Ergebnisse der Lehrveranstaltung ''Gesellschaftlicher Wandel an der Hochschule Furtwangen, WS 2020/21''
Don't wanna be here? Send us removal request.
Text
1. Terrestrisches Manifest
Nachhaltigkeit als Akt der Selbst- und Nächstenliebe
Alles, was uns gegenwärtig beunruhige sei es, Migration, wachsende Ungleichheit oder Populismus habe eine gemeinsame Wurzel in der unheimlichen Erfahrung, dass die Erde in Form des Klimawandels plötzlich auf unsere Handlungen reagiert. ‘Die Menschheit weiß derzeit nicht, wovon genau ihr Überleben abhängen wird, sie hat den Boden unter den Füßen verloren, wie Passagiere eines Flugzeugs, denen der Pilot mitteilt, dass er im Zielflughafen „Globales“ nicht landen kann, aber auch der Rückweg zum Ausgangspunkt „Lokales“ versperrt ist.’
![Tumblr media](https://64.media.tumblr.com/f2c5d78328e65343fdd58867ea03e508/98c0d98296f1edf5-14/s540x810/ca1507755a5b4aa15e8b81202a931b382c16aeaa.jpg)
Earthrise AS8-14-2383HR © William Anders, NASA Apollo8, 1968
Der Globus ist, laut Bruno Latour, nicht groß genug für die Globalisierung und daher bezeichnet er das „Klima“ als das einzig wirklich wichtige politische Thema unserer Zeit. Durch Klimagerechtigkeitsbewegungen, wie Fridays for Future und Persönlichkeiten, wie Greta Thunberg und Luisa Neubauer, ist diese Problematik auch schon in unserer Zukunft angekommen- der Jugend. Doch auch viele Rückschläge begleiten uns die letzten Jahre: Länder, wie die USA sind Dank Donald Trump aus dem Pariser Klimaabkommen ausgetreten und verschlechtern somit die Zukunfts-Prognosen. Die Studie des australischen Thinktanks „Breakthrough“ schreibt über die Möglichkeit der schlimmsten Szenarien:
„Das Ausmaß der Zerstörung übersteigt unsere Fähigkeit, Modelle zu berechnen, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, dass die menschliche Zivilisation endet.“
Ohne baldige Maßnahmen nähern wir uns demnach schon Mitte des Jahrhunderts einem “Point of no return“, an dem ein größtenteils unbewohnbarer Planet zum Zusammenbruch von Staaten und internationaler Ordnung führt.
Stehen wir also kurz vor dem Weltuntergang? Oder gibt es doch noch Möglichkeiten, die Globalisierung mit der Erhaltung des Planeten zu vereinen?
Im Essay, das ‘’Terrestrische Manifest'’ kritisiert Bruno Latour die Modernisierung und beschreibt sie als Ursache aller Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Die Modernisierung ist das Produkt des elitären Eskapismus unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit. Er nennt die Modernisierung Minus-Globalisierung, die mit der expandierenden Wirtschaft ausschließlich auf die Erweiterung des Besitzes abzielt und keinerlei Rücksicht auf die Folgen ihrer Handlungsweise nimmt. Die Minus-Globalisierung ist die Quelle für den viel zu schnell voranschreitenden und teilweise immer noch geleugneten Klimawandel.
Der Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen und die seit Jahren existierende Flüchtlingskrise sind nur wenige Symptome, in denen sich die Klimaungerechtigkeiten und der leichtfertige Umgang mit der globalen Krise manifestieren. Nur, wenn man wirklich versteht, dass der Klimawandel uns alle betrifft, können wir auch verstehen, dass wir Veränderung brauchen. Und nur, wenn wir bereit dazu sind, unseren Konsum und die damit verbundenen Ausbeutungen zu (ver)ändern, wird es den notwendigen Wandel geben.
Wenn es eine Globalisierung gibt, dann gibt es auch eine globale Klimakrise. Häufig wird angenommen, die Auswirkungen wären in unseren Industrieländern noch nicht zu beobachten. Aber das Gegenteil ist der Fall: Sie sind überall zu spüren.
‘’Die Rückkehr der Erde und die Kehrtwende bislang folgsamer Mächte werdet ihr teuer bezahlen müssen. ’’ -Bruno Latour
Dieser Satz beschreibt punktgenau, wie es um den Planeten und somit auch uns, steht.
Die Erde ist für eine Globalisierung, wie wir sie uns vorstellen, einfach nicht geeignet. Wenn wir so weitermachen, wird die Erde bald kein sicheres Zuhause mehr sein. Für Niemanden von uns- ganz egal, ob arm oder reich. Wir werden alle zu Flüchtenden, auf der Suche nach der Antwort auf die Frage, wo wir noch bewohnbaren Boden finden können, prognostiziert Latour. Es ist dringend notwendig, unsere Lebensweise nachhaltig zu verändern.
Unsere Lebensweise und der Eingriff in die Natur lösen eine Reihe an irreversiblen Folgen, wie Bodenerosion, Ressourcenknappheit und Habitatzerstörung aus. Die Scheuklappen der Politik lassen sich am Beispiel der Transformation der Automobilindustrie verdeutlichen. Ähnlich, wie der Kohleausstieg wird auch hier der Umstieg auf klimaneutralere Automobile bewusst verschlafen oder gar verweigert. Trotz des Wandels hin zu elektrogetriebenen Fahrzeugen, wird weiterhin an umweltschädlichen Produktionen der klimaschädlichen Autos mit extrem hohen Emissionen festgehalten. Fast so, als wolle man sich nicht weiterentwickeln, um sich schlussendlich darüber beschweren zu können, dass Niemand etwas davon gewusst hätte. Hier wird, wie in selbiger Diskussion zum Ausstieg aus der obsoleten Kohleenergiegewinnung, der Faktor der Wirtschaft vorgeschoben. Die Arbeitsplätze der Arbeitnehmer/innen könne man nicht von heute auf morgen auflösen. Der politische Diskurs hat sich in einem Netz aus Ausreden und Vorwänden verfangen, zum Nachteil der Erde und den auf ihr lebenden Millionen Menschen.
,,Wir müssen die Klimakrise endlich als das anerkennen, was sie ist. Nämlich die größte Bedrohung unserer Zeit.‘‘
sagt die Klimaschutzaktivistin und Repräsentantin der deutschen Fridays for Future-Bewegung Luisa Neubauer. Wir müssen der Natur endlich ein Recht auf Leben einräumen, um ihres und unser Überleben zu sichern und den Klimaaktivismus alltagstauglich machen. Es ist von essenzieller Bedeutung, zu verstehen, dass die Klimakrise nicht nur bestimmte Teile der Erde oder der Gesellschaft betrifft, die sozioökonomisch weniger privilegiert sind, wie es die Elite ist. Es ist keine Entscheidung mehr, zu überlegen, ob man sich in der Verantwortung sieht, das eigene Verhalten zu ändern, oder unbeirrt mit der Ausbeutung der Ressourcen weiterzumachen. Den Erdbeben, Waldbränden und stetig ansteigenden Meeresspiegeln ist es egal, ob die Verantwortlichen viel oder wenig Geld besitzen, um sich möglicherweise einfach auf eine andere Insel abzusetzen. Denn das wird nicht mehr möglich sein, wenn der private Lebensraum nicht mehr bewohnbar ist.
In seiner Fortsetzung des Terrestrischen Manifests, Kampf um Gaia fordert Herr Latour, die Erde als eigenes Lebewesen und uns Menschen als ihre Bewohner wahrzunehmen. Das heißt, wir dürfen nicht weiterhin so handeln, als gäbe es einen Planeten B.
Bild von Unsplash-Photos for everyone
Es reicht nicht mehr aus, sich die schrecklichen Zustände, in die wir die Erde gebracht haben und für die wir als ihre Bewohner verantwortlich sind, mit Biosphärenreservaten in eine noch heile Welt zu träumen.
Bruno Latour fordert ein neues Klimaregime, um das Wenige, was wir exemplarisch durch die aggressive Herstellung von Nahrungsmitteln oder Konsumgütern übergelassen haben, zu retten.
Warum wollen wir immer mehr von allen Dingen und wie können wir unsere Lebensweise verändern?
Vom Haben zum Sein
Erich Fromm’s Haben oder Sein liefert Antworten, die zurück zum Ursprung der Existenzweise des menschlichen Wesens führen. Er beschreibt die Existenzweise des Habens als Ursache der Konsumgesellschaft. Die Gesellschaft mit der Existenzweise des Habens beruht auf den drei Säulen Privateigentum, Profit und Macht. Hier steht das Motiv ‘’Ich bin, weil ich habe’’ im Vordergrund, wonach man sich über seinen Besitz definiert.
Um zu besitzen muss man konsumieren.
Die Existenzweise des Seins als alternative Lebensform
In Anbetracht dessen, dass unsere Lebensweise dazu geführt hat, dass die Klimakatastrophe immer weiter voranschreitet, müssen wir über eine alternative Lebensform nachdenken.
,,Um zu sein, müssen wir unsere Egozentrik und Selbstsucht aufgeben beziehungsweise uns arm und leer machen. ’’ -Erich Fromm
Der Zustand des Seins kann nur durch die eigene Kraft zu Denken und das Gebrauchen der eigenen Fähigkeiten erreicht werden. Niemals durch Besitz. Wer aktiv und tätig den eigenen Verstand und das kritische Denken gebraucht, der ist. Fromm sagt, dass wir den Verfall und die Entartung der Erde nur mit der Veränderung vom Haben zum Sein stoppen können. Durch diese Veränderung würde ein ausgeglichenes Wirtschaftswachstum entstehen, das gleichzeitig die Ungerechtigkeiten und sozioökonomischen Ungleichheiten ins Gleichgewicht bringen kann.
Global denken, lokal handeln
Heutzutage ist es enorm wichtig, im internationalen Wettbewerb, eine Balance zwischen globaler Steuerung der Geschäftsprozesse und lokaler Anpassung an kundenspezifische Bedürfnisse zu finden. Doch wie kann ein Unternehmen diese auf den ersten Blick widersprüchlichen Herausforderungen - Zentralisierung für Effizienz und Lokalisierung für Effektivität - miteinander in Einklang bringen?
"Glokalisierung", entstanden aus den Begriffen Globalisierung und Lokalisierung ist das Schlüsselwort. Im englischen Sprachraum wurde der Begriff glocalization zuerst von dem Soziologen Roland Robertson 1992 verwendet. Glokalisierung steht für Weltoffenheit mit lokaler Verwurzelung. Dies erfordert in erster Linie interkulturelle Kompetenzen. Wobei diese beiden Begriffe als Spektrum der Größenordnungen, also nicht als Gegensätze, sondern als miteinander verbundene Ebenen zu verstehen sind.
Aber wie kann man sich nun die Glokalisierung genau vorstellen? Die Glokalisierung gibt es schon seit mehreren Jahren und grundsätzlich ist eine Vielzahl an Menschen beteiligt – bewusst und auch unbewusst. Globale Trends und Neuerungen auf der lokalen Ebene fortzuführen, das steckt hinter der Glokalisierung. Allerdings sind dabei auch immer lokale und globale Aspekte miteinander verbunden. Ebenso kann man aber auch sagen, dass viele globale Neuerungen ihren Ursprung auf der lokalen Seite besitzen. Im Bereich der Glokalisierung ist die lokale und globale Ebene in gewisser Weise symbiotisch. So wird ein Produkt einheitlich erstellt und nur regional anders vermarktet, oder auch mehrere Produkte für verschiedene Märkte hergestellt. Es geht also darum, ein Produkt mit unterschiedlichen Marketingstrategien zu verkaufen.
Um nun noch mal auf die Fragestellung einzugehen, wie es aussehen könnte nachhaltig zu leben, wird im Folgenden die Utopie der Nachhaltigkeit und ihrer Version beschrieben.
Utopie der Nachhaltigkeit- eine Vision
Nachhaltig leben? Ist das möglich? In unserer globalisierten Welt kaum vorstellbar. Aber für das Leben aller auf diesem Planeten und den Planeten selbst überlebensnotwendig!
Kann eine Welt funktionieren, in der wir auf kompromisslose Nachhaltigkeit setzen?
Die Menschheit hat sich durch den Fortschritt der Technik in den letzten Jahren massiv weiterentwickelt. Alles ist miteinander vernetzt. Mit dem Flugzeug ist man in ein paar Stunden auf der anderen Seite der Erde angelangt. Etwas, was sich die Menschen Jahrtausende gewünscht haben. Doch wir haben dabei eines vergessen: Die Umwelt welche leider schon so verschmutzt und vergiftet wurde, dass es kaum mehr rückgängig zu machen ist. Die Lösung dieses Übels könnte eine Utopie der Nachhaltigkeit sein, in der wir klimaneutral und der Umwelt zu Liebe in Frieden miteinander leben. Der Ausdruck der Utopie rührt hierbei daher, dass es nicht so wirkt, als könnten die Menschen ihr Verhalten noch ändern. Zu viel Egoismus und Ignoranz treiben die Minus-Globalisierung voran.
Die Globalisierung ist nicht mehr gänzlich zurückzudrehen, auch weil durch sie große Abhängigkeiten entstanden sind. Dennoch muss sie so gestaltet werden, dass die Umwelt nicht noch weiter zu Schaden kommt. Dies gelingt nur durch den konsequenten Einsatz und Ausbau klimaneutraler Energie, sowie einer gerechten Versorgung und verantwortlichen Umgang mit den Ressourcen dieses Planeten. Unsere weit fortgeschrittene Technologie ermöglicht es zudem unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren.
Bild von Unsplash-Photos for everyone
Gepaart mit einem naturbewussten Umgang, bietet dies eine Möglichkeit, dem Klimawandel entgegenzuwirken. Doch um unseren Nachkommen eine heile Umwelt zu hinterlassen, würde das bedeuten, Verzicht in den verschiedensten Bereichen des Lebens zu üben, um eine Veränderung hervorzurufen. Außerdem wäre es von Nöten sich von der Minus-Globalisierung zu entfernen und die vorher erwähnte Glokalisierung in den Mittelpunkt des Marktgeschehens zu rücken. Regionale Produkte, Produktion im Inland und auch sonst nichts aus dem Ausland, was nicht notwendig ist, sowie ein größerer Verzicht von tierischen Produkten reduzieren. Ein klimabewusster Ernährungsstil könnte die Treibhausgasemissionen maßgeblich senken.
Eine Utopie der Nachhaltigkeit würde die Menschen somit vor gewaltige Herausforderungen stellen. Speziell für die westliche Welt, die durch den hohen CO2-Ausstoß einer der Hauptverantwortlichen bei der Beschleunigung des Klimawandels darstellt. Ein weiterer Punkt der eine Welt, in der die Menschen klimaneutral leben so utopisch macht, sind die militärischen Interessenskonflikte der Staaten. Häufig werden diese bei Studien außer Acht gelassen und der Fokus liegt auf der Zivilbevölkerung. Alleine die USA würde durch das US-Militär, ohne den CO2-Verbrauch der Bevölkerung, auf Platz 47 von den Ländern mit den höchsten Emissionen landen. Hier wird deutlich, welche extremen Veränderungen wir für eine klimaneutrale Zukunft brauchen. Die Folgen der Klimakrise sind schon lange zu spüren und werden weiter voranschreiten. Es wird zu Millionen von Klimaflüchtlingen kommen.
Diese humanitäre Krise kann nur gemeinsam gelöst werden. Durch die Verbundenheit und Zusammenarbeit, die durch die Globalisierung entstanden ist, ist es schwierig oder nahezu unmöglich wieder zu Punkt Null zurückzukehren. In einer Utopie der Nachhaltigkeit sollte es eine gerechte Verteilung derer geben, die wegen des Klimawandels aus ihrer Heimat flüchten müssen. Letztendlich ist ein massiver Wandel notwendig, um das Überleben aller Menschen und der Umwelt zu sichern.
Alle sitzen im selben Boot und beschreiten die Reise gemeinsam. Alleingänge sind dabei nur Schüsse ins eigene Knie. Es bedarf ausgeprägter koordinierter internationaler Kooperation, um die Probleme des Klimawandels zu bewältigen. Vor allem aber auch das Bewusstsein des Wandels in der Gesellschaft.
Wenn diese Utopie Realität werden soll, braucht es eine gemeinsame globale Kraftanstrengung. Ansonsten sieht die Zukunft der Menschheit und des Planeten alles andere als rosig aus. Die Corona-Krise hat gezeigt, wie sich die Natur vom Menschen erholen kann. Diese Krise bringt nicht nur Verzweiflung und Elend mit sich. Sie bietet auch eine Chance. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um einen radikalen Wandel durchzuführen. Vielleicht gelingt es uns, einer Utopie der Nachhaltigkeit einen Schritt näher zu kommen.
Basisquellen:
Flatley, A. (2019): Klima-Prognose 2050: “Hohe Wahrscheinlichkeit, dass die menschliche Zivilisation endet”. Online verfügbar unter: utopia.de URL: https://utopia.de/klimawandel-prognose-2050-142678/ . Letzter Zugriff: 24.01.2021
Fromm, E. (2012): Haben oder Sein. 39. Auflage. München. Deutscher Taschenbuch Verlag
Hillebrandt, T. (2018): Apollo 8 und das Jahrhundertfoto “Earthrise”. Online unter: swr.de. URL: https://www.swr.de/wissen/apollo8-dasjahrhundertfoto/-/id=253126/did=23081426/nid=253126/4idmqt/index.html. Letzter Zugriff: 24.01.2021
Kacer, R. (2015): Glokalisierung: Online verfügbar unter: veraenderungsmanager.de. URL: http://veraenderungsmanager.com/glokalisierung/. Letzter Zugriff: 24.01.21
Verfasst von: Goldmann, T.; Kleer, S.; Rink, C.; Till, M.
#TerrestrischesManifest#erde#biosphäre#nachhaltig#leben#klimawandel#lovenature#earthrise#globalisierung#erneurbare energien
1 note
·
View note
Text
2. Konvivialistisches Manifest - Minimalismus
Culture of Less - Minimalismus im Kontext des konvivialistischen Manifests
Das konvivialistische Manifest greift weitumfassend Missstände unserer heutigen Gesellschaft auf und versucht nachhaltig, das Gefühl des Gemeinwohls und somit eines besseren Zusammenlebens zu vermitteln. Heutzutage leben wir in einer Welt des Überflusses und der Maßlosigkeit. Unser bzw. das Streben der meisten Menschen in unserer Gesellschaft bezieht sich auf materialistische Dinge. Dies hat auch Folgen für unser Verständnis von Reichtum. Diese Aspekte und soziale Ungerechtigkeit im Ganzen zu bekämpfen, ist Teil aller Utopisten. Dabei erhofft man sich eine bessere Welt zu schaffen, indem auch die Individualität und Selbstentfaltung im Fokus stehen. Das Hauptstreben ist es, ein besseres Zusammenleben zu schaffen und jedem genug Ressourcen zur Verfügung zu stellen, eine Entfaltung jedes Einzelnen zu ermöglichen. Dies würde vielleicht auch die Begrifflichkeit des Reichtums neu definieren. Das Ausbeuten und Ausnutzen ärmerer Menschen ist Teil unserer Gesellschaft, auch wenn dies nicht immer offensichtlich zu sehen ist. Doch auch die Umwelt ist davon enorm betroffen, was die Thematik des Umweltschutzes in das Zentrum der ganzen Systematik rückt. Dies ist auch dadurch zu begründen, dass wenn wir weniger besitzfokussiert leben, Luxusgüter wie zum Beispiel Autos der Umwelt weniger Schaden zufügen können.
Die beschriebenen Überlegungen sind formulierte Probleme, bzw. Wünsche an unsere Gesellschaft, die nun in einem nächsten Schritt in ein handfestes System eingebettet werden müssen, sodass diese Teil unseres Leben werden. Dies wird durch das konvivialistische Manifest versucht zu verwirklichen. Der Minimalismus könnte hier zur Verwirklichung beitragen und die zentrale Lebensart des Einzelnen sein. Zugrunde liegt die Überzeugung, dass der Verzicht eines Menschen auf überschüssige Güter dazuführt, dass diese Güter der Allgemeinheit zugutekommen. Doch sichert ein minimalistisches Leben wirklich den Wohlstand aller in der Gesellschaft? Von welchem Wohlstand ist hier die Rede?
Die Ideale des Konvivialismus
Die Corona-Pandemie verdeutlicht, dass es im Hinblick auf das gesellschaftliche Zusammenleben neuer Wertvorstellungen bedarf. Das Bewusstwerden über die Endlichkeit von Ressourcen rückt heute immer stärker in den Fokus. Eine neue Art des Miteinanders wird gegenwärtig unabdingbar. Doch wie kann das soziale Zusammenleben ohne persönliche Kontakte überhaupt konkretisiert werden? Fest steht, dass die Bedeutung des sozialen Miteinanders in diesen Tagen stärker ins Bewusstsein rückt. Bereits vor der Pandemie wurden solche gesamtgesellschaftliche Themen verstärkt diskutiert. Die Problematik des Klimawandels lässt die Menschen über die Maßlosigkeit der stetig wachsenden Wirtschaft nachdenken. Solche Grundgedanken formulierte bereits das nachfolgende Thema des Konvivialismus im 20. Jahrhundert. Die Grundidee für ein soziales Miteinander entstand bereits im 19. Jahrhundert in Frankreich, der Begriff convivialité („gutes Miteinander“) setzt diese Grundidee auf eine begriffliche Ebene. Aufgegriffen wurde diese Idee 1971 von Ivan Illich, einem Technologiekritiker und Ökologen, der den Grundbegriff Konvivialität in seinem Werk „Tools for Conviviality“ thematisierte. Sein Werk umfasste sozialkritische, politische und ökologische Thesen. Das soziale Zusammenleben, im Gegensatz zur grenzenlos wachsenden Wirtschaft, war Gegenstand seiner Überlegungen:
„I consider conviviality to be individual freedom realized in personal interdependence and, as such, an intrinsic ethical value. I believe that, in any society, as conviviality is reduced below a certain level, no amount of industrial productivity can effectively satisfy the needs it creates among society's members.” - Tools for Conviviality (Ivan Illich 1971)
Illich sah die wachsende soziale Ungerechtigkeit auch in einer technologisierten Gesellschaft, welche durch Technokraten regiert werde. Die Technokratie ist eine Form der Regierung oder Verwaltung. Hier sollen alle Handlungen auf wissenschaftlichem und technischem Wissen aufbauen. Menschliche Fähigkeiten würden durch den Gebrauch solcher Technologien (z.B. Kommunikationstechnologien) abhandenkommen. Dabei dürfe keine Abhängigkeit von solchen Systemen entstehen, der Mensch müsse weiterhin im Mittelpunkt der Wirtschaft stehen und nicht als Mittel zum Zweck dienen. Illich sieht aber im menschlichen Leben ein Anrecht mit unabhängiger Effizienz zu arbeiten. Des Weiteren kritisierte er die Bevormundung, unreflektiert Bedürfnisse auf andere Menschen zu übertragen. Schließlich können sich Bedürfnisse individuell unterscheiden. Bedürfnisse richten sich nach Illich nicht nur an materiellen Reichtum. 2013 erschien ein von französischen Wissenschaftlern und Intellektuellen erarbeitetes Manifest. Dies ist das konvivialistische Manifest. Der bereits von lllich thematisierte Begriff „Konvivialität“ wurde auf eine systematischere Ebene gehoben. Dieses Manifest sieht sich als Gegenentwurf zum modernen Neoliberalismus. Es fokussiert sich auf das menschliche Zusammenleben in zeitgenössischen Gesellschaften, fernab eines utilitaristischen Denkens. Die vier großen politischen Theorien des 20. Jahrhunderts werden als Grundbasis für eine konviviale Gesellschaft genannt. Schwächen der jeweiligen Theorie werden durch die Stärken der anderen Theorie aufgehoben. Konkret werden vier Prinzipen für das Zusammenleben genannt: das Prinzip der gemeinsamen Menschheit, das Prinzip der gemeinsamen Sozialität, das Prinzip der Individuation und das Prinzip der Konfliktbeherrschung. Die politischen Ideologien der Nachkriegszeit definieren das Ziel des unendlichen Wachstums als Hybris. Zudem wird kritisiert, dass sich Wissenschaft und Philosophie ausschließlich mit materiellem und finanziellem Wachstum befassen. Verschiedene Überlegungen sollen hierbei die Theorie in die Praxis umsetzen. Moralische Überlegungen umfassen die Gedanken, dass die individuelle Würde jedes Einzelnen an oberster Stelle steht. Es müssen zudem Bedingungen gestellt werden, um jedem Menschen ein gutes Leben garantieren zu können. Jeder sollte an politischen Entscheidungen teilhaben dürfen. Eigensinniges und egoistisches Verhalten führt zu Konflikten innerhalb der Gemeinschaft. Hierzu zählen auch verwerfliche Unternehmungen im Gegenzug für Geld. Aktuell zählt auch die Einhaltung von Corona-Regeln dazu. Man achtet auch die Regeln um andere nicht zu gefährden. Man selber sollte nach moralischen Werten handeln und andere Menschen von schlechten Taten abbringen. Politisch betrachtet gibt es auch genaue Vorstellungen der Verfasser des Manifests. Ein Staat oder eine Institution gilt als legitim, wenn die vier Prinzipien des Zusammenlebens eingehalten werden. Dabei wird an die Ziele von Philadelphia angeknüpft. Das Recht auf materiellen Wohlstand und geistige Entwicklung muss für jeden Bürger gewährleistet sein. Gleichwohl müssen die Güter innerhalb des Staates gerecht verteilt sein. Konkret als Beispiel kann hier die EU als konvivialistisches Konzept angesehen werden. Wie auch Illich beschreiben die Verfasser genaue ökologische Ziele. Ressourcenschonend agieren und ökologische Verantwortung übernehmen, mit Blick auf die Nachhaltigkeit, sind oberste Priorität. Dies bedeutet, dass künftigen Generationen genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Mensch „besitzt“ nicht die Natur, er lebt im Einklang mit ihr. Technologien müssen der Ressourcenschonung dienen. Es sollen nicht für selbst erschaffene Probleme neue Lösungen gesucht werden müssen. Erneuerbare Energien, wie z.B. Windkraftanlagen oder Solarzellen, stehen im Vordergrund. Ökonomisch betrachtet muss Wohlstand langfristig ohne Wachstum auskommen. Die Verfasser nennen dies konkret auch „Degrowth“. Reichtum soll an anderen Dingen als ausschließlich Geld bemessen werden. Dazu zählen kultureller, geistiger oder sozialer Reichtum. Hauptaugenmerk liegt auf der Reduzierung des spekulativen Finanzwesens und sozusagen auf einer solidarischeren Marktwirtschaft.
Minimalismus als Gegenentwurf zum Neoliberalismus
Dieser Markt baut auf den Neoliberalismus auf. Der Neoliberalismus (lat. Neo=neu; lat. Liberal die Freiheit betreffend) entstand aus dem Liberalismus. Dieser strebt eine freiheitliche und marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung an. Hier werden staatliche Eingriffe in die Wirtschaft toleriert, falls diese auf ein Minimum reduziert werden. Gerechtfertigt sind Eingriffe dann, wenn diese das Marktgeschehen fördern, die Bildung von Monopolen oder Kartellen verhindern, Konjunkturschwankungen ausgleichen oder dem sozialen Ausgleich dienen.
Neoliberalismus bringt viele Vorteile mit sich. Der Staat kann die Bildung von Monopolen untersagen und somit aktiv in das Marktgeschehen eingreifen, da bei einer Monopolbidlung kein Wettbewerb herrscht. Dennoch gibt es in vielen Branchen natürliche Monopolbildungen. Ein Beispiel hierzu ist die Branche der Netzwerktechnologie. Dabei könnte eine Stadt nur sehr schwer mehrere Unternehmen die Wasserwerke konjugieren lassen. Ein weiteres Beispiel ist der Arbeitgeber, der ein Monopol auf dem einzelnen Individuum und dessen Arbeitskraft besitzt.
Die Wettbewerbspolitik wird von einer Wettbewerbsbehörde überwacht. Sie regelt die gesetzlichen Vorgaben zum Kartellgesetz.
“Vereinbarung zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken, sind verboten.” -Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (Bundeland für Justiz, o.D)
Der Staat kann bei Monopol- und Kartellbildung oder Konjunkturschwankungen eingreifen. Diese Schwankungen im Preis beschreiben den Status der Wirtschaft. Dabei ist die Konjunkturpolitik ein Instrument der Wirtschaftspolitik, um diese Schwankungen zu steuern.
Die großen Firmen, die sich einen Platz am sozialen Marktgeschehen erarbeitet haben, können nicht in die Zukunft des Marktes schauen. Dies hat vor allem gravierende Folgen für Firmen, die sich mühsam hochgearbeitet haben. Das Sparen an Ressourcen führt zu einem minimalistischen Lebensstil. Somit bleibt Unternehmen nichts anderes übrig, als sich an die Nachfrage und das Angebot anzupassen.
Der Begriff “Minimalismus” erklärt sich von selbst. Im Duden wird der Begriff als „bewusste Beschränkung auf ein Minimum, auf das Nötigste“ definiert. Semantisch und metaphorisch lässt der Begriff breitgefächerte Interpretationen und Assoziationen zu. In den nachfolgenden Beispielen soll der Begriff näher betrachtet werden.
In den vergangenen Jahren hat sich die Weltwirtschaft zu einem globalen Markt entwickelt. Dieser globale Markt veranlasst Personen, ihren Standort häufig zu wechseln. Hierbei leben viele Menschen minimalistisch, um ihre Mobilität nicht durch angehäuften Besitz zu belasten. Dies hat zu Folge, dass der Betroffene weniger Güter um sich schart und somit weniger Stress bei deren Verwaltung und Pflege hat. Hierbei werden Energien und Zeit für anderes freigesetzt.
Damit ein minimalistisches Leben möglich ist, benötigt es Zeit und Engagement. Dabei ist zu beachten, dass man in der Anfangsphase kontinuierlich seinen Besitz reduziert, da ein radikales und plötzliches Herunterbrechen der Ressourcen nicht förderlich für das physische Wohlbefinden ist.
Der Begriff des Minimalismus ist nicht im Detail definiert, somit gibt es verschiedene Ausprägungen. Diese beziehen sich auf verschiedene Interessen und Motivationen. Ausgehend von persönlichen Präferenzen werden die Besitztümer reduziert. Minimalismus kann verschieden gelebt werden, wobei der gemeinsame Nenner im Reduzieren überschüssiger Ressourcen liegt.
Die Realität einer konvivialistischen Gesellschaft
Der beschriebene Minimalismus könnte im Sinne einer konvivialistischen Gesellschaft der Grundbaustein für die Aufgaben des einzelnen Individuums sein. Dies ist davon abzuleiten, dass nur wenn die Mehrzahl der Menschen in einer konvivialistischen Gesellschaft auf überschüssige Ressourcen verzichten, diese auch ärmere Menschen nutzen können. Wenn hierbei jeder in der Gesellschaft minimalistisch lebt, werden für jeden Menschen genug Ressourcen sichergestellt. Doch dieser Aspekt und Gedanke wäre in einer konvivialistischen Gesellschaft selbstverständlich, da vorausgesetzt wird, dass jedes Individuum das Gemeinwohl an erster Stelle sieht.
