#sonst wächst die mauer wieder nach
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It's Tag der Deutschen Einheit, so don't forget to put out beer and cookies for Helmut Kohl and Erich Honecker.
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Warum machst Du das eigentlich.
Warum machst Du das eigentlich?
Die beste Frage, auf so vielen Ebenen. Man kann sie sich selbst stellen, eine einfache Antwort geben und weitermachen im Text. Man kann sie gefragt werden, eine oberflächliche Antwort geben und schon ist die Sache erledigt. Am schönsten ist sie, wenn sie gar nicht ausgesprochen wird, sondern im Raum steht wie der sprichwörtliche Elefant. Wenn man sie wahrnimmt, wird sie da das erste Mal ein wenig unangenehm.
In Fall Eins und Zwei ist es ja meistens so, dass man selbst oder das Gegenüber sich, um weiteres Ungemach zu vermeiden, mit der erstbesten Antwort zufrieden gibt. Frage, Antwort, fertig. Schön. Ein kleines Arschloch wird diese Frage aber erst dann, wenn sie mehrfach gestellt wird. Wenn die erste Antwort nicht reicht. Wenn alles immer noch bohrt und nagt. Kurzum – willkommen in meinem Jahr 2019. Wohl das erste Mal in meinem Leben, dass ich über alles vorher sehr gründlich nachdachte, bevor ich es tat. Was eine ganz erstaunliche, aber auch wahnsinnig anstrengende Erfahrung für mich war und ist. Sonst eher so Halali, mit Anlauf ins Getümmel und dann gucken wir mal, was am Ende dabei rauskommt. Ist ja noch immer gut gegangen. Irgendwie.
Eine weitere Schwierigkeit ist, dass mein Herz und mein Kopf sich nicht sonderlich mögen. Entweder zerdenke ich alles, dann hat das Herz irgendwann keinen Bock mehr und wendet sich gelangweilt ab, oder mein Herz ist voll mit JA! MACH! und wischt alle Bedenken mit einem Handstreich beiseite. Irgendwas dazwischen gibt es meistens nicht. Das ist total gut, wenn es um Dinge wie „wo fahre ich denn mal hin, was gucke ich mir an, welchen Film sehe ich im Kino und was will ich eigentlich heute Abend essen“ geht. Um nichts Weltenbewegendes. Alltägliches. Das ist totale Scheiße, wenn es um ein bisschen mehr als das geht. Dann stehe ich meistens da und kann mir ausdenken, wie ich aus diesem Kuddelmuddel möglichst elegant wieder herauskomme.
Ich weiß nicht, wie das andere machen – wie auch, man kann ja immer nur bis vor die Stirn gucken bei Menschen, eine sehr blöde Eigenschaft, die vieles verkompliziert, aber so ist es nun mal – , bei mir läuft das Leben allerdings meist eher unbewusst ab. Was marginal schwierig wird, wenn man ein impulsiver, aber friedliebender Mensch ist. Alles, sofort, genau wie ich es will, aber harmonisch muss es bitte sein. Klappt… eher so mittel. Die Henne-oder-Ei-Frage bei mir ist ja: War ich von Anfang an so oder kam das alles erst, als ich mir mit der Zeit einen hübschen Panzer aufbaute, der mich vor menschlichen Enttäuschungen schützen sollte. Denn ich hörte, wenn man sich denn mit Erklärungen abgab und sich nicht gleich aus dem Staub machte, oft, sehr oft das Wort „zu“. Zu viel, zu ehrlich, zu emotional, zu viel, sagte ich zu viel? Story of my life. Dabei bin ich doch eigentlich ganz...einfach? Hat man meine Aufmerksamkeit erlangt (was nicht sehr oft vorkommt, die meisten Menschen sind langweilig und mir herzlich egal), schütte ich einfach alles an Liebe mit Karacho auf das Gegenüber, ohne jegliche Dosierung, stehe freudestrahlend daneben, wie schön das alles ist und wundere mich, wenn der Andere dann nicht damit zurecht kommt. Zu viel.
Das sagt man Dir so lange, bis Du es selbst glaubst und nur noch auf Sparflamme fährst. Man will ja die anderen nicht überfordern. Bloß keine zu großen Gesten, eine kleine Freude machen reicht auch, das scheint für viele schon das Nonplusultra zu sein, übertreib doch nicht so. Dass mein Herz mit dieser Methode ganz langsam, aber sicher verkümmert, weil es so viel größer ist und so viel mehr Liebe hat als das, was andere so vertragen wollen, habe ich lange nicht verstanden.
Warum mache ich das eigentlich? Das habe ich mich sehr lange gar nicht erst gefragt. Sei es, weil ich Angst vor der Antwort habe, die ich mir am Ende selbst geben muss (und ich gebe mich ja nicht mit der erstbesten ab, haha), sei es, weil es mich auch gar nicht interessiert hat. Ich war ja beschäftigt damit, die Verwunderung anderer über mich zu verarbeiten und Stein auf Stein die Mauer zu bauen, damit mir sowas beim nächsten Menschen garantiert nicht wieder passiert. Hat er ja wohl dann auch nicht verdient, der Schuft. Beim ersten Mal war ich sehr verletzt, hatte ich doch nur die edelsten Absichten. Beim zweiten Mal stutzte ich, aha, schon wieder, was ist da los, naja, ein Idiot. Beim dritten Mal wurde es seltsam, kann ja nicht sein, dass ich mich immer so täusche, aber hm, war wohl einfach nix. Mund abputzen, weiter machen. Wir reden hier wohlgemerkt nicht nur über Partnerschaften im klassischen Sinne, jede engere Beziehung zu einem Menschen war irgendwann immer an dem Punkt, an dem ich nur noch gab, gab, gab und immer weniger bekam. Warum mache ich das eigentlich habe ich selten gefragt.
