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Liste: Die 20 besten Alben 2022
Ihr könnt es euch denken: Irgendwo auf diesem Blog schlummert ein Kommentar zum Musikjahr 2022, vor allem aber zu persönlichen Entwicklungen im Hör- und Sammelverhalten und also überhaupt eine erneute Bestimmung dessen, was Brennen Muss die Liste! aktuell gerade ist und mit mir, aber - und hier schlösse sich der Kreis - eben auch der vorliegenden Liste zu tun hat, die zwar ab und zu ihre Form, nicht mehr aber ihre Verbindlichkeit geändert hat. Der Kommentar ist mittlerweile veraltet und soll daher ruhen; die Liste soll aber, wie es mittlerweile gute Sitte ist, ein Jahr später als gewohnt folgen.
Interessant scheint mir selbst mit Abstand, dass in einem Jahr, in dessen Nachgang ich wenig (des Nachholens Willen) nachgeholt habe, sondern eher auf der Liste landete, was ich eben so mochte, dass eben in diesem Jahr doch recht viele Konsenstitel auf eben dieser Liste landeten. Fragen lässt sich nun: Welcher Konsens eigentlich, fehlt da nicht auch viel, und gibt es da nicht auch viele Idiosynkrasien, und die Antwort lautet: Ja, klar, ja! All das gehörte zum Zugeständnis, Ende 2022 zu notieren, was ich so hörte und mochte, und im nächsten Jahr dann sporadisch darum zu ringen, was nun wirklich auf dieser Liste landen sollte - bzw. welchen Umfang sie haben sollte, auch, um überhaupt irgendwann geschrieben werden zu können, aber mindestens ebenso, weil der Fantano-artige Großkritiker-Größenwahn wenn nicht abgelegt, so doch zumindest mal wieder befragt werden kann.
Es gab diese Liste also mit 10, dann doch 25, kurz auch 15, und nun schließlich 20 Plätzen, während die einzelnen Titel munter von oben nach unten purzelten. Dabei deuten sich Tendenzen an, die - so viel kann man am 31. Dezember 2023 ja auch mal sagen - auch die nächste Liste prägen werden. Es wird also noch über den Spaß zu schreiben sein, Feinheiten in Spätwerken von Künstler*innen zu erkennen, mit denen ich nun langsam alt werde - und denen andere hoffentlich ebenso fassungslos gegenüberstehen wie ich früher irgendwelchen Pearl-Jam-Huldigungen im deutschsprachigen Rolling Stone. Es wird auch um die Freude gehen, in einem zerlaufenden Konsensen spazieren zu gehen und umso überraschendere Überschneidungen feststellen zu können. Einige davon habe ich nachfolgend neben eigenwilligen und teils hängengebliebenen Vorlieben notiert.
20. Placebo/Never Let Me Go
Es brauchte etwas Abstand, um das eher unwahrscheinliche (FU: Drummer jetzt endgültig weg, letztes Studioalbum 2013, größte Songs längst geschrieben, neue ewig nur diffus im Gespräch) achte Placebo-Album schätzen zu lernen. Aber gerade in seiner Schwerfälligkeit steht “Never Let Me Go” Brian Molko und Stefan Olsdal wirklich gut, vereint Electronica und Art Pop, bietet neben Paranoia und Melancholie auch schöne Momente (”Beautiful James” besitzt eine Klasse, die ich beim ersten Hören verkannt habe), ohne nochmal die Geschichte von der endlich glücklichen Band bemühen zu müssen. Placebo sind klar erkennbar, verlieren sich aber nicht in der Kopie, sondern finden neue Nuancen.
19. Tocotronic/Nie Wieder Krieg
Ganz leicht war es nicht mit mir und dem 13. Album der Gruppe Tocotronic: Die (unmittelbaren) Vorab-Singles wirkten zu 2/3 irgendwie behäbig-uninspiriert, das fast zwei Jahre zuvor erschienene “Hoffnung” war 2020 gute Geste, aber nun ja eher kein wirklich guter, albumwürdiger Song, und überhaupt wirkte die Band auch in den gelungenen Momenten - vom zwischen Frühphase und Udo Jürgens schwankenden “Ich hasse es hier” bis zum 80er-informierten “Crash” - etwas arg alterswerkig, zunehmend schrulliger, und einen ästhetischen Zusammenhang wollten die Songs auch nicht recht ergeben. Es brauchte Zeit, um auch den abschließenden, weltumarmenden Streicher- bzw. Akustikpop und den mit lockerer Hand ruckelnden Rock des ersten Viertels erst für sich zu begreifen und dann zusammen in Tradition eines Albums wie “Wie wir leben wollen” zu schätzen.
18. Messa/Close
In den vergangenen zehn Jahren kroch ich durch viele Versuche, den Rock der 70er nochmal aufleben zu lassen - mal eher Richtung Proto-Metal, mal ganz den Schweinegitarren verpflichtet, mal streng als Sound, mal eher als Pose. Manches war gut, aber weniges hatte die Kraft von “Close”. Messa spielen hier, als wäre ihre Musik eben keine Reminiszenz, sondern stünde ganz im Jetzt, ein Sound, der noch flexibel ist, sich streckt, dabei intensiviert, in die Dunkelheit steigt, sich verflicht und auch verglühen kann.
17. 070 Shake/You Can’t Kill Me
Seit nun doch geraumer Zeit steckt 070 Shake in einem Limbus. Niemand weiß recht, ob sie Hype ist, der verpuffte und nun unangenehm in der zweiten Reihe hängt, weil nichts mehr diesen Part in “Ghost Town” toppen konnte, oder umgekehrt eher eine Person, die die Leute fahrlässig übersehen, kurz: Ob sie ihren Zenit überschritten hat oder da noch was drin ist. “You Can’t Kill Me” ist nicht an Antworten auf diese Frage interessiert, verliert sich stattdessen abseits alles Hit-Drucks (der dann mit “Escapism” ja doch noch ein Ergebnis förderte) in einer Weite, die sich mit Murmeln und Croonen, Geklöppel und Synths und Trap anfühlt, als verlöre man sich mit sehr dichtem Kopf in einem Perlenvorhang. Tendenz gerade: Zu Unrecht übersehen, vielleicht aber in der zweiten Reihe gar nicht schlecht aufgehoben.
16. Grima/Frostbitten
Wieder Winter, wieder Prügel, dieses Mal aber ein bisschen leichtfüßiger und sogar mit Quetschkommoden-Intermezzo - vor allem aber nach wie vor der tollste, unödeste Kitsch-(Post-)Black-Metal, den es gerade gibt.
15. Beabadoobee/Beatopia
Was auf dem Debüt teils noch nett angedeutet war, dudelt Beabadoobee auf “Beatopia” zu vollends überzeugender 90er-Gitarrenpop-Grandezza, die sehr nach 2022 geklungen haben wird.
14. Cloakroom/Dissolution Wave
Im Heavy Shoegaze gibt es gerade nicht viel neues zu wissen - wie Cloakroom aber Stoner zu wolkigem Dudelrock puffen und auch in konturierten Momenten nicht aus ihrer wattierten Wohligkeit fallen, verpasste dem Genre zumindest eine neue Konsistenz: fluffig-rau.
13. Charlotte Adigéry & Bolis Pupul/Topical Dancer
Nicht alles war 2022 so leicht wie die Erfahrung mit “Topical Dancer”: Nach einem Telefonstreich- bzw. Wir-verstehen-uns-alle-nicht-mehr-inmitten-ständiger-Kommunikation-Intros zog diese gemeinsame Platte von Charlotte Adigéry und Bolis Pupul unmittelbar in einen Fluss aus (French) House und Funk, Pop ebenso verpflichtet wie postkolonialer Theorie. Vielleicht war es so ja mal mit dem coolen Wissen gedacht.
12. Sorry/Anywhere But Here
Wer hört, wie sich diese gerade coolste Band der Welt durch ihr zweites Album druckst, um sich am Ende resigniert mit dieser tieftraurigen Gitarrenfigur dem Loop zu fügen, und davon nicht tief berührt ist, hat für Indierock vermutlich gar nichts mehr übrig.
11. OG Keemo/Mann beißt Hund
Das Debüt konnte mich nicht ganz gewinnen, aber “Mann beißt Hund” ist ein Album, das es fast faktisch falsch wirken lässt, ungeschätzt zu bleiben. OG Keemo erzählt, und erzählt, und macht Ansagen, und die Beats rutschen und alles hat sowieso eine derartig strenge Lockerheit, wie man sie dann doch vielleicht am ehesten von (ja, ja, ich weiß, aber:) Kendrick Lamar kennt. Mit dem alles andere hier freilich nichts zu tun hat. Ein Instant-Klassiker - im Rap ist es irgendwie gerade noch möglich.
10. The Smile/A Light for Attracting Attention
Braucht noch wer Meinungen zu Radiohead-Seitenprojekten? Gerade im Fall von The Smile sind sich ja viele einig, dass wie Tom Skinner die beiden Radiohead-Köpfe Yorke und Greenwood (Jonny) nach vorne kickt, mitten rein in jenen vertrackten Extended Art-Rock, nervös und melancholisch und bisweilen auch beschwingt, vor allem aber verspielt und meist irgendwie doch eingängig, in jenen Sound also, den man von der großen Band aus den 00er Jahren kennt, den sie gerade aber nicht spielen können oder wollen, dass jedenfalls dieser Sound nun in dieser kleineren, leicht modifizierten Mischung möglich ist, schlicht als schön zu bezeichnen ist. Und ja - das finde ich halt auch.
9. Rosalía/Motomami
Wenn sich die Menschen an 2022 erinnern, werden sie (hoffentlich) an dieses Album denken. Wie sich hier Energie alle zwei Minuten in andere Richtungen (mal eher Folklore, mal eher direkt auf die Nerven hauender Art-Pop) Bahn bricht, ist umso bemerkenswerter, weil Rosalía ein Star ist. Manches tat weh, aber alles war schön.
8. Viagra Boys/Cave World
Mit “Cave World” wurden die Viagra Boys zu den besseren, dreckigeren Gorillaz. Okay, vielleicht nicht 1-zu-1, aber: der wilde Stilmix, die Melodien, die bisweilen gern auch plakative Kritik an der Gegenwart (hat die Debatte dazu eigentlich Pitchfork angestoßen?), und überhaupt Sebastian Murphy in der Mitte all dessen konnten bisweilen auf eine Art an Damon Albarn erinnern. Bei aller Diskussion (Sound nun verwässert, Kritik zu kurz gedacht) eröffnete mir “Cave World” diese Band - vielleicht auch das ein Grund für meine ungetrübte Wertschätzung.
7. Foxtails/Fawn
Wieder so eine krude Geschichte um diese Band, die dann aber medial so wenig durchgekaut wurde, dass ich am Ende nix davon verstand. Also abseits davon: Starkes, verzweifeltes, rasendes Album, das eine bestimmte Sensibilität (Nerven liegen blank in all ihrer Plastizität Geschrei + eher feinfühlige, geigige Musik dazu) gut kitzelte. Hoffentlich kommt da noch was?
6. Björk/Fossora
“Fossora” ist krumm, es gibt wirre Melodien, ein Öko-Konzept und mäandernde Songs, wie sie gerade für jüngere Björk-Releases typisch sind. Aber es gibt da eben auch diesen hämmernden Troll-Gabba, diese vielen Stimmen, die zuletzt liebgewonnenen Flöten und in den richtigen Momenten eine Aufgeräumtheit, die Björk auf ihrem (ca.) zehnten Album hervorragend steht!
5. Backxwash/His Happiness Shall Come First Even Though We Are Suffering
Von einer Trilogie lohnt es angesichts der drei jüngsten Backxwash-Alben allein zu sprechen, weil sich an ihnen so hervorragend beobachten lässt, wie die Rapperin eine Sprache entwickelt, ein Thema bearbeitet: Vom rauen, Sample-lastigen “God Has Nothing to Do with This Leave Him Out of It” über das in die Breite gehende, feiner ausgearbeitete, dabei aber ein wenig an Wucht verlierende “I Lie Here Buried With My Rings And My Dresses” bis zu “His Happiness Shall Come First Even Though We Are Suffering”, das dem Vorgänger ähnlich auf eigenen Beinen steht, dabei aber keine Dringlichkeit vermissen lässt, sondern nochmal allen Furor aufs Parkett bringt, mit Samples atmosphärische Dichte erzeugt - und Backxwash vor allem als ikonische Stimme festigt. Letzteres haben die Gastauftritte des Jahres 2023 bestätigt - gespannt darf man nun sein, was von diesem Punkt aus möglich ist.
4. Black Country, New Road/Ants From Up There
Man musste nicht mal diese Liste ein Jahr verschleppen: Schon bei Release gab es die Band, die wir auf “Ants From Up There” hören, nicht mehr. Nun können wir schöne Mythen schmieden, dass sie mit ihrer vielleicht noch etwas variableren, dabei stärker songorientierten und aufgeräumteren zweiten Platte diesen einen Stil eben schon perfektioniert hatten - wir können auch spekulieren, was hier noch möglich gewesen wäre, können uns aber auch einfach in dieses ungestüme Stück Barock-Pop fallen lassen, so perfekt fiebrig zwischen Indie-Pomp und tanzbaren Bläsern und japsendem Storytelling und großer, exaltierter Geste wedelnd, mit einem einzigartigen Geschmack, der nicht vergehen wird und so wirkt, als habe es diese Band schon immer gegeben, als habe sie in der Pop-Geschichte Wurzeln geschlagen.
3. Fleshwater/We're Not Here to Be Loved
Vom Cover (Ente) bis zum Cover (Björk) agieren Fleshwater im Zeichen der 90er, enden dabei aber dankenswerterweise nicht als tumber Tribute oder im Zitat eingeengt. “We’re Not Here To Be Loved” spielt Post-Hardcore, Nu-Gaze und sonstigen Alternative-Krempel so durchdrungen, wie es eben in jener Zeit möglich war, als die Stile noch flüssig waren, überhaupt erst geprägt wurden. Dass Kurt Ballou das Ganze zwar im Keller verortet, aber doch luftig und sauber klingen lässt, auch wenn es wetzt und haut, hilft auch, um die Platte zu einer der unauffällig-schönsten des Jahres werden zu lassen.
2. Beyoncé/Renaissance
Ich hatte nie einen Vertrag mit Beyoncé. Ich kannte die Hits und schätzte eben diese irgendwann so, wie man eben Hits von Pop-Stars schätzt, ohne diese gleich auch schätzen zu müssen. Beyoncé war über diesen Status freilich spätestens mit “Beyoncé” hinaus - nun war sie Kunstwerk, das ich irgendwie nicht fühlte, vielleicht auch ganz konkret, weil mir der technische Zugang fehlte. Die Geschichte wiederholte sich mit “Lemonade”, ich hatte mich also eigentlich recht gemütlich in meiner Meinung eingerichtet, als mich die nicht direkt hittige, eher treibende Single “Break My Soul” traf. Deren etwas arg lose Enden deuteten bereits auf die Struktur von “Renaissance”, das mit Disco und House, angepassten Zeilen und angeeigneten Zitaten, dutzenden Gästen und einem klaren Zentrum nicht nur zu beeindruckender Dramaturgie, sondern vor allem Energie findet. Wie bei Beyoncé zu erwarten, saß jeder Schweißtropfen perfekt - immerhin schwitzte aber wer bei dieser fraglos harten Arbeit.
1. Big Thief/Dragon New Warm Mountain I Believe in You
Keine Ahnung, wie man auf dieses Album in Jahren blicken wird. Es ist das Album nach dem heroischen Moment, und es bordet über, im Titel, vor allem aber auf der Tracklist. Big Thief variieren auf 20 Songs ihr Repertoire, stolpern durch Krach und Zärtlichkeit, behäbig, klappernd, vereinzelnd auch rockend, kurz: Das Quartett entfaltet sich in einer unsortierten Sammlung von unvorhersehbarem Rhythmus. Vielleicht erscheint “Dragon New Warm Mountain I Believe In You” in der Zukunft als Dekadenzwerk einer fraglos talentierten, hier nun aber orientierungslosen Band. 2022 war es die schönste Musik, die ich mir vorstellen konnte.
#big thief#album#2022#liste#konserviertemusik#beyonce#fleshwater#black country new road#backxwash#björk#foxtails#viagra boys#the smile#og keemo#sorry#die nerven#beebadoobee#grima#070 shake#messa#cloakroom#charlotte adigéry#boris pupul#tocotronic#rosalia#placebo
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Liste: Die 25 besten Alben 2021
Große Beobachtungen gilt es erstmal abzulehnen, das ist klar. Dieses endlose Gelaber vor zehn Jahren z.B. von all jenen, die nun nur noch EPs rausbringen wollten und es dann doch nicht taten, oder aber die Rede von Playlisten und Zwei-Minuten-Tracks und Optimierung und Soundcloud und Produktion in höchster Geschwindigkeit vor eher fünf Jahren, von Abfall und Intensität, das war immer auch ein wenig unaushaltbar, der lässige Gestus all jener, die schon wissen, dass es nun zu Ende geht mit der Kunst und dann vermutlich auch der Kultur und früher oder später auch naja, und sich nun erstmal zurücklehnen und auf dem Kanon ausruhen, wohlwissend, dass die beste Zeit vorbei ist, oder eben der eher aufgekratzte Duktus jener, die sich in schier endloser Innovationskraft wähnen und immer schon im nächsten Trend hängen. Wie gesagt: All das wäre in seiner selbstberauschten Prophetie schon furchtbar genug, doch die Prognosen scheinen, ob nun selbsterfüllend oder einfach nur geduldet, mit der Zeit irgendwie doch wahr zu werden.
Und da sind wir nun beim Format Album in den 20er Jahren - Spotify hat sich in unsere Leben gesaugt, ich habe Playlists aus dem großen Archiv schätzen gelernt, werfe gerne auch mal einen Blick darauf, welche Songs auf welchen Alben am meisten gespielt werden, was mir u.a. verrät, dass viele von euch doch unterwegs aussteigen, und ich kenne ja auch diese Gefühle, irgendwann dann doch skippen oder - ganz anders - eben doch die ewig gleichen Songs in Endlosschleife setzen zu wollen. Es gab Momente in 2021, ein Jahr, in dem ich recht viel aktuelle Musik gehört habe, in denen habe ich mich gefragt, ob das Album nicht doch auch eher ein überkommenes Habitus-Ding ist, das man nun mit genügend anderen Optionen im Nacken fallen lassen oder zumindest auf wenige Ausnahmen beschränken kann. Wir werden eben alle nicht jünger.
Denn klar kann man das Album fallen lassen - es war aber schon immer neben der Single, dem Set, der Sendestrecke usw. einfach eine Art, Musik zu hören, und sie bleibt in einem Feld sich ausdifferenzierender Plattformen und Medien für Musik ein Format, das in seinen dramaturgischen Möglichkeiten, als narratives Gravitationszentrum oder schlicht wirr interagierende Songsammlung unerreicht bleibt. Es gäbe also auch ganz andere Listen zu schreiben (okay, eine alte Erkenntnis, um die diesen Blog überhaupt nur am Laufen hält) - am Ende gab es aber auch 2021 doch wieder 25 Alben, die diese Liste ermöglicht haben. Größere Betrachtungen über das Einkreisen und Ablehnen des eigenen Kulturpessimismus hinaus braucht es nicht; folgend stattdessen 25 kleinere Einlassungen.
25. Mastodon/Hushed & Grim
Zwischenstand: Das (nun auch nicht mehr ganz so neue) neue Mastodon-Album wächst, muss dazu aber in kleine Portionen zerschnitten werden. Denn machen wir uns nichts vor: Wo etwa "Crack The Skye" mit variierenden Songlängen gewieft Dynamik erzeugte, da ist "Hushed And Grim" ein grauer Dunst aus Fünfminütern, die sich auf den ersten Durchgang größtenteils ähneln - hier mal ein wenig nicht-genuin Rockiges, da mal ein wenig Sludge, vor allem aber viel getragenes Midtempo; Kompositionen zwischen Harmoniegesang und brechenden Riffs. Hervorstechende Melodien helfen, die Hoffnung nicht zu verlieren, ebenso wie die großwerkige Anmutung, die sich Mastodon hier mal wieder zumuten und mit der Pralinenschachtel-Struktur von "The Hunter" oder "'Once More Round The Sun" verbinden. Eigentlich halt ein geil übermütiges, überbordendes Album, wie es sich Rockbands aus altem Holz eben in dieser Karrierephase auch gegönnt hätten - und das also Menschen mit einer gewissen Wehmut, auch dank bittersü��-triumphaler Momente wie "Gigantium" oder "Had It All", mitten ins Herz treffen dürfte. Und wenn es dort erstmal sitzt, darf es auch weiterwachsen.
24. Squid/Bright Green Field
Squid kommen über Referenzen, legen sich zwischen tanzbar und anstrengend, liefern Post-Punk-Beats und nerven mit endlosen Vorträgen, halten mit Funk bei der Stange, bis sich alles in auch wieder ebenso kopfzerfetzende wie kathartische Exzesse steigert, überkandidelt, zermürbend - und gerade darin ein wohliger Tritt in allzu viel 80er-Nostalgie.
23. Clairo/Sling
Ein Hauch von Nullerjahre-Weirdo-Indie weht durch diesen Hauch von Folk-Pop, der sich dann doch oft zusammenzieht, verdichtet, eine Fläche bildet, auf der wir träumen, beobachten, dösen dürfen. Wo die einen Hype unken, öffnet mir Clairos zweites Album Türen zu seltsamen Parallelwelten, in denen Adam Green nie in die Belanglosigkeit verdammt wurde und Bedroom-Pop nicht fad klingen muss.
22. The Armed/Ultrapop
Pose und Sound sind wichtiger als Songwriting ist weniger wichtig als ein Album wie ein orangener Strudel voll scharf-stumpfer Wellenschnitt-Kanten - besser gingen Pop und Hardcore in diesem Jahr - okay, vermutlich nur einmal zusammen. Aber immerhin, und sowieso: Weniger denken, mehr zucken.
21. Portrayal Of Guilt/Christfucker
Irgendwo, wo die Genres schon nach Schmutz und Dunkelheit benannt sind und man Namen riechen kann, gibt es einen Platz für Platten wie "Christfucker", auf denen Leute Rock als Konzept einfach in die Ecke rotzen und schauen, was so drauf kleben bleibt. Auch hier kann man von Black Metal und Crust und Grind plappern, oder sich einfach genügsam in den Siff fallen lassen.
20. Wristmeetrazor/Replica Of A Strange Love
Andernorts sind Metal und Hardcore sauber poliert in ihrem jeweiligen Elend, denn: dissonant ist ja, was Wristmeetrazor da vollführen. Sachen überschlagen sich, es wird hektisch auf die Gitarre gekloppt, Töne schrillen und Stimmen schreien wie zu besten Screamo Zeiten. Nur hässlich muss es daher ja noch lange nicht sein, wenn man stattdessen auch mit "Last Tango In Paris" ein unwahrscheinliches Bullet-For-My-Valentine-Revival beschwören darf, während hinten Deftones-Ambient und schwermütiger Posthardcore über alles wachen. Wie die Leute das nicht lieben konnten, bleibt mir ein Rätsel.
19. Backxwash/I Lie Here Buried With My Rings And My Dresses
Nicht nachgeprüfter und nun auch nicht allzu erstaunlicher Fun Fact: Noch niemandem gelang es, zweimal hintereinander den Titel "Album des Jahres" auf Brennen Muss Die Liste! zu ergattern - vielleicht sowieso eher eine Gefühlssache, weil der Nachfolger ja nie so toll sein kann wie diese eine Platte, ihr kennt das ja. Gerade bei "I Lie Here Buried With My Rings And My Dresses" lässt sich etwa nicht vernünftig davon sprechen, das Album sei schlechter als das rund ein Jahr zuvor veröffentlichte "God Has Nothing To Do With This Leave Him Out Of It" - ein rauer, 20-minütiger Ritt, teils sehr großzügig gesamplet, aber mit einer 2020 unerreichten Energie. Die hat Backxwash 2021 noch immer, geht aber stärker in die Breite, kooperiert viel, variiert Sounds und macht damit alles richtig, auch wenn es eben nicht nochmal Sommer 2020 ist und mir dieser gruselige Sound ins Mark fahren kann, weil: Da war er ja schon. Mit dem Wissen von 2022 kann man in jedem Fall versöhnlich sagen: Wichtiger, packender Schritt in der Sound-Entwicklung.
