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FESTIVAL THEATERFORMEN 20.-30. Juni 2019 . Hannover
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theaterformen-blog · 5 years ago
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Nachlese: Hate.
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Da steht ein Pferd auf der Bühne und es macht nix. Die Performerin daneben dafür ziemlich viel. Der Versuch einer Begegnung auf Augenhöhe.
Es wäre möglich, neben dem Pferd zu stehen. Neben dem Pferd zu sitzen. Neben dem Pferd einzuschlafen. Auf das Pferd zu achten, dem Pferd zuzuhören, sich auf das Pferd einzulassen. Laetitia Dosch macht nichts von alledem. Das einzige, was sie tut, um eine Begegnung auf Augenhöhe zu erreichen, ist, sich auszuziehen. Du bist weiß und nackt, ich bin weiß und nackt, jetzt sind wir gleich. Manchmal geht diese Rechnung auf. Nur leider weiß das Pferd nichts von seinem Nacktsein und der Scham oder es weiß es und lässt uns nicht daran teilhaben. Schade. Also fängt Laetitia einfach gleich an, uns ihre Geschichte zu erzählen, eine romantische Geschichte von einer in der Welt der Menschen nicht fündig gewordenen Suchenden, die ihr Verlangen nun erweitert und in die Tierwelt einmarschiert. Das ist ja alles schön und gut, bliebe da noch etwas für uns übrig. Oder für das Pferd. Denn da ist ein Pferd auf der Bühne und das ist eine Sensation. Da ist ein Pferd auf der Bühne und es macht nix. Da ist ein Pferd auf der Bühne und ich habe ein Poster davon in meinem Zimmer aufgehangen und das Poster ist toll und auf dem Rücken des Pferdes sitzt Laetitia, die weiße Amazone (naja, nicht wirklich, sie hat noch beide Brüste und ein Schwert statt eines Bogens). Und sie ist nackt und ihre Hüfte umschnallt eine lila-glitzernde Bauchtasche und darin sind Karotten für das Pferd, damit es tut, was sie sagt und in ihrer linken Hand hält sie ein Plastikschwert, so wie es sich gehört: Erhoben. „Ach, toll“, scheint sie zu denken, „ein Pferd! Ich mochte Pferde ja schon immer! Voll gut, dass ich auch Performerin bin und dass ich das Pferd einfach mitnehmen kann auf die Bühne, damit alle sehen, wie toll das Pferd ist und wie super meine Idee, es auf die Bühne zu stellen. Ein Pferd auf der Bühne, das ist eine Sensation!“ Nur leider kommt gar nichts davon rüber. Und das muss auch erstmal geschafft werden: All das Mystische, Kraftvolle, Starke, was ein lebendiges Pferd auf einer Weide ausmacht, und mich auch jetzt noch, mit 28, bei jeder Autofahrt „GUCK MAL DA SIND PFERDE!“ brüllen lässt, geht hier im Scheinwerferlicht verloren. Mindestens einer Person im Raum ist das übrigens so richtig egal: Dem Pferd.
Dem Pferd ist alles egal, es will nur Karotten und seine Ruhe. Ihm ist es auch egal, ob es jetzt auf der Bühne steht oder auf einer Weide, es erträgt alles, stoisch, so sieht es zumindest aus. Was im Pferd vorgeht, weiß keiner. Obwohl, da gab es doch mal diese Sendung auf SuperRTL: Der Pferdeflüsterer. Dauernd diese Werbung mit diesem Typen und seinem Cowboyhut und seinem Gesicht so nah an dem vom Pferd. Und der war nicht nur Pferdeflüsterer, sondern auch Frauenversteher. Der Mann, dem sich die Pferde öffnen, auch der Mann, dem die Frauen vertrauen, normal.