Dann dachte ich eine ordentliche Zeit lang, es hätte endlich funktioniert. Endlich hätte ich jemanden gefunden, der so viel mich aushält. Soulmate, blühende Landschaften, alles nur Herzchen und Sternchen. Tja. Ein zusätzlicher Bonus dabei ist, dass ich mir sehr lange sehr viel einreden kann. Ich kann wahnsinnig überzeugend sein, was das angeht, ich könnte mir selbst eine Schrottkarre als Supersportwagen verkaufen, no problemo, guck mal die schöne Farbe und die Sitze sind auch unglaublich bequem. Mängel? Quasi fast keine, das bisschen Rost und der wacklige Motor, pffh.
Dann kam dieses ganze letzte Jahr. In dem so viel passierte, dass ich schon gar nicht mehr alles weiß. Der Job, den ich lange Zeit sehr gerne ausübte, war auf einmal Mist, meine Freunde waren Mist, der Typ war Mist, alles war Mist. Wenn alles Mist ist, vielleicht fängst Du dann mal lieber an, bei Dir selber zu gucken, sagte jemand, und traf damit mehr ins Schwarze, als mir lieb war. Unbequem ist doof, das hatten wir schon mal und wollen es nicht, das ist anstrengend und überhaupt, bäh. Ich war lange krank, das hat dieser Körper schon ganz gut drauf, mich in Ausnahmesituationen so auszubremsen, dass ich gar nicht mehr anders kann als endlich mal hinzugucken. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt funktioniert das mit der Selbstüberlistung dann noch ganz gut weiter, aber irgendwas war anders dieses Mal. Es hat nicht gereicht, egal, was ich probierte. Immer blieb noch ein weiteres Warum machst Du das eigentlich. Dachte ich, ich hätte die Antwort gefunden, kam noch eines. Und noch eines. Das war dann irgendwann nicht mehr nur lästig, sondern ging ans Eingemachte, an die lange schon wohlverpackte Schlammsubstanz ganz da unten, wo man nie so wirklich hinguckt und ist schon irgendwie ok, dass sie da ist, aber guck ihr nicht in die Augen, sonst beißt sie.
Nun ist eine mögliche Reaktion, das alles weiterhin auszublenden und wegzuschicken, ganz weit weg, dahin, wo der Pfeffer wächst, wo ist das eigentlich? Der Körper sagte, yo, kannste machen, aber dann wird das hier nichts mehr mit uns beiden, lös Deinen Mist endlich, Du Affe, hier, ein etwas größerer Vorgeschmack auf das, was passiert, wenn Du mich weiterhin ignorierst. Schönen Tag noch.
Also gut. Muss ich wohl. Schön ist anders, aber nach quälenden Wochen voller schleichender Selbsterkenntnis hatte ich ein paar Punkte, die ich als Übeltäter ausmachen konnte. Einige liegen bei mir, andere lagen woanders. Auf einmal hatte ich Antworten auf einige Warum machst Du das eigentlichs. Echte Antworten. Schmerzhafte Antworten. Mit denen ich aber etwas anfangen konnte und endlich, endlich, nach Monaten der Lähmung, etwas TUN konnte. Also tat ich und jagte nach einigen unfruchtbaren Lösungsversuchen alles in die Luft. Und stand bei Null. Wieder einmal. Aber dieses Mal war tatsächlich etwas anders: Ich wusste, warum ich da war und warum es soweit kam und warum ich in dieser Situation nicht anders handeln konnte und warum es trotz Schmerz und Leid und Neu ganz genau die Lösung ist, die ich brauchte. Warum ich das eigentlich mache.
Seitdem fahre ich sehr gut damit, mich einer regelmäßigen Eigensupervision zu unterziehen. Warum machst Du das eigentlich. Und mich nicht mit der erstbesten Antwort zufrieden zu geben, sondern mich auch mal selbst mit einer hochgezogenen Augenbraue anzugucken und weiterzuforschen. Den Elefanten im Raum ernst zu nehmen, auf mich aufzupassen. Bewusst zu entscheiden, helfe ich, warum helfe ich, bis wohin helfe ich, Warum machst Du das eigentlich, erwartest Du etwas, erhoffst Du Dir etwas oder ist es nur Dein Herz, das überläuft und diesem Menschen eine Freude machen will, weil er es verdient hat, glücklich zu sein. Und sind wir mal ehrlich, die Sache mit diesen kleinen großen Gesten habe ich schon ganz gut drauf.
Die schönste Antwort ist übrigens ein grundehrliches „weil ich das genau so möchte und weil es mir gut tut“ und von ihr gibt es gerade sehr viel in meinem Leben. Situationen und Menschen, die mich glücklich machen. Von denen ich nicht weiß, wohin sie mich jemals führen werden, aber das ist auch nicht wichtig. Ohne Erwartungen, ohne Karacho, das Herz voller Liebe und ich fahr mit Dir nach Disneyland und ich hab Dir Deine Lieblingsschokolade mitgebracht und alles ist gut so, wie es ist und nichts ist zu viel.
