#Ino Augsberg
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Wozu Rechtsheorie?
Um reichlich tanzen, also ausreichend und richtig reigen zu können.
1.
Kleine Tische, das sind Tabellen, Täfelchen, Tabletts oder Tabletten. Polunin ist ein Reiger, ein richtiger Tänzer. Besonders gut geht es dem Polunin im Moment nicht. Sagen wir so: er ist überlastet, im Stress, gereizt. Er schreibt im Moment Mails im Zug und versendet sie an die Falschen. Er hat, wie das eben im Alltag so ist, zuviel im Kopf gerade, unter anderem zuviel kleine Tische, also zuviele Tabellen, Täfelchen, Tabletts oder Tabletten.
Er würde beobachtet, sagt er gegenüber der Presse, die ihn interviewt und fotografiert. Stimmt, sagt die Presse, nicht nur die, auch sein Publikum (Polunin tanzt öffentlich) sagt ihm, dass es ihn beobachtet und zückt die keinen Tafeln, die Mobiles. Er ist überobachtet, überbetrachtet, überachtet oder übertrachtet, einfach überlastet mit Bildern und Blicken, vor allem mit den Kreuzungen von Blick und Bild. Die Kontrafaktur, der ein Beobachter selbst ist, knirscht gerade durch ihn, den Polunin.
Polunin sitzt nun auf einer Halbinsel fest, nämlich auf der Krim, das ist der Ort, von dem es in Land.Libretto heißt, dass dort der Johannes Pastuch ermordet (vermutlich sogar geschlachtet!) wurde. Auf dem Johannishof wurde danach ein großes, trauriges Totenmahl gefeiert, aber das ist jetzt schon wieder lange her, das war 2018.
2.
Der Tanz sei die Leidenschaft, ein anderer zu sein - heißt es in der zeitgenössichen Rechtstheorie, nämlich bei Pierre Legendre.
Wer Rechtstheorie betreibt, tanzt, weil der Begriff des Rechts dem Begriff des Reigens, des Tanzens affin ist. Man hat die beiden Begriffe unterschieden, damit man durch sie und mit ihnen trennen, assoziieren und austauschbar halten kann. Was soll man denn trennen, assoziieren und austauschbar halten? Die Einbildung und die Ausbildung, also darin alle Elemente, mit denen man etwas nehmen und geben, sich und andere orientieren und dann die Welt händeln und darin handeln kann. Diese Elemente nennen wir, aber nur in einer kleinen Forschungsgruppe zu Lettern, Letter: Das sind Mahle und klamme Sendungen/ Buchstaben und andere Stäbe/ Briefe und andere limitierte Gründe. Palunin ist paranoid und schizoid, das sage ich mit und in ständiger Sicherheit, weil ich das unter anderem in Aby Warburgs Sinne meine, der davon ausging, dass die ganze Welt paranoid und schizoid ist. Normalität funktioniert auch dann, wenn man alles mit allem verbinden und alles von allem trennen kann, wenn man alles von allem unterscheiden und alles mit allem verwechseln kann.
Der Zensor, die Zensur, die Einrichtung von Symbolen als Ordnung, die Vorstellung eines Kosmos als vernünftigem, liebenswerten und liebenswürdigem Lebensraum, die funktioniert gerade deshalb, weil man alles von allem trennen und alles mit allem verbinden kann, weil man alles mit allem verwechseln kann - und darum die Xucuru ebensogut und ebenso schlecht ´leben könne, wie Trojaner oder die Bewohner von Minneapolis. Sie alle können mit Illusionen eine unsichere Zukunft haben, bis sie sterben, obschon ihre Kosmologie und ihre Kosmographie unterschiedlich ist und ihren Lieben manchmal etwas zustösst. Man kann es manchmal vergessen: Leute können auch dann glücklich sein, wenn sie nicht wie Frankfurter Professoren leben und nicht gut finden, was die gut finden, nicht lecker und lobenswert finden, nicht einmal begehrenswert finden, was die begehrenswert finden.
Man kann es schon mal vergessen, solange man es nicht zu lange vergisst, ist das nicht so schlimm: Dass Institutionen historisch, geographisch, psychisch und gesellschaftlich immer kleiner sind als man denkt - und dass sie dazu noch selber pendeln. Die Tänzer sind so wichtig, weil sie nicht für sich tanzen, sondern für die Welt. Noch paranoide Tänzer wie Polunin sind so wichtig, weil sie nicht sich nachmachen, sondern die Welt nachmachen und darin für Andere und Anderes tanzen, nicht für sich. Man darf sich vom Begriff der Autopoiesis ruhig bezircen lassen, aber muss schon auch wissen, was gemeint ist, unter anderem dies: Dass nichts in der Welt für sich ist, alles nur für etwas anderes.
Wie Ino Augsberg sagt: Die Übertragung ist nicht zu stillen.
#sergey polunin#reigen#recht#kleine tische#Ino Augsberg#Kassiber#Wozu Rechtstheorie?#land.libretto#Schreiben im Zuge#pierre legendre#die leidenschaft ein anderer zu sein
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Hot dogmatics
1.
Ist Kafka gut? Ja, aber umgekehrt würde ich sagen (I.N.O)
Vertragen ist eine juridische Kulturtechnik, für die man unter anderem minore Objekte aufsetzt, die lassen, indem sie auslassen und ausgelassen sind.
2.