Performerin und Regisseurin Laetitia Dosch ist es jedenfalls egal, ob das Pferd was will. Sie zieht ihre Story durch. Was romantisch sein soll, muss romantisch bleiben, auch wenn das vielleicht nie war. Der Wunsch, sich mit dem Pferd zu paaren, gar ein Kind zu kriegen, ist eine Eben, die sich einfach nicht erklärt. Wäre vielleicht anders gewesen, hätte Laetitia ihre Lust langsam als Reaktion auf den immer und immer wieder und von welchem Rhythmus oder Stimulus auch immer getriebenen ausfahrenden Pferdepenis entwickelt. Aber da ist zuerst die Lust, dann das Glied. Nun ja, manchmal ist das eben so, aber worum geht es hier dann? Um eine respektvolle Auseinandersetzung mit einem gleichberechtigten Gegenüber oder um das Reiben der eigenen Bedürfnisse an unschuldiger (weicher, kuscheliger, schmusiger) Pferdehaut? Ist ja alles nachvollziehbar, inhaltlich: Das Verlorensein in einer sich selbst zerstörenden Klimakrisengesellschaft, die Suche nach Heimat und einem Gefühl, das erdet, einem Grund, am Leben zu sein, tief und sicher, der Wunsch, sichtbar zu sein und unbedingt einen Theaterpreis gewinnen zu wollen. Nur leider verpufft jede dramatische Bemühung der Performerin, diese Wünsche mit dem Tier auf der Bühne in einen Zusammenhang zu bringen, im trockenen Präriestaub. 
Da gibt es diesen einen Moment: Plötzlich, irgendwo zwischen Anfang und Mitte des Stückes beginnt das Pferd zu sprechen. Also leider nicht wirklich, denn das wäre wahrhaftig eine Sensation und vielleicht die Auferstehung des Pferdeflüsterers, aber nein: Laetitia Dosch spricht jetzt auch das Pferd, mit tieferer Stimme. Das ist zwar lustig, wenn das Pferd nicht macht, was es soll und LD ihm die Worte ins Maul legt, z.B.: „Ich such nur grad meinen Schlüssel“, wenn es mit der Schnauze über den Boden wischt oder „Ich dreh hier noch kurz ‘ne Runde und komm dann ganz elegant zu dir“, wenn das Pferd unnötigerweise nochmal im Kreis geht. Momente, in denen sich die Performerin mit all ihrem Menschsein in die Gedankenwelt des Tieres beamte und versucht, ihm eine Stimme zu geben. Jedenfalls nachdem sie schon ca. zwanzig Minuten um einander herum spaziert sind, lässt LD jetzt das Pferd fragen, ob es ihr mal am Hintern riechen könne. Darf es. Und umgekehrt genauso. Das ist lustig und bescheuert, das zeigt charmant die absurde Unmöglichkeit und liebenswerte Naivität des Versuchs, einem Pferd auf Augenhöhe zu begegnen. Es wäre interessant gewesen, genau das zum Ausgangspunkt des Stückes gemacht zu haben und auf dem Rücken des Pferdes buchstäblich über Macht und Freiheit und Power und Ermächtigung und Freiheit und Grenzen und Beherrschen und Beherrschtwerden zu sinnieren. Denn wer sich auf Augenhöhe begegnen will, ist es meistens nicht. Wer sich auf Augenhöhe begegnen will, hat Bauchschmerzen mit der eigenen Machtposition. Das ist ja erstmal gut! Diese Tatsache anzuerkennen könnte dann eben der Schlüssel für ein echtes Miteinander sein, für den respektvollen Umgang zweier Arten, die unterschiedlich sind. Aber darum geht es hier offenbar gar nicht.
An oberster Stelle, so betont die Pferdeflüsterin übrigens im Nachgespräch, stehe das Wohlbefinden des Pferdes. Klaro. Sein Sensationsversprechen löst es jedenfalls nicht ein, obwohl doch alle ganz aufgeregt dafür sorgen, dass niemand zu früh klatscht, um ja das Pferd nicht aufzuschrecken, sodass man langsam das Gefühl bekommt, man würde den Raum mit einer tickenden Zeitbombe teilen und nicht mit einem Lebewesen. Oder vielleicht ist das das Gleiche. Am Ende steht der vom klatschenden Publikum sichtlich unbeeindruckte wohlstandsverwahrloste Wallach genauso stumpf wie die vergangenen 60 Minuten auf der Bühne, auf die er im Laufe des Stückes gekackt, gepinkelt und (leider nicht) ejakuliert hat und gibt genau eines: Zero fucks.