18. The Notwist/Vertigo Days
The Notwist sind: Indie-Nationalheiligtum, Tüftler, deren Musik sich scheinbar nur quer zu aktuellen Sounds schätzen lässt (dort dann aber richtig), vielleicht auch einfach überschätzter Whitest-Boy-Alive-Quatsch, jedenfalls irgendwie hörbar eine Indieband des 20. Jahrhunderts. "Vertigo Days" ist: frei von Singles, also eher spröde, aber in einem wahnwitzigen Fluss, voller Gäste, immer irgendwie anders, also eher sprudelnd, vielleicht auch ein bisschen egal, jedenfalls ein unverschämt frisches Album von alten Typen, die auch einfach Neon-Golden-Anniversary-Shows spielen könnten und gut wäre.
17. Grima/Rotten Garden
Manche Platten hört man immer wieder, weil man nur darauf wartet, sie endlich nicht mehr gut zu finden. Manche hört man auch in ständiger Angst, dass sich dieser Eindruck einstellt. In welche Kategorie Grima passen, kann ich nicht ganz sagen, aber ihr überzogen-kaskadierender Black Metal ist mir so mit Schuhu und Georgel ins Herz gefahren, dass ich es gar nicht glauben konnte. Und je häufiger ich nachgehört habe, um sicherzugehen, dass ich mich nur getäuscht habe, umso hilfloser habe ich mich in diesem kristallinen Wunderland verloren.
16. Tyler, The Creator/Call Me If You Get Lost
Es gab da ja diesen Bruch bei Tyler, The Creator, so ca. zwischen "Cherry Bomb" und "Scum Fuck Flower Boy", in der Wahrnehmung und zwar nicht im Sound, aber darin, wie der Sound so geglückt ist. Und dieser Bruch hat dazu geführt, dass ich erst zeitverzögert gemerkt habe, wie sehr ich auf den stumpfen, rauen, frühen OF-Sachen hängengeblieben bin (nämlich sehr). Auf dem Papier habe ich mich über Soul und Pharrell-Williams-Werdung gefreut, gegriffen habe ich im Zweifel aber doch zu "Goblin". Auch "Call Me If You Get Lost" ist wieder verschachtelt wie zuletzt, mit viel zu vielen Tracks und Spielereien, und die 'Rückkehr zum Rap' ist ja auch viel eher ein neuer Stil, den Tyler sich da überwirft, aber immerhin: ein neuer Stil! Gute Gelegenheit, es nochmal zu versuchen. Und ja, doch, diese Beats, die mal wieder keine Hits tragen, irgendwie krude produziert, ineinanderkrachend, so dass die Gefahr besteht, dass am Ende alles einfach durchrauscht, aber hat man es mal in eine der kleinen Soundkammern geschafft, geht man irgendwie doch begeistert von einer zur nächsten, und hey, da sind herrlich gegrummelte Zeilen und oha, ein gespenstisch-gutes Lil-Wayne-Feature gibt auch noch - das hat mich eingekauft. Als Spektakel, als Bruch, als Platte.
15. dltzk/Frailty
Wer 2021 nicht mit halb geschlossenen Augen zu "Frailty" auf einen Bildschirm gestarrt oder mit sich bahnbrechender Nervosität mindestens einmal "52 blue mondays" von der EP zu Beginn des Jahres weggeklickt hat, wer sich nicht von der durchgerechneten Pop-Punk-Pastiche ergreifen oder der heruntergerechneten Melancholie von "Goldfish" ergreifen ließ, hat 2021 nicht gelebt. (Danke übrigens an Pitchfork für das Zementieren des Starstatus mitsamt Digicore-Mythenbildung!)
14. Spiritbox/Eternal Blue
Metalcore, vor allem jener, der sich unangenehm-muskulös an eingängigen Melodien versucht, ist eigentlich auch immer abzulehnen: Nicht aus grundsätzlichen Gründen, sondern eher aus Erfahrung, was dann wiederum fraglich macht, wie grundsätzlich diese Ablehnung sein kann, und wer so zweifelt, kann sich zwischen all der verkrusteten Enttäuschung vielleicht doch noch für "Eternal Blue" begeistern; muss es vielleicht sogar. Spiritbox gelingt auf ihrem Debüt Unverhofftes: Nicht trotz, sondern wegen der Melodien zu gelingen, nebenbei auch noch Electronica in den Sound zu mischen und halt Hits wie "Circle With Me" zu schreiben, ohne den Fluss des Albums zu zerhacken. Bester Mainstream Metal 2021 (und vermutlich drüber hinaus).
13. Mach-Hommy/Pray For Haiti
Ich glaube, souverän gerappter, gut getexteter Boom-Bap-Throwback-Grissel-Schepper-Hip-Hop ist vielleicht die Musik, über die ich am wenigsten gerne Texte wie diesen hier schreibe, in denen man einfach nochmal erklärt, warum das alles so gut ist. Daher: "Pray For Haiti" ist gut, sehr gut sogar. (Beim nächsten Eintrag dieser Art werde ich statt einer Lobhudelei einfach eingangs skizziertem Eindruck nachgehen, nur, damit ihr Bescheid wisst und euch nicht wundert!)
12. Floating Points, Pharoah Sanders & the London Symphony Orchestra/Promises
Was war “Promises” eigentlich - Suite, Album, Schwirren im Jazz? So ganz wusste man es nicht, für Banausen wie uns reichte ja aber eigentlich sowieso das irritierte, leicht überreizte Abdriften, das dieses Treffen ins uns auslöste. Vielleicht also eher ein Ereignis.
11. Lantlôs/Wildhund
Ein bisschen fühlt es sich an, als wäre es der gleiche Song immer wieder, aber verdammt: Die klebrigen, wimmelnden Flächen, die Markus Siegenhort auf diesem Album erkundet, immer wieder in faszinierender, nur schwer zu fassender Eigenheit, sind eine der herrlichen 2021er Gelegenheiten, Blackgaze gemütlich ausklingen zu lassen.
10. Olivia Rodrigo/Sour
Es war Nacht, ich sah einen Post zu dieser sehr erfolgreichen Single, "Driver's Licence", und es war einer dieser Momente, wo ich einen Song allein der Beschreibung nach mögen wollte, nur geklappt hat es nicht. Irgendwie doch zu seicht, schwebte so vorbei, ohne, dass etwas kickte. Aber die Ästhetik des Videos hatte mich - sauber durchkonzipiert, relatable, aber kunstfertig, ein ausgebuffter Kompromiss, der voll aufging. Und da ist dann eben noch dieser Moment gegen Ende, wo der Song entgleitet und Rodrigo in einer Lorde-Swift-Anwandlung im Falsett nach unten purzelt, und da hätte ich schon wissen können: Da ist noch mehr. Nämlich das klimpernde “Deja Vu”, die verschränkten Arme von “Good 4 You”, die stampfende Meta-Overtüre “Brutal”, und da sind wir noch gar nicht richtig in das Album getaucht, wo wir zu “Traitor” schwofen, zu “Jealousy, Jealousy” mit Messerattrappen klappern und zu “Happier” seufzen durften. Klar, "Sour" ist ein Remix, hat den Pop zwischen 2006 und 2013 sehr gut studiert, Paramore-Pop-Punk ebenso geschliffen wie den fühlig-minimalistischen Pop jüngerer Zeit inhaliert, ist jeder Zeit bereit zur großen Geste, die ja auch "Driver's Licence" bemüht - und von der ich mich irgendwann, nach endlosen Durchläufen, auch endlich ergreifen lassen durfte.
9. Hus KingPin/Portishus
Wer nie verstand, wie das Hop in den Triphop kommt, darf es durchaus als Lektion in Pop-Geschichte betrachten, wenn Hus KingPin die Klangästhetik der beiden ersten, zittrigen, gespenstischen Film-Noir-Platten Portisheads nimmt, sich teils auch gleicher Samples bedient und daraus wundervoll zwielichtigen Koksrap baut. Liest sich im Blog nach Gimmick, klingt aber wirklich fantastisch, gerade, wenn man Portishead schätzt - “Portishus” besteht aber auch frei von Fan-Fiction.
8. Billie Eilish/Happier Than Ever
Billie Eilish ist ein Pop-Star klassischen Zuschnitts, irgendwie: Jugendbewegung, die überschwappt, Hits, die man sich erst vorsichtig zuraunt und die dann aus jeder Anlage plärren, unnachahmliche Bilder, die etwas auf den Punkt bringen, eine Person irgendwo zwischen Enigma und Freundin. Was Billie Eilish nun eingespielt hat: Ein Pop-Album von nicht zwingend klassischem Zuschnitt, aber mit klassischer Grandezza. Erst etwas zu leise, aber dann eine croonende, sich vorsichtig ausstreckende und manchmal dann doch hart schiebende Post-Breakout-Platte, wie wir Mäuschen sie uns wünschen durften.
7. The Ruins Of Beverast/The Thule Grimoires
Unter den schwarzen Oberflächen krabbelt und kribbelt es, darüber weht und haucht es mystisch, alles fließt, Jazz-Drums, hohles Grölen, Melodien unweit des Pathos, und ab und zu knüppelt mal wer drauf. Das ist anstrengend und entspannend zu etwa gleichen Teilen, vor allem aber herrlich verschrobenes, ausbalanciertes, ausgedehntes Post-Black-Elegien-Theater.
6. Maeckes/Pool
Irgendwie hatte ich mich von Maeckes langsam verabschiedet. Alles musste zu groß sein, irgendwie dabei dann aber doch auch auf Chart-Kompatibilität angepasst, und wo früher hervorragende Spannung entstand zwischen großer Idee und Dilettantismus, da war plötzlich eher so ein okayer Brei. Umso erstaunlicher nun “Pool”: Fokussiert auf knapp über 30 Minuten, mit den üblichen Maeckes-Verschiebungen in den Lyrics, mit Punches, in die die Musik eingebunden ist ("Wie es die Maschinen tun” muss freilich größtenteils auf einer Akustikgitarre funktionieren, plus Streichern fürs Pathos und Autotune für den Posthumanismus), mit Anleihen an aktuelle Sounds ("Emilia"?), mit großen Pop-Gesten und wirren Samples - aber immer so, dass es irritieren und doch in Bann schlagen konnte. Vielleicht lag es auch an meiner Erwartungshaltung, vielleicht war auch das “Excl. Tape” als Bonus-Ausgleich tragender als gedacht; "Pool" ist jedenfalls ein unverhoffter, bisweilen auch im Überschwang bescheidener Spät-Triumpf aus dem Orsons-Lager (aka. eines Kerns der Vor-Phase des Rap-Hypes ca. 2011 plus/minus ein Jahr).
5. Deafheaven/Infinite Granite
An Deafheaven war geil, dass sie nach "Sunbather" den Metal-Anteil aufgedreht haben und eben nicht in den Shoegaze abgedriftet, also - in alter Genre-, vor allem Metal-Logik - gefällig geworden sind. Dann kam "Ordinary Corrupt Human Love" und war fast zerrissen zwischen den verschiedenen Wegen, die diese Band gehen könnte, forderte als Collage aber umso mehr. "Infinite Granite" knickt nun ein, ist einfach Shoegaze, oft sogar im Ton eher milde, mit einem fast ausnahmslos singenden Clarke und vereinzelten Eskalationen, die zu Standards jeder Rezension wurden. Und ja, dieses Album ist erstmal eine Zumutung in seinem schwachbrüstigen Klang und der mangelnden Genre-Brechung, aber wem es gelingt, hinter die Schwächen zu blicken, hört eine Band, die sich wirr neben ihr Genre legt und aus eben jenen benannten Schwächen eine eigene, zart-verlorene Stimmung kreiert, die für genau ein Album hervorragend funktioniert.
4. Turnstile/Glow On
Die Hits waren von Anfang an da, doch die ganzen 15 Songs wirkten auf mich beim ersten Durchlauf unangenehm gestaucht, nicht wirklich flüssig, bremsten sich aus, stolperten übereinander und lagen dann etwas hilflos, nicht recht zu unterscheiden rum. Doch eigentlich war ich es wohl, der sich maulte, weil ich nicht mit "Glow On" mithalten konnte, das einfach alle zwei Minuten spätestens ein neues Hardcore-Pop-Dragee in unsere Backen knallt und knacken lässt.
3. Arooj Aftab/Vulture Prince
So ganz kann ich bis heute nicht die gestrichene Schönheit dieser mit halb geschlossenen Augen vollführten Trauerverarbeitung begreiflich machen, aber versuchen wir es so: Ein Driften durch flatternde Klangfetzen, ein finsterer Pool aus Hall, Arooj Aftab lässt sowieso allem Platz, erlaubt sich mit “Last Night” sogar inmitten all der somnambulen Coolness ein Stück Dub-Jazz, das vielen anderen zur Peinlichkeit gereichen müsste, hier aber eine ungeahnt sinistre Qualität entfaltet, vielleicht in Nähe irgendwo der frühen Massive Attack, aber primär eben an diesem seltsam vibrierenden Ort, durch den wir auch nur mit halb geschlossenen Augen, zwischen Referenz und Euphorie richtig gut taumeln können.
2. Black Country, New Road/For The First Time
Dieser zweite Platz schien schon Anfang des nun ja auch auslaufenden Jahres schlecht gealtert (neues Album schon längst da, Sänger schon raus, Zukunft irgendwie trotz Beteuerung ungewiss, dieses Kapitel jedenfalls Geschichte), konnte jedenfalls nicht mehr ganz so euphorisch als Aufbruch verkauft werden, wie das eigentlich mal geplant war. Gleichzeitig macht die Geschichte “For The First Time” zum perfekten Schnappschuss eines vollkommen wirren Projekts, ähnlich dem hyperrealen Cover. Klezmer, Post-Punk, Post-Rock, Jam-Rock, Overacting, eine kommunardische Bande wie aus den frühen 2000ern, ein Sound, der quer zu allem liegt - manchmal so, dass es einen fast erdrückt. Genau das hat aber einen Nerv nochmal neu gekitzelt, der in den vergangenen Jahren schon fast überstimuliert schien.
1.Halsey/If I Can't Have Love I Want Power
“If I Can’t Have Love I Want Power” lässt sich in seiner Gegenwart verorten, unweit all der anderen Leute aus einem diffusen Pop-Rap-Electro-Feld, die sich zuletzt gerne von Travis Barker warme Pop-Punk-Nostalgiedecken stricken ließen, in die sie sich nun problemlos kuscheln können. Halsey hat dabei auch schon mitgemacht, und daran ist nichts auszusetzen, nur weil es mir eher fad erscheint - es fehlen einfach meist Hits oder Finten im Sound oder irgendwas, das über eine Blink-Attrappe hinausreicht. Wie es nun auf diesem Album um Hits bestellt ist, darüber lässt sich streiten (der Erfolg hielt sich in Grenzen) - dass Trent Reznor und Atticus Ross (aka die Nine Inch Nails) Halsey kein Bett gebaut haben, sondern Dinge ausgehandelt wurden, das setze ich hier fest. Dieses vierte Album klingt nicht nach: Wofür stehen wir, wie stecken wir das zusammen? Sondern: Was können wir gemeinsam miteinander anstellen? Dabei findet Halseys ja doch charakteristische Stimme willkommene Herausforderungen, Reznor/Ross (diese wahnwitzigen Kollabo-Kids mit diesem herrlichen Melodiegefühl und mangelnder Angst vor drohendem Stylertum) bringen einige Flächen ihrer Soundtracks unter, obendrauf gibt es aber auch schlagenden Synth-Pop, treibenden Dream Pop und ja, auch Industrial, es gibt das gesäuselte “Darling”, das tickende “Bells In Santa Fe”, das klackernde “Girl Is A Gun”, es gibt einen Lauf fast ausnahmslos großer Songs, alle irgendwie Hit-tauglich, aber eben auch gemeinsam im Fluss. Mehr ist von einem Pop-Album kaum zu erwarten.
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Liste: Die 25 besten Songs 2020
Jetzt, im September 2021, mutet es irgendwie komisch an, das nochmal zu erzählen, aber naja, es war halt so, dass gerade das Hören von Songs durch Lockdown, geschlossene Clubs und viel Zeit auf Blogs klar beeinflusst wurde. Zufallsfunde auf Partys, in Plattenläden oder Bars gab es kaum, wobei der Austausch ja nicht ganz wegfiel. Der Blick auf die folgenden 25 Songs zeigt ziemlich deutlich die verschlungenen Wege, die mein Hören im vergangenen Jahr genommen hat: Durch Schreibaufträge aufgedrängte Lieblingssongs, in spontaner Eingebung zu Playlists hinzugefügte Albumtracks, die dann das Jahr über wuchsen, und manchmal dann doch sowas wie ein alles vereinendes Song-Phänomen, das ich mir mit Blick auf die Listen anderer wiederum nur eingebildet zu haben scheine. Es ließe sich auch eine ganz andere Geschichte der Songs des Jahres erzählen, eine von dezentraler Re-Politisierung und eine von gedrückter Stimmung, eine von Mainstream und eine von obskurer Nebensächlichkeit. Einiges fehlt hier auf jeden Fall, weil mir unterwegs die Eingebung kam, in ~2009er-Spex-Nostalgie Songs und Alben des Jahres zu trennen. Wer sich also über manch Fehlendes wundert, darf sich stattdessen freuen. Und am Ende hat alles seine Richtigkeit.
25. Gone Is Gone/Breaks
Mittlerweile fast ein Klassiker in diesen Song-Listen: Der etwas ratlose, letzte Platz. Gone Is Gone waren nach ihrem Debüt eigentlich ein Fall für die Akten, nicht komplett schlecht, aber zu dröge um große Gesten bemüht, um wirklich vom Fleck zu kommen. Manche schätzten das als Verproggung von Stoner, das zweite Album kündigt deren Vertrag nun aber spektakulär auf, was mich nun wiederum in nächtlichen Hördurchgängen zunehmend faszinierte: Wie sich diese Rock(!)-Band hier in astralem Synthgeplucker verliert, ist gute, alte Pop-Gigantomanie an der Realität vorbei, und mit "Breaks" gelingt ihnen zwischenzeitlich zumindest ein Moment erhabener Verdichtung, mit zerkratztem Bollwerk-Sound, sinistrem Gerede und Spät-Depeche-Mode-Sirenen. Vielleicht ist der Song auch Quatsch und diese Platzierung Ergebnis eines Stockholm-Syndroms, am wohligen Gefühl ändert sich dadurch aber nichts!
24. Heaven Shall Burn/La Résistance
Ähnliches ließe sich auch bei diesem Platz mutmaßen, gäbe es nicht dutzend anderer Negativbeispiele, die "La Résistance" den Rücken stärken. Heaven Shall Burn sind nämlich sicher nicht die erste Metalcore-Band, die ihre krachigen Songs mit elektronischen Elementen tieferlegen will - wer Mitte der 00er Jahre mit zeitgenössischem Metal sozialisiert wurde, musste sich früher oder später mit Kirmesynthesizern rumplagen, die irgendwo im Hintergrund besonders liebloser Breakdown-Eskapaden heulten. Begleitet oft auch von diesem charakteristisch miserablen Metalcore-Klaregsang. Heaven Shall Burn haben all das sein lassen und mitten in ihrem furchtlos kitschigen, teils die Grenzen des Genres wirklich blähenden Doppelalbums tatsächlich einen wummernden Revoluzzertrack mit Zion(also, Matrix-Zion, nicht Zion-Zion)-Rave-Attitüde geschrieben. Strobosynths zucken da durch eine mächtige Produktion, Billo-Keyboards verzieren stilsicher den hinteren Teil des Songs, und obendrein lässt die Band über den Hymnenanspruch das Keifen nicht sein.
23. Ela Minus/El Cielo No Es De Nadie
Mit Techno-Pop ist es eine Sache: Die Verlorenheit, die manche im Club suchen, lässt ich selten in handlicheren Formaten verdichten, meist geht die Pointe verloren und was bleibt, ist lahmer Pop. Ela Minus ist die Transplantation jüngst gleich mehrfach gelungen, besonders aber in ihrer somnambule Performance über dem klackernden "El Cielo No Es De Nadie".
22. 2nd Grade/My Bike
In der Pop-Miniatur liegt ein besonderer Reiz, der das Format Song nach unten transzendieren kann, und so viele Songs auf "Hit To Hit" von 2nd Grade auf lange Sicht egal waren, so sehr besticht "My Bike" als windschiefe Alltagshymne mit unsterblicher Gitarrenfigur am Schluss. Und okay: Als jemand, der sowohl regelmäßig Fahrrad fährt als auch gerne Plattenläden besucht, finde ich hier recht viel Identifikationsangebot.
21. Zebra Katz/Ish
Hip-House ist nun auch schon wieder ein bisschen vorbei und so richtig Kapital konnte daraus niemand schlagen, was gerade schmerzt, hört man nochmal in das jüngste Zebra-Katz-Projekt hinein: Egal, wie lange "Ima Read" schon her ist, man lässt sich direkt wieder von dieser zwielichtigen Atmosphäre einkaufen, die "Ish" in einem selbstsicher-runtergekühlten Refrain als Mission Statement konkretisiert.
20. Yaeji/Waking Up Down
Yaeji war denkbar als One-Hit-Wonder, mehr im Augenblick absolut einleuchtendes Phänomen als tragfähige Idee. Der benommene Bedroom-Club-Pop des Mixtapes "What We Drew" war zum Glück aber nicht nur erneut Musik zur Zeit, sondern ein voll ausformuliertes Projekt, das mit "Waking Up Down" zugleich (mindestens!) einen stabilen Hit an Bord hatte.
19. Health/Cyberpunk 2.0.2.0.
Das Konzept der Disco-Reihe haben sie 2020 variiert, dabei aber ihren besten Trick nicht vergessen: Zwischen all den Fremdbeiträgen mit einem eigenen Song voll zu verzaubern. "Cyberpunk 2.0.2.0." leistet nichts, was man von Health nicht längst gewohnt wäre, das fängt schon beim Titel an, und doch ist dieses erschöpft-benommene Leiden über unermüdlich treibendem Beat hier so gekonnt klebrig umgesetzt, dass wir Fans uns direkt in den leiernden Synths und Gitarren wohlig verfangen durften.
18. Layla/Blicke
Aus den Scherben des deutschsprachigen Rap-Journalismus konnte ich herauslesen, dass es anderen auch so geht: Wir haben im Grunde auf Layla gewartet, die, wenn sie jetzt nicht vollends in Richtung Soul abbiegen sollte, Rap retten wird. "Blicke" ist dafür womöglich nicht mal der deutlichste Beweis, doch Laylas Präsenz auf diesem krauchenden Beat einfach unbestechlich.
17. Megan Thee Stallion/Girls In The Hood
"Good News" war mal wieder einer dieser Rap-Blockbuster: Vollgestopft, bisschen was für alle, aber dann auch nicht so voll, dass es total aberwitzig wurde, sondern eher träge. Schade, denn Megan Thee Stallion hatte ein phasenweise brillantes Jahr, wie sich besonders schön an dieser Anverwandlung eines Eazy-E-Klassikers ablesen lässt. Den Rap-historischen Kontext drückt sie nonchalant zur Seite und nutzt das Zitat als größtmögliche Bühne.