Einer Gesellschaft diese Denkweise, die das Fundament des Konvivialismus darstellt, zu vermitteln ist in der Realität nahezu unmöglich. Davon ist auszugehen, da wir heutzutage in einer materialistischen Gesellschaft leben, in der jeder an sich selbst Ambitionen hat etwas zu erreichen und nicht an erster Stelle das Gemeinwohl sieht, das im Sinne des Konvivialismus wesentlicher Bestandteil der Individuellen Ziele sein soll. Dieses Gedankengut müsste jedem einzelnen vermittelt werden, da es wenn in einer konvivialistischen Gesellschaft nur eine geringe Anzahl von Menschen aus dem Raster fällt, den übrigen Menschen sehr schwer gemacht wird, mit den vorhandenen Ressourcen auszukommen. Fraglich ist auch, wie mit Widersachern des Systems verfahren werden soll. Wie kann man vermögende Menschen dazu bewegen, auf ihren Reichtum zu Gunsten des Gemeinwohls zu verzichten? Kann dieser Aktivismus vorausgesetzt werden und würde dieses Verhalten dem ureigenen menschlichen Wesen überhaupt entsprechen?
Doch wenn man nun die Gesellschaft fokussiert, könnte der Konvivialismus nicht nur soziale Ungleichheiten bekämpfen, sondern auch unser Verständnis von Reichtum neu prägen. Unser jetziges Verständnis von Reichtum bezieht sich auf Luxusgüter und Geld. Im Sinne des Manifests würden wieder menschlichere Dinge im Fokus stehen. Dabei würde Reichtum auch aus sozialen Aspekten bestehen, wie beispielsweise das persönliche Netzwerk von Kontakten und Freunden. Aber auch die Umwelt, die einer wichtige Rolle spielt, könnte als Reichtum gesehen werden. Dieses Verständnis des Begriffs impliziert ein Streben nach sozialen Erfolgen und wieder mehr Fokus auf wesentliche Aspekte unseres Daseins, was sehr löblich und wünschenswert wäre.
Ferner müssen auch die schwierigen Aufgaben der Gesellschaft bei einer Umsetzung des Konvivialismus beachtet werden. Welche Aufgaben kommen hierbei der Politik und ihren Akteuren zu, um Vorrausetzungen für einen Wandel zur konvivialistischen Gesellschaft zu schaffen? Wegweisend sind hier die vier Grundüberlegungen als Basis jeden Handelns. Des weiteren ist es unmöglich, jeder Branche und jedem persönlichen Bereich des einzelnen in einer konvivialistischen Gesellschaft ihren Stellenwert zu zuschreiben. Dies soll möglichst gerecht geschehen, sodass jeder persönliche Bereich Bedeutung hat, aber auch in dem Maße, dass jeder den Job ausführen kann, den er einnehmen möchte. Dies alles miteinander zu vereinbaren, scheint aus heutiger Sicht sehr schwierig, da es auf der einen Seite genug Branchen gibt, die aus unserer Sicht nicht angemessen oder zu hoch Vergütet werden. Auf der anderen Seite bewerten wir dennoch Arbeitsbereiche und berufliche Tätigkeiten als wichtig oder unwichtig, unabhängig von dem Einkommen. Dies in Einklang zu bringen ohne den aus unserer Sicht unwichtigen Arbeiten ihren Stellenwert komplett zu nehmen, ist eine sehr große Aufgabe für die Gesellschaft. Da auch Auseinandersetzungen und Konflikte wohnen, wenn Individuen gesellschaftsbezogen wichtigere Aufgaben erledigen als andere und dennoch verhältnismäßig gleich Vergütet werden. Wenn das Gemeinwohl auch hier zum Maßstab würde, dann wäre die Frage, ob auch auf den ersten Blick unwichtigere Arbeiten wegen fehlenden Beitrags für die Allgemeinheit überhaupt ausgeführt werden würden, oder wie man diesen einen Sinn geben könnte, sodass man immer noch jedem Individuum auch das Gefühl der Selbstentfaltung ermöglichen kann.
Zusammenfassender Blick auf den Konvivialismus und Minimalismus
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Konvivialismus ein besseres Leben aller in der Gesellschaft ermöglichen, aber auch die Selbstverwirklichung jedes Einzelnen ermöglichen soll. Jeder soll Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen haben und seinen Anteil für die Allgemeinheit mit seinem Schaffen einbringen, ohne dazu gezwungen zu werden. Dies soll mit Fokus auf die Umwelt geschehen und mit einem veränderten Verständnis von Reichtum. Realisiert werden könnte dies durch ein minimalistisches Leben des Einzelnen, um seiner Gesellschaft und seinen Mitmenschen ein konvivialistisches Leben zu ermöglichen, da durch den Verzicht des Einzelnen auf Überschüssiges ärmere Menschen profitieren würden. Darüber hinaus würde durch den gelebten Minimalismus generell bewusster mit Ressourcen umgegangen werden, was auch der Umweltthematik zusätzlich zugutekommt. Ferner könnte durch einen starken und bewussten Verzicht auf überschüssige Dinge das Gefühl des Gemeinwohls leichter angenommen werden.
Abschließend ist in Bezug auf die Frage, ob ein minimalistisches Leben den Wohlstand aller in der Gesellschaft sichert, zu sagen, dass dadurch, dass der Fokus auf die zwischenmenschlichen Aspekte gelegt wird, der Wohlstand in unserem heutigen Verständnis gar nicht als wichtig erachtet wird. So könnte jedem Menschen alles ermöglicht werden, was dieser zum Leben braucht, doch auch nicht mehr. Aber wäre dieses „mehr“ überhaupt nötig? Im Sinne des Konvivialismus würde sich Wohlstand als Gemeinwohl definieren. Dazu gehören im Detail auch das soziale Umfeld, das man sich aufbaut oder auch der Stellenwert, welche die persönliche Arbeit im Bezug auf die Gesellschaft innehat. Unter diesem Blickpunkt würde der Wohlstand aller definitiv gesichert werden, und der Gesellschaft als Ganzes würden genug Ressourcen zur Verfügung stehen, um im Falle von Notfällen einzelnen Menschen diese zur Verfügung stellen zu können, was auch ein Stückweit Wohlstand in unserem heutigen Sinn darstellt. Im Vergleich zu unserer derzeitigen Gesellschaft würde eine konvivialistische Gesellschaft nicht wirtschaftlich stark sein, besonders fortschrittlich im technischen Sinn oder luxuriös. Aber dennoch würden die Ideale, unter der Berücksichtigung eines funktionierenden Systems, die Zufriedenheit, der Respekt und das Zusammenarbeiten als Gemeinschaft enorm groß sein.
Die Inhalte des Konvivialismus sind offensichtlich wünschenswert und aus zwischenmenschlicher Sicht erstrebenswert, doch fraglich ist wie eine tatsächliche Umsetzung des Manifests möglich ist. Die Überlegungen und Anforderungen an die Gesellschaft sind sehr idealistisch und gehen von dem problemlosen Wechsel der Denkweise jedes Einzelnen aus. Unser heutiges Leben besteht darin, auf sich selbst fokussiert zu sein und in seinen Entscheidungen sich an erster Stelle zu sehen. Dies fällt möglicherweise mal stärker und mal schwächer aus, aber im Kern sind wir nicht darauf eingestellt, unser Leben darauf auszurichten, wie wir der Allgemeinheit am meisten helfen können. Dies in unserer heutigen materialistischen Gesellschaft zu ändern, scheint unmöglich und wäre dies im Endeffekt überhaupt in dem Sinn unseres menschlichen Daseins?
Basisquellen:
Adloff, F.; Leggewie, K. (2014): Das konvivialistische Manifest - Für eine neue Kunst des Zusammenlebens, transcript Verlag Bielefeld
Adloff, F.; Heins, M. V. (2015): Konvivialismus. Eine Debatte, transcript Verlag Bielefeld
Best, B.; Vetter, A. (2015): Konvivialität und Degrowth - Zur Rolle von Technologie in der Gesellschaft. Online verfügbar unter: Resarchgate.net. Url: https://www.researchgate.net/publication/329277428_Konvivialitat_und_Degrowth_-_Zur_Rolle_von_Technologie_in_der_Gesellschaft. Letzter Zugriff: 16.11.2020
Illich, I. (1973): Tools for Conviviality, HARPER & ROW, PUBLISHERS New York, Evanston, San Francisco, London
Halfbrodt, M. (2020): Das zweite konvivialistische Manifest - Für eine post-neoliberale Welt, transcript Verlag Bielefeld
Verfasst von: Freund, F.; Jerasts, J.; Kromer, F.
1 note
·
View note
Text
3. Veganisierung der Welt
Veganisierung als Rettungsprogramm
Wie eine veganisierte Welt den Welthunger beendet, das Klima verbessert und eine gesündere Gesellschaft schafft.
Eine Welt, in der Werte wie Gewaltfreiheit, Gerechtigkeit und ein harmonisches Mensch-Natur-Verhältnis im Vordergrund stehen, klingt utopisch. Doch was wäre, wenn es die Möglichkeit gäbe in solch einer Welt zu leben? Der vegane Lebensstil floriert immer mehr. Der Veganismus wurde erst nur als Hype gesehen, doch ist es nicht schon der Beginn einer veganen Revolution?
![Tumblr media](https://64.media.tumblr.com/8f6d13f909cf2e06f66b711528fab4ba/10534fd63a2b1394-03/s540x810/1b051597824a368dc1e76ff15edb7a1c07bcbaa6.jpg)
Veganismus als soziale Bewegung
Die Hauptargumente, die sich um den Veganismus drehen, beinhalten fünf elementare Bereiche: Gesundheit, Ethik, Ökologie, Politik und Religion.
Veganismus beschreibt einen meist ethisch motivierten Verzicht von tierischen Produkten bei der Ernährung, aber auch bei der Lebensweise. Menschen, die sich dazu entscheiden vegan zu leben, achten meist darauf auf alle Formen der Ausbeutung von Tieren, für Kleidung oder Pflegeprodukte zu verzichten. Viele Menschen verzichten bewusst nur auf bestimmte tierische Produkte, während andere den Verzicht aller tierischen Produkte bevorzugen. Es gibt verschiedene Formen der vegetarisch-veganen Ernährung: Während der Ovo-Lakto-Vegetarier Fleisch und Fisch meidet, verzichtet der Lakto-Vegetarier zusätzlich auf Eier. Der Ovo-Vegetarier meidet Fleisch, Fisch und Milch, verzehrt aber Eier. Nur der Veganer verzichtet auf alle tierischen Produkte wie z.B. Fleisch, Fisch, Milch, Eier, Honig, Gelatine und Lab.
Darüber hinaus existieren auch für Vegetarier und Veganer Kennzeichen, an denen sich diese orientieren können. Das V-Label ist eine international geschützte Marke zur Kennzeichnung von veganen oder vegetarischen Lebensmitteln. In Deutschland wird das V-Label von ProVeg e.V. vorgeben. Wenn das Produkt mit dem V-Label als vegan gekennzeichnet ist, wird garantiert, dass das Produkt weder tierische Inhaltstoffe noch Hilfsstoffe enthält. Zur Herstellung des Produktes sind keine Tierversuche durchgeführt worden und Gentechnik wurde ebenfalls nicht im Herstellungsprozess involviert. Die Produktion wird in regelmäßigen Zyklen kontrolliert.
Der Veganismus ist tief in unserer Gesellschaft verankert und reicht weit in die Geschichte der Menschheit zurück. Die ersten Anhänger wurden bereits im alten Griechenland ca. 600 v. Chr. dokumentiert.
Auch im Hinduismus und Buddhismus spielte die fleischfreie Ernährung eine große Rolle. Bereits im 19. Jhd. wurde in England die „Vegetarian Society“ gegründet, welche 1944 zu der „Vegan Society“ wurde. Der Vorsitzende des Vegetarierbund (VEBU), Bruno Wolff, hat 1931 die Wichtigkeit betont, keine tierischen Produkte zu sich zu nehmen. Heute wird der Veganismus als soziale Bewegung gesehen, der aktuell schätzungsweise 1 - 1,3 Mio. Menschen angehören. Die Tendenz ist steigend.
Doch wer ernährt sich vegan? Der typische Veganer ist weiblich, Ende 20 bis Anfang 30 Jahre alt und befindet sich meist im Übergang zwischen Studium und Beruf.
Veganismus als Trend
Befasst man sich mit Veganismus, so kommt die Fragestellung auf, ob es sich hierbei nur um einen Hype oder bereits um eine vegane Revolution handelt.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Verbreitung des Veganismus insbesondere auf zwei Entwicklungen zurückzuführen ist: soziale Medien und Dokumentationen zum Fleisch - und Fischkonsum. Auch gibt es vermehrt vegane Blogs und Internetseiten sowie Schauervideos auf Facebook und YouTube. Des Weiteren dienen Prominente als Vorbilder (z.B. Billie Eilish und Ariana Grande). Für viele ist Veganismus nicht mehr nur ein Trend, sondern eine Lebenseinstellung geworden. Wichtig ist jedoch, dass Veganismus nicht zu einer erzwungenen Ideologie werden darf.
Aus soziologischer Perspektive sind Veganismus und andere Trends vor allem auf die enorme Komplexitätszunahme im Bereich der Ernährung zurückzuführen. Im Western liegt ein Überfluss vor, es herrscht eine große Vielfalt an Nahrungsangeboten. Die vegane Ernährung kann als Möglichkeit dazu dienen, diese Komplexität zu reduzieren.
Außerdem ist festzuhalten, dass die Produktion vegetarischer und veganer Fleischersatzprodukte von 2019 - 2020 um 37 % angestiegen ist. Auch die Corona-Pandemie hat unser Konsumverhalten verändert. Durch Corona-Ausbrüche in Schlachthöfen wurde die Aufmerksamkeit auf die prekären Arbeitsbedingungen und Tierhaltungsmissstände gelenkt. Die Umsätze mit vegetarischen Produkten sind laut der Nielsen-Marktforschung um fast 40 % während Pandemie gestiegen, die mit veganen Produkten sogar um 59 %.
Als Fazit lässt sich festhalten, dass Veganismus als Trend bezeichnet werden kann, der durch COVID-19 einen erneuten Aufschwung erlebt hat.
Institutionelle Ebene: Stigmatisierung von Veganer/-innen
Der Begriff „Vegaphobie“ beschreibt das soziologische Phänomen der Abneigung gegenüber Vegetariern und Veganern.
Veganismus wird aufgrund des starken Zusammenhangs mit Tierrechten oftmals als ein Extrem angesehen. Das Missionierungsverhalten von Veganern wird hierbei oftmals kritisiert. Veganismus führt in der Tat zu einer Form von Abgrenzung durch spezielle Essenswünsche, kann jedoch auch ein Mittel zur Selbstinszenierung darstellen. Veganismus kann zu Ausgrenzungserscheinungen führen. Eine mögliche Gegenmaßnahme zur Stigmatisierung bilden Subkulturen (z.B. vegane Kindergärten).
Der Konflikt zwischen den individuellen, moralischen Motiven für eine vegane Ernährungsweise und dem damit verbundenen Verlust gesellschaftlicher Anerkennung (z.B. in Form von Ausgrenzungserscheinungen) wird tiefgehend im Beitrag der Utopie Integro Libertas thematisiert.
Herleitung der Fragestellung
Blickt man auf die Probleme, die auf unserer Erde herrschen, wird klar, dass gehandelt werden muss – aber wie?
Im Jahr 2019 hungerten auf der ganzen Welt ca. 690 Mio. Menschen.
Auch der Klimawandel ist unaufhaltsam. Auf unserer Erde wird es immer wärmer. Die Menschen leben ebenfalls immer ungesünder. Die Harvard-Studie „Red meat consumption and mortality“ stellte im Jahr 2012 fest, dass durch einen erhöhten Fleischkonsum das Risiko steigt, an Diabetes, Herzkreislaufstörungen oder Darmkrebs zu erkranken.
Doch was haben diese Probleme mit dem Veganismus zu tun? Führt Veganismus zu einer besseren und nachhaltigeren Gesellschaft? Um diese Frage zu beantworten, wird das Thema Veganismus im weiteren Verlauf genauer beleuchtet.
Strukturelle Ebene: Ethische, ökologische, gesellschaftliche und moralische Aspekte von Veganismus
„Der Handel ist mit seiner Einkaufspolitik maßgeblich dafür verantwortlich, dass Mensch, Tier und Klima massiv durch die industrielle Fleischproduktion geschädigt werden.“
- Stephanie Töwe, Landwirtschaftsexpertin von Greenpeace
Schätzungsweise 90% des Frischfleischs der großen Einzelhandelsketten stammen von Tieren, die unter qualvollen und häufig gesetzeswidrigen Bedingungen gehalten werden. Große Supermarktketten wie Aldi, Edeka, Lidl, Netto, Penny und Rewe setzen allerdings weiterhin auf Billigfleisch.
Trotz der positiven Entwicklungen bezüglich der veganen Ernährung existiert eine Schattenseite: die Massentierhaltung. Knapp 800 Millionen Landlebewesen werden jährlich für die Ernährungsindustrie geopfert.
![Tumblr media](https://64.media.tumblr.com/9904b241563925f8f1de2980b8dc9e33/10534fd63a2b1394-0b/s540x810/cb3e5e3c22b8df8dd097b15c340cc48546506c5e.jpg)
Sascha Grosser, Sascha Grosser - Rinderhaltung - Tierleid, CC BY-SA 4.0
In Deutschland herrscht die sogenannte Intensivtierhaltung. Das bedeutet, dass die Landwirtschaft eine maximale Produktion an Fleisch, Milch und Eiern anstrebt und dies so schnell und preisgünstig wie möglich. Die Tiere werden unter prekären Bedingungen gehalten. Daraus resultieren minimale Platzanforderungen, die einen Nährboden für Keime bilden. Daraufhin werden die Tiere mit Antibiotika behandelt. Rückstände der Medikamente machen sich in Form von Antibiotikaresistenz auch bei uns Menschen bemerkbar.
![Tumblr media](https://64.media.tumblr.com/df828153cbf769176f00116f98e4acc5/10534fd63a2b1394-2c/s540x810/6cbc2e96d2cc4bfe979cafe4195a6e7d2f271fc7.jpg)
Maqi, Pig-breeding-factory, CC BY-SA 3.0
Die Massentierhaltung ist ein großes Problem für die Tiere, allerdings leiden auch die Beschäftigten in der Fleischindustrie unter den Bedingungen.
Die Arbeit im Schlachthof ist nicht gut bezahlt. Die Angestellten in der Fleischindustrie verdienen etwa 1.600 € brutto im Monat. In Schlachthöfen arbeiten immer weniger Fachkräfte, dafür steigt die Zahl der angelernten Arbeitnehmer und Werkvertragsarbeitnehmer. Sie kommen Großteils aus Osteuropa, vor allem Ungarn.
Individuelle Ebene: Motivation von Veganern/Veganerinnen
Die Motive für eine vegane Ernährung sind vielfältig und geschlechtsspezifisch. Vegetarismus und Veganismus stellen insbesondere weibliche Phänomene dar. 80% der Personen, die sich vegetarisch oder vegan ernähren, sind weiblich. Frauen nehmen Tierschutz als Hauptmotivation, während Männer eher gesundheitliche Argumente anführen. Zudem essen Männer im Durchschnitt doppelt so viel Fleisch wie Frauen.
Im Allgemeinen ist das Tierwohl für viele die Hauptmotivation. Eine vegane Ernährung kann aber auch ökologische Gründe haben. Zudem stellt das Gesundheitsbewusstsein für viele eine Motivation dar. Eine vegane Ernährung kann mit einem gesenkten Risiko für Diabetes, koronare Herzkrankheiten und Krebs einhergehen. Des Weiteren werden Nährstoffe wie Magnesium und Ballaststoffe von Veganern häufiger zu sich genommen, als von Personen, die eine omnivore Ernährung befolgen.
Die veganisierte Zukunft
Im Anschluss an die informellen Aspekte und den geschichtlichen Hintergrund der veganen Bewegung, wird nun auf die transformative Ebene eingegangen. Nehmen wir einmal folgendes Gedankenexperiment an: Regierende aller Welt erlassen ein Verbot der Massentierhaltung als Konsequenz des Klimawandels. Die individuellen und globalen Chancen und Risiken einer veganen Utopie werden in diesem Kapitel erläutert.
Gesundheitliche Faktoren
Die gesundheitlichen Aspekte, die mit einer ausgewogenen veganen Ernährung einhergehen, machen sich innerhalb kürzester Zeit bemerkbar. Nach nur einer Woche verbessert sich das allgemeine Bewusstsein für eine ausgewogene und intuitive Ernährung. Des Weiteren entwickelt sich ein achtsameres K��rperbewusstsein und das Konsumverhalten wird stetig hinterfragt. Aufgrund der „leichteren“ Kost wird auch die Verdauung besser. Eine übliche Mischkost benötigt eine Verdauungszeit von 24 bis 72 Stunden, die vegane Ernährung nur 6 bis 12 Stunden. Damit einhergehend verbessert sich die Schlafqualität, da der Körper nachts nun weniger Energie für die Verdauung aufwendet. Zusätzlich verliert der Körper an Gewicht. Zunächst handelt sich es hierbei nur um Wassereinlagerungen, die der Körper abgibt. Dies hat allerdings spürbare Auswirkungen, da man sich im Allgemeinen wacher fühlt.
Innerhalb eines Monats regenerieren sich die Vitalwerte. Nennenswert sind beispielsweise die Blutzuckerwerte, LDL-Cholesterinwerte und die Harnsäurewerte. Aufgrund der hohen Kaliumzufuhr durch eine vegane Ernährungsweise normalisiert sich auch der Bluthochdruck. Wird die vegane Ernährung über ein Jahr fortgeführt, verfestigen sich diese Besserungen.
Die Oxfordstudie „Analysis and valuation of the health and climate change cobenefits of dietary change” von 2018 macht deutlich, welche gesundheitlichen Erfolge sich mithilfe einer veganen Ernährung erzielen lassen. Es werden 8,1 Millionen Todesfälle verhindert, die mit einer ungesunden Ernährungsweise einhergehen. Darüber hinaus erfolgt ein Rückgang globaler Erkrankungen wie Krebs, Diabetes mellitus, Apoplexie und koronarer Herzkrankheiten.
Trotz der vielen positiven Auswirkungen auf die Gesundheit, stellt die vegane Ernährungsweise zugleich eine große Herausforderung dar. Grund dafür können unzureichende Informationen bezüglich benötigter Nährstoffe sein. Dies kann fatale Folgen haben. Es ist daher zwingend notwendig, Vitamin B12 zu supplementieren. Dies ist nachweislich der einzige Nährstoff, welchen Veganer nicht mit der Ernährung sichern können. Wer diesen Aspekt außer Acht lässt, erhöht das Risiko für Schlaganfälle, Demenz und Herzinfarkte.
In Folge einer unzureichenden Nährstoffzufuhr besteht die Theorie, Schwierigkeiten bei einer Schwangerschaft zu erfahren. Zusätzlich kann das Risiko für Fehlgeburten steigen. Möglich ist ebenfalls, dass sich Adipositas in ein gegensätzliches Extrem entwickeln kann. Gemeint ist die „Orthorexie“, die sogenannte „gezwungen gesunde Lebensweise“.
Ebenfalls nennenswert ist, dass eine vegane Lebensweise nicht automatisch mit einer gesunden und ausgewogenen Ernährung gleichgesetzt werden kann. Lebensmittel wie Zucker, Korn, Pommes oder Weißmehl sind vegan ist, entsprechen jedoch keiner gesunden Ernährung.
Umweltaspekte
Im Folgenden werden die ökologischen Auswirkungen einer veganen Utopie erläutert.
Es werden 70% des derzeitigen CO2-Ausstoßes eingespart. Ein wesentlicher Faktor für den hohen Ausstoß von Treibhausgasen stellt die Rinderzucht dar. Diese stoßen bis zu bis 250 Liter Methan pro Tag und pro Tier aus. Bei einer veganen Utopie würden sowohl die Bodenübersäuerung als auch die Überdüngung der Gewässer zurückgehen. Des Weiteren wird bis zu 95% weniger Ammoniak produziert. Ammoniak entsteht, wenn Harnstoffe oder Eiweiße in Exkrementen zersetzt werden und somit in die Luftatmosphäre gelangen. Der enorme Rückgang von Ammoniak lässt sich damit begründen, dass enorme Mengen an Kot in der Massentierhaltung entstehen.
In einer veganen Utopie geht der Flächenverbrauch zurück, da 82% der Flächen für die Nutztierhaltung verwendet wird. Wenn es weltweit keine Nutztierhaltung mehr gibt, würden Flächen, vergleichbar mit der summierten Größe der USA, EU, Australien und China frei werden. Da die Menschheit in der Utopie nur noch einen Flächenverbrauch von 700 m2 hat und keine 13.000 m2 mehr benötigt, hätten verdrängte Wildtierarten wieder mehr Platz zum Leben und könnten sich somit auch weiter fortpflanzen.
Die landwirtschaftlichen Vorteile äußern sich ebenfalls in einer Bekämpfung des Welthungers. Aufgrund der Abschaffung der oben genannten Nutztierhaltung, würden Entwicklungsländer über deutlich mehr Wasser verfügen. Die Ernten würden ausreichen, um die gesamte Weltbevölkerung zu ernähren. Laut des umweltwissenschaftlichen Instituts der Universität Minnesota (USA) könnten weitere vier Milliarden Menschen mit 2700 Kcal pro Tag versorgt werden. Oftmals wird der Anbau von Futtermitteln für Nutztiere in Entwicklungsländern durchgeführt. Es werden für 16 Kilogramm Nahrungsmittel für die Produktion von einem Kilogramm Fleisch benötigt. Diese können nun vollständig für die Bevölkerung der Drittländer genutzt werden.
In einer Welt, in der sich alle Menschen vegan ernähren, gäbe es allerdings auch ökologische Nachteile. Eine Hypothese lautet, dass sowohl exotische als auch in Deutschland angebaute Lebensmittel, wie beispielsweise Erdbeeren, 12 Monate im Jahr verfügbar wären. Von Klimaneutralität lässt sich bei dieser Hypothese nicht mehr sprechen. Aufgrund des Verzichts auf Tierleder, wird nun ausschließlich Kunstleder und Kunstfaser genutzt. Für die Herstellung dieser Materialien wird Erdöl genutzt, welches biologisch nicht abbaubar ist. Darüber hinaus könnte sich mit der Zeit ein Schwarzmarkt mit tierischen Produkten entstehen. Für einen Großteil der Bevölkerung gehören tierische Produkte zur täglichen Mahlzeit. Der Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten stellt oftmals einen Genuss dar. Teilweise wird der Verzehr „eines guten Stück Fleischs“ mit Festtagen und dem Gefühl von Euphorie verbunden. Es ist kritisch zu hinterfragen, ob eine vollständige Einschränkung dieses Genusses nicht zu radikal sei. Ein Verbot des Konsums würde einen Eingriff in die Persönlichkeitsentfaltung darstellen. Wichtiger wäre es, jeden kleinen Verzicht als einen Schritt in die richtige Richtung zu werten.
Auch aus wirtschaftlicher Perspektive wäre die vegane Utopie ein fataler Eingriff, da die Massentierhaltung einen sehr großen Teil der Wirtschaft ausmacht. Es wird vermutlich mehrere Jahrzehnte dauern, bis sich die Wirtschaft von dieser schlagartigen Gesetzesänderung erholen würde.
Zu kritisieren ist die Tatsache, dass nicht alle bereits vorhandenen Landflächen weiterhin für den menschlichen Gebrauch sinnvoll genutzt werden könnten. Zusätzlich kann nicht jede Pflanzenart auf jedem Boden gedeihen. Daher muss zunächst geprüft werden, wo und in welchem Ausmaß, Ackerbau betrieben werden kann. Des Weiteren würde durch den übermäßigen Pflanzenanbau vermehrt Unkraut wachsen. Um dem entgegenzuwirken, wird eine intensivere Bodenbearbeitung mithilfe des Einsatzes von Pestiziden benötigt. Der Gebrauch von Pestiziden kann Krankheiten in uns Menschen auslösen sowie Böden und Gewässer negativ beeinträchtigen.
Animal Utopia
Um eine bildliche Darstellung einer möglichen veganen Welt zu erhalten, sind die Kunstwerke von Hartmut Kiewert sehr zu empfehlen. Seine Bilder verdeutlichen die Utopie eins friedlichen Zusammenlebens von Menschen und Tieren.
Um einen Einblick in seinen Gedankengang zu erhalten, ist diese Website empfehlenswert.
Führt die Veganisierung zu einer besseren und nachhaltigeren Gesellschaft?
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass sich eine veganisierte Welt definitiv sehr positiv auf Menschen und Umwelt auswirken kann. Voraussetzung ist jedoch, dass auf eine ausgewogene Nährstoffzufuhr geachtet wird. Allerdings bieten sich für Entwicklungsländer kaum Möglichkeiten, Nahrungsergänzungsmittel (z.B. für Vitamin B12), zu erhalten.
Eine vegane Utopie weist ebenfalls viele Chancen für unser Ökosystem auf. Die ökologischen Nachteile einer veganen Utopie fallen vergleichsweise gering aus.
Ferner, sollte dieser Beitrag dazu dienen, das eigene Konsumverhalten zu reflektieren und sich bewusst zu werden, welche Konsequenzen unser Handeln für Umwelt, Tier und Mensch hat. Jeder Kauf von tierischen Lebensmitteln ist mit einem Stimmzettel gleichzusetzen, der darüber entscheidet, ob wir die Massentierhaltung unterstützen.
![Tumblr media](https://64.media.tumblr.com/ea16ac31e03085c2e2c4ca5f79ad8338/10534fd63a2b1394-5e/s540x810/448105bc0f58bf0f0fe6005278085538617278c4.jpg)
Basisquellen:
Bendl, R., Delmestri, G., Kudelka, P. (Hg.) (2018): Vegaphobie: Ein Hindernis auf dem Weg zur Nachhaltigkeit, Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Gebauer, G. (2014): Neue Studie: Vegan ernährt die Weltbevölkerung. URL: https://www.vegan.eu/vegan-gegen-hunger/ Letzter Zugriff: 20.01.2021
Ullmann, H. (2020): Tierhaltung in Deutschland – der mechanisierte Wahnsinn. Online verfügbar unter: Massentierhaltung in Deutschland. URL: https://www.peta.de/grausamkeitantieren?gclid=Cj0KCQiAhs79BRD0ARIsAC6XpaUxYhNpNCGOsYk_InjkTlTbeKMiMMwyDxjqJCOU8tpewTvFCfPHrf8aAlDWEALw_wcB. Letzter Zugriff:17.11.2020.
