Tumgik
#kanadische Pfannkuchen
mtzsch · 7 years
Text
Vom Rock perlt alles ab
Eine Retroperspektive
Als ich vierzehn war oder sowas hab ich zu meinen Eltern gesagt, dass ich mal in einer Band und so gut Gitarre spielen können will, wie Brad Delson und bei Rock am Ring auftreten. Nun ist es der Sommer 2016, ich bin 27, gerade im Bus aufgewacht und versuche mich zu orientieren. Wir spielen heute Rock im Park und scheinen, auch der Kurverei nach zu urteilen, an die ich mich dunkel erinnere, irgendwo anders geparkt zu haben als alle anderen. Wir stehen vor einer großen, etwas schäbig wirkenden Arena und es regnet. Ich werfe mir etwas über und mache mich auf die Suche nach Kaffee, einer Dusche und Menschen.
Ich finde alles innerhalb der nächsten ein, zwei Stunden (und auch ein Frühstück zum Kaffee) und bin etwas verwundert darüber, dass alles gar nicht so krass (im Sinne von groß, übertrieben, “major” oder so) ist, wie ich es mir vorgestellt hatte. Der Backstage ist in den Katakomben der hiesigen Eishockey-Mannschaft (wir treffen auch zwei kanadische Eishockey-Spieler. Einer hat keinen zweiten Schneidezahn mehr und wirkt gefährlich und besoffen. Er sagt, er sei zum saufen hier und zum Bands gucken und wir verraten ihm, wann wir spielen und wie wir heißen) und ich fühle mich erinnert an Schulsport und Volleyballturniere früher. Nur dass alle mega nett sind.
Die Begehung der Bühne ist unspektakulär. Sie ist nicht ganz so riesig, wie ich im Traum befürchtet hatte und ich werde mich darauf nicht verloren fühlen. Um ehrlich zu sein ist sie einfach ziemlich normal groß für ein großes Festival. Nicht, dass mich die Größe einer Bühne grundsätzlich interessieren würde, wenn ich mich umdrehen kann, ohne mit Phil zusammenzustoßen. Aber ich hatte im Traum immer mal wieder die Vorstellung, auf so einer 120m breiten Bühne zu stehen, und die Jungs durch den Nebel gar nicht mehr zu sehen. Die Band Trümmer macht gerade Soundcheck und ein wenig später sehen wir uns das Konzert an. Was für eine tolle Band. Ich freue mich über Zeilen und lache über beißende Witze und beschließe danach, nochmal schlafen zu gehen. Ich schlafe schlecht, aber zu lange, so dass ich kurz vor Linecheck in den Backstage Bereich stolpere und gerade noch schaffe, mir die Nägel zu lackieren. Gold wollte ich gerne tragen, jetzt, da wir reich und berühmt sind.
Es gibt einen vernünftig wirkenden weißen Rivaner mit Schraubverschluss in dem Pappkarton voller Eis, der auf einer großen Pfütze in der Mitte des Raums auf dem Teppichboden steht und ich schenke mir etwas ein, um beim rausgehen mit dem Hockeyspieler anstoßen zu können. Cheers Man, have a good show, yeah thanks, see you later, okay, bye.
Wir werden zur Bühne geshuttled. Das heißt wir setzen uns in einen Mutivan mit hessisch sprechendem Fahrer und warten nochmal fünf Minuten, bis alle da sind. Dann fahren wir eine Minute im piepsenden Auto (der Fahrer schnallt sich nicht an) und parken im Matsch neben der Bühne. Danke, Bitte, bis später. Auf der Bühne spielt irgendjemand sehr überflüssig klingende Schlagermusik und ein paar Leute singen auf eine der Situation sehr angemessenen Art mit. In der Mitte des Bühnenbilds steht ein Typ hinter einer Bar an einem nach Lichtpult aussehdem Gerät und es sind ein paar mehr Männer sehr unterschiedlichen Alters auf der Bühne, die tanzen und eine junge Frau. Es wird gerade irgendwas von Leben und Gläsern und Freunden gesungen und ich versuche mich ein bisschen aufzuwärmen. Man fragt mich, ob wir eine Anmoderation wollen und ich bejahe nach kurzer Überlegung und bitte um Erwähnung unserer in Kürze anstehenden Album-Veröffentlichung. Unser Backliner Dennis hat inzwischen die Bühne begehfertig gemacht und wir tröpfeln zum Line-Check. Aus meinem Verstärker kommt nichts raus, weswegen ich die ungefähr zehn Minuten Zeit, die wir dafür haben damit verbringe, mit ihm den Fehler zu finden. Wie immer ist es von gefühlt 30 das letzte überprüfte Kabel, diesmal in Form einer nicht ganz drin steckenden Dreier-Schuko-Dose. Ich spiele und singe noch kurz für unseren Mischer Jonas, ordere etwas Kick und Snare auf meinen Monitor und stolpere dann zurück, halb der Anmoderatorin in die Arme. Grüß Gott. Als unser Intro abgelaufen ist und wir zurück auf die Bühne gehen stehen echt viele Leute auf dem Platz. Die sind sehr gut gelaunt und, wie man mir später sagt, ca. 4000. Dann geht alles relativ zügig und ein paar Augenblicke später spielen wir unseren letzten Song. Danke Rock im Park. Ok. Ciao.