16. CocoRosie feat. Brooke Candy, Big Freedia, Cakes Da Kila, Anohni/End Of The Freak Show
"End Of The Freak Show" hat mich erstmal mit 00er-Nostalgie eingefangen, denn: Bevor ich irgendwelche Trump-Lesarten mitbekommen habe, musste ich bei diesem Billing erstmal an die New-Weird-Americana-Bewegung und ihre Folgen denken und hatte das Gefühl, hier wollten sich einige führende Akteur:innen aus eigentlich gar nicht so verbundenen Genres von der Bewegung, vielleicht sogar ihrer Karriere verabschieden. Das war dann mal wieder ein produktives Missverständnis, ohne das der Song aber auch mit karnevaleskem Furor funktioniert!
15. Royce Da 5'9" feat. Westside Gunn/Overcomer
Leute wie Royce Da 5'9" umweht ein merkwürdiger Legendenstatus, den man gar nicht richtig beziffern oder belegen, aber manchmal spüren kann - zum Beispiel in der endlos langen Tirade, die er hier nach einem hervorragend ballernden Westside-Gunn-Part über einem herrlich schwebenden Singsang leistet. So sehr einen diese kleinen Fehden langweilen dürfen, so toll ist doch die autoritäre Lockerheit, mit der sich alles hier zusammenfügt, bis auch die eigenen Drohungen nur noch assoziative Weisheiten sind.
14. Princess Nokia/Just A Kid
Es ist ein toller Raptrick - der Psychoshow eine Fußnote, ein Nachwort, ein “nee, wirklich” beifügen, das alles vorherige nochmal in ein anderes Licht setzt. Auf der Schattenseite des diesjährigen Princess-Nokia-Doppels gibt es einen solchen Moment mit "Just A Kid", einer nüchternen Erzählung über semidramatischem Beat, die bisweilen die Kehle zuschnürt. Erzählen als Ausweg ist nicht der schlechteste Weg.
13. Midnight/You Can Drag Me Through Fire
Womöglich war es die anhaltende Krise des Pop-Zeitschriftenmarkts, vielleicht auch neuer Raum in meinem Pop-Leben oder einfach gute, alte Nostalgie; irgendwas brachte mich 2020 auf jeden Fall dazu, wie wild aktuelle Rock- und Metalmagazine zu kaufen. Das setzte neue Schwerpunkte auf Phänomene, die sonst nur in meiner Peripherie aufgetaucht wären, so wie eben Midnight, ein ebenso maskiertes wie dubioses Blackened-Rotz-Rock-Projekt, dessen aktuelles Album gut war, aber erst in der hoffnungslos hymnischen, bis-zum-bitteren-Ende-durchgeprügelten Schlussnummer zu einem atemberaubenden Husarenstück wurde.
12. Ariana Grande/Positions
Ariana hält die Schlagzahl: Wie einst Rihanna, haut uns nun auch sie Jahr um Jahr Album um Album um die Ohren. "Positions" bringt als sechster Eintrag in die Diskografie dann auch, um den Bezug zu strapazieren, eine Raunchyness wie einst "Talk That Talk" an den Tisch, und nicht nur das, sondern auch eine kleine Ermüdung - gar nicht im Fantum, aber schlicht im Gutfinden des Albums. Immerhin gab es aber lohnende Singles, Pfand aller Pop-Stars, und der Titeltrack war die allerschönste von ihnen, beiläufig hymnisch, mit kleinem Kick und doch großer Entlohnung am Ende.
11. Haftbefehl feat. Shirin David/Conan X Xenia
Haftbefehl hat merkwürdige Jahre hinter sich, und es wollte dem "Weißen Album" - bei aller Klasse! - einfach nicht gelingen, diesen Umstand in einen vollkommenen Triumpf zu verwandeln, ein Album zu sein, das, die Entwicklungen der letzten fünf Jahre im Blick, die Menge an Erwartungen einlösen könnte. Etwas zu lang, mit zu vielen Features, sucht es den Anschluss an "Russisch Roulette", ohne dessen Dichte an Pointen zu treffen - doch sei's drum, denn die Attitüde an dieser Platte durfte durchaus faszinieren, die kalte Wut, der Furor des (relativ) Altgewordenen. All diese Beobachtungen führen irgendwie dazu, dass nun ausgerechnet "Conan X Xenia" hier steht, ein intensiver, kurzer Track, der fein gebaut und doch rau ist, mit Shirin David dann zudem doch Anschluss an eine Gegenwart sucht, die wir uns 2014 kaum hätten ausmalen können. Da war Aufregung, als ich ein Snipppet 2019 zum ersten Mal über ein Autoradio empfing, da war Angst, als ich das Feature auf dem Papier las, und da war Euphorie, als der Song dann einfach in die Magengrube schlug. Wer den perfekten Nachfolger von Haftbefehl erwartet hat, hat in Pop-Geschichte gepennt. Immerhin ist ihm aber ein ziemlich perfekter Moment gelungen.
10. Dua Lipa/Physical
Dua Lipa hat mit "Future Nostalgia" vieles, aber nicht alles richtig gemacht, doch wie wir gelernt haben: Am Ende sind es vor allem die Singles, die über Wohl und Wehe entscheiden. Und wo "Don't Start Now" der anschmiegsame Song mit dem Kick in der Mitte war, da pumpte "Physical" uns unbedarfte Hörer:innen durch unsere Wohnzimmer, mit einem dieser tollen Konzeptvideos, drängelnder Basslinie und einem Refrain als ginge es um alles. Still und heimlich realisierten die Ersten unter uns, dass die Clubs den Sommer über geschlossen bleiben würden, aber eigentlich hat es uns auch auf der Couch an nichts gemangelt.
9. The Guru Guru/This Knee On Ice
Irritation beim Mailkontakt, vorsichtiges Googeln: Ein nachgerücktes Album aus dem Post-Krautrock-Delirium? Nein, diese Guru Guru haben einen bestimmten Artikel, sind zwar auch kontinentaleuropäisch und krude, schielen aber eher in Richtung Mathrock. Den spielen die Belgier mit Verve, aber auch so, dass man das eher live bestaunen als im eigenen Alltag haben möchte. Bis auf "This Knee On Ice", an dem alles sitzt, die krumme, gegenlaufende Strophe, über die Tom Adriaenssens Stimme dann auch beharrlich stolpert, der übergroße Refrain, das wirre Gniedelsolo, das eine gute, fast Fang-Island-artige Intensität aufbringt, bevor alles zusammenklappt und da nur noch geschraddelte Gitarre und Grölen und Keuchen sind.
8. Blake Mills/Vanishing Twin
"Vanishing Twin" hören ist wie mit halbem Ohr irgendwo aufschnappen, dass irgendwo eine persönliche Katastrophe passiert ist, die jemand gerade unbeteiligt nacherzählt, und dann anfangen leise zu weinen, während die Kamera langsam rauszoomt und dann sanft ausblendet.
7. Lady Gaga feat. Ariana Grande/Rain On Me
Es mag erstaunlich sein, aber "Rain On Me" gibt seine Trümpfe erst nach einiger Zeit aus der Hand. Eigentlich aber auch nicht so abwegig, denn: Das Ding ist ein Hit, der im Grunde direkt irgendwie überzeugt, gerade Leute, die gerade mit "Stupid Love" warm geworden waren und hofften, der Rest des Albums würde dieses House-Pop-Versprechen geradewegs einlösen. Egal war da erstmal, wie nonchalant Ariana Grande den zweiten Refrain betritt - man müsste es stolpern nennen, hätte sie nicht in allen ätherischen Noten einen derart festen Stand, eine derart zwingende Präsenz, dass der thematische Schwerpunkt erst irgendwann kickt. Und als der dann sackte, mit all den Details des Videos, und in letzter Instanz dann auch des perfekten Castings, das Gaga in tiefste Tiefen zwang, war alles klar. Es ist nicht mehr 2011, aber das ist nicht schlimm. Ich putte meine paws noch immer gerne up.
6. Run The Jewels feat. Pharell & Zack de la Rocha/Ju$t
"Ju$t" ist so sehr der Hit des vierten Run The Jewels Albums, dass es erstmal wie ein Fehler wirkt. Die Features zu schlau und gut aufspielend, der Beat zu clever und doch tanzbar, der Text zu politisch und doch hittig - das ist doch so direkt gut, dass es sich abnutzen muss, dass man dann doch nach ein paar Monaten merkt, dass der krumpelige Rapsong nebenan oder die elegische Analyse zum Schluss besser ist. Und ja, es gibt viel Gutes auf diesem Album, aber nein, so konzentriert groß wie dieser Song ist dann doch nichts. Und meine Güte, Zack de la Rocha - nun mach endlich dieses dreckige, gottverfluchte Soloalbum!
5. The Rolling Stones/Living In A Ghost Town
"Living In A Ghost Town" rasselte zu einer komischen Zeit aus dem Stream: So richtig rechnete niemand mit einem neuen Album der Rolling Stones, gerade erst hatte sich aber auch Bob Dylan aus dem Exil zurückgemeldet, vielleicht im Angesicht der Krise, aber womit eigentlich: Einem Überbleibsel? Einem Zeitvertreib? Der letzten Inventur vor dem Ende der Karriere, des Pop, der Welt? Beiden Songs, “Murder Most Foul” und “Living In A Ghost Town”, hörte man diese Unsicherheit an, Letzteren hatten fast alle am Ende des Jahres aber wieder vergessen, ein netter Gruß, eine Kuriosität in wirren Wochen. Dabei treibt Keith Richards den Song mit seinem irgendwie ja eigentlich eklig lässigen, Spät-Karriere-Western-Gitarrenspiel so schön betulich voran, ab in den Schatten, knapp am Beat vorbei (es soll ja übrigens auch der quasi letzte neue Songs zu Charlie Watts’ Lebzeiten sein, wie wir nun wissen) und mit einem in gänzlich unverschämt in Autotune funkelndem Mick Jagger, bis dann wer beherzt in die Mundharmonika bläst und auch alles egal ist. Hört es euch einfach nochmal an.
4. Shake 070/Under The Moon
Ihren Hype hat Shake 070 scheinbar erstmal auf die Bank gebracht, "Modus Vivendi" war jedenfalls keine große Auszahlung, sondern eher eine weitere Investition. In der Tat war der in vielen Listen funkelnde 80s-Throwback-Hit "Guilty Concience" aber nur die Spitze des Eisbergs, unter der viel mehr still schimmert, vor allem das sehnsüchtige "Under The Moon". 070 dehnt manche, verschluckt andere Töne, während sich der Song beharrlich, neblig schichtet, irgendwo zwischen Hilferuf und Freudenschrei, vor allem aber gut sirupig.
3. Cardi B feat. Megan Thee Stallion/WAP
Zu "WAP" ist sicher nicht alles, irgendwie aber auch schon viel zu viel, vor allem viel Käs gesagt worden. Das Lob schreibt sich im Grunde ja sowieso von selbst: die richtigen Rapperinnen auf dem richtigen Beat, mit dem richtigen Sample, mit der richtig-giftigen Hook. Wir älteren Semester durften vielleicht noch kurz an "Anaconda" denken und uns fragen, ob es noch älteren Semestern damals mit anderen Referenzgrößen auch schon so ging. Alle durften auch an Sexismus denken, an Rassismus, auch darüber, wie viel Diskurs so ein Song tragen kann, ob die Raffinesse nun eher im Ästhetischen oder die Tragweite im Ethischen liegt, vor allem aber durften eigentlich nun wirklich alle mit diesem Song viel Spaß haben (glaube ich - und das als nicht mal so großer Cardi-B-Aficionado).
2. RMR/Rascal
Hier lässt sich nun hingegen wieder vom Ende des Jahres aus (ganz zu schweigen vom Zeitpunkt, an dem diese Liste vollendet wird) schwer urteilen, welches Schicksal "Rascal" im kollektiven Gedächtnis fristet, ganz zu schweigen davon, was das mit RMR eigentlich war: Novelty-Rap? Gewaltverherrlichung in der dritten Drehung der Postmoderne? Herrlicher Mummenschanz? Oder doch einer, der die Melange aus Rap und R'n'B wieder nach vorne bringt? Eine ebenfalls großartige Nachfolge-Single brachte jedenfalls ebenso wenig Licht ins Dunkel wie das spektakulär-posierende Hinterhof-Video oder die bestenfalls mediokre EP im Nachklapp, am Ende aber auch egal, denn "Rascal" bleibt als Song wie Moment (das Original! das Video! die Maske!) großartig, rumgereicht wie ein dreckiges Geheimnis, bevor YouTube-Profile und Plattendeals alles kaputt machen mussten.
1. Perfume Genius/Describe
Perfume Genius und ich hatten uns über die Jahre aus den Augen verloren, und im Rückblick scheint es mir, als sei genau das Teil eines Plans gewesen: Damit mich nun nämlich dieser vanillig parfümierte, zentnerschwere Wattebausch von Riff unvorbereitet und in Zeitlupe ins Gesicht treffen konnte. Die Gitarre hängt locker in der Pampe, zwischenzeitlich twangt es, während Mike Hadreas unverständliche Formeln murmelt, Fragmente aus einer Dunkelheit, die dieser Song so verdammt zärtlich einfängt in seinem Malmen und Kauen, bis am Ende alles ausfizzelt, in Nebelschwaden und Flauschfetzen verharrt, nachklingt. "Describe" landet auf exakt jenem Punkt, um den Dream-Pop, Shoegaze, Grunge und Post-Metal seit Jahren schleichen, und fühlt sich dabei neben allem Wohlklang an, als habe man nach Jahren des Juckens endlich den passenden Fingernagel gefunden.
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Noch warme Notiz #3: Happier Than Ever könnte doch groß sein
Eigentlich hatte ich mich aus dem Vorabgewusel um Billie Eilishs zweites Album ausgeklinkt, weil genau das die Momente sind, in denen mir Pop dann doch einfach zu wild ist. Das Herz hat es mit 19 kaum mitgemacht, mit 29 ist es nicht besser. Mir waren auch die Singles einfach ein wenig lasch, aber nun nach dem ersten Durchlauf und der Erkenntnis, dass manche gleich vorab schon das Ende (och mensch ...) kommen sahen, muss ich doch betonen, wie wundervoll erstmal die bereits bekannten Songs in neuem Kontext funktionieren, wie fast schon klassisch (ja, doch, tatsächlich) diese Atmosphäre ist, was im Fall des Bondsongs ja so halb gut klappte, dass es außerdem auch genügend klatschende Momente gibt, mit Bleepen und NIN-Zitaten und Bratzen, um uns alte kid-goth-kids doch noch ins Boot zu holen, und dass dann überhaupt all das - naja, halt wundervoll zusammengeht, fließt, über die Stunde, die sich dieses Album dann ja doch nimmt, nicht langweilt. Es hätte so leicht zerfallen können, aber gerade vermute ich das Gegenteil: “Happier Than Ever” funktioniert auf Anhieb und könnte darüber hinaus noch genug Ecken bieten, an denen sich versinken lässt.
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Liste: Die 25 besten Alben 2018
Wem es noch nicht aufgefallen ist: Dieser Blog kennt keine Zweifel, es gibt nur Imperative. Deswegen stand es auch nie zur Debatte, die Liste der 25 besten Alben des Jahres vielleicht doch nicht zu veröffentlichen, oder sich zwischenzeitlich eingetroffenen Erkenntnissen über das vergangene Musikjahr zu beugen. Nein, es sind unten stehende Platten, die ich vergangenen Dezember für die besten hielt, lediglich die Texte sind teils frisch. Die Daumen bleiben derweil weiter gedrückt für den Musikjournalismus, dem es 2018 nicht allzu gut ging und zu dem Blogs wie dieser hier, ganz zu schweigen von noch schlimmeren, keine Alternative sind. Wir hören spätestens im Dezember voneinander.
25. Pilz/Tod / Geburt
Spoiler Warnung, aber: Beim erneuten Durchgehen meiner Liste ist mir aufgefallen, dass “Tod/Geburt” tatsächlich das meiner Meinung nach beste Deutschrap Album 2018 geworden ist. An wem das nun genau liegt, soll an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden, gebührt Pilz doch jedes Lob für eine Platte, die mit stabilen Beats, hervorragender Themenwahl und vor allem einer unfassbaren Attitüde aufwartet. Zu Unrecht vielerorts unter ferner liefen gelaufen.
24. A$AP Rocky/Testing
A$AP Rocky hatte das Gegenteil eines guten Jahres. Nachdem die euphorischen Stimmen zum weit weniger als gewohnt hitsicheren “A.L.L.A.” die pessimistischen, warnenden locker ausstechen konnten, schienen jene, die sich trauten, “Testing” zu loben, stets ein bisschen ahnungslos dem Titel und seiner Programmatik verfallen. In der Tat schleichen sich irgendwann kleinere Längen ein, tendenziell, wenn Rocky alleine agiert, doch alleine die erste Hälfte dieser Platte ist schlicht unschlagbar, vor allem dank permanent rotierender Szenarien, durch die Rocky lediglich genialisch-benommen stolpern muss.
23. Cupcakke/Ephorize
“Ephorize” ist nicht nur die dritte Rap-Platte in dieser Liste, sondern auch die dritte, die nicht restlos (Beats könnten ausgebuffter sein, Strukturen waghalsiger), aber eben mit Charakter überzeugt - im Gegensatz zu Rocky ist es nämlich eben gerade Cupcakke, die ihr Album zum Faszinosum macht.
22. Bilderbuch/Mea Culpa
Die Welt war so ein bisschen überfordert, als Bilderbuch so kurz vor Abgabeschluss mit “Mea Culpa” unbedingt noch ein neues Album in den Äther ballern mussten, und reagierte hektisch entweder schulterzuckend-abkanzelnd oder überschwänglich lobend. Tatsächlich haben sich Bilderbuch nach dem irgendwo zwischen Entwicklung und Hit-Lieferantentum operierenden “Magic Life” hier für den Schnitt entschieden. House, Gigantomanie, 90s-Lounge, seichter Pop, all das wird so gebacken, dass es in kein Maul passt. Dazu überstilisierte Sorglosigkeits-Eskapismus-Lyrics. Mit mehrmonatigem Abstand lässt sich mit Sicherheit sagen: taugt.
21. Bosse-de-Nage/Further Still
Zwei Leute: Bryan Manning, der sich weltverloren in mal morbide, mal diffuse, oft belanglose Kurzgeschichten steigert und Harry Cantwell, der jedem Song seine scheiß tranzdentalen Federn stutzt und die Anderen in der Band einfach verdrischt. Sehr guter Black Metal.
20. Robyn/Honey
Nach acht Jahren konnten neun Tracks irritieren, aber irgendwie waren alle einfach froh, Robyn wieder unter uns zu wissen. “Honey” bestätigt dann auch die dumpfe Gewissheit, dass einfach niemand in der Lage ist, derart charmante Musik zwischen expressionistischer Disco, Engtanz und Beachvolleybal zu platzieren, wie die Schwedin.
19. Mitski/Be The Cowboy
“Be The Cowboy” macht es niemandem so richtig leicht, gerade weil Mitski ihre Größe so beharrlich im Fragment sucht, Blech und Äther und Tanzpop zu einem Mosaik knüppelt, das in seiner Schlichtheit oft unbegreiflich ist. Vielleicht ist auch alles anders, aber gerade wegen dieses Zweifels kommt man Monat für Monat zurück, nur um zu wissen, ob dieses Album wirklich so ist. (Ja, ist es.)
18. Rejjie Snow/Dear Annie
Es ist die Platte, die Tyler, The Creator warum auch immer nie machen konnte, und weil das wohl mittlerweile alle verstanden haben, hat Rejjie Snow sie eben gemacht. N*E*R*D werden in Gedenken an Jazz aufgedröselt und zu einem Coming-Of-Age-Musical zusammengekehrt. Einzelne Songs funktionieren nicht so gut, "Dear Annie" umso besser.
17. Idles - Joy As An Act Of Resistance
Es scheppert, ist mit Post Punk ebenso wenig erfasst wie ‘77 und will dabei eigentlich gar nicht anstrengen. “Joy As An Act Of Resistance” nimmt so ziemlich alles an sich ernst und weiß, wo Schweigen angebracht ist.
16. Cloud Nothings - Last Building Burning
Cloud Nothings hatten sich die Reise zurück in die Stille so schön als Pop-Punk-Revue ausgemalt, doch die Leute wollten sie noch nicht gehen lassen. Deswegen steigt Dylan Baldi eben doch nochmal in den Ring, mit Krach ohne Grund, Frustration und Free Jazz. Es müsste falsch sein, wäre es nicht einfach Rockmusik.
15. US. Girls - In A Poem Unlimited
Musik, die heruntergewirtschaftete Genres nochmal auf den Tisch packen möchte, ist oft peinlich, "In A Poem Unlimited" aber aus verschiedensten Gründen nicht. Unter anderem weil: Meg Remy es musikalisch so sorgfältig und textlich so dringlich macht, ohne den Reizen der Patina einfach naiv zu erliegen. Früher war nicht alles besser, sonst bräuchte es ja Platten wie diese nicht.
14. Interpol - Marauder
Kommt her, Interpol-Fans aller Länder, versammelt euch unter der kuscheligen Decke, die Fogarino, Banks und Kessler für uns ausgeschlagen haben. Keine Angst, die Touristen, die wegen "El Pintor" mal wieder was von New York und Indie wissen wollten, sind schon wieder Zuhause. Also raus aus der Anzug-, rein in die Jogginghose, damit wir uns alle krumm machen können, wie dieses Album, bei dem Interpol die Zügel so aus der Hand geben, dass alles verrutscht und wir durch gänzlich neue Bahnen rutschen können, ohne dabei diese erdrosselnde Wärme zu vermissen, an der manche von uns unterwegs so gerne erfroren sind.
13. Emma Ruth Rundle - On Dark Horses
Andere haben Emma Ruth Rundle vorher verstanden, für mich war es dieser sachte Abstieg in Dark-Psych-Folk-Metal, der denn Reiz dieser Musik Song für Song ausbuchstabieren musste, um ihn begreifen zu können. Immer knapp am Kollaps operierend, mit dreißig Jahren Singer/Songwriter-Musik von Menschen, die keine Singer/Songwriter sein wollen im Gepäck und einem guten Gespür für fusselige Texturen, in denen unbedarftes Publikum verlorengehen darf.
12. Die Nerven - Fake
Eigentlich dürfte so ein Album gar nicht funktionieren, eigentlich müssten die Nerven als Band auch einfach auserzählt sein, aber irgendwie ist "Fake" das unverdiente Einserabi von drei Filous aus der letzten Reihe geworden.
11. Yves Tumor - Safe In The Hands Of Love
Erst weiß man Bescheid: Sample-Kram, Brainfeeder beeinflusst, aus Tradition bei Warp unterschrieben, alles klar, bin dabei, mal eben kurz. Dann bricht aber leider alles ein, Pop übernimmt. Noise knaustert die Papiere zusammen. Bei Warp ist das trotzdem richtig aufgehoben, aber weniger wegen des Sounds, sondern weil hier jemand an der Zukunft interessiert ist.
10. Death Grips - Year Of The Snitch
Schwierig zu sagen, wo sich Death Grips gerade in ihrer Karriere befinden. Nach dem Statement “The Power The B” täuschte “Bottomless Pit” den Mindfuck an, gab sich dann jedoch erstaunlich gefällig. Bei “Year Of The Snitch” ist es anders rum: “Streaky” bleibt eine Ausnahme, stattdessen ist es wirr, kaputt, was man erst erkennt, wenn man sich mal von den Klischees rund um Death Grips verabschiedet. Ist eigentlich auch nötig, weil hiermit bereits das zweite Album einfach regulär erschienen ist, ohne Leaks und Trennungen und Serviettennachrichten. Das Management des Übergangs in die eher wieder normale Phase dieser Band läuft gut, bleibt dran!
9. Dödsrit - Spirit Crusher
Wenn Crust und Black Metal zusammenkommen, denkt man eher an so kleine, fiese Passagen, an den Dreck und Hass als gemeinsamen Nenner. “Spirit Crusher” flickt beide Genres aber an einer Transzendenz zusammen, von der man gar nicht wusste, dass sich das ausgehen könnte. Keine Bewegung, nur ein, zwei, drei, vier unbequemes Kratzen.