Wolf, D.; Becvar, M.; Radojicic, N. (2007): Veganismus als Lebensstil: Konsumverweigerung / Konsumalternative, Universität Wien. URL: https://archiv.veggie-planet.at/newsundinfo/studien/veganismus_als_lebensstil.pdf /. Letzter Zugriff: 22.01.2021
Um die erwähnten Informationen zu vertiefen, sind folgende Beiträge zur Thematik Massentierhaltung interessant:
https://umweltgruppenblog.wordpress.com/2018/08/16/weniger-als-10-cent-fuer-ein-mensa-ei/
https://www.spiegel.de/wirtschaft/schweinezucht-andresen-wie-es-im-stall-eines-bauernlobbyisten-aussieht-a-59e9a69c-d695-4b93-9610-47527f3b882a
https://www.peta.de/neuigkeiten/zuchtbetrieb-veraengstigte-kaninchen/
https://kraft-futter.de/schweinezucht-in-deutschland/
https://www.youtube.com/watch?v=V7DrljVAaYk
https://www.youtube.com/watch?v=WqT5g9y4dmE
https://www.youtube.com/watch?v=tMSTYLR2v_8
Erwähnenswert ist, dass die zur Verfügung gestellte Literatur nicht in diesem Blogeintrag verwendet wurde.
Verfasst von: Hummel, L.; Schemendück, A.; Sehmisch, H.; Storz, S.
1 note
·
View note
Text
4. Ökodorf “Sieben Linden”
“Back to nature”
Wie ein einzelnes Ökodorf an einer besseren Welt arbeitet
Erderwärmung, hoher Ressourcenverbrauch, Verschmutzung der Umwelt und die allgemeine Zerstörung des blauen Planeten – all dies sind Symptome oder Begleiterscheinungen des Klimawandels, der wohl größten Bedrohung der Menschheit. Schon Barack Obama, zu jener Zeit noch Präsident der Vereinigten Staaten, betonte 2015 die Dringlichkeit der Klimaproblematik: „Climate change is no longer some far-off problem; it is happening here, it is happening now.”. Lösungen und Ansätze gegen den Klimawandel gibt es viele, aber inwieweit könnten Utopien oder “Menschheitslabore” als Lösungen dienen? Kann eine klimaneutralere Lebensweise oder die Orientierung an anderen Werten den Klimawandel stoppen?
Die Hauptursache für den sogenannten menschengemachten Klimawandel, welcher eine Verstärkung des natürlichen Klimawandels durch Eingreifen des Menschen beschreibt, ist die Zunahme von Treibhausgasen. Diese Zunahme an Treibhausgasen bewirkt der Mensch vor allem durch drei Praktiken. Einerseits produziert die Haltung von Nutztieren relativ viele Treibhausgase. Daneben tragen Waldrodungen oder auch fossile Verbrennungen ebenfalls einen großen Teil zu deren Zunahme bei. Das Fortschreiten des Klimawandels könnte zur endgültigen Zerstörung des blauen Planeten und zum Massensterben jeglicher Lebensformen auf der Erde führen. Auch wenn es aktuell schon Krankheiten, Lebensraumveränderungen und Tode gibt, welche durch den menschengemachten Klimawandel bedingt werden, sollte gerade für die Zukunft der Klimawandel aufgehalten werden. Denn es ist nicht nur die menschliche Pflicht für die aktuelle Generation den Planeten zu erhalten, sondern vor allem für zukünftige Generationen ein weiteres Überleben für die Menschheit und für alle Lebewesen sicherzustellen. Um klimabedingten Katastrophen und dem allgemeinen Klimawandel entgegenzuwirken, gibt es viele verschiedene Ansätze und Lebensorientierungen (beispielsweise auch das „Terrestrische Manifest“). Eine klimafreundlichere Lebensweise ist jedoch nicht nur Ziel von einzelnen Menschen, sondern wird oftmals auch in geschlossenen Gesellschaften oder Utopien als Ziel angesehen. Im Folgenden wird diese am Beispiel des Ökodorfes „Sieben Linden“ gezeigt. Daneben soll diskutiert werden, ob die Lebensweise von “Sieben Linden” als Prototyp einer Lebensform dienen kann, die dem Klimawandel entgegenwirkt.
Ökodorf Sieben Linden?
"2014.5.16 | Ecovillage Sieben Linden (by Onda) | 32" by ondapolitica is licensed under CC BY-NC-SA 2.0
Bei dem Ökodorf „Sieben Linden“ handelt es sich um eine soziale, als auch ökologisch ausgerichtete, Siedlung, die bis zu 300 Menschen beherbergen kann. Das grundlegende Ziel dieses Ökodorfes ist die Kooperation von Menschen und Natur. Selbstverantwortung und Selbstversorgung spielen hierbei eine zentrale Rolle und sollen, neben Ökologie, in allen Bereichen des Lebens umgesetzt werden. Zudem wird in “Sieben Linden” versucht eine zukunftsfähige und ökologische Lebensweise zu erreichen. Im Mittelpunkt des Denkens und Handelns im Ökodorf steht die eigene Verantwortung der Bewohner*innen gegenüber der restlichen Welt. Damit werden die Folgen des eigenen Redens, Handelns und Seins angesprochen und diese bilden den Grundgedanken des Ökodorfes. Zudem herrscht globale und soziale Gerechtigkeit, sowie Gewaltfreiheit gegenüber der Umwelt, dies schließt neben Menschen auch die Natur mit ein. In “Sieben Linden” wird sich auf das gemeinschaftliche Leben fokussiert. Die Bedürfnisse und Besonderheiten jedes Menschen sollen geachtet und gewürdigt werden. Daneben wird jedoch auch jeder Bewohner dazu angeregt sich auf die individuelle Entwicklung und eigene spirituelle Suche einzulassen. Im Ökodorf wird bewusst, trotz vieler Unterschiede, zusammengelebt. Die Lebensweise steht unter dem Motto “Einheit in der Vielfalt”. Viele dieser Grundlagen teilt sich „Sieben Linden“ mit vielen weiteren Ökodörfern (bspw. „Tamera“, „Auroville“, „Damanhur“). “Sieben Linden” bietet somit nur eine Möglichkeit eines alternativen Lebensstils aus einem Netzwerk vieler. In den Verzeichnissen “eurotopia” (welches sogar von Sieben Linden ins Leben gerufen wurde) und “Global Ecovillage Network” kann sich hierzu weiter informiert werden.
Ökologische Besonderheiten
Doch wie genau versucht das Ökodorf „Sieben Linden“ klimafreundlicher zu handeln? In welchen Bereichen werden aktiv Maßnahmen durchgesetzt, die sich positiv auf das Klima auswirken?
Zuerst muss angeführt werden, dass es sich beim Häuserbau um einen Bereich handelt, in welchem leicht und effektiv gegen den Klimawandel vorgegangen werden kann. Die konventionelle Art der Errichtung von Häusern verbraucht viel Energie und wirkt sich somit negativ auf den jeweiligen ökologischen Fußabdruck, und somit auch auf das Klima, aus. In "Sieben Linden” werden deswegen konsequent Niedrigenergiehäuser errichtet, die aus natürlichen Rohstoffen, wie Stroh und Lehm, bestehen und schon beim Bau massiv an Energie sparen. Die Rohstoffe stammen meist aus der nahen Region oder sogar aus dem Dorf selbst, somit werden die Transportwege hier auch möglichst kurzgehalten. Auch nach Errichtung ist der Energieverbrauch der Häuser geringer, da die Wohnfläche für die Bewohner*innen möglichst geringgehalten wird, sodass kleinere Bereiche beheizt werden müssen. Dabei wirkt sich vor allem auch die hervorragende Dämmung der Häuser positiv aus. Gerade Strohhäuser sind gut vor Kälte geschützt und die Heizkosten sind hier deutlich geringer, als bei konventionellen Häusern. Im Ökodorf wird nur bei Bedarf geheizt, und wenn dann nur mit Holz, das zum größten Teil aus dem eigenen Wald stammt. Zudem werden Sonnenkollektoren und Heizwasserspeicher genutzt, welche ihren Teil zur Klimafreundlichkeit beitragen. Der Stromverbrauch im Dorf wird ebenfalls möglichst geringgehalten. Die Bewohner*innen von „Sieben Linden“ verbrauchen nur ungefähr ein Viertel des Bundesdurchschnitts. Dieser niedrige Stromverbrauch ist darauf zurückzuführen, dass bei der Einrichtung der Häuser darauf geachtet wird, dass Geräte verwendet werden, die den eingespeisten Strom effektiv nutzen und möglichst wenig verschwendet wird. Zusätzlich werden auch auf jedem Haus Photovoltaikanlagen installiert. Dies ist im Dorf Pflicht und soll dazu dienen, dass möglichst viel Strom selbstständig gewonnen werden kann. Allerdings kann bisher nur etwa 65% des benötigten Stroms vor Ort produziert werden, der Rest wird immer noch aus dem öffentlichen Netz bezogen.
"2014.5.16 | Ecovillage Sieben Linden (by Onda) | 16" by ondapolitica is licensed under CC BY-NC-SA 2.0
Neben dem niedrigen Energie- und Stromverbrauch wird im Ökodorf „Sieben Linden“ viel Wert auf eine hohe Artenvielfalt in ihrem Areal gelegt. Der Verlust einer solchen Vielfalt ist in Deutschland meist die Folge von intensiver Land- und Forstwirtschaft. Auch durch die steigende Bebauung von Flächen und der Zerschneidung von Lebensräumen durch Verkehrswege kann es zum Artensterben kommen. Daneben führt der fortschreitende Klimawandel mitunter auch zu einem starken Verlust der Artenvielfalt. Ganze Ökosysteme können durch dessen Auswirkungen zerstört werden. Jedoch leisten funktionierende Ökosysteme einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels. Sie bieten die Möglichkeit, Teile des ausgestoßenen Kohlenstoffdioxid durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe aufzunehmen und zu speichern. Damit kann verhindert werden, dass dieser Kohlenstoffdioxid negative Konsequenzen für die Umwelt mit sich trägt. Doch das fortschreitende Artensterben führt dazu, dass viele Ökosysteme eben nicht mehr zur vollen Kapazität arbeiten können. Bei dem Versuch gegen den Klimawandel vorzugehen, ist es dementsprechend wichtig die Artenvielfalt zu schützen und wenn möglich zu erhöhen. Das Ökodorf „Sieben Linden“ versucht deshalb seinen Beitrag zum Schutz und Ausweitung der Artenvielfalt zu leisten. Die Bewohner*innen minimieren den Verbrauch von Flächen durch Versiegelung, bauen ihre Gärten, Freianlagen und Gewässer aus, damit mehr Tierarten dort einen Lebensraum finden und sich dadurch verbreiten können und kümmern sich gut um ihre Waldflächen. Durch diese Maßnahmen konnte die Artenvielfalt auf dem Gelände des Ökodorfes “Sieben Linden” nachweislich erhöht werden.
Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem das Ökodorf versucht den eigenen ökologischen Fußabdruck zu minimieren und allgemein klimafreundlicher zu agieren, ist der Eigenanbau und die Selbstversorgung. Etwa 75% des Nahrungsbedarfes von Gemüse, Obst und Kräutern wird im Dorf selbst produziert. Auch gibt es Ackerflächen, die zur Selbstversorgung beitragen. Der Eigenanbau bietet den Vorteil, dass die Art des Anbaus einfach kontrolliert werden kann. Somit kann genau darauf geachtet werden, dass möglichst ökologisch und umweltschonend angebaut wird. Ein positiver Nebeneffekt davon ist, dass beim Eigenanbau auch die Transportwege minimiert werden. Die Nahrung, die im Dorf selbst produziert werden kann, wird deutlich weniger durch die Verbrennung fossiler Rohstoffe belastet, wie es bei Lebensmittel von weiter entfernten Orten der Fall ist. Hierbei wird also deutlich klimafreundlicher gehandelt, die Treibhausgasemissionen sind nachweislich geringer. Bei den Lebensmitteln, die nicht im Dorf selbst produziert werden können, wird darauf geachtet, dass diese aus ökologisch kontrolliertem Anbau und möglichst aus der näheren Region stammen. Somit wird auch dabei stark auf Klimafreundlichkeit geachtet. Doch es wird nicht nur auf eine ökologische Anbauweise von Lebensmitteln geachtet, sondern auch auf eine bewusste Ernährung.
"2014.5.16 | Ecovillage Sieben Linden (by Onda) | 34" by ondapolitica is licensed under CC BY-NC-SA 2.0
Nicht nur die Herkunft der Nahrung spielt eine große Rolle, es wird auch viel Wert auf eine artgerechte Tierhaltung gelegt. Die Bewohner*innen von „Sieben Linden“ beziehen ihr Fleisch nur aus artgerechter Haltung. Allerdings muss hierbei betont werden, dass gerade Milch- und Fleischprodukte eine schlechte Treibhausgasbilanz aufweisen. Dadurch, dass die Fleischproduktion in Deutschland zu einem großen Teil einen schlechten Standard vorweist, ernähren sich viele Bewohner*innen von Sieben Linden ausschließlich vegetarisch oder vegan. Die vegan lebende Gruppe im Dorf kann ihre Treibhausgasemissionen im Bereich der Ernährung im Vergleich zum Bundesdurchschnitt und auch im Vergleich zu den Bewohnern*innen des Dorfes, die sich nicht vegan ernähren, deutlich verringern (mehr Informationen über „Vegane Ernährung“). Es zeigt sich also deutlich, dass das Ökodorf in vielen Bereichen klimafreundlicher handelt als der Bundesdurchschnitt. Damit trägt das Ökodorf “Sieben Linden” ihren Teil zur Verminderung des Klimawandels bei.
Ist die Vision von „Sieben Linden“ zukunftsorientiert und könnte als Prototyp einer Lebensform dienen, die dem Klimawandel entgegenwirkt?
Um die Frage beantworten zu können, ob Sieben Linden als Prototyp für eine Lebensform gegen den Klimawandel dienen kann, müssen zunächst einmal sowohl die Argumente, die dafürsprechen, als auch die Gegenargumente genauer beleuchtet werden. Vergleicht man den Lebensstandard der Bewohner*innen von Sieben Linden mit der modernisierten Welt, in der wir leben, kristallisiert sich heraus, dass die Lebensform des Ökodorfes deutlich ökologischer und ressourcensparender ist. Neben dem Häuserbau, der Ernährung und dem Eigenanbau von Obst und Gemüse zählen Aspekte wie Car-Sharing, Vermeidung von Flugreisen und Vermeidung von Müll zu den ausschlaggebenden Punkten, um den Kohlenstoffdioxidausstoß zu reduzieren und so gegen den Klimawandel vorzugehen. Diese wichtigen Faktoren, welche bei Nichtbeachten einen hohen Treibhausgasausstoß vorweisen, zählen in der modernen Welt zu den “als normal angesehenen Prozessen, die zum alltäglichen Leben gehören” und werden kaum hinterfragt. Allgemein lässt sich sagen, dass in den modernisierten, überwiegend westlichen, Teilen der Welt der eigene Beitrag zur Erderwärmung kaum anerkannt wird. Meist gibt es auch nur kleine Schritte zur Veränderung, obwohl die Politik in letzter Zeit sehr dafür kritisiert wurde. Damit alle Menschen wie in “Sieben Linden” leben könnten, müssten die westlichen Länder ihre Standards der Modernisierung zurückfahren und wieder auf konventionellere Methoden zurückgreifen. Dies würde natürlich aber auch bedeuten, dass viele Vorgänge zeit- und kraftaufwendiger werden würden. Ein Sträuben hiergegen ist abzusehen, da es wohl wenige Menschen gibt, die auf ihre, als normal angesehenen, Standards verzichten würden, um das Klima zu schonen. Einen Vorteil aus der weltweiten Übernahme des Konzepts von “Sieben Linden” würden hingegen aber die Schwellenländer ziehen, da sich ihre Lebensstandards dadurch durchaus weiter verbessern würden.
Allerdings besteht in vielen Utopien das Problem, dass sich ihr Konzept nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung eignet und sich nur schwer bis gar nicht auf die Gesamtbevölkerung ausweiten lässt. Auch das Ökodorf “Sieben Linden” stößt hierbei an seine Grenzen, denn die Bewohner*innen nutzen eine relativ große Fläche, im Verhältnis zu ihrer Bewohneranzahl. “Sieben Linden” wurde ursprünglich für 300 Menschen erbaut, aktuell wohnt aber nur ca. die Hälfte dort. Trotzdem gehören 100ha Fläche zum Ökodorf, wovon über sechzig Prozent von Wald eingenommen werden.
"2014.5.16 | Ecovillage Sieben Linden (by Onda) | 28" by ondapolitica is licensed under CC BY-NC-SA 2.0
Versucht man dieses Wohnkonzept auf die Gesamtbevölkerung auszuweiten, wird man schnell vor das Problem gestellt, dass die Erde nicht über genügend nutzbare Fläche, vor allem nicht ausreichend Waldfläche, verfügt. Dies ist zum einen darin zu begründen, dass ein großer Teil der vorhandenen Fläche bereits durch Gebäude, Infrastruktur und vieles mehr genutzt und nicht wieder verfügbar gemacht werden kann. Zum anderen ist der Großteil der Erdoberfläche von Wüsten, Wasser oder Eis bedeckt und dort kann, durch die extremen Wetterbedingungen, nur schwer Lebensraum für den Menschen geschaffen werden. Neben der nicht ausreichenden Fläche kommt auch hinzu, dass “Sieben Linden” trotz ihres größtenteils autarken Lebensstils noch Ressourcen und Technik von außen beziehen muss. Eine weltweite Umsetzung des Konzepts würde aber bedeuten, dass diese Technik und Ressourcen nicht mehr vorhanden wären, da man darauf für die geringere Klimabelastung verzichtet.
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass eine eindeutige Beantwortung der Fragestellung nicht möglich ist. Grundsätzlich wären eine Umstellung und Anpassung der Lebensweise der modernisierten Länder zu dem Standard „Sieben Linden‘s“ hin, rein klimatisch betrachtet, definitiv vorteilhaft. Jedoch muss dabei angemerkt werden, dass dies ein totales Umdenken der Gesellschaft voraussetzen würde. Dies ist eher schwierig zu erreichen, denn niemand kann gezwungen werden, eine neue Lebens- und Denkweise anzunehmen. Diese Entscheidung setzt einen Wertewandel voraus und muss aus dem Inneren, aus voller Überzeugung, kommen. Eine solche Umorientierung auf freiwilliger Basis wird sehr problematisch betrachtet, da der Egoismus zur heutigen Zeit relativ stark in den meisten Menschen verankert ist. Vor allem seit den 1990er Jahren wurde der Individualismus immer mehr angepriesen. Das führte dazu, dass die Menschen einen großen Wert darauflegten, sich selbst ausleben zu können und das eigene Ego zu stärken. Wenn man jedoch zur Klimaproblematik und zum Umweltschutz tendiert, gibt der Altruismus ein passenderes Leitbild ab, da dabei nicht das eigene, sondern das gemeinschaftliche, Wohl im Vordergrund stehen sollte. Dies entspricht auch dem Ansatz dem „Sieben Linden“ folgt.
Zusätzlich zur mentalen Einstellung muss erneut betont werden, dass eine Lebensweise nach dem Vorbild von „Sieben Linden“ auch aus ganz praktischen Gründen nicht möglich wäre. Die Erde bietet nicht genug Wald- oder Nutzfläche, um allen auf ihr lebenden Menschen ein Leben nach „Sieben Linden“ zu ermöglichen. Zudem kommen die Bewohner des Ökodorfes in den Bereichen Ernährung, Ressourcen oder auch Technik nicht ohne den Rest der “anders lebenden” Welt aus. Würden alle Menschen dem Prinzip von „Sieben Linden“ folgen, wären die inneren Abläufe nicht mehr schlüssig bzw. könnte keine einheitliche Versorgung mehr stattfinden.
Schlussendlich muss angeführt werden, dass sich das Ökodorf „Sieben Linden“ selbst nur als Modelldorf sieht und nicht als großes Vorbild. Das Ökodorf gesteht sich selbst ein, dass ihre Lebensweise nicht perfekt und kein auf die restliche Welt übertragbares Modell ist. Jedoch kann sich gerne an Abläufen und Lebenseinstellungen des Ökodorfes orientiert werden. Die Klimaproblematik ist aktuell eine der größten, wenn nicht die größte, Bedrohungen der Menschheit. Um diese Gefahr zu entschärfen oder zu mildern, sollte jeder Mensch seinen Beitrag dazu leisten. Wenn das Konzept von „Sieben Linden“ einige Menschen inspirieren und vielleicht zum Wandel anregen kann, ist das definitiv eine gute Sache, denn jeder kleine Beitrag zu einem klimafreundlicheren Leben hilft, um den Klimawandel einzudämmen und unseren Planeten zu schützen.
Bei weiterem Interesse kann die Website von “Sieben Linden” als Informationsquelle empfohlen werden.
Basisquellen:
Website von Sieben Linden: Freundeskreis Ökodorf eV; http://siebenlinden.org/de/start/
Bocco, A.; Gerace, M.; Pollini, S. (2019): The Environmental Impact of Sieben Linden Ecovillage. Online verfügbar unter: Open Access. URL: http://library.oapen.org/handle/20.500.12657/27359. Letzter Zugriff: 20.11.2020
Simon, K.; Matovelle, A.; Fuhr, D.; Kilmer-Kirsch, K.; Dangelmeyer, P. (2004): Zusammenfassender Endbericht zum Vorhaben „Gemeinschaftliches Lebens- und Wirtschaftsweisen und ihre Umweltrelevanz“. Online verfügbar unter: Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften Universitätsbibliothek, URL: https://doi.org/10.2314/GBV:491173229. Letzter Zugriff: 13.01.2021
Empfehlungen bei Interesse an Sieben Linden:
Dokumentation: Westdeutscher Rundfunk Köln (2019): Es geht auch anders – Selbstbestimmt und nachhaltig leben. online verfügbar unter: Planet Wissen. URL: https://www.planet-wissen.de/video-es-geht-auch-anders--selbstbestimmt-und-nachhaltig-leben-100.html
Buch: Kunze, I.; Stanellé, C. (2017): 20 Jahre Ökodorf Sieben Linden1997-2017 Erfahrungen, Reflexion und Resümee; https://www.eurotopiaversand.de/Buch-Print/20-Jahre-OEkodorf-Sieben-Linden.html
Verfasst von: Wagner, A.; Frank, E.; Bründl, M.
1 note
·
View note
Text
5. Friedensforschung Tamera
Ein perfektes Leben in einer experimentellen Lebensgemeinschaft
“Es gibt einen Menschheitstraum, der wiederentdeckt werden möchte, so schön und unbekannt, dass kaum noch jemand wagt, an ihn zu glauben. Es ist der Traum von einer Welt ohne Krieg, in der die große Versöhnung stattgefunden hat zwischen allen, die sich einmal als Feinde gegenüberstanden, Versöhnung zwischen Völkern und Religionen, zwischen Mann und Frau, zwischen Menschen und Natur.” (vgl. Monika Ailleweldt)
Eine Welt ohne Krieg, ohne Konflikte? Eine Welt voller Frieden? Das Zentrum für Friedensforschung- und Ausbildung in Portugal stellt wohl das perfekte Leben in einer experimentellen Lebensgemeinschaft dar.
1978 begann ein Projekt aus dem 1995 dann das Friedenszentrum Tamera entstand. Dieses Projekt wurde von Sabine Lichtenfels und Dieter Duhm gegründet. Sie bauten gemeinsam das heutige Heilungsbiotop auf, welches sich aus verschiedenen Unterprojekten zusammensetzt.
Ein sehr wichtiges Zitat von Dieter Duhm besagt: “Es gibt die Welt die wir erschaffen, und es gibt die Welt die, uns erschaffen hat. Die beiden müssen zusammenkommen. Das ist das Ziel der Reise.” Duhm gehört zu der sogenannten 68er Generation. Er lebte in Mannheim und studierte dort Psychologie, als Benno Ohnesorg bei einer Demonstration am 2. Juni 1967 in West-Berlin erschossen wurde, da er gegen den Schah politisierte. Daraufhin hat die Studentenbewegung stattgefunden.
Entscheidend für das Projekt Tamera ist die Idee der “freien Liebe”. Freie Liebe bedeutet, dass jeder lieben darf wen er will und auch zusammen sein darf mit wem er will. Beispielsweise lebt dort ein Mann mit fünf Kindern von drei unterschiedlichen Frauen. Er pflegt zu allen eine Liebesbeziehung und alle Frauen wissen voneinander und leben gemeinsam in Tamera.
Der Grundgedanke und die Basis von Tamera sind dementsprechend, dass sich jeder in seiner Vielfalt weiterentwickeln kann, jedoch in einer friedvollen Gemeinschaft. Ohne Egoismus und Ausgrenzung. Frei von Gewalt, gefüllt mit Zusammenhalt und Liebe. Für viele Menschen auf der Welt stellt sich dabei die Frage, ob solch eine Lebensvorstellung in unsere heutige Gesellschaft integriert werden kann.
Friedensforschung fernab von der realen Welt
Tamera liegt im südwestlichen Teil von Portugal, sehr abgelegen von allem.
Auf der 134 Hektar großen Fläche leben 200 Menschen. Davon sind 170 Erwachsene und 30 Kinder und Jugendliche. Insgesamt gibt es 23 Seen, welche aus Regenwasser entstanden sind. Zudem gibt es ein Kulturzentrum, welches ein Bücherladen, einen Klamottenbazar, eine Bar und einen Spielplatz beinhaltet. Das Kulturzentrum hat fast jeden Abend geöffnet. Dort wird sowohl für die Bewohner Tameras, als auch für Besucher, viel Programm geboten. Eine Aula bietet Platz für 400 Menschen. Jeden Sonntag, und zu besonderen Anlässen, findet eine Versammlung statt. Entscheidet sich ein Besucher, Tamera zu erkunden, wird er in das Besucherzentrum und die Campus Küche geführt. Dort wird das wichtigste erklärt und dreimal am Tag gibt es ausschließlich veganes Essen. Ein Seminarzentrum und Schlafsäle, sowie ein Gästehaus mit Einzel- und Doppelzimmer für die Besucher wird ebenfalls zur Verfügung gestellt. Wie man sehen kann, ist das Friedensforschungszentrum sehr groß und breit aufgestellt. Das für Tamera entwickelte System bietet den Bewohnern und Besuchern viel Platz für Leben.
Tamera finanziert sich zum größten Teil selbst, denn im Sommer wird bis zu 60% der Energie durch Fotovoltaik gewonnen und im Winter zu etwa 40%. Ca. 50% des Warmwassers für duschen und waschen kommt aus Solarthermieanlagen und die restlichen 50% von Gasheizungen. Die Nahrungsmittel werden ebenso fast alle selbst hergestellt und so gelagert, dass sich jeder bedienen kann und nehmen kann was er gerade benötigt.
Jedoch hat Tamera auch laufende Kosten. Dazu gehören die Einkünfte von Seminaren und der Gästebetrieb. Die Forschung und der Aufbau der Modellsiedlung ist auf Unterstützung wie zum Beispiel Spenden angewiesen. Über die GRACE-Stiftung kann man regelmäßig einen bestimmten Betrag nach Wahl spenden oder Tamera zum Beispiel ein Zinsfreies Darlehen geben.
Grundwerte von Tamera
Die zentrale Forschung basiert auf der Frage, wie Vertrauen zwischen Menschen und allen Mitgeschöpfen entsteht. Wichtige Grundlage dafür bieten ethische Richtlinien der Gemeinschaft. Alle Menschen, die in Tamera leben, halten sich an gemeinsam vereinbarte ethische Grundwerte. Sie verpflichten sich dazu, die Verhaltensregeln in ihr alltägliches Leben zu integrieren. In unserer Gesellschaft ist man auf Lüge und Verstellung angewiesen, um zu überleben, weshalb Lebensumfelder geschaffen werden, die Vertrauen und Respekt ermöglichen. Die fünf ethischen Richtlinien der experimentellen Gemeinschaft sind:
Verantwortliche Teilnahme: Ideen einbringen, Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen. Die Vertrauensbildung innerhalb der Gemeinschaft soll dadurch noch mehr gestärkt werden.
Respekt und Pflege für alle Wesen: Konsum- und Verhaltensgewohnheit werden geändert und das Grundrecht eines jeden Wesens auf ein Leben in Freiheit und Würde wird geachtet.
Verlässlichkeit: Diese Richtlinie steht unter dem Motto “Tue, was du sagst und sage, was du tust.
Gegenseitige Unterstützung: Durch ehrliche und unmittelbare Rückmeldung soll ein stabiler Gemeinschaftskörper zusammenwachsen.
Wahrheit und Transparenz: Alle wichtigen Prozesse müssen für jeden in der Gruppe durchschaubar und ehrlich sein.
Tamera als Vision einer perfekten Welt
Tamera sieht sich als den Geburtshelfer für eine Welt ohne Krieg. Die Mission dahinter ist, Menschen in aller Welt befähigen, eine sowohl regenerative als auch gewaltfreie Kultur aufzubauen. Ein futurologisches Zentrum, in dem die Grundlagen für eine zukünftige planetarische Kultur des Friedens erforscht und exemplarisch aufgebaut wird, stellt die Basis für Tamera.
Welche Vision steckt hinter dem „Experiment Tamera?“ Die Vision einer neuen planetarischen Kultur, die auf einem Netzwerk autonomer Gemeinschaften beruht, nennt sich Terra Nova. Es ist die Vision einer Zivilisation frei von Gewalt und Krieg. Den Übergang zu Terra Nova erklären die Bewohner Tameras anhand eines anschaulichen Beispiels: So wie die Raupe das Stadium der schützenden Puppe durchläuft, um sich in einen Schmetterling zu verwandeln, so muss das Friedensforschungszentrum eine schützende Umgebung aufbauen, um Parameter zu entwickeln, die diese gelebte Utopie ermöglichen.
Eine Zukunft ohne Krieg wird durch den Aufbau von Heilungsbiotopen unterstützt. Das Wort „Biotop“ setzt sich aus den griechischen Wörtern „bio“ und „topos“ zusammen. Es bedeutet so viel wie „Platz für Leben“. Ein Heilungsbiotop beschreibt einen Ort, an dem alle Lebewesen, Menschen, Tiere, Pflanzen, Wasser, etc. eine Einheit bilden und gleichzeitig seine Vielfalt verkörpern und weiterentwickeln können. Das Wort „heilen“, nicht im Sinne von „Bekämpfen einer Krankheit“, meint die „Ganzheit des Lebens“ wiederherstellen. Dabei werden in einem experimentellen Forschungs- und Ausbildungszentrum wie Tamera, zwei Welten modellhaft in Übereinstimmung gebracht. Orientiert man sich an den universellen Lebensmustern, sind die Bewohner fest davon überzeugt, dass die Heilung von selbst entsteht. Es ist wie eine Wunde am eigenen Körper. Sie selbst zeigt mit viel Geduld ein eigenständiges Verheilen, wenn sie gepflegt wird. In Tamera müssen deshalb soziale, ökologische und ökonomische Rahmenbedingungen erschafft werden. Von großer Bedeutung ist dabei, dass sich Selbstheilungskräfte entfalten können. Notwendige Basis dafür ist, dass alle Wesen in voller Kooperation und vollem Vertrauen zusammenleben. Aus dem gemeinsamen Zusammenleben schließt sich, dass sich ein Heilungsbiotop in ständiger Weiterentwicklung befindet. Sie beziehen Wissen aus nahem und fernem Umfeld, denn als offenes System reagieren sie auf Bedürfnisse Region, in der man sich befindet.