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#gemmacoronaschauen
Mein Blog aus der Quarantäne 16.3.2020 Tag 1: Heute ist Montag, der 1.Tag an dem wir gesetzlich zuhause bleiben sollen...ich bin seit Freitag nicht mehr aus dem Haus gewesen...nur spazieren mit den Hunden...nicht aus Angst, ich arbeite schon immer im home office und verlasse oft tagelang das Haus nicht. Aber jetzt, wo ich nicht darf, habe ich schon am Tag 1 den Lagerkoller. Das Wetter ist traumhaft, ich blicke in den blauen Himmel und beiße in mein Bärlauchbrot...hoch oben fliegt ein Flugzeug...wo es wohl hinfliegt? Die Bienen summen, eine Hummel schaut vorbei...mir fällt auf wieviel unterschiedliche Vogelstimmen ich höre...Zufall? War das immer so? Oder atmet die Natur durch? Ohne uns Menschen? Nature back to nature, verdient hat sie es. Ich fühle mich unwohl, bedrückt...die Endzeitstimmung habe ich schon lange, die Klimakatastrophe belastet mich täglich, das Tierleid...Jetzt steht alles still, doch nein, die Schlachthäuser sind offen, die Tiertransporter rollen...wir wollen doch nicht auf die Wurzel allen Übels verzichten...auf tierische Produkte, hergestellt unter Höllenqualen. Schweinepest, Vogelgrippe, Covid 19, dessen Ursache wahrscheinlich ein Wildtiermarkt ist, wo es alles Tierliche zu kaufen gibt, was man nur annähernd verdauen kann. Wir Menschen sind schuld, niemand sonst. Und langsam greift der knöcherne Finger der Vergeltung nach uns...wir werden Corona überleben, es werden andere Viren kommen, auch die werden wir überleben, aber irgendwann sind wir am Ende der Fahnenstange angelangt und dann wird es finster. Himmelschlüsserl, Leberblümchen, Schneeglöckchen, Primerl...die Rosenblätter treiben an...die Natur erwacht. In China sieht man von Satelliten Gegenden, die bislang unter Smog verdeckt waren. Im von der Krankheit gebeutelten Italien kommen erstmals wieder Delfine in die leeren Häfen. Die Natur holt sich zurück, was wir ihr täglich nehmen. Und jetzt sind wir zum Stillhalten verurteilt. Ich wohne allein und darf daher gar niemand treffen außer meine Hunde. Tag 1 und ich fühle mich nicht gut. Wenn das Wochen oder Monate so geht, kann man mich nach Mauer-Öhling einliefern, in die Nervenheilanstalt. Und gleich zur Abmagerungskur, weil ich meine veganen Schokovorräte sukzessive auffresse... Es ist 18.13 und ich habe noch einiges zu tun...ich bin es ja gewohnt, Haus-und Berufsarbeit abwechselnd zu erledigen, jetzt noch schnell in den Garten...und dann wieder Büro, dazwischen Hunde füttern und Nachrichten lesen...man weiß ja nie. Was wird morgen sein? Auf jeden Fall ein Bärlauchbrot. Und dann gehe ich in die Au, noch mehr Bärlauch holen, denn mein Gartenvorrat ist klein. Vielleicht werde ich dann von der Polizei angehalten, mich schleunigst vom Acker zu machen...obwohl, Bärlauch wächst ja nicht am Acker...wir werden es sehen.
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Die Mauer
Novelle von Jurek Becker
Kaktus - Die Mauer - Jurek Becker Mein Gott, ich bin fünf Jahre alt, wir Juden sind wieder ein stilles Glück. Der Nachbar heißt wieder Olmo und schreit den halben Tag mit seiner Frau, und wer nichts Besseres zu tun hat, der kann sich hinter die Tür stellen und jedes Wort hören. Und die Straße hat wieder ihre Häuser, in jedem ist etwas geschehen mit mir. Ich darf sie nicht verlassen, die Straße, streng hat es mir der Vater verboten. Oft glaube ich nicht, womit er das Verbot begründet, manchmal aber doch: dass es eine Grenze gibt, eine unsichtbare, hinter der die Kinder weggefangen werden. Niemand weiß, wo sie verläuft, das ist das Hinterhältige an ihr, sie ändert sich wohl ständig, und ehe du dich versiehst, hast du sie überschritten. Nur in der eigenen Straße, das weiß der Vater, sind Kinder einigermaßen sicher, am sichersten vorm eigenen Haus. Meine Freunde, mit denen ich die Ungeheuerlichkeit bespreche, sind geteilter Meinung. Die immer alles besser wissen, die lachen, manche aber haben auch schon von der Sache gehört. Ich frage: "Was geschieht mit mir, wenn sie mich fangen?" Der Vater antwortet: "Es ist besser, du erfährst das nicht." Ich sage: "Sag doch , was geschieht mir dann?" Er macht nur seine unbestimmte Handbewegung und will sich nicht mehr mit mir unterhalten. Einmal sage ich: "Wer ist es überhaupt, der die Kinder wegfängt?" Er fragt: "Wozu musst du das auch noch wissen?" Ich sage: "Es sind die deutschen Soldaten." Er fragt: "Die Deutschen, die eigene Polizei, was ist das für ein Unterschied, wenn sie dich fangen?" Ich sage: "Mit uns spielt aber jeden Tag ein Junge, der wohnt viele Straßen weit." Er fragt mich: "Lügt dein Vater?" Ich bin fünf Jahre alt und kann nicht still sein. Die Worte springen mir aus dem Mund heraus, ich kann ihn nicht