8. War On Women - Capture The Flag
Eine Schelle, eben weil die pfeilschnellen Songs des Debüts hier richtig aufgelockert wurden, mit mehr Alternative, Thrash eher im Sound als im Spiel und vor allem einer Attitüde, die keine Kompromisse kennen möchte, ist das zweite Album der nach wie vor formidablen War On Women geworden. Eigentlich dürfte das alles gar nicht so viel Spaß machen, aber.
7. Haru Nemuri - Haru To Shura
Verstehen lässt sich “Haru To Shura” nicht, wohl aber durchleben, und damit hat Haru Nemuri dann doch ziemlich genau das gemacht, was Rap 2018 laut einiger Experten auszeichnet. Freilich nicht nur versierter und überdrehter, sondern versetzt mit Alternative-Girl-Group-Glitch-Rockismen, die nach Luft schnappen lassen.
6. JPEGMAFIA - Veteran
"Veteran" rauscht vorbei, ist anstrengend, und zusammengenommen irritiert das. Sieht man sich dann einmal ein paar Gesprächsfetzen mit Peggy an, merkt man schon, wo das alles herkommt, fragt sich aber doch, wie das so rauskommt. Blubbertechno, Glitchgeballer, und eben nicht MC Ride, sondern so ein reptilienhaftes Winden und Keifen und bisweilen auch Säuseln. Sollte man vielleicht auch nicht zerdenken.
5. Anna von Hausswolf - Dead Magic
Es muss schon dieses ganze Album sein und verstehen zu können, wie Anna von Hausswolf hier gegen Ende der Dekade die Spuren zwischen Indie, Folk, Doom und Drone vollends verwischt, um zu einer eigenen Form von Überwältigungsmusik zu gelangen, die eben so knochig wie knochenbrechend ist. Hätte Michael Gira nicht rechtzeitig die letzte Swans-Phase beendet, vielleicht hätte er sich die Zähne an diesem Entwurf ausgebissen.
4. Tocotronic - Die Unendlichkeit
Der Manierismus hätte daneben gehen können, ebenso wie die autobiographische Nabelschau. Tocotronic lehnten beides jedoch so beweglich aneinander, dass sie nach den (meiner Meinung nach gerade richtigen) strauchelnden 10er Jahren alle abholen konnten, die unterwegs warum auch immer hängengeblieben waren. Eingefasst von Überlegungen zur Unsterblichkeit, zur Bühne und vielleicht auch zum Rock wuseln sich Zank, Müller, von Lowtzow und McPhail durch die Musik ihres Lebens, ziehen die richtigen Referenzen, teils dreist direkt, teils toll überblendet, und generell: Wie Dirk da teils Details fokussiert, Szenerien verschwimmen lässt, Begebenheiten abstrahiert und Brücken baut, zählt zu den richtig guten Momenten dieser an richtig guten Momenten nicht armen Karriere.
3. Kero Kero Bonito - Time'n'Place
Zwischendrin habe auch ich gedacht, dieses Album sei irgendwie scheiße, von den Singles und Twists besser gehypt, als es letzten Endes ist. Aber Leute: Schlagt euch mal den Kaugummi in die Backe, legt euch einen Lavalampenfilter über das Display, scrollt dann munter durch die Timelines, lasst euch von diesen 2018er Foo Fighters beballern und erzählt mir am Ende, das hätte gar nichts mit euch gemacht, oder schlimmer noch - das hätte keinen Sinn ergeben. Typen wie euch verwandeln Kero Kero Bonito einfach in GIFs. Rock hatte abseits von dieser Platte keine Relevanz in diesem Jahr.
2. Kids See Ghosts - Kids See Ghosts
2018 war unter anderem das Jahr, in dem man bei Kanye nicht nur nicht mehr mitkam, sondern auch nicht mehr mitkommen wollte. Ja, wieder eine Talkshow an die Wand gefahren, irgendwelche nicht mehr kruden, sondern nur noch dummen Bill-Cosby-Donald-Trump-Statements gebracht, mit irgendwem für irgendwas kollaboriert und dabei immer egaler geworden. Aber dann gab es da eben doch diese 24 Minuten, in denen unter der Flagge von Emo Rap nicht nur Kanyes (angenommener, aber wie gesagt: mir egal) Mindstate und Kid Cudis wirre Alternative-Rock-Versuche zu einem guten, porösen, hittigen, absurden amalgamierten, sondern sich eben jener Gruppeneffekt einstellte, den The Throne bei allen Hits nie erreichen konnte. Vielleicht, weil Kanye da noch zu gut und Jay Z ohnehin zu sehr Ikone war. Man wollte lieber den Mogul und das Genie für sich betrachten. Heute kann das Genie kaum genug hinter dem Alias verschwimmen.
1. Deafheaven - Ordinary Corrupt Human Love
“Ordinary Corrupt Human Love” ist keine Platte, die beim ersten Hören Album des Jahres schreit, obwohl sie so heraus ragt, aber eben ambivalent bleibt und sich auch ein bisschen forciert anhört. Alleine “You Without End” - ach, komm. Aber dann schlört man sich nochmal zu den Livekonzerten, man erlebt, wie "Honeycomb" und "Canary Yellow" geballt ins Publikum fliegen, und plötzlich macht irgendwie doch alles erschreckend viel Sinn, der Metal ist da und der Postrock und plötzlich liegt die Platte nicht mehr in einem diffusen Mittelfeld, das man sich so im Laufe des Jahres imaginiert hat, sondern ganz vorne, weil bei allen guten strategischen Manövern die Musik einfach schön ist. Da, ich habs gesagt.
#deafheaven#alben#2018#konserviertemusik#interpol#a$ap rocky#us girls#haru nemuri#kero kero bonito#war on women#tocotronic#dödsrit#death grips#jpegmafia#Kids see ghosts#Anna von hausswolf#die nerven#Yves tumor#Emma ruth rundle#Cloud nothings#idles#cupcakke#pilz#bosse de nage#mitski#bilderbuch#rejjie snow#robyn
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Liste: Sieben Kurzspielformate, die theoretisch gerne hätten länger ausfallen dürfen, widerspräche dies nicht ihrem zum Gelingen beitragenden Grundkonzept, aus 2018
Schluss mit Listenzeit Traurigkeit: Ungeachtet aller obligatorischen Inaktivität dieses Blogs, diverser nach wie vor oder erneut offener Baustellen im Pop und mancher ganz ohne Kontext einfach grauseliger Platten, gab es auch etliche Lichtblicke, denen die folgenden, oft eher subjektiven und nur bedingt um Vollständigkeit bemühten Zusammenstellungen gewidmet sein sollen. Den Auftakt macht, voll nostalgischer Euphorie, eine Prämierung der besten Kurzspielformate (Mixtape, EP, Minialbum, als Album getarnte Musik), die 2018 zu bieten hatte.
Aphex Twin/Collapse
Der Unmut über Aphex Twins aktuelle Musik drohte gerade, vom Gemurmel zum Common Sense zu arrivieren, als diese schöne EP alle Bedenken in Bits und Bytes zerbröselte. Schön wie seit den 90ern nicht mehr packte Richard den Mörser aus, legte unsere Ohren hinein und baute Bällchen daraus, die er in seiner Software nach Belieben flippern konnte. “Collapse” bringt wenig an den Tisch, was man nicht klanglich oder ästhetisch oder strukturell irgendwo in seinem Schaffen verorten könnte, übertaktet das Amalgam aber derart beherzt, dass von uns Spurensuchenden nur Qualm übrig bleibt.
HMLTD/Hate Music Last Time Delete
Exaltierter Elektro-Pop, der - na gut, ja - auch ein bisschen Trap an Bord hat. Viel wichtiger als die Zeitgenossenschaft, die der Opener “Pictures Of You” mit sich schleppt, ist jedoch der Look, den HMLTD ihrer aktuellen EP verpasst haben: Das Cover diffus-hässlich, ein bisschen verstörend, zugleich aber auch intim, die Texte drehen sich um (Ding)-Liebe und andere Oberflächlichkeiten, vorgetragen in japsendem, stets überdrehtem Ton, der sich herrlich in die musikalische Melange aus Cabaret, Synth, Goth und Glam fügt. Wird demnächst vermutlich richtig groß.
Kero Kero Bonito/Totep
Als diese vier Tracks zu Beginn des Jahres rauskamen, waren die Leute - mal wieder - verwirrt. Die Gitarren zu seicht, der Sound überhaupt zu wenig PC Music - wohin soll dieser Schritt denn führen? Die Antwort liegt mittlerweile in Form ihres zweiten Albums “Time ‘n’ Place” vor, was die Frage, das vorsichtige Tasten in Form der “Totep” nicht weniger reizvoll macht. Alles klingt nach DIY, aber eben nicht mehr Garage, sondern nach blubbernden Synthesizern ebenso wie 90s Riffs, unbekümmertem Alternative-Gesang und jenem digitalen Krachen, das ebenso furios wie auf dem folgenden Album die Single “Only Acting” beendet - hier überführt in die herrlich lockere Rock-Nummer “You Know How It Is”, bevor sich alles im träumerischen “Cinema” auflöst.
Nine Inch Nails/Bad Witch
Die Debatte darüber, dass Trent Reznor sich das Labeln seiner Musik neuerdings von Plattformoptimierung vorgeben lässt, lassen wir an dieser Stelle einfach unter den Tisch fallen und würdigen “Bad Witch” als das, was es eigentlich ist: Die grandiose, aberwitzige, kompromisslose Vollendung einer EP-Trilogie, die den Karren mit D’n’B, muskulösen Arena-Rock, Krach, Ambient und Bowie-Jazz-Referenzen so spektakulär an die Wand fährt, wie man es sich vom (ungefähr) dritten Akt in der Karriere der Nine Inch Nails erhofft hat. Ein dichtes, starkes, perfektes Weltuntergangsspektakel.
Retrogott & KutMasta Kurt/Vintage Fresh
Bevor er sich Ende des Jahres mit Intimus Hulk Hodn anschickte, textlich aufgelockert gegen die gegenwärtige Szene zu schießen, entkrümelte Retrogott ein paar liegengelassene Beats der Westcoast-Ikone KutMasta Kurt, um darauf angenehm verkrampft Beobachtungen aus den USA, historische Betrachtungen, Kritik an Deutschrap und ein Plädoyer für Entschleunigung unterzubringen. Wenn die Zeit schon aus den Fugen gerät, dann bitte in diesen Loops.
Sad At Superbowl/Waves
So real das Saarbrücker Trap Movement ist, so surreal wirkt bisweilen das stärkste Release, das die Szene 2018 zu verantworten hat. Auf “Waves” zerfließen Ideen regelmäßig, fiebrige Melodien überziehen federnde Beats, Stile werden anzitiert, aber nie voll ausformuliert. Der Trumpf, den Sad At Superbowl hier ausspielt, ist das Skizzhafte, Vage, das in seiner Knappheit und mit allen Leerstellen wahnsinnig macht, das Publikum immer wieder auf die Suche schickt, ohne innerhalb dieses insgesamt betrachtet sehr runden Tapes je zufriedenstellende Antworten finden zu können und damit im eben richtigen Maße erratisch bleibt.
Vince Staples/FM!
Im Nachhinein ein guter Witz, dass Vince Staples’ erste LP ein 60-minütiges Doppelalbum war, lag der Reiz seiner Musik doch damals schon eher in der Kürze. Sein drittes “Album” “FM!”, wobei über diesen Status noch immer diskutiert wird, führt nun den Ansatz des Vorgängers “Big Fish Theory” kompromisslos fort: Die Songs sind knapp gehalten, fließen, hier verstärkt durch ein übergeordnetes Radiothema, locker ineinander, und orientieren sich stark an Pop-Formaten, die jedoch immer wieder gebrochen oder zumindest arg gekonnt umgesetzt werden. Radioshow, Mixtape, Playlist, EP, Album: Gerade durch das lockere Spiel mit Möglichkeiten und Erwartungen gelingt es Vince Staples auch in diesem Jahr wieder ein Release an den Start zu bringen, das man nicht einfach nur abnicken kann, sondern über das gesprochen werden muss.
#aphex twin#vince staples#sad at superbowl#nine inch nails#hmltd#retrogott#kutmasta kurt#liste#konserviertemusik#sonstiges#ep#2018
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Liste: Die 25 besten Songs 2021
Im vergangenen Jahr hat mich ein sehr guter Freund darauf hingewiesen, mehr Pop als 2020 habe es nie in einer Liste mit den besten Songs des Jahres gegeben. Selbiges gilt wohl für 2021, und vermutlich liegt das vor allem an mir und gar nicht so sehr an der Musiklandschaft. Andererseits gab es ja zuletzt durchaus Soundverschiebungen im Mainstream, Blogs positionieren sich anders zu großen Künstler*innen, Hyperpop hat eh alles nochmal von unten durcheinander gewirbelt - womöglich ist die große Zahl an konsensfähigen Songs im Folgenden also doch irgendwie zu größeren Aussagen befähigt. Vor allem reiht sich da unten aber, mal ganz idiosynkratisch gesprochen, konsensfähig Hit an Hit an Hit - gespickt mit ein, zwei Idiosynkrasien sicher auch. Aber entscheidet ihr!
25. Donovan feat. David Lynch/Gimme Some A That
Herrliche Balance zwischen sonnigem Donovan-Gefolke und wirren Lynchismen, oder anders: ein gülden kostendes Stück Psych-Folk-Jangly-Pop, gezwirbelt in eine knisternde Hülle, die dem Ganzen erst den rechten Glanz verleiht.
24. Jerry Cantrell/Black Hearts & Evil Done
Ich bin kein ausgewiesener Grunge-Nostalgiker, umso kälter haben mich die warmen Sonnenstunden auf Jerry Cantrells Veranda erwischt. Dort lag ich zu Füßen des Alice-In-Chains-Gitarristen, während er schaukelnd von früher erzählt hat und dabei herrlich zufrieden-sehnender Rockkitsch wie "Black Hearts & Evil Done" rauskam.
23. Layla/Dichter
Laylas gegenwärtiger Status ist irgendwie unklar, "Dichter" auf dem Rücken von Missy Elliot dennoch eine gezielte Trademark-Schelle. Das Gelsenkirchen-Barock-Rasur-Video mit OG Keemo war da nur das Uff-Adlib hinter der treffenden Line (bildlich gesprochen).
22. Tommy Genesis/a woman is a god
Der Minimalismus fiept, die Hook leiert den Kopf kaputt.
21. Caroline Polacheck/Bunny Is A Rider
Außen locker gepfiffen, innendrin lockend verrätselt.
20. Willow/Naive
Leute, die es nervt, wie sehr es im Pop um Personen geht, haben oft besonders große Probleme mit bestimmten Personen im Pop; z.B. der Tochter von Will Smith. Und wenn die dann auch noch Rock macht, und sei es auch nur Pop-Punk mit Travis Barker im Jahr 2021, wo man ja schon recht intensiv nach Leuten suchen muss, die Pop-Punk ohne Travis Barker machen! Auch ich musste meine zahllosen Zeilen wider die Authentizität et al nochmal überdenken, als ich das Album mit dem großartigen Titel "lately i feel everything" anklickte, doch verdammt - wer "Naive" nicht fühlt, hat Teenage Angst nie gelebt.
19. Peggy Gou/I Go
Lockeres Tackern, treibend, mit leicht weggetretenem Blick genau richtig platziert zwischen 80s Pop und Club.
18. Wolfgang Tillmanns/Late For The Webinar
Klar, das ist hier ist schon alles etwas viel 2021, andererseits: Kann man dieses titelgebende Gefühl besser treffen als mittels Tillmanns großäugigem Blökens über diesen dröppelnden Klicker-Murmel-Beat? Verloren im Home-Office-Digikapitalismus, aber immerhin mit Kaffee und Option auf Ausschlafen.
17. Peter Doherty & Frédéric Lo/The Fantasy Life Of Poetry And Crime
Nach Frankreich zu ziehen und sich dort als gesetzter Poèt maudit zu inszenieren ist noch immer das Beste, was Doherty nach den beiden versöhnlichen Platten mit seinen wildzüngig-romantischen Indiebands machen konnte. In der neusten Auflage dieser Karrierephase legt Lo nun ein paar sehnende Streicher drunter, mehr braucht es nicht zum Glück.
16. Silk Sonic/Leave The Door Open
Bruno Mars, Anderson Paak, eiskalt-schlüpfrig-nostalgischer Retrofunk; irgendwie will man es ja blöd finden, aber es ist halt gut!
15. Placebo/Surrounded By Spies
Mit einem Placebo-Album war eigentlich nicht mehr zu rechnen, hatte sich die Band doch aus einem eigentlich recht ordentlichen Rhythmus vor einigen Jahren zum Duo zerlegt und in dieser Konstellation zunehmend das Erbe kuratiert, um sich von den Tantiemen in irgendwelche Synth-Pop-Projekte zu stürzen. Album Nummer acht hätte ein Phantom bleiben können, ist nun aber draußen, und leistet mehr, als es über die bloße Existenz des Albums hinaus zu hoffen gab - jedenfalls bis "Surrounded By Spies" als zweite Single erschien, ein Versprechen, düster, paranoid, gemurmelt, schwerfällig, von einem Flirren durchzogen, das sich irgendwann tatsächlich in einen D'n'B-Beat entlädt. Placebo werden nie wieder diese sexy Alternative-Band mit den flotten Hits sein, die ein bisschen zu clever für sich selbst sind. Hier schaffen sie es, sich trotz dieses Defizits und dem gescheiterten Reboot als Band mit guter Laune nicht nur souverän, sondern gerade in dieser altersmüden Akzentuierung frisch zu inszenieren.
14. Normani feat. Cardi B/Wild Side
Schläge in ein Flirren, schlüpfrige Zeilen, von Normani in einer beneidendswerten Nonchalance vorgetragen, die manche ihr zu Unrecht als Langeweile vorwerfen. Es ist ein Stil, ihr Quarkbacken!
13. Verifiziert/Schlaflos
Pop aus CH/D/Ö ist ein scharf geschnittenes Brot, und auf welche Seite dieser lauchig-loungige Somnambul-Pop mit HipHop-Flavour landet, das ist noch nicht ganz geklärt. Aha: 'nicht geklärt' ist ziemlich genau die Stimmung insbesondere dieses Songs, der so herrlich ziellos mit Sektflecken auf dem schwarzen Plüschmantel durch die Nacht stolpert. "Was hast du mit mir gemacht" - ja, was denn???
12. Wisborg/I Believe In Nothing
Auch was für die Nacht, aber eher im Sarg, mit Rotwein auf dem Cape, volles Programm, die Orgel im Anschlag, die Uhr schlägt zwölf, der Bass ruckelt, die Sisters-Of-Mercy-Gitarren malen den Himmel dunkelstblau, mittendrin Overacting, aber es ist geil, sitzt perfekt, wie alles an diesem Song, in dem Wisborg ihrem Goth-Rock Beine machen.
11. Olivia Rodrigo/Brutal
dö-dö-dö-dö-dö-dö-dö! dö-dö-dö-dö-dö-dö-dö! Und immer so weiter, stampfend durch die Selbstzweifel, die Gitarre genau so verzerrt, dass das alles irgendwie noch in einem Disney-Channel-Kinderzimmer aushaltbar ist, aber eben verzerrt genug um auszudrücken, dass das Zimmer selbst langsam nicht mehr aushaltbar ist. Nebenbei ein perfekter Selbstentwurf, der uns Sad Kids in ein Album spült, das es an anderer Stelle zu rühmen gilt.
10. Tocotronic feat. Soap & Skin/Ich tauche auf
Ja, spätestens jetzt sind die Tocos im souveränen Spätwerk angekommen, die Trilogie-Struktur (wenn es sie je gab) ist ausgefranst, nun geht es um virtuose Variation, und sich zu just diesem Zweck Anja Plaschg ins Boot zu holen, zu einer schauerromantischen Ballade von nicht lebbarer Liebe, war eine wirklich hervorragende Detailentscheidung - die "Ich tauche auf" im Folgejahr zu einem wichtigen Stück im zerpuzzelten 13. Album der Gruppe machen wird, so viel Vorgriff sei erlaubt.
9. Heave Blood & Die/Kawanishi Aeroplane
Ein Zufallsfund von schlafwandlerischer Qualität: Heave Blood & Die haben dem ewigen Kreisen im Sludge entsagt und aus dem klebengebliebenen Schlamm wolkige Gitarrenbausche gemacht. "Kawanishi Aeroplane" fühlt sich an wie dieses Knistern, wenn einem ins Ohr geflüstert wird - aber die gut-unangenehme Variante davon.
8. Low/Days Like These
Den Trick kennen Brennies schon von "Describe", dem besten Song aus 2020; Low lassen nun aber nicht Shoegaze ausbrennen, bis nur noch W��lkchen übrig sind, sondern schneiden mit scharfer Schere Gospelmomente aus, bis nur noch Fetzen übrig sind.
7. Japanese Breakfast/Posing In Bondage
Ein Blick in die Listen der Anderen zeigt: "Be Sweet" war der Konsenshit von Michelle Zauners Konsensalbum, und ja, diese etwas zu süße Melodie im Refrain schockt in wirklich herrlichem Maße. Mir persönlich ging diese wabernd-gehauchte, mäandernde und doch hittig-geknotete Sehnsuchtsballade aber doch noch ein entscheidendes Stück näher. Vorschlag zur Güte: Wenn "Be Sweet" schelmisch aus "Jubilee" rausragt, hängt "Posing In Bondage" sinister im Unterholz rum, und beides zusammen markiert dann irgendwie die Größe dieses Albums.
6. Këkht Aräkh/Swordsman
Larmoyanter Black Metal, mit Corpsepaint und von Burzum geborgtem Künstlernamen und allem - schwer, dabei keine Bauchschmerzen zu kriegen. Und sowieso kann und darf und muss man das alles vielleicht auch kitschig finden, den kratzigen Sound auf "Pale Swordsman", den das Klavier immer wieder in Richtung Spieluhr zerrt - spätestens in diesem melancholischen Finale, in dem der titelgebende bleiche Schwertsmann sich endgültig und ja auch frei von jeglichem Black Metal und doch durch diesen ästhetisch eingefärbt und gedeckt über menschenleere Landschaften schleppt, in einem kruden Heroismus, der hier aber wahnsinnig groß und glockenhell-zerbrechlich auf den Punkt gebracht wird? Vermutlich, ja. Bürde und Privileg des ästhetischen Urteils ist, sowas aushalten zu können, wenn das Urteil denn kickt. Und mich hat es schlichtweg aus den Latschen gehauen, in den Schnee, direkt neben die Ledergaloschen dieses einsamen Romantikers. Vorschlag zur Güte: Kritische Distanz muss auch von dort aus möglich sein.
5. Ja, Panik/Apocalypse or Revolution
01. Januar 2021, Katerstimmung, aber nicht wegen Party. Es gäbe schlechtere Momente, um sich vom Zeitenwende-Fatalismus der gealterten Burgenländer*innen anstecken zu lassen, und auch wenn das große Comeback nicht gelingen wollte (wohl auch, weil Ja, Panik bereits vor 2014 hörbar mit der Form der Fortsetzung ihrer Karriere haderten und ihnen in der Zwischenzeit einfach die Infrastruktur weggebrochen ist, es zudem sowieso gar kein so breites Interesse mehr an Indie, dessen knuspriger Rand sie irgendwie ja waren, gibt), bleibt "Apocalypse or Revolution" ein erschreckend treffendes Bekenntnis zum Zaudern in einer Intensität, in der sich kein Leben gestalten lässt, das aber ab und an in Form von Stücken wie diesem aufzusuchen gut tut.