Konfliktbewältigung im Fokus einer gelebten Utopie
In einer Gesellschaft gibt es immer wieder Konflikte, dabei steht Meinung gegen Meinung egal ob politisch, religiös oder privat. Tameras Ziel ist Frieden und mit Konflikten kann es kein Frieden geben. Ihre Utopie ist das Zentrum für Friedensforschung, in der sie sich mit der Frage befassen: „Wie leben Menschen miteinander und wie gehen wir mit Konflikten um?“
Ein wichtiger Punkt im Umgang mit Konflikten ist die Entscheidungsfindung. In ihrer Welt entscheidet keiner für sich selbst oder für andere. Entscheidungen werden in der Gemeinschaft getroffen, sie beruhen dabei auf der Basisdemokratie und dem Vertrauen. Alle Teilnehmer sind fähig, für die Gruppe Verantwortung zu übernehmen, dafür muss der Mensch bereit sein das gemeinsame Interesse über das Eigeninteresse zu stellen. Die Basisdemokratie bildet somit die Grundform des gemeinsamen Lebens und Arbeitens. Gibt es beispielsweise eine Idee eines Bewohners, wird diese der Gemeinschaft vorgestellt. Bei Zustimmung aller wird die Idee in Kleingruppen in ihren verschiedenen Ebenen umgesetzt (materiell, sozial, geistig). Wenn nicht kommt es zum Konflikt, Konflikte um bestimmte Entscheidungsvorgänge.
Bei Konflikten arbeiten sie an den dahinter liegenden emotionellen Mustern, bis das Vertrauen wiederhergestellt ist. Im Umgang mit Konflikten wird immer wieder auf die gemeinsame Vision und ethische Basis verwiesen. Zur Vertiefung der gemeinsamen Vision wird sich regelmäßig Zeit genommen. Sie sehen sich als Geburtshelfer für eine Welt ohne Krieg, durch den Aufbau von Heilungsbiotopen. Zentren, in denen Grundlagen für eine zukünftige Kultur des Friedens erforscht und exemplarisch aufgebaut werden. Dabei wird das Vertrauen auch in den heikelsten Fragen von Sexualität, Geld und Macht als wichtigster Wert erachtet. Bleibt ein Konflikt trotz des Verweises auf die gemeinsame Vision bestehen, weil es sachliche Unstimmigkeiten gibt wird so lange beraten bis Einigkeit erreicht ist. Sehr fraglich ist hierbei, ob dann überhaupt eine eigene Meinung möglich ist. Ich darf meine Meinung offenlegen, diese wird mir dann aber ausgeredet. Ich werde unter Druck gesetzt der gleichen Meinung zu sein, wie die anderen. Die Diversität von Meinungen in einer Gesellschaft wird gar nicht ermöglicht, denn mir wird die Meinung vorgeschrieben. Im Prinzip kann es dann auch gar nicht zu offenen Konflikten kommen, denn entweder ich gebe nach (der Klügere gibt nach) und schließe mich der Meinung der anderen an, oder ich trete aus dem Experiment Friedensforschung aus, denn Konflikte sind in Tamera scheinbar unerwünscht.
Das Forum dient hierzu als Charakter- und Bewusstseinszentrum. Es ist ein Ort, an dem Konflikte offengelegt werden. Fast jeden Tag finden dort Gruppentreffen statt, an denen alle teilhaben können. Theatralisch werden hier Probleme und Konflikte dargestellt, um sie zu verbildlichen und für andere sichtbar zu machen. Hier stehen vor allem Konflikte der Liebe im Vordergrund, denn sie gehen davon aus, dass solange in der Liebe Krieg ist kein Frieden entstehen kann. Die Basis der Entscheidungsfindung ist Kohärenz. Das Gefühl von Vertrauen in sich selbst und seine Umwelt lässt mich zur richtigen Entscheidung finden. Je mehr Menschen an einer gemeinsamen Sache arbeiten, umso mehr Kohärenz kann in der Gruppe aufgebaut werden. Tamera vertraut darauf, dass alle die gleichen Ziele und Werte verfolgen, denn um Entscheidungen effizient, bis ins letzte Detail zu treffen müssen sie eine kraftvolle Gesamtvision miteinander teilen. Sie gehen davon aus, dass wenn sie in einer gemeinsamen Vision verbunden sind, stehen ihnen große Kräfte der Veränderung zur Verfügung. Ein wichtiger Schritt für die globale Heilung ist der Wechsel von Einzelentscheidungen zu gemeinsamen Entscheidungen, die aus der Zusammenarbeit autonom denkender Menschen getroffen werden. Das Hauptziel ihrerseits ist weg zu kommen von Ego-Interessen und hin zum gemeinsamen Wohl zu arbeiten. Ihr Vertrauen darauf, dass alle Bewohner die gleichen Ansichten und Denkweisen haben, lässt den Umgang mit Konflikten scheinbar vereinfachen oder erst gar nicht aufkommen.
Dieses Prinzip funktioniert vielleicht in der „heilen Welt“, wie das Beispiel um den Bau des Sees stückweise beweist. Ein ökologischer Visionär wollte das Land in Tamera radikal umformen, indem er vorschlag zwischen dem Kulturzentrum, dem Gästehaus und der Aula ein Wasser-Retentionsraum entstehen zu lassen. Die meisten Bewohner Tameras glaubten aber nicht, dass sich so ein großer Aushub jemals mit Regenwasser füllen würde, wodurch eine intensive Auseinandersetzung begann. Schlussendlich vertraute die Gemeinschaft aber in die professionelle Sachkenntnis der Ökologen, der See wurde gebaut und ist bis heute die richtige Entscheidung gewesen.
Ob das Gesamtkonzept von Entscheidungsfindung bis zum Umgang mit Konflikten aber auf die Gesamtbevölkerung übertragen werden kann ist fraglich, denn überspitzt gesagt wird in Tamera eine Art Gehirnwäsche betrieben. Sobald ich eine von den anderen Bewohnern abweichende Meinung habe, werde ich so lange beeinflusst, bis ich mich füge und der Meinung anderer anschließe. Inwieweit da noch Spielraum für eigene Ideen, Meinungen und Gedanken bleibt ist unklar. Außerdem könnte dadurch eine eintönige, vielleicht langweilige Gesellschaft entstehen, in der keine Diversitäten und Individualitäten ausgelebt werden können. Wollen wir immer alle einer Meinung sein oder wird eine Gesellschaft erst mit Konflikten wirklich lebendig?
Integration utopischer Vorstellungen in unsere Gesellschaft
Schlussendlich stellt sich die Frage, ob dieser experimentelle Lebensgedanke auch in unsere Gesellschaft übertragen werden kann. Eine Welt ganz ohne Krieg und Gewalt? Für die meisten wohl kaum vorstellbar. Doch einige Aspekte sprechen für eine Integration der Lebensvorstellung und Utopie Tamera in unsere heutige Gesellschaft. Besonders die Nachhaltigkeit, die in Tamera verstärkt ausgelebt und angestrebt wird, würde für eine Verbesserung unserer heutigen Lebensqualität sprechen. In Tamera wird die Energie, die Nahrung und die genutzten Materialien teilweise selbst hergestellt. Zudem wird in verschiedenen Bereichen bezüglich der Nachhaltigkeit geforscht, wie beispielsweise in der Solarenergieforschung, der Energieautonomie und der Ökologie.
Des Weiteren arbeitet die Bevölkerung in Tamera sehr eng zusammen und jede Herausforderung sowie Arbeit wird als Gemeinschaft abgearbeitet, wodurch das Gemeinschaftsleben enorm gestärkt wird. Dies kann als weiterer Vorteil gesehen werden und spricht für eine Übertragung der Grundgedanken Tameras in die heutige Welt. Ein weiterer positiver Aspekt der als Möglichkeit für eine Integration steht, ist der Zusammenhalt der Lebensgemeinschaft in Tamera. Die Bevölkerung Tameras stammt aus den verschiedensten Kulturen und Religionen. Doch jeder Einzelne stellt sich gemeinsam mit der Gemeinschaft gegen die Herausforderungen und verfolgt das gemeinsame Engagement für die Heilung der Erde.
Dennoch sprechen auch einige Argumente gegen eine Integration der Lebensvorstellung in unsere Gesellschaft, denn in unserer Welt gibt es vorherrschende Dinge und Zustände, die sich mit der Lebensform von Tamera nicht vereinbaren lassen. Zum einen leben wir in einer Konsumgesellschaft, haben einen Überfluss an Gütern und das Verlangen danach, immer mehr besitzen zu wollen. Wir leben in einem völligen Wohlstand, wodurch sich das nachhaltige Konzept und der Minimalismus Tameras nur schwer integrieren lassen würde. Zudem sind wir alle individuell, verfolgen unterschiedliche Ziele und Wertvorstellungen. Des Weiteren haben wir einen Drang nach Verwirklichung und Anerkennung. Wir leben in einer Selbstverständlichkeit unsere Meinung zu vertreten und unsere Religion auszuleben. Unsere Meinungsfreiheit und das Recht diese zu äußern lässt immer wieder Konflikte entstehen, was für uns aber völlig normal erscheint und zu unserem Leben dazu gehört.
Trotz der Freiheit der Meinungsvertretung ist Rassismus und Terror aus unserer heutigen Gesellschaft nicht wegzudenken. Dies liegt besonders an der Tatsache, dass wir viele verschiedene Kulturen haben. Jedes Land hat unterschiedliche Werte, Normen und Anschauungen. Rational gedacht, scheint es fast unmöglich all dies zu vereinen oder zu verallgemeinern, wie es jedoch in Tamera gelebt wird. Eigentlich ein schöner Ansatz zu sagen, alle verfolgen die gleichen Ziele und Werte, was aber in unserer Welt unmöglich ist, denn jeder vertritt eine andere Meinung. Die heutige Gesellschaft verkörpert das Bild einer monogamen Beziehung, was bedeutet nur einen Lebenspartner zu haben. Doch dies grenzt sich deutlich von der “freien Liebe“ ab, die in Tamera vertreten und gelebt wird. Wir leben in einer egoistischen Gesellschaft. Heutzutage möchte sich jeder abgrenzen und profilieren. Der Wettkampf untereinander steht weit im Vordergrund und lässt oftmals keinen Platz für Loyalität und einem fairen Miteinander. Wir verfolgen das Ziel immer besser sein zu wollen als die anderen, weshalb Konkurrenzkampf keine Seltenheit ist. Tamera vertritt jedoch dahingehend ein gesellschaftliches Miteinander und Unterstützung innerhalb der Lebensvorstellung. In der Utopie gibt es nicht den “natürlichen Trieb” sich von der Allgemeinheit abheben zu wollen, sondern das Zusammenleben und die Gleichstellung aller ist der zentrale Punkt.
Der Gedanke die Utopie Tameras in unsere Gesellschaft zu übertragen ist noch weit entfernt, fast utopisch. Es wird deutlich, dass die Bewohner Tameras an sich selbst forschen und ihre Utopie ständig weiterentwickeln, um das Zentrum für Friedensforschung möglichst auf der ganzen Welt bekannt zu machen. Mit der Hoffnung die Utopie irgendwann auf die Gesamtbevölkerung übertragen zu können. Das Konzept funktioniert möglicherweise in ihrer erschaffenen Welt, denn die Menschen, die dort leben steigen mit den gleichen Erwartungen, Hoffnungen und Wünschen in dieses Projekt ein. Sie entscheiden sich bewusst dafür und haben von Beginn an ähnliche Ziele und Werte. Aber gerade die Art und Weise, wie sie mit Konflikten umgehen macht die Integration in unsere Gesellschaft schwierig, denn das Recht zur Meinungsfreiheit und das Ausleben unserer Diversitäten ist ein Gut, dass sich die Menschheit hart erkämpft hat und so schnell nicht wieder aufgeben wird.
Basisquellen: Wächter, D. (2019): Gelebte Utopie Arbeits und Lebensgemeinschaft Tamera, Portugal Manuel Möglich. Online verfügbar unter: YouTube. URL: https://www.youtube.com/watch?v=BoCOHNTcqJI&ab_channel=DerW%C3%A4chter. Letzer Zugriff: 20.12.2020
Relation, T. G. (2018): TAMERA - An ecovillage for a new humanity. Online verfügbar unter: YouTube. URL: https://www.youtube.com/watch?v=M36Lg3z4cPc&ab_channel=TheGreatRelation. Letzter Zugriff: 03.01.2021
Duhm, D. (2018): Dieter Duhm. Online verfügbar unter: tamera.org. URL: https://www.tamera.org/de/dieter-duhm/. Letzter Zugriff: 24.01.2021
Verfasst von: Moosmann, S.; Heraucourt, N.; Schmidt, L.; Gorgenländer, L.
1 note
·
View note
Text
6. Auroville
Auf dem Weg zur universellen Einheit
Auroville, eine Stadt ohne privaten Besitz, Geld und Regierung
Wie wäre es in einer Gesellschaft zu leben, in der Geld keine Rolle spielt? In der Materialismus an letzter Stelle steht, Egoismus nicht existiert und die kosmische Einheit in Frieden verwirklicht ist? Realitätsfremd! In einer Stadt im Südosten Indiens an der Koromandelküste im Bundesstaat Tamil Nadu wird nach dieser Utopie bereits gestrebt.
„Irgendwo auf der Erde sollte es einen Ort geben, den keine Nation als ihr alleiniges Eigentum beanspruchen kann. Einen Ort, in dem alle Menschen mit gutem Willen und aufrichtigem Streben frei als Weltbürger leben können und nur einer einzigen Autorität gehorchen: Der höchsten Wahrheit.“ – Mirra Alfassa
Mirra Alfassa gründete am 28. Februar 1968 die Experimentalstadt Auroville nach den Vorstellungen des Visionärs Sri Aurobindo. 1968 gilt hierbei als besonderes Jahr zu erwähnen, in welchem die sogenannte 68er Bewegung stattfand. Zu dieser Zeit entstand eine gemeinsame Protestkultur, welche bei vielen Aktivisten das Gefühl auslöste, Teil einer weltumspannenden Rebellion zu sein. Das Jahr 1968 wurde unter einer ersten globalen revolutionären Bewegung bekannt und gilt als Meilenstein für die Vorgeschichte der Globalisierung. Ein Jahr, gekennzeichnet von internationaler Solidarität und Proteste, welche die Menschen erstmals weltweit zusammenführte. 1968 war somit das erste Anzeichen für ein Ende des „goldenen Zeitalter“ mit anhaltendem stetig wachsendem wirtschaftlichem Boom, der Modernisierung und innerer Stabilität. Somit also kein Zufall, dass gerade in diesem Jahr die Experimentalstadt Auroville in die Welt gerufen wurde. Auroville griff diese internationale Bewegung auf und ermöglichte einen Ort an dem Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammengeführt werden, um sich gemeinsam für die Probleme der damaligen und auch der heutigen Welt einzusetzen. Auroville nahm an dieser Weltfriedensbewegung teil.
Was will Auroville verwirklichen?
Matthew T Rader, The Matrimandir in Auroville, Tamil Nadu, India, CC BY-SA 4.0
Auroville will das Zuhause von Menschen sein, die nach einer Veränderung streben, weil sie die herkömmliche Welt lethargisch stimmt. Die das Ziel verfolgen, friedlich in einer universellen Gemeinschaft miteinander zu leben. Ein Ort für Menschen, die sich gegen ein System aussprechen, welches ausschließlich den Fokus auf Leistung und dem unbegrenzten Wachstum des Materiellen legt und somit dort keine Erfüllung mehr finden. Einen Ort der Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenbringt und ihnen die Chance gibt einen Neuanfang mit mehr Zufriedenheit in ihrem Leben zu wagen.
Aus diesen Aspekten wird deutlich, dass mit der Stadt Auroville eine Utopie verwirklicht werden soll. Auroville verfolgt seit der Gründung klare Ziele und ist bestrebt etwas Neues zu schaffen, um in der Außenwelt ein Zeichen zu setzen. Nach über 50 Jahren seit der Gründung Aurovilles stellt sich nun folgende Frage: Konnte die Utopie nach Mirra Alfassa verwirklicht werden oder inwiefern blieben Ziele im Laufe der Zeit auf der Strecke, sodass Auroville lediglich eine Utopie der Widersprüche darstellt? In diesem Zusammenhang werden auf Aspekte des Traums von Mirra Alfassa, wie sie sich ihre Gesellschaft in Auroville vorgestellt hat und die Charta eingegangen, um darzulegen welche utopischen Ziele tatsächlich umgesetzt werden konnten. Damit eine übersichtliche Struktur entsteht werden zuerst Argumente genannt, die für eine erfolgreiche Umsetzung der utopischen Ziele stehen und anschließend Argumente, die dagegensprechen.
Auroville sollte ein Ort werden, den keine Nation für sich beansprucht. Dieses Ziel konnte umgesetzt werden: In Auroville leben derzeit ungefähr 3200 Menschen aus 59 Ländern zusammen. Verschiedene Altersgruppen, soziale Schichten, Kulturen und Hintergründe repräsentieren die Menschheit als Ganzes. Die Schönheit soll in Auroville für alle zugänglich sein. Das bedeutet jeder sollte uneingeschränkten Zugang zu Malerei, Skulpturen und Literatur haben. Der Zugang sollte also nicht durch die soziale oder finanzielle Situation bestimmt werden. Auch dieser Aspekt konnte verwirklicht werden: Jeder Bewohner von Auroville hat einen freien Zugang zum Matrimandir, dem seelischem Zentrum Aurovilles und dem dortigen Schulsystem.
Des Weiteren sollte Arbeit kein Weg darstellen, um sich den Lebensunterhalt zu finanzieren, sondern einen Weg sich auszudrücken und seine Fähigkeiten zu entwickeln, welche der gesamten Gemeinschaft dienen. Dies spiegelt sich darin wider, dass jeder Bewohner Aurovilles für seine getätigte Arbeit einen gleichen Grundbetrag erhält, welcher nicht für Luxus ausreichend ist. Das Ziel des Arbeitens ist es nicht, Reichtum und eine höhere Position in der Gesellschaft zu erlangen, sondern gemeinschaftlich eine Stadt nach ihren Wünschen aufzubauen.
Die Idee eines alternativen Schulsystems
Darüber hinaus soll Auroville ein Ort sein, an dem Kinder sich ganzheitlich entwickeln können. In ihrer Ausbildung soll es nicht darum gehen, Prüfungen zu bestehen und Zertifikate zu erhalten. Sondern es sollen Fakultäten bereichert und neue hervorgebracht werden. Dieses Konzept konnte erfolgreich umgesetzt werden: In Auroville gibt es keinen festen Lehrplan, jedes Kind bestimmt eigenständig was und wann es etwas lernen möchte. Das sogenannte „Unschooling“ ist hierbei das radikalste System, wobei nicht alle Einrichtungen extrem danach ausgerichtet sind. „Unschooling“ bedeutet Lernen ohne Schule und ohne Klassenstruktur. Im Fokus steht hierbei immer der Schüler mitsamt seiner individuellen Lernbedingungen. Der Lehrer fungiert nur als unterstützende Rolle und motiviert den Schüler, indem er ihm die Wichtigkeit des Lernens näherbringt. Das Lernen findet sehr abwechslungsreich statt. Zum Teil allein aber auch in kleinen oder größeren Gruppen. An manchen Tagen innerhalb eines Betriebs mit direkter Arbeitserfahrung, an anderen in einem Klassenzimmer. Da es keine festen Klassenstrukturen gibt, spielt die Geschwindigkeit des Lernens keine Rolle und Projektvorstellungen ersetzen Prüfungen, in denen es keine Noten gibt. Zentraler Grund des Lernens ist die persönliche Entwicklung zu einem vernünftigen, gütigen, selbstbestimmten und selbstbewussten Mitglied der Gesellschaft. Das Lernen stützt sich auf die Erfahrung und nicht auf das eintönige auswendig lernen von Sätzen, welche man nicht verstanden und nicht verinnerlicht hat. Neben Theorie gewinnt somit die Praxis eine ebenso große Bedeutung. Kinder lernen entsprechend ihrer Interessen, ihres Naturells und ihrer Beziehungen zu anderen und erlangen dabei ganzheitliche Fähigkeiten. Das bedeutet nicht nur das Denken, Lernen und die Förderung der Kreativität zu stärken, sondern auch ästhetisches Empfinden, emotionale Intelligenz und körperliche Fitness. Im ersten Moment bahnen sich bei solchen Gedanken Zweifel an, da es den Vorstellungen anderer Schulsysteme nicht entspricht und Erfahrungen aus diesen zeigen, dass das selbstständig gewollte Lernen anscheinend unerreichbar ist. Doch in Auroville herrscht die Überzeugung, dass jeder Mensch Motivation zum Lernen hat, insofern dies nicht durch Zwänge vernichtet wird. In der Praxis werden deutliche Erfolge sichtbar. Die Jugendlichen von Auroville haben erfahrungsgemäß keine fachlichen Probleme. Im Gegenteil, nach der Future School und New Era Secondary School haben die Schüler Aurovilles die Möglichkeit, an den regulären Schulen in Indien eine anerkannte Abschlussprüfung zu erhalten, welche die meisten mit Auszeichnung bestehen. Zudem wird deutlich, dass Aurovillianer häufig zu den besseren Studenten gehören und dies, obwohl sie zum ersten Mal in ihrem Leben in ein herkömmliches Bildungssystem geworfen werden, welches Frontalunterricht, Auswendiglernen und Geradlinigkeit bedeutet. Nichtsdestotrotz können Aurovillianer mit ihrem selbstbewussten und sicheren Umgang mit Wissen, ihrer Teamfähigkeit und einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn punkten. Hier gilt es abschließend zu sagen, dass ein Schulsystem, welches frei von Druck, Wettbewerb und Enttäuschungen durch schlechte Noten geprägt ist, durchaus eine Alternative zu den meisten Schulsystemen bieten kann.
Utopie der Widersprüche
Mit einem Blick auf die Hinterbühne der Utopie wird allerdings deutlich, dass Auroville ebenso aus einigen Widersprüche besteht und sich somit von den ursprünglichen Zielen abwendet. Der erste Widerspruch, welcher ins Auge sticht, betrifft den finanziellen Aspekt. Das utopische Ziel Aurovilles ist eine Unabhängigkeit von Geld. Auroville sollte zu einem Ort werden an dem Geld keine Rolle spielt. Die Realität sieht allerdings anders aus. Auroville ist abhängig von Spenden aus aller Welt und dem Geld der Touristen, welche massenhaft in Auroville einströmen. Zusätzlich müssen Betriebe, die unter dem Namen Auroville verschiedene Dinge herstellen und verkaufen, steuerliche Abgaben leisten. Jeder Bewohner erhält ein gleiches Grundeinkommen, welches normalerweise nicht ausreichend für Luxus ist. Allerdings greifen viele Bewohner auf ihr finanzielles Standbein in ihren Heimatländern zurück, sodass diese auf das Grundeinkommen nicht angewiesen sind und sich trotzdem Luxus leisten können. Andere Bewohner vermarkten Produziertes in der Gemeinschaft oder bieten sämtliche Dienstleistungen, wie zum Beispiel Massagen, Yoga oder Non-Violent-Communication an. Ein Drittel dieser Einnahmen müssen an Auroville abgeben werden. Dadurch wird deutlich, dass es sich bei Auroville um eine enorme Geschäftsmaschinerie handelt. Alles hat hier seinen Preis, der deutlich über dem liegt, was vergleichbar außerhalb von Auroville in Indien vermarktet wird. Das Label Auroville verspricht Einheit und Einzigartigkeit und rechtfertigt somit diesen Zuschlag. In der Hauptsaison gibt es einen enormen Anstieg der Touristen, wobei die Preise zu dieser Zeit in die Höhe schießen und Angebote doppelt so umfangreich sind wie normalerweise. Zudem ist der überwiegende Teil dieser Angebote oft mit verpflichtenden Spenden verbunden.
Der zweite Widerspruch spricht den Luxus an. Der individuelle Wert sollte ursprünglich mehr an Bedeutung gewinnen als der materielle Wohlstand und die soziale Stellung. In Auroville herrscht also die Idee des Ideals, nur das Notwendigste zu benutzen, sodass eine Freiheit von Konsumdruck und materiellem Ballast entsteht. Trotz des niedrigen Grundeinkommen sind einige luxuriöse Zellen mit mehrstöckigen Häuser, Terrassen und gepflegten Gärten vorzufinden. Große Siedlungen und Villen sind ein Zeichen materieller Anhäufung, die weit über dem Notwendigsten liegen. Zudem sind sämtlichen Royal Enfields, die zu den teuersten Motorräder Indiens gehören überdurchschnittlich häufig in Auroville anzutreffen. Das Gründungsmanifest verlangt das Einbringen von sechs Tage in der Woche für die Gemeinschaft, sodass allen ein gleich niedriges Grundeinkommen gewährt werden kann. Allerdings gibt es einige Aurovillianer, die sich kaum einbringen und sich trotzdem Luxus leisten können aufgrund des Zurückgreifens auf ihr finanzielles Standbein in der Heimat.
Ein weiterer Widerspruch lässt sich als Art Türsteher im Club Auroville beschreiben. Die Charta betont, dass die Stadt der ganzen Menschheit gehöre und für alle gleichermaßen zugänglich sei. Die Realität spricht jedoch andere Bände. Gerade arme Menschen haben es schwer nach Auroville zu kommen, denn wenn man den Aufnahmeprozess zum Aurovillianer antritt, muss man mindestens ein Jahr in Auroville als „Newcomer“ aktiv sein. Das heißt, die ehrenamtliche Mitarbeit an einem Projekt und die Selbstfinanzierung in dieser Zeit werden erwartet. Für viele, insbesondere junge und arme Menschen ist dies ein Ausschlusskriterium nach Auroville zu kommen. Ebenfalls haben es ältere Menschen schwer dort zu leben, da Auroville den Herausforderungen des Älterwerdens bisher nicht gewappnet ist. Zudem gibt es Aurovillianer, die sich ihren Platz in der Gemeinschaft mit großzügigen Spenden erkaufen. Dies bestätigt somit den Widerspruch, dass es heißt, dass jeder nach Auroville kommen kann aber gleichzeitig darüber gestritten wird, wen man hereinlässt und wem die Tür verschlossen wird.
Bezüglich der Gemeinschaft ist ebenso ein Widerspruch zu erkennen. Das große Ziel Aurovilles ist es, eine universelle Gemeinschaft zu schaffen, die alle Menschen miteinander vereint. Bedürfnisse des Geistes und Sorge um den Fortschritt sollen Vorrang vor der Befriedigung von eigenen Wünschen, Leidenschaften und der Suche nach Vergnügen und Genuss haben. Ein Problem, welches in diesem Zuge auftritt, besteht darin, dass nicht alle Menschen im gleichen Maße in der spirituellen Entwicklung aktiv sind. Oftmals überlagern egoistische Motive die eigentlichen Ideale Aurovilles. Die Stadt zieht immer mehr Personen an, die nicht wegen des Pioniergeistes und dem Wunsch die Welt zu verbessern herkommen, sondern lediglich auf der Suche nach einem sorgenfreien Leben sind. Hier stehen sich Menschen entgegen, die sich ganzjährig mit voller Leidenschaft für die Gemeinschaft einsetzen, und diejenigen die mehr Interesse an ihrem eigenen Wohlbefinden zeigen.
Der letzte Widerspruch betrifft Konflikte und Diskussionen innerhalb Aurovilles. Auroville sollte ein Ort der Harmonie und Eintracht werden, allerdings herrscht eine Basisdemokratie der starken Meinungen und Vorstellungen, die oftmals nur schwer zueinander finden. Es kann deshalb Wochen, Monate oder gar Jahre dauern, bis ein Entschluss gefasst wird. Hinzu kommt, dass in Auroville eine latente Politikverdrossenheit herrscht, das heißt, dass sich die meisten nur wenig für administrative Prozesse interessieren und sich eigentlich weitgehend aus dem politischen Diskurs heraushalten möchten. Da in Auroville Beschlüsse aber nur nach allgemeinem Konsens gefasst werden, bedarf es der Beteiligung aller. In der Vorstellung ist es das Ziel eine gemeinsame Einigung zu finden, durch die Beteiligung aller, die Realität sieht dafür aber anders aus. Die vorherrschenden Konflikte scheiden oftmals Individuen und Generationen. Dies widerspricht der Aussage, dass menschliche Beziehungen auf Zusammenarbeit und echter Brüderlichkeit beruhen sollen. Stattdessen sind Streit und Wettbewerb dennoch vorzufinden. Trotz alledem hoffen viele Aurovillians, dass ausgefochtene Konflikte zum Wachstum und der Entwicklung der Stadt beitragen.
Die Idee einer besseren Welt oder leben wie in einer Sekte?
In diesem Zuge gilt es auch zu erwähnen, dass Auroville von außen oft als eine Sekte betrachtet wird. Eine Sekte würde allerdings nicht den utopischen Zielen entsprechen, sondern einen weiteren Widerspruch aufgreifen. Aufgrund dessen wird das Thema Sekte im abgehandelten Text in Form einer Argumentation mit Pro- und Kontra-Argumente umfassend beleuchtet. Argumente, die dafür sprechen sind, dass die „Mutter“ wie eine Heilige verehrt wird und die Charta die Bereitschaft dem Göttlichen Bewusstsein zu dienen betont. Dem gegenüber steht, dass Auroville keine religiöse Organisation ist und die „Mutter“ und Sri Aurobindo lediglich Schutzheilige des Ortes darstellen. Darüber hinaus wird die Spiritualität betont und eine Religion abgelehnt. In Auroville gibt es keine Zwänge und jedem Bewohner wird jederzeit eine Rückkehr in die Heimat gewährt. Einige, gerade jüngere Aurovillianer kehren für das Studium in ihre Heimat zurück, da es in Auroville keine Universitäten gibt. Ein typisches Merkmal einer Sekte ist eine charismatische Führungspersönlichkeit, deren Aussagen als verbindlich gelten und es gelten strenge Regeln für viele Bereiche des Lebens. Dies sind Aspekte die eindeutig nicht auf Auroville zutreffen. Dort gibt es keine Führung und es herrscht eine basisdemokratische Entscheidungsfindung, an der jeder teilhaben kann. Zudem gibt es keine Regeln außer die, dass sich jeder Aurovillianer sechs Tage in der Woche in einer ihm freigestellten Art in die Gemeinschaft einbringen soll. Allerdings wird selbst dies nicht kontrolliert und Aurovillianer können somit ihr eigenes Leben vollständig frei gestalten und bestimmen. Ein weiteres Kennzeichen einer Sekte ist die bewusste Abgrenzung zu anderen. Auf der einen Seite grenzt sich Auroville durch seine abgeschiedene Lokalisation mitten im Urwald und durch eine Mauer zum Schutz vor der Urbanisierung von anderen ab. Auf der anderen Seite ist Auroville ein offener Zugang für alle und angewiesen auf Spenden von der Außenwelt und den Touristen, welche jedes Jahr diese Stadt besuchen.