'Vor dem Gesetz steht ein Türhüter. Zu diesem Türhüter kommt ein Mann vom Lande und bittet um Eintritt in das Gesetz. Aber der Türhüter sagt, daß er ihm jetzt den Eintritt nicht gewähren könne. Der Mann überlegt und fragt dann, ob er also später werde eintreten dürfen.
»Es ist möglich«, sagt der Türhüter, »jetzt aber nicht.«
Da das Tor zum Gesetz offensteht wie immer und der Türhüter beiseite tritt, bückt sich der Mann, um durch das Tor in das Innere zu sehn. Als der Türhüter das merkt, lacht er und sagt:
»Wenn es dich so lockt, versuche es doch, trotz meines Verbotes hineinzugehn. Merke aber: Ich bin mächtig. Und ich bin nur der unterste Türhüter. Von Saal zu Saal stehn aber Türhüter, einer mächtiger als der andere. Schon den Anblick des dritten kam nicht einmal ich mehr ertragen.«
Solche Schwierigkeiten hat der Mann vom Lande nicht erwartet; das Gesetz soll doch jedem und immer zugänglich sein, denkt er, aber als er jetzt den Türhüter in seinem Pelzmantel genauer ansieht, seine große Spitznase, den langen, dünnen, schwarzen tatarischen Bart, entschließt er sich, doch lieber zu warten, bis er die Erlaubnis zum Eintritt bekommt. Der Türhüter gibt ihm einen Schemel und läßt ihn seitwärts von der Tür sich niedersetzen.
Dort sitzt er Tage und Jahre. Er macht viele Versuche, eingelassen zu werden, und ermüdet den Türhüter durch seine Bitten. Der Türhüter stellt öfters kleine Verhöre mit ihm an, fragt ihn über seine Heimat aus und nach vielem andern, es sind aber teilnahmslose Fragen, wie sie große Herren stellen, und zum Schlusse sagt er ihm immer wieder, daß er ihn noch nicht einlassen könne. Der Mann, der sich für seine Reise mit vielem ausgerüstet hat, verwendet alles, und sei es noch so wertvoll, um den Türhüter zu bestechen. Dieser nimmt zwar alles an, aber sagt dabei:
»Ich nehme es nur an, damit du nicht glaubst, etwas versäumt zu haben.«
Während der vielen Jahre beobachtet der Mann den Türhüter fast ununterbrochen. Er vergißt die andern Türhüter, und dieser erste scheint ihm das einzige Hindernis für den Eintritt in das Gesetz. Er verflucht den unglücklichen Zufall, in den ersten Jahren rücksichtslos und laut, später, als er alt wird, brummt er nur noch vor sich hin. Er wird kindisch, und, da er in dem jahrelangen Studium des Türhüters auch die Flöhe in seinem Pelzkragen erkannt hat, bittet er auch die Flöhe, ihm zu helfen und den Türhüter umzustimmen. Schließlich wird sein Augenlicht schwach, und er weiß nicht, ob es um ihn wirklich dunkler wird, oder ob ihn nur seine Augen täuschen. Wohl aber erkennt er jetzt im Dunkel einen Glanz, der unverlöschlich aus der Türe des Gesetzes bricht. Nun lebt er nicht mehr lange.
Vor seinem Tode sammeln sich in seinem Kopfe alle Erfahrungen der ganzen Zeit zu einer Frage, die er bisher an den Türhüter noch nicht gestellt hat. Er winkt ihm zu, da er seinen erstarrenden Körper nicht mehr aufrichten kann. Der Türhüter muß sich tief zu ihm hinunterneigen, denn der Größenunterschied hat sich sehr zuungunsten des Mannes verändert.
»Was willst du denn jetzt noch wissen?« fragt der Türhüter, »du bist unersättlich. «
»Alle streben doch nach dem Gesetz«, sagt der Mann, »wieso kommt es, daß in den vielen Jahren niemand außer mir Einlaß verlangt hat?«
Der Türhüter erkennt, daß der Mann schon an seinem Ende ist, und, um sein vergehendes Gehör noch zu erreichen, brüllt er ihn an:
»Hier konnte niemand sonst Einlaß erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.«'
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Ruhm- und Rahmsauce
Ruhm ist für eines da: Abschöpfen! Bekommt man einmal eine gute Rezension, sofort abschöpfen! Reputation muss für das genutzt werden, für das sie gut ist: Um effektiver dasjenige weitergeben zu können, was man für wichtig hält. Das ist ein präzises und prästabiles, scharfes und geladenes Bestreiten.
Nur einbilden sollte man sich nichts auf Lob und gute Rezension, denn jedes Lob, jede gute Rezension ist und bleibt das, was die Psychoanalyse eine symbolische Kastration nennt. Mit jeder fantastischen Rezension droht man darum, einen möglicherweise guten Freund zu verlieren. Jedes mal durchzuckt es einen: Was, jetzt findest DU DAS gut? Das, mit dem ich hadere, lobst Du? Willst Du mich verraten oder bist zu korrupt?
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Wer hat Angst for Anthropofagie?
1.
Letztes Jahr haben wir am MPI eine Tagung zur Anthropofagie veranstaltet, später gab es einen großen Konflikt um Ghassan Hage, der in den sozialen Netzwerken im Namen anthroprofhage unterwegs ist. Man dachte, er sei ein Menschenfresser, er dachte, er ist Prof. Hage für Anthropologie.