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(So sieht das dann aus von oben. whaaaaa....... Foto: Viktor Schanz)
Recht viele Leute warten am Rand der Bühne um uns zu unserem großartigen Auftritt zu beglückwünschen und ich bin nicht bei allen sicher, ob und woher ich sie kenne. Der Stagemanager, der sich als “der Doktor” vorstellt sagt mir, wir sollen bitte wiederkommen. Ich verspreche ihm das und freue mich über seine Begeisterung. Das Hessen-Shuttle wartet bereits am Fuß der Bühnentreppe, wir verabschieden uns beim Personal und der Hüterin der Treppe und fahren zurück zum Backstage.
Im Backstage ist alles voller Polizei, was sich zwar als Normalzustand (die haben direkt neben unserer Gaderobe eine riesige Halle, wo die an so Bierbänken sitzen und Kaffee trinken) herausstellt uns aber deswegen nicht weniger verunsichert. Normalerweise sind die Backstagebereiche der meisten Festivals sowas wie eingenommenes Land, in dem die besonderen Regeln der jeweiligen Besatzungsmacht gelten (meist: Alles ist erlaubt, solange die 30cm Sicherheitsabstand zu PolozistInnen eingehalten werden und sich Niemand übergeben muss). Wir überlegen fortan immer doppelt, ob wir aus Versehen im Begriff sind, etwas illegales zu tun oder zu sagen und gehen zum rumlungern lieber in den Bus, als in den Backstage. Marius und ich gehen duschen und Marius hat dieses geile Duschgel, in dem 40 Limetten drin sind. Nach selbigen duftend ziehe ich mir kurze Zeit später etwas trockenes an, um essen zu gehen. Festivalcatering ist meistens ziemlich abgefahren. Vor allem im Hinblick darauf, dass ein paar hundert Meter weiter Leute Geld dafür bezahlen, im Schlamm zu liegen und Dosenravioli mit den Zähnen zu öffnen fühlt es sich absurd an, dass da jemand an einer Pfanne steht und Lachs in Parmesan Kruste und Pfannkuchen zum Nachtisch brät. Ich entscheide mich, wie meistens, für ein bisschen von allem und gebe mein Dinner Märkchen ab. Im Wissen darum, dass wir erst um 2.00 losfahren werden und das noch 7 Stunden dauert frage ich, ob ich mit meinem unbenutzten Lunch-Märkchen später nochmal kommen könne, um einen kleinen Snack zu bekommen. Das ginge nicht, aber wir können jetzt etwas eintuppern. Ich entscheide mich für alle Pfannkuchen.
Nach ein bisschen herumgelaufe und Leute getreffe stehen wir kurz bei Bring Me The Horizon, deren Auftritt mich ziemlich ankotzt in seiner Lieblosigkeit. Während des Auftritts beobachte ich drei sehr besoffen wirkende Typen dabei, wie sie bei der Eisverkäuferin ein Eis kaufen und sie zum Abschied für einen Wangenkuss zu sich herüberzerren. Ich frage sie, wie oft ihr sowas am Tag passiere und sie sagt ca. zehn mal sei völlig normal. Ein paar Leute wollen Fotos mit uns machen. Viele sprechen während der gesamten Prozedur keinen einzigen zusammenhängenden Satz oder sagen gar nichts außer “Foto”. Ich denke währenddessen darüber nach, woran man sich damit dann eigentlich erinnern will und was Vilém Flusser über Techno-Bilder geschrieben hat.
Es passieren noch ein paar Dinge, die zu erzählen sich nach Wiederholung anfühlen würde und irgendwann sitze ich im hintersten Eck des Bereichs um die Zeppelin Bühne und sehe mir mit unserem Mischer Jonas und unserem neuen Lichtmann Jan Korn an, deren Wut mich durch die blödesten meiner Jahre als Teenager gerettet hat. Zuerst finde ich es mäßig und fürchte nach Bring Me The Horizon eine weitere Enttäuschung. Aber wir müssen wohl zufällig zum Beginn der Show gekommen sein und der Sound bessert sich schnell. Was Korn da machen ist ziemlich gut. Sie spielen in Originalbesetzung und prügeln einfach einen Hit nach dem nächsten runter. Kein Schnickschnack, keine Backing Tracks, kein Geholpere, keine aufgeblasene Show. Ich kaufe denen das voll ab und fühle mich erinnert an die Zeit, als ich zum ersten Mal deren krude Musik hörte und sowas dachte wie “whaaaaaaaaaaaaa?". Ich sage, wie gern ich Korn 1994 mit 17 Jahren in irgend einem Kellerloch in L.A. mal gesehen hätte und renne irgendwann mit Jonas noch für ein paar Songs nach vorne.
Auf dem Rückweg laufen wir an einer Frau vorbei, die weinend auf dem Boden vor zwei besorgt dren blickenden Sanitätern sitzt, die auf sie einreden. Ich frage mich, was passiert ist und will Jonas auf die Szene aufmerksam machen, aber Ozzy’s Stimme schallt zu laut aus den Boxen des DJ’s, der die Hits des RiP Lineups so laut pumpt, dass Jonas mich nicht hören kann. Auch, weil Jonas wahnsinnig schnell läuft und ich hinterherhechte. Ich frage mich, warum der das macht. Also der DJ. Dass man beim Bühne wechseln nicht vergisst, warum man eigentlich hier ist? Zum saufen und zum rocken nämlich! Der soll mal was von Trümmer spielen oder von uns. Ozzy kennt doch schon jeder.
Wir erinnern uns an das Rocken und Saufen und machen uns auf zur “Talent Lounge”. Das nächste Level. Wir tragen nämlich mittlerweile ein weißes Armband, mit dem wir kostenlose Longdrinks bekommen. Ich summe leise “Baby, willst du mit mir Zeltplatz gehn? Willst du die Zelte sehn? Willst du ein Zelt for free, Baby?” und erinnere mich, dass ich Dany von Schmutzki noch schreiben wollte, weil er mit mir Sabbath angucken wollte. Aber mittlerweile ist das mobile Internet schon zu überlastet und ich will Sabbath vielleicht gar nicht gucken.
Wir schreiten durch ein großes Tor an einen Strand in der Mitte des Parkplatzes, auf dem unser (mittlerweile umgeparkter) Bus heute morgen noch stand. Dort gibt es drei Bars, die sich nur durch die Art des jeweils angebotenen Rauschs unterscheiden. Die Kategorien: Bier und Softdrinks, Cuba Libre und Vodka Bull. Später erzählt noch jemand was von Moscow Mule, aber den habe ich übersehen. Der Cuba Libre ist das zweite alkoholische Getränk an diesem Tag und ist, wie das bei kostenlosen Longdrinks immer so ist, viel zu stark. Ich überlege, zu reklamieren aber finde es irgendwie, wie immer, unverschämt, mich wegen zu viel Schnaps zu beschweren. Vermutlich machen die das deswegen auch einfach immer. Weil niemand ihnen mal sagt, dass es bescheuert ist, so ein Mischverhältnis zu machen. Warum denn? Wenn ich nur Rum haben wollte würde ich doch einfach Rum bestellen. Und wenn ich eh nix bezahle ist es doch auch egal, wie viele ich davon trinke und man kann die Getränke einfach lecker machen. Ein ähnliches Phänomen, wie diese 1-l-Cocktail-Eimer auf Abifahrt. Wobei die meistens zu süß waren. Ich versteh nicht, was so verkehrt an einem 0,4 Glas mit viel Eis, einer Zitrone und einem gut gemixten Longdrink ist, der ein wenig betrunken macht, nachdem ich mich aber an das anschließende Gespräch mit der geschlossenen Band “Milliarden” erinnern könnte - bei dem es unter anderem um meine Rückreise von Rock am Ring am Sonntag gegangen sein muss. Was für ein komisches Rauschgift, dieser Alkohol. Ich gehe zum umgeparkten Bus und lasse mir einen Vaporizer erklären, für dessen Benutzung man sich mit einem Knopf und auf blinkende Lichter blickend durch 5 verschiedene Temperaturstufen klicken kann und kein Feuerzeug mehr braucht. Jan und ich sprechen über Youtuber und die Notwendigkeit einer Kultivierung des Internets und irgendwann will Luci zu Biffy Clyro. Ich sage zuerst, dass ich keine Lust habe und komme dann doch einfach mit. Ich hatte Biffy Clyro auf dem Schirm und immer mal wieder einen Song gehört. Fand ich gut. Aber was die da abgezogen haben hat mich völlig umgehauen. So eine gute Band, die so vehement vorträgt und sich für nichts zu schade ist. Der Platz ist mittlerweile gerammelt voll und jemand sagte, das seien dann so 40.000 Leute. Wir freuen uns, dass so viele Leute Lust auf die doch an vielen Stellen sehr harte und komplexe Musik der Schotten haben. Die Visuals verstehe ich nicht (die sehen so ein bisschen nach frühen Pro7 Galileo Animationen aus), aber das Licht bläst mich völlig um. Ich frage mich, worüber gesungen wird und beschließe, zuhause nachzulesen. Rawk.
2.00 ist Bus Call und kurz vorher liege ich bereits im Bett und schlafe friedlich, nachdem ich noch einige Pfannkuchen gegessen habe. In dieser Nacht fahren wir zu Jan Kerscher in die Ghost City Studios. Er hat uns angeboten, den Samstag bei ihm zu verbringen, wenn wir vom Park zum Ring fahren weil es bei RaR keinen Parkplatz mehr für unseren Bus gibt. Na gut!
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