#Tragik der fremden Tracht
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Lateranverträge
Nicht erst auf Tafel 79, schon auf Tafel 78 protokolliert Aby Warburg die Lateranverträge als ob sie Verfahren seien, die mit (Ein-)Verleibung, Verzehren, mit Tragen und Trachten zu tun haben. Der Vertrag ist das Produkt eines Vertragens, das in dem Sinne nicht Aushandlung zwei korrespondierender Willenserklärungen, nicht Vereinbarung ist. Das ist eine graphische Praxis, die Distanz schafft.
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Von Trachten und vom Trachten und Tragen
1.
Es gehört zu den typischen Warburgismen, Verbindungen da herzustellen, wo andere das nicht tun, und etwas zu unterscheiden, wo andere das nicht tun. Wenn das, was er macht, Wissenschaft ist, dann ist es dazu noch diagonale Praxis, denn was er macht, macht er wohl, um den Linien nachzugehen, die ihm wirklich wichtig sind. Die anderen können dann sagen, das sei irre, von mir aus auch irre witzig, es sei überraschend, idiosynkratisch, ein Witz oder weit hergeholt. Auf jeden Fall wird's zum diagonalen Wissen, einem schrägen oder transversalen Wissen.
Eine dieser Verbindungen ist diejenige zwischen Tracht, Tragen und Tragik. Man könnte sagen, dass trachten nichts mit Trachten zu tun habe, erst recht nicht die Tragik mit dem Tragen und beide wiederum nichts mit trachten und Trachten. Kann man alles sagen, muss man aber nicht. Warburg stellt da Verbindungen her. Warburg stellt zwischen den drei Wörtern und den drei Begriffen, also auch zwischen ihrem Äußersten und Innersten, solche Verbindungen her, die ganz gut verdeutlichen, was das Vage und die Polarität in den Routinen bei Warburg heißt. Es geht nicht in Unsicherheit, nicht in Ungewissenheit, nicht im Unbestimmten und nicht im Unsinn auf. Das Vage und das Polare sind Routinen oder Routen, in denen Verzehr und Verkehr laufen.
In zwei kleinen Notizen, auf Zetteln (also in von ihm weder signierten noch veröffentlichten, in dem Sinne auch nicht 'verfassten' Texten, sondern in verwaltenden Protokollen), die man dem Umkreis der Schreiben aus Kreuzlingen und dem Vortrag über das Schlangenritual zurechnet, schreibt Warburg über die "Tragödie der Verleibung" und die "Tragik der fremden Tracht".
Warburg legt dort schon in der Wortwahl eine Verbindung, die fernliegend sein kann, so an, dass sie auch naheliegen kann. Tragik erscheint in diesen Passagen nämlich auch als Kultur- und Körpertechnik, nämlich als Begriff für Vorgänge des Distanzschaffens', die etwas tragen und nach etwas trachten (das g weicht noch mit typisch warburgschem Sinn für vage Buchstaben und polare Zeichen zum ch auf; anders herum spitzt und verhärtet sich das ch zum g).
2.
Warburg wäre nicht Warburg, wenn er bei den einen, von mir aus äußersten oder äußerlichen, Verbindungen nicht andere, von mir aus noch innere, Verbindungen mitlaufen lassen würde. Er erklärt in den Texten, was Trägodie (ein Produkt der Tragik) mit dem Tragen, dem Trachten und den Trachten zu tun hat. Diese Erklärung gehört in das Umfeld seiner Überlegungen zur Verkörperung, er wählt dafür den besonderen Begriff der Verleibung.
Verleibung erklärt er zunächst abstrakt als einen Vorgang, der im Kontext des Distanzschaffens darin liege, dass der Mensch ein hantierendes Tier sei, dessen Betätigung im Verknüpfen und Trennen bestünde. Der Mensch macht sich und seine Umwelt haltbar, in dem er sich und das, was er braucht reproduziert. Und dies macht er nach Warburg durch Verknüpfung und Trennung. Dabei, so Warburg, verliere der Mensch auch sein Ich-Organgefühl, wenn die Hand ihm erlaube, reale Dinge an sich zu nehmen, in denen der nervöse Apparat fehle. Diese Dinge, man kann dazu wohl auch die Werkzeuge, Instrumente und Medien zählen, seien anorganisch und erweiterten "trotzdem" das Ich des Menschen "unorganisch". Der Mensch, so Warburg, steigere sich dann und seine Möglichkeiten, er schreibt, dass der Mensch sich "über seinen organischen Umfang heraussteigern würde."
Der Mensch trägt einen Hammer in der Hand, er trägt Kleidung: Das steigert seine Möglichkeiten, aber es 'herausteigert' den Menschen damit auch. Mit dem Tragen erhält er etwas, was ihm nicht zugehört und er gibt etwas ab, was er nicht los wird. Nur weil man einen Hammer hat, verschwinden ja nicht die Nägel. Nur weil man ein Schwert hat, verschwinden nicht die Gegner. Nur weil man einen Mantel hat, verschwinden nicht das Wetter, nicht die Blicke. Vielleicht ist sogar das Gegenteil der Fall.
Nicht nur, dass Warburg mit der Verbindung zwischen Tragik, Tragen und Tracht eine Verbindung zwischen Worten und Begriffen herstellt, die man äußerlich nennen kann (etwa, weil sie auch über Lokalitäten der deutschen Sprache und 'Akzidenzien' des Klangs laufen), und dass er auf einer anderen Linie eine innere Verbindung (etwa als sinnhafte oder (onto-)logische) Verbindung herstellt. Er spricht damit nicht nur in Äußerlichkeiten und in 'Innerlichkeiten'. Er spricht auch darüber.
3.
Warburg hat einen Begriff der Verleibung, vielleicht nicht nur einen. In diesen beiden Notizen taucht ein Begriff der Verleibung bestimmt auf. Man kann die Passagen als abstrakte und theoretische Passagen dem wissenschaftlichen Subjekt Warburg zurechnen, auch wenn er die Notizen nicht signiert hat.
Warburg gibt auch Beispiele. Das erste Beispiel für Verleibung, wie kann es anders sein, dreht sich um ein vages Polobjekt, und diesmal ist es der Apfel. Wenn Warburgs Theorie der Verleibung auch zu seinen Theorien der Polarität und des Vagen gehört, dann ist es schon sehr passend, dass das erste Beispiel einen Moment betrifft, in dem jemand (Adam) etwas (einen Apfel) verzehrt und etwas (ein Apfel) verzehrt wird. Die Theorie der Verleibung ist insoweit auch eine Theorie des Verzehrens. Durch den Apfel ist der Mensch ein verzehrendes Wesen, sein Wesen ist von Verzehr bestimmt. Das geht über in etwas anderes als das, was es ist. Als Warburg die Texte schreibt, ist der Begriff der Verleibung isoliert im Alltag wohl nicht gebräuchlich, aber als Einverleibung ist er auch im Alltag gebräuchlich.
Adam verzehrt den Apfel. Mit Adam's Apfel setzt Warburg Beispiel und Mythos ein. Der Apfel habe dem Adam "in sein Inneres einen Fremdkörper [...] von unberechnbarer Wirkung".
4.
Warburg kommt aus dem Wechselgeschäft. Wie sein Bruder Max, wie überhaupt alle seine vier Brüder (über die Schwestern gibt es typischerweise weniger Aussagen), steht Warburg mit einem Bein in einer nationalisierten Welt, deren Ideal auch die Aneignung, das Eigene in allen seinen Spielarten, ist.
Mit dem anderen Bein steht Warburg aber noch woanders. Was er Europa nennt und als ein eher ausfransendes und aufquillendes als ein einfach begrenztes Phänomen begreift (und einmal so schön Mittelmeerbecken nennt). Warburg ist ein Wechsler und Pendler, er übersteigt den Horizont des Nationalen so, wie denjenigen des Eigenen. Und, das scheint mir entscheidend, er 'untersteigt' diesen Horizont. Ihm ist da auch manchmal der Boden unter den Füßen weggezogen. Warburg kommt aus einer polarisierten und polarisierenden Welt, das nennt man vielleicht besser Kosmos, und er kommt aus einer vagen Kosmos. Das meint dann nicht nur einen ungewissen Kosmos, sondern auch einen gewagten oder wagenden Kosmos. Warburg scheint einen Sinn dafür zu haben, dass nichts auf der Welt von selbst mit etwas zu tun hat, und dass nichts auf der Welt von selbst mit nichts zu hat. Es ist so, als ob ein Mangel an Vertrauen an die eingerichteten und ausgeübten Verbindungen und Verblindlichkeiten das Gespür für Techniken stärken würde, die man in unhintergehbarem Relativismus und Perspektivismus braucht. Dass er routiniert im Umgang mit "magischen und mantischen" Techniken ist, das lässt sich kaum bestreiten.
5.
Warburgs Vorstellungen von Verleibung, von Verkehren und Verzehren, die lassen sich auf das Wissen vom Begehren beziehen. Man muss keinen Warburgschen 'Move' machen, um zu ahnen, dass dem Wörtchen vage und den Wörtern verkehren, verzehren und begehren passiert, wovon sie sprechen. Wenn dieser Wörter etwas bezeichnen, dann verzehren. verkehren begehren sie auch dasjenigen, was sie bezeichnen und sie werden im Vorgang der Bezeichnung auch verzehrt, verkehrt, verquert und begehrt. Die Wechsel kann man an den aufweichenden und aushärtenden, 'frivolen' Veränderungen zwischen den Buchstaben und den Lauten festmachen (also im Pendeln zwischen g, k, q und c; zwischen v,w,f,b und p; zwischen e und ue . Man kann es an den Signifikanten und Signifikaten beobachten. Man muss nicht so weit gehen, und darum gleich die Trennung dessen leugnen, was wie die Sprache oder als Sprache strukturiert ist. Aber man sollte schon so weit gehen, neben der Größe der Trennung auch ihre Kleinheit und neben dem Maß der Trennung auch die Maßlosigkeit einzukalkulieren.
6.
Die Verwandtschaft zwischen Verkehr, Verzehr und Begehren ist vage und polarisiert, sie besteht entweder über Routen oder in Routinen, die als Wellen verlaufen, die pendeln, kippen, schaukeln und schwingen und die nicht nur vom Fernliegenden ins Naheliegende reichen, sondern auch von der Ähnlichkeit ins Unähnliche.
7.
Ich würde noch einmal eine Passage aus der 1835 veröffentlichen Vorlesung über die Ästhetik von Hegel neben diese beiden Notizen von Warburg halten. Das ist die berühmte Passage über O, in dem Fall über die Wellen (les vagues), die man macht, um der Welt ihre spröde Fremdheit zu nehmen. Das ist bei Hegel eine schöne, gründliche, schöpferische und sicher auch geistvolle Geschichte. Aber Warburgs Geschichten bleiben irrer. Er kommt nicht von die Jungen zu sprechen, die Kiesel in den vorher offensichtlich stillen Teich werfen und damit in einer eben noch glatten, wie unbeschriebenen Oberfläche, Formen oder Vorgänge erzeugen, die perfekt wie Giottos O erscheinen und deren Erzeugung die Werfer sich selbst zurechnen können, als seien sie schöpferisch tätig geworden. Hegels geschichte über den steinwerfenden Urtyp des Ästhetikers und Künstlers ist ganz im römischen Dogma der großen Trennung geschrieben. Die Wellen, die werden in dieser Passage erzeugt, wo vorher keine Wellen waren. Sie operieren auf einer Fläche, die wie die terra nullius römischer Rechtsphantasien ungespurt, höchste Lust sein sollen. Was der Archkünstler bei Hegel macht, das entspricht den gründlichen und gründenden Linien, die zum pomerium, der Linie im römischen Dogma der großen Trennung gehören. Der Welt die spröde Fremdheit zu nehmen gleicht insoweit noch einer Landnahme. Hegels Ästhetik trägt vielleicht zurecht den Namen Ästhetik, die dann auch eine Technik ist, das Wahre zu nehmen.
Warburg vergleich den tragenden Menschen "in seinem Leib" mit einem "Telephonfräulein bei Gewitter oder unter Beschießung". Die Tracht deckt ihn nicht ganz. Und anders herum kommt am Menschen schon etwas von dem vor, was er an sich oder zu sich nimmt, um sich zu erweitern, und dass schon vorher ihm schon von Grund auf zu einem verleibten Wesen macht. Mit Hennings Schmidgen gesprochen: Mensch ist, wer Horn und Hörner hat, etwa Fingernägel und Haar. An ihm und in ihm wächst etwas, bei dem man sich nicht wundern kann, dass es in der Rechtsgeschichte mal zu den Sachen, mal zu den Personen gezählt wird. In gewisser Hinsicht zieht Warburg hier die Linien des nackten Menschen zurück: Er trägt schon eine Tracht vor der Tracht, er ist schon vor den Blicken betrachtet - die Spuren sind immer schon da, bevor er spurt oder seine Spuren zieht. Das Vage und das Polare entwickelt sich in Zonen, in denen Ästhetik und Anästhesie vorgehen. Vielleicht rechnet man Warburg zurecht nicht zu den Autoren der Ästhetik. Sein Protokolle zur Verleibung stehen auf Zetteln, gehören also zu Zettelwirtschaft und zu den Nachtwissenschaften. Die Anfänge dieser Schreiben stammen noch aus der Zeit der Opiumkur vom März 1923.
#Geschichte und Theorie des Vagen#Geschichte und Theorie Os#Warburgs Staatstafeln#Georg Wilhelm Friedrich Hegel#Vorlesung über die Ästhetik#1835#polarforschung
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