#heteronormativitätskritik
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shape · 1 year ago
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>> [...] Diese Vorstellung einer in die gesamte Gesellschaft diffundierenden Gewalt und die Vorbehalte gegenüber dem Staat als Garanten der Freiheitsrechte lassen sich als invertierter Liberalismus charakterisieren. Besteht die Schwäche des klassischen Liberalismus in dessen Unfähigkeit, sich einen Begriff von der Widersprüchlichkeit bürgerlicher Staatlichkeit zu machen und den Staat lediglich als Mittel zur Sicherstellung ökonomischer „Rahmenbedingungen“ anzusehen, so wird der Staat bei Butler unsichtbar gemacht, indem er überall und nirgends ist. Indem seine Bedeutung für die Geschichte bürgerlicher Freiheit verleugnet wird, mutieren die Individuen zu postmodernen Guerilla-Kämpfern.
Schon „Das Unbehagen der Geschlechter“ war charakterisiert durch die Ignoranz gegenüber dem Fortschritt, den etwa das aktive und passive Wahlrecht oder das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in der Geschichte der Frauenemanzipation bedeuteten. Dass all diese Fortschritte Evidenz dafür bieten, dem bürgerlichen Staat eine positive Rolle in der Geschichte der Emanzipation der Geschlechter zuzubilligen – das passt Butler weder theoretisch noch ideologisch in den Kram.
Im „Unbehagen der Geschlechter“ kritisiert Butler Hélène Cixous, Luce Irigaray und Julia Kristeva, weil diese immer noch eine psychosexuell begründete weibliche Essenz voraussetzten. Butlers Position ist demgegenüber brutal nominalistisch: Da für sie die Zweigeschlechtlichkeit diskursiv konstruiert ist, wendet sie sich gegen jeglichen Feminismus, der eine Interessengemeinsamkeit von Frauen unterstellt.
Ein bürgerlicher Liberaler würde darauf vielleicht antworten: Wenn man von den konstruktivistischen Fehlschlüssen dieser Position absieht – könnte sie dann nicht ein Indiz dafür sein, dass sich die Anliegen der Frauenbewegung in den westlichen Staaten inzwischen tatsächlich weitgehend erledigt haben? Nicht, weil dort jedermann frei wäre, sondern weil das Eintreten für individuelle und gesellschaftliche Freiheit an die Einzelnen übergegangen ist, die sich für das, was sie mit ihrem Leben machen, nur vor sich selbst verantworten müssen.
Jeder Normalo ein Guerilla-Krieger
Weil Butler diese Schlussfolgerung zu unspektakulär wäre, verwandeln sich ihr die banalsten Lebensvollzüge in Anerkennungskämpfe, und jeder Normalo ist ein performativer Guerilla-Krieger. Dies führt zurück zu der Frage, weshalb für sie das Bekenntnis zur „jüdischen Identität“ vereinbar ist mit der Verteidigung palästinensischer Antisemiten. Wie die zahllosen Geschlechteridentitäten, die Butler gegen die Tyrannei des Essenzialismus ins Feld führt, bringt auch diese „Identität“ die Wut über den Verlust der verlorenen Substanz zum Ausdruck: Wut darüber, dass Israel ein imperfekter bürgerlicher Staat und nicht die Staat gewordene Dekonstruktion ist.
So wie sich in Butlers Heteronormativitätskritik die Verachtung dafür niederschlägt, dass die Frau in der bürgerlichen Gesellschaft buchstäblich gleich-gültig, nämlich statt „subaltern“ ein normales, fehlbares, profanes Lebewesen ist, so bricht sich in Butlers „Dekonstruktion“ israelischer Staatlichkeit die Frustration darüber Bahn, dass Israel tut, was jeder bürgerlicher Staat in seiner Lage täte: sich gegen eine eliminatorische Bedrohung unter Einsatz nötiger Gewaltmittel zur Wehr setzen.
Butler und viele, die ihr nachsprechen, sehen in dieser Selbstverständlichkeit einen Hochverrat: Wie kann Israel sich wehrhaft zeigen, wo es doch zum Schutz von Wehrlosen gegründet wurde? Israel indes hat keine Wahl. Auch die Frauen, die das Wahlrecht nicht nur für sich, sondern für alle, mit denen sie nichts als das Geschlecht gemein hatten, erkämpften, hatten keine Wahl, sondern wollten eine haben, weil sie wussten, dass jeder Mensch nur dieses eine Leben hat.
