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techniktagebuch · 3 years
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11. Juni 2021 (und darauf folgende Woche)
Der Todesfallordner wird aufgeklappt
An einem Freitag Abend zur Zeit der Spätnachrichten stirbt in seinem Bett in einer Kleinstadt im Schweizer Mittelland der achtzigjährige Vater. Das ist traurig und verursacht viel administrative Arbeit. Aus Sicht des Techniktagebuches ergeben sich allerdings auch ein paar interessante Beobachtungen an der Schnittstelle zwischen Papier und Elektronik.
Der ärztliche Totenschein: Er wird auf einem Formular mit drei Durchschlägen („Dreiblattgarnitur“) von Hand ausgestellt und von der Dienst habenden Ärztin unterschrieben und abgestempelt. Das Original bleibt bei der Ärztin, der erste Durchschlag (Farbe rot) geht an den Bestatter, der den Leichnam abholt, der zweite Durchschlag (Farbe vergessen) bleibt bei den Angehörigen. Diesen Durchschlag geben wir am nächsten Tag ebenfalls dem Bestatter, zusammen mit dem Familienbüchlein*. Er überträgt die Daten aus dem Familienbüchlein von Hand in ein Formular. All diese Unterlagen wird er am Montag beim Zivilstandsamt vorlegen, welches die Daten elektronisch erfassen respektive abgleichen und dann einen amtlichen Totenschein ausstellen wird, den man braucht, um Versicherungen und ähnliches aufzukünden (Bearbeitungszeit: lange; zum Aufschreibezeitpunkt zehn Tage nach dem Todesfall, liegt er noch nicht vor).
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Die Bestattungsanordnung: Der Vater war ein verantwortungsvoller Mann und hat einen Ordner mit der Anschrift „Todesfall“ vorbereitet. Darin befinden sich alle wichtigen Dokumente, sauber in Sichtmäppchen abgelegt und mit Registern in Bereiche unterteilt, zuoberst ein Ausdruck der Broschüre „Todesfall“, die er von der Webseite der Stadtverwaltung heruntergeladen hat.** Sie enthält diverse nützliche Formulare, so eine „Vereinbarung über Bestattungswünsche“, die ich (von Hand) ausfülle und in der Stadtverwaltung abgebe. Die zuständige Dame tippt alle Angaben ab, liest sie vor, druckt das Formular zwei Mal aus, behält das von meiner Mutter unterzeichnete Exemplar zurück und gibt uns die zweite Kopie mit: „Zu Ihren Akten.“
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Das Siegelungsprotokoll: Das Finanzamt will wissen, was der Vater an Werten hinterlassen hat und leitet deshalb innerhalb von sieben Tagen eine amtliche Siegelung des Nachlasses ein. Vorzulegen sind Testament, Ehe- und Erbverträge (falls vorhanden, und ja, das alles ist im Todesfallordner vorhanden), Bankauszüge sowie weitere steuerrelevante Unterlagen. Wir vereinbaren einen Termin mit der Bank, von der die Eltern ihr gemeinsames Konto und der Vater sein Vermögen verwalten lassen. Die Dame führt uns in ein Sitzungszimmer, wo sie einen Laptop stehen hat. Ausdrucke von Kontoübersichten hat sie bereits vorbereitet; im Gespräch schaut sie hin und wieder etwas elektronisch nach und ergänzt erklärende Angaben mündlich. Anschliessend stelle ich alle Unterlagen zusammen und bringe sie ins Finanzamt. Dort werden sie kopiert; einen Ausdruck der digital vorliegenden Steuererklärung hat die zuständige Sachbearbeiterin bereits gemacht. Danach bringe ich die Mappe mit den Originaldokumenten zum Notar, der sie ebenfalls kopieren wird. Vom Finanzamt erhalten wir am nächsten Tag per Post ein Formular, das so genannte Siegelungsprotokoll, das die Mutter unterschreiben und (per Post) retour schicken muss.