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theaterformen-blog · 5 years ago
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Die wundervolle Sookee Quing beim Theaterformen Festival! Foto: Charlotte Behr 
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theaterformen-blog · 5 years ago
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#PUNK 100%POP *N!GGA
#PUNK 100%POP *N!GGA . Nora Chipaumire Mutare . Simbabwe I New York City . USA
Die einen sagen: Es ist unmöglich zu beschreiben, wovon man selbst Teil ist. Aber nicht Teil dieser Performance zu sein, entschuldigung, dieser Party, sich diesem getanzten Essay in eine bequeme Beobachtungsrolle zu entziehen, ist keine Option. 
1 Widerstand
Am Anfang ist da Widerstand, schreibt Jan Fischer bei Nachtkritik und das klaue ich nicht nur, ich stimme ihm zu. Auch bei mir ist am Anfang Widerstand. Ich bin müde, mir ist warm, ich werde nicht gern angeschrien. Ich hasse mitmachen, wenn ich mitmachen wollte, wäre ich in einen Tanzkurz gegangen und nicht ins Theater. 
2 Raum
Da tanzen zwei schwarze Körper und ich bin auf mein Weißsein zurück geworfen. Oder bin ich? Wer will hier was von mir? „Watch me!“ ruft der eine Körper und beugt sich nach hinten nach vorne, zur Seite, ich wusste nicht, dass sich ein Körper so sehr biegen lässt. „Jesus died for you not for me“, sagt sie, Nora Chipaumire, vermute ich, aber ihr Name ist hier egal, hier zählt nur ihre Wirkung in dem Raum, den sie sich immer wieder erkämpft, indem sie ihr Publikum zur Seite schiebt, nah, näher, am nähesten, kalter Schweiß tropft auf meinen Oberarm, „Are you ready?“, ruft ein Mund ins Mikro, immer und immer wieder, are you ready? Keine Ahnung, will ich antworten WOFÜR DENN READY. Aber meine Stimme zählt nicht, ich bin eine Gruppe geworden, Allgemeinheit, uninteressant. Ich traue der Sache nicht. Aber warum eigentlich? Was lässt mich zögern. Die Angst vorgeführt zu werden? Sich dem Rhythmus hinzugeben und dann aufzufliegen? „HA du dummes Publikum, wir haben dich an der Nase herum geführt!“ Wem gehört dieser Raum? Was soll ich tun? Was darf ich tun? Was will ich tun?
3 Enjoyment
Mir alles latte, denke ich, der Rhythmus kriegt mich und ich beweg mich eh schon die ganze Zeit so vorsichtig schunkelnd von links nach rechts. Also gucke ich jetzt einfach und gucke, was es macht und freue mich, diese Bewegungen noch nicht zu kennen und freue mich, dass Leute irritiert sind und freue mich über Lärm und ins Mikro brüllen und freue mich über Freiheit und Punk und diesen Raum.
Und ich schunkele weiterhin vom rechten auf den linken Fuß und ich grinse, wie man grinst, wenn vor der ganz eigenen Nase etwas sehr Verrücktes und nicht zu glaubendes passiert. 
4 PAUSE
Wasser trinken, Luft schnappen, erschöpft sein. 
Es intensiviert alle Gedanken. Das ist es, was es macht. Mit mir. Ich ziehe mich in mich zurück und lausche. Und es macht alles lauter.
5 This is not a Performance this is a party. 
Ich habe keine Zweifel mehr. Der Tanz ist gewollt. Also will ich auch tanzen. Und dieses schwarze Glitzertutu, was er trägt. Das auf jeden Fall. Und diese Kraft in den Körpern und die ausufernden Bewegungen. Ich kreise die Hüfte, wiege mich hin und her, balle die Fäuste, mache ich das richtig so? Der Raum füllt sich, mehr Menschen nehmen sich ihren Raum wir lachen uns an, es ist ein bisschen dieser Frieden, von dem immer alle reden. Oder Glück. Oder Revolution.
