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“Nur weil der Kommunismus tot ist …” – Ein Interview mit Gudrun Gut (GUT UND IRMLER)
—see English version below—
Die 1957 in Celle geborene Musikerin, DJane und Künstlerin Gudrun Gut gilt als Institution der Berliner Musikszene und ist es leid, nur auf ihrer Zeit bei den Einstürzende Neubauten angesprochen zu werden. Seit den 80er Jahren erfindet sie sich kontinuierlich neu, sei es mit ihrem Label Monika Enterprise, das dieses Jahr sein 20-jähriges Jubiläum feiert oder mit ihrem Projekt Gut und Irmler, eine Kooperation mit dem Faust-Organisten Hans-Joachim Irmler. Ein Gespräch über Frauen im Musikbusiness, politischer Kunst und die alte Liebe zu Hannover.
Marvin Dreiwes: Hand aufs Herz, hast du von Hannover schon vor der Expo 2000 gehört?
Gudrun Gut: Lacht. Auf der Expo hatte ich damals sogar aufgelegt. Ursprünglich komme ich aus Celle und hatte früher einen Freund in Hannover und war öfters hier. Und damals 1980 haben wir mit Mania D. als Vorgruppe von DAF gespielt. Aber das war der einzige Hannover-Gig für mich. Also endlich mal wieder Hannover.
MD: Wenn nicht mit Gut und Irmler mit welchem Projekt wärst du sonst gern zu den theaterformen gekommen?
GG: Mit der Monika Werkstatt unserem neuesten Projekt. Dort arbeiten wir mir mit vier bis fünf Künstlerinnen aus dem Monika/Moabit-Umfeld zusammen. Wir spielen Stücke von unserem Solo-Programm aber erarbeiten auch gemeinsam neue Ideen. Solo würde ich natürlich auch gern in Hannover spielen, aber das hat sich noch nicht ergeben. Meine Gage ist wahrscheinlich zu hoch. Lacht.
MD: Was war das letzte Theaterstück, das du mit Begeisterung gesehen hast?
GG: Oh, was von René Pollesch, das finde ich ganz gut. Obwohl ich nicht so oft ins Theater gehe. Eine Freundin von mir arbeitet bei der Volksbühne, die mich immer zu Stücken einlädt. Nur leider habe ich zu selten Zeit dafür. Dabei finde ich es spannend, wie das Theater eine Kunstform ist, bei der mehrere Künstlerinnen so intensiv für einen begrenzten Zeitraum zusammenarbeiten, wo Musik, Bild und Sprache aufeinandertreffen. Und wenn schließlich die ganzen Parts stehen und die Dekoration aufgebaut wurde ist schon wieder alles vorbei. Theater hat da etwas unheimlich Flüchtiges.
MD: Hast du jemals gefunden, wonach du als Künstlerin suchst?
GG: Immer mal wieder. Das sind dann Stücke, die ich heute noch gut finde. Zum Beispiel Garten. Da finde ich den Text klasse und ich wusste schon als ich ihn geschrieben habe, dass er genau passt, dass ich den richtigen Twist gefunden habe.
MD: Welche Bedeutung hat für dich der Wechsel zwischen Solo-Projekten und Kollaborationen?
GG: Das ist für mich ganz wichtig. Ich will nicht sagen, dass Soloprojekte egomanisch sind, aber es ist schon sehr demanding an einen selbst. Bei Kollaborationen gibt es ein Feedback, da passiert mehr. Man wird immer wieder gekickt und bekommt Inspirationen. So war es auch mit Joachim Irmler. Bei meiner Arbeitsweise werkele ich eher lange an Stücken und versuche sie wirklich fertig zu machen. Joachim dagegen ist da ganz der freie Improvisator.
MD: Der Titel eures nächsten Albums soll „10 Prozent“ oder „90 Prozent“ lauten. Damit spielt ihr auf den Umstand an, dass 10 Prozent der Weltbevölkerung 90 Prozent des Weltvermögens besitzen. Wie kam es zu dem Titel?
GG: Nur weil der Kommunismus tot ist, heißt das nicht, dass wir diese Ungleichheit hinnehmen müssen, da hab ich einen kurzen Text für einen Track geschrieben. Ursprünglich sind auf dem Album viele Stücke rein instrumentell. Aber da habe ich gedacht, „jetzt reicht’s“.
MD: Dabei würdest du dich selber nur ungern als politische Künstlerin bezeichnen.
GG: Ich finde, dass politische Kunst gerade im Kontext der Musik etwas besetzt ist. Das geht dann schnell in Richtung Singer-Songwriter, wo die Texte gleich weltverbesserisch werden und sagen: „Du musst jetzt auf die Straße gehen“. Natürlich kann man mit guten Texten eine politische Message bringen, doch Musik hat so viel mehr zu bieten. Sie kann dem Publikum einen Anreiz geben, weiterzudenken oder einfach nur eine Energie geben. Sie hat eine emotionale Stärke, wie kaum eine andere Kunst.
MD: Wie schätzt du gegenwärtig die Situation für Frauen in der Musikindustrie ein?