Welche Erkenntnisse können daraus gezogen werden?
Abschließend wird klar, dass der Masterplan von Mirra Alfassa nicht vollständig umgesetzt werden konnte. Dennoch ermöglicht Auroville die Zusammenkunft und ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Die Stadt bietet einen Zufluchtsort für die Menschen, welche im kapitalistischen System nicht mehr leben können und vor einer ausbeuterischen Gesellschaft flüchten, die Glück nur als Ware kennt. Dort wird ihnen die Möglichkeit eröffnet gegen die Ungerechtigkeit der heutigen Welt anzugehen. Auroville ist ein Versuch dieser Ausbeutung entgegenzuwirken und das Ziel ist es, eine Gemeinschaft zu bilden, in der materieller und finanzieller Wohlstand keine Statussymbole sind. Wie sich Auroville weiter entwickeln wird ist nicht vorhersehbar. Die Stadt befindet sich im ständigen Wandel und es kann davon ausgegangen werden, dass es kein Stillstand geben wird. Auroville entwickelt sich längst nicht mehr nach einem strikten Plan, sondern steht für Pionierarbeit. Es geht darum Dinge anzufangen und auch auszuprobieren, um somit zu erkennen was funktioniert und was nicht. Nichtsdestotrotz steht Auroville auch vor zukünftigen Problemen. Die jungen Pioniere, die einst Auroville aufgebaut hatten, kommen ins Alter und es fehlen junge Follower. Gerade für jüngere Personen ist es eine große Herausforderung den Schritt nach Auroville zu wagen aufgrund des zuvor beschriebenen Aufnahmeprozesses. Eine weitere Herausforderung in Auroville ist das Älterwerden, die Idee der ewigen Jugend durch Spiritualität, machte sie blind für diese Herausforderung. Das Bauen von Altersheimen wurde lange nicht bedacht, genauso wenig wie eine Architektur, welche auch später einmal für Rollstühle geeignet ist. Hierbei stellt sich die Frage wie man mit Aurovillanern umgehen soll, die nicht mehr in der Lage sind der Gemeinschaft zu dienen, stattdessen aber selbst Betreuung und medizinische Pflege benötigen. Darüber hinaus gibt es fehlende Kapazitäten für eine Erweiterung Aurovilles. Nach heutigem Stand leben etwa 3200 Menschen in Auroville, ursprünglich geplant war allerdings, dass 50.000 Sinnsuchende ihre Heimat dort finden können. In diesem Gesichtspunkt hat sich die Stadt enorm unterschätzt. Das bestehende Problem ist, dass ein Großteil des dazu erforderlichen Landes sich noch nicht im Eigentum der Stadtgemeinschaft befindet. Der Grund hierfür sind die stark ansteigenden Preise für das Land. Zudem kommt die Stadt schon mit ihren 3200 Menschen längst nicht mehr mit dem Wohnungsbau hinterher. Insgesamt wird deutlich, dass sich die Probleme Aurovilles im Laufe der Zeit verändert haben. Und es für die Einwohner Aurovilles notwendig wird, sich diesen künftig zu stellen, um das ursprüngliche Ideal weiterhin leben zu können.
Basisquellen:
Auroville International (AVI) Deutschland e.V. (2020): Auroville International. Online verfügbar unter: auroville.de. URL: https://auroville.de/. Letzter Zugriff: 12.11.2020
Kapur, A.; Riquier, A.; Legrand, A. M.; Mohanty B.; Arpi. C.; Gautier, G. (2004): Auroville the city of dawn. Online verfügbar unter. auroville.de. URL: https://www.auroville.org/ . Letzter Zugriff:26.11.2020
Morten, H.; Rochssare, N. (2018): Auroville: Die Utopie der Widersprüche. Online verfügbar unter: mortenundrochssare.de. URL: https://mortenundrochssare.de/auroville-indien-widersprueche-utopie/. letzter Zugriff: 05.11.2020
Raspe, I. (2014): Auroville – Sekte Oder Paradies?. Online verfügbar unter: greenality.de. URL: https://www.greenality.de/blog/auroville-sekte-oder-paradies/. Letzter Zugriff: 12.11.2020
Verfasst von : Richter M.; Göppert V.; Heim L.
1 note
·
View note
Text
7. Damanhur
Damanhur - Vision des Falken
Con voi! Mit euch!
Mit diesem Willkommensgruß wird man in einem kleinen Dorf, gelegen in einem idyllischen Tal der norditalienischen Alpen, in der Region Piemont, begrüßt. In diesem Tal begann Falco Tarassaco, der mit bürgerlichem Namen Oberto Airaudi hieß, vor mehr als 45 Jahren seinen Traum zu verwirklichen. Dieser beinhaltete die Vision einer spirituellen Gemeinschaft. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe von Gleichgesinnten verwirklichte Airaudi sich diesen und gründete 1975 das Dorf Damanhur.
Heute umfasst das Ökodorf eine Fläche von 185 Hektar, auf der etwa 700 Menschen leben. Die Damanhurianer*innen sind dabei in kleine Gemeinschaften, sogenannte Nuclei, aufgeteilt. Diese Kleingruppen finden sich abhängig von gemeinsamen Zielen, Interessen oder der gleichen Berufsausübung zusammen (vgl. S. Braun-Müller, persönliche Kommunikation, 13.11.2020). Typische Berufsmöglichkeiten in Damanhur sind beispielsweise jegliche Jobs in der Landwirtschaft, die Betreuung von Kindern und Jugendlichen, Handwerksarbeiten, sowie hauswirtschaftliche Tätigkeiten.
Was Damanhur dabei jedoch stark von anderen Ökodörfern unterscheidet, ist die gelebte Spiritualität. Sie nimmt eine zentrale Rolle im Leben der Damanhurianer*innen ein und wird beispielsweise durch esoterische Kunst, spirituelle Reliquien oder Okkult Symbole und Ritualstätten ausgedrückt. Außerdem gehören zu ihr auch die Klänge der Pflanzenmusik, sowie verschiedene Riten und Feste. Das Zentrum der Spiritualität für die damanhurianische Gemeinschaft, stellt der unterirdische „Tempel der Menschheit“ dar. Dabei handelt es sich um ein beeindruckendes Kunstwerk, bestehend aus acht Hallen. Airaudi grub ihn mit Hilfe ein paar weniger Freunde, über mehr als 16 Jahre heimlich in den Berg. Generell wurden durch die gelebte Spiritualität, sowie den Glauben an die Reinkarnation, so manche Sinnsuchende nach Damanhur verschlagen. Auch noch nach dem Tod Airaudis 2013.
Doch die Kommune in der jede Bewohner*in sich einen Namen aus einem Tier und einer Pflanze zusammenstellt, daher auch Falco Tarassaco (zu Deutsch „Falke Löwenzahn“), bietet mehr als nur eine spirituelle Gemeinschaft. Neben der genannten Kunst, Kultur und Musik gibt es auch eine eigene Universität, eine Schule, wissenschafts-technologische Einrichtungen, ein komplementäres Zahlungsmittel und sogar eine eigene Verfassung. In der Verfassung werden die Werte und Normen Damanhurs, sowohl für die Einzelnen, als auch für das Kollektiv festgelegt. Für die einzelne Person zählen hierzu Liebe, Optimismus und Frieden auch das selbstlose Handeln und das Teilen der eigenen Lebenserfahrungen. Für das Kollektiv sind Nachhaltigkeit, Integration, ein offener Austausch, Respekt gegenüber der Umwelt und solidarischer Zusammenarbeit als Werte festgelegt. Es sind aber nicht nur die Werte und Normen, die in der Verfassung bestimmt sind, sondern auch die Verwaltungsstruktur. Damanhur verläuft unter einer basisdemokratischen Struktur und zu ihrer Aufrechterhaltung werden verschiedene Ämter von den Bewohner*innen gewählt und eingenommen. Es gibt beispielsweise ein Justizkollegium, welches größere Unstimmigkeiten klären soll, oder verschiedene Vertreter einzelner Bereiche, beispielsweise der jeweiligen Nuclei. Manche der Amtsinhaber*innen wurden noch von Airaudi persönlich ernannt, andere können nur von einzelnen Damanhurianer*innen gewählt werden, die meisten jedoch von allen.
Die Vision des Falken ist über die Jahre von einer kleinen Gemeinschaft, hin zu einer fortschrittlichen Kommune gewachsen, die sich nicht nur selbst versorgt und den Bewohner*innen vielfältige Möglichkeiten bietet, sondern sich auch nach außen präsentiert. So gibt es die Möglichkeit über den Online-Shop, nicht nur spirituelle Reliquien und Kunst aus Damanhur zu erwerben, sondern auch Besuche des Tempels und Kurse an der Universität zu buchen. Damanhur ist zudem auch auf vielen verschiedenen Medienportalen vertreten, wie beispielsweise Instagram. So werden Einblicke in das Leben der Damanhurianer*innen gewährt und auf ästhetische Weise versucht, das Lebensgefühl Damanhurs an Außenstehende zu vermitteln.
![Tumblr media](https://64.media.tumblr.com/3d921fee67273360eead78f74dd3c54a/7f9ba29c5f6545ea-37/s400x600/6828a47bfde15c3bfac6ae2f2c42d3c733914d09.jpg)
Gufo Mandragora, Templi dell'Umanità Damanhur, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Alternative für die Alternativen
Aber was genau ist es am damanhurianischen Lebensgefühl, das Menschen dazu bewegt, sich für einen Umzug in die Gemeinschaft zu entscheiden? Auf diese Frage antwortete Vultura Pisello, die mit bürgerlichem Namen Sabine Braun-Müller heißt, dass es ein Gefühl von Zuhause ist, das Gefühl des Verliebens, das ausschlaggebend war, dort zu bleiben (vgl. S. Braun-Müller, persönliche Kommunikation, 13.11.2020). Sie war lange Zeit bei Demonstrationen, wie der 68er Bewegung aktiv, bis sie auf der Suche nach einer Alternative zur damaligen Gesellschaft, im Jahre 1996 das erste Mal nach Damanhur kam. 1997 zog sie dann von Berlin nach Damanhur, wo sie heute noch immer lebt. In dem Interview mit der Damanhur Beauftragten für Deutschland, wurde aber auch deutlich, dass es nicht nur das Gefühl war, welches sie damals überzeugt hatte. Auch die Werte und Normen Damanhurs waren ausschlaggebend, denn der solidarische Zusammenhalt, die Liebe und der Frieden fehlen ihr bis heute in der Gesellschaft außerhalb des Ökodorfs. In Damanhur kenne jeder jeden und man helfe sich gegenseitig, so Braun-Müller, dies vermisse sie in Deutschland (vgl. S. Braun-Müller, persönliche Kommunikation, 13.11.2020). Vor allem das Leben in Großstädten widerspricht, laut ihr, der Vision der Damanhurianer*innen. Eine Wohnung mitten in der Stadt, in der man noch nicht einmal seine Nachbar*in kennt und in der Millionen anderer Menschen leben, für Braun-Müller ist das eine abträgliche Lebensweise. Eine Gesellschaft hingegen, in der Nachhaltigkeit, Gemeinschaft und Spiritualität im Vordergrund stehen und der solidarische Zusammenhalt selbstverständlich ist, sei ideal.
Hört man Sabine Braun-Müller länger zu, wenn sie vom Leben in Damanhur erzählt, klingt es immer mehr nach dem perfekten Gesellschaftmodell, nach genau der Alternative für die Alternativen. So würden sich die Damanhurianer*innen, laut Braun-Müller auch wünschen, die Welt würde aus vielen kleinen Ökodörfern bestehen (vgl. S. Braun-Müller, persönliche Kommunikation, 13.11.2020). Was im Kleinen funktioniert, würde also einfach ins Große übertragen. Aber könnte dies so einfach funktionieren? Und würde es die benötigten Werkzeuge bieten, einen wünschenswerten gesellschaftlichen Wandel hervorzurufen? Um der Antwort auf diese Frage näher zu kommen, haben wir uns als Gruppe überlegt, die Vision der Damanhurianer*innen auf Europa zu übertragen. Jedes europäische Land bestünde in unserer Vorstellung also aus vielen kleinen, spirituellen und selbstversorgenden Ökodörfern. Welche Möglichkeiten würde eine solche Gesellschaftsstruktur bieten? Und welche Grenzen könnten sich daraus auftuen? Auf dieses Gedankenspiel möchten wir uns, gemeinsam mit Ihnen als Leser*in, im Folgenden einlassen.
Möglichkeiten der europäischen Zukunftsvision
Welche Möglichkeiten sehen wir nun in einer solchen Zukunftsvision? Als Chance für eine, in unserem Verständnis funktionierende Gesellschaft, sehen wir die Grundlagen der Verwaltungs- und Regierungsstrukturen Damanhurs. Durch die eigene Verfassung wird trotz des freien spirituellen Geistes, ein geregeltes Zusammenleben der Gemeinschaft gewährt. Zusätzlich wird mit der Wahl der Regierungsämter und der Gewaltenteilung ein basisdemokratischer Grundpfeiler gesetzt. Dadurch haben die Bewohner*innen die Möglichkeit, Einfluss auf die wichtigen Entscheidungen, die sie und die Gemeinschaft betreffen, zu nehmen und sind nicht teilnahmslos einer willkürlich bestimmenden Macht ausgesetzt. Diese Strukturen könnten vielen Menschen ein Sicherheitsgefühl geben und ihren Vorstellungen eines funktionierenden Zusammenlebens entsprechen.
Zudem wird die Eigeninitiative der Menschen durch die Selbstversorgerstrukturen gefordert und gefördert. Mit der biologischen Landwirtschaft und einem energieschonenden, bioklimatischen Bauwesen werden in Damanhur die Ziele der Nachhaltigkeit und einer geringen Umweltbelastung realisiert. Dies führt unter anderem zu einer Unabhängigkeit der Bewohner*innen, von beispielsweise Lebensmittelkonzernen, und zu einer Anpassungsfähigkeit durch das große geteilte Wissen der Selbstversorger*innen, an die verschiedenen Klimas Europas. Dies bewerten wir als einen sehr positiv anzusehenden Aspekt.
Ebenso gilt das für die bereits gelebte, offene Kommunikationskultur Damanhurs mit anderen, bereits bestehenden Ökodörfern (beispielsweise mit „Sieben Linden“). Durch eine solche Kooperation mit den Ökodörfern europaweit, wäre ein kontinuierlicher Austausch untereinander gegeben. Dieser könnte Chancen zur Generierung innovativer Ideen, zur Weiterentwicklung eines Dorfs und zur weltweiten Vernetzung bieten. Es könnte sich gegenseitig ausgeholfen, sowie untereinander mit nachhaltigen Waren und Dienstleistungen gehandelt werden.
Zwei der wichtigsten, in der damanhurianischen Verfassung festgehaltenen, Werte, sind Nachhaltigkeit und Umweltschutz. Aufgrund der gesellschaftlichen Aktualität dieser Themen, könnte besonders eine junge Generation von Weltverbesserer*innen unserer heutigen Gesellschaft, angesprochen werden. Viele junge Menschen haben heutzutage ein hohes Interesse an einem umweltbewussten Lebensstil. Die gelebte Nähe zur Natur in Damanhur, könnte für viele attraktiv sein, die das Gefühl haben, dass diese in der jetzigen Welt meist keinen Platz zu haben scheint. Somit könnte eine junge Generation an Damanhurianer*innen generiert werden, die mit viel Engagement ihre Werte ausleben kann und es möglich machen könnten, die Vision Damanhurs europaweit zu leben.
Grenzen der europäischen Zukunftsvision
Neben den genannten Möglichkeiten, die ein Europa, bestehend aus vielen kleinen Ökodörfern bieten würde, lassen sich auch viele Grenzen eines solchen Konstrukts ausmachen.
Zum einen gäbe es verschiedene persönliche Präferenzen von Menschen, die dem Ganzen im Weg stehen würden. Ganz banal ist hier die Tatsache zu nennen, dass viele Menschen heutzutage nicht in einem Dorf leben möchten und sich bewusst dazu entscheiden, in einer Stadt, oder Großstadt zu leben. Sie fühlen sich dort weniger eingeengt und haben keine Probleme damit, oder sehen es vielleicht sogar als positiv an, in Anonymität zu wohnen. Außerdem bedeutet das Leben in einem Dorf nicht immer automatisch, dass ein harmonisches Miteinander und ein Gemeinschaftsgefühl gegeben sind, so wie es in Damanhur gelebt und gewünscht wird. Soziale Ausgrenzung und öffentliches Geläster sind in vielen Dörfern an der Tagesordnung. So würde es wahrscheinlich auch in manchen der Ökodörfer passieren. Dies könnte dazu führen, dass manche Dörfer beliebter wären als andere, und Menschen ihren Wohnort wechseln wollen würden. So könnten manche Dörfer verlassen werden und andere wiederum zu Städten mutieren. Außerdem könnten sich alternative Gesellschaftsformen durch Aussteiger*innen bilden.
In Bezug auf das Zusammenleben der Menschen innerhalb der Dörfer, könnte auch die Verwaltungsstruktur Damanhurs zum Kritikpunkt werden. Trotz der verhältnismäßig geringen Einwohner*innenzahl können manche Ämter nur durch ausgewählte Personengruppen ernannt werden. Dies könnte manchen Menschen zu undemokratisch sein. Außerdem müssten auch dörferübergreifende Regelungen, beispielsweise bezüglich des Handelns oder des Miteinanders, aufgestellt werden. Sich mit einer solch hohen Anzahl an Menschen über Vorschriften einig zu werden, könnte sich als schwierig erweisen. Zudem ist fraglich, ob mit solchen, übergreifenden Regelungen, der Gedanke von mehreren kleinen und unabhängigen Ökodörfern noch erfüllt wäre.
Neben den strukturellen Aspekten ist zudem fraglich, ob die meisten Menschen von einem Leben und besonders ihrer Arbeit in einem nachhaltigen, selbstversorgenden Ökodorf erfüllt wären. Viele der dort anfallenden Arbeiten sind handwerklicher Natur, hauswirtschaftlich, oder agrarwirtschaftlich. Liegen einer Person solche Aufgaben nicht, gäbe es wahrscheinlich nur begrenzte Alternativen, oder sie müsste diese trotzdem erledigen. Zudem wäre es fraglich, wie unbeliebte Jobs, die gegebenenfalls keine Dorfbewohner*in erledigen möchte, in der Gemeinschaft verteilt werden würden. Eine freie berufliche Entfaltung, wie sie in den meisten Teilen unserer aktuellen europäischen Gesellschaft möglich ist, wäre nicht mehr denkbar.
Einer der Grundpfeiler Damanhurs ist außerdem die Spiritualität. Diese würde jedoch wahrscheinlich nicht jede der europäischen Ökodorfbewohner*innen annehmen wollen. Aufzwingen kann man den meisten Menschen eine spirituelle Lebensweise schlecht, zudem wäre dies auch nicht im Sinne Damanhurs. Fraglich ist jedoch, ob ohne den Aspekt der Spiritualität, der Grundgedanke eines Europas mit Damanhur-ähnlichen Ökodörfern überhaupt erfüllt wäre.
Auch finanziell gesehen stößt das europäische Damanhur-Gedankenspiel, in verschiedenen Hinsichten, an seine Grenzen. Wie sieht es beispielsweise mit den Startkapitalen zur Gründung der ganzen Ökodörfer aus? Wird es von anderen, schon bestehenden Dörfern gestellt, oder muss jede zukünftige Gemeinde in die eigenen, privaten Taschen greifen? Hierbei käme es wahrscheinlich zu starken Protesten der betroffenen Privatpersonen. Und, ob sich bestehende Ökodörfer die Finanzierung eines anderen Dorfs leisten könnten, bleibt ebenso fraglich. Wie sieht es außerdem in ärmeren europäischen Regionen aus? Wer würde ihnen helfen?
Eine solche Startkapital-Problematik, könnte noch durch entfallende Einnahmen der Dörfer verschlechtert werden. Damanhur zieht aktuell die meisten der eigenen Einnahmen aus Besuchen von Interessierten, Kursen, eigener Lebensmittelproduktion und dem bestehenden Onlineshop. Aber können diese Einnahmequellen im gleichen Maße bestehen bleiben, wenn ein Ökodorf nichts mehr Besonderes, sondern die Norm ist? Es bleibt fraglich, ob sich die Dörfer einfach gegenseitig besuchen und voneinander kaufen würden, oder ob dies wegfallen würde. In diesem Fall könnten sich die Ökodörfer eventuell gar nicht mehr selber finanzieren.
Auch dass jedes Dorf, nach dem Vorbild Damanhurs, eine eigene und unabhängige Währung hat, scheint problematisch, denn so könnte das Handeln untereinander stark verkompliziert werden. Würde man stattdessen eine einheitliche Währung für alle einführen, müsste man diese im größeren Stil verwalten und der eigentliche Sinn der damanhurianischen Währung wäre nicht mehr gegeben. Dieser besteht eigentlich in der Unabhängigkeit von großen Banken und dem Schutz vor Verlusten, im Falle von Finanzkrisen (vgl. S. Braun-Müller, persönliche Kommunikation, 13.11.2020). Eine denkbare Alternative könnten ansonsten Tauschgeschäfte sein, wobei fraglich ist, ob dies über längere Zeit harmonisch funktionieren könnte und man nicht doch zu einer Art von gemeinsamer Währung zurückkehren würde.
Die Produktion mancher Güter wäre in einem Ökodorf-Europa ebenfalls problematisch. Den täglichen Bedarf an Nahrung oder anderer, kleinerer Produkte, könnten die Ökodörfer aufgrund ihres Selbstversorgertums wahrscheinlich decken. Aber was wäre mit teureren, und aufwändig zu fertigenden Produkten? Die Produktion von Autos, Computern, Smartphones und vielen weiteren Geräten, könnte nicht ohne weiteres geleistet werden. Diese Problematik ließe sich lösen, indem man Dörfer auf die Produktion bestimmter Produkte spezialisieren würde. Hierbei wäre nur die Frage, ob dies auch im Sinne der Bewohner*innen wäre. Eine Alternative wäre es, doch einige größere Firmen außerhalb der Dörfer zu gründen, in denen dorfübergreifend gearbeitet würde. Dies würde jedoch wieder dem Grundgedanken des Ganzen widersprechen. Ein Verzicht auf besagte Produkte wäre allerdings auch undenkbar, da die Dörfer so zum einen nicht untereinander kommunizieren könnten und es zum anderen auch einen enormen technischen Rückschritt bedeuten würde.
Allgemein darf am gesamten Ökodorf-Europa, nach Damanhur-Vorbild, nicht unterschätzt werden, dass es innerhalb von Europa keine weitere „Außenwelt“ gäbe. Die Dörfer müssten sich um alles selber kümmern und es könnte nichts mal eben von außen bezogen werden. Damanhur und andere Ökodörfer befinden sich aktuell noch innerhalb von Ländern, in denen es bereits bestehende und erprobte politische und gesellschaftliche Strukturen gibt. Bestünden diese nicht mehr, könnten auch die Ökodörfer nicht mehr so sorglos leben, wie sie es aktuell tuen. Sie müssten sich um viele der Rahmenbedingungen, von denen sie aktuell auch wahrscheinlich zum Teil unterbewusst profitieren, selber kümmern. Beispiele hierfür wären ein Gesundheitssystem, bestehende gesetzliche Rahmenbedingungen und vieles weitere.
Welche Erkenntnis ziehen wir nun daraus?
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Gesellschaftskonzept “Damanhur” in einem kleinen, geschützten Rahmen gut umzusetzen ist. Es stellt eine Alternative für Menschen dar, welche den sozio-spirituellen Lebensstil suchen und sich freiwillig der Gemeinschaft hingeben. Diese benötigte Freiwilligkeit und das damit einhergehende Engagement des Einzelnen, tragen das Konzept. Daraus schließen wir, dass das Fehlen einer solchen Freiwilligkeit als Basis, zu einem Unmut und Zwang führen könnte, der kontraproduktiv für die Funktion des Gemeinschaftslebens wäre. Damit stellt sich die Frage, ob Damanhurs Gesellschaftsform wirklich so erstrebenswert und frei für jeden ist. Menschen, die sich dieser nicht vollkommen hingeben möchten, wird eigentlich kein Raum geboten.
Zudem hätte Damanhur mit seiner europaweiten Ökodorf-Expansion kein Alleinstellungsmerkmal als Alternative mehr, sondern würde sich zu einer, uns bekannten Gesellschaftsform entwickeln. Daraus könnten dieselben Probleme, wie sie in unserer bestehenden Gesellschaft zu finden sind, entstehen. Beispielhaft hierfür wären Verstädterung, Kriminalität und Ausgrenzung.
Die Ausweitung Damanhurs könnte zudem die Folge haben, dass vorherrschende länderspezifische Kulturen mit ihren Bräuchen, Riten und Werten verdrängt und durch, beispielsweise spirituelle, damanhurianische Rituale, ersetzt werden würde. Somit wären keine Diversität und Vielfalt von Kulturen und Menschen gegeben, die eine Gesellschaft unserer Meinung nach, lebendig und spannend machen.
Es gibt jedoch einzelne Werkzeuge aus dem „Werkzeugkasten Damanhur“, die man für die Reparatur der heutigen Gesellschaft verwenden könnte. Hierunter zählen für uns Nachhaltigkeit, Werte wie gegenseitiger Respekt, Nächstenliebe, eine zusammenhaltende Gemeinschaft, weniger gesellschaftlicher Druck und eine offenere Kommunikation. Allerdings stellt die Gesellschaftsform Damanhurs, in Anbetracht der für uns wahrscheinlich auftretenden Grenzen, unserer Meinung nach keine tragbare und im Großen anwendbare Alternative dar. Somit würde die Vision des Falken, unserer Meinung nach, zu keinem erstrebenswerten gesellschaftlichen Wandel führen.
Nachdem Sie als Leser*in nun die Vision Damanhurs etwas kennenlernen konnten, möchten wir Ihnen als Gruppe die Frage stellen, ob Sie sich vorstellen könnten, dort zu leben? Und wie sieht es mit unserer Europa-Vision aus? Stellt diese für Sie eine Alternative dar?
Basisquellen:
Damanhur (2021): Damanhur. Online verfügbar unter: damanhur.org. URL: http://www.damanhur.org/de. Letzter Zugriff: 17.01.2021.
Damanhur (2021): Damanhur – community blog. Online verfügbar unter: damanhurblog.com. URL: https://www.damanhurblog.com. Letzter Zugriff: 17.01.2021.
Damanhur (2021): damanhur_spiritual_community. Online verfügbar unter: instagram.com. URL: https://www.instagram.com/damanhur_spiritual_community/?hl=de. Letzter Zugriff: 17.01.2021.
Damanhur (2021): Der Damanhurshop. Online verfügbar unter: damanhur.org/de. URL: http://www.damanhur.org/de/der-damanhurshop. Letzter Zugriff: 17.01.2021.
Neffe, J. (1996): “Ein Teufel mit drei Köpfen”. Online verfügbar unter: spiegel.de. URL: https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8933422.html. Letzter Zugriff: 17.01.2021.
Verfasst von: Jäger, I.; Haeffele, J.; Krause, M.
1 note
·
View note
Text
8. Weltraumstädte
Stanford Torus - Das unendliche Tal im All
“Die Menschheit wurde auf der Erde geboren, sie muss aber nicht hier sterben” - Interstellar (Nolan, 2014)
Der Filmregisseur und -produzent Christopher Nolan, stellt mit seinem Film “Interstellar” die zunehmend unbewohnbarere Welt aufgrund von Klimaveränderungen dar. Hierdurch zieht er die Umsiedlung der Menschen ins All bzw. die Suche nach einem anderen bewohnbaren Planeten in Betracht.
NASA/Rick Guidice, Stanford Torus cutaway, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Schon im letzten Jahrhundert beschäftigten sich Wissenschaftler damit, das Leben auf der Erde hinter sich zu lassen und ein neues im Weltall zu beginnen. Hierfür benötigte es natürlich einige Zwischenschritte, wie beispielsweise der allgemeine Start der bemannten Raumfahrt und der erste menschliche Besuch auf dem Mond.
Inzwischen gibt es neue Projekte und Trends in der Raumfahrttechnik.
Der Langzeitaufenthalt von Menschen im All erfordert die Entwicklung neuer Technologien und Prozesse um optimale Lebens- und Umgebungsbedingungen zu ermöglichen. Darunter fällt auch die Handhabung von Abfällen und die Bereitstellung von Wasser, Sauerstoff und Lebensmitteln. Zudem ist die Aufrechterhaltung der Gesundheit und das psychologische Wohlbefinden der Astronauten von großer Bedeutung. Aus diesen Grundvoraussetzungen resultierte der Gedanke von biogenerativen Lebenserhaltungssystemen, insbesondere der Anbau von Pflanzen. Das Forschungsprojekt Eden ISS, auch Mobile Test Facility (MTF) genannt, ist ein Antarktis-Gewächshaus-Projekt, in dem von 2014 bis 2019 der Anbau, unter für Pflanzen und Menschen lebensfeindlichen Bedingungen, untersucht wurde.
DLR_de, EDEN-ISS Gewächshaus mit Vollmond, CC BY 2.0
Kommerzielle Kleinraketen stellen ein weiteres neues Projekt in der privaten Raumfahrt dar. Hierbei handelt es sich um viele kleine Raketen, die in den nächsten Jahren zur Erdumlaufbahn starten werden. Ziel ist es, dadurch hunderte kommerzielle Satelliten über der Erde kreisen lassen zu können und so eine schnellere und stabilere Internetverbindung zu ermöglichen.
Von den kommerziellen Kleinraketen geht es nun zur kommerziellen Raumfahrt. Raketen und Weltraumflugzeuge, die auch privaten Personen den Flug ins All ermöglichen sollen sind schon länger keine reine Fiktion mehr, sondern ein aktuell bestehender Trend an dem bereits geforscht wird. Einer der erfolgreichsten Visionäre derzeit ist Elon Musk mit seinem Unternehmen “SpaceX”.
Musk ist jedoch nicht nur an der kommerziellen Raumfahrt interessiert.
"Es ist wichtig, dass wir das Leben über die Erde hinaus verbreiten […]" (Elon Musk).
Eine große Vision von “SpaceX” ist es, die Kosten des Weltraumtransports irgendwann so weit zu senken, dass es unter anderem möglich wäre, Menschen auf anderen Planeten, insbesondere dem Mars anzusiedeln (siehe Blogeintrag Marskolonien für mehr Details).