6 The Revolution is not what you think it is. 
In Zukunft werde ich jede Unterrichtseinheit, jeden Workshop, den ich jemals geben werde, mit folgendem Satz beginnen: Alles, was ihr bis hier hin gelernt habt, ist Bullshit. Und dann Musik reinballern und tanzen lassen. Alles egal. Werde zu zivilem Ungehorsam erziehen, in dem Sinne dass alles in love passieren soll, ich werde heraus finden lassen, welche Spick-Methoden die Besten sind, ich werde Noten losen. Schreibt das scheiß Abi ab. Eigene Fähigkeiten entdecken, von denen wir noch gar nicht wissen können und bloß keine Kopierer erziehen.  
7 The end is not the end it is never the end
Bei manchen kulturellen Erfahrungen habe ich gedacht: Ich kann nie wieder mit jemandem reden, der das nicht erlebt hat. Es ist sozusagen eine Voraussetzung. Bei Virginia Woolfs Essay „A room of one’s one“ war es so, und sogar der wirkt angesichts dieser Performance merkwürdig vergessen. Weniger grell, weniger wichtig, fast banal.
#PUNK 100%Pop *N!GGA ist nicht (mit)teilbar. Ich verstehe, dass Menschen gegangen sind, dass sie es langweilig fanden, oder nicht verstanden haben (verstehen wollten?). Mehr denn alles andere ist dies eine Performance, die dich heraus fordert, die mit Sehgewohnheiten bricht, die anstrengend ist, die du selbst gestaltest. Und dann diese Person auf der Bühne, Nora, immer wieder Nora. 
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Foto: Ian Douglas.
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theaterformen-blog · 5 years ago
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Und die Pflanzen tanzen!
Heute noch mal in LOKIS von Łukasz Twarkowski (Breslau . Polen I Vilnius . Litauen)
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theaterformen-blog · 5 years ago
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Der Countdown beginnt
In einer Woche startet am 20. Juni 2019 das internationale Festival Theaterformen, das an elf Tagen 14 Produktionen aus zwölf Ländern präsentiert. Eröffnet wird das Festival mit Lokis von Lukasz Twarkowski, der mit litauischem Ensemble anreist.
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Lokis . Foto: D. Matvejev
Rund 150 hannoversche Mitwirkende sind an der Hälfte der Stücke, die über Wochen und Monate vor Ort entstanden sind, beteiligt - zu diesen Arbeiten gehören die Uraufführungen Die Geschwindigkeit des Lichts von Marco Canale und My Body Belongs to Me von Laila Soliman und Ruud Gielens. Mitmachen können Hannoveraner*innen noch in einem eigens für das Stück A Call to Dance eingerichteten Pop-up-Store in der hannoverschen Innenstadt. Mit dem französischen Stück HATE kommt ein Highlight zum Festivalabschluss: ein Duett mit Schauspielerin und wahrhaftigem Pferd.
Mehr Infos auf www.theaterformen.de
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#Punk 100% Pop *N!gga . Foto: Ian Douglas
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theaterformen-blog · 5 years ago
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theaterformen-blog · 6 years ago
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One last time. Wir verabschieden uns mit einem letzten Konzert im Festivalzentrum. Electric Feelings mit 1115.
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theaterformen-blog · 6 years ago
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Farbverschnitt
 Ein Spoken-Word-Patchwork mit FEHLFARBEN
Am Samstag, 9. Juni 2018, spielten „Fehlfarben“ bei Festival Theaterformen in Braunschweig. Wir hatten die Möglichkeit mit der Band zu sprechen. Wie auch bei den anderen Interviews mit den Musiker_innen des Festivals stellen wir die Frage: Was ist Macht, was ist Schuld? Denn darum dreht sich die diesjährige Festivalausgabe inhaltlich: um die Nachwirkungen des Kolonialismus, um Machtstrukturen in Zeiten des Neokolonialismus und um die Fragen „Kann Schuld verjähren?“, „Wer ist eigentlich an was Schuld?“, „Kann man für die Schuld anderer einstehen, muss man vielleicht sogar, um die Generationenschuld büßen zu können?“ … Der folgende Text ist ein (teilweise kommentierter) Cut, als Zusammenschnitt des Gesprächs zwischen Frank Fenstermacher (Fehlfarben-Saxophonist), Kurt Dahlke (Fehlfarben-Keyboarder) und Saskia von Klitzing (Fehlfarben-Schlagzeugerin) sowie Jacqueline Moschkau (blog.theaterformen.de-Chefredakteurin).
