Montag, 29. April bis Samstag, 4. Mai
Wenn man die Schwerkraft mal braucht!
Am Montag komme ich nach einer Pause an den Schreibtisch zurück und der Laptop ist aus. Der Akku ist leer, weil das Ladekabel nicht drin war. Als ich es einstecke. höre ich seltsame Britzelgeräusche und dann bald gar nichts mehr. Der Laptop geht nicht wieder an.
Etwa eine Stunde früher habe ich beim Teeeingießen auf meinen Monitor geschaut und den Tee statt in die Tasse auf die Schreibtischplatte gegossen. Dass das überhaupt passieren konnte, liegt nur daran, dass ich seit ein paar Tagen nicht mehr im Liegen auf einem Sitzsack arbeite, sondern an einem Tisch, weil ich durch die Liegehaltung Knieschmerzen bekommen habe. Am Schreibtisch ist meine Arbeitshaltung noch unergonomischer, aber durch die Abwechslung plane ich meine Körperteile gleichmäßiger abzunutzen.
Der Tee hat sich auf der Schreibtischplatte ausgebreitet und ist unter den Laptop geflossen. Aber doch nur unter den Laptop, denke ich, der Laptop steht auf kleinen Gummifüßen, wie soll der Tee gegen die Schwerkraft in sein Inneres geflossen sein. Sicher liegt es an was anderem.
Ich recherchiere, teste verschiedene Ladegeräte und lese nach, dass beim Einstecken des Ladegeräts eine LED leuchten soll. Wenn sie nicht leuchtet, ist wahrscheinlich das Mainboard kaputt. Bei mir leuchtet nichts.
Ich schraube den Laptop auf und gucke rein. Die Lüftungsschlitze sind auf der Unterseite, und um dort hinzusehen, müsste ich das Mainboard rausnehmen. Das ist mir zu kompliziert, außerdem kann sowieso kein Tee im Laptop sein, wegen der Schwerkraft.
Nach einer Anleitung führe ich einen Mainboard-Reset durch. Danach geht es immer noch nicht.
Nachdem ich noch mehr recherchiert und an Kabeln gewackelt und "aber es KANN kein Tee drin sein" gesagt habe, suche ich die Framework-Anleitung zum Ausbau des Mainboards. Es ist eigentlich nicht schwierig, man muss nur vorsichtig sechs Verbindungen lösen und fünf Schrauben rausdrehen. Dann kann ich die Unterseite des Mainboards betrachten, und, naja, es ist nass. Außerdem gibt es da eine verschmurgelt aussehende Stelle.
Ich trockne das Mainboard ab und schließe es direkt ans Ladegerät an, das geht nämlich beim Framework. Jetzt sollten eigentlich ein oder zwei LEDs leuchten. Es leuchtet aber nichts.
Ich mache mich auf die Suche nach einem neuen Mainboard. Das ist erfreulich einfach. Ich kann erst nicht glauben, wie einfach, und muss es mir anderswo bestätigen lassen: Man kann jedes beliebige Mainboard einbauen, das es im Framework-Shop gibt, alte, neue, sie passen alle. Es ist, als könnte man eine passende Hose einfach noch mal kaufen! Ich nehme das billigste Mainboard, das immer noch sehr teuer ist, aber dafür irgendwie besser als mein voriges zu sein verspricht.
Mein Plan ist, es einzubauen und zu schauen, ob dann alles wieder geht. Wenn das nicht der Fall ist, muss ich leider auf die hervorragende Reparierbarkeit des Laptops verzichten und einen ganz neuen kaufen, so blöd das ist. Denn nach so einem Gebritzel könnte ja sonstwas kaputt sein, keine Ahnung, wie ich das diagnostizieren soll. Außerdem ist man mit den Einzelteilen sehr schnell über dem Gesamt-Neupreis.
Von Dienstag bis Samstagmittag arbeite ich am guten alten Chromebook, das sich zum Glück gerade im gleichen Haushalt befindet wie ich. Alle ein, zwei Stunden sehe ich im Paket-Tracking nach, wo mein Mainboard gerade ist.
Am Dienstag um 8 Uhr morgens wird es in Amsterdam abgeholt.
Um 2 Uhr nachmittags ist es in Milton Keynes.
Am Mittwoch um 2 Uhr nachmittags ist es wieder in Amsterdam.
Ein paar Stunden später ist es zum zweiten Mal in Milton Keynes und wird importiert ("International shipment release").
Am Donnerstag um zwei Uhr morgens wird es in Milton Keynes noch mal importiert.
Am Freitag um acht Uhr morgens macht es sich auf den Weg von Milton Keynes nach "Unknown".
Am Freitag um 11 Uhr abends noch mal.
Und am Samstag um 8 Uhr morgens noch mal.
Am Samstagmittag finde ich es unangekündigt im Fahrradschuppen.
Ich baue es ein und setze vorsichtig alles wieder zusammen: Lautsprecherverbindung, Audioboard-Verbindung, Verbindung zum Monitor, Verbindung zur Webcam, Verbindung zum WLAN-Modul, RAM einbauen, SSD einbauen, Verbindung zum Akku, Kabel zur Tastatur, fertig. Das klingt mühsam, ist aber wie Lego, nur mit kleineren Teilen. Am Ende bleibt nur eine einzige Schraube übrig.
Dann schalte ich den Laptop ein, und alles geht wieder. Sogar meine 239 Firefox-Tabs sind noch da. Ich fühle mich wie Matt Damon am Anfang von "The Martian", nachdem er sich selbst die Antenne aus dem Bauch operiert hat, und bin sehr zufrieden mit den Reparierbarkeitsversprechen von Framework. Gut, die Lüftungsschlitze müssten nicht unbedingt auf der Unterseite sein, wo Tee hineinlaufen kann, aber Mia Culpa wendet ein: "Ich glaube, es ist egal, wo die Lüfterschlitze sind, es wird immer eine Freak-Accident-Variante geben, durch die Tee hineinläuft. Und wenn es keine Lüftschlitze gäbe, läuft Ketchup durch die Tastatur, irgendwas ist immer."
Das ist leider wahr. Ich nehme mir vor, in Zukunft beim Eingießen von Tee immer hinzuschauen.
(Kathrin Passig)
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