Das klingt nach einem Witz, nach Wortspielerei, ist es auch, aber es entzünden sich an solchen Dingen Kriege, denn im Streit zwischen dem MPI und Hage ging es auch um den/ in den Gazakonflikt und die Frage, ob Hage noch am MPI arbeiten kann, wie immer (sogar morgens, beim Semmelkauf) ging es um die Grenzen der Menschlichkeit und des Animalischen, um die Grenzen zwischen Leben und Tod. Darum ist es ganz richtig, dass die Kollegen sich manchmal Sorgen um mich machen, wenn ich eine Tagung zur Anthropofagie mache. Die zwei Systeme der Verrückten: den einen ist es zu ernst, den anderen nicht ernst genug. Die einen halten es für Spielerei, die anderen für Krieg.
Das ist gefährlich, sicher, wie nahezu alles. Von Aby Warburg kann man aber lernen, der Gefahr zu trotzen. Warburg hat zwischen 1890 und 1929 ein anthropofages Verfahren entwickelt, verschlingende und verschlungene Lektüre, mit der er einseits auf die Krise des ersten Weltkrieges und einen Zusammenbruch reagierte, mit der er zugleich auf seine kannibalischen Phantasien reagierte. Die Staatstafeln beschäftigen sich nicht zufällig mit dem Verzehren des Gottes, wie Gertrude Bing später notiert. Warburg ist darin Bild- und Rechtswissenschaftler, aber kein allgemeiner Bild- und Rechtswissenschaftler. Er ist Wissenschaftler von Bildern und Rechten, die bolisch und polar sind. Sie rehgen sich und ihre Betrachter, die richten dabei etwas ein- und aus, sind insoweit auch Institutionen, allerdings meteorologische Institutionen.
2.
Während eines Forschungsaufenthaltes in Brasilien, in Recife, habe ich daheim angerufen und mit Kollegen telefoniert und von der Brasilianischen Anthropofagie erzählt. Die protestantischen Staatsrechtslehrer regierten nach einem Muster: Lachen, es sei ein Witz! Und einer Erklärung: Die Brasilianer seien in Wirklichkeit keine Menschenfresser, die Geschichte hätten sich katholische Missionare ausgedacht, um die Leute dort zu diskreditieren.
Das wiederum finden die Brasilianer und die Katholiken witzig, dass die Protestanten behaupten, sie seien keine Menschenfresser und dass sie dabei noch den Katholiken die Schuld für das schlechte Gewissen in die Schuhe schieben. In Brasilien hat man ein anderes Verständis von Anthropofagie, man mildert es nicht einmal dadurch ab, dass man sagt, das nur eine Metapher. Man versteht den Begriff durch aus als Begriff, der die brasilianische Gesellschaft richtig begreift. Die Katholiken haben auch kein Problem damit, ihren Gott zu essen, jenen Gottt, der Mensch geworden ist. Gut, sie müssen sich auch überwinden, trainieren aber jede Woche das Essen fleissig, man kann Gott aber immer nur mal besser, mal schlechter schlucken. Ob es gut ist, oder schlecht ist? Es ist das, was ich gelernt habe.
Lektüre sitzt einem achronologisch geschichteten Material auf. Die Mediengeschichte, die Havelock oder Ong daraus machen, sind präzise Einrichtungen und Ausrichtung, geben dem, was passiert ist, Norm und Form. Man kann die Trennung als große Trennung verstehen, kann etwa an bestimmten Medien wie der Sprache, der Schrift, dem Buchdruck und den Computernetzwerken eine Trennung verfolgen, die uns von der Antike, von den Wilden und dem Chaos entfernen könnte. Eine schlechte Idee ist das nicht. Thomas Vestings Medienrecht, also eine Medientheorie des Rechts, die sich auf die Havelock und seine Idee des griechisch (groß-)gewachsenenen Geistes, auf Ong und Goody stützt (also auf eine polare Spannung), die Luhmanns vier Kapitel einer Medienevolution übernimmt, die ist nicht schlecht. Die Idee, das Fleisch loszuwerden und an das Dogma der Exkarnation zu glauben, ist nicht schlecht.
Das hört dadurch aber nicht auf, komisch zu sein - und ein Witz zu sein. Man kann dem Vesting trauen, gerade wenn man ihn sowohl beim Wort als auch nicht beim Wort nehmen kann. Man kann der Übertragung, sogar der Übertragung durch zweifelhafte Figuren wie Thomas Vesting trauen, wenn man sie sowohl beim Wort als auch nicht beim Wort nehmen kann. Man kann die Trennung nicht ausradieren, man kann sie aber, wie de Castro in der kannibalischen Metaphysik sagt, krümmen, kurvieren, irrsieren. Man kann, wie Ladeur das sagt, irritieren. Man kann gegen große Trennung kleine Mannigfaltigkeiten wuchern lassen. Es reicht schon, an Worten einen Letter austauschen, aus Ladeur l'odeur zu machen, um das Wilde des Westens zu erkennen. Es reicht, aus Vesting Testing zu machen, um die Experimentalkultur, das Linke, Revolutionäre und Avantgardistische, das herbstlich Oktoberhafte an liberalen Persönlichkeitsidealen zu erkennen. Es reicht schon, aus Augsberg Augsburg zu machen, also den Manierismus Europas aufblitzen zu lassen, jene Episode, die direkt nach der Renaissance kommt, dann, wenn die Körper schon wieder zu lange und zu verdreht werden und die Fuggers mit Minen reich werden. Es reicht, aus Recht reicht zu machen, aus regieren regen, aus Brettern Lettern, aus Lov Law oder Lohn oder Lauern, aus Lawn Rasen und aus dem Rasen rasen zu machen. Man kann Kafka ernst nehmen, Warburg ernst nehmen, die Kannibalen ernt nehmen: Sie sind auch nur Witze, denn alle Ersten waren schon Übertragen und waren selbst schon überladen. Das Recht kann wüten und Witze machen. Jüngst hat Ladeur in der JZ ein tolles Beispiel gegeben, das von distortion handelt: Es reicht, aus Gunther Teubner auf einer Torte in einem Zuckergusszug "Guter Teubner" zu machen, um seine Theorie herzlich schlucken zu können. Dann kann alles passieren und weiter mit Norm und Form belegt werden.