Schuld und Macht – das ist aber heavy. Der Mächtige fühlt sich sicher immer unschuldig. Da ich mich selber nicht als Mächtigen betrachten würde, sondern die Mächtigen durch ihre Schuld mir immer entgegenstehen, fühle ich mich eher unschuldig, persönlich. >> Und Schuld – was ist Schuld? >> Schuld kann man auch stellvertretend für andere haben. Meine Generation ist mit der Schuld ihrer Väter aufgewachsen, die die Machtergreifung Hitlers nicht verhindern konnten, aber auch nicht aussteigen konnten. >> Ich fand das damals ein unheimlich gutes Ding von Mittagspause, die Vorband von Fehlfarben, die mit ihrem Song „Herrenreiter“ die Elterngeneration abgehandelt hat. >> Alle versuchen ein Zitat von „Mittagspause“ zu rekonstruieren: >> „Schwarz - der Himmel unserer Zukunft Rot - die Erde der Vergangenheit Gold - die Zähne unserer Väter“ >> Und damit sind wir beim Kolonialismus und ganz konkret bei Preußen. Denn schwarz-rot-gold ist ursprünglich die preußische Kriegsfahne. Da ist schwarz das Pulver, rot das Blut der auf dem Schlachtfeld gestorbenen Feinde und gold ist das Geld, für das sie zu Ader gelassen wurden. Daher wäre ich für eine Abschaffung der deutschen Farben und Flagge. >> Denn so lebt Kolonialismus weiter – in verschiedenen Formen. >> Zum Beispiel auch in Formen der Wirtschaftsdoktrin. Als ich damals in Westafrika war, wurden plötzlich unglaublich viele Hähnchen in den Supermärkten verkauft. Dann kam raus: Das waren alles Überproduktionen der EU, die auf billige Weise den Markt für die eigene Produktion kaputt gemacht hätten. Stattdessen wurde die EU auf dem afrikanischen Markt ihre Überkapazitäten los. Das ist eine wirklich schlimme Form des Kolonialismus, denn der Westen macht die Produktion anderer Staaten kaputt, indem übersubventioniertes Zeug einführt wird. >> Apropos Farben abschaffen: Wer kann das? Kann Kunst gesellschaftliche Zustände ändern? >> Ja, weil Kunst frei ist. Sollte man zumindest meinen. Der Künstler oder die Künstlerin will sich ja von gesellschaftlichen Zwängen befreien und sollte damit auch in der Lage sein, die Gesellschaft zu befreien. Das ist natürlich nur ein schöner, frommer Wunsch. >> Andere Blickwinkel aufzuzeigen, dafür ist Kunst sehr wichtig, finde ich. Blickwinkel zu erweitern, neue Sachen aufzuzeigen, um neue Sachen auch wahrnehmen zu können. >> Wir sind ja eine deutschsprachige Band jetzt nicht mit explizit politischen Texten, aber irgendwie schon. Uns würde es nicht geben, wenn wir nur Liebeslieder machen würden. Das ein oder andere Liebeslied kann man sicherlich schon mal schreiben innerhalb einer Popkultur, wie sie in Deutschland vorherrscht. Aber … ja … die Band ist eigentlich deshalb für uns interessant, weil wir dadurch unsere Weltsicht zum Ausdruck bringen können.  >> Und das funktioniert ja auch und hat Publikum. Immerhin gibt es Fehlfarben seit 1979. Habt ihr also einen künstlerischen Konsens gefunden, der trägt über die Zeit? >> Ich denke, das Phänomen Fehlfarben lebt durch die Veröffentlichung der allerersten Platte „Monarchie und Alltag“, die sehr viele Leute in ihrem Lebensgefühl getroffen hat. >> Und es ist zeitlos, wie ich finde. Es passt textlich auch noch genauso wie früher. >> Und trotzdem machen wir seit 2002 regelmäßig alle paar Jahre eine neue Platte, die dann in der Kritik zwar hochgehandelt wird mit dem Tonus „Endlich macht mal wieder jemand mit deutschen Texten, die einigermaßen intelligent sind.