie durch kreisenden Kosmos.
Letztens hat Kaube Thesen zur Kanzleikultur referiert, dass ich dachte: Wer so liest, braucht keinen Fernseher mehr. Die Thesen zur Kanzleikultur, die auf das gerĂŒchtsförmige Geistern der Zensur pochen, die vertrete ich auch - man muss nur genau lesen. Es gibt keine Schreiben ohne Kanzleikultur, es gibt im Schreiben kein off the record ohne zĂŒgige Linien, die diagrammtisch und diagraphisch operieren, weil sie kooperativ Unterlagen durchziehen (zum Beispiel sitzt die Tinte dem Papier auf und das Angepinnte, Gerissene, Geritzte oder Peinvolle (painting) der Tafel (tabula). Die Zensur war immer schon ein gerĂŒchtsförmig, das macht sie so effektiv, wie sie ist, nicht mehr und nicht weniger. Adrian Daub, auf den sich Kaube gestĂŒrzt hatte, als sei der Daub doof, glaubt nicht, dass es keine Cancel Cultur gĂ€be, sein Schreiben appelliert daran, sie plastisch und geanologisch zu entfalten, ĂŒber das sedimentĂ€re und aufrĂŒhrbare Geschichte, das Geschichte anhĂ€uft. Cancel Culture wird immer dann ausgerufen, wenn die ZugĂ€nger, die bisher methodisch den Korridoren folgten, plötzlich gegen die Wand laufen, weil der Korridor einen Knick oder einen Bogen, vielleicht nur eine Kurve leichte Kurve macht. Man ist nie der einzige, dem im Laufe seines lebens gesagt wurde, man könne tun, was man wolle, aber erst wenn man einen Lehrstuhl oder einen anderes, angeblich sicheres und trockendes PlĂ€tzchen sich gesichert hĂ€tte, vorher solle man bitte wenigstens so tun, als wĂŒrde man sich anpassen. Man ist nie der einzige, dem so etwas in einer Situation gesagt wurde, die fĂŒr alle Beteiligten an sich unertrĂ€glich peinlich ist, vor allem dann, wenn der Rat- bzw. Abratgeber hinterschiebt, er selbst fĂ€nde ja schlau und wichtig, was man machen wĂŒrde, aber die Kollegen und das Publikum seien doch doch so furchtbar doof und nur darum solle man sich doch solange zurĂŒckhalten, bis man seine SchĂ€fchen ins Trockene gebracht hĂ€tte. Jeder hat das schon mal gehört, viele haben es geglaubt. Daily Show. Wir mĂŒssen lernen, wie Kaube nicht GrillanfĂ€nger, sondern GrillenfĂ€nger zu werden, so kommt man durch Winter und diesig nieselnde Zeiten, in denen kein Ratgeber uns noch vor dem Nassmachen schĂŒtzen kann.
Kaube ist nicht doof, es ist seine Aufgabe, Schlauheiten im Namen einer Gesellschaft zu sagen, die hinter der FAZ steckt, und sich im Namen derer, die hinter der FAZ sich fĂŒr kluge Köpfe halten, auf Leute wie Daub zu stĂŒrzen, als ob die doof wĂ€ren. Das macht der Kaube gut, der ist nicht durch Zufall einer der wichtigsten Herausgeber der QualitĂ€tszusammenpresse. Ich kann ja auch nur soweit etwas zu Kaube was sagen, soweit ich weiĂ, wie man QualitĂ€t zusammenpresst.