2.
Die Kooperation mit Ino Augsberg funktioniert echologisch und echobolisch. Wir spielen uns oft und machmal schneller, manchmal langsamer, Bälle zu. Er konnte leider damals zur Tagung über Anthropofagie nicht kommen, weil er nicht geladen (genug) war. Gestern schickt er mir einen Text über Eric Santner - wunderbar echologischer und echobolischer ecolapsus.
Kollegen hatten Angst vor Hage, hatten Angst vor mir, hatten Angst vor der Tagung über Anthropofagie, haben sogar heute noch Angst, dass ich meine Stelle am MPI verlieren könnte. Die Phobie ist nicht die Angst. Die Phobie ist die enge Stelle, die Klamm, das Leuchtende. Sie ist die Sorge, die Kurie. Sie kann sich in Angst formieren, das geht, passiert dauernd. Sie kann sich in Love und Law formieren, in Wut und Witz entladen, in Klagebehren und Rechtfertigung entladen, ins Trauen und Misstrauen, das passiert dauernd. Vismann beschreibt unter anderem in dem Buch über Akten den Vorgang an jener Linie, an der er auch im römischen Recht und den Architekturmanualen von Leon Battista Alberti beschrieben wird, also an der juridischen Kulturtechnik des pomerium, dessen Linie jene zügige Form ist, die gezogen sein soll, wenn man unterscheidet.
3.
Der Aufsatz von Ino Augsberg endet mit notes, notitia dignitatum, einem Schild, das sogar über dem Wort notes steht, dem Wort notes schon vorgeht, bevor erst 'notes' und die notes, die Fußnoten und Infanterie des akademischen Betriebes folgen sollen. Das ist eine seltsame Schleife, ein jeder Schleifen, die Karl-Heinz Ladeur immer besingt. Immer geht das vor, das folgen soll. Super Aufsatz, in toller Form und mit fantastischen Schlusslinien! Der Ino kann was! Mit dem kann ich leicht sprechen. Vermutlich sind wir, grimmiger Witz, auf gleiche und brüderliche Weise traumatisiert, können also schön zusammen träumen. Wovon Ino dort erzählt, das ist seit einer Hochphase der Moderne ein auch am Recht erprobtes Verfahren, Warburg führt das 1929 an den Lateranverträgen vor, ein Jahr vor der Veröffentlichung von Oswald de Andrades Manifest der Anthropofagie. Nichts ist erfunden.
Wenn ich sage, dass es eine anthropofagische Rechtslehre gibt, dann kann man das für einen Witz halten. Eins verspeche ich: Auch wenn ich mal keine Fußnoten gebe und mich ein trotzig wie Ernst Kantorowicz verhalte, anarchistisch wie Edgar Wind, kann man sich sicher sein, dass mir das historische Material heilig ist und dass es nahezu alles ist, was mir heilig ist. Ich wüsste selbst nicht genau, was mir sonst noch heilig ist. Der liebe Gott, klar, aber nur, weil er in den Details steckt. Meine Rechtschreibfehler beichte ich fleissig und kaufe mich ansonsten frei, in dem ich den rumänischen Bettlern in Bockenheim Geld gebe und keine Steuer hinterziehe, nicht einmal aus der Kirche bin ich ausgetreten. Zahlen ist besser, Gabe ist besser, Vergeben ist besser. Wozu soll man nochmal säkularisieren? Ist mir gerade entfallen, stehe aber für Rückholungen in Gesellschaftsstruktur und Semantik jederzeit zur Verfügung.
Wenn ich behaupte, dass es eine traditionelle anthropofagische Rechtslehre gibt, dann kann ich das belegen, auch wenn ich es nicht immer tue. Wenn ich mit bolischen Techniken und Polobjekten komme, denke ich mir nie etwas aus, ich erfinde nie etwas, bin weder kreativ noch einfallsreich, ich verbinde nicht etwas, was sonst weit auseinander liegt. Ich schaue einfach hier und da und bemühe mich, mein Gedächtnis weder kurz noch stolz sein zu lassen, das ist sehr schwierig und gelingt immer nur mehr oder weniger, wie das Verzehren Gottes. Es gibt aber Medientechniken die dafür besser geeignet sind und Medientechniken, die schlechter geeignet sind. Protokolle, Akten, Tagebücher, Zettelkästen sind dafür besser geignet, weil es minore Kulturtechniken sind, sie sind unbeständiger, lassen leichter kontrahieren und distrahieren, müssen gar nicht stolz sein, nicht einmal lang, darum versucht man sie aber nicht zu beschließen. Dass ich mehr Zettel als Bücher schreibe, ist wohl überlegt, das haben mir Cornelia Vismann und Thomas Vesting beigebracht. Das wischende Wissen ist anders, aber nur leicht anders.