“, aber … >> … Aber immer gemessen an diesem Mühlstein, dieser ersten Platte. Und natürlich sind die nachfolgenden nie so toll. Können sie auch gar nicht sein. Zum einen sind wir nicht mehr so hübsch wie wir damals waren und zum anderen sind auch unsere Fans nicht mehr so hübsch oder weggestorben und neue Fans kriegen wir ja nicht, weil die populistischen Medien uns nicht verkaufen können. Man lässt uns ja nicht ins öffentliche Fernsehen. Wir unterliegen einer staatlichen Zensur, das ist wie mit den Berufsverboten, die ich noch erlebt habe. Jeder freche, sexistische Hip Hop hat mehr Chancen, in die öffentlichen Medien zu kommen. Weil es Ausdruck einer jungen Zeit ist und damit schmücken sich dann WDR und Co., weil die auch jung sein wollen. >> Aber es ist doch auch adäquat, denn jede Generation nimmt eine Antihaltung gegenüber ihren Eltern ein. Und nichts ist schlimmer für die Eltern als wenn man Farid Beng hört, denn dann gehen die Eltern auf die Barrikaden und sagen: „Das haben wir doch alles schon überwunden.“ Und die Kinder hören das trotzdem, denn es ist ihre Antihaltung. >> Aber ihr habt ja auch eine jüngere Generation inspiriert … Beispielsweise hat die Antilopen Gang euch mit „Anarchie und Alltag“ aufgegriffen. Insofern hat eure Musik durchaus noch Einfluss auf junge Leute. >> Es gibt immer wieder Platten, die referentiell sind wie „Anarchie und Montag“ von Rockformation Diskokugel. >> Es ist schon ein kultureller und künstlerischer Meilenstein, der zur Basis für eine neue und jüngere Kultur geworden ist. >> Ich wünschte mir aber selbst mehr Aufmerksamkeit mit einer neuen Platte. Man könnte sagen, es sei nicht gerechtfertigt. Ich finde das schon politisch und bin da sehr medienkritisch. >> Fakt ist, dass Du durch die ganzen Senderechtsreformen die unabhängigen Redakteure in den Radios an zwei Händen abzählen kannst. >> Unabhängige Redakteure gibt’s nicht mehr. Gar nicht. > Doch, ein paar schon. Es gibt Byte FM, radio eins als ein paar Speerspitzen, die versuchen unabhängiges Radio zu machen. >> Aber die meisten sind abgeschafft worden oder sind dem Formatradio zum Opfer gefallen. Und das ist die Pest. Das ist der Vorbereiter des politischen Populismus, finde ich. Indem man dem Mob Recht gibt und das spielt, was sich die Mehrheit vermeintlich wünscht. >> Aber beim Deutschlandfunk, wo ich neben Fehlfarben noch in der Kulturredaktion arbeite, wird auch Wert draufgelegt, dass nicht nur Mainstream produziert und reproduziert wird. In der DLF-Redaktion ist es nicht vorrangig der Masse zu gefallen. >> Damit wären wir wieder an dem Punkt, dass Kunst Perspektiven öffnen, Denkanstöße geben, Neues zeigen und den geistigen Horizont erweitern soll. Aber scheinbar machen das zu wenig Kunst- und Medienmacher_innen. >> Kommt drauf an, in welchen Kreisen man sich bewegt. Es gibt viel Off-Kunst-Szenen, wo wirklich noch neue Dinge passieren. Das wird bloß nicht auf dem Präsentierteller serviert, sondern man muss sich selbst kümmern und suchen, um zu finden, wenn man das sehen will.