4. Charli XCX/Good Ones
Die Synthesizer liegen halt schon dreist nah an den Eurythmics, der Grabestanz in Nachbarschaft von "Helena", und sowieso war "Good Ones" im ersten Moment knackig-nett, aber nicht mehr - ein Snack, aber kein Auftakt zu einem neuen Albumzyklus. Nun, Letzteres hat sich faktisch widerlegt, die Sache mit der Qualität des Songs hingegen geschmacklich, denn irgendwann fräst sich das ins Heulen gestreckte 'Go' in den Kopf, und wenn das erstmal da sitzt, steckt auch der poppige Frust an, immer einfach an die Falschen zu geraten. Und spätestens als Perfume Genius das Ganze mit dem Kopf so lange in den Matsch drückt, bis die Hölle sichtbar wird, offenbart der Song sein volles Potenzial im Pop-Rhizom.
3. Magdalena Bay/Chaeri
Der Beat schiebt, die Melodien ziehen vorbei, immer in der Erwartung, das gleich was kommt, vorerst aber getaucht in die düstere Verlorenheit der Tanzfläche - oder halt des Lockdowns. Mit "Chaeri" ist den Hyper-Pop-Alumnen Magdalena Bay zwischen allem Schabernack ein Stück trister Musik zur Zeit gelungen, dessen obligatorische Explosion angenehm-unangenehm brennt im Brustkorb, während Mica Tenenbaum fragend um eine Freundschaft ringt und so leidet und an sich und der Welt bis zur Klimax verzweifelt, wie es sonst eigentlich Lovesongs vorbehalten ist. Ein Vexierbild, klar, aber umso herrlicher ist es, da eintauchen zu dürfen.
2. Paula Hartmann/Trumann Show Boot
Hinten im Auto, von Burger King zu McDonalds, leicht durchgeschüttelt, die Lichter einer neuen Ampelanlage schimmern zwischen den Köpfen alter Freunde hindurch, und in der Musikanlage läuft etwas, das ich noch nicht kenne, das mich zögern lässt, obwohl es eigentlich tief in mir drin schon reinkickt. Die nächsten Wochen und Monate werden für Paula Hartmann vielleicht zur Probe, das Marketing dreht schon die richtigen Schrauben, doch diesen ersten Lauf an Singles, diese Stimmung, die in diesem Format tatsächlich richtig aufgehoben war und vielleicht in "Truman Show Boot" wirklich ihre traurig-kullernde Erfüllung fand, nimmt uns niemand mehr.
1. Billie Eilish/Happier Than Ever
Irgendwie habe ich es geschafft, den Song "Happier Than Ever" erstmal zu verpennen. Die ultraleise erste Hälfte passte vielleicht zu gut in das restliche Vorab-Single-Understatement des zweiten Billie-Eilish-Albums, irgendwie hatte ich nach den ersten Durchgängen wohl auch einfach schon andere Favoriten ausgemacht und möglich ist auch, dass die Dramaturgie des Videos, das eine meiner ersten Rezeptionen leitete, mir etwas zu plastisch vor Augen führte, was scheinbar erst beim Hören einen ungeahnten Sog entwickelt. Nämlich wie Eilish, kurz vor Ende dieses Albums von ungeahnter Pop-Grandezza, fast ihre Stimme verliert, nur noch raunt, verblasst, gurrt, bis die Gitarren anziehen, entweder Eilish zur Aktion zwingen (wie die ins Haus dringenden Wellen im Video) oder von ihrem Unmut über all die verlorene Liebesmüh überhaupt erst rekrutiert werden, sich all das jedenfalls steigert und entfaltet bis es unvermeidlich, aber umso wuchtiger knallt; weil der Song mehr oder minder in sich selbst kracht, mit aufgerauter Gitarre, Eilish mit sich selbst im Chor, alles sowieso aufgedreht, Arme ausgestreckt in einem wirren Wirbel, befreites Schreien in einem zerstäubten Song, der am Ende einfach weggesaugt wird. Wenn man es so liest eigentlich komisch, dass es erst brauchte, um zu zünden. Gut möglich aber auch, dass genau an diesem Punkt der Funke entspringt, der so ein beispiellos ans Herz gehendes Lied auszeichnet.
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Liste: Die 11 besten Musikvideos 2021
Musikvideos: Immer irgendwie eine krumme Kategorie, nicht richtig trennscharf definiert und noch unklarer in den Kriterien der Bewertung. Aber ist nun aus dem Genre 2021, ausgerechnet als ja eigentlich allgemein klar war, dass es ja eben nicht mit MTV gestorben, sondern auf YouTube relevanter denn je war, doch noch jegliches Leben gewichen? Das Gerücht kursiert, der Musikvideojournalismus stockt parallel dazu, und vielleicht ließe sich all das Unken mit TikTok etc. widerlegen oder zumindest über Transformationen sprechen, aber da wäre dann tatsächlich die Expertise anderer Leute gefragt. Was ich zu bieten habe: elf Videos, die in liebgewonnen Kategorien wie Rap-Blockbuster mit politischer Schlagseite, surreale Sexualitätserkundung, abstraktes Getanze oder kunstige Menschenkarikatur frei von allen größeren Beobachtungen überzeugen (und gerade dadurch diese vielleicht ein klein wenig zumindest relativieren).
Lana Del Rey/Chemtrails Over The Country Club
Eine Hälfte ist Del-Rey-Fanservice, die andere Hälfte kippt in die Schattenseite der etablierten Ästhetik. Surrealistische Schnitte, B-Movie-Bilder und zum Platzen gefüllte Metaphern halten all das gerade im Taumel zusammen.
Japanese Breakfast/Posing In Bondage
Allgemein ein fraglos gutes Jahr für Michelle Zauner, bestand ihr Glanz doch gerade in Momenten wie dieser blutig erblühenden Romanze in den Schattenstunde, in der Peripherie des Kapitalismus.
Lil Nas X/Montero
Erst One-Trick-Pony, dann komischer Clown, jetzt vielleicht der Rapper der Stunde - in jedem Fall der mit dem überzeugendsten visuellen Programm. Die Krönung am Ende dieser biblisch-antiken CGI-Schlacht kam gerade recht.
Maeckes/Zu sensibel
Maeckes tüftelt mal wieder irgendwas aus, obwohl es doch eigentlich nur ein Album sein soll. Dieser Abfuck zwischen Ed Sheeran und Ed Atkins hätte aber dann auch ganz ohne Kontext gut durchgerüttelt.
Magdalena Bay/Secrets (Your Fire)
Retro-Digital-Ästhetik in vollendeter Form, weil mit der Konsequenz eines Internet-Explorer-Throwback-Videos und der Verve einer Dora-The-Explorer-Folge.
Megan Thee Stallion/Thot Shit
Das Event-Video-Ding vibrierte 2021, doch am Ende gab es keine Chance gegen Megan Thee Stallions retro-feministisches, absurd-brutales, maximal aufgeladenes und damit gerade bei aller Unterhaltsamkeit explosives Geballer.
Mitski/Working For The Knife
Keine Überraschung, aber irgendwie dann doch, dass Zia Anger dem arg ausgereizten Genre 'Musiker*innen-tanzen-krude-aber-nicht-albern' dank einer gewohnt passioniert aufspielenden Mitski doch eine gewisse Intensität abringen konnte.
Radiohead/If You Say The Word
Haben Radiohead eigentlich noch eine Gegenwart, oder geht es jetzt nur noch um Nebenprojekte und Verwaltung, weil eh genug im Archiv liegt und man die richtigen Leute kennt, die noch was aus den ollen Fetzen flicken können? Weil: Hier könnte problemlos auch "Follow Me Around" stehen, das mit einem (ja, wovon denn nun!!!) getriebenen Guy Pearce abseits üblicher Musikvideostrukturen glänzt. Noch etwas besser war jedoch das entrückt in die Leere laufende "If You Say The Word", mit präziser Ästhetik und weiter Metaphorik.
Olivia Rodrigo/Brutal
Über das Rodrigo-Jahr 2021 schreibe ich noch woanders, aber Teil am Hype hatten fraglos halt auch die Videos - die in der Qualität durchaus verschieden ausfielen. "Driver's Licence" gerade in der Simplizität und den gezielt platzierten Effekten groß, "Deja Vu" nett surreal, "Good 4 You" zwischen ikonisch und Quatsch, am besten aber "Brutal" mit all den verschiedenen Rodrigos, der Trauer, dem Stau, dem umknickenden Knöchel, den Tränen, den Filtern - hier kickte eine Legende ihre erste souveräne Geste.
Rostam/From The Back Of The Cab
Ich bin ein Opfer für Cameos. In "From The Back Of The Cab" quetschen sich die Zehner nochmal auf die Rückbank, zu einem herrlich verrutschten Weltmusik-Indie-Song. Wir dürfen vorne mitfahren und verschmitzt nach hinten lugen - ein guter Deal.
#rostam#olivia rodrigo#konserviertemusik#liste#musik#2021#sonstiges#megan thee stallion#radiohead#mitski#magdalena bay#maeckes#lana del rey#japanese breakfast#lil nas x
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Noch warme Notiz #4: Keine Termine ist sehr gut, aber schwer zu rezensieren
Wertungen, spätestens in Punkten, gleichen einem laschen Kompromiss: Alben werden ins Rezensionen als Werk geschätzt, allgemein eingeordnet, in die Blattpolitik integriert, womöglich auch noch ethisch diskutiert, und am Ende klappt die ganze Komplexität in Sternen, Kronen oder Ziffern zusammen. So auch in den Bewertungen des Solodebüts von Fritzi Ernst, das erstmal durchaus mit ihrer alten Band Schnipo Schranke verbunden, über Stimme, Reime, Klavier, aber auch anders ist, vor allem melancholischer, phlegmatischer. Das potentiell grundsätzliche Problem der Band hängt noch immer nach: Wie ist das denn nun gemeint, als NDW-Parodie mit Hochschulhintergrund, als Blödelei, oder doch ernster Klavierpop? Die Sezession (also ... ach, ihr wisst schon!) muss sich dieser Frage freilich verschärft stellen: Was fehlt hier, was wird eher geleistet, gibt es gar Gossip abzugreifen? Nein, falscher Ansatz: “Keine Termine” leitet das Album als gleichnamige Single gefällig, fröhlich hubbelnd ein, dann geht es in Richtung Tristesse. Ernst baut hier tolle Räume, ausgeblichene, verrauchte 70er-Jahre-Theatersets, süßlich riechende Depressionskammern, langsam verwehende Stunden.
Drinnen klatschen sich Trauer und Karikatur, Kinderhumor und Erwachsenwerden, Liedermacherinnentum und Soap & Skin, nüchterne Aufrichtigkeit und hustende Stonergags ab, und es ist leicht, da auf dem falschen Fuß erwischt zu werden, sich gelangweilt oder verarscht zu fühlen. Mich hat das komplett gekriegt, wegen feiner, doch pointierter Songs, einer Klammer, die sich am Ende wohlig um das Album schließt, ungewohnter (herman-van-veen-esker?) Klangfarbe und überhaupt einer Ernst, die mit roten Augen aus dem verfaulenden Endzwanzigerzimmer lugt und sich fragt, ob das jetzt immer so weitergeht und ob das schlecht oder gut wäre, bis zu vollkommener Lethargie. Einordnen lässt sich das an vielen Stellen, klar; die Wahrscheinlichkeit, die spezielle Temperatur dieses Albums in Zahlen zu treffen, ist dann aber doch eher gering.
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Noch warme Notiz #2: trage mordorgrau bis es was dunkleres gibt
Lea X Casper “Schwarz” doch noch gehört: Nun ja eigentlich genau das Gefühlige, womit man den aktuellen Deutschpop assoziiert, dann auch gerade unter Bezug auf jene Zeit um 2010, als sich die Weichen zwischen Indiepop und neu-fühligem Chartpop langsam stellten, andererseits damit freilich auch genau das, was man mit Caspers Durchbruch assoziiert, dann noch mit XOXO-Gitarren im Nacken, in der Tat auch erstaunlicher Dynamik, gerade was den Refrain am Ende angeht. Am Ende wohl ein Pastiche, aber immerhin. Das Video nochmal ein anderes Thema, für andere Orte. Welches Bild ergeben eigentlich Caspers Features, legt man sie nebeneinander?
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Liste: Die 25 besten Alben 2019
Schieben wir das übliche "Brennen muss die Liste!"-wird-niemals-untergehen-Gerede kurz beiseite, das nicht nur den späten Veröffentlichungszeitpunkt dieser Liste relativieren, sondern auch betonen, dass ich im vergangenen Jahr erst wenig neue Musik gehört habe, um dann doch viel mehr oder minder Relevantes aufzuarbeiten, sollte, um direkt diesen Punkt der verschleppten Genese zu fokussieren. Noch mehr als sonst habe ich nämlich Ende 2019 und Anfang 2020 Alben aus ersterem Jahr nachgeholt, mit all den Meinungen schon im Hinterkopf, recht schnell hintereinandergeschaltet, damit auch stets Gefahr laufend, Packendes nicht direkt zu erkennen und somit auch nicht in folgender Liste abzubilden, einfach weil die Auswahl mehrheitlich aus diesem Stadium stammt. Die Texte sind dann mit der Zeit gewachsen, sortiert haben es die vergangenen Wochen (und gezeigt haben sie nach dem ein oder anderen unsicheren Nachhören auch, dass die Liste im Großen und Ganzen schon richtig liegt). Gerade die Spitze stand und steht ohnehin sehr fest - insgesamt mal wieder ein gutes Jahr, was Pop-Musik angeht, aber das wisst ihr poptimistischen Fans von Brennen Muss Die Liste! ja sowieso. Hier nur nochmal zur Vergewisserung:
25. Die Goldenen Zitronen/More Than A Feeling
Wollen wir uns mal nicht direkt streiten, aber "More Than A Feeling" hatte doch eigentlich alles, um die Goldies unbeschadet aus dieser eher schwierigen Dekade rauszubringen. Vielleicht war es gerade das, was der Kritik vereinzelt sauer aufstieß, doch es ist nunmal so, dass die Hamburger Post-Punk-Theater-Gruppe hier alles, was auf "Who's Bad" in Fetzen rumhing, dramaturgisch schlüssig einwickelt, teils unhörbar verzieht, teils in Richtung Hit lotst, sich Albernheiten und Rückblicke gönnt und am Ende alles auf die Bühne schickt, um dort Schauprozess zu halten. Den einen ist es milde, den anderen restaurativ, und da mutet es fast unangenehm lebenswerkig und abkultend an, die Goldies nach einer Platzierung als Konzert und Song des Jahres auch hier noch unterzubringen und damit in bescheidenem Rahmen ein Triple zu gönnen. Vielleicht können wir dies aber auch leise feiern und alles Gute für die nächsten zehn Jahre wünschen.
24. Deutsche Laichen/Deutsche Laichen
Wo wir gerade ohnehin bei Punk aus Deutschland sind, sollte schnell noch Erwähnung finden, dass Deutsche Laichen auf ihrem Debüt all das plausibel machen, was ich an Punk aus Deutschland (und eigentlich überhaupt) nie so richtig verstanden habe. Was da nach dem bewusst sanften Einstieg kommt, ist nicht angenehm, und doch irgendwie wohlig. Ein warmer Tritt ins kalte Herz, eine Therapiedecke für die geplagte Seele.
23. James Blake/Assume Form
Wer an Listen schraubt, weiß, dass diese teils krude Dynamiken entwickeln. Ursprünglich stand an diesem Platz mal Vampire Weekends "Father Of The Bride", das ich eigentlich gerne mögen wollte, weil ich halt die Band und ihre Songs mag und gerne mal ein Auge zudrücke, wenn das Erlebnis schöner ist als die wirkliche Summe der Songs. Weil es mir aber nicht recht gelingen wollte, die fahrige Dramaturgieverweigerung trotz erneut hervorragender Stücke im Detail schönzuhören, steht hier nun James Blakes viertes Album, das ich wiederum eigentlich nicht mögen wollte. Zu schwer tue ich mir seit jeher mit Blake, der immer zu sehr zwischen Kunstlied und Banalität wandelt, um wirklich in Beschlag zu nehmen, und nun, ausgerechnet nach der hier zu Unrecht platzierten Fahrigkeit “The Colour In Everything”, dies: Ein Album, das den Neo-Piano-Autotune-Soul mit Trap kurzschließt, nebenbei auch sonst die richtigen neuen (Rosalía) und alten (André 3000) Gäste einlädt, dem üblichen Schwelgen eine Form gibt und all das "Assume Form" nennt. Ein Album also, das man niemandem wirklich anraten möchte, soll man nicht als vorgestriger Hipster durchgehen - dann eben doch lieber die versponnene neue Vampire Weekend, und so kommt wohl die Verknüpfung. Am Ende zählt aber eh nur, dass James Blake - urgh - hier wirklich zu Form findet, den Anschluss an die Gegenwart schafft, ohne dabei als Verlierer nach Hause zu gehen. Kein schlechter Schluss für den Klassenprimus von 2011.
22. Have A Nice Life/Sea of Worry
Have A Nice Life waren mal Darlings, dann haben sie sechs Jahre keine Platte gemacht, weswegen bei "The Unnatural World" 2014 sich in erster Linie erstmal alle freuten, diese Darlings wiederzuhaben, und erst dann in den endlosen Meeren fischen gingen um zu schauen, ob denn da, wo "Deathconciousness" so unergründlich tief schimmerte, wirklich noch mehr zu holen sein könnte. "Sea Of Worry" kommt nun nach weiteren fünf Jahren, setzt weit weniger auf angenehmen Nebel, muss aber eine wohl noch größere Legende übertrumpfen. Das gelingt gerade, weil die erste Hälfte so beharrlich ausschert, mit Post Punk aus dem Schatten tritt, zwischenzeitlich in die 70er-Schauerrock-Disco abtaucht, und am Ende dann doch wieder ausfasert, blöde in die Sterne guckt und Banalitäten in die Transzendenz pökelt. Etliche Fans haben sich daran verbrüht, aber anders könnte man sich ein gutes Album dieser Band ja auch kaum vorstellen.
21. Döll/Nie oder jetzt
Vielleicht sprechen wir an anderer Stelle nochmal drüber, aber 2019 war auch ein Jahr, in dem Rap sehr deutlich unter seinem eigenen Wachstum zerbröselte. Das zeigte sich nicht nur an den Entfernungen, die sich zwischen beharrlichen Comebacks, aus dem Boden sprießenden Trap-Lehrlingen, lang ersehnten Äußerungen ewiger Geheimtipps, Pop-gewordenen Soundentwürfen der 2010er Generation, noch poppigeren Wortmeldungen einer Fraktion, die beharrlich Deutungshoheit für sich beansprucht und all den - nennen wir es mal - Cloud Rap Auswüchsen, die in den Nischen blühten, ergaben, sondern es zeigte sich eben auch an der zunehmenden Irritation der Leute, die darüber berichten bzw. einen Statusbericht geben sollten. Was in den Magazinen gefeiert und dem Mainstream einst trotzig als Underground entgegengehalten wurde, schien nun weltfremd, lediglich noch einer krude-elitären Clique als Genre-Maßstab zu taugen; ein neuer Konsens war hingegen nicht absehbar, hatten die Redaktionen für den Mainstream doch so wenig übrig wie dieser sie zwecks Vermarktung noch brauchte. Zu spüren war diese Nervosität unter anderem auch in der Berichterstattung über Dölls eben lang ersehntes Debüt "Nie oder Jetzt", das im Grunde ein im Moment des Erscheinens schon mit Staub lasierter Klassiker ist, gerade weil die Produktion nicht einem alten Boom Bap auf den Leim geht. Es ist dennoch Rap-Musik in irgendeinem alten Sinn, die mit Samples und Druck von einem Leben erzählt, in dem Dinge schief gelaufen sind. Das ist mit Bedacht verfasst und wirkt auch schon ein bisschen großmeisterlich, ist es aber halt auch irgendwie.
20. Big Thief/U.F.O.F.
Es ist und bleibt das unwahrscheinliche Konsens-Album des Jahres, trotz aller Konkurrenz von links und rechts, und sei es nur, weil es die nach einhellig euphorischen Reviews hochgekochten Erwartungen geduldig in Fluffigkeit bettete und nur ab und an schaumschlug. "Jenni" sticht in dieser Disziplin hervor, eine schockgefrostete Flaumhymne, in der Adrienne Lenker spätestens voll zur Geltung kommen darf. Sie bauscht jeden noch so behäbigen Song der Hippe-Slacker-Kombo zum Schauerstück auf und findet darin zu einer Versponnenheit, die um die Rede vom Freak Folk kommt, weil Big Thief hier so beiläufig, so ziellos agieren, dass von etwas energetischem wie einem Revival zu sprechen vollends an der Sache vorbei ginge.
19. Lingua Ignota/Caligula
Schwer zu bezifferen, schwer zu bezeichnen, denn: Lingua Ignota greift auf "Caligula" umstandslos auf erlebte Traumata zu und rückt sie uns trotz aller Theatralik so nah, dass wir gar nicht wissen, wohin mit uns und eben dieser Musik. Aus Verzweiflung nannten Leute das Metal und trauten sich nur hinter vorgehaltener Hand, von etwaigen Längen zu sprechen, wohlwissend auch, das dieses Album hinter derartigen Kategorien agierte, gar nichts von Hits und Melodien und Wucht wissen wollte, sondern direkt in ein jenseits von Industrial, von Harter-Jungs-Attitüde und klassizistischem Nihilismus zielte. Wie gesagt, schwer, das alles. Aber damit nicht allein 2019 und ganz generell gute Musik zur Zeit.
18. Blood Incantation/Hidden History Of The Human Race
Auf dem Papier sieht "Hidden History Of The Human Race" wie ein Gag aus, weswegen am Ende des Jahres doch auch manche seufzend abwinkten: Klar, solider Prog-Death-Metal, aber irgendwie auch peinlich und als Konsensalbum dann doch ein wenig zu wenig wollend, um wirklich alle überzeugen zu können. In der Tat sind Blood Incantation nicht angetreten, eine Bewegung zu starten, dafür handelt aber immerhin ihr gesamtes Album davon, von A nach B zu kommen. Prog ist hier auch mal komplexes Poltern, vor allem aber Fortschritt im Songwriting, nicht im Kreis laufen, sondern immer weiter, dabei Slayer nutzen, psychedelisches Schwelgen wagen und am Ende doch alles kaputt hauen mit dem Totschläger-Genre Death Metal.
17. Chromatics/Closer To Grey
Erst schien es, als hätten die Chromatics gerade noch zur rechten Zeit ihr Versprechen eingelöst und das Album geliefert, nach dem alle seit "Kill For Love" gedürstet hatten. "Closer To Grey" war aber nicht nur dem Namen nach nicht "Dear Tommy", sondern auch musikalisch nicht als die Großtat angelegt, die viele sich nach der endlosen Wartezeit ausgemalt hatten. Ähnlich wie der zwischenzeitlich von der Band entfesselte, endlose Strom an Singles brilliert aber auch "Closer To Grey" als retromanisches Stickeralbum, das seine Kraft gerade aus dem Staffellauf zwischen aufgeschäumter Italo Disco, Camp-bewusstem Horrorfilm-Soundtrack und Familienfilm-Kitsch zieht und im Grunde bereits gewinnt, als es Disturbed den ohnehin Klischee gewordenen "Sound of Silence" aus den Krallen reißt. Es ist eine souveräne Lust am Experiment, die sich nicht in euphorischen Reviews und blitzartigen Hypes messen lassen mag, aber ein nachhaltig auf Kuscheltemperatur runtergekühltes Reservoir bietet.
16. Diiv/Deceiver
Diiv hören glich auch 2019 wieder dem Gefühl, zwei sich gegenüberliegende Fenster zu öffnen und den Luftzug als milde Urgewalt wirken zu lassen. Im Gegensatz zum kräftezehrenden Starschnitt-Gesamtkunstwerk-Irrsinn "Is The Is Are" vermittelte "Deceiver" jedoch das Gefühl eines aufgewühlten Runterkommens; die Gitarren wirbeln noch, allerdings in einer strikteren Struktur, begünstigt durch apathischen Gesang und trockenes Schlagzeug. Selbst wenn kurz mal die Tür knallt, wie in der Himmelfahrt "The Spark" oder dem Drama von "Blankenship", reißt der Zug doch nie ab, das nihilistisch-melodische Indierock Anti-Spektakel nimmt nie die Hände aus den Taschen und gewinnt damit, klar.