An Butlers Werdegang lässt sich sehen, welchen geistigen Preis man zahlt, wenn man diese Evidenz verleugnet. <<
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xonethousandcriesx · 6 years ago
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Donnerstag / 14. Juni 2018 / 19.00 Uhr / Leiden und Gesellschaft – Psychoanalyse in der Gesellschaftskritik der Frankfurter Schule
Studentisch selbstverwalteter Raum / Adam-Kuckhoff-Str. 34a / Steintor-Campus / Universität Halle
Vortrag und Diskussion mit Frank Schumann (Berlin)
Jede Gesellschaftskritik stellt wenigstens implizit die These auf, dass Menschen in irgendeiner Weise unter den kritisierten Bedingungen leiden. Das hat zwei naheliegende Gründe. Denn nur wenn die kritisierten Bedingungen für die betroffenen Menschen selbst in irgendeiner (auch unbewussten) Weise mit Leid verbunden sind, sind Kritik und Veränderung notwendig. Und möglicherweise lässt sich in den gesellschaftstypischen Mustern des Leidens auch ein Indiz dafür entnehmen, in welche Richtung eine Veränderung zu gehen habe. Gesellschaftskritik kann sich also mit dem Verweis auf gesellschaftstypische Leidenserfahrungen erstens selbst als Kritik legitimieren und zweitens zugleich ihre inhaltlichen Aussagen und Forderungen rechtfertigen.
Aber auch wenn es für eine Kritik notwendig ist, im Leiden der Menschen ein Stück Gesellschaft zu rekonstruieren, ist das Verhältnis von Leiden und Gesellschaft alles andere als leicht zu bestimmen. Leidphänomene, wie etwa psychische Symptome, sind etwas, das in die konkrete Biografie eingebunden ist und das in seiner Dynamik nur vor dem individuellen Lebenshorizont verstanden werden kann. Dagegen ist eine Gesellschaftstheorie und -kritik notwendig abstrakt und läuft daher Gefahr, über diese Eigendynamik hinwegzugleiten. Der Vortrag nähert sich dem Problem vor dem Hintergrund der Gesellschaftskritik der Frankfurter Schule und versucht dabei nachzuzeichnen, wie das Verhältnis zwischen Leiden und Gesellschaft von den jeweiligen Theoretikern gefasst wurde – und welche unklaren Punkte und offene Fragen dabei geblieben sind.
Frank Schumann promovierte in Jena bei Hartmut Rosa und ist Postdoc an der International Psychoanalytic University in Berlin. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Sozial- und Gesellschaftstheorie, Sozialphilosophie, psychoanalytischen Subjekttheorie und der sozialpsychologischen Einstellungsforschung. Veröffentlichung: Leiden und Gesellschaft. Psychoanalyse in der Gesellschaftskritik der Frankfurter Schule (Transcipt 2018).
Freitag / 22. Juni 2018 / 19.00 Uhr / Make Love, Don’t Gender! Möglichkeiten und Grenzen von Heteronormativitätskritik in cis-/heterosexuellen Paarbeziehungen
Hörsaal I / Adam-Kuckhoff-Str. 34a / Steintor-Campus / Universität Halle
Vortrag und Diskussion mit Ann-Madeleine Tietge (Bremen)
Basierend auf den Ergebnissen ihrer Dissertation wird Ann-Madeleine Tietge zeigen, dass der heteronormativitätskritische Versuch, Geschlecht in einer cis/heterosexuellen Liebesbeziehung zu dekonstruieren, nicht unbedingt an den Vorstellungen „dominanter Macker“ und „abhängige Hausfrau“ scheitert. Vielmehr re-inszeniert sich hier eine Mutter-Sohn-Konstellation zwischen Partnerin und Partner, was die Referentin auf dem Hintergrund psychoanalytischer Sozialpsychologie und konstruktivistischer Geschlechtertheorie deutet. Die männlich sozialisierten Partner geraten häufig in eine kindliche/adoleszente Position, welche von undifferenzierten Fernweh- und Autonomiestrebungen und übermäßigen Selbstverwirklichungstendenzen gekennzeichnet ist. Ihre Partnerinnen, welche sich meist mehr Verantwortungsübernahme ihrer Partner wünschen, reagieren auf diese Position mit mütterlichen Erziehungsversuchen, welche jedoch die Kindlichkeit ihrer Partner zu zementieren scheint.