geschlossen halten, ich habe es versucht. Sie stoßen von innen gegen die Backen, sie vermehren sich rasend schnell und tun weh im Mund, bis ich den Käfig öffne. "Dieses Kind", sagt meine Mutter, die kein Gesicht mehr hat, die nur noch eine Stimme hat, "hör sich einer nur dieses Kind an, dieses verrückte." Was geschehen ist, muss seltsam und unerhört gewesen sein, sonst lohnt es nicht darüber zu berichten. Am Ende habe ich den Kaufmann Tenzer umgebracht, nie werde ich es wissen. Er wohnt in unserer Straße und hat ein schwarzes Mützchen auf dem Kopf und trägt ein weißes Bärtchen im Gesicht, er ist der kleinste Mann. Wenn es kalt ist oder regnet, kannst du zu ihm gehen, er weiß Geschichten. Die abgebrühtesten Kerle sitzen stumm vor ihm und schweigen und halten den Mund und sind ganz still, auch wenn sie später ihre Witze machen. Doch mehr als vier auf einmal lässt er nie herein. Von allen hat er mich am liebsten: es tut gut, das zu glauben. Als er mich einmal gegriffen und auf den Schrank gesetzt hat, war er sehr stark, wir alle haben uns gewundert. Der Vater sagt: "Wer setzt denn ein Kind auf den Schrank? Und überhaupt: was hockst du immer bei dem alten Tenzer, der ist wahrscheinlich nicht ganz richtig im Kopf." Ich sage: "Du bist nicht ganz richtig im Kopf." Da holt er aus, ich aber laufe weg; und als ich später wiederkomme, hat er es vergessen. Der Vater holt oft aus, schlägt aber nie. Einmal bin ich mit allen verstritten und gehe zu Tenzer, noch nie war ich allein bei ihm. Als er mir öffnet, und keinen außer mir vor seiner Tür findet, wundert er sich und sagt: "So ein bisschen Besuch nur heute?" Er hat zu tun, er ist beim Waschen, doch schickt er mit nicht fort. Ich darf ihm zusehen, er wäscht anders als meine Mutter, bei der es immer bis in jeden Winkel spritzt. Er fasst die Unterhosen und die Hemden sanft an, damit sie nicht noch mehr Löcher kriegen, und manchmal seufzt er über ein besonders großes Loch. Er hält ein Hemd hoch über die Schüssel, und während es abtropft, redet er: "Es ist schon dreißig Jahre alt. Weißt du, was dreißig Jahre für ein Hemd bedeuten?" Ich sehe mich im Zimmer um, es gibt nicht viel zu sehen, nur eine Sache gibt es, die ist mir neu: Hinter der hohen Rückwand des Betts, auf dem Boden neben dem Fenster, steht ein Topf. Eine Decke hängt davor, dass man nichts sieht. Die Entdeckung wäre mir nicht geglückt, wenn ich nicht auf dem Boden gelegen und nicht vor Langeweile genau in jene Richtung geschaut hätte. Ich mache einen kleinen Umweg zu dem Ding hin, ich schiebe die Decke, die einem doppelt so Großen wie mir die Sicht versperren würde, zur Seite. In dem Topf wächst eine grüne Pflanze, eine merkwürdige, die einen heftig sticht, kaum dass man sie berührt. "Was tust du da?" schreit der Kaufmann Tenzer, nachdem er meinen Schrei gehört hat. Ein Blutstropfen liegt auf meinem Zeigefinger, ich zeige ihm mein dickes Blut. Den Finger steck ich in den Mund und sauge, da sehe ich Tränen in seinen Augen ich bin noch mehr erschrocken. Ich frage: "Was hab ich denn gemacht?" "Nichts", sagt er, "gar nichts, es ist meine Schuld." Er erklärt mir, wie die Pflanze funktioniert und von wie vielen Tieren sie aufgefressen worden wäre, wenn es nicht die Stacheln gäbe. Er sagt: "Du sprichst mit niemandem darüber." Ich sage: "Natürlich spreche ich mit keinem." Er sagt: "Du weißt, dass niemand eine Pflanze haben darf?" Ich sage: "Natürlich weiß ich das." Er sagt: "Du weißt, was jedem blüht, der ein Verbot missachtet?" Ich sage: "Natürlich." Er fragt mich: "Na, was mach sie mit dem?" Ich antworte nicht und schaue ihn nur an, weil er es mir gleich sagen wird. Wir sehen uns ein bisschen in die Augen, dann greift sich Tenzer ein Stück Wäsche aus der Schüssel und wringt es gewaltig aus. Er sagt: "Das machen sie mit ihm." Natürlich erzähle ich die Sache Millionen Leuten, den Eltern nicht, doch allen meinen Freunden. Ich gehe wieder hin zum Kaufmann Tenzer, weil er mich seit jenem Tag mit seiner Pflanze spielen lässt, als wären wir Geschwister. Mir öffnet eine alte und fürchterlich hässliche Frau, dass jeder andere an meiner Stelle auch entsetzt gewesen wäre. Sie fragt mit ihrer gemeinen Stimme: "Was willst du hier?" Ich weiß, dass Tenzer immer allein gewesen ist, und eine solche hätte er schon gar nicht eingelassen: dass sie in seiner Wohnung ist, ist also noch erschreckender als ihr Aussehen. Ich laufe vor der Hexe weg und kümmere mich nicht um den Zauberspruch, den sie mir hinterherruft. Die Straße sieht mich kaum, so fliege ich, ich frage meine Mutter, wo Kaufmann Tenzer ist. Da weint sie, eben hat sie noch an ihrer Decke, zu der sie gehört, herumgestickt. Ich frage: "Wo ist er, sag es mir." Doch erst der Vater sagt es, als er am Abend kommt: "Sie haben ihn