Für den Ausbau, die Forschung und das Leben im All werden ständig neue Rohstoffe gebraucht. Bisher kommen diese alle von der Erde, doch Baumaterialien, Treibstoffe und Lebensmittel könnten zukünftig auch im All abgebaut, beziehungsweise hergestellt werden. Zum einen lässt sich das bereits vorgestellte Gewächshaus “Eden ISS” hier einordnen. Zum anderen wird in diesem Bereich der neue Trend des “Space Mining” hervorgehoben. Hierbei könnten Rohstoffe und Wasser, beispielsweise durch den Abbau des Mondes, gewonnen werden. Edelmetalle, wie sie oft in Asteroiden zu finden sind, sind für den kommerziellen Abbau ebenso attraktiv.
NASA, Asteroidmining, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Durch den weiteren Ausbau und die Forschung der genannten Trends, werden für die Zukunft neue Möglichkeiten, aber auch neue Herausforderungen geschaffen. Nach wie vor bleibt es aber spannend, wie sich die aktuellen Projekte und Trends der Raumfahrttechnik entwickeln.
Das Modell einer Weltraumstadt – Stanford Torus
Die aktuellen Trends zeigen, dass die Forscher inzwischen schon sehr weit in der Entwicklung sind, wenn es um den Weltraum geht. So könnte es in der nahen Zukunft vielleicht schon möglich sein, in einer selbstversorgenden Weltraumstadt zu wohnen. Schon in den 70er Jahren haben Wissenschaftler über solche Städte im All fantasiert. Ein Beispiel hierfür ist der Stanford Torus.
NASA/Donald Davis, Stanford Torus exterior, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Dieses Modell der Weltraumstadt entstand 1975 in einer NASA Sommerstudie. Um das Modell erst einmal vorzustellen: Im Torus gibt es Platz für bis zu 10.000 Menschen. Die Weltraumkolonie ist selbständig, es wird Sonnenlicht und Luft zum Atmen zur Verfügung gestellt, die Menschen produzieren ihr eigenes Essen und eine erdähnliche Schwerkraft gibt es dort auch. Wie soll das alles denn möglich sein fragen Sie sich? Die Außenwand des Stanford Torus’ besteht aus 10 Millionen Tonnen Mondgestein, was sehr sauerstoffreich ist und dem Menschen somit eine perfekte Atmosphäre ermöglicht. Zudem wird dadurch sauberes und trinkbares Wasser zur Verfügung gestellt. Das Sonnenlicht wird mit Spiegeln auf die Kolonie projiziert. Ein großer Spiegel, der über dem Torus in einem 45 Grad Winkel montiert wird, lenkt die Sonnenstrahlen zu kleineren Spiegeln an der Außenhülle des Torus’. Somit werden Sonnenlicht und Energie bzw. Wärme für die Kolonie gewährleistet. Da der Torus die Form eines Ringes hat, kann dieser sich ganz einfach innerhalb einer Minute um die eigene Achse drehen, wodurch eine erdähnliche Schwerkraft geleistet wird. Die Einwohner werden durch zahlreiche Tests im Voraus ausgewählt. Die “Auserwählten” können in dieser Weltraumstadt ein neues Leben aufbauen, frei von Umweltkatastrophen und Leid, die auf der Erde in manchen Gebieten zu finden sind.
NASA/Donald Davis, Stanford Torus interior, als gemeinfrei gekennzeichnet, Details auf Wikimedia Commons
Das Projekt “Stanford Torus” hat jedoch nicht nur die Absicht, ein neues Leben im Weltall aufzubauen. Dieses Projekt wäre ebenso für die Forschung hilfreich. Man könnte viel mehr vom Weltraum erfahren und erforschen. Ebenso könnte der Torus durch seine Satelliten-Solarkraftwerke die Erde potenziell mit Energie versorgen.
Falls Sie denken, dass das alles gar nicht umsetzbar wäre, dann müssen wir Ihnen womöglich widersprechen. Wir geben zu, dass es vermutlich im Jahr 2021 noch nicht umsetzbar ist, jedoch in naher Zukunft möglich sein kann. Gerade das oben genannte Forschungsprojekt “Eden ISS” ist ein gegenwärtiges Beispiel für die Forschung in diesem Bereich. Ein Garten im All wäre eventuell also schon einmal möglich. Auch durch das “Space Mining”, was bereits erwähnt wurde, könnten Ressourcen und Baumaterial für den Torus oder eine andere Art einer Weltraumstadt, gewonnen werden. Man kann also sagen, dass die Forschung in diesem Bereich schon sehr weit ist und einem selbständigen Leben im All immer näherkommt.
Gründe für die Umsiedlung ins All
Es existieren zahlreiche Szenarien, die dazu führen können, dass die Menschheit von der Erde flüchten und sich eine neue Heimat in einem anderen Lebensraum suchen muss. Auch der renommierte Physiker Stephen Hawking äußert sich dem gegenüber kritisch, dass die Menschheit für immer auf der Erde leben kann.
“Ich glaube, dass wir keine 1000 Jahre mehr überleben werden, wenn wir zuvor nicht von diesem zerbrechlichen Planeten flüchten.”
In seiner Vorstellung hat “Die Menschheit […] nur eine Chance, wenn sie den Weltraum erobert.” Eine sehr aktuelle Gefahr ist die menschengemachte Klimaveränderung. Seit Beginn der Industrialisierung ist es auf der Erde im Schnitt um 1,1 Grad wärmer geworden und schon durch diese Temperaturdifferenz werden empfindliche Ökosysteme zerstört. Klimaforscher gehen davon aus, dass bei einer Erwärmung von 2 Grad bestimmte Kipp-Punkte erreicht sind, die unumkehrbar sind. Beispielsweise das Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes. Mit dem fortlaufenden Klimawandel wird das Überleben für die Bewohner der Erde zunehmend erschwert. Um dem Klimawandel entgegenzuwirken gibt es bereits zahlreiche Ansätze, einer davon ist die vegane Ernährung. Inwiefern eine Veganisierung der Welt unserem Planeten helfen kann, können Sie in einem weiteren Blogbeitrag nachlesen.
Seit ihrer Existenz sind Konflikte zwischen Bevölkerungsgruppen Gefahren unserer Spezies. Die Anzahl der Konflikte weltweit ist zwar rückläufig, allerdings müssen wir in Zukunft damit rechnen, dass knappe Güter und begrenzte Ressourcen bei einer wachsenden Bevölkerung Engpässe bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln, Wasser, Mineralien und fossilen Brennstoffen zu angespannten Situationen beiträgt und die Wahrscheinlichkeit für Konflikte steigt. Wie bereits erwähnt ist die Überbevölkerung ein weiteres Risiko. Aktuell leben 7,77 Milliarden Menschen auf der Erde, so viele wie noch nie zuvor. Ein weiteres Szenario, weshalb die Menschen ins All umsiedeln sollten beschreibt der deutsche Astronaut Alexander Gerst.
“Sobald wir Flöße bauen konnten, sind wir über Flüsse gefahren. Sobald wir Schiffe bauen konnten, sind wir hinter den Horizont gesegelt. Jetzt können wir Raumschiffe bauen, also fliegen wir ins All.”
Damit wird eine Selbstverständlichkeit dargestellt, bei der wir sobald die technischen Mittel gegeben sind, die Möglichkeiten nutzen sollten. Allerdings stellt sich daraus auch die Frage, ob jede Möglichkeit zu ihrer Nutzung verpflichtet. Das Ferne und Unbekannte zu erreichen galt schon immer als Beweis menschlicher Leistungsfähigkeit. Der allgemein vorherrschende Traum, das Geheimnis des Lebens in fremden Sphären wird in zahlreichen Büchern, Bildern und Filmen zum Ausdruck gebracht. Das All galt schon immer als unendliche Projektionsfläche für die Menschheit und ist somit Zielgebiet für Utopien.
Chancen und Risiken des Stanford Torus’
Im Folgenden werden sowohl die positiven, als auch negativen Seiten von Stanford Torus näher betrachtet, welche hier als “Chancen” und “Risiken” dargestellt werden. Im Zuge dessen wird auch der Aspekt der Ethik etwas näher beleuchtet.
Betrachten wir die Risiken, sticht eine Problematik besonders hervor: die Aufrechterhaltung der Symbiose. Das vorherrschende Ökosystem der Erde mit der gesamten funktionalen Vielfalt ist hoch komplex. Auch heute ist bei weitem nicht alles erforscht, was die künstliche Herstellung dieses Gleichgewichts deutlich erschwert.
Auch ist ungewiss welche Folgen solch ein “Lebensraum” auf die Gesundheit der Menschheit haben wird. Möglicherweise kann dies schwerwiegende Folgen für die menschliche Psyche haben. Oder es kann durch die stark veränderten Lebensumstände zur Entstehung von neuen Krankheiten kommen.
Doch nicht nur die Menschen werden mit der veränderten Lebenssituation ihre Schwierigkeit haben. Auch die Tier- und Pflanzenwelt muss mit den neuen Umweltbedingungen zurechtkommen. So würde es zum Beispiel nur eine einheitliche Klimazone geben, was wiederum die Lebensmittelauswahl einschränken würde, da nur Pflanzen angebaut werden können, welche in exakt dieser Klimazone gedeihen. Wie die Tiere auf das dauerhafte Fehlen von Jahreszeiten reagieren würden, kann man auch nur schwer abschätzen. Eine weitere Problematik bezüglich des künstlichen Klimas, wäre auch der fehlende Regen. Wie würde man die Pflanzen bewässern? Was würde dann anstelle des Regens zur Luftreinigung beitragen? Allein durch die Fortbewegungsmittel würde sich durch den Bremsabrieb Unmengen an Feinstaub innerhalb der Kuppel anstauen. Es wird deutlich, dass jede Problematik viele weitere Risiken nach sich zieht.
Doch auch für alltägliche Vorgänge, wie zum Beispiel der Müllentsorgung, muss eine Lösung gefunden werden. Selbstverständlich ist es keine Option so damit umzugehen, wie wir es aktuell auf der Erde machen. Auf Stanford Torus wäre viel zu wenig Platz um die Massen an Müll richtig zu lagern. Vielmehr müsste man sich insgesamt zu einer saubereren und nachhaltigeren Arbeits- und Lebensweise hin entwickeln.
Eine weitere Herausforderung wäre die Ressourcenknappheit. Man müsste einen Weg finden, mit anderen oder weniger Ressourcen auszukommen, da nicht alles von der Erde nach Stanford Torus transportiert werden könnte. Die Kosten wären exorbitant und das Projekt würde am finanziellen Aspekt scheitern. Ein Beispiel: 1 Kilogramm Nutzlast in den Weltraum zu befördern kann bis zu 50.000$ kosten, also rund 41 Tausend Euro. Doch wie können auch in Stanford Torus ausreichend Rohstoffe beschaffen werden?
Das größte aller Risiken ist jedoch das Problem, dass kein Probedurchlauf möglich ist. Das heißt, dass bei der Durchführung alles perfekt und bis ins kleinste Detail geplant sein muss und absolut nichts schief gehen darf, da es ansonsten fatale Folgen nach sich ziehen würde.
Nichtsdestotrotz würde Stanford Torus einige Chancen auf eine positive Entwicklung schaffen. Allen voran: die Rettung der Menschheit und deren Kultur. Das Wissen, die Kultur und vieles mehr würde nicht verloren gehen, sondern in gewissem Rahmen weiterleben. Aber auch viele andere Lebewesen hätten durch die Weltraumkolonie eine Möglichkeit zu überleben. Klar ist, dass nicht alle gerettet werden können, jedoch wenigstens ein Teil der überlebenswichtigen Organismen.
Dazu kommt, dass die Menschheit eine neue Chance auf ein friedliches Zusammenleben hätte. Es würde eine neue Ordnung geben, ohne die Konflikte der Erde mitzunehmen. Das heißt, dies wäre eine Möglichkeit bei null zu starten und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Gleichzeitig wäre auch insofern ein sichereres Leben möglich, da die meisten Naturkatastrophen, wie etwa schlimme Stürme, ausgeschlossen werden könnten. Der Mensch kann viele Dinge nach seinem Willen lenken und dadurch einiges Leid ersparen. Es wird deutlich, dass man komplett neue Möglichkeiten der Selbstbestimmung hätte. Man kann sogar ein Umstand wie das Wetter beeinflussen und nach Belieben an die aktuelle Situation anpassen – zum Beispiel wie es für die momentane Landwirtschaftssituation am günstigsten ist. Kurz gesagt wäre Stanford Torus eine riesige Chance auf einen Neuanfang für die Menschheit.
Ethische Konflikte
Im anschließenden Teil wollen wir noch einen Blick auf die ethischen Konflikte werfen. Auch im bereits erwähnten Film „Interstellar“ wurde diese Problematik thematisiert und mit folgendem Zitat auf den Punkt gebracht:
„Wir müssen lernen als Spezies zu denken und nicht als Individuen.“
Mit dieser Aussage wird deutlich gemacht, dass in einer solchen Situation Egoismus fehl am Platz ist. Die einzige relevante Priorität wäre das Überleben der Spezies, doch genau das hat einige ethische Konflikte zur Folge.
Die größte Herausforderung wäre die sogenannte Arche Noah Problematik. Hierbei geht es um die Frage, wer überhaupt in die “neue Welt” mitdarf. Nach welchen Kriterien bzw. Eigenschaften würde man entscheiden? Ist die Intelligenz, das Aussehen, die Fruchtbarkeit, die Genetik oder sogar das Geld ausschlaggebend? Auf der anderen Seite muss man sagen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Menschen mit Krankheiten nicht mitdürften. Aufgrund all dieser Kriterien wäre man sozusagen auf der Suche nach dem perfekten Menschen – einer Utopie. Doch angenommen man würde genug passende Leute für das Projekt finden, was würde mit den Restlichen geschehen? Man müsste den Rest der Menschen auf der Erde zurücklassen, was einer Triage gleichkommen würde. Hierbei entsteht die riesige Frage, wer all das entscheiden kann bzw. soll – wer die Macht hat über Leben und Tod zu urteilen.
Ein weiterer Punkt wäre der Verlust der außerordentlichen Artendiversität und der geographischen Vielfalt. Es ist klar, dass es auf Stanford Torus nur eine flache Ebene geben kann. Es würde keine Berge, Täler, Gewässer oder verschiedene Klimazonen geben, sondern es wäre alles eintönig. Hinzu kommt der Verlust von unzähligen Pflanzenarten. Als Beispiel: allein in Brasilien gibt es rund 56.000 verschiedene Arten von Pflanzen. Neben den vielen Pflanzenarten, würden auch zahlreiche Tierarten verloren gehen. Höchstwahrscheinlich wäre für Tiere, welche kein Nutzen bringen, kein Raum in Stanford Torus.
Als letzten Punkt der ethischen Konflikte werden wir noch den Verlust der menschlichen Kultur genauer betrachten. In der Weltraumkolonie würde es nämlich keine einzelnen ethnischen Gruppen, mit ihrer langen Historie geben. Welche Sprache würde man dort sprechen? Wäre Englisch die Einheitssprache und würden all die anderen Sprachen verloren gehen? Was würde mit unseren Kunstwerken passieren? Auf der Erde entstanden im Laufe der Jahrtausende Kunstwerke von unschätzbarem Wert. Sie alle hätten gewiss kein Platz zur Lagerung. Apropos Platz: für eine konstante Aufrechterhaltung der Bevölkerungsanzahl müsste eine strikte Zwei-Kind-Politik geführt werden. Die Menschen wären hier in ihrer Lebensweise stark eingeschränkt. Hinzu kommt die Problematik, ob es Raum für Religion geben würde – schließlich barg diese in unserer Vergangenheit ein hohes Konfliktpotenzial. Insgesamt stellt sich also auch hier die Frage, welche Traditionen und Bräuche mitgenommen werden können.
Zwischen Utopie und Dystopie
Abschließend ist noch zu klären inwiefern die Umsetzung des Stanford Torus’ einer Utopie oder Dystopie entspricht. Für die Dystopie spricht, dass Fehler im All schwerwiegende und lebensgefährliche Folgen haben. Allerdings sind Fehler menschlich und bei der Planung eines komplexen Projekts, das im Vorhinein nur sehr begrenzt getestet werden kann, sind Fehler fast unumgänglich. Insgesamt würden die Menschen im All noch viel stärker von der Technik abhängig sein und auch hierbei kann es zu Fehlern kommen. Diese können beim Auftreten nur schlecht behoben werden und eine schnelle Flucht für so viele Menschen kann zur unlösbaren Herausforderung werden. Außerdem schlüpft der Mensch in die Rolle Gottes. Das was sich über Jahrmillionen auf der Erde entwickelt hat, kann nicht einfach in einem kurzen Zeitraum künstlich erschaffen werden. Zudem ist der Mensch nicht Gott und er hat auch nicht das Recht zu bestimmen welche Lebewesen, Pflanzen und Landschaften ins All mitdürfen. Selbst wenn der Mensch in die Position gebracht wird, dass er entscheiden muss, wird im All nicht die gleiche Lebensqualität möglich sein, wie auf der Erde. Automatisch wird es zu einem Verlust an Lebensqualität kommen, denn viele Menschen werden beispielsweise ihre Kultur verlieren und damit in einem eingeschränkteren Lebensraum klarkommen müssen. Dadurch kann es dazu kommen, dass eine Unzufriedenheit durch die Einschränkungen entsteht und diese Unzufriedenheiten und der Verlust die Menschen in ihrem Alltag belastet.
Anzumerken ist, dass es auch Punkte die für eine Utopie sprechen, gibt. Die Menschheit hat
die Chance auf einen Neuanfang, der Mensch kann ein selbstbestimmtes und neues Leben starten. Die Umwelt kann nach den Wünschen der Weltraumkolonie gestaltet werden, denn sie hat die Macht über alles, sie kann alles entscheiden und alles an sich anpassen. Der Mensch kann sich zur obersten Priorität machen. Ihm sind dabei auch keine Grenzen gesetzt, da er selbst die Welt erschaffen wird, in der er leben wird. Die Erde als Planet kann entlastet werden und im All kann ein neues Leben ohne Krankheit und Gebrechen beginnen. Zusätzlich hätte unsere Spezies die Möglichkeit eine neue Lebenswelt zu entdecken.
Insgesamt ist der Stanford Torus eine große Chance für die Menschheit um ihr Überleben zu sichern, allerdings wird man gleichzeitig große Verluste beklagen. Wem also die Möglichkeit gegeben wird, ein Teil der Weltraumkolonie zu werden und sich dafür entscheidet die Erde endgültig zu verlassen, muss sich über die Veränderungen und die potentiell gegebenen Einschränkungen im Klaren sein. Natürlich gibt es die Möglichkeit auf einen Neuanfang, doch ob die gegebenen Bedingungen für jeden Einzelnen zur Belastung oder Bereicherung werden ist unvorhersehbar.
Nun stellt sich uns die Frage, was Sie von der geschilderten Thematik halten. Was denken Sie? Würden Sie gerne einen Neuanfang im All wagen und einen Teil der neuen Lebenswelt werden?
Basisquellen:
What If (2020): What If We Built a Stanford Torus? [YouTube], https://www.youtube.com/watch?v=08A6oi6TSuM
Gretzinger, N. (2018): Ab ins All: Aktuelle Trends in der Raumfahrt. Online verfügbar unter: INGENIEUR.de. URL: https://www.ingenieur.de/technik/fachbereiche/raumfahrt/ab-ins-all-aktuelle-trends-in-der-raumfahrt/. Letzter Zugriff 20.01.2020
Verfasst von: Molfenter, V.; Wolf, L.; Brünger, D.; Sorg, G.
#stanfordtorus#weltraumkolonie#lebenimall#weltverbesserer#neuanfang#realitätoderfiktion#utopieoderdystopie
1 note
·
View note
Text
9. Unterwasserstädte
Ocean Spiral City - Leben unter Wasser
Haben Sie sich schon einmal Gedanken darübergemacht, wie die Welt in der Zukunft aussehen könnte? Wie die Menschen leben und wo sie leben? Wir wollen Sie heute mit auf eine gedankliche Reise in die Zukunft nehmen. Stellen Sie sich vor sie würden im Jahr 2100 leben. Ein Leben wie sie es aus dem Jahre 2021 kennen ist nicht mehr möglich. Die Hitze hat den Planeten Erde förmlich aufgefressen. Alle Warnungen und Vorhersagen von renommierten Wissenschaftlern wie Stefan Rahmstorf einer war, sind eingetroffen. Der Klimawandel hat den Planeten Erde zu einem fast unbewohnbaren Planeten für Lebewesen gemacht. Nur noch wenige Menschen leben auf der Erdoberfläche, genauer gesagt, sie vegetieren langsam vor sich hin. Doch was ist mit dem Rest der Menschheit passiert? Gibt es noch Lebewesen der Spezies Mensch oder sind sie so gut wie ausgestorben? Wenn ja, wo befinden sie sich? Zu dem genauen Aufenthaltsort der noch übrig gebliebenen Menschen, welche ihr Leben noch leben nennen können, wollen wir Sie nun in diesem Beitrag mitnehmen. Wir wollen Ihnen die Unterwasserstadt Ocean Spiral City und das gesellschaftliche Leben dort vorstellen.
Bild von Free-Photos auf Pixabay
Stellen Sie sich vor, unter der Wasseroberfläche schwimmt eine riesige Kugel aus Glas, welche über eine Spirale mit dem Meeresboden verbunden ist. Falls es Ihnen an diesem Punkt schwer fällt, sich dieses anmutige Gebilde vorzustellen, dann machen Sie doch einfach kurz einen Abstecher zur der offiziellen Seite der zuständigen Firma Shimizu Corporation. Hier können Sie sehen, wie sich die Entwickler der Unterwasserstadt Ocean Spiral City ein solches Gebilde vorstellen. Ziel dieses Lebensraums ist es, mit den Anforderungen des steigenden Meeresspiegels, der Flächenknappheit und der Ressourcenknappheit auf der Erde bestmöglich umzugehen. Um unser zuvor aufgebautes Gedankenspiel nun zu erweitern, stellen wir uns vor, in das Gebilde Ocean Spiral City einzutauchen. Wir versetzen uns gedanklich in die 500 Meter große Kuppel, umgeben von Wasser und kein Sonnenlicht erreicht die Bewohner. Doch nichtsdestotrotz tummeln sich mehrere Menschen um das Herzstück der Kugel, der konkave Pfeiler, in welchem sich Wohnungen, Geschäfte, Hotels und Parks befinden. Hier findet das gesellschaftliche Leben von 5000 Menschen im Jahre 2100 statt. Ein Leben, wie wir es uns im Jahre 2021 nur vage vorstellen können. Doch wie genau gestaltet sich dieses Zusammenleben in Ocean Spiral City? Hier wollen wir Ihren Gedanken freien Lauf lassen. Sie können nun ein eigenes Fantasiebild dieser Utopie entwickeln. Um Ihnen hierfür ein paar Anstöße zu geben, schauen Sie doch gerne noch einmal auf der offiziellen Seite der Firma Shimizu Corporation zum Projekt Ocean Spiral City vorbei. Sie können sich aber auch von uns weiter durch dieses Gedankenspiel führen lassen. Wir haben uns ebenfalls eine eigene Vorstellung vom gesellschaftlichen Zusammenleben in Ocean Spiral City gemacht. Auf diese Reise würden wir Sie jetzt gerne weiter mitnehmen. Hierfür haben wir uns eine zentrale Leitfrage überlegt, die sich wie ein roter Faden durch unser Gedankenspiel der Utopie Unterwasserstadt zieht. „Schafft das Leben unter Wasser neue Möglichkeiten für ein gesundes, gerechtes und sicheres Leben für den Menschen?“ Die Beantwortung der Frage soll veranschaulichen, ob eine Unterwasserstadt eine geeignete Lösung ist, um den Folgen des Klimawandels zu entkommen. Oder gibt es vielleicht geeignetere Lebensräume, in welche die Menschheit flüchten kann. Eine weitere Möglichkeit einer Utopie stellt der Lebensraum Weltraum dar. Wenn diese Vorstellung ebenfalls Ihr Interesse geweckt hat, dann können Sie sich gerne in den Beitrag Weltraumstädte einlesen. Nun aber wieder zurück zu dem Lebensraum Meer. Das Leben in einer Unterwasserstadt hört sich erst einmal spannend und ansprechend an. Ein neuer, unentdeckter Lebensraum, wer träumt nicht davon, etwas Neues zu entdecken? Doch bringt Neues auch immer Herausforderungen und Umstellungen mit sich. Was hierbei die Vor- und Nachteile sein können, erläutern wir Ihnen im Folgenden anhand der drei Aspekte „Gesundheit“, „Sicherheit“ und „Gerechtigkeit“.
Die Einbettung von Ocean Spiral City in das Versorgungssystem
Stellen wir uns bei diesem Aspekt einmal vor, dass die Erdoberfläche zerstört ist und keine funktionierende Industrie und Infrastruktur mehr aufweisen kann. Demzufolge leben die Menschen in Ocean Spiral City abgeschottet in ihrer Kugel und müssen sich ihr eigenes Versorgungssystem aufbauen. Sie greifen hierfür auf die natürliche Ressource Wasser zurück. Die Kugel ist umgeben von Wasser und kann somit auch von den Eigenschaften des Meereswassers profitieren. Von außen erzeugt dieses eine kühle Umgebung, welches zum Beispiel hilft, Nahrungsmittel optimal zu Lagern. Im Inneren der Kugel herrscht somit auch eine konstante Raumtemperatur, da diese durch Belüftungsanlagen selbst von den Menschen gesteuert werden kann. Nun stellen Sie sich einmal vor, Sie müssten nie wieder frieren oder unter den Folgen eines heißen Sommers leiden. Dies hört sich doch wirklich ansprechender an als die Zukunftsprognosen bezüglich des Klimawandels, mit welchen Sie aktuell ständig in den Medien konfrontiert werden. Auch die Versorgung mit Strom kann mit Hilfe von Wasser gewährleistet werden. Ebenfalls können wichtige Ressourcen aus dem Meeresboden gewonnen werden. Das Konzept Unterwasserstadt ermöglicht also ein weitestgehend funktionierendes Versorgungssystem. Hierbei können Sie sich nun auch vorstellen, dass die Möglichkeit besteht, das Versorgungssystem, so wie Sie es kennen, zu reformieren. Es kann ein ganz neues System aufgebaut werden. Doch kommt genau in diesem Zusammenhang auch die Frage auf, ob unser aktuelles Versorgungssystem unzureichend ist und einer Reformierung bedarf. Fakt ist, dass es sehr komplex und weitreichend ist. In unserem Gedankenspiel betrachten wir den Aspekt der Gesundheitsversorgung und wie dieser sich in Ocean Spiral City gestalten könnte. Stellen Sie sich nun einmal vor, Sie leben in Ocean Spiral City und benötigen eine dringende Operation oder sie leiden an einer chronischen Erkrankung und sind Ihr Leben lang auf Medikamente angewiesen. Um allein diese beiden Szenarien zu verwirklichen, benötigt es eine umfangreiche Struktur. Die Herstellung von Medikamenten lässt sich nicht einfach mal so in einem kleinen Raum bewerkstelligen, genauso wie die Durchführung einer Operation. Hierfür werden zum Beispiel zahlreiche technische Hilfsmittel benötigt und eine ausreichende Anzahl an Fachkräften. Um also ein vollständig funktionierendes Versorgungssystem aufgebaut zu bekommen, ist eine Anbindung an die Außenwelt notwendig. Erinnern wir uns nun aber noch einmal an den Ausgangspunkt unseres Gedankenspiels, in dem ein Leben an der Erdoberfläche nicht mehr möglich ist, so ist auch ein Kontakt zur Industrie und Infrastruktur der Außenwelt nicht möglich, besser gesagt, die Industrie und Infrastruktur an der Erdoberfläche ist zusammengebrochen.
Sicheres Leben in Ocean Spiral City
Ein Blick zurück an die Erdoberfläche und die wenigen dort noch lebenden Menschen zeigt, dass sich das Leben stets als eine große Herausforderung darstellt. Der Klimawandel prägt sich mit seinen fatalen Folgen immer weiter aus. Menschen leiden unter extremen Wärmebelastungen, welche ihr alltägliches Leben beeinflussen und somit deutlich erschweren. In Ocean Spiral City können Menschen hingegen ein unbeschwertes Leben führen, ohne jegliche klimatische und umweltbedingte Beeinflussungen zu erleben. Stellen Sie sich vor, ein Tsunami breitet sich aus und bewegt sich mit rasanter Geschwindigkeit auf das Festland zu. Menschen geraten in Panik und versuchen sich vergeblich zu retten. In Ocean Spiral City hingegen ist keine Panik unter den Menschen erkennbar. Auf Grund eines integrierten Sicherheitssystemes, welches permanent die Wellenaktivität überwacht, wissen die Menschen frühzeitig über die mögliche Gefahr eines Tsunamis Bescheid. Rechtzeitiges reagieren, durch Hinabsenken der Kugel, ermöglicht dahingehend ein stetig weiteres sicheres Leben innerhalb der Kugel. Doch so sicher es scheint in einer geschlossenen Kugel zu Leben umso mehr Gefahren können sich dahinter auch verbergen. Blicken Sie zurück in das Jahr 2020/21. Ein Jahr geprägt von einer Pandemie, welche zahlreiche Einschränkungen mit sich gebracht hat, um Menschen zu schützen. Gleichzeitig suchen Menschen den Ausweg, die Flucht aus der Pandemie. Reisen in Gebiete mit geringen Infektionszahlen um sich möglichst nicht anzustecken und Abwechslung zu erfahren, wären in Ocean Spiral City nicht möglich. Aus dieser sich im tiefen Ozean befindenden Stadt gäbe es keinerlei dauerhafte Auswege. Daher wäre hier die Gefahr extrem hoch sich anzustecken, da ein Entkommen ausgeschlossen und eine mögliche Verlangsamung und Unterdrückung des Infektionsgeschehens unmöglich ist, da das Zusammenleben geprägt von Enge sein wird. Ziehen wir hier nun noch einmal einen Bezug zu dem vorherigen Aspekt der Gesundheitsversorgung, so lässt sich erkennen, dass ein Ausbruch einer Pandemie auch hier nicht zu stemmen wäre.