15. Peter Doherty & The Puta Madres/Peter Doherty & The Puta Madres
Was soll zu Pete Doherty im Jahr 2020 noch geschrieben werden, um irgendwen zu überzeugen? Der frühe Pop-Heldentod hat sich spätestens mit der Libertines-Reunion erledigt, nun bewegt sich der likely lad in Richtung Spätwerk, und wer am Schluss schon bei den Babyshambles nicht mehr wollte, wird sich wohl kaum von den Geräuschen überzeugen lassen, die Doherty weintrunken an südfranzösischen Stränden erzeugt. Für alle anderen ist der Zusammenschluss mit The Puta Madre hingegen ein Glücksgriff, in dessen Rahmen Doherty die melodieselige Kaputtgeklopptheit gefährlich Richtung Schnulze zieht, als Gruselkulisse nutzt oder einfach mit der Nase im Sand landet.
14. Rico Nasty & Kenny Beats/Anger Management
Auch aus anderen Genres sind sie bekannt, die seltenen, glücklichen Momente, in denen Performende und Produzierende sich genau dort treffen, wo sie einander gebraucht haben, ohne, dass es wer so richtig benennen konnte - aber im HipHop sind sie oft besonders fruchtbar, besonders markant. "Anger Management" ist das poröse, nervöse, aufgepumpte Ergebnis des Zusammentreffens von Rico Nasty und Kenny Beats, als gerade irgendwie Konsens war, Nasty könne nicht mehr gefährlicher klingen. Nun explodiert alles unter ihr, die Regler stehen auf dreidutzend, die Referenzen zerbersten, Bässe und Drums sind bloß noch Karikaturen, und Nasty scheitert daran freilich nicht, sondern kann erst wirklich zeigen, wozu sie in der Lage ist.
13. Matana Roberts/Coin Coin Chapter Four: Memphis
Matana Roberts unter dem Namen "Coin Coin" firmierende, auf zwölf Kapitel ausgelegte Spurensuche in der eigenen blutigen Familiengeschichte ist eines der ambitionierteren, aber auch wichtigsten und nicht zuletzt spannendsten Projekte der jüngeren Musikgeschichte. Der Reiz besteht neben der Qualität vor allem darin, dass Roberts die Reihe unaufgeregt und unvorhersehbar verfolgt, wodurch auch vollkommen undurchsichtig ist, ob das Projekt je wirklich zum Abschluss kommt. Teil vier lässt in jedem Fall hoffen, begibt sie sich hier doch wieder ca. auf jene Pfade, die der Erstling eröffnet hatte, was aber vor allem heißt, dass alles wild durcheinander geht, Erinnerungen, Instrumente, Jazz, Spoken Word, Ambient, Texturen auf links gezogen, Anekdoten über Distanz zugerufen werden. Auch das freilich Musik zur Zeit, nur seit gut zehn Jahren schon.
12. Otoboke Beaver/Itekoma Hits
Riot-Power-Pop-Punk aus Japan; egal aber auch, wichtig nur, dass kaum jemand Gitarrenmusik 2019 feuriger spielte als Otoboke Beaver. Atemlos hauen sie uns Refrains um die Ohren, poltern durch Songs mit wirren Vibes aus frühster Rockmusik, aber mit einer Dringlichkeit, die so eben nur im Moment zu erzeugen ist, und obendrein: Knallen wie im Hardcore, schiefe Refrains wie in Weirdo-Pop und Riffs, für die die Arctic Monkeys 2005 ihren Myspace-Account versetzt hätten.
11. Billie Eilish/When We All Fall Asleep Where Do We Go?
"When We All Fall Asleep Where Do We Go?" musste einiges aushalten, die durch Leftfield-Ästhetik geweckten Erwartungen, die präzise Wucht von "Bad Guy" und ganz schlicht freilich den mehr und mehr grassierenden Hype, der im Grunde ja gar nix gut tut was sich ein bisschen Mühe gibt, nicht wirklich alle abholen zu wollen. Und ja, erst wirkte manches ein bisschen fad, bis sich die Platte schließlich gerade aus ihrer Gefälligkeit heraus erschloss: "Xanny" bröckelt in den Tee, "You Should See Me In A Crown" japst, "Goodbye" kippt ins Wabern, "Bury A Friend" wurde schon an anderer Stelle auf ein Podest gehoben, und am Ende fächert sich Eilish so weit auf wie es geht, ohne den grundlegenden, somnambulen Pop-Goth zu verraten.
10. Petrol Girls/Cut & Stitch
"Cut & Stitch" lässt nicht locker. Der Opener "The Sound" ist ein knurrendes Biest, und heimlich freut man sich schon auf 40 Minuten Keifen und Treten, doch Petrol Girls leisten mehr, hangeln sich von Sound zu Sound, vage verzahnt, aber stets beweglich. Hardcore lehnt sich hier zurück und erzählt, wagt auch mal einen Refrain wie in "Big Mouth" und rüttelt sich immer wieder mit Breaks und Interludes durch, nur um sicher zu gehen. Ren Aldrige beweist oben auf eine Persönlichkeit, die ganze Bands füllen kann, und doch stemmt sie dieses Album nicht alleine, lässt sich vom Rest der Band auffangen, ohnehin: das Kollektiv durch sich sprechen. Man könnte die Sache auch anders angehen und sagen, dass "Cut & Stitch" ein wichtiges Album ist, und auch das wäre irgendwie richtig, klar! Aber die Inhalte, die Attitüde, all das zahlt ja gerade auf diesen ersten Eindruck ein, der hier eine stets aufs Neue euphorisierende und auch fordernde Platte repräsentiert.
9. 100 Gecs/1000 Gecs
Über “1000 Gecs” zu schreiben, ohne dabei über die 10er Jahre nachzudenken, verlangt eine nahezu übermenschliche Willensstärke, zu massiv lässt das Duo hier Sounds und Stile aufeinanderknallen, die wiederum selbst in den vergangenen zehn Jahren damit beschäftigt waren, Sounds und Stile aufeinander knallen zu lassen. Im über allem schwebenden Zucker erinnert das an Sleigh Bells, in der Aufstellung ohnehin an Duos, von denen wir hier schweigen wollen, die hier aber ohnehin aufgelöst sind in einer Art unentschlüsselbarer Hyperpräsenz. Anders: Das Debüt von 100 Gecs macht Kopfschmerzen und viel Spaß. Den Schmiss von PC Music muss man dabei ebenso aushalten wie die Drops von Skrillex und auch sowas wie die Excrementory Grindfuckers, aber halt in FunFunFun!!!
8. Ebow/K4L
Lange musste ich nicht mehr so kurz überlegen, hätte man mich nach meinem liebsten Rap-Album des Jahres gefragt. Und tatsächlich erwischte mich Ebow erstmal über die Ästhetik - den Namen kannte ich, den Diskurs irgendwie auch, aber wie locker der Titeltrack vorab durch Spotify zuckte, jene Alchemie vollbrachte, Strukturen zu bedienen und vollkommen egal erscheinen zu lassen, alles in einen Fluss zu bringen, das war und ist schlicht beeindruckend. Der Rest der Platte beißt da schon ein bisschen mehr, will manchmal aber auch einfach die blöde Drogenfresse aufsetzen, sich im Club zuknallen und all das zu einem irgendwie bedrückenden Abgesang machen, zu dem dann auch die identitätspolitischen Einsichten zählen. "K4L", das ist ausreichend dokumentiert worden, kann beim Hören auch ein ganz verschiedentliches Unbehagen auslösen, aber keines, das mit einem schlichten Grusel zu verwechseln ist - sondern eines, das belastet.
7. Xiu Xiu/Girl With A Basket Of Fruit
Heimlich kann ich es ja mal sagen: Xiu Xiu haben sich anscheinend einen Rhythmus ausgedacht, nach dem ein Album Spaß machen darf, während das nächste dann wieder komplett schlauchen muss. Das ist so wohl nicht ganz haltbar, aber wichtig ist ja vor allem, dass "Girl With A Basket Of Fruit" so weh tut, dass es mal wieder an den Rand der Karikatur geht. Genau dort sitzt Stewart aber am besten, wirft Kürbisse auf Mama und Papa, steigert den Titel zum unverständlichen Mantra, beschwört die Geister des Rassismus und all das so, dass ein Lachen im Halse stecken bleibt. Die Kritik war tendenziell ratlos, und doch wirkte das elfte Xiu-Xiu-Album, was auch immer man genau darunter zählt, weniger überzeichnet als "Angel Guts: Red Classroom", teils fast schamanisch, in jedem Fall - beängstigend. Und auch hier wieder nicht auf die Halloween-Art, trotz Kürbis.
6. Pijn & Conjurer/"Curse These Metal Hands"
Hören will man sie ja eigentlich nicht mehr, all die Bands die gut zehn Jahre zu spät noch immer darüber staunen, wie schön John Baizleys Melodien, wie ruchlos Kylesas Gepolter und wie bodenlos Mastodon den behäbig brodelnden Sludge neu gedacht haben. Was mal als neuer Metal gedacht war, hat sich in einen traurigen Haufen verwandelt, der aus Sumpfleichen Götzen macht. Umso erhebender war das Gefühl, als die beiden eigentlich ebenfalls eher tristen Label-Kollegen (dazu vielleicht in einem gar nicht mehr fernen, anderen Jahresrückblick mehr) Pijn und Conjurer gemeinsam die Vorhänge aufzogen und schauten, was aus den alten Ideen noch zu holen war. Mit Fokus, Sonnenschein und Gemeinschaftlichkeit, alles im Metal überhaupt gerne mal unter den Teppich gekehrt, gelang es ""Curse These Metal Hands"" zwar auch zu wirbeln und zu dehnen, aber ebenso abends am Feuer zu sitzen, nachdem alle über die Wiesen getollt sind und noch Batzen Dreck hinter den Ohren haben, in die nun die alten Geschichten rauschen.
5. Black Midi/Schlagenheim
Klar, sie sind eine klassische Band, zu der Brillen nach vorne geschoben werden, die erst anerkennende Facebook-Empfehlungen und dann besserwissende YouTube-Kommentare provozieren: Ohmeingottwennihrdasproggyfindetdanntestetmalwiediesesuperunbekanntebandtaktebrechenkann. Ja, das hätte seine Berechtigung, wenn Black Midi so staunen machten, doch hier läuft die Sache anders, und zwar mit Abfahrten, die allein mit krummen Takten nicht zu machen sind, mit Stimmen, die sich immer wieder ändern, so dass ich nach einer Featureliste suche, die es nicht gibt (oder?), während die Band so dicht zusammenhält, dass man eigentlich keine Angst haben muss, dass gleich alles ausleiert, ich mich aber trotzdem fürchte. Vages Deuten auf die Battles und ja, "Schlagenheim" hat Vorbilder, keine Frage. Aber es ist auch eine fiebrige Platte, eine streberhafte, aber keine verkrampfte Angelegenheit. Wie ein Haufen Musikschüler, die zum ersten Mal Nina Simone oder Can gehört haben und sich jetzt die Ärmel hochkrempeln.
4. Kim Gordon/No Home Record
Als die ersten Rezensionen eintrudelten, unkte es gleich wieder, in öffentlichen Gegenreaktionen und in mir, und irgendwo hat das ja auch eine Richtigkeit, denn Leute wie Kim Gordon können es nicht leicht haben, das ist ein Pop-Gesetz. Und es ist das Privileg nicht von Leuten wie, sondern in diesem Fall ganz konkret von Kim Gordon, mit diesen Gesetzen für ihr spätes Solo-Debüt einfach die Krachmaschinen poliert zu haben. Wie bei so vielen kreativen Doppelspitzen (worüber sich in einer Band mit Shelley und Ranaldo sicher streiten lässt, aber hier beugen wir uns mal den Pop-Phrasen und denken laut an Lennon/McCartney, Hetfield/Ulrich und Urlaub/Felsenheimer, während wir stumm Harrison, Hammett und González gedenken) schienen auch Thurston Moore und Kim Gordon nach dem Ende von Sonic Youth ihrer jeweiligen Kompetenz ohne Gegenpart ein wenig erlegen, weswegen Moore in eher klassischen Rock und Gordon als Teil von Body/Head in wohligen Krach driftete. Auch auf "No Home Record" lauert der Krach stets im Unterholz, nicht als drohende Schelle, sondern guter Kompagnon, der sich an den mal wummernden, mal versponnen und manchmal dann doch auch rockenden Songs reibt. Die wirkliche Magie liegt aber darin, wie sich die Platte von Songs zu Song häutet, Trap und Berliner Clubmusik und Garagenrock aufführt, ohne auszufasern, nicht zuletzt zusammengehalten von Gordons murmelnder Präsenz selbst.
3. Liturgy/H.A.Q.Q.
Erstmal war das neue Liturgy-Album Quatsch, weil die Geschichte der Band mit dem Abdriften in absonderliche, glitchy Electronica zu Ende erzählt schien. Black Metal hatte eh nie Bock auf die Manifeste, die Gitarren aus der Taschenrechnerhölle und Hunter Hunt-Hendrix Attitüde, also irgendwie konseqeunt, mit dem Soloprojekt Kel Valhall in die digitale Abstraktion zu gehen. "H.A.Q.Q." sitzt negativ gesprochen zwischen "Aesthetica" und "The Ark Work", drischt aber schon im überladenen Opener "Hajj" so entschlossen durch die eigene Überladung, die eigenen Referenzen hindurch, dass am Ende nur noch wirres Flöten über sachtem Klavier bleibt. Später kommt noch eine Art kaputtgerechnetes Cembalo dazu, eine Harfe, eine Art Quetschkommode und auch das alte Glockenspiel-Wirr-Warr, doch durchzogen eben immer wieder von Black Metal, der in den letzten zehn Jahren doch keinen Moment hingekriegt hat wie die Eröffnung von "Virginity" und der sowieso auch ohne das joggingbehoste Dribbeln von Greg Fox hier unangefochten vorgeführt wird, in Stücken jenseits von Gut (= Riffs) und Böse (= Ambientspielerei), wie ein alter Black Metal Freund es einst so treffend formulierte. Vor ein paar Jahren waren Liturgy eine dieser interessanten Neuerungen, heute sind sie ein Klassiker des Genres.
2. FKA Twigs/Magdalene
Ich wäre FKA Twigs nicht böse gewesen, hätte sie Dramaturgie ihrer Karriere auf dem Stand von 2015 belassen: Mit einigen starken EPs aufschlagen, ein (nahezu) perfektes Album liefern, dann mit einer durchkonzipierten EP die eigenen Möglichkeiten einmal konzentriert durchspielen und schließlich größtenteils versinken. Die Gründe für dieses Abtauchen dürfen hier im Dunkeln ruhen, denn "Magdalene" funktioniert auch ohne dieses (sonst immer willkommene) boulevardeske Raunen. Die Perfektion des Debüts lässt Twigs einfach liegen, kommt schon mit dem Opener "Thousand Eyes" nicht in die Gänge, der in Stimmen verharrt, mittelalterlich anmutet, sich zerfurcht, und zerfurcht trifft im Grunde auch den Rest, wo zwischendrin mal mit Future durchs Treppenhaus gestolpert und das wunderschöne "Sad Day" von einem dieser klobigen Synth-Sounds angeschossen wird, bis am Ende in "Cellophane" alles zur Ruhe kommen darf. Wo das Debüt von der behutsamen Variation einer Formel gezeichnet war, ist Twigs nun als Künstlerin noch immer erkennbar, hat sich aber eine neue Beweglichkeit erspielt, die nur mit ein bisschen Dreck zu haben ist. "Magdalene" hat es sich genau dort nicht minder perfekt eingerichtet.
1. Ariana Grande/thank u, next
Es war einer der quatschigeren Momente auf Ariana Grandes fünftem Soloalbum, der mich an ihm kleben ließ. Reingehört hatte ich im RB50, unterwegs nach Dortmund, ein bisschen aus Chronistenpflicht, ein bisschen, weil es leichte Unterhaltung nach einem Tag versprach (ich weiß nicht mehr, wie der Tag war, aber vermutlich irgendwie hart). Der Anfang rutschte irgendwie so durch, doch dann war da ein Sample, gefolgt von ein paar Trompeten-Stöße über Trap-Drums, und all das erinnerte mich an sowas wie "Tequilla", aber vollkommen ohne Scham. Es war das Lied "Bloodline", das nicht nur Peinliches zitierte, sondern eben diese seltene Art von Song war, der maximale Eingängigkeit versprüht, nichts Widerständiges an sich hat, und doch direkt in den Bann schlägt, nicht loslässt. Es war alles so rund und doch eben nicht mit einem Hören auserzählt, auch wegen Grandes Performance, die mit einer Leichtigkeit die Vorlagen des Beats zu nehmen schien, dass es eine helle Freude war. Von da aus hat sich der Rest entwickelt, Song für Song, und im Wesentlichen ist ja alles geschrieben worden, über Grandes Talent ebenso wie Blackfishing, über Materialismus und Emanzipation, über depperte Vorwürfe Mac Miller betreffend und die Zeilen, die den Gossip kontern oder befeuern, je nachdem, wie viel Macht man der Platte zugesteht. Es ist aber eben noch nicht geschrieben worden, dass ich mir schon lange nicht mehr bei einem Album so früh im Jahr so sicher war, dass es am Ende diesen ersten Platz ergattern würde ob der schlichten Größe, die "thank you, next" noch in den wackligeren Momenten verströmt. "Ghostin" ist so seicht, dass es fast gespenstisch ist, "7 Rings" hat auch wieder so eine blöde Referenz und klammert sich an Trap, fängt das Album nach dem stolpernden "In My Head" aber genau zur rechten Zeit wieder ein, "Needy" ist mit den Scheibenwischersynths sowieso nach der großen Disney-Eröffnung "Imagine" die bestmögliche Weiterführung eines Albums, das sich seiner so sicher ist, dass "Break Up With Your Boyfriend, I'm Bored" am Ende alles einfach wegwischen kann, und wenn wieder Leute von heute fehlenden Klassikern reden, von der Unmöglichkeit einer Karriere und sich atomisierendem Pop, dann möchte ich diesen Leuten dieses Album ins Gesicht reiben, es wahlweise aber auch einfach mit all den Leuten genießen, die ganz meiner Meinung sind, denn alles hat seine Richtigkeit, vor allem aber eben dies: Ariana Grande hat mit ihrem fünften Album ein Meisterwerk aufgenommen. Danke, bis demnächst.
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Text
Liste: Die 25 besten Lieder 2017
25. Me And That Man/My Church Is Black
Erstmal begab man sich natürlich in Abwehrhaltung: Jetzt macht mit Nergal der nächste Typ aus dem erweiterten Extreme-Metal-Spektrum Singer/Songwriter Musik, wie prätentiös, wie durchgekaut, wie uninspiriert! Doch so wenig revolutionär der Schritt war und so klar sich mit Leuten wie Nick Cave oder dem späten Johnny Cash die Vorbilder von Me And That Man benennen ließen, so verführerisch wirkte vor allem die samtig-satanistische erste Single “My Church Is Black”.
24. Vic Mensa/Rolling Like A Stoner
Kaum ein potentieller Hype verhallte im US-Hip-Hop so kläglich wie Vic Mensas Debüt-Album, das von einem Instant-Klassiker tatsächlich weit entfernt war, aber durch eben jene Heterogenität bestach, die Mensas Karriere bisher ohnehin auszeichnete. Zudem gab es neben manch egalem Track auch pointiert-kitschige Momente der Reflexion zu entdecken, wie das zu Unrecht als käsig verunglimpfte “Rolling Like A Stoner”.
23. Zola Jesus/Soak
Nach ihrem halb missglückten Mute-Debüt “Taiga” vor drei Jahren schien es durchaus denkbar, dass Zola Jesus einfach in den Untiefen der Pop-Geschichte verschwinden würde; stattdessen entschied sie sich dafür, einen Schritt zurückzutreten und den neuen, deutlich melodischeren Ansatz zwar nicht zu verwerfen, ihn jedoch wieder mit alter Destruktion aufzuladen und damit zu desolaten Hymnen wie der Mordopfer-Ballade “Soak” zu gelangen.
22. Hayiti/White Girl Mit Luger
Schön, dass Hayiti sich 2017 dafür entschied, ihr Momentum nicht gleich in einem Major-Debüt einzufrieren, sondern zunächst noch ein paar bewegliche EPs und Mixtapes rauszuhauen. Persönlicher Höhepunkt war die hittige Billo-Ästhetik, die “White Girl Mit Luger” nach dem emotionalen “Jango” fuhr und im Titeltrack wunderbar zwischen Gangsterpose und Cloudrapbanalität changierte.
21. Love A/Nichts ist leicht
Die besten Momente in der bisherigen Karriere von Love A hatten nicht selten mit Überforderung und Erschöpfung zu tun, Gefühle, die sie mit der Single “Nichts ist leicht” ziemlich deutlich auf den Punkt gebracht haben. Die Musik ist trist-treibender Post-Punk, die Lyrics berichten aus der zwischenmenschlichen Sackgasse und Mechenbiers Performance ist passend dazu halb verzweifelt, halb resigniert.
20. Yung Hurn/Ok cool
Wer auch immer Yung Hurn und Stickle zusammengebracht hat: Danke!
19. (Sandy) Alex G/Bobby
So sehr (Sandy) Alex G sich in diesem Jahr als Trickster versuchte, ganz ablegen wollte er bei allem Krach und der Zirkushaftigkeit mancher Songs auf “Rocket” seine folkigen Befindlichkeiten nicht. Mit “Bobby” trieb er diese sogar auf die Spitze, mitsamt Fidel und dem Versprechen, ein besserer Mensch zu werden - Letzteres aber natürlich nicht, ohne die Lyrics auch mal ins Leere laufen zu lassen und ein krudes, titelgebendes Alter Ego als Stellvertreter für schlechte Eigenschaften zu erfinden.
18. Yaeji/Passionfruit
Nahezu aus dem Nichts tauchte Yaeji 2017 auf und schickte sich an, die Debatten um Cloud und Hipstertum im Hip Hop endgültig abzuschaffen. Ihre beiden EPs hatten etliche Hits zu bieten, aber beeindruckendsten war dann doch, wie sie sich Drakes größte Single des Jahres unter die Nägel riss und zeigte, wie die Fusion elektronischer Elementer, Rap-Ästhetik und Pop noch leichthändiger herbeigeführt werden kann. Nebenbei ein guter Beitrag zur Debatte darum, dass Hip Hop nicht nur immer stärker in den Pop-Bereich dringt, sondern der Weg auch in die andere Richtung läuft.
17. Queens Of The Stone Age/Feet Don't Fail Me
Josh Homme war einer der Typen, die einem schon immer irgendwie suspekt waren, was man aber halb glorifizierend, halb ignorierend hinnahm, nur damit einem Ende 2017 die ganze angestaute Galle hochkommen konnte, gerade weil einige Grinseknilche sich genötigt sahen, seine jüngsten Ausschreitungen als endgültigen Beleg dafür zu nehmen, dass der Typ sich halt unter keine PC-Knute stellen lassen will. Nein, auf der Bühne einfach mal um sich zu treten ist nicht diffus-sexy-edgy, sondern einfach scheiße (genauso wie das Rumhängen mit Jesse Hughes, übrigens).
Nichtsdestotrotz gelang es den Queens in diesem Jahr, sich erneut zu häuten und dabei vielleicht kein Meisterwerk, aber einige sehr ordentliche Stücke auf die Beine zu stellen, etwa die wundervolle Tanzbarkeitsfusion von Funk und Desert Rock namens “Feet Don’t Fail Me”.