Die Leidzirkulare: Der Todesfallordner enthält Adresslisten von Studienkollegen („Fuxenstall 1960), Fasnachtsfreunden („Quodlibet“) und Klassenkameraden („Sek Kreuzfeld 1957“). Ich erfasse sie in einer Exceltabelle und ergänze sie mit Adressen aus dem Mobiltelefon des Vaters. Aus Coronagründen gilt es zu triagieren, wer zur kirchlichen Abdankung eingeladen wird und wer nur über den Tod informiert wird. Eine Teilmenge der Kirchgängerinnen wird zudem zur anschliessenden Grebt*** eingeladen. Der Bruder druckt meine Adresslisten aus; von Hand schreiben Mutter und Schwägerin die Couverts an, die ich meinerseits mit Briefmarken beklebe. Adressetiketten auszudrucken und die Umschläge maschinell frankieren zu lassen, wäre unwürdig, lerne ich. Die digital erfassten Adressen werden auch als Grundlage für die coronabedingte Anwesenheitskontrolle in der Kirche dienen.
Der zentrale Kommunikationskanal und die Wolke: Mit den beiden Brüdern tauschen wir uns primär via iMessage aus. Dort teilt Bruder Zwei am Sonntag Morgen mit, er habe in der Cloud einen Ordner erstellt, in dem wir alle Dokumente ablegen und teilen können. Das funktioniert nach ein paar Anfangsschwierigkeiten (Bruder Eins und Zwei arbeiten mit Windows, ich mit Apple) recht gut. Was nicht funktioniert, ist ein Austausch über FaceTime (ich höre die Brüder, sehe sie aber nicht, und bin meinerseits weder hör- noch sichtbar). Wir wechseln auf WhatsApp.
Der unnötige Workaround: Der Vater war nicht nur überaus rechtschaffen und ordentlich, sondern auch technisch interessiert und für sein Alter gut ausgerüstet (iMac Retina 5K, 27-inch, 2017, macOS Big Sur Version 11.4 nebst diversen Video- und Fotokameras, einem kabellosen Kopfhörer und diversen weiteren elektrischen und elektronischen Gadgets). Neben dem Computer steht ein grosser HP Officejet Pro, der in vier Farben scannen, kopieren und ausdrucken kann. Ich arbeite auf meinem MacBook Air und maile Dokumente, die ich ausdrucken will, an den Vater respektive an seinen iMac. Erst zehn Tage nach seinem Tod kommt mir in den Sinn, dass ich den Drucker ganz einfach direkt an das MacBook anschliessen könnte (was dann auch einwandfrei funktioniert).
* Familienbüchlein: Es handelt sich um ein in rotes Leinen gebundenes Dokument mit Goldprägung, in welchem helvetische Zivilstandsbeamte handschriftlich und mit Tinte Ehe und Kindsgeburten festhalten. Es stehen Abschnitte für insgesamt zwölf Kinder zur Verfügung. Gemäss Wikipedia wurde das Familienbüchlein 2005 von einem elektronischen Dokument abgelöst. Im Schweizer Mittelland braucht es für die Abwicklung des Todes eines 1941 Geborenen aber immer noch das Familienbüchlein.
** Die Verwaltung der Kleinstadt bietet auf ihrer Webseite einen „Online-Schalter“ an. Hier können Formulare, Gesuche, Rechtssammlungen und Checklisten heruntergeladen werden. Es gibt zudem einen Bereich „MyServices“, zu dem ich in den Unterlagen des Vaters ein Login finde. Hier könnte man „Virtuelle Dienste“ abonnieren oder Anträge stellen. Das Benutzerkonto des Vaters ist leer und ich lösche es, da ich hoffentlich schon sehr bald keinerlei Bedarf mehr für die Dienstleistungen der Kleinstadtverwaltung haben werde.
*** Grebt (auch: Gräbt): berndeutsche Bezeichnung für das Leidmahl, das traditionellerweise im Anschluss an einen Abdankungsgottesdienst abgehalten wird (Standarddeutsch: Leichenschmaus).
(Franziska Nyffenegger)
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surveycircle · 4 years
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