geholt." Ich bin inzwischen nicht mehr überrascht, Stunden sind vergangen seit meiner Frage, und oft schon haben sie einen geholt, der plötzlich'nicht mehr da war. Ich frage: "Was hat er bloß getan?" Der Vater sagt: "Er war meschugge." Ich frage: "Was hat er wirklich getan?" Der Vater verdreht die Augen und sagt zur Mutter: "Sag du es ihm, wenn er es unbedingt wissen muss." Und endlich sagt sie, wenn auch sehr leise: "Er hatte einen Blumentopf. Stell dir nur vor, sie haben einen Blumentopf bei ihm gefunden." Es ist ein bisschen still, ich leide, weil ich nicht sagen darf, dass dieser Blumentopf und ich Bekannte sind. Meine Mutter tropfen Tränen auf ihr Tuch, nie vorher hat Tenzer ein gutes Wort von ihr gekriegt. Sein Stück vom Brot nimmt sich der Vater wie jeden Abend nach der Arbeit, ich bin der eigentlich Betroffene hier, und keiner kümmert sich um mich. Der Vater sagt: "Was ich schon immer gesagt habe, er ist im Kopf nicht richtig. Für einen Blumentopf geholt zu werden, das ist der lächerlichste Grund." Meine Mutter weint nicht mehr, sagt aber: "Vielleicht hat er diese Blume sehr geliebt. Vielleicht hat sie ihn an eine Person erinnert, was weiß man denn." Der Vater mit dem Brot sagt laut: "Da stellt man sich doch keinen Blumentopf ins Zimmer. Wenn man schon unbedingt gefährlich leben will, dann pflanzt man sich Tomaten in den Topf. Erinnern an jemand kannst du dich tausendmal besser mit Tomaten." Ich kann mich nicht länger beherrschen, ich habe meinen Vater nicht sehr gern in diesem Augenblick. Ich rufe: "Es war gar keine Blume, es war ein Kaktus!" Dann laufe ich hinaus und weiß nichts mehr. Die Mauer - Novelle von Jurek Becker
Der Dresdner Romanist Victor Klemperer beschrieb seine Lage als Jude im Juni 1942 so: „Was ist in diesem letzten Jahr alles an Großem und Kleinem zusammengekommen! Und der kleine Nadelstich ist manchmal quälender als der Keulenschlag. Nach acht oder neun Uhr abends zu Hause sein. Kontrolle! Aus dem eigenen Haus vertrieben! Radioverbot, Telefonverbot. Theater-, Kino-, Konzert-, Museumsverbot. Verbot, Zeitschriften zu abbonieren oder zu kaufen. Verbot, ,Mangelware‘ zu kaufen. Verbot, Zigarren zu kaufen oder irgendwelche Rauchstoffe. Verbot, Blumen zu kaufen. Entziehung der Milchkarte. Verbot, zum Barbier zu gehen. Zwangsablieferung von Schreibmaschinen, von Pelzen und Wolldecken, von Fahrrädern, von Liegestühlen, von Hunden, Katzen, Vögeln. Verbot, die Bannmeile Dresdens zu verlassen, den Bahnhof zu betreten, das Ministeriumsufer, Verbot, die Parks zu betreten. Seit dem 19. September der Judenstern. Verbot, Vorräte an Eßwaren im Haus zu haben. Verbot der Leihbibliotheken. Durch den Stern sind uns alle Restaurants verschlossen. Die Sondersteuern. Einkaufsbeschränkung auf eine Stunde. Ich glaube, diese Punkte sind aber alle zusammen gar nichts gegen die ständige Gefahr der Haussuchung, der Misshandlung, des Gefängnisses, Konzentrationslagers und gewaltsamen Todes.“ Quelle: Deutschlandfunk - Die legalisierte Menschenverachtung Read the full article
#achtung#aventin#deutschland#judentum#jurek_becker#mauer#menschen#nationalismus#nationalsozialismus#rassismus#verachtung#vorurteile#würde
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Friss Staub! Der lange Weg zum Tolbachik
Ich besuchte das Dorf Kozerevsk zwei Mal. Beide Male reiste ich zurück in das Jahr 1989. Damals war ich 6 Jahre alt. Es war das Jahr in welchem die Berliner Mauer fiel. Es war ein Jahr meiner Kindheit, ohne irgendein spezielles Wissen. Ich wollte spielen. Die Hälfte meiner Kindheit wuchs ich auf dem Bauernhof meiner Großeltern auf. Sie haben 14 Hektar Land, 2 Hunde, 17 Katzen, Rinder, Milchkühe, Bullen und Schweine. Mein Großvater lebt heute leider nicht mehr. Er trieb damals die Rinder und Kühe mit einem Stock auf die Weide. Die Milch tranken wir Kinder direkt von der Kuh und wir spielten im nahen Wald und See mit den Hunden. Wir bauten uns Baumhäuser, fingen Fische und spielten Verstecken. Wir halfen bei der Heu und Strohernte, aßen die Maiskolben direkt von der Staude bis wir platzten und die Pflaumen bis wir Durchfall bekamen. Doch etwas blieb in Erinnerung: Kozerevsk ist wie der Bauernhof in 1989, ausser das es ein ganzes Dorf ist. In Kozerevsk laufen die Kühe auf dem Fussballfeld der Schule herum und Hunde streunen hinter jedem Besucher her, wovon es hier nicht viele gibt. Wir sind die einzigen Gäste. 10 Menschen von sehr weit her sind gekommen, um einen der drei Ladenbesitzer das Geschäft seines Lebens zu bereiten. Wir kaufen pro Kopf drei Flaschen Wodka, 3 Liter Bier, andere kaufen Zigaretten, Berge von Schokoladen und was sonst noch zu finden ist. Der Ladenbesitzer kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Für uns ist es Vorrat in der Wildnis, für ihn bedeutet es Feierabend – genug verdient. Er sagt: „Bitte kommt später nochmal wieder.“