Tietge plädiert für eine neue Schwerpunktsetzung in der feministischen Kritik des Privaten. Eine „Reduzierung“ des Maskulinen hin zur Figur des „kleinen Jungen“ kann genauso wenig wie eine rein ästhetische Femininisierung ausreichen, um Geschlecht (und damit Machtverhältnisse) in Beziehungen zu destabilisieren. Stattdessen gilt es für Cis-Männer, mütterlich konnotierte Sozialisationsaspekte zu übernehmen, also Femininisierung auch auf Ebene der emotionalen Fürsorge zu erreichen.
Ann-Madeleine Tietge hat Psychologie an der Universität Bremen und der Universitat de València studiert. Ihre kürzlich abgeschlossene Promotion an der Leibniz Universität Hannover untersucht die unbewusste Reproduktion von Männlichkeit in heterosexuellen Paarbeziehungen. Schwerpunkte ihrer Arbeit und Forschung umfassen psychoanalytische Sozialpsychologie, Geschlechterforschung/Queer Theory und qualitative Methoden (insbesondere Lorenzers Tiefenhermeneutik). Zur Zeit arbeitet sie in einer Beratungsstelle gegen sexualisierte Gewalt und befindet sich in Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin (DGPT) am Psychoanalytischen Institut Bremen e.V. Aktuelle Veröffentlichung: Tietge, A.-M. (2018). The Mamis and the Puppies – Möglichkeiten und Grenzen von Heteronormativitätskritik in heterosexuell definierten Paarbeziehungen. In Ch. Busch, B. Dobben, M. Rudel und T.D. Uhlig (Hrsg.). Der Riss durchs Geschlecht. Feministische Beiträge zur Psychoanalyse. Gießen: Psychosozial.
Dienstag / 3. Juli 2018 / 19.00 Uhr / Machtlust. Psychoanalyse und Kapitalismuskritik
Studentisch selbstverwalteter Raum / Adam-Kuckhoff-Str. 34a / Steintor-Campus / Universität Halle
Vortrag und Diskussion mit Samo Tomšič (Berlin)
Wenn eine gesellschaftskritische Ausrichtung die Psychoanalyse kennzeichnet, dann ist es die Aufdeckung dessen, was Freud das »Unbehagen in der Kultur« nannte. Damit direkt verbunden ist die Aufdeckung der libidinösen Ausbeutung bzw. der libidinösen Verankerung der Machtverhältnisse. Diese Einsichten Freuds wurden einerseits von der Kritischen Theorie aufgegriffen und fanden andererseits in Jacques Lacans »Rückkehr zu Freud« wichtige psychoanalytische Weiterentwicklungen. Ausgehend von der Lustproblematik wird sich der Vortrag der andauernden Aktualität der freudo-lacanschen Psychoanalyse widmen. Wieso braucht die Kritik der politischen Ökonomie psychoanalytische Grundbegriffe (Trieb, Unbewusstes, Übertragung)? Wie mischt sich Lust überhaupt in die Reproduktion der kapitalistischen Machtverhältnisse ein? Und schließlich: Was kann uns die Psychoanalyse über den Aufstieg des sogenannten Neopopulismus sagen?
Samo Tomšič promovierte in Philosophie an der Universität Ljubljana, Slowenien, und ist seit 2011 an der Humboldt Universität zu Berlin tätig. Seine Forschungsbereiche umfassen französische Philosophie, deutschen Idealismus, Epistemologie, Psychoanalyse und Sprachphilosophie. Letzte Veröffentlichungen: The Capitalist Unconscious. Marx and Lacan (Verso, 2015) und Psychoanalysis: Topological Perspectives (Hg. mit Michael Friedman, Transcript, 2016).