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Oh Ino
1.
O judge
O Mom and Dad
Mom and Dad
O judge
O Mom and Dad
Mom and Dad
Hi. I′m not home right now. But if you want to leave a
Message, just start talking at the sound of the tone.
Hello? This is your Mother
Are you there?
Are you coming home?
Hello?
Is anybody home?
Well, you don't know me, but I know you
And I′ve got a message to give to you
Here come the planes
So you better get ready
Ready to go
You can come as you are, but pay as you go
Pay as you go
And I said: OK. Who is this really? And the voice said:
This is the hand, the hand that takes
This is the hand, the hand that takes
This is the hand, the hand that takes
Here come the planes.
They're American planes
Made in America
Smoking or non-smoking?
And the voice said: Neither snow nor rain nor gloom
Of night shall stay these couriers from the swift
Completion of their appointed rounds.
'Cause when love is gone
There′s always justice
And when justive is gone
There′s always force
And when force is gone,
There's always Mom.
Hi Mom!
So hold me, Mom, in your long arms
So hold me, Mom, in your long arms
In your automatic arms.
Your electronic arms.
In your arms.
So hold me, Mom, in your long arms
Your petrochemical arms
Your military arms
In your electronic arms
2.
Im Internet wird das Bild von ihm als Clark Kent aka Kar El aka Superman sorgfältig gepflegt. Das S ist nicht das Es, das weiß man dank The Man of Steel , dem Film, in dem Supermann erläutert, dass S nicht Es bedeutet, aber Aby Warburg hätte einem das auch sagen können, denn das Verzehren ist nicht das Begehren.
Ino Augsberg zu einer Tagung über Letter(n) einzuladen, ist zwingend, alternativlos, macht kaum Sinn, das noch eine Einladung zu nennen. Er hat ein Buch über die Lesbarkeit (alphabetische Verkettung und Abfolge) des Rechts geschrieben (doppelter Genitiv!), kennt sich bestens mit den Ameisenwegen, mit wandernden und pendelnden Lettern aus, ist fleißiger Leser von Thomas Schestag und Werner Hamacher, wird oben drauf noch von André Luthardt (der grauen Großeminenz, d.h. dem aufwühlenden Maulwurf aller Les-, Sag-, Ausmal- sowie Schrei- und Schreibbarkeiten aus inzwischen Wuppertal) beraten - und falls nötig ergänzend betreut. Ino Augsberg ist ein elegant sattelfestes Reiterchen, also ein Kavallier, was Mahle und kurze Sendungen angeht. Ino ist zwar ein Mitglied der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer, aber es ist ihm verziehen worden, es hat ihm auch nicht dauerhaft geschadet, er ist immer noch ansprechbar und wie von unbekannter Stelle getrieben, mehr noch: bester Gesprächspartner unter denen, die öffentlichesc Recht lehren, auch wenn der Superlativ in der Singularität eher asketisch Sinn macht.
Wenn man Ino Augsberg auf eine Tagung einlädt, hat das die praktische Nebenwirkung, dass einige Leute, die die Tagung sonst nicht ernst nehmen, die Tagung nun doch ernst nehmen. Universität! Er ist eine anerkannte Autorität und importiert damit Anerkennung aka Honnethstoff, Ino ist sogar König Midas, wenn es darum geht, Theorie und Paris zu verseriösieren. Mir sagte also einer, mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und ehrendem Staunen: Da kommt ja sogar ein richtiger bekannter Teilnehmer, der Augsberg! Na, vielleicht schau ich doch auch mal vorbei. Danke Ino! Mit Ino kann man übrigens auch marsianisch beepen.
Wie man Larry David für Geburtstagspartys und Jürgen Drews für Möbelhauseröffnungen bestellen kann, so kann man Ino Augsberg leider nicht für Tagungen bestellen. Man ist schon darauf angewiesen, dass ihn das Thema interessiert, da haben wir ja mal richtig Glück gehabt! Ino wird unter dem Titel S/O/L/A scriptura über Luthers Sendschreiben sprechen. Der dritte Vortrag am Montag biegt also in gewissenhafter Hinsicht von Buchstaben zu Briefen ab, aber inwieweit er von Mahlen zu kurzen Sendungen abbiegt, das kann ich noch nicht sagen, obwohl ich in seinen Text (wie in den von unserem Augustgast und dem von Spindola) schon geläuert habe.
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letters, or: objects that let
1.
Im Zettelkasten ist der Zettel eine der Unterlagen und damit dasjenige, was zu klein und zu niedrig, zu kurz und zu knapp, zu leicht, zu schwach und noch zu wenig ist, um als Lage wahrnehmbar und bestimmbar zu sein. Zettel sind nicht in Zentimetern, Quadratmetern oder aber in der Anzahl von Kilogramm klein. Sie sind klein, weil sie nur innerhalb einer kleinen Anzahl von Operationen etwas assoziieren und trennen, bis sie sich verkehren und dann andere Zettel, andere Objekte oder überhaupt etwas anderes als Zettel und Objekt sind.
Zettel sind im Sinne der Lettristen und Situationisten Situationen, die kurz sind und nach einer kleinen Anzahl von Operationen schon andere und anderes als Situationen sind. In dem Sinne sind Unterlagen: Trennungen und Assoziationen in und durch eine kleine Anzahl von Operationen. Sie zählen und man kann sie zählen, dank und durch sie kann man zählen, zum Beispiel Schafe oder jemandem etwas bedeuten.