GG: Im Augenblick liegt die Frauenquote in der Musikindustrie bei ungefähr zehn Prozent. Das ist ein Ungleichgewicht, was ich nicht akzeptieren kann.
MD: Gegen diesen Missstand hast du immer wieder angekämpft. Hast du das Gefühl, dass deine Bemühungen in dieser Richtung etwas bewirkt haben?
GG: Ich bin ja nicht die Einzige, die sich unwohl fühlt. Wenn sie jung sind, denken viele Künstlerinnen in der Musikszene noch, dass alles okay sei. Dann merken sie, dass eben gar nichts okay ist. Wenn du dir die Line-ups von Festivals anschaust, siehst du nur Männer. Inzwischen ist das etwas besser geworden, weil vielmehr pressure zu spüren ist. Die Transmediale zum Beispiel hat letztes Jahr die 50-Prozent-Quote eingeführt. Das hat einen großen Unterschied gemacht, es war plötzlich ein anderes Feeling – auch beim Publikum.
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“Just because communism is dead…” Interview with Gudrun Gut (GUT UND IRMLER)
_Gudrun Gut, a musician, DJane and artist born in Celle in 1957, is considered an institution of the Berlin music scene and is fed up of only being asked about her time in the famous German industrial band, Einstürzende Neubauten. Since the ‘80s, she has continually reinvented herself, whether that be with her label Monika Enterprise, which celebrates its twentieth anniversary this year, or with her project Gut und Irmler, a cooperation with the organist player from the band Faust, Hans-Joachim Irmler. _
A conversation about women in the music business, political art and her old love for Hannover.
Marvin Dreiwes: Hand on your heart, had you heard of Hannover before the Expo 2000?
Gudrun Gut: Laughs. Actually I DJed at the Expo back then. I originally come from Celle and I used to have a boyfriend who lived in Hannover, so I was here quite a lot. And back in 1980, we played as support to DAF with my band Mania D. But that was the only Hannover gig I played. So I’m finally back in Hannover.
MD: If you hadn’t come with Gut und Irmler, which project would you have liked to come to Theaterformen with?
GG: With the Monika Werkstatt, our latest project. We work with four or five women artists from the Monika/Moabit circle there. We play pieces from our solo repertoire, but work on new ideas together too. Of course, I’d love to play solo in Hannover, but it hasn’t happened yet. I’m probably too expensive. Laughs.
MD: What was the last play you saw that you really liked?
GG: Oh, something by René Pollesch, I think he’s really good. Although I don’t go to the theatre that often. A friend of mine works at the Volksbühne, she’s always inviting me to shows. Unfortunately, I rarely have time to go. Even though I think it’s so interesting how theatre works as an art form, where so many artists work together so intensely for a certain period of time. And then in the end when all the parts are finished and the set is built, it’s all over. Theatre has something unbelievably fleeting about it.
MD: Have you ever found what you were looking for as an artist?
GG: Now and again. They’re the pieces that I still think are good today. Like Garten. I think the lyrics are great and when I wrote it I already knew that it fit perfectly, that I’d found the right twist.
MD: How important is it for you to switch between solo projects and collaborations?
GG: It’s very important for me. I don’t want to say that solo projects are egomaniacal, but they are very demanding on you. In collaborations, you get feedback, more happens. You keep getting pushed and you get inspiration. That’s how it was with Joachim Irmler too. The way I work is that I tend to tinker away quite a long time at pieces and really try to finish them properly. Unlike me, Joachim is very much a free improviser.
MD: The title of your next album is supposed to be “10 Prozent” (ten percent) or “90 Prozent” (ninety percent). This is a reference to the fact that ten percent of the world’s population owns 90 percent of global wealth. How did you come up with the title?
GG: Just because communism is dead, it doesn’t mean we just have to accept inequality, so I wrote some lyrics for a track. Originally, many of the songs on the album were purely instrumental. But then I thought, “It’s enough.”
MD: Even though you don’t like to describe yourself as a political artist.
GG: I think that political art, especially in the music scene, is a bit overdone. It can quickly go in the direction of singer-songwriters, where the lyrics are all bleeding-heart idealism and say: “You have to go out onto the streets now.” Of course, with good lyrics you can deliver a political message, but music has so much more to offer. It can inspire the public to think differently or just give them a kind of energy. It has an emotional strength that almost no other art form has.
MD: What do you think of the situation for women in the music industry today?
GG: At the moment, the quota of women in the music industry is around ten percent. That’s a level of inequality I can’t accept.
MD: You’ve fought against this terrible situation again and again. Do you feel like your efforts have made any difference?
GG: Well, I’m not the only who feels this is wrong. When they’re young, lots of women artists in the music scene still think everything’s fine. Then they realise that nothing is actually fine. If you look at the line-ups of festivals, you only see men. It’s gotten a bit better by now, because there’s a lot more pressure. _Transmediale _festival, for example, introduced a 50 percent quota last year. That made a big difference, there was suddenly a different feeling – with the public too.
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Text/Interview: Marvin Dreiwes Foto: Kamaldeep Übersetzung: Bochert Translations (Anna Galt)
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