Gerechtes Zusammenleben in Ocean Spiral City
Gehen wir nun weiter in unserem Gedankenexperiment und widmen uns dem Aspekt der Gerechtigkeit. Betrachten Sie hier nun noch einmal die zuvor genannte Ressourcenknappheit, welche an der Erdoberfläche herrscht. Eine solche Ressourcenknappheit lässt sich in Ocean Spiral City nicht finden. Eine Wasserknappheit in Ocean Spiral City gibt es dank den großen Mengen an Wasser nicht. Die gerechte Verteilung der Ressource Wasser auf die jeweiligen Haushalte, Büros, usw., ermöglicht ein menschenwürdiges Leben, in dem es genug sauberes Wasser für alle Menschen in Ocean Spiral City gibt. Neben der Wasserknappheit wird es an der Erdoberfläche auch eine Knappheit an Nahrungsmittel geben, da sich, durch ansteigende Temperaturen, Ernteausfälle häufen und sich ohnehin zu wenige Menschen auf der Erdoberfläche befinden um eine ressourcendeckende Ernte sicherzustellen. In Ocean Spiral City findet die Produktion von Nahrungsmittel unter dem Wasser, frei von zu hohen Temperaturen, statt. Neben der vorgesehenen Tiefsee-Fischindustrie bietet Ocean Spiral City Platz für den Anbau von Gemüse und die Viehzucht. Bei einer überschaubaren Bevölkerungszahl von 5000 Menschen, ist eine gerechte und gleiche Verteilung von Ressourcen in Ocean Spiral City möglich. Allerdings kommt bei den Begriffen „Gerechtigkeit“ und „Platz für 5000 Menschen“ die Frage auf, ob es gerecht sei, nur 5000 Menschen Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels zu bieten, da momentan weitaus mehr Menschen auf der Erde leben und ebenso von den Folgen des Klimawandels betroffen sind? Mit welchem Bewertungsmaßstab lässt sich entscheiden, wer es verdient einen Platz in der Unterwasserstadt zu bekommen und wer nicht? Natürlich lässt sich einfach sagen, dass Menschen, die es sich leisten können, also einen gewissen Geldbetrag aufbringen können, auch das Recht dazu haben, in Ocean City Spiral zu leben. Dies sind aber genau die Menschen, die durch ihre Industrie bewirkt haben, dass sich der Klimawandel so rasant entwickelt, wie er es momentan tut. Millionen andere Menschen in Entwicklungsländern leiden bereits unter den schlimmen Folgen des Klimawandels und benötigen dringender die Hilfe, aber können sich diese leider nicht leisten. Ist dies Gerechtigkeit?
Gesellschaftliches Zusammenleben in Ocean Spiral City
Das Gedankenexperiment zu der Utopie Unterwasserstadt lässt sich ins Unendliche weiterführen. Um noch einmal Klarheit und Struktur in unsere Vorstellung des Lebens in Ocean Spiral City zu bringen, wollen wir Sie nun in unsere Vorstellung des gesellschaftlichen Zusammenlebens mitnehmen. Hierbei betrachten wir die Fragen, wer sich das Leben in Ocean Spiral City leisten kann und wie das Zusammenleben aussehen wird, näher. Tauchen wir zu Beginn dieser Vorstellung in die Konstellation der Menschen, die dort leben ein. Stellen Sie sich Ocean Spiral City einmal als Luxusdomizil mit einer wohlhabenden und älteren Gesellschaft vor. Wie schon zuvor erläutert, können sich nur die Reichsten der Reichen ein solches Leben leisten. Und nun denken Sie einmal darüber nach wer in den letzten Jahren zu den reichen Menschen der Gesellschaft gehört. Diese Personengruppe besteht zum Großteil aus älteren und erfolgreichen Bürgern. Der Großteil der jüngeren Bürger ist in seinem Werdegang noch nicht so weit und erfolgreich, dass sie sich ein solch teures Leben leisten könnten. An dieser Stelle wollen wir Sie darauf hinweisen, dass diese Konstellation der Gesellschaft in Ocean Spiral City nur unsere Vorstellung der Menschen dort ist. Sie können diesen Gedankengang gerne noch weiter ausbauen. Hierfür würden wir Ihnen einen weiteren Gedankenanstoß geben. Stellen Sie sich zum Beispiel einmal vor, die Konstellation der Menschen in Ocean Spiral City wird geplant. Bei dieser Vorstellung würden die Entwickler genau vorgeben, welche Menschengruppen in Ocean Spiral City einziehen dürfen, um den Bestand der Spezies Mensch zu gewährleisten. Ein Vergleich hierzu stellt die Geschichte der Arche Noah dar. Auch hier durften von jedem Lebewesen jeweils nur ein Männliches und ein Weibliches mit auf die Arche. Doch wir wollen bei der Vorstellung der Luxusgesellschaft bleiben. Wenn diese Gruppe von Menschen in Ocean Spiral City einzieht, wie gestaltet sich dann ihr Zusammenleben? Welche Vorschriften gelten in der Gesellschaft und wer stellt diese auf? Fakt ist, der Raum auf welchem sich die Menschen bewegen können ist begrenzt. Demzufolge müssen sie also alle gut miteinander auskommen, da sie wenig Möglichkeit haben, sich aus dem Weg zu gehen. Zu Anfang sollte dies auch kein Problem sein, die Menschen führen ein harmonisches Leben. Sie kommen alle mit den gleichen Voraussetzungen nach Ocean Spiral City und sind dankbar dafür, dass sie den Folgen des Klimawandels entkommen konnten. Sie sind alle sehr wohlhabend und haben auch schon vor Beginn der großen Katastrophe in denselben gesellschaftlichen Kreisen verkehrt. Das Phänomen der Klassengesellschaft entfällt in Ocean Spiral City. Doch wie gestaltet sich das Zusammenleben auf Dauer? Die Menschen in Ocean Spiral City sind auf den Lebensraum unter Wasser angewiesen, sie können nicht mehr zurück an die Erdoberfläche. Jedoch kommen sie alle von der Erdoberfläche, sind also nicht in Ocean Spiral City geboren und aufgewachsen. Demzufolge sind sie alle in unterschiedlichen Kulturen und mit verschiedenen Wertvorstellungen aufgewachsen. Dies prägt wiederum ihren Charakter und ihren Lebensstil. Versetzen Sie sich nun in die Lage, wie das Zusammenleben aussieht, wenn man mehrere Kulturen miteinander vermischt und jeder seine eigenen Vorstellungen vom Leben hat. Es würde zu zahlreichen Konflikten und Auseinandersetzungen führen. Ein weiterer Punkt ist auch hier wieder der begrenzte Platz. In Ocean Spiral City werden nicht viele Freizeit- und Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten. Ein Leben dort gestaltet sich auf Dauer eher als eintönig. Dies wiederum bringt uns zu der angespannten Stimmung zwischen den einzelnen Bürgern.
Wir haben Sie nun mitgenommen in unsere Vorstellung des Lebens in Ocean Spiral City und hoffen, wir konnten Ihnen mit diesem Gedankenexperiment ein paar Denkanstöße und Ideen geben. Um unsere Kernaussage zu dem Konzept einer Unterwasserstadt zu verdeutlichen, wollen wir im Folgenden noch einmal auf die zentrale Fragestellung „Schafft das Leben unter Wasser neue Möglichkeiten für ein gesundes, gerechtes und sicheres Leben für den Menschen?“ eingehen. Der Lebensraum Meer stellt an sich einen interessanten Lebensraum dar, den es lohnt zu erforschen. Jedoch ist das Konzept von Ocean Spiral City noch nicht ganz ausgreift. Es weist einige positive Aspekte auf und bietet eine mögliche Lösung, um den Folgen des Klimawandels zu entkommen. Problematisch wird jedoch, dass ein solches Konzept nur als Einbettung in die schon bestehende Gesellschaft und das bestehende System funktioniert. Die sichere und ganzheitliche Versorgung der Menschen ist auch in Ocean Spiral City nicht gegeben. Des Weiteren kommt die große Frage auf, wer in eine solche Stadt einziehen darf und wer den fatalen Folgen des Klimawandels an der Erdoberfläche ausgesetzt bleibt. Auch ist nicht sicher, wie dauerhaft und zukunftsfähig eine solche Lösung ist. Betrachtet man zum Beispiel das Szenario einer ausbrechenden Pandemie, so erweist es sich als fragwürdig, ob die Menschheit dies in einem begrenzten Raum überleben würde.
Basisquellen
Shimizu Corporation (o.J.): OCEAN SPIRAL, Deep Sea Future City Concept. online verfügbar unter: shimz.co.jp. URL: https://www.shimz.co.jp/en/topics/dream/content01/ . letzter Zugriff: 27.01.2021
Verfasst von: Göller, S.; Groß, A.; Zivkovic, M.
1 note
·
View note
Text
10. Marskolonien
Marssiedlung
Der Wunsch zu fliegen und andere Planeten zu erreichen ist so alt wie die Menschheit selbst. Allerdings waren wir im Verlauf unserer Existenz meist technisch limitiert und erst seit knapp einem halben Jahrhundert ist es uns überhaupt möglich die Erde zu verlassen. Das hat die kreativen Geister der Menschen massiv angeregt, gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage wieso man Ressourcen auf eine Reise in das All verwenden sollte, obwohl wir auf der Erde genug Probleme haben. Allerdings bietet uns eine exterrestrische Siedlung, beispielsweise auf dem Mars enorme Möglichkeiten.
https://www.istockphoto.com/de/fotos/marssiedlung?phrase=Marssiedlung&sort=mostpopular, Lizenz
Projektziele
Es bestehen viele Gründe und Projektziele, die eine Siedlung auf dem Mars erstrebenswert machen. Ein sehr erdbehafteter Grund ist tatsächlich rein ökonomischer Natur. Um das Wachsen unserer Wirtschaft auch weiterhin gewährleisten zu können, ist eine Expansion in den Weltraum notwendig. Weiterhin kommt es durch die Bedienungen dort zu einem technischen Erfindungsboom, auch auf der Erde, um diesen begegnen zu können. Ein etwas soziologischerer Grund ist, dass sich der Mensch weiter entwickeln möchte und nun nach dem Fliegen die Kausalkette als nächsten Schritt, die Erschließung des Weltraums fordert. Zuletzt versucht man auch durch diesen Aufbruch den anfangs erwähnten Problemen auf der Erde zu entgehen.(Blog. Weltraumstadt). In diesem Zusammenhang sind besonders exterrestrische Bevölkerungsballungen der Menschen, besonders auf dem Mars, im Focus.
Mars als Ausweichplan
„Es ist schlimmer, viel schlimmer als Sie denken.“ (David Wallace-Wells)
Beschäftigt man sich mit dem Thema der Weltraum Kolonisierung, kommt einem irgendwann die Frage auf: Warum sollten wir unseren Planten Erde irgendwann verlassen?
Corona zeigt uns wie stark eine Pandemie uns Menschen treffen kann. Wissenschaftler gehen davon aus, dass uns in Zukunft noch mehr Pandemien treffen können. Grund dafür ist die Zerstörung von Lebensräumen diverser Tierarten und das damit verbundene Zusammenleben von Mensch und Tier. Des Weiteren werden durch den Klimawandel die Ausbreitung von bakteriellen Erregern gefördert, da diese bei warmen Temperaturen sich noch schneller vermehren.
Ein ungebremster Klimawandel fördert nicht nur ansteckbare Erreger, sondern führt auch zu einer der größten Völkerwanderungen, die es je gegeben hat. Es wird Menschen geben, die vor Nahrungsmangel und Wasserknappheit fliehen werden, das sind vor allem Länder nahe am Äquator. Dort werden überlebenswichtige Flüsse versickern und trockene Landschaften unbewohnbar werden. Andere fliehen vor Überflutungen und Stürmen.
Entwicklung der Mortalität durch Hitze
Wenn diese Szenarien eintreffen, wird es wichtig sein, technische Voraussetzungen zu besitzen, um die Erde zu verlassen.
Technische Grundvoraussetzungen
Um irgendwann die Reise zum Mars durchführen zu können, sind eine Menge von technischen Grundvoraussetzungen notwendig. Der Weg zum roten Planeten und alle Vorgänge, die dafür abgearbeitet werden müssen, beinhalten immense Kosten. Hierfür wurde eine Regel aufgestellt, welche besagt, dass je weniger Material für die Montage des Raumschiffs, in die Erdumlaufbahn zu transportieren ist, desto weniger Zubringerflüge sind nötig. Dies würde einen Großteil der Kosten ersparen. Es soll also möglichst viel Gewicht eingespart werden, jedoch soll die allgemeine Sicherheit oder wissenschaftliche Zielsetzungen immer noch im Vordergrund stehen. Ebenfalls gibt es Technische Hürden, welche überwunden werden müssen, um eine solche komplexe Reise möglich zu machen. Das erste große Problem ist, das Marsschiff in eine niedrige Umlaufbahn, um die Erde zu bekommen. Das Raumschiff könnte nämlich erst ab einer Höhe von 200 bis 500 Kilometer in Richtung Mars aufbrechen. Das zweite Problem ist das Gewicht das über 130 Tonnen betrüge, dass normale Trägerraketen nicht bewältigen können. Die NASA sieht für diese Mission drei Raumschiffe vor. Das erste wäre ein unbemanntes Lastschiff, dass eine Rückkehrkapsel, als auch eine Anlage zur Gewinnung von Raketentreibstoff absetzen soll. Das zweite Raumschiff soll eine Wohn und Landeeinheit sein, die in die Marsumlaufbahn einschwenken soll. Sollten beide dieser Marsschiffe sicher auf dem roten Planeten gelandet sein, wird 26 Monate nach den anderen zwei Raumschiffen, dass Passagierschiff losgeschickt. Um jedoch überhaupt von der Erde starten zu können, wird ein geeignetes Triebwerksystem benötigt. Alle Raketentriebwerke beruhen auf dem Prinzip des Rückstoßes. Der Zwiespalt hierbei besteht zwischen der gebrauchten Schubkraft und ihrem Treibstoffverbrauch. Hier wird zwischen zwei Systemen unterschieden. Das Sprintersystem, dass einen hohen Schub hat. Es beschleunigt schneller, benötigt jedoch mehr Treibstoff. Dieses System ist für den Transport der Mannschaft angedacht. Das zweite System, genannt „Schleichersystem“, hat einen niedrigen Schub. Es beschleunigt langsamer, benötigt jedoch weniger Treibstoff und ist demnach für unbemannte Lastschiffe angedacht. Die bestehende Lücke zwischen diesen Systemen könnte ein innovatives Antriebssystem schließen (VASIMIR). Diese Methode könnte den Weg zum Mars von sechs Monaten auf zwei Monate verkürzen, jedoch ist diese noch unzureichend erforscht. Eine Zweischaltung könnte jedoch das Problem, wie man das Marsschiff in eine niedrige Erdumlaufbahn bekommt, lösen. Mit dem niedrigen Schub wäre es möglich in die Erdumlaufbahn zu gelangen und dann durch den Wechsel zum hohen Schub in Richtung Mars aufzubrechen. Alle Möglichkeiten, die erforscht werden um auf den Mars zu gelangen sind jedoch noch in der Forschung. Somit gibt es bis dato noch keine endgültige Methode. Eine weitere technische Herausforderung wird es sein den Mars überhaupt erst bewohnbar zu machen.
Die Erde 2.0 (Marskolonisierung)
Ein wichtiger Aspekt der Marskolonisierung ist Terraforming. Terraforming beschäftigt sich mit der Umwandlung eines Planeten zu einem Lebensraum, der an die Menschheit angepasst wird. Eine Idee ist es Maschinen zu bauen, die große Mengen an Treibhausgasen produzieren. Treibhausgase haben den gleichen Effekt wie auf der Erde. Sie führen zu einem schnellen Temperaturanstieg und lassen die Eiskappen schmelzen. Dies ist notwendig, wenn man irgendwann Pflanzen anbauen möchte.
Elon Musk bringt eine weitere Idee ins Spiel. Er ist für den Einsatz von Thermonuklearbomben. Das Ziel der Thermonuklearbomben ist das gleiche wie beim Treibhauseffekt. Es soll aber nach Angaben von Elon Musk noch schneller gehen. Der Schritt des Terraformings wird dann notwendig, wenn das Leben auf dem Mars unabhängig von den Ressourcen der Erde funktionieren soll. Des Weiteren ist es wichtig, auch wenn man denn Mars bewohnbar macht, zu untersuchen wie sich ein Zusammenleben unter solchen Bedienungen auf die Menschen wirkt.
Simulation als erster Schritt auf den Mars
Um das Leben auf dem Mars zu ermöglichen braucht es eine Simulation, bei der Wissenschaftler zu möglichst marsähnlichen Bedingungen forschen können. Diese Möglichkeit bietet das Marsprojekt HI-Seas-Projekt auf einem ruhenden Vulkan auf Hawaii. Finanziert wird das Projekt von der NASA. An dem Projekt nahmen Wissenschaftler aus der ganzen Welt teil. Dazu gehörte auch die deutsche Wissenschaftlerin Christiane Heinicke aus Bremen. Die Simulation ging über einen Zeitraum von einem Jahr. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen lebten auf engstem Raum zusammen, da die Raumkapsel nur einen Durchmesser von 11m hat. Das kleine Habitat beinhaltet eine Küche, Bad, Labor und Trainingsräume im Erdgeschoss und in der ersten Etage Schlafräume. Um an Strom zu gelangen musste die Kapsel mit Solarenergie betrieben werden.
Da die Simulation möglichst realistisch sein sollte, wurden die Lebensbedingungen an den Mars angepasst. Die Innenbeleuchtung entsprach dem Tagesrhythmus der Erde. Wasserressourcen wurden knappgehalten und zum Teil aus dem Lavaboden gewonnen. Neben dem Wassermangel gibt es auch kaum frisches Gemüse, stattdessen viel Tiefkühlkost und Nudeln. Das Funksignal zwischen der Raumkapsel und der NASA wurde um 20 Minuten verzögert. Das ist die Zeit, die ein Signal vom Mars zur Erde braucht. Auch beim Verlassen der Kapsel wurde die Simulation weiter betrieben. Forscher trugen deshalb ihren 30 kg schweren Raumanzug auch in der Wüste. Durch diese Simulation wurden genauere Eindrücke zu den erforderlichen Bedienungen gewonnen, sodass die NASA einen Wettbewerb ins Leben rufen konnte, der eine möglichst realistisches Weltraumhabitat zum Ziel hatte. Die 3D-Printed Habitat Challenge stellt die Teams in mehreren Bereichen des 3D-Drucks auf die Probe, darunter Modellierungssoftware, Materialentwicklung und Konstruktion. Die von diesem Wettbewerb angestrebten Technologien können auch zu kostengünstigeren Wohnungslösungen auf der Erde führen. Gewonnen hat die Gruppe SEArch+/Apis Cor aus New York.
Regierungs- und Wirtschaftsform
Nachdem wir nun gesehen haben wie genau eine Besiedlung des Mars technisch machbar wäre, ist nun die Frage wie genau sich eine Gesellschaft dort überhaupt entwickeln würde. Da eine solche Aktion absolutes Neuland für die Menschheit ist, kann man erstmal nur Prognosen abgeben. Allerdings handelt es sich um ein langfristig geplantes Projekt, weshalb feste Schritte in den Ablauf implementiert sind, an denen man sich orientieren kann. Anfangs wird sich nur eine einzige Raumschiffcrew auf dem Mars befinden, sodass man hier die Kapitänstrukturen beibehalten will. Durch das Nachrücken zukünftiger Siedler ist dieses Konzept sehr schnell obsolet und es soll in eine direkte Demokratie übergegangen werden. Das würde bedeuten, dass jeder Bewohner eine Stimme zu jedem Thema besitzt, dass in der Marssiedlung auftritt. Mit steigender Bewohnerzahl wäre dieses Konzept etwas umständlich umzusetzen, weshalb man einen erneuten Wechsel hin zu einer repräsentativen Demokratie durchführen würde. Daraus würde resultieren, dass es nun tatsächlich einen gewählten „Marsrat“ geben würde, der für alle Bewohner bindende Entscheidungen treffen würde. Ein Risiko, dass man beachten muss, ist die Zusammensetzung der Marsreisenden, da alle Menschen aufgrund ihrer persönlichen Einstellungen das System beeinflussen und das auch negativ umschwenken kann.
Die persönliche Einstellung könnte sich auch auf die wirtschaftliche Systematik der Marsbewohner auswirken. Anfangs würde sich die Wirtschaft, aufgrund der Abhängigkeit bei der Versorgung, an der Erde orientieren. Mit steigender Autarkie aber gäbe es mehrere Möglichkeiten. Einerseits könnte die Erde darauf bestehen als eine Art „Mutterplanet“ die Ökonomischen Zügel zu behalten. Allerdings weiß man allein aus historischem Kontext, dass eine solches Kolonisierungskonzept großes Konfliktpotential birgt. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass der Mars seine eigenen wirtschaftlichen Schwerpunkte setzen wird. Auf der einen Seite, um die speziellen Bedürfnisse der heimischen Bevölkerung befriedigen zu können. Auf der anderen Seite würde die Marsregierung aufgrund ihrer besonderen Lage und Möglichkeiten eine erfolgreiche Exportwirtschaft etablieren. Besonders „Rocketmining“ ist hier zu nennen, da man dadurch nahezu unbegrenzte Ressourcen aus dem All beziehen und diese an die Erde schicken könnte oder für eigenen Projekte benutzen würde. So wäre es auch möglich die Marssiedlung als Sprungbrett für die Reise zu anderen Planeten zu benutzen. Deshalb wäre es sehr wichtig gute Beziehungen zum Mars zu behalten, da die dortige Regierung aufgrund der Autonomie die Vorrechte eines jeden autonomen Staates erhalten würde.
Mars als autonome Regierung
Würde auf dem Mars eine autonome Regierung herrschen, so wäre die Bevölkerung auf dem Mars zunächst unabhängig. Es bestünde eine eigene Legislative, eine eigene Judikative und eine eigene Executive. Es würden also eigene Gesetze auf dem Mars herrschen, womit die außenstehende Partei Erde nichts zu tun hätten. Hier stellt sich die Frage, ob es sinnvoll wäre, einen Gesetzgebungsplan oder gar ein Grundgesetz vorzuschreiben. Ein Vorteil einer solchen Regierung wäre, dass unvorhergesehene oder schlecht strukturierte Probleme schneller erkannt werden und somit besser bewältigt werden können. Ebenfalls entstünde ein größeres Potenzial für Motivation sowie Persönlichkeitsförderlichkeit. So wie es Vorteile gibt, so gibt es auch Nachteile. Darunter fallen höhere Koordinationsanforderungen und größeres Konfliktpotenzial. Zusammenfassend würde sich die Bevölkerung auf dem Mars nach innen selbst verwalten, jedoch vom Staat (Erde) außen- und Sicherheitspolitisch vertreten. Unabhängig von der eintretenden Systematik ergibt sich doch die Möglichkeit zu versuchen eine, verglichen mit der Erde, bessere Gesellschaft zu schaffen.
Gesellschaftlicher Fortschritt/ Abweichung zur Erde
Unschwer zu erkennen, läuft auf dem Planet Erde einiges nicht ganz so wie es wünschenswert wäre. Auf dem Mars bestünde die Möglichkeit gegenüber der Erde gewaltige Fortschritte zu erzielen. Da auf dem Mars zu Beginn Ressourcenknappheit herrschen würde, hätte das zur Folge, dass die Bevölkerung automatisch bewusster leben würde. Man könnte von Anfang an Müll vermeiden beziehungsweise ihn Umweltbewusst recyceln. Da die auf dem Mars lebenden Menschen sich als „Marsianer“ betrachten würden und demnach als eine Kultur gelten, gäbe es somit auch keinen Rassismus, welcher auf der Erde ein schwerwiegendes Fehlverhalten der Menschheit darstellt. Der wichtigste Punkt, welchen man auf dem roten Planeten anstreben soll, ist ein allgemein ökologischerer Grundgedanke, um auf dem Mars so Umweltbewusst und friedlich zu leben, wie es nur geht. Man könnte es in einer Form des Neubeginns der Menschheit sehen, in der alles Versäumte und allen Fehlern, die auf der Erde gemacht wurden, wieder gut gemacht wird.
Nachteile des Lebens im All
Neben all diesen Möglichkeiten, ein besseres Lebensmodell zu etablieren, gibt es leider auch einschränkende Aspekte, da der Mensch evolutionär nicht auf ein Leben im All vorbereitet ist. Aufgrund der externen Faktoren, die auf unseren Körper wirken ist mit Übelkeit, Kopfschmerzen und kurzfristiger Kurzsichtigkeit zu rechnen. Diesen Nachteilen wäre medikamentös noch beizukommen, aber es treten auch psychologische Krankheiten, auf wie Vereinsamung und einem erhöhten Risiko an Depressionen zu erkranken. Deshalb ist es notwendig Psychologisches Fachpersonal an Bord zu haben, dass sämtliche Schritte der neuen Marsbevölkerung begleitet. Zuletzt muss man sich auch den Systemrisiken bewusst sein. Ein Leben auf dem Mars ist massiv von technischen Systemen abhängig, die eine bewohnbare Umgebung garantieren. Sollten diese Systeme versagen gibt es keinen Ausweichplan. Allerdings hat der Ethikrat der NASA diese Risiken als zumutbar bewertet. Somit würde einer Bevölkerung des Mars nichts mehr im Wege stehen.
Basisquellen:
Deutsche Welle (2020): Coronavirus: Immer mehr solcher Pandemien?. online verfügbar unter: dw.de. URL: https://www.dw.com/de/coronavirus-immer-mehr-solcher-pandemien/a-54073976. Letzter Zugriff: 09.12.2020.
Brown, M. (2020): Mars Colony: A City on Mars Could Descend Into Cabin Fever and Nationalism. online verfügbar unter: inverse.com. URL: https://www.inverse.com/article/54813-mars-colony. Letzter Zugriff: 17.12.2020.
Verfasst von: Jakob, S.; Moritz, K.; Moritz, G.
1 note
·
View note
Text
11. Kommunismus
Von der politischen Utopie zum gesellschaftlichen Alptraum
In einer hoch entwickelten Welt, in der wir leben, ist die Verteilung des Vermögens stark ungleich verteilt. Trotz vieler Fortschritte in der Wissenschaft scheint das Problem der Ungleichheit eine unüberwindbare Hürde. Das geht aus einer Statistik hervor, die die Verteilung des Reichtums auf der Welt im Jahr 2019 darstellt. Zu diesem Zeitpunkt besaßen weniger als 1% der Bevölkerung ganze 43,9% des weltweiten Vermögens. Diese Ungleichheit ist ein Ausdruck der Kluft zwischen Arm und Reich und ein großes Problem der heutigen Zeit. Es handelt sich allerdings hier nicht um ein neues Phänomen. Schon vor gut 200 Jahren beschäftigten sich die Menschen mit dieser Thematik, was zu einem Umdenken der damals gegenwärtigen Gesellschafts- und Wirtschaftsformen führte. Daraus entstand eine Gesellschaftstheorie, die auf Werten wie Gleichheit, Freiheit und Gemeineigentum gestützt ist. Doch lässt sie sich auch in die Realität umsetzen oder bleibt die Theorie nur ein Gedankenkonstrukt?
Kernidee einer Utopie: Kommunismus als Lebens und Gesellschaftsform
Um 1848 entstand das Kommunistische Manifest in London. Karl Marx und Friedrich Engels, die selbst immigrierte Deutsche waren, verfassten die Gründungsurkunde des Kommunismus als Parteiprogramm für den Bund der Kommunisten. Ziel war es, die durch die Industrialisierung entstandene Ausbeutung der Arbeiterschaft zu beenden. Laut Marx befand sich die Gesellschaft in einer Feindseligkeit, in der sich die Bourgeoisie und das Proletariat in einem Klassenkampf gegenüberstanden. Die Aufspaltung der Gesellschaft in diese zwei Klassen lässt sich mit der heutigen Ungleichverteilung, der Kluft zwischen Arm und Reich gut vergleichen. Marx war der Meinung, dass dieser Klassenkampf zwischen der ausgebeuteten und der ausbeutenden Klasse so alt sei wie die Menschheit selbst. Schon in der Urgesellschaft habe es dieses Phänomen des Klassenkampfes gegeben. Dieser ziehe sich bis zum Kapitalismus, in dem er lebte, durch. Man nennt dies auch den Historischen Materialismus. Marx wollte die bestehenden Verhältnisse aufbrechen und eine neue, gerechtere Welt durch den Kommunismus schaffen. In seinem Kommunistischen Manifest ruft er deshalb das Proletariat auf, sich zu vereinigen und eine Revolution gegen die damals herrschende Klasse zu starten. Diese Übergangsphase zu einer kommunistischen Gesellschaft wird Sozialismus genannt. Die Vergesellschaftung der Produktionsmittel und die Aneignung des in Privatbesitz befindlichen Vermögens erfordert eine Diktatur des Proletariats, dem zweiten Kennzeichen des Sozialismus neben der Revolution. „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Leistungen“ ist hier das geltende Prinzip. Sobald sich die Verhältnisse stabilisiert haben, würde nach der Meinung von Marx und Engels ein naturgesetzliches Warten den Kommunismus herbeiführen. Dieser verfolgt das Prinzip: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“. In einer klassen- und herrschaftslosen Gesellschaft, in der alle gleich sind und das bekommen, was sie bedürfen, wird die Währung Geld überflüssig und durch einen direkten, planvoll und gemeinschaftlich verwalteten Tausch der Waren ersetzt. Durch diese Art von Gesellschaft wird später auch der Staat überflüssig und deshalb abgeschafft. Die Werte, die das Zusammenleben in der Gemeinschaft daraufhin leiten, sind Gleichheit, Freiheit und Solidarität.
Werden nun diese Werte auch im Hinblick auf die Situation der heutigen Zeit betrachtet, lässt sich feststellen, dass diese Werte nicht nur damals gut und erstrebenswert waren, sondern auch in der heutigen Zeit noch von hoher Relevanz sind. Die Werte von Marx lassen sich auf die Problemstellung der heutigen Zeit übertragen. Diese Erkenntnis lässt zum Entschluss kommen, dass der Kommunismus eine gute Grundidee vertritt, in dem Werte betont werden, die äußerst lobenswert sind. Nun drängt sich die Frage auf, warum wir 200 Jahre nach Marx nicht im Kommunismus leben und gleichsam so ein schlechtes Bild vom Kommunismus haben. Bleibt der Kommunismus eine utopische Idee oder ist er in zeitgenössischer Form umsetzbar?
Um diese Frage hinreichend beantworten zu können, braucht es zuerst einen kleinen historischen Aufriss, der Einblicke in bereits gescheiterten Experimente des Kommunismus gewähren soll.
Kommunismus im Gesellschaftslabor: Historische Experimente
Das wohl bedeutendste und bekannteste Beispiel für den marxistischen Kommunismus, auch Marxismus genannt, ist die Sowjetunion. Von 1917 bis 1991 gab es zwei nennenswerte Staats- und Parteichefs, die die marxistische Idee vom Kommunismus auf ihre Art und Weise umsetzen wollten: Lenin und Stalin.
Wie Marx erkannte Wladimir Iljitsch Lenin (*1870, †1924), Anfang des 20. Jahrhunderts, dass in seinem Land Russland ein Klassenkampf herrschte und die unterdrückte Klasse der Bauern sich von ihren Ketten frei machen wollten. Er selbst nahm es sich deshalb zur Aufgabe die Revolution mit seiner Partei, den Bolschewiki, anzuführen und sein Land in eine gerechtere Gesellschaft umzuwandeln. Anders als bei Marx, waren die Bolschewiki die Vorhut der Arbeiterklasse. Sie führten im Namen der Bauern die Revolution an, übten die Diktatur aus und erzogen die Massen zum Kommunismus. Um den Sozialismus zu stabilisieren, übte Lenin Terror und Gewalt auf die Bevölkerung aus. Deswegen bezeichnet man den Leninismus in der internationalen kommunistischen Bewegung auch als eine konsequente revolutionäre Seite des Marxismus oder „real existierenden Sozialismus“.