Sie messen und sind messbar, lassen messen, lassen sich sogar mesen. Sie missen, sind missbar und lassen missen. Zettel sind minore Objekte, weniger als ein Buch oder eine Gesetzestafel, haben nicht die Auflage von Büchern und werden nicht in Kommentaren in großer Anzahl wiederholt, um kommentiert zu werden. Zettel werden selten in Büchern wiederholt. Das mag im 19. Jahrhundert noch anders gewesen sein, als Abschreiber Bücher edierten. In einer Zeit, die in Büchern als Ende des Buches imaginiert wird, wiederholen viele Bücher am liebsten etwas aus Büchern, denn an ihrem Ende scheinen sie zu enden und kommen irgendwie nicht drüber weg. Komische Phantasien, und Komik ist wunderbare Alchemie. Auf jeden Fall sind Zettel immer noch minore Objekte, und wenn sie etwas lassen und gelassen sind, dann sind es auch Letter. Zettel unterlassen etwas, die hinterlassen, überlassen, verlassen und entlassen etwas, warum sollten es keine Letter sein?
2.
Für den Mai haben Nathaly Mancilla Ordenes, Ricardo Spindola, João Tiago Freitas Mendes und ich einen kleinen Haufen von Leuten aus dem Wissensberg der Weinschaft eingeladen, um Forschung zu Lettern zu präsentieren, solche Letter, die nicht unbedingt Zettel sein müssen, sie können auch Sitze, Fleisch, Stäbe oder Bälle sein. Letter sind minore Objekte, die etwas lassen und die gelassen sind. Letter erscheinen nämlich normativ, operativ und rekursiv, als dank und durch Letter, in einer Kette von Trennungen und Assoziationen, in denen zwar alle Letter minore Objekte sind, aber weil Zahlen und Größen relativ sind, die einen Letter doch auch größer sein können und die anderen wieder kleiner.
Vier Leute haben eingeladen, und wir vier unterstellen, das vier eine kleine Zahl ist (str). Wir haben acht Leute eingeladen und gehen zügig davon aus, dass auch das noch eine kleine Zahl ist.
3.
Wir haben unter anderem Ino Augsberg eingeladen, der über Übersetzungen sprechen wird. Dabei spielen Letter eine Rolle, Unterlagen, die man auf Deutsch teilweise Fleisch/ Sitz, im englischen flesh/chair und im Französischen nur mit einem Wort carne nennt. Durch Letter geht, was Ute Holl die Remanenz der Zeichen im Physischen nennt, ihre Widerständigkeit und ihre Insistenzen im Verhalten der Körper. Wenn solche Unterlagen wie Fleisch/ Sitz Zettel sind, dann eventuell solche Zettel, wie der Zettel, von dem Shakespeare in Midsummernightsdream schreibt oder der Zettel, von dem Arno Schmidt notierte, durch ihn ginge ein Traum. Ino Augsberg ist ein Jurist und Rechtstheoretiker aus Kiel, er wird also im Mai, im wunderschönen Monat Mai, wenn alle Knospen springen, sprechen. Ino Augsberg könnte über Franz Rosenzweig sprechen, eventuell aber auch über Martin Luther oder gar über beide, wir versprechen uns einiges von Augsbergs Kommen, er uns auch. Es gibt einen Letter von Augsberg, der trägt den Titel S/O/L/A scriptura. Luthers Sendbrief vom Dolmetschen. Ob er den oder einen neuen Letter mitbringt, wird sich zeigen, im Mai. Letter sind nicht wie Objekte, von denen man sagt, kenne ich schon, war ich schon, um sie nicht mehr zu nutzen. Letter sind recycelbar, kompostierbar, wiederholbar, uns ist daher nicht so wichtig, ob sie neu oder alt sind. Man muss nicht viel lesen im Leben, ein Letter reicht, aber dann sollte man diesen Letter auch in allen Hinsichten lesen, also auch so, wie einem vorher nicht klar war, dass auch diese Technik ein Lesen ist, so, dass man erfährt, dass Lesen auch dasjenige ist, was andere als Lesen bestreiten, dass also nicht nur ein kanonisches Lesen sondern auch ein häretisches Lesen Lesen ist. Vielleicht liest man einen Letter manchmal am besten so, indem man in fallen lässt oder zerreisst, zerknüllt im Fäustchen, schluckt wie ein Kohlhaas, oder, wie Warburg das macht, auf einer Tafel umkippen und umkehren lässt. Wenn wir schon ausgeschöpft hätten, was Lesen ist, müssten wir zu Kulturtechnik Lesen nicht mehr forschen. Bisher stoßen wir auf Überraschungen, darum gehen wir davon aus, dass die Grenzen des Lesens unbeständig sein können. Das Lesen fängt eventuell am choreographischen Zug N an, an der Bar, der bibliotheca nationale oder einem Nachtlokal und verlangt vielleicht, mit einer Fingerspitze auf und ab und auf zu gehen, nicht wahr?Im Wissenberg der Weinschaft kann das Lesen dem Weinen dienen, nicht dem Verstehen, sondern eher einer forensischen und inquisitorischen Technik, mit der man erfahren will, was und wer nicht lügen soll, auch wenn man nicht versteht, warum nicht gelogen wird, wenn man es doch kann.
4.