In Kozerevsk ist keine Straße asphaltiert, es gibt keine Bürgersteige und nichts lässt daran denken, dass hier irgendwann eines Tages mal die Zukunft der Architektur und Infrastruktur ankommen wird. Der Weg ist einfach zu weit, das Material zu teuer, der Wille der Menschen auf Veränderung zu gering. Blickt man sich in Kozerevsk um, so ist unweit der Fluss „die Kamtschatka“, welcher als Lebensader dient. Es gibt Fisch und noch mehr Fisch. Sieht man in die Gärten, so entdeckt man Felder mit Kartoffeln, Kohl, Zucchini, Kräuter, Blumen und alles, was sonst noch wachsen kann, in diesem Dorf wächst es. Die Häuser sind aus Holz, so ist auch das Brennmaterial für den heimischen Ofen. Es riecht nach Blumen, nach Hitze und der Staub liegt auf unseren Lippen und verklebt unsere Augen. Stellt man sich vor eines der kleinen Holzhäuser, so ragt im Hintergrund die vulkanische Landschaft auf. Der Kamen, der Kljutschewskaja Sopka und der Tolbachik auf. Die höchsten Vulkane Kamtschatkas mit fast 5000m Höhe. Wenn ich mir diese Szenerie so ansehe, beginne ich sofort wieder zu schwärmen. Auch wir haben zu Hause unsere Idee der Selbstversorgung begonnen. Zusammen mit unserem Nachbarn bauen wir Tomaten, Melonen, Kürbis, Zucchini, Gurke, Kräuter, Chillis, Paprika und bald auch Kartoffeln an. Im Garten wachsen wild Erdbeeren, Himbeeren, Preiselbeeren und Äpfel. Wir planen gerade den Umbau des Gartens sodass wir Hühner halten können, backen unser Brot selber und wollen im Winter Käse im Keller lagern. Dieses Dorf beflügelt meine Vision noch mehr sich Fähigkeiten an zu eigenen, um sich selber zu versorgen. Wir wollen weiter weg vom Konsum, weit weg vom Plastik, wollen anders mit der Erde umgehen als bisher. Es steckt in den Kinderschuhen bei uns und in Kozerevsk ist es nie anders gewesen. „Diese Schuhe auf dem Weg zurück in eine natürliche Lebensweise müssten demnach ausgelatscht sein.“ Doch das merkt hier niemand, denn die Schuhe halten ewig, solange man seine Umwelt versteht und zu schätzen weiß.
Mit diesen Gedanken und vollgepackt mit unserem Equipment setzen wir unsere Reise fort in Richtung der Vulkane. Mit dem Kamaz durchqueren wir Wälder, reißende Flüsse und kommen letztendlich auf der Höhe der ersten Vulkankegel des Tolbachik an. Das Areal ist eine leere Ebene und erinnert an den Mond. Nicht umsonst wurde hier für die Raumfahrt geübt. Wir beginnen eine kleine Tour auf die lokalen Kegel von nur 300m Höhe und sehen Mineralien in allen Farben. Neugeborene Erde offenbart sich direkt vor uns und wir fühlen uns lebendiger denn je. „Wenn wir den Tolbachik besteigen, können wir ins Herz sehen...“, denke ich. Langsam schreiten wir voran und überblicken das weite Feld der Lavaströme aus 1975, können uns das Ausmaß der Zerstörung kaum vorstellen und sind begeistert von der Vielfalt dieser Landschaft. Auf dem Weg hinunter beginnt es zu regnen und wir setzen unseren Weg zu Fuß fort in Richtung des einzigen Camps. Langsam taucht vor uns ein Wald auf. Stille kriecht erfüllt den Raum, Kälte zieht in unsere Glieder. Die Bäume flammten beim damaligen Ausbruch des Vulkans auf wie Streichhölzer und so steht das unfruchtbare Gerippe des Waldes noch heute da und wird nie wieder zum Leben erweckt. Wie in einem Horrorfilm laufen wir durch eine Welt ohne uns, eine Welt nach uns. Wenn jedes Leben erlischt, bleibt nur das hier zurück – Staub und Knochen. Wenn man Ehrfurcht vor dem Leben tanken will, dann hier im toten Wald. Doch so sehr die Atmosphäre erdrückend wirkt, kommen wir nach einer Weile zurück in die Vegetation. Das Camp liegt zwar immer noch im toten Wald aber hier scheinen sich die ersten Sträucher und Büsche heimisch zu fühlen. Losungen von Rentieren und Bären sind gleich nebenan. Das Leben kehrt zurück. In einem gewaltigen Tornado von Mücken bauen wir unsere Zelte auf und schleichen dann ins Küchenzelt zum Abendessen.
Morgen ist es also soweit. Wir wollen den Tolbachik erklimmen. 3085M reiner Vulkan. Bis zum Krater hinauf, um in das Herz der Welt zu blicken. Dafür klingelt der Wecker um 4:30 am nächsten Morgen. Noch schnell ein oder zwei Gläser Vodka, dann klettern wir alle in unsere Zelte. Die Nacht ist kurz, die Geräusche ungewohnt aber dennoch bekommen wir ein paar Stunden Schlaf. Zu Anfangs schläft man auf Kamtschatka schlecht aber man gewöhnt sich daran und später schläft man wie ein Babybär.
Um 4:30 ist es dann soweit. Ausgestattet mit Lunchpaket und Wasser geht es los zum Ausgangspunkt. Nach 45min Fahrt erreichen wir das Ziel. Das Basislager am Tolbachik auf 1400m Höhe. Hier reihen sich Zelte aneinander, denn von hier sind viele Bergtouren möglich. Nebel zieht auf.