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theaterformen-blog · 6 years ago
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April 1994.
Samedi Détente. Eine Choreographie des Überlebens.
1994 war ich drei Jahre alt. Ich frage meine Mama, was habe ich gemacht, im April 1994? 
Also ich möchte das nicht. Ich möchte diesen Text nicht schreiben, ich möchte mich nicht erinnern. An das Singen, an die Stimme, an die Geschichte. Möchte nicht wiederholen, was ich gesehen habe, möchte es nicht nochmal erleben, ich möchte das nicht. Ich kann nur hier sitzen mit meinem Ekel, meiner Schuld, meiner Scham, meiner Demut, meiner Übelkeit.
Und Sie? Wo waren Sie im April 1994?
Dabei habe ich mir das doch so gut überlegt: Samstagabend ins Theater, gucken, staunen, zuhören, Sonntagfrüh schreiben, veröffentlichen. Einfach, professionell halt. Und jetzt sitze ich hier und möchte nicht und habe keine Wahl. Es gibt keine Wahl. Ich muss diesen Text schreiben. Ich muss mich erinnern. An das Singen, an die Stimme, an die Geschichte. Ich muss zuhören, weil erzählt werden muss, was geschehen ist. Weil jemand diese Ode singen muss für und an all die Menschen, die da waren, mit uns, im April 1994. All die, die es jetzt nicht mehr sind, all die Geschichten derer, die selbst nicht mehr erzählen können. Munyaneza erinnert an diejenigen, die nicht mehr da sind, indem sie ihre Namen nennt.
“Hallo Mama! Sag mal, weißt du noch, was ich im April 1994 gemacht habe?”
“Vierundneunzig? Oh, das kann ich dir gar nicht so genau sagen. Im April? Vielleicht Ostereier gesucht...?”
Ich weiß eigentlich schon zu viel, als ich den Saal des Kleinen Haus betrete. Ich hab mich innerlich vorbereitet, ich weiß, was jetzt kommt. Nach der kurzen Einführung von Martine Dennewald zu „Samedi Détente“ weiß ich grob um die Umstände des Genozids in Ruanda 1994 und die künstlerische Herangehensweise von Dorothée Munyaneza, Regeisseurin und Performerin von „Samedi Détente“. Ich weiß, dass sie mit Musik arbeitet, mit Sound, mit der eigenen Stimme, ich weiß, dass sie Tänzerin ist, Schriftstellerin, Choreographin. Ich kann mir ungefähr vorstellen, was jetzt kommt.
Doch dass ich es nicht in Worte fassen können werde, ist mir noch nicht klar. 
Ich könnte sagen, dass es ein stimmiges Bild ist, was Nestor Kouamé, Alain Mahé und Dorothée Munyaneza da auf die Bühne bringen. Ich könnte sagen es ist bild- und stimmgewaltig. Aber alle diese Phrasen gehen völlig am Ziel vorbei. Weil es nicht zu beschreiben ist, wie Dorothée Munyaneza da auf einem Tisch steht, in der Mitte der Bühne und, so habe ich den Eindruck, ihren ganzen Schmerz in die eigene Stimme legt, ihr Leid, das auch das Leid einer ganzen Generation ist, mit ihrem Körper auszuwringen versucht. Ich kann dem nur zuhören und zusehen. Jetzt. Und damals? Wer hat damals zugesehen? Und nichts getan. 
So wie Nestor Kouamé, der seinen Körper zu Klängen von wetzenden Messern und dem Schlagen von Klingen auf Holz bewegt. Der Klang, der seinen Körper bewegt. Und auch das einfach Tanz zu nennen, ist nicht genug. Meine Sprache hört hier auf.
Ich finde es zu wenig, dieses wirklich tolle, allumfassende, berauschende Theatererlebnis auf seine Thematik zu reduzieren. Denn das war es vor allem: Wirklich gut erzählt. “Samedi Détente” ist ein ästhetisches, stimmungsvolles und energiegelades, gutes oder auch gelungenes Stück ist. Und: Es ist ein wichtiges Stück.
Im April 1994 war ich drei Jahre alt. Ich habe vielleicht Ostereier gesucht, während in Ruanda in kürzester Zeit mehrere hunderttausend Menschen umgebracht worden sind. Ich kenne diese Geschichte jetzt. Jetzt ist sie auch in mir. Damals konnte ich nichts tun. Und was jetzt? Jetzt kann ich nur zuhören, mich erinnern, kann die Geschichten weitertragen, denn das ist die einzige Lösung: Von den Ungerechtigkeiten und vom Schmerz erzählen, in der Hoffnung, dass es sich nicht wiederholt.
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Text: Kyra Mevert Foto: Andreas Greiner-Napp
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theaterformen-blog · 6 years ago
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Bedrückt.
Publikumsstimme zu „Collisions“ und zur Frage: Wie fühlen Sie sich jetzt, da Sie einen Film über inoffizielle Atomtests in Australien und die Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung gesehen haben?
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theaterformen-blog · 6 years ago
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Nachdenklich.
Publikumsstimme zu „Collisions“ und zur Frage: Wie fühlen Sie sich jetzt, da Sie einen Film über inoffizielle Atomtests in Australien und die Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung gesehen haben?
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theaterformen-blog · 6 years ago
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Wieder präsenter, nach dem Stück und wegen der aktuellen politischen Situation.
Publikumsstimme zu „Collisions“ und zur Frage: Wie präsent ist Ihnen die Gefahr eines Atomkriegs oder die Wahrscheinlichkeit des Abwurfs einer Atombombe?
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theaterformen-blog · 6 years ago
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Nein. Also es ist eine tolle Erfahrung und das hab ich auch zum ersten Mal so erlebt und ich find's super. Aber das Theater kann die VR-Technologie nicht ersetzen.
Publikumsstimme zu „Collisions“ und zur Frage: Könnte die VR-Brille das Theater in Zukunft ersetzen?
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theaterformen-blog · 6 years ago
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Schon sehr bedrückt.
Publikumsstimme zu „Collisions“ und zur Frage: Wie fühlen Sie sich jetzt, da Sie einen Film über inoffizielle Atomtests in Australien und die Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung gesehen haben?
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theaterformen-blog · 6 years ago
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Gute Frage … Ja, schon auf jeden Fall irgendwie. Aber ich muss zugeben, dass ich natürlich in einem Land lebe, wo ich keine Angst habe rauszugehen, oder dass ich mir denke, dass hier morgen sowas runtergelassen wird. Ist vielleicht bescheuert, aber dass man da solch ein Vertrauen hat oder zumindest das Vertrauen in Politiker so groß ist, dass man denkt, sowas würde nie zugelassen werden in unserer Zeit. Aber klar, wenn man sich Trump zum Beispiel anschaut, denkt man sich schon seinen Teil und hat so seine Ängste. Aber ich wache nun trotzdem nicht jeden Tag mit einer Angst auf und denke, heute könnte es passieren. Da ist dann doch das Vertrauen noch zu groß in die Politiker, das würde man doch noch verhindern - zumindest in diesem Land.
Publikumsstimme zu „Collisions“ und zur Frage: Wie präsent ist Ihnen die Gefahr eines Atomkriegs oder die Wahrscheinlichkeit des Abwurfs einer Atombombe?
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theaterformen-blog · 6 years ago
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Nein.
Publikumsstimme zu „Collisions“ und zur Frage: Könnte die VR-Brille das Theater in Zukunft ersetzen?
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theaterformen-blog · 6 years ago
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Nicht gut, denn mir wurde leicht schwindelig, aber das ist auch meine Schuld, weil ich 3D-Brillen nicht so gut abkann. Zusätzlich bin ich ziemlich enttäuscht von dem Stück. Ich wusste nicht, dass es so kurz ist, nichtmal 30 Minuten, und ging davon aus, dass ich mehr erfahre über die Person, über das Land, über das Thema.
Publikumsstimme zu „Collisions“ und zur Frage: Wie fühlen Sie sich jetzt, da Sie einen Film über inoffizielle Atomtests in Australien und die Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung gesehen haben?
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