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Die Verachtung
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Die Verachtung verhĂ€lt sich zur Achtung wie die Verfassung zur Fassung, allerdings mit detaillierten Unterschieden. Sie ist, wie die Verfassung, normativ, kooperativ und rekursiv. Wie Verfassungen Fassungen aufsitzen, nicht aufruhen, sitzt die Verachtung der Achtung auf, ruht ihr aber nicht auf, ist weder spiegelnd und ebenbildlich noch reflexiv. Was an ihr mimetisch ist, kreist elliptisch und presst dabei noch den Informationen das aus und das ab, was man Rauschen, noise oder Querelle nennt. Verachtung sitzt zum Beispiel in einer belle noiseuse, einer schönen Querulantin, wie Hannah Arendt, Brigit Bardot oder Jane Birkin sie mimen können. Ihre Referenzen hat die Verachtung in Details, die zwar kontrahieren und distrahieren, dabei aber keine bestĂ€ndige Adresse haben, nicht bestĂ€ndig adressieren, wie man das seit geraumer Zeit von Verfassungen sagt. Rhetorische, antike und römische Institutionen legen, unter anderem mit den leicht verwechselbaren Begriffen energeia und enargeia sowie dem Begriff decorum zwar nahe, dass alle Adressierungen polarisieren und alle Polarisierungen adressieren (Steinhauer, 2009), schon weil Rom nicht nur polis, sondern auch polus/polos ist, also Denkraum, um den sich alles dreht, an dem auch alles verdreht ist und verdreht wird. Und trotzdem hĂ€lt man Adressierung und Polarisierung lieber auseinander, wie man auch Verfassung und Verachtung lieber auseinander hĂ€lt. Die Verfassung liefert Angenehmes, etwas, was man gerne annimmt, vielleicht ein Behagen, an dem man sich einrichten mag, so dass ihre Polarisierung in den Adressierungen kaum wahrnehmbar ist. Der Verfassungsbegriff ist wie ein Kompliment, er schmeichelt. Die Leute sind lieber in schlechter als in keiner Verfassung. Bestimmte Normkomplexe nennt man gerne Verfassungen. Auf die Idee, sie Verachtungen zu nennen, kann man zwar kommen, schon weil Leute an Verfassungen auch Verachtung wahrnehmen. Und doch wĂŒrde sich dieser Begriff kaum fĂŒr Normatives durchsetzen, das ist unwahrscheinlich. Vielleicht ist die Verachtung ein Schatten der Verfassung und sie ein Licht der Verachtung.
Das VerhĂ€ltnis zum Behagen ist bei der Verachtung anders, die geht deutlich mit Unbehagen einher, in ihrer Polarisierung wird allerdings die Adressierung schwerer wahrnehmbar. Allerdings hat der Verachtung die Nouvelle Vague Bilder geliefert, die die schönsten und schmerzlichsten Sichtungen vom "Mittelmeerbecken" (Warburg) sind. In diesem Film gibt es Treppenszenen, die man nicht vergisst, schon weil sie am Casa Malaparte gefilmt wurden. Die Verachtung ist verschlingende Achtung. Fair ist sie im Sinne von Messen (Messungen und Musterungen), die nicht unbedingt stille GröĂe und edle Einfalt vorfĂŒhren, sondern auch polare Entfernungen wie die, in denen reigende Göttinnen und biegsame Götter auftauchen und deren LautstĂ€rke noch so poetisch ist, wie der Trubel auf den Messen der internationalen Autoindustrie.
Weder Verachtung noch Verfassung sind allgemeine Angelegenheiten, man sollte sie technisch und dogmatisch definieren, dabei auch mit dem artifiziell erscheinenden Wissen, dessen Abschirmung bewegte Bilder und eine Leinwand (ecran) ĂŒbernehmen.
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Rhetoric as Philosophy, followed by 'what is a/ what is the rhetoric being?'
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Die Rhetorik ist eine Technik, die auch Recht, auch das Wissen vom Recht ĂŒbertrĂ€gt und teilt. Sie reproduziert Recht. In den rhetorischen Institutionen, also den Texten, die erst als Codices und dann als BĂŒcher verbreitet wurden, findet man die Beschreibung einiger juridischer Kulturtechniken, man findet dort was zum Schreiben, zum Reden, zum GebĂ€rden oder Gestikulieren. Man findet dort Medientheorie vor der Medientheorie. Die Techniken sind juridisch, denn sie haben bei der Reproduktion des Rechts kooperiert und sind dadurch auch raffiniert geworden und haben das Recht raffiniert gemacht. Sie sind dem Recht nicht eigen, man kann sie fĂŒr ganz andere Sachen verwenden, werden mangels Eigentum, Exklusivhaltung. Ausdifferenzierung, Autonomie und Autopoiesis keine juristischen Methoden genannt. Mit dem Titel juristischer Methode werden sie nicht ausgewiesen. Sie können homogen, können heterogen, sie können wechselhaft vorgehen. Die Rhetorik ist mehr als eine juridische Kulturtechnik: viele kommen drin vor; sie ist institutionalisiert und das ĂŒber den 'Tod' oder ihr 'Ende' hinaus. Das liegt nicht nur daran, dass die Institution sich in kleinen Objekten erhĂ€lt, zum Beispiel in wenigen Exemplaren wie einer Abschrift, die auch gut mal in einer Bibliothek lange und lĂ€nger als viele Menschenleben stehen kann, ohne dass sie jemand liest. Sie kann verstauben und von Staub bedeckt werden, ist nicht auf reale PrĂ€senz angewiesen, operiert ohnehin im Symbolischen. Es liegt auch daran, dass sie das ist, was Dirk Baecker schon beim FrĂŒhstĂŒck (nur beim FrĂŒhstĂŒck?) eine robuste Institution nennt, gerade weil sie grĂŒndlich entfernt sein und dann wieder auftauchen und doch wieder verwendet kann. Ihre Robustheit verdankt sie wohl nicht zuletzt dem Umstand, dass sie losgelassen werden kann. Man kann sie von der Leine lassen, kann sie sogar vergessen. Man kann sie aus der Hand und dem Griff lassen und nicht begreifen kann man sie auch. Ohne BekĂŒmmerung und Sorge bleibt sie auch lĂ€ssig. Vielleicht ist Baeckers Formulierung eine Tautologie, vielleicht macht das (und nicht die Benennung von Codices und BĂŒchern) aus, was eine Institution ist. Auch dann ist Institution nicht dasjenige, was gegeben ist, sie ist das, was (er-)warten lĂ€sst. Sie lĂ€sst ZeitrĂ€ume mehr oder weniger qualifiziert durchhalten. Unlimiert ist auch sie nicht, unlimitiert lĂ€sst auch sie nichts durchhalten.
Die Rhetorik lebt nicht, nicht ganz. In ihr findet sich aber auch das, was Aby Warburg das Nachleben der Antike nennt und unter anderem als Geistergeschichte fĂŒr ganz Erwachsene beschreibt. Man findet dort also auch ein Wissen zur Polarforschung: zum Umgang mit der PolaritĂ€t und zum Umgang in Rom, einem Ort und einem Zeitraum, in dem Politik und Polizei doch eher mit polos/ polus, letztlich mit kosmopolitischen Wendungen und Windungen assoziiert werden sollte als mit der Garantie, einen Begriff der polis zu erhalten. Das betrifft nicht nur Politik und 'Polizei' (Polizei im Sinne eines Wahrnehmungsregimes wie es Censoren ausĂŒbten). Das betrifft auch das Recht, schon weil die Unterscheidung zwischen Recht und Politik sich mitwendet und mitwindet, wenn sie rhetorisch reproduziert wird.
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Die Rhetorik lebt nicht. Mit ihr kommt Nachleben vor. In den Tropen scheint sie dennoch lebendiger. Das liegt nicht nur daran, dass die Tropen mit der Bewegung und dem Bewegtbild operieren sollen. Das liegt auch ganz einfach daran, dass JoĂŁo MaurĂcio Adeodato in den Tropen, genauer gesagt in Recife, versucht, die Tradition der in Mainz (nur in Mainz?)!sogenannten Mainzer Schule weiterzufĂŒhren, wenn man so will: sie zu entmainzelmĂ€nnchinisieren oder (str.) zu entmainzelmannen. Das ist weniger als mutig und mehr als tapfer, darum haben wir ihn herzlich und neugierig eingeladen und freuen uns auf Montag.
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