16. Vince Staples feat. Kendrick Lamar/Yeah Right
Viel kaputter war potentiell mainstreamiger Hip Hop 2017 selten: Vince Staples und Kendrick Lamar bewegen sich für “Yeah Right” auf einem sehr wackeligen Elektrobeat und der Reiz besteht gerade darin, wie unterschiedlich beide die Herausforderung meistern: Staples mit klassischer Stoik, Lamar eher hysterisch-durchgedreht, beide vollkommen überzeugend. Technisch wie musikalisch herausragend.
15. Charli XCX/Boys
Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Wie kann ein Song funktionieren, dessen Protagonistin über Minuten hinweg selbstvergessen Jungs anschmachtet, zu einem süßlichen, mit Nintendogeräuschen aufgeladenen Beat auch noch? Wie kann dieser süßliche Klischeehaufen einer der stabilsten Hits des Jahres werden?
14. St. Vincent/Pills
St. Vincent nahm auf ihrem aktuellen Album (je nach Lesart) sowohl private Emotionen als auch gesellschaftliche Missstände in den Blick; beides kreuzte sich auf "Pills", das eine Art Korrektiv zur allgegenwärtigen Pillenpopperei im Pop darstellte, inklusive bangendem Beat, Gitarrenfinale und Cara Delevigne Feature.
13. Ahzumjot/Luft & Liebe
Zu Ahzumjots dritter Karriere-Phase nach Geheimtippstatus und Majorlabelversuchen muss eigentlich nicht mehr viel gesagt werden, ein derart unerwartetes Revival in allen Belangen hat kaum ein anderer deutschsprachiger Rapper in den letzten Jahren hingelegt. Was dabei nicht vergessen weren darf: Ahzumjot liefert neben allen geschäftlichen Hakenschlägen auch die beste Musik seiner Karriere ab, nachzuhören etwa im träumerischen Titeltrack seines im März erschienenen Mixtapes “Luft & Liebe”.
12. Bodycount/No Lives Matter
Ganz einstimmen wollte ich nicht in die euphorischen Rufe zum Bodycount-Comeback, aber klar: Dass Ice-T sich überhaupt nochmal zusammenreißt und mitsamt Band mehr als ein nettes Guilty-Pleasure hinkriegt, glich einer kleinen Sensation. Dass dann mit dem düsteren “No Lives Matter” auch noch ein Song dabei rauskam, der sich dringlich gesellschaftlichen Problemen annahm, während nebenan Mitglieder von Cypress Hill (!), Public Enemy (!!) und Rage Against The Machine (!!!) nicht mal einen wirklich ordentlichen Song auf die Beine stellen konnten, machte den großen Crossover-Moment 2017 perfekt.
11. Fever Ray/IDK About You
Fever Ray hatte mit ihrem zweiten Album offensichtlich Lust, potentielle Hörer und Freunde des wohligen Debüts zu verstören - erfreulicherweise jedoch nicht um den Preis hörenswerten Materials und verschrobener, aber deutlicher Hits, von denen der größte wohl der überdrehte, auf das Nötigste heruntergebrochene Flirt "IDK About You" war.
10. Alice Glass/Forgiveness
An dieser Stelle soll auf das Ausbreiten unschöner Rockgeschäftsgeschichten verzichtet werden, aber ein bisschen erfreulich war es ja doch, wie gut sich Alice Glass auch abseits von Crystal Castles mit ihrer Debüt-EP machte. Der Sound ist nicht komplett neu, knallt jedoch gerade im Fall des clubbigen “Forgiveness” ein Stück feister als gewohnt, zudem mit erstaunlich selbstermächtigenden Lyrics.
9. Lil Uzi Vert/XO Tour Lif3
Lassen wir den Begriff Emorap hier vielleicht einfach kurz fallen, verweisen darauf, wie gut “XO Tour Lif3″ als Mall-Emo-Pop-Punk-Cover funktioniert, erinnern mahnend an den Text, den ich diesbezüglich für die aktuelle Juice schreiben durfte, und gehen über zu Lil Uzi Vert, der im vorligenden Song nicht nur penetrante Melodien kreiert, sondern auch einen wunderbaren Spagat zwischen diffuser Todessehnsucht und einer emotionalen Vorläufigkeit, die bereits der austauschbare Titel andeutet, hinlegt.
8. Zugezogen Maskulin/Nachtbus
Selten gelang es den beiden Spitzbuben Testo und Grim 104, das für so viele ihrer Texte grundlegende Spannungsverhältnis zwischen ekelhaft hipper Stadt und widerlich konservativem Dorf derart auf den Punkt zu bringen, wie im zwischen Blödelei und Geboller changierenden “Nachtbus”. All die Wut, die “Alle gegen alle” zu einem der herausragenden Deutschrap-Alben 2017 machte, erhielt in diesem Track ihre ausweglose Zuspitzung, mit einigen der besten Lines der gesamten Platte.
7. Calvin Harris feat. Frank Ocean & Migos/Slide
Stabilen Radio-Phänomenen gegenüber bin ich nicht grundsätzlich abgeneigt, doch als vor ungefähr sieben Jahren die große EDM-Welle alles unter sich begrub, wurden finstere Ibiza-Schergen wie David Guetta, Avicii oder eben Calvin Harris zu klaren, leichten und fast immer gerechten Feindbildern. Umso erstaunlicher, wie geschmeidig sich Letzterer im vergangenen Jahr an potentiell schmieriger Popmusik versuchte und Migos nicht nur einen der besten Auftritte des Jahres verschaffte, sondern Frank Ocean mal wieder eine Bühne gab, um sich abseits eines exzentrischen Kunstprojekts zu präsentieren.
6. Chelsea Wolfe/16 Psyche
Von Beginn an ist Chelsea Wolfe gern gesehener Gast in den Jahresendabrechnungen dieses Blogs, doch selten hatte sie eine Single des Kalibers von “16 Psyche” vorzuweisen, um auch abseits des Albumformats überzeugen zu können. Dreckig, mit funktionierender Laut/Leise-Dynamik und einem wahrhaft einprägsamen, mahlenden Refrain ausgestattet widmete sich Wolfe den Dämonen ihrer Jugend und schaffte damit einen der besten Rocksongs des Jahres.
5. Sorority Noise/No Halo
"No Halo" vereint vieles, was ich 2017 nicht unbedingt hören wollte: Postrock im Allgemeinen, Bands aus dem erweiterten Punksektor, die sich an Postrock versuchen im Speziellen und überhaupt übertrieben hymnische Refrains, vorgetragen von bärtigen Typen. Tatsächlich gelang es den guten Leuten von Sorority Noise jedoch, all diese Bestandteil zu einem ebenso schwungvollen wie tieftraurigen Song zu verschränken, der als perfekter Opener für das nicht minder berührende “You’re Not As _____ As You Think” fungierte.
4. BSMG/Geschichtsunterricht
Politik und Rap: Zwei Sachen, die immer mal wieder miteinander wollen, aber nur selten so richtig gut miteinander können. Zu groß ist die Gefahr, sich irgendwo unterwegs ideologisch zu verheddern, hüftsteif zu werden oder ganz einfach Themen in 16 Bars erklären zu wollen, die sich in 16 Jahren nicht erschöpfen lassen. Dennoch gelangen im vergangenen Jahr einige dieser empfindlichen Überschneidungen, von denen die detaillierteste, versierteste und berührendste womöglich “Geschichtsunterricht” war, ein postkolonial gefärbtes Update zur Lage der afrodeutschen community, aufgedröselt von Megaloh, Musa, Amewu und Chima Ede. Der - von mir in der Juice tragischerweise falsch geschriebene! - Titel hält sein Versprechen: Hier gibt sich niemand Mühe, irgendwas in Richtung Hit zu biegen, hier wird doziert. Und genau das ist, gerade mit Blick auf Teile der umliegenden Szene, bitter nötig.
3. Casper/Alles ist erleuchtet
Zu Casper fanden sich 2017 einige Meinungen, von denen noch in der Liste der Alben des Jahres zu schreiben sein wird: Dass es ihm jedoch gelang, endlich diesen großen Breitwand-Rap-Song zu liefern, den er seit Jahren anpeilt, darauf lasse ich keine zweite Meinung kommen. “Alles ist erleuchtet” hatte den dicken Refrain, die Gitarren, den Beat, den Flow, den Inhalt, das Lil-B-Outro, kurz: Alles, was es zum die Massen vereinenden Song braucht, ohne in Belanglosigkeit abzusaufen.
2. The xx/Performance
“I See You” ist eines der wenigen Alben, bei denen sich leicht nachvollziehen lässt, welche künstlerischen Gründe dazu geführt haben, dass seine Entstehung fünf Jahre in Anspruch nahm: The xx befanden sich spätestens nach “Coexist” in ihrem eigenen, heimtückisch gewordenen Minimalismus gefangen, aus dem kein vernünftiger Weg zu führen schien. Über den Umweg verschiedenster Studios weltweit ebenso wie eines Jamie-xx-Soloalbums bastelten sie vorsichtig an Alternativen ohne ihren Klang dabei komplett zu verraten, was im Endergebnis zu einigen Hits und vor allem dem großartig-intimen Romy-Solosong “Performance” führte, der selbstreflexiv alte Beziehungsbefindlichkeiten mit neuer stimmlicher Sicherheit an den Tisch bringt.
1. Lorde/Green Light
Mit Minimalismus zu kämpfen hatte auch Lorde, die 2013 aus unterschiedlichen Gründen (Alter, Sound, Auftreten) durch die Medien gereicht wurde und einen Hype erlebte, der sich nur schwer mit einem zweiten Album zurückzahlen lässt. Auch hier wurde lange gebastelt um schließlich zu einem Pop-Sound zu finden, der zwar vielfältiger als bislang, aber noch immer leicht neben dem Mainstream agiert, was gerade im Fall der ersten Single “Green Light” so hervorragend funktioniert, dass Reißbrett-Produzent Max Martin sich genötigt sah, den Song in einem Interview des “incorrect songwriting” zu bezichtigen. Genau dieses Inkorrekte, der unvermittelte Start, die krude Bridge ebenso wie der triumphale und doch zurückhaltende Refrain waren es jedoch, die das simple Trennungsthema der Lyrics über jeglichen Zweifel erhoben und “Green Light” zum besten Song des Jahres wachsen ließen.
Leider kommt auch diese Platzierung nicht ohne den Verweis darauf aus, dass Lorde gegen Ende des Jahres einen für 2018 angekündigten Gig in Tel Aviv vor dem Hintergrund des aktuellen Kultur-Boykotts Israels absagte; ein vollmundig angekündigter Schritt, der die zumindest latent antisemitische BDS-Kampagne unterstützt und spätestens einen bitteren Beigeschmack erhält, blickt man auf Lordes sonstigen Tourplan (Stichwort: Russland).
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Liste: Die 25 besten Lieder 2018
Vorab ausnahmsweise drei lobende Erwähnungen von Songs, die ich vor 2018 nicht auf dem Schirm hatte, die aber definitiv 2017 bzw. 2016 erschienen sind: “Buffalo Buffalo” von den hervorragenden Emo-Indie-Punks Spanish Love Songs, das Sting loopende “Lucid Dreams” der stabilen Emo-Rap-Hoffnung Juice WRLD und das gewaltige, marianengrabengroße Täler reißende “Wheeling Endlessly Wheeling” von With The End In Mind. Alle fein, alle mal in der Mitte dieser Liste situiert gewesen, bevor ich die Release Dates ausführlich gecheckt habe. Diese 25 haben den Test bestanden (oder ich habe nicht sorgfältig genug geprüft):
25. Father John Misty/Mr. Tillman
Ein bisschen lockerer als zuletzt groovt sich Father John Misty durch ein Persönlichkeitsgrenzen auflösendes Szenario, das wahlweise von der eigenen Abgewetztheit oder den leeren (Alp)träumen eines Rockstars im 21. Jahrhundert erzählt, aber auch ganz einfach als Neuauflage des alten Metaebenen-Hütchenspiels funktioniert.
24. Theodor Shitstorm/Mama, schick mir die Platten von Reinhard Mey
Oft werden Songs nach starken ersten Zeile schlechter, “Mama schick mir die Platten von Reinhard Mey” macht es genau umgekehrt. Die erste Zeile deutet die Sorte selbstbezüglichen Liedermacherklamauk an, mit dem der Bandname droht, doch kurz darauf wird die eigentliche, eher einleitende Funktion klar: Es geht um zerbrochene Familien, zerbrochene Liebschaften, das Weitermachen, die Vergangenheit und die Rolle des Liedermachertums darin, als Erinnerung und schwacher Trost.
23. Arctic Monkeys/Four Out Of Five
In abgeranztem Glam torkeln Turner und seine Band, die sich eigentlich nur sekundär für die 60er und 70er interessiert, durch das milde auf die Wahrnehmungsmuster der digitalisierten Kulturindustrie schielende, psychedelische, der Laberei nicht abgeneigte “Four Out Of Five”, das nicht nur durch seine Nähe zu bekannten Mustern, sondern einfach auch qualitativ aus der zugehörigen Platte herausstach.
22. Mauli/Klepto
Wenn Mauli ohne Geld in den Store geht, bleibt es zwar beachtlich, dass er aus 1.000 Euro im Korb 20 auf der Rechnung macht, aber es bleibt die Frage, womit er diesen ja doch vorhandenen Rest bezahlt? EC? Paypal? Bitcoin? Schuldschein? Vielleicht auch ein Hinweis darauf, dass Mauli einer der wenigen Typen ist, der hörbar weiß, wie Rap gerade funktioniert, sich die Regeln aber so dreht, wie er sich gerade braucht.
21. Andrew W. K./Music Is Worth Living For
Ich weiß ja auch nicht, was diese Platzierung soll. Aber es war nun mal ausgerechnet Andrew W. K., der im vergangenen Jahr mit weißem Shirt, Fanfaren und kompaktem Pathos für die ungebrochene Relevanz von (Pop) Musik in die Presche sprang, da hilft auch alles lamentieren und lächerlich finden nichts.
20. James Blake/If The Car Beside You Moves Ahead
Es stottert und ruckelt in James Blakes neuer, mysteriöser Single, über die erst irgendwie alle und am Ende dann niemand mehr so richtig sprechen wollten. Eigentlich ganz passend, schließlich ist man sich nach jedem Hören unsicher, ob es “If The Car Beside You Moves Ahead” überhaupt gegeben hat, so wenig Bewegung wagt der Track, so wenig passt er in Blakes zunehmend fühliges Songwriting.
19. Helena Hauff/Hyper-Intelligent Genetically Enriched Cyborg
Es blubbert und köchelt, dann stampft es auch, Elemente fahren hoch und runter, und das Tolle ist: Man muss all die 90er Referenzen gar nicht checken und auch gar nicht in einem Club sein, um gerne in diesen schillernden Reigen zu torkeln.
18. Idles/Danny Nedelko
Es poltert und brüllt auf der Single “Danny Nedelko”, mit der Idles sich gleich doppelt unschlagbar machen: Als Band, die aus dem Punk heraus richtige Worte zur aktuellen Politik der Abschottung findet, und obendrein aus den Lehren des Post-Punk auch noch die richtige Musik dazu. “Unity”!
17. Kanye West/Ghost Town
Irgendwo in den Entwürfen dieses Blogs schlummert ein Fragment, das noch mal in knackigen 1.000+ Wörtern aufarbeiten wollte, wo Kanye West sich in seiner Karriere gerade befindet und wieso “Ye” eines seiner schlechtesten Releases geworden ist (in Kürze: zu kurz, zu viel recycletes Material, zu viel Stuss in den Lyrics). Die Motivation zur ordentlichen Fertigstellung des Textes blieb unterwegs irgendwo hängen, und irgendwie ging dabei auch unter, dass es unter all dem mediokren Mist mit “Ghost Town” auch ein Juwel zu entdecken gab, auf dem nicht nur stabil gesamplet wird, sondern auch Kanye und vor allem 070 Shake stark aufspielen.
16. Parquet Courts/Wide Awake
Parquet Courts waren auf bestem Wege, einer dieser irgendwann mal spannend gewesenen, nun auch noch immer mit interessanten Konzepten aufwartenden, insgesamt aber eher behäbigen Bands zu werden, da steckte “Wide Awake” frech sein Köpfchen hervor, schüttelte noch mal Funk und Post Punk durch und machte vergessen, dass es das ja irgendwie auch alles schon mal gegeben hat.
15. Robyn/Missing U
Manchmal macht man es ja auch im Pop richtig, wenn man alles mehr oder minder macht wie immer. Die ersten paar Male, die ich “Missing U” beiläufig hörte, war ich mir relativ sicher, den Song irgendwie zu kennen, bis das bewusste Anhören von “Honey” Gewissheit brachte: Nee, der Song ist neu, aber eben so gewohnt gut und in seinem charakteristisch glitzernden Herzschmerz vertraut, dass man schon mal durcheinander kommen kann.
14. Ghost/Rats
In der Karriere von Ghost gab es magischere Jahre als 2018, dennoch gelang ihnen mit “Rats” einer der unbestritten besten Songs ihrer Karriere, genau richtig operierend an der Schnittstelle zwischen Pest, Heavy-Quatsch, Fauchen und Musical.
13. Sam James/Sam vs. die Welt
Über den glitschig-grisseligen Beat rutscht ein Junge, dessen Lyrics zwar auf dem Papier gegliedert, effektiv aber vollkommen verrutscht scheinen. “Sam vs. die Welt” perspektiviert Szene, Drogen und Gesellschaft radikal subjektiv, hat (ähnlich wie Mauli) aktuelle Trends gefressen, es dabei aber nicht belassen. Zusammen mit “Atosil” ein Versprechen.
12. Deafheaven/Canary Yellow
Spoiler: Deafheavens viertes Album hat einiges hervorragende Songs zu bieten, die allesamt auch im Kollektiv ausgezeichnet funktionieren, und doch ergibt gerade “Canary Yellow” auch für sich genommen irgendwie Sinn, mit dem naiven Classic Rock und dem duseligen Postcore und freilich auch dem Blackgaze-Geballer und nicht zuletzt diesem Harmoniegesang am Ende des Songs.
11. Lykke Li/Deep End
Die Zeit des kommerziellen Erfolgs ist schon länger vorbei, nach “So Sad So Sexy” kann man sich allerdings nicht ganz sicher sein, ob Lykke Li das bereits realisiert hat. Eigentlich aber auch egal, denn die Trap-Bezüge gingen in Lis leidendem Edel-Indie-Pop formvollendet auf, wie paradigmatisch an dem dramatischen Badelied “Deep End” nachvollzogen werden kann.
10. Heisskalt/Tapas und Merlot
Bessere Jahre haben auch Heisskalt schon erlebt, “Idylle” bleibt am Ende des Jahres aber immer noch ein mutiges, bisweilen ausgesprochen schönes Stück Rockmusik, das vor allem in “Tapas und Merlot” erst Indierock in die Spur bringt und sich nebenbei aus allen lyrischen Zwängen befreit. Wer chronisch auf Bloech einprügeln mag, findet auch hier Futter, aber eigentlich ist das großer Quatsch, und das wisst ihr selber.
9. Tocotronic/Unwiederbringlich
“Die Unendlichkeit” geht vor allem als große Erzählung auf, hat jedoch gerade aufgrund seiner Heterogenität auch starke Einzelsegmente zu bieten. Neben allerlei Gerumpel und Geschwelge ist dieses Pop-Soundtrack-Klöppel-Neue-Musik-Ding “Unwiederbringlich” mit zeitspezifischen Metaphern (im doppelten bis dreifachen Sinne) und der Möglichkeit, das Ganze auch als herzzerreißende Akustik-Version vernünftig auf die Bühne zu bringen, wohl der größte Treffer dieser unverhofften Konsens-Platte.
8. Health x Perturbator / Body/Prison
Aus dem Nichts tauchte diese bis jetzt nicht recht kontextualisierte Kollabo-Reihe der hervorragenden Health auf, die sich auf dem Papier bereits ziemlich exzellent liest, tatsächlich aber noch viel exquisiter klingt - nachzuvollziehen am besten anhand der massiv-scharfkantigen Retrosynths, die Pertubator den zum Trio dezimierten Buben unter das ohnehin schon Drive-Soundtrack-verdächtige “Body/Prison” geschraubt hat.
7. Grimes ft. Hana/We Appreciate Power
Erst war es wieder so ein doofes Grimes Lied, auf dem sie ihre 80er-Bezüge noch weiter runterwirtschaftet und mit irgendeinem kontemporären Quatsch belastet, jetzt ist es wieder so ein tolles Grimes Lied, das man erst doof fand, dann aber heimlich doch immer wieder gehört hat, bis man sich selbst eingestehen musste, dass man selber doof ist, aber ganz sicher nicht diese Gitarren, dieses Geschrei, dieses Geruckel und diese pseudo-politischen Lyrics, die gemeinsam “We Appreciate Power” ergeben.
6. Jon Hopkins/Emerald Rush
Selten ist es fair, einen gelungenen Song auf einen simplen Trick zu reduzieren, aber wie Jon Hopkins da in “Emerald Rush” den Beat switcht, als würde sich eine entspannte Vene plötzlich in eine Leber verwandeln, das gehört noch immer zu den beeindruckendsten Momenten 2018. Auf dem Maifeld Derby hat das auch Leuten die Tränen in die Augen getrieben, die nicht auf Acid durchs Zelt gestolpert sind.
5. Rico Nasty/Rage
Alle Rapper wollten sich in diesem Jahr Gitarren (!) unter die Füße schnallen und ausrasten, irgendwie gefährlich, unberechenbar klingen, doch niemandem wollte das so gelingen wie Rico Nasty. Auf “Rage”, einem wundervoll knapp gehaltenen Stück, konserviert der Loop ein anschwellendes Riff, so als würde die große Explosion, der fette Refrain gleich kommen. Stattdessen kommt Rico Nasty, die eben nicht nur krakeelt, sondern sich überlegt hat, wie das mit dem Rappen und dem Schreien effektiv zusammengehen könnte und euch mit dem Ergebnis eure verdammten Ohren wegschnetzelt.
4. Lil Peep/4 Gold Chains
2018 war in Teilen auch ein Jahr, in dem die Pop-Industrie endlich wieder händereibend im Nachlass jung verstorbener Künstler rumkratzen durfte. Zwischen all den tendenziell zu Recht in der Versenkung gelegen habenden Songs funkelt mit “4 Gold Chains” ein Stück, dessen Fragmentcharakter nicht nur nicht stört, sondern zum ästhetischen Prinzip wird: Der Clams Casino Beat taumelt benommen-glitzernd von rechts nach links, Peep betont die Worte irgendwo hinter Gesang und Rap, sieht im Video angeschlagen aus, und man muss sich schon ganz schön auf die Zunge beißen, um das Ganze nicht als gespenstisch zu bezeichnen. Hätte aber auch ohne den tragischen Kontext funktioniert, versprochen.
3. Drangsal/Und du? Vol. II
Verkauft war ich an den Song schon, als Drangsal ihn 2016 zum ersten Mal auf Tour spielte. Wenn Künstler sonst neues Material in solchen Situationen raushauen, nicke ich artig, merke mir aber nichts und harre der kommenden Hits. Anders bei “Und du?”, damals vermutlich noch Vol. I: Der NDW-The-Smiths-Disney-Kitsch mit kruder Bildsprache wärmte sofort das Herz, blieb von den Festivals bis zur Clubtour hängen, die Studioversion war dann eher eine Form der Vergewisserung: Ja, dieser Song ist einer dieser alles überstrahlenden Hits, der aus eigener Kraft aus einem interessanten Album ein wirklich gutes machte.
2. Kero Kero Bonito/Only Acting
Tanzen, kopfnicken, Luftgitarre spielen, Kopf in den Häcksler stecken: Eigentlich gibt es nichts, was man zu “Only Acting” nicht gerne machen würde, jenem so harmlos beginnenden, dann kokett rockenden und schließlich alles über den Haufen werfenden, sich selbst auf links ziehenden Song, in dem es wohl auf verschiedenen Ebenen um Schauspielerei geht, aber ist am Ende des Tages doch auch egal, denn: Das hier ist reine Pop-Alchemie und funktioniert bezeichnenderweise daher auch hervorragend als Single, mit Video, innerhalb einer EP und eines Albums.
1. Die Nerven/Niemals
Jeder weiß es, und eigentlich sagen es auch ziemlich alle: Die Nerven haben jetzt endlich die Frage hinter sich, ob sie nur so ein Spiegel-Online-Hype oder eine wirklich gute Rockband sind. Sie mussten ein Netzwerk um sich bilden, sich so weiterentwickeln, dass klar war, dass sie sich niemals so richtig weiterentwickeln würden, ein Live-Album rausbringen und dann einen Song wie “Niemals” schreiben. Frei schwebend, trotzdem physisch genug, um auf Konzerten Nebenleute anzuspringen, dengelnd sowieso, mit einem Refrain zum Hände in die Luft recken und erst später reflektieren, dass man mit den anti-essentialistischen Worten, die man eben noch tumb in die Welt gebrüllt hat, doch auch im Zustand nach der großen Extase auf jeden Fall mitgeht. Um den Song lassen sich wuchtige Abhandlungen um den Zustand von Rock am Ende der 10er jahre bauen, aber ehrlich: Es ist endlich wieder einfach Rockmusik. Und damit genau - exakt - auf den Punkt! - richtig.
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Sieben Doppelstrich: ClickClickDecker/Spaceman Spliff Split
Hallo Freunde, knapp vorab: Da ich hier immer seltener Kritiken veröffentliche (da man mir mittlerweile dafür andernorts genügend Platz eingeräumt hat), möchte ich den frei gewordenen Raum für andere Dinge nutzen. Um über Seven Inches zu schreiben zum Beispiel; ein Tonträgerformat, das ja nun doch eher aus der Zeit gefallen wirkt, in meinem Regal regelmäßig Staub konserviert und viel zu selten aufgelegt wird. Zur individuellen und allgemeinen Ehrenrettung möchte ich daher von nun an regelmäßig am Monatssiebten eine Single, EP oder was auch immer ans Tageslicht hieven und Musik, Aufmachung, Anschaffung oder was mir sonst gerade so ein - und auffällt besprechen. Den Anfang macht der jüngste Zugang zu meiner Sammlung: Eine Split-Single von ClickClickDecker und Spaceman Spliff.
Kevin Hamann, besser bekannt unter dem Chart-untauglichen Decknamen ClickClickDecker, ist einer der wenigen Menschen, für die ich eine diffuse Sympathie empfinde, ohne ihm jemals persönlich begegnet zu sein. 2010, in jener vielbesungenen Zeit zwischen Abi und Studium, trieb es mich und einen Freund auf ein kostengünstiges Konzert der Gruppe Bratze, die Hamann damals noch mit Der Tante Renate betrieb. Wir kamen hauptsächlich wegen des spaßigen Namens, feierten begeistert wegen der bollernden Beats, und irgendwann später begriff ich dann auch, wie viel das Duo textlich zu bieten hatte. Von da aus war es dann nur ein kleiner Schritt zu ClickClickDecker, also jenem intimen Singer/Songwriter Projekt, das Hamann derzeit eher sporadisch, aber immerhin überhaupt noch betreibt. Kurzum: Es war eine klare Sache, dass ich Ende Januar die Chance ergriff, Hamann bei einem seiner seltenen Auftritte in Münster zu besuchen.
So ganz ohne neue Platte und im Rahmen dieser kleinen Wochenendtour atmete der Auftritt wohl zwingend einen Hauch von Nostalgie, zu dem am Ende wenig besser passte als der Kauf einer Seven-Inch. Den genauen Preis verlor ich irgendwo zwischen behaglicher Melancholie und einem beharrlich nagenden Kater, im Nachhinein mag er wohl bei fünf, vielleicht sechs Euro gelegen haben. Doch bei einem derart klassischen Split-Single-Deal kann man eigentlich wenig falsch machen: Künstler A (hier: ClickClickDecker) covert Künstler B (hier: der ebenfalls neben dem Mainstream agierende Singer/Songwriter Spaceman Spiff) und umgekehrt. Die Songauswahl schien mit jeweils mehr oder minder aktuellen Stücken eher unspektakulär, das Cover dafür umso schöner, unterm Strich sprach also nichts gegen den Kauf.
Zuhause dann Erleichterung: Ein Downloadcode rutschte aus der Packung, sonst nichts außer eben der in schlichtem schwarz gehaltenen Seven-Inch selbst. Darauf: Eine schlafwandlerische Retro-Synthesizer Aneignung des Spiff-Stücks “Der Tag an den ich nicht verrückt wurde”, die die dringende Frage aufwirft, wieso man ClickClickDecker nicht viel öfter in derartigem Ambiente hört, neben einer konventionelleren, aber immerhin mit neckischem Banjo aufwartenden Variante des für sich betrachtet immerhin schon ziemlich guten “Die Nutzlosen (Unentbehrlich)”, das all die gerne mal bei einem Glas Rotwein nachdenklich auf den rotierenden Plattenteller starrenden Endzwanziger wieder dort absetzte, wo sie zuvor abgeholt wurden. Eine angenehme Sache, auch und gerade für einen lauen März-Abend.
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Liste: Die 25 besten Alben 2016 (25 - 11)
In den vergangenen Jahren kristallisierten sich beim Erstellen dieser Liste schnell Alben heraus, die einerseits vorne unbedingt dabei sein mussten und andererseits hinten durchaus schon mal in den soliden Bereich abdriften durften. 2016 erweist sich in diesem Hinblick zumindest von subjektiver Warte aus als sehr horizontale Angelegenheit: So wenig es Alben gab, die alles andere fraglos in den Schatten stellten, so wenig gab es Alben, die es aus dem oberen Mittelfeld in die Top 25 schafften. Ungleich lesenswerter erweist sich natürlich der folgende hintere Teil meiner Liste der besten Platten des Jahres:
25. Touché Amoré/Stage Four
Inmitten des offiziellen Pop-Trauerjahrs 2016 platzierten Touché Amoré mit “Stage Four” eine Platte, die nicht nur den Tod der Mutter Jeremy Bolms verhandelt, sondern in diesem Kontext die bandinterne Entwicklung in Richtung Postrock und Shoegaze noch erfolgreicher vorantreibt, als es “Is Survived By” vor drei Jahren gelang.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=-LkMrraYCWg
24. James Blake/The Colour In Anything
James Blakes Dritte ist nach dem sicheren Hit-Album “Overgrown” ein Wirrwarr geworden, aus dem sich jeder seinen persönlichen Liebelings-Blake basteln kann: Den jungen, leidenden Künstler, den Avant-Pop-Star, den Beatbastler, den Querkopf. Bisweilen kann das überfordern, anstrengen, und ein bisschen mehr Fokus hätte sicher nicht geschadet, zugleich lädt es aber auch dazu ein, zwischen all den sauberen Sounds auf sehr unsaubere Art verloren zu gehen.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=TTglDb7qjvQ
23. Swans/The Glowing Man
Irgendwie schien die Musikwelt zu finden, es sei nun aber wirklich auch mal gut mit den Swans und ihren überlangen Alben. Ja, “The Glowing Man”, auch wieder gut, aber nichts für die Jahrescharts, abgehakt und tschüss. Dabei erweist sich das nach “The Seer” und “To Be Kind” dritte Mammutwerk der wiedervereinigten Swans als würdiger, mit einigen gekonnten Variationen auftrumpfender und natürlich vollkommen erschlagender Schlussakt einer Trilogie, die Michael Gira beendet, bevor es wirklich langweilig wird.
Reinhören: https://vimeo.com/161451210
22. DIIV/Is The Is Are
Apropos überlange Überforderung: Wer im Indierock nach derlei der Völlerei fröhnenden Albumgestaltung sucht, wird bei DIIV fündig. Deren zweites Album “Is The Is Are” bietet neben auseinanderbröselnden Hits, irrlichternden Träumereien und einem gehauchten Gastauftritt Sky Ferreiras mit “Under The Sun” einen der besten Rocksongs der laufenden Dekade.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=zKbqyuaXolg
21. Kate Tempest/Let Them Eat Chaos
Kate Tempest wird wohl immer das Stigma der Rapperin mit Suhrkamp-Deal anhängen, auch wenn gerade “Let Them Eat Chaos” über den lyrischen Gehalt hinaus mit Skills und dicker, an UK-Bass geschulter Produktion auch musikalisch überzeugen kann. Andere mögen dickere Hits haben, dafür versteht es Tempest, die Kunstform Album auf allen Ebenen zu bedienen.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=TOXXdYtZSbQ
20. Pop. 1280/Paradise
“Paradise” geht als das bisherig zynischste Album einer um Bitterkeit und Bissigkeit nicht gerade verlegenen Band durch. Die Konsequenz, mit der hier Genres wie Synth-Pop, Post-Punk oder Grunge dekonstruiert und anschließend in den Wind geschossen werden, ohne dabei vollkommen auf Strukturen oder eingängige Melodien zu verzichten, sucht noch immer nach einer passenden Vergleichsgröße.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=YumSKgWCO1c
19. Maeckes/Tilt
Ein bisschen weniger Pop hätte es dann doch sein dürfen auf Maeckes erstem Solo-Album seit einer gefühlten Ewigkeit, das sich zu oft in lieblichen Melodien der Marke Tristan Brusch verlor. Die Platzierung auf der Liste im tatsächlichen Zustand deutet an, was mit einer weniger mehr Mut zur Schrägheit mit Songs wie dem dynamischen Titeltrack, dem todtraurigen “Kreuz” und dem leblosen “Urlaubsfotograf” möglich gewesen wäre, sagt aber natürlich auch aus, dass das Gelieferte die Konkurrenz noch immer auszustechen weiß.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=sNEK1-WEFio
18. Kel Valhaal/ New Introductory Lectures on the System of Transcendental Qabala
Wer sich im 2015 von Liturgy ob ihrer Nähe zu obskuren Elektro-Sounds, dubiosem Sprechgesang und merkwürdigen, mythologischen Inhalten vorsichtig distanzierte, bei dem dürfte Hunter Hunt-Hendrix’ in diesem Jahr debüttierendes Soloprojekt dringliche Fluchtimpulse ausgelöst haben. Über abstürzenden, polyrhythmischen Synthie-Klängen manipuliert sich der spirituelle Anführer Liturgys durch eine der bizarrsten, unkategorisierbarsten halben Stunden des Jahres.
Reinhören: https://vimeo.com/170577805
17. Jesu / Sun Kil Moon/Jesu / Sun Kil Moon
Mark Kozelek sieht das Medium Album mittlerweile anscheinend als eine Art persönliche Annale: Im Jahresrhythmus veröffentlicht er Platten, die hauptsächlich aus elegischen Notizen zu den vergangenen zwölf Monaten bestehen. Für Variation sorgte dieses Mal Jesus Justin K. Broadrick, der Kozeleks Betrachtungen nicht nur donnernde Post-Metal-Gitarren, sondern auch spannende Ambient-Teppiche zur Verfügung stellte und damit dem bekannten Schema einen neuen, wichtigen Dreh gab.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=4e1t3jUXmQQ
16. Death Grips/Bottomless Pit
Der Strang exzellenter Death Grips Platten will einfach nicht abreißen, selbst wenn “Bottomless Pit” im Gegensatz zu seinem Vorgänger eher ausgezeichnetes Zwischenspiel denn erneutes Meisterwerk geworden ist. Zwischen Ruhe und Eskalation pendelt sich das Trio ein, auf kurzen Stücken, die nie um eine Wortkaskade verlegen sind. Mehr stabile Hits gab es vermutlich seit “The Money Store” nicht mehr.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=uOJFhKriSH8
15. King 810/La Petite Morte Or A Conversation With God
Nach dem Debüt “Memoirs Of A Murderer” hatte ich nicht damit gerechnet, dass King 810 ihre vielversprechenden Ansätze in der Zukunft in entsprechende Songs umzumünzen wüssten. Klar, da waren verstohlene Blick in Richtung Country und Ambient, doch eben auch enorm viel Modern Metal Stangenware, die mit den zur Schau gestellten Ambitionen brach. Der Nachfolger funktioniert nun überraschenderweise genau andersrum: Zuerst gibt es routinierten Modern Metal, spätestens in der zweiten Hälfte jedoch eine modern produzierte und doch atmosphärische Melange unterschiedlicher Stile, die es zwar oft auf Pathos anlegt, dabei aber immer wieder mit cleveren Einfällen und prägnanten Melodien zu überzeugen weiß. Nicht weniger als das nach vorne und zur Seite denkende Modern Metal Album, auf das ich seit fünf Jahren vergeblich warte.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=gcLmQDr7GGw
14. Human Abfall/Form & Zweck
Human Abfalls zweites Album ist die schmerzende, juckende, unerreichbare Stelle innerhalb der allseits gelobten, oft jedoch in ihrer Monotonie zu gefälligen Stuttgarter Szene. Wo das Debüt auch mal rocken wollte, da herrscht jetzt nur noch brennende Ödnis, angereichert mit goldener Zitronen-Thetralik und gallig eingestreuten Pop-Zitaten. Nicht weniger als die grimmig zurückstarrende Gegenwartsdiagnose, die das vereinte Selbstmitleid 2016 benötigte.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=hiUC6zeE49g
13. PJ Harvey/The Hope Six Demolition Project
Apropos Gegenwart: Auch PJ Harvey nahm sich nach der UK-Abrechnung “Let England Shake” 2016 noch komplexerer Zusammenhänge an, reiste einmal quer durch die Welt, um am Ende in einem Museum eine Platte aufzunehmen, die nicht nur zwischen Singer/Songwriter, Rock und bisweilen gar Jazz pendelt, sondern sich auch nicht zwischen Beobachtung, Einschätzung und Kommentar entscheiden möchte. Das Ergebnis war kontrovers, aber zumindest musikalisch in seiner stilsicheren Vielfalt über jeden Zweifel erhaben.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=salBSTHwdtA
12. All diese Gewalt/Welt in Klammern
Weltflucht war schon eher bei Max Riegers vielschichtigem Zweitwerk unter dem Decknamen All diese Gewalt angesagt, das erstmal mit Zahlen überzeugen wollte: Ja, 200 bis 300 Spuren pro Lied lesen sich überwältigend, können aber auch richtig scheiße klingen. Rieger gelang es jedoch, mit einer eigenwilligen Mixtur aus all den Arten verträumter Gitarrenmusik ein zwischen Schönheit und Zerstörung selbiger pendelndes Werk zu destillieren, dem man in seinen besten Momenten die betriebene Mühe nicht anhört.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=nU4V4IcIWbw
11. Drangsal/Harieschaim
Kaum ein Album legte bei mir in den vergangenen zwölf Monaten eine ähnlich positive Entwicklung hin wie Drangsals Debüt “Harieschaim”, dass zwar auch heute noch für eine halbstündige Platte ein bisschen zu sehr an Füllmaterial krankt, um diese Lücken herum jedoch Hit an Hit reiht, die die 80er nicht nur gekonnt zitieren, sondern ihnen bisweilen auch unerwartete Wendungen verpassen. Eignet sich alternativ auch als kostengünstige Best-Of-Compilation der frühen The Cure, Depeche Mode und Neuen Deutsche Welle.
Reinhören: https://www.youtube.com/watch?v=99o3AkxzTcQ
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Liste: Die 25 besten Lieder 2016 (25 - 11)
Wir nähern uns den Königskategorien, den Start machen gemäß des Protokolls die besten Songs des Jahres. Hier geht der Trend trotz anderweitiger Bekundungen weg von der Single, hin zum Albumtrack, gerade im nun folgenden, ersten und wie immer bunt gemischten Segment der Liste:
25. Dinosaur Jr./I Walk For Miles
Stoischer denn je erweisen sich Dinosaur Jr. auf dem vierten Album seit ihrem Comeback Mitte der 00er, und trotzdem kann ihnen einfach keiner ans Bein pissen. Neben allerlei Hits, die das Trio immer noch mühelos aus dem Ärmel schüttelt als handele es sich um ein Debüt, überzeugt jedoch vor allem das tonnenschwere "I Walk For Miles", das mit einem unnachahmlich zwischen Leiden und Lässigkeit changierenden J Mascis auftrumpft.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=HeNUHbqjvJ4
24. Cloud Nothings/Modern Act
Du kannst Indie-Rock aus den 90ern kriegen, aber nicht die 90er aus dem Indie-Rock: Nach allerlei Ausflügen in Richtung Krach (Grüße an Steve Albini an dieser Stelle) toben sich Cloud Nothings scheinbar auch 2017 in besagter Dekade aus, dieses Mal jedoch mit stärkerem Fokus auf melodiösen College-Rock. "Modern Act" legt diesen Schluss zumindest als locker-leichte erste Single nahe, ohne mit dem gewohnten Qualitätsniveau zu brechen.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=rt9N_yHvwyM
23. Degenhardt/Boiler
Wie sich aus Klangschalen und einem zergehenden Eminem-Sample langsam der zähe Flow des jungen, kaputten Degenhardt erhebt, zählte zu den großen, unterschätzten Hip-Hop-Momenten 2016. Mit einer noch immer zu entwirrenden Bildsprache litt sich der Düsseldorfer durch schambehaftete Szenarien und desolate Badezimmer. Seifenblasendreck? Unendlich!
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=HgLFiYiH-PA
22. The Strokes/OBLIVIUS
Es ist beinahe ironisch, dass ausgerechnet jener Song, der auf der pragmatisch betitelten EP "Future Present Past" die Gegenwart der Strokes repräsentiert, der Beste geworden ist. "OBLIVIUS" funktioniert gerade mit Gniedelgitarren und Falsettgesang, die sich hier bar jeder alten Lässigkeit in ein großes, an der düsteren Seite der 70er geschultes Finale münden.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=jEjdwhVuW74
21. Frank Ocean/Nikes
Was macht der für seine Stimme gepriesene Sänger der etwas auf sich hält 2016 mit eben jener? Richtig, er entstellte sie, manipulierte sie etwa mit Autotune oder er pitchte sie bis zur Unkenntlichkeit. Erstaunlich, dass der geneigte Frank Ocean Fan nicht bereits beim Micky-Maus-Hi-Hat-Massaker "Nikes" das Weite suchte und den Blick freigab auf einen Song, der zwischen Pop, Subkultur und Zeitgeist nicht unterscheiden wollte.
Anhören: https://vimeo.com/179791907
20. Bat For Lashes/Joe’s Dream
Bat For Lashes "The Bride" war retrospektiv ein ordentliches Konzeptalbum, dem es in der zweiten Hälfte leider an wirklich gelungenen Songs mangelte. Das spätere, übermäßig ausgebreitete Leiden nahm in eleganterer Form das ahnungsvolle "Joe's Dream" vorweg, in dem Khan ihre stimmlichen Stärken stimmungsvoll ausspielen durfte.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=C0QTaULDRXI
19. Letlive./Good Mourning America
Die Fusion von Pop, Emo und Hardcore war eine der großen Missionen, die Letlive. mit "If I'm The Devil ..." verfolgten, ebenso wie die Verhandlung des US-amerikanischen Status Quo. Wie gut das zumindest stellenweise gelang, beweist die Single "Good Mourning America" mit politischem Bewusstsein, Angriffslust und unwiderstehlichem Groove eindrucksvoll.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=LKl_QZ2-Ulg
18. Pop. 1280/Pyramids On Mars
Ein fieses Klackern, ein unheilvolles Dröhnen und die schnarrende Stimme von Chris Bug: Auf diesem Fundament baut einer der beunruhigendsten Songs des Jahres auf. Pop. 1280 waren noch nie für ihr Feingefühl und ihre Freundlichkeit bekannt, eine finstere Hymne wie das getriebene "Pyramids On Mars", das das Konzept Single hervorragend pervertiert, haben jedoch selbst sie noch keinem Album vorausgeschickt.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=YumSKgWCO1c
17. Haiyti/Quadro
Die Welt hatte auf Haiyti gewartet, wusste es jedoch nicht, bis das Mixtape "City Tarif" mit einer explosiven Interpretation des freundlichen Monsters Cloud Rap in das Internet ballerte. An Bord: Tonnen von Hits, am tödlichsten das tiefergelegte "Quadro", mit schrillen Synthesizern, ratternden Drums und einer gewohnt durchdrehenden Haiyti.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=adDQQkwExz4
16. PJ Harvey/The Community Of Hope
"They're Gonna Put A Walmart Here": Selten schlich sich die sterbende Hoffnung angenehmer in das Ohr der Hörer als im Fall dieses schunkelig-rockenden Openers des umstrittenen, aktuellen PJ Harvey Albums "The Hope Six Demolition Project", über das hier noch zu sprechen sein wird.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=qsLqsqbObyg
15. Maeckes/Kreuz
So viele poppige, energiegeladene und aufrichtende Momente es auf "Tilt", dem ersten Maeckes-Album seit einer gefühlten Ewigkeit, gab, in Sachen Intensität kam keiner an die zerschmetternde Wirkung von "Kreuz" heran. Nach lieblichem Start ziehen plötzlich finstere Gitarren auf, aus der kleinen Liebesgeschichte wird ein zerschmetternder Orkan, der sich kurz vor der bitteren Auflösung in ein Echo des entspannten "Wie alle Kippenstummel zwischen den Bahngleisen zusammen" mündet, dessen Inhalt "Kreuz" wiederum neu kontextualisiert.
Anhören: http://www.dailymotion.com/video/x4z28z4
14. Angel Olsen/Shut Up Kiss Me
Angel Olsen, große Liebe aller zuspätgeborenen Slackerboys, sorgte für leichte Unruhe, als sie sich eine silberne Plastikperücke aufsetzte und plötzlich Musik mit Synthesizern machte. Wer an dieser Stelle begann zu hyperventilieren, den forderte Olsen kurz darauf mit extra ruppiger Gitarre auf, die Fresse zu halten und einfach mit ihr rumzuknutschen. Balsam für die empfindliche Slackerseele.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=nleRCBhLr3k
13. Jenny Hval/Conceptual Romance
Der Lärm steckt Jenny Hval selbst im poppigsten Stück ihres vierten, exzellenten Albums "Blood Bitch" noch in den Knochen. Gespenstisch winden sich die Melodien aus den wabernden Klangflächen des wunderschönen "Conceptual Romance" heraus, dessen Refrain den Hörer trotz aller Ungreifbarkeit unweigerlich in sich vereinnahmt.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=EY7eLAVrfK4
12. Iggy Pop/Paraguay
Alte Männer, die zu Liedern nicht ganz so alter Männer über moderne Technik schimpfen: Nicht zwingend der Stoff, aus dem Hits für das Jahr 2016 gebaut sind. Tatsächlich funktioniert der letzte Track des hervorragenden, zwischen Nostalgie und Kampfeslust schwankenden Iggy Pop Comebacks genau so: Nach einem sehr guten Alternative-Rock-Song setzt plötzlich ein klassisches QOTSA-Stoner-Riff ein, das mit einer von Homme gesungenen Hook endlos wiederholt wird und dabei lediglich den Hintergrund für einen Wutausbruch Pops bildet. So absurd das Konzept wirkt, so großartig klingt das Ergebnis.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=nLcUR7iBWqE
11. Drangsal/Der Ingrimm
Zwischen den klaren Hits "Allan Align" (ja, der mit dem Elversvideo) und "Will ich nur dich" sitzt auf Drangsals frechem Debüt der hervorragende Post-Punk-Song "Der Ingrimm", der seinen Höhepunkt sehr lange zurückhält, nur um dann mit Gitarren eines ungeahnten Verzerrungsgrades zuzuschlagen und damit zu illustrieren, zu welchen Hakenschlägen der junge, großkotzige und stilsichere Max Gruber in der Lage ist.
Anhören: https://www.youtube.com/watch?v=rG1jcpQsXK8
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