Wir werden ca. 6std für den Aufstieg benötigen und ca. 3 hinunter, so heisst es. Ich bespreche mich kurz mit Alexey unserem Bergführer und schnell werden wir uns einig, dass wir Sascha (zweiter Bergführer) auch mitnehmen werden, falls jemand nicht mehr weiter laufen kann oder es Komplikationen unterwegs gibt. Ausgestattet mit Satellitentelefon, Bärenspray und heißem Tee wandern wir in die nebelige Suppe hinein. Die Sicht liegt bei Null. Man erzählt sich, dass eine Reise nach Kamtschatka Geduld erfordert. Wenn die Wolken sich lösen, dann offenbart sich die geballte Schönheit des Landes. Schroff, Schwarz und bizarr erstreckt sich der Lavastrom neben uns. Wir wandern ins Ungewisse hinein. Wir bleiben dicht zusammen, denn bald werden wir das Lavafeld queren müssen. Immer weiter zieht sich der Weg durch braune, rötliche, grüne und gelbe Felder, kleine Hügel und Kegel hindurch, immer wieder steigt Dampf auf. Und dann, langsam, verschwindet der Nebel und legt ihn frei....den Tolbachik! Mit Schneehaube steigt er vor uns empor, wirkt immer größer bei jedem Schritt und langsam verstehen wir, dass dies kein einfacher Marsch wird. Wir schreiten voran in eine Welt voller Leere, ohne auch nur eine Pflanze entlang des Weges zu entdecken.. Das „Nichts“ ist nun unser Zuhause. Immer tiefer schreiten wir in die vom Wind um peitschte Ebene, hinauf auf die erste Anhöhe. Bereits nach dem ersten Teil melden sich die ersten 3 Teilnehmer ab. Sie wollen nicht mehr weiter. Dieser Weg scheint ihnen zu gewaltig. Sascha muss umkehren, jetzt hängt alles von Alexey und mir ab. Wenn noch ein Teilnehmer umkehrt, müssen wir alle umkehren, denn „Sicherheit geht vor Sightseeing!“ Wir pausieren kurz, dann zieht sich unser Weg weiter. Auf Ebene zwei. Wir sprechen kaum, laufen konzentriert, Meter um Meter, Stunde um Stunde. Kein Anzeichen eines Aufstiegs, kein Anzeichen das wir dem Tolbachik näher kommen, doch dafür gibt es nun immer mehr Sonne und immer mehr Hitze. Wir fangen an unser Ausrüstung umzufunktionieren, trinken mehr und mit jeder Etappe wächst der Hunger. Schnell stelle ich fest, dass mein Lunchpaket nicht reichen wird, so auch nicht mein Wasser. Das Problem ist, dass es hier kaum trinkbares Wasser gibt, ausser Schnee, den wir schmelzen können.
Nach weiteren Metern, weiteren Stunden sind wir auf Ebene zwei angekommen. Der Berg rückt näher, der Schnee nimmt wieder zu, Wind kommt auf. Wieder pausieren wir, wieder essen wir. Von nun an werden sich die Pausen häufen, wir sind nun bei rund 2500m angekommen. „Ach“, denke ich, „das wird sicher klappen“. Doch nun nimmt der Wind zu und die Kälte kriecht mit jedem Schritt in unsere Knochen. Das Problem der Tour ist nicht, dass wir keine Erfahrung haben oder der Weg gefährlich ist. Nein, der Weg zieht sich wie ein Kaugummi fort und erfordert Durchhaltevermögen ohne den Gedanken an den Rückweg, denn dann kehrt man sofort um. Und sollte man nur diese Gedanken im Kopf haben, dann ist die oberste Aufgabe sich zu erinnern, wo man hier gerade ist. Am Ende der Welt! Dort wo es die meisten aktiven Vulkane gibt! Und ich habe das Privileg einen solchen zu erklimmen! Nicht auf Sizilien, nicht auf Hawaii, nicht auf Island!
Das hier ist fucking Kamtschatka verdammt nochmal!
Es ist egal wie sehr man schwitzt, friert oder wie weit man läuft!
Diese Reise teilen bisweilen nur wenige Menschen auf der Welt mit uns!
Also los geht’s!
Es gibt nur eine Richtung: Aufwärts!
Und so steigen wir weiter. Mit der ein oder anderen Teepause schaffen wir es bis 100m an den Kraterrand heran, bis die nächsten Teilnehmer aufgeben wollen. Es erscheint einfach so unglaublich weit. So unerreichbar. Ich sage zu Alexey, dass wir die Sache unterschätzt haben. Der Wind ist bei über 70kmh und ich habe keine Lust auf Sturm auf dem Gipfel, zudem kommen immer mehr Wolken. Was wenn das Wetter dreht?
Ich sage, ich bleibe unterhalb des Kraters zurück mit den anderen doch Alexey sagt, dass es nicht möglich ist. Wir können die Gruppe nicht trennen, auch keine 100m voneinander. Da ich immer auf Einheimische höre, denn sie kennen sich am besten aus, rufe ich nochmal zu letzten Reserven auf. 100m, „Kommt schon!“
Und tatsächlich, wir schaffen es.
Vor uns liegt der Krater des Tolbachik den ich bislang nur aus wenigen Büchern kannte, aus wenigen Berichten von ihm erfahren konnte. Der Blick in den Krater ist mit nichts zu vergleichen. Hier wird Erde geschaffen! Hier ist der Herzschlag der Welt! Das hier ist Fernost! Wir alle liegen uns in den Armen, machen Fotos, lachen, frieren. Wir können nicht lange bleiben, einige bekommen Kopfschmerzen von den vulkanischen Dämpfen, vielleicht schon von der Höhe oder dem schnellen Aufstieg. (auf Kamtschatka ist das Empfinden von Höhe anders, als in den Alpen oder dem Himalaya. Das Gefühl der Höhenveränderung ist hier wesentlich schneller und somit kommt hier die Höhenkrankheit viel schneller und niedriger vor, als woanders auf der Welt.)
Um den Kopfschmerz zu bekämpfen hilft nur eins: Tee trinken und absteigen! Somit ist der Erfolg des Aufstiegs zum Krater nach nur wenigen Minuten vorbei.
Langsam zieht sich unsere Gruppe den Krater hinunter in Richtung Tal, welches nun mit Wolken verhangen ist. Auch der Nebel ist zurück. Der Wind immer noch unser Begleiter. Wir können nichts sehen. Nur Nebel und Schnee über welchen wir laufen. Langsam geht es weiter, Schritt für Schritt. Was wir noch nicht ahnen ist, dass es ein zermürbender Marsch werden wird.
Meter um Meter, Stunde um Stunde geht es hinab, doch wird sind viel langsamer als beim Aufstieg. Immer wieder müssen wir pausieren. Einigen schmerzen die Füsse, andere haben sich vollkommen überschätzt. Sie bleiben immer wieder stehen, lassen die Köpfe hängen, setzen sich hin. Das Ende der Wanderung ist nicht abzuschätzen. Wir sind gefangen im Reich des riesigen Vulkans. Das Einzige was wir tun können ist laufen. Gut, ich muss sagen, ich bin es gewohnt bis ans Äußerste zu gehen. Lange Zeit hielt ich mich in Grönland und Alaska auf, kenne Kälte, Stürme und verzweifelnde Situationen. Bereits zwei Mal steckte ich im Eisstrom Grönlands fest und war beide mal bereits zu Fuß Hilfe zu holen, während andere im Notfallcamp blieben. Ich kann quasi im Laufen sterben, wenn es sei muss, deswegen fühle ich die Anstrengung weniger. Ich bin oft monatelang in der Wildnis und kenne nichts anderes als Laufen und Schleppen, deswegen ist es ein anderes Gefühl, doch ich kann die Teilnehmer verstehen. Ich fange an meine letzten Snacks zu verteilen, Unser Bergführer gibt seine Wasserreserven her. Wir werden schon wieder zum Camp kommen, es ist einfach ein langer Weg. Unsere Gesichter sind rot und verbrannt von der Sonne, die Haut trocken von dem Wassermangel, unsere Zungen trocken, doch wir müssen weiter absteigen mit jedem Meter sind wir näher am Ziel. Wie durch eine endlose Wüste zieht sich unsere Menschenschlange, die letzten 5 der Gruppe. Keiner Spricht mehr für Stunden, niemand hat etwas zu sagen. Wenn man so durch die Einöde läuft, kann man auch schnell Hass gegen eine Landschaft entwickeln. Aber es ist kein Hass, es ist eher die Herausforderung der Landschaft, welche uns zeigt: „Ihr kleinen Menschen seid so schwach und ich bin so mächtig.“ Die Braunbären müssen das gleiche denken, wenn sie hier von Tal zu Tal wandern. Ich kann mir vorstellen, dass auch die genervt sind und fluchen werden. Ehe wir uns versehen taucht vor uns ein frisches Häufchen Bärenkot auf. Alexey ruft zur Wachsamkeit auf, doch inzwischen laufen wir alle in solcher Trance, dass wir jegliche Begegnung mit den mächtigen Tieren wahrscheinlich nicht mal realisieren würden.
Während wir so durch die Stille schreiten vermisse ich langsam den Moment einem Menschen zu begegnen. Für Stunden nun sehen wir nichts als roten Sand, Eis und Felsen und zwischendurch mal ein wenig in die Ferne. Sind wir schon auf dem Mars angekommen? Die bizarren Felsformationen beginnen mir etwas vorzugaukeln. Immer wieder sehe ich eine Gestalt in den Umrandungen der Felsen. Frage mich ständig, ob sich etwas bewegt hat oder ob dort jemand ist. „Konzentriere dich, Dennis!“ rufe ich mir ins Gedächtnis. Ich muss an vergangene Reisen denken. Wie oft war ich nun schon weit draußen? Wie oft in der Natur und wie oft schon in ihr gefangen? Welche Wege ich schon beschreiten musste, um das hier machen zu können. Mir kommt es so vor, als sei jede Reise nur ein Training gewesen für das, was ich hier gerade erlebe.
Wie weit ich schon durch die schottischen Highlands, durch das isländische Hochland oder den Himalaya gelaufen bin. Ich bin kein Bergsteiger, ich bin Wanderer. Wie weit mich der Beruf als Reiseleiter schon getragen hat. In das Eis der Arktis, in die Wüste Arabiens, in die Karpaten Osteuropas bis an die Hänge des Fujis in Japan und jedes Mal bringe ich eine neue Erkenntnis mit nach Hause und teile immer wieder die Gleiche. Ja, die Wege sind weit, ja es ist irgendwann anstrengend aber dennoch – es ist mein Leben und ich lebe es! Genau hier, genau jetzt, genau so!
Während ich so hinter der Gruppe hertrotte, an kaltes Bier denke und mir vorstelle wie geil jetzt ein Swimmingpool wäre, höre ich plötzlich aus der Ferne ein „Konnichiwa!“ In Gedanken versunken blicke ich auf und sehe eine Gruppe Japaner wie sie auf uns zukommt und in die Landschaft hineinläuft. Es ist, als würde plötzliche die Wüste zum Leben erwecken und erst jetzt realisieren wir, dass unser Kamaz in Sicht ist. Ich blicke auf die Uhr und finde heraus, dass es nun knapp 14 Stunden war, die wir gelaufen sind.
Als wir am Kamaz ankommen, freuen sich die anderen Mitreisenden über unseren Erfolg. Wir liegen uns in den Armen. Das war ein langer Ritt!
Im Camp angekommen verziehen sich manche direkt ins Bett andere sitzen zusammen und trinken ein Bier auf unseren Erfolg. Es war ein langer Tag und wir alle sind müde aber dennoch, war es ein Erfolg. Während wir uns über den Aufstieg unterhalten, denke ich nochmals an den Abstieg. Während wir durch die Endlosigkeit liefen konnte man in der Ferne zwischendurch die Richtung nach Kozerevsk erkennen. Ich bin mir sicher, dass die Leute dort gerade froh sind ihre Kartoffeln zu ernten und den Fisch zu räuchern Sie freuen sich des Lebens und so freuen wir uns auch.
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