Wir haben unter anderem Anna Clara Lehman Martins eingeladen, die über Letter (Buchstaben und Briefe) forscht, die ein Priester aus Süditalienzwischen 1880 und 1890 an den heiligen Stuhl in Rom schrieb um die Erlaubnis zu erhalten, nach Amerika zu emigrieren. Das sind flüchtige Briefe, Fluchtletter.
Anna Clara Lehmann Martins ist eine brasilianische Rechtshistorikerin, die am MPI forscht. 1886 hatte Papst Leo XIII über die Kongregation die Migration von Priestern aus dem Mezzogiornio nach Amerika verboten, die Bischöfe in Amerika hatten sich über mangelnde Disziplin beschwert und der Flut der Flüchtigen sollte mal wieder ein Riegel vorgeschoben werden. Um trotz Verbot flüchten oder, sublimer gesagt, emigrieren zu dürfen, benötigten Priester aus dem mezzogiornio eine Lizenz oder Permission der Kurie in Rom. Der brieflichen Bitte mussten zwei Dokumente, Empfehlungen beigefügt werden, war das nicht möglich, mussten die Briefe auf besondere Weise, höflich, leicht, bescheiden geschrieben werden, Lehmann Martins forscht unter anderem zu der Schreibtechnik dieser Briefe, sie wird also bescheidene Letter, bescheidene Briefe, sie nennt sie "humble objects" mitbringen und uns eine besondere Scheidekunst vorstellen.
Wer kommt noch? Tröpfchen für Tröpchen!
#letters#objects that let#anna clara lehmann martins#ino augsberg#nathaly mancilla ordenes#joao tiago freitas mendes#ricardo spindola#letter
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I.N.O
In may he may come: I.N.O.
In may, he may speak about translation.
In may, we may translate him.
In may, he may be a smooth criminal: I.N.O.
In may, he may come on a rosen twig lingering on Rosenzweig.
In may, he may fly us to the moon.
In may, he may be one of the stars of may, in other words: Jupiter or Maia, in other words: i love you.
In may, I.N.O. may constellate us.
You may come too.
In may, I.N.O. may bring a minor object, in may we may object.
In may, we may have science at bar.
In may, we may just have signs at the bar.
In may, we may have just science.
Am 6. und 7. Mai steigt the next bing thing am MPI, Abteilung Rechtstheorie.
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Visheit
Bildlichkeit.
#juristen bei der arbeit#zoomen#ino augsberg#vorstellung#Übergang von der populären sittlichen Weltweisheit zur Metaphysik der Sitten
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Was ist ein Akt?
In der neuen , von Kerstin Wilhelms und Steffen Arnold herausgegebenen Veröffentlichung Schau-Prozesse Gericht und Theater als Bühnen des Politischen hat Ino Augsberg sich unter anderem auch der Frage gewidmet, was ein Akt ist.
Unter zwei Begriffen stellt er diese Frage: "Rechtsakte" und "pouvoir prostituant". Der erste Begriff sei als Singular und Plural lesbar, damit stellt er nicht nur eine Verbindung zwischen dem Akt und der Akte her. Der Text beginnt auch mit einer längeren Rezeption der ersten Hälfte des Textes, den Vismann in dem Gemeinschaftband mit Kittler veröffentlicht hatte. Der zweite Begriff rührt unter anderem daher, dass Phyrne als Hetäre bezeichnet wird und man heute sagt, das sei eine Prostituierte. Was ist eine Prostituierte? Unter anderem kursiert die Erklärung, dass sei eine Frau, die Niederem diene, was immer auch das Niedere sei. Es könnte etwas unter der Gürtellinie, etwas Kleines oder etwas Minores sein, Sex könnte es auch sein, Geld oder Macht könnte es auch sein, Fragen der Staatsangehörigkeit, des Aufenthaltrechtes, der Regulierung von Zugängen zum Arbeitsmarkt und zu sozialen Sicherungssystemen sowie schließlich der sich drum herum bildenden, sie teilweise ausnutzenden und umgehenden Infrastrukturen könnten es auch sei. Phryne habe als Metöke in Athen gelebt, heißt es. Sie habe kein Bürgerrecht gehabt. In dem Sinne wäre sie eine, die dem Fremdsein und dem Unbürgerlichsein dient oder aus der Position des Fremden und Unbürgerlichen ihren Verdienst bezieht.
Unter anderem rührt der Begriff also daher, sprich: aus so einigem. Die Hetäre ist nicht nur eine Figur des Sexes, sie dient nicht nur Geschlechtsakten. Und sie dient nicht nur. In Bachofens Archäologie des römischen Rechts sind Hetären Herrschaftsfiguren. Aus einer sedimentären Geschichte rührt der Begriff der Prostitution.
Der andere Grund, warum Augsberg von pouvoir prostituant schreibt, der liegt in der Szene, in diesem Fall einer akdemischen Szene, die zwischen Konstitution, Institution, Restitution und nun nach Augsberg eben auch Prostitution unterscheiden sollte, wenn sie denn umfassend an den unterschiedlichen Aspekten von Normativität, Macht und Effektivität interessiert ist.
2.
Augsbergs Text ist in einem Sammelband erschienen, der den Begriff des Schau-Prozesses im Titel führt. Wenn Schauen eine Technik ist, die der Augen bedarf, dann rückt der Band die Frage nach dem Akt in den Kontext der Fragen nach dem Blick und nach dem Bild, nach der Perspektive und nach den visuellen Medien. Und er rückt sie in den Kontext der Fragen nach dem Verhältnis zwischen vis und Visualität. Schauen ist darüber hinaus aber auch eine phänomenologischer Vorgang, eine Technik, die nicht unbedingt visueller Medien bedarf. Husserls Texte und das, was dort gemacht wird, das könnte man sich zur Not auch vorlesen lassen oder sie, falls die in Braille geschrieben sind, ertasten, you may touch it.