Nach Lenins Tod 1924 setze sich Iosif Vissarionovič Džugašvili (*1878, †1953), besser bekannt als Josef Stalin, bei den Bolschewiki durch. Auch er war ein Verfechter des Marxismus und wollte den Sozialismus nach dem Vorbild von Lenin weiterführen. Allerdings leisteten die aus seiner Sicht Volks- und Klassenfeinde massiv Widerstand. Dies sah er dann als Rechtfertigung, diese mit brutaler Gewalt und Terror niederzuschlagen. Durch diese durch ihn befohlene „Säuberung“ von ca. 1929 bis 1953 kamen schätzungsweise zwischen 19,5 und 22 Millionen Menschen ums Leben. Darüber hinaus zwangskollektivierte er die Landwirtschaft und nahm den Kleinbauern ihr Land wieder weg, wenn sie nicht genug Ertrag erwirtschafteten. Sowohl die kommunistische Gewaltherrschaft als auch die Zwangskollektivierung geht an der Idee des Kommunismus von Marx und Engels vorbei. Zusätzlich muss hier kritisch angemerkt werden, dass es in der Sowjetunion – weder unter Lenin noch Stalin noch seinen Nachfolgern, wie Nikita Chruschtschow (1953 �� 1964) und Michael Gorbatschow (1985 – 1991) – nie zum Kommunismus kam. Denn das „Experiment Sowjetunion“ scheiterte bereits am Sozialismus. Die am Anfang so ansprechende politische Utopie wurde für die Bevölkerung zum gesellschaftlichen Alptraum, weswegen das große Reich der Sowjetunion schlussendlich 1991 in die heutigen Oststaaten zerfiel.
Den Kommunismus zu leben ist im Großexperiment Sowjetunion gescheitert. Doch auch im Kleinen, wie es folgendes Beispiel zeigen wird, hat sich die Vision einer kommunistisch lebenden Gesellschaft nicht durchsetzen lassen. In einer kleinen Stadt New Harmony in Indiana, versuchte sich Robert Owen 1824 an einem Aufbau einer neuen Gesellschaft. Dabei vertrat er kommunistische Wertvorstellungen wie Gleichheit, Solidarität, Gemeineigentum und Liberalität. Diese versuchte er durchzusetzen, in dem sich der Einzelne am Wohl aller orientieren sollte. Seiner Meinung nach konnte das Glück des Einzelnen nur dann erreicht werden, wenn das Glück der Allgemeinheit erreicht worden war. Diese Wertvorstellungen wollte er schon durch Bildung in der Sozialisation junger Menschen vermitteln. Sein Ziel war es dabei, die Situation der Arbeiterschaft grundlegend zu verbessern, indem er eine Gesellschaft zu erschaffen glaubte, die auf Utilitarismus gegründet war. Auch Robert Owen hatte das Ziel, die Währung abzuschaffen und das Eigentum auf alle Bürger gerecht zu verteilen. Wertvorstellungen, Absichten und Ziele sind also nahezu identisch zu den Vorstellungen von Marx. Der Schritt von der Theorie in die Praxis war aber erneut das Problem. Denn das Vorhaben scheiterte nur 18 Monate nach seinem Beginn. Die Einwohner der Stadt New Harmony waren nicht bereit Owens Weltanschauung zu teilen. Unklare Besitzverhältnisse und die fehlende Unabhängigkeit des Einzelnen führten zu Streit zwischen Owen und den Einwohnern. Die Vielfältigkeit und auch der Eigensinn der Bewohner stellten also ein großes Problem dar. Trotz einer durchaus gutwilligen Vision Owens kam es auch in New Harmony nie zum Kommunismus im marxistischen Sinne. Der Versuch eine Gesellschaft auf Gleichheit und Solidarität zu errichten, missglückte auf dem Weg von der Theorie in die Praxis. Diese Erkenntnis führt in Richtung der Kernprobleme dieser Utopie, welche im Folgenden näher beleuchtet werden sollen.
Die Diskrepanz zwischen Vision und Wirklichkeit: Das Scheitern des Kommunismus
Die Gründe des Scheiterns des Kommunismus liegen auf der Hand. Zunächst stellt der Übergang zum Kommunismus ein großes Problem dar. Es muss zuerst jemandem etwas weggenommen werden, bevor man es auf alle Mitglieder der Gesellschaft verteilen kann. Da dies selten freiwillig geschieht, muss oft mit Gewalt vorgegangen werden. Hier kippt die Utopie bereits in eine gegensätzliche Dystopie. Leid und Tod waren hier in der Vergangenheit die Folge. Ein weiterer Punkt stellt der Individualismus dar, der besonders in der heutigen Zeit an Bedeutung gewonnen hat. Dieser aber ist im Wiederspruch zu der Unterordnung des Gemeinwohls zu verstehen. Das aber wohl größte Problem stellt der von Natur aus im Menschen innewohnende Egoismus dar. Die Sorge um das Allgemeinwohl war noch nie gleichwertig dem Eigenwohl in der Geschichte der Menschheit. Es scheint ein evolutionärer Instinkt der Menschen zu sein; eine Eigenschaft, die nicht so einfach zu überwinden ist. Auch hier stehen die Werte konträr zu denen des Kommunismus.
Die Gründe des Scheiterns sind vielfältig und schwerwiegend, aber dennoch soll ein Gedanke der Revitalisierung nicht unversucht bleiben.
Die Annäherung von Theorie und Praxis: Die Revitalisierung
Die Frage nach dem Revitalisieren wurde bereits von vielen Wissenschaftlern gestellt. Ein Beispiel dafür ist die Tagung „Sehnsucht nach dem „Kommunismus“? Kulturen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bei jungen Menschen in Südost- und Osteuropa und in Ostdeutschland im 21. Jahrhundert“. Diese wurde vom Lehrstuhl für Geschichte der Neuzeit, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, dem Lehrstuhl für Transformationsprozesse in Mittel-, Ost- und Südeuropa, der Universität Wien, der Franz Vranitzky Chair for European Studies und der Universität Wien veranstaltet. Einer der Wissenschaftler, Eniko Vince, fasste die Erkenntnisse der Tagung gut zusammen: „Der „Kommunismus“ sei heute ein hilfreiches Konstrukt, um die gefühlten und real existierenden Defizite im kapitalistischen System zu markieren und zu kritisieren. Zwar wollten die jungen Leute den „Staatssozialismus“ der Vergangenheit nicht eins zu eins wiederholen, gleichwohl gäbe es eine starke Affinität zu dessen imaginierten Vorteilen wie etwa der Sicherheit für die eigene Lebensplanung.“ Gründe dafür wären einerseits die laufenden Transformationsprozesse durch den Kapitalismus und die Globalisierung in den östlichen Staaten, die Unsicherheit auslösten. Andererseits wird den Jugendlichen durch ihre Eltern ein verherrlichtes von Nostalgie geprägtes Bild der Vergangenheit vermittelt, dass durch deren Erfahrungen wie die Implosion des Staatswesens und die folgende Umwälzung beeinflusst wurde. „In den post-sowjetischen Gesellschaften hätten der wirtschaftliche Absturz und die sozialen Probleme der 1990-er Jahre eine zentrale Rolle für das mildere Licht gespielt, in das nunmehr der Staatssozialismus getaucht werde.“ Die Wissenschaftler sehen darin den Grund für die Sehnsucht nach dem Kommunismus, bzw. nur seinen Vorzügen.
Obwohl die Umsetzung des marxistischen Kommunismus an dem Wesen des Menschen scheiterte, bleiben die Werte, für die der Kommunismus steht, für das Leben in einer Gemeinschaft bedeutend. Die Verwirklichung der Werte, wie mehr Gemeinsamkeit statt Egoismus, begeistert nach wie vor die Menschheit, da sie für ein gutes Miteinander erstrebenswert sind. Auf der ganzen Welt gibt es Menschen, die von einer kommunistischen Gesellschaft fasziniert sind und diese umzusetzen versuchen. Ein kleines Beispiel davon ist die Purpose-Bewegung, die versucht mehr Sinn statt Gier in Unternehmen als Alternative zu einem Hyperkapitalismus durchzusetzen. „Purpose hilft Unternehmen durch Verantwortungseigentum dauerhaft unabhängig und sinnorientiert zu bleiben.“
Mit dieser Einstellung möchten sie nicht mehr dem Kapitalmarkt dienen, sondern ausschließlich den Beschäftigten und der Gesellschaft. Die Unternehmer möchten, dass ihre Beschäftigen in ihrer Firma arbeiten, weil sie hinter der Mission stehen und nicht, um möglichst viel daran zu verdienen. Die Mission einer Unternehmung rückt als intrinsische Motivation wieder in den Fokus. Daher der Name „Purpose-Bewegung“. Alles was erwirtschaftet wird, wird deshalb wieder in die Verbesserung der Produkte reinvestiert, statt die Unternehmer reicher zu machen. Ein entscheidender Schritt dafür ist die Selbstenteignung des Unternehmensinhabers. Sie stellen dadurch sicher, dass „Gesellschafter keine Gewinne mehr entziehen können, die Firma nicht verkauft und der Unternehmenszweck nicht geändert werden“. Kapitalismus wird hier neu gedacht und mit Elementen des Kommunismus ergänzt. Die Mission stärkt einen gemeinsamen, verbindenden Gedanken und motiviert die Mitarbeiter von innen heraus zu arbeiten, statt dass diese extrinsisch von Verdienst motiviert werden. Diese neu gedachte Art des Wirtschaftens könnte ein Vorreiter sein, die kommunistischen Werte Stück für Stück in die Praxis umzusetzen und sie so doch in zeitgenössischer Form zu integrieren.
Wie an den hier gegebenen Beispielen zu sehen ist, verhindert die große Distanz zwischen theoretischer Überlegung und praktischem Umsetzen die Frage nach Revitalisierung vollständig zu beantworten. Diese Gesellschaftsform in seiner „reinen Form“, wie Marx und Engels sie sich vorstellten, ist nicht umsetzbar. Die Menschen sind nicht fähig, so eine radikale Veränderung der geltenden Gesellschafts- und Wirtschaftsform zu akzeptieren. Vergangene Experimente haben das gezeigt. Allerdings sind die Wertvorstellungen in der heutigen Zeit, 200 Jahr später, noch von hoher Bedeutung. In einer Zeit wie dieser, in der Utopien durch die vielen Transformationsprozesse eine Hochkonjunktur erfahren und einige die „Reset-Taste“ suchen, ist es deswegen ein Muss sich über die Werte, die der Kommunismus transportiert, Gedanken zu machen. Die Werte Freiheit, Gleichheit und Solidarität können auch in der geltenden Gesellschaftsform umgesetzt werden. Den Zweck eines Unternehmens in den Mittelpunkt zu stellen und diesen als Motivation zu nutzen ist eventuell der erste Schritt die Ungleichverteilung zu überwinden. Die Mission ist dann nicht mehr das Geld in die sowieso schon vollen Taschen der Unternehmer zu spülen, sondern in die Unternehmung selbst, was wiederrum der Gesellschaft von hohem Nutzen sein kann. Der Weg ist noch weit zu einer gerechteren Welt, aber die Wertvorstellungen von Marx und Engels zeigen eine Richtung, in die es sich zu gehen lohnt.
Geschrieben von H. Jestaedt und A. Zischeck
Basisquellen:
Annettes Philosophenstübchen (2007): Kommunismus – Sozialismus- einige Notizen -, 2007. Internetblog.
Bundeszentrale für politische Bildung (2019): Kommunismus. Online verfügbar unter: bpb.de. URL: https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/politiklexikon/17727/kommunismus. Letzter Zugriff: 05.11.2020.
Havemann, R. (1991): Kommunismus-als-Utopie und Wirklichkeit. Berlin Bd. 39, Ausg. 2, (Jan 1, 1991): 136. Berlin Bd. 39, Ausg. 2, (Jan 1, 1991): 136. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie (Band 39, Ausgabe 2). Online verfügbar unter: search.proquest.com. URL: https://search.proquest.com/openview/8b88a04cda055aeef7a648091ba11d7f/1?pq-origsite=gscholar&cbl=1818125. Letzter Zugriff: 05.11.2020.
hpd e.V. (2021): Robert Owen. Online verfügbar unter: hpd.de. URL: https://hpd.de/node/1807. Letzter Zugriff: 08.01.2021
Verfasst von: Jestaedt, H.; Zischeck, A.
1 note
·
View note
Text
12. Integro Libertas
Die Integration der Freiheit in einer Utopie
“Erst als ich begriff, dass die Freiheit meiner Kindheit nur eine Illusion war, dass man mich bereits meiner Freiheit beraubt hatte, begann ich Hunger nach ihr zu haben." Mandela in seiner Autobiographie "Der lange Weg zur Freiheit"
Doch woran liegt es, dass Nelson Mandela Hunger nach Freiheit empfindet? Ist es der Staat der ihm das Gefühl nach Freiheit nimmt und kommt daher der Gedanke sich seiner Freiheit beraubt zu fühlen?
Im Verlauf der Geschichte haben sich viele Soziologen, Philosophen und Staatstheoretiker mit dem Begriff der Freiheit beschäftigt. Durch die Auseinandersetzung mit dieser Thematik stachen die Philosophen Thomas Hobbes und Georg Wilhelm Friedrich Hegel aus der breiten Masse heraus. Beide Philosophen fielen mit ihren zueinander konträren Ansichten gegenüber der Freiheit im Zusammenhang der Staatsbildung auf. Auch auf kleineren Ebenen innerhalb der Vergesellschaftung ist das Zusammenspiel zwischen Freiheit und Institutionen zentral. So lassen sich viele Projekte beziehungsweise Utopien erkennen, die sich bereits mit diesem Problemfeld auseinandersetzen. Zum einen Stanford Torus, deren Mission die “Flucht” einer Gesellschaft in die Unendlichkeit des Alls ist. Sie verstehen die Erde als eine Grundbedingung für eine Gesellschaftsbildung.
Andererseits erhoffen sich die Bürger in Auroville durch das komplette Verweigern von institutionellen Einrichtungen und Gütern wie Geld, ein Leben in Selbstbestimmung und damit auch in Freiheit.
Doch ist es wirklich möglich eine Utopie im Fokus beziehungsweise unter Berücksichtigung der Freiheit zu entwickeln? Und wie sollte so eine Utopie dann überhaupt aussehen? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir versucht Handlungsempfehlungen für eine eigene Utopie zu entwickeln.
Vom Individuum zur Gesellschaft – Der gesellschaftliche Freiheitsaspekt
Der Staatstheoretiker und Philosoph Thomas Hobbes floh 1640 vor dem englischen Bürgerkrieg nach Paris. In dieser Zeit schrieb er sein Buch Leviathan, in dem er den Aufbau einer absolutistischen Gesellschaft beschrieb.
Im Leviathan definierte Hobbes sein Menschenbild, dieses besagt, dass alle Menschen gleich sind und das Ziel haben, in Sicherheit und Frieden zu leben. Der Motor des Menschen ist demnach die individuelle Bedürfnisbefriedigung. Das Wesen des Menschen wird als taktisch, egoistisch und gewalttätig beschrieben. Daraus resultiert ein großes Problem im Miteinander der Menschen. Durch diese Eigenschaften entstehen laut Hobbes Konkurrenzdenken, Habgier und Ruhmsucht, dies bewirkt, dass der Mensch sich um die eigene Sicherheit und sein Eigentum zu sorgen beginnt. Durch diese Sorgen und Ängste würde ein sogenannter “Krieg aller gegen alle” ausbrechen, der dem Naturzustand des Menschen entspreche. Der Naturzustand hätte zur Folge, dass jeglicher Fortschritt aufgehalten oder sogar zerstört wäre.
Aufgrund der Auswirkungen des Naturzustandes, soll laut Hobbes, das Individuum freiwillig in einen Gesellschaftsvertrag einwilligen, um in einer zivilisierten Gesellschaft leben zu können. Der Mensch muss auf alle Rechte und somit auch auf die individuelle Freiheit verzichten, damit der Vertrag umgesetzt werden kann. Dies bedeutet im Rückschluss, dass nur eine eingeschränkte individuelle Freiheit möglich ist. Im Gegenzug zu der Einschränkung der individuellen Freiheit bekäme das Individuum die Sicherheit und den Fortschritt gewährleistet. Der Vertrag wird mit dem Herrscher, der bei Hobbes Leviathan genannt wird, abgeschlossen und kann mit dem Staat als übermächtige Instanz verglichen werden. In diesem Vertrag soll der Mensch weiterhin frei sein und laut Hobbes stellt die Einschränkung von Freiheits- und Bürgerrechten durch den Souverän das kleinere Übel dar. Das bedeutet, dass man innerhalb der Gesellschaft frei sein kann, solange man die Regeln des Gesellschaftsvertrags einhält. Derjenige, der gegen die Gesellschaft arbeitet, kann nicht frei sein.
Die Sicherheit hat laut Hobbes gegenüber der Freiheit den absoluten Vorrang. Hier lässt sich ein Bezug zu Mandelas einleitendem Zitat herstellen. Der Mensch fühlt sich frei, wenn er die Freiheitseinschränkungen des Staates nicht spürt beziehungsweise nicht wahrnimmt, welche Mandela als “Illusion der Kindheit” benennt. Durch das Erwachsenwerden und den damit verbundenen Wissenserwerb kam es dazu, dass Mandela sich in den Vorgaben des Staates eingeschränkt fühlte.
Bei Hobbes würde das Nichteinhalten des Gesellschaftsvertrags jedoch nicht zur Freiheit führen, sondern weitere Freiheitseinschränkungen zu Folge haben. Das Individuum müsste sich ständig um die eigene Sicherheit kümmern und könnte sich dadurch nicht frei entfalten. Demnach muss eine Staatsform herrschen, um in Freiheit leben zu können.
Während bei Hobbes eine Staatsbildung aufgrund der Vorstellung eines „Kampf aller gegen alle“ als institutionalisierte Sicherheit entsteht, vertritt Hegel eine ganz andere Sichtweise. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man betrachtet unter welchem Kontext Georg Wilhelm Friedrich Hegel sein Werk „Phänomenologie des Geistes“ sowie seine „Jenaer Realphilosophie bzw. Schriften“ verfasste. Beeinflusst durch die Französische Revolution und der damit verbundenen Ablösung der Feudalherrschaft in Frankreich, war Hegel davon überzeugt, dass die Gesellschaft einem teleologischen Prozess folge. Nur durch Konflikte kann eine Reifung und Erweiterung dieser stattfinden. Die Erklärung hierfür findet sich in Hegels Jenaer Realphilosophie und der darin formulierten Theorie der Anerkennung.
Anders als Kant oder Hobbes argumentiert Hegel, dass der Naturzustand des Menschen eine von Intersubjektivität geprägte Vergesellschaftung ist. So ist das Individuum nicht abgesondert, also in seinem atomaren Zustand, sondern wird immer im Kontext der Intersubjektivität betrachtet.
So heißt es auch in seinem Aufsatz „Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts“ in seinen Jenaer Schriften, „dass das Volk [...] eher der Natur nach ist als der Einzelne; denn, wenn der Einzelne abgesondert nichts Selbständiges ist, so muss er gleich allen Teilen in einer Einheit mit dem Ganzen sein“.
Grundlage dieses gesellschaftlichen Naturzustandes ist das vorhanden sein von Sittlichkeit in jedem Individuum, welche im subjektiven Geist verankert ist. Das Prinzip von Sittlichkeit ist die Möglichkeit rationale Handlungsräume sowie andere Individuen anzuerkennen und so ein sittliches Zusammenleben zu gewährleisten. Damit besitzt jeder Mensch von Grund auf die Fähigkeit mit anderen Personen in Handlungssphären zu koexistieren und in diesen auch miteinander zu interagieren. Durch diese tatsächliche Anwendung des Sittlichkeitsprinzip in einem gesellschaftlichen Handlungskontext, kommt es nun zu einer Transformation der Sittlichkeit auf die Gesellschaftsebene. Hierdurch wird die Ebene des subjektiven Geistes, also der „auf sich selbst beziehende Geist“ verlassen und mittels der Theorie der Anerkennung auf die Stufe des objektiven Geistes, der „Geist des zwischenmenschlichen“, allokiert.
Hegels Theorie der Anerkennung ist so zu verstehen, dass Individuen in einem sozialen Kontext und den Handlungen in selbigem, also in einer „sozialen“ Handlungssphäre, stehts nach den Prinzipien der Sittlichkeit handeln. Sie schreiben sich gegenseitig Anerkennung zu. Dieses Prinzip der Anerkennung ersetzt bei Hegel den Gesellschaftsvertrag. Zu Konflikten kommt es nur aufgrund eines Anerkennungsverlustes, beziehungsweise dadurch, dass sich ein Individuum seiner Anerkennung beraubt fühlt.
Aufgrund der Dynamik und der Dualität von subjektivem und objektiven Geist, entstehen Anerkennungsverluste. Diese entstehen nicht nur auf gesellschaftlicher Ebene, sondern sind durch den subjektiven Geist und der damit verbundenen individuellen Sphäre immer mit einem moralischen Potenzial versehen.
Beobachten lässt sich dieses moralische Potenzial und die Dualität von gesellschaftlicher und individueller Ebene am Beispiel der Veganisierung. Personen entscheiden sich aufgrund persönlicher und moralischer Gründe „Ich bin zufriedener mit mir selbst, da ich durch meinen Verzicht Leben retten kann.“ für eine vegane und damit auch konträre Ernährungsweise. Diese Negation von einem etablierten Ernährungsverhalten führt zu einem Anerkennungsverlust auf gesellschaftlicher Ebene „Man wird häufig nicht ernst genommen und eher belächelt.“ und endet schließlich in einer Partikularisierung. Durch die Partikularisierung bzw. Absonderung und den Verlust der gesellschaftlichen Anerkennung kommt es zu einer Störung des Sittlichkeitsprinzips, beziehungsweise zu einer Störung des Naturzustandes des Individuums. Das Individuum versucht nun das gestörte Prinzip von Sittlichkeit wiederherzustellen, dies gelingt ihm jedoch nur durch die Rückgewinnung der Anerkennung auf gesellschaftlicher Ebene.
Diese Rückgewinnung betitelte Axel Honneth in seinem gleichnamigen Buch als „Kampf um Anerkennung“. Dieser Kampf ist als solcher zu verstehen, der bei Hobbes durch den Leviathan unterbunden werden soll. Genauer versucht das Individuum nun nicht sein Verhalten zu ändern, sondern durch seine Individualität und damit auch seine Selbstbestimmung wieder an Anerkennung zu gewinnen. Im Kontext der “Veganisierungsbewegung” geschieht dies durch den Versuch, dass vegane Ernährungsverhalten als anerkennungswürdig und als etablierten Wert in der Gesellschaft anzusiedeln.
Genau durch dieses etablieren von neuen Werten, geschieht zum einen die oben beschriebene Erweiterung der Gesellschaft und weiter eine größere Handlungssphäre zur Auslebung der Selbstbestimmung des Individuums.
Auch Nelson Mandela beschreibt diesen Umstand und fühlt sich seiner “Freiheit beraubt”. Beraubt durch eine Gesellschaft, in welcher das Gefühl und der Wert von Freiheit nicht repräsentiert wird. Durch das Verspüren des „Hungers“ nach Freiheit befindet er sich genau in dem Prozess des „Kampfes um Anerkennung“ und somit einer Etablierung des Freiheitsgefühls in einer Gesellschaft, welche er selber als einen „langen Weg“ betitelt.
Somit hindern Mandela nicht etwa institutionelle Einrichtungen am Ausleben seines Freiheitsverständnisses und damit auch seiner Selbstbestimmung, sondern einzig und alleine das Wertesystem der Gesellschaft, in welche er sich befindet. Auch Hegel argumentiert auf Grundlage seines Sittlichkeitsprinzip, dass der Staat das „sittlichste Ganze“ und damit auch die „Verwirklichung von Freiheit“ sei und schließt so seinen teleologischen Prozess einer Gesellschaftsbildung durch das Entstehen eines Staates ab.
Somit kann geschlussfolgert werden, dass vor allem das vorherrschende Wertesystem einer Gesellschaft das Gefühl von Freiheit beeinflusst. Institutionelle und staatliche Einrichtungen beschränken deswegen nicht per se das Ausleben von Selbstbestimmung und damit das Gefühl von Freiheit. Jedoch repräsentiert der Staat immer die Gesamtheit eines Wertesystems einer Gesellschaft und kann somit durch vorherrschende Werteideologien die Freiheit einzelner einschränken.
Handlungsempfehlungen für Integro Libertas
Aus den obigen Theorien wurden Handlungsempfehlungen für unsere imaginäre Utopie entwickelt. Diese trägt den Namen “Integro Libertas”, was so viel wie völlige Freiheit bedeutet.
Selbstbestimmung ist ein Begriff, welcher zentral in unserer Utopie verkörpert werden soll. Jede Person soll die Möglichkeit haben sich so zu verhalten, wie sie möchte. Dazu gehört das Leben ohne jegliche Art von Einschränkungen.
Durch das Prinzip der Sittlichkeit und der Theorie der Anerkennung nach Hegel wird eine Grundlage geschaffen, die die Bildung von Gesetzen und Regeln ermöglicht. Im Weiteren soll die Dualität zwischen Individuum und Gesellschaft, die ebenfalls durch die Sittlichkeit und Anerkennung dargestellt wird, einen zentralen Platz in unserer Utopie einnehmen.
Im hier verlinkten Schaubild werden die zentralen Werte, die in der Utopie “Integro Libertas” verkörpert werden, grafisch dargestellt. Die Feder repräsentiert das einzelne Individuum und fügt sich im Adler zusammen, dieser stellt die Gesellschaft dar. Laut Hobbes und Hegel muss es einen Staat geben, damit Freiheit überhaupt entstehen kann. Aufgrund dessen ist in der Utopie “Integro Libertas” der Staat fest verankert. Werte, die in dieser Utopie verkörpert werden sollen, sind die Selbstbestimmung sowie die Anerkennung. Der Aspekt der Anerkennung stammt aus Hegels Theorie. Er wird deshalb als Handlungsempfehlung gegeben, da diese die Grundlage dessen ist, warum sich ein Individuum nicht frei fühlt. Wie bereits beschrieben, ersetzt die Anerkennung den von Hobbes geforderten Gesellschaftsvertrag. Eine Utopie kann also ohne Anerkennung für das Individuum kaum beziehungsweise keine Freiheit gewährleisten.
Gemäß Hegels Theorie, versucht das Individuum nicht das Verhalten zu ändern, sondern durch die Individualität und somit auch die Selbstbestimmung an Anerkennung zu gewinnen. Die Selbstbestimmung beschreibt hierbei so viel wie die Kontrolle über das eigene Leben zu haben, wenn es verschiedene Wahlmöglichkeiten gibt. Lori Lewin sagte: “Die Selbstbestimmung ist das, worum es im Leben überhaupt geht. Ohne sie kann man am Leben sein, aber man würde nicht leben, sondern nur existieren.“ Genau dieses Bild soll in der Utopie verkörpert werden. Die Selbstbestimmung ist eine Grundlage, die genutzt werden soll, um die eigene Freiheit sowie die eigene Lebensqualität zu bestimmen. Ebenfalls kann das Individuum so nach seinen eigenen Interessen frei wählen und so auch selbst bestimmen. Denn um die Selbstbestimmung ausleben zu können, benötigt das Individuum Freiheit.
In der Utopie soll das Leitbild verkörpert werden, dass jedes Individuum für seine eigene Freiheit verantwortlich ist. Durch Selbstbestimmung sowie durch Anerkennung werden dem Individuum wichtige Hilfsmittel mit auf den Weg gegeben. Durch den Einsatz von Bildung soll das Individuum dazu befähigt werden selbstbestimmt die Freiheit und die Anerkennung zu erlangen und das eigene Leben zu gestalten. Bildung ist dabei also das Mittel, um zu verstehen, was einen als Individuum frei macht. Hobbes und Hegel waren beides Gelehrte und Pioniere ihrer Zeit. Sie hatten durch das Erlangen bestimmter intellektueller Werkzeuge, wie beispielsweise dem Lesen und Hinterfragen von bisherigen philosophischen Werken, die Möglichkeit sich ihre eigene Meinung zu bilden und diese auszuformulieren. Aufgrund dieser mitgegebenen Werkzeuge soll unsere Gesellschaft dazu ermutigt und befähigt werden sich weiterzubilden und somit auch weiterzuentwickeln.
Freiheit kann also nie in einer Utopie gewährleistet werden. Denn um frei zu sein und es auch zu bleiben, müssen alle Menschen nach einem sich nicht veränderbaren Weltbild leben und handeln. Hegel belegt dies an seiner Theorie des Kampfes um Anerkennung. Denn das Individuum sondert sich bei einer Weiterentwicklung, also einer Änderung der Ansichten von der Gesellschaft ab. Nur bei einer Veränderung der Gesellschaft wird das Individuum in diesem Sinne wieder abgeholt und eine Reintegration kann stattfinden. Dabei ist anzumerken, dass ein gesellschaftlicher Wandel ein zwangsläufiger und unumgehbarer Prozess ist.
Um zu dem Anfangszitat zurückzukehren, liegt Nelsons Mandelas Unfreiheit nicht nur am Staat, sondern auch an der Tatsache, dass er im Laufe seines Lebens seine Ansichten und Werte so verändert hat, dass sie nicht mehr mit seiner Umgebung übereingestimmt haben.
Basisquellen:
Andexinger, M. (2014): Das Spannungsfeld Freiheit versus Sicherheit – eine historisch-philosophische Reflexion. In Lange, H.J.; Wendekamm M.; Endreß, C. Dimensionen der Sicherheitskultur Springer VS, S.111-124
Kantner, K. (2012): Sicherheit und Freiheit in Arnold Gehlens Institutionentheorie. In Voigt, R. Sicherheit versus Freiheit Verteidigung der staatlichen Ordnung um jeden Preis? Springer VS, S.165-186
Honneth, A. (2016): Kampf um Anerkennung - Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte; 9. Auflage. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Siep, L. (1974): Der Kampf um Anerkennung – Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes in der Jenaer Schriften. In: Hegel-Studien, Vol.9, S. 155-207
Verfasst von: Finkbeiner, J.; Moser, S.; Schiestl, M.; Zanner, L.
#RealitätoderFiktion#weltverbesserer#neuanfang#UtopieoderDystopie#freiheit#thomas hobbes#g. w. f. hegel#Integro Libertas#hegel#hegelian dialectic#hobbes#mandela#Selbstbestimmung
2 notes
·
View notes