Sonnabend / 7. Juli 2018 / Workshop: Psychoanalyse und Gesellschaftskritik
10 – 17 Uhr / Studierendenrat der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg / Universitätsplatz 7 / Halle (Saale)
Die kritische Theorie sprach sich immer für eine psychoanalytische Erweiterung der Marxschen Gesellschaftskritik aus. Anders sei es nicht zu verstehen, dass die Menschen sich selbst und Anderen weiter eine Unterdrückung aufzwingen, die beim heutigen Stand der Produktivkräfte nicht mehr notwendig wäre, statt in Opposition zur bestehenden Gesellschaft vernünftig ihre Bedürfnisse zu vertreten. Dieser Irrationalität spürt die Psychoanalyse nach. Obwohl die Psychoanalyse folglich ein zentraler Bestandteil der Frankfurter Gesellschaftskritik ist, sieht Adorno auch einen objektiven Grund für die disziplinäre Trennung zwischen Soziologie und Psychologie. Dieser liege darin, dass die gesamtgesellschaftlichen Prozesse und die beteiligten Einzelnen soweit von einander entfremdet seien, dass sie sich nicht mit den gleichen Begriffen beschreiben ließen. Die theoretische Vereinheitlichung der beiden Disziplinen unterstelle somit einen Zustand schon als gegeben, der sich nur als Utopie formulieren ließe. In welcher Interaktion die Individualpsyche und Gesellschaft trotz ihrer Eigenständigkeit stehen und wie sich die psychoanalytische und gesellschaftskritische Perspektive ergänzen und auch widersprechen, wollen wir anhand der gemeinsamen Lektüre des Textes ‚Zum Verhältnis von Soziologie und Psychologie‘ von Adorno mit euch diskutieren.
Wir bitten um Anmeldung unter gruppe.aufgetaucht (at) web.de.
Sonnabend / 14. Juli 2018 / Workshop: Kritik der psychoanalytischen Praxis
10 – 15 Uhr | Studierendenrat der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg | Universitätsplatz 7 | Halle (Saale)
Nachdem wir uns in unserem ersten Workshop mit dem Verhältnis von Psychoanalyse und Gesellschaftskritik – konkret mit dem Verhältnis von Soziologie und Psychologie bei Adorno beschäftigt haben und der Frage nachgegangen sind, wie sich beide notwendigerweise ergänzen (sollten) und doch klar von einander zu trennen sind, wollen wir uns im zweiten Workshop eingehender mit Adornos Kritik an der psychoanalytischen Praxis auseinander setzen. Was wir heute eigentlich an der Verhaltenstherapie kritisieren, der Psychoanalyse aber gerade absprechen würden – die Anpassung an die Verhältnisse – sah Adorno auch in der Anwendung der Psychoanalyse bestätigt. Psychotherapie negiere die gesellschaftliche Objektivität am Leiden der Einzelnen, Kritik werde psychologisiert, Psychotherapie sei „objektiv unwahr“: „Indem der Geheilte dem irren Ganzen sich anähnelt, wird er erst recht krank, ohne daß doch der, dem die Heilkur mißlingt, darum gesünder wäre.“ (S. 57). Mit und ohne Psychotherapie geht es den Leuten also schlecht. Eine vermeintlich gesunde, ��gut integrierte Persönlichkeit“ mute dem Individuum eine „Balance der Kräfte“ zu, die real nicht existiere. „Man lehrt den Einzelnen die objektiven Konflikte vergessen, die in jedem notwendig sich wiederholen, anstatt ihm zu helfen“ (S. 65). Wie die These Freuds „Wo Es war, soll Ich werden.“ unterschiedlich verstanden werden kann und ob sie – wie Adorno suggeriert – lediglich auf eine falsche Befriedung mit den Verhältnissen hinaus läuft oder doch gerade den Einzelnen erst in die Lage versetzt, die Quelle seines Leidens zu erkennen und sich dazu zu verhalten, wollen wir uns an Hand des zweiten Teils (ab S. 60) des selben Aufsatzes durch gemeinsame Lektüre und Diskussion erarbeiten.
Wir bitten um Anmeldung unter gruppe.aufgetaucht (at) web.de.
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