In einem abstrakten Sinne meint Schau dann eine Errichtung, deren Pole einerseits etwas Äußeres und deren andere Pole andererseits etwas Inneres sind. Schau kann auch den Vorgang, sogar die Technik meinen, der beides, das Äußere und das Innere, kreuzt oder, wie Augsberg gerne mit Rheinberger sagt, versäumt, also bindet, ohne die Trennung aufzuheben, ohne beides zu verschmelzen.
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História e teoria de uma lei inconstante e polar
1.
Cornelia Vismann schlägt in ihrem Buch über Akten vor, das Recht von den Linien her und den Linien entlang zu denken. Diese Linien, so schlage ich vor, sind zügige Formen, zügig, weil sie gezogen sind und ziehen, damit eine Regung durch die Linie geht. Wo Linien sind, da ist auch Zug, zum Beispiel eine leichter Wind, wie am Eingang zur juristischen Fakultät in Recife. Der Mann nimmt sich ein Buch von Marcelo Neves, steht vor dem Tor, das ein anderes Tor wiederholt und dann von den Türen zu den Hörsälen, Büros, Bibliotheken und Archiven wiederholt wird. Die zügige Linie bildet hier einen Passage und ein Foyer. Die Architekten haben den Raum auch als Ventilator angelegt, hier kühlt die Luft im Zug kurz ab. Ist man blind vom Schwitzen, kann man hier kurz sich trocknen und wieder die Augen nutzen. Man ist in diesem Raum weder im Gebäude noch außerhalb des Gebäudes, oder um Ciceros Definition dessen, was das genus medium sein soll zu zitieren und die Wahrheit zu sagen: beides davon. Cicero definiert also das genus medium als das, was weder sublim (hoch) noch subtil (niedrig) sei oder aber, um die Wahrheit zu sagen, beides davon. Das Genus Medium, überhaupt Medien, auch so ein Passagenraum, sind parasitäre Stellen. So setzen sie was, sind was mit 'nem Akkusativ, Genitiv oder Dativ. Auf Anregung von Ino Augsberg: so setzen, stellen und legen sie was. Auf Anregung von Aby Warburg: so schaffen sie Distanz und wandern, pendeln, schwingen oder kreisen elliptisch dabei.
2.
Vismann schlägt vor, den Linien entlang zu denken - und solche Linien als Elemente einer, wie sie sagt, Referenzstruktur und eines Vorgangs, den sie Begehren nennt, zu verstehen. Die Linien sind nicht einfach, nicht einfältig, nicht unbedingt gradlinig, sie kreuzen und sind verschlungen. Eine Linie kreuzt die andere, wie der Weg, der durch das Tor führt, den Weg der Wand kreuzt. Effekt sind sie, soweit sie andere Linien wiederholen und von anderen Linine wiederholt werden, das ist Teil ihrer Rekursion und Iteration. Insofern sie Linien auch bewegt und bewegend, sie regen Rekursion und Iteration an, ab oder auf - in allen Fällen geht durch die Linien auch Regung oder Bewegung, was Vismann schon mit dem Begriff des Begehrens assoziiert. Der Begriff des Begehrens ist ein Rechtsbegriff, aber nicht nur ein Rechtsbegriff. Er ist dem Begriff des Verkehrens, Verzehrens und Bekehrens verwandt, so nahe, dass noch zu Luthers Zeiten Fagieren (lat. vagire) alle diese Begriffe in einem Begriff geballt sammelt. Fagieren meint begehren, verzehren, bekehren, begehren, aber auch: kreisen oder kreischen. Ich schlage vor, das Begehren, von dem Vismann spricht, als Technik zu verstehen, sogar als juridische Kulturtechnik. Das Begehren gehört nämlich zu einem Wesen, das von Natur aus technisch oder artifiziell operiert, phantasiebegabt ist und auch mit Illusionen eine, wenn auch limitierte und unsichere Zukunft hat. Die Natur ist von der Kultur zwar getrennt, wenn man sie trennt, aber nicht unbedingt groß getrennt.
3.
Vismann bezieht den Begriff auch auf Deleuze, ihre Ausführungen zu den Linien bezieht sie im Aktenbuch auch auf Latour. Beide, sowohl Latour als auch Deleuze stützen sich teils auf unterschiedliche, teils auf gemeinsame Referenzen, wenn sie über Linien deren Begehr/ Verkehr schreiben. Die psychoanalytische Literatur zum Begehren spielt bei Deleuze eine größere Rolle als bei Latour, aber auch so kann man das Begehren als Technik verstehen. Beide, Deleuze und Latour, beziehen sich aber auch auf den französischen Soziologen Gabriel (de) Tarde, wenn sie zum Zug der Linien etwas schreiben.
Der Linienzug kreist danach rekursiv, iterativ und mimetisch, auch insofern nimmt man Linien effektiv als Wiederholungen und Differenz und zur Wiederholung und Differenzierung wahr - und auch das ist als Kulturtechnik denkbar. Vismanns Arbeiten zu den Linien sind also nicht eingebettet in einen staatsrechtlichen Diskurs der Linien, wie man ihn bei Carl Schmitt findet - und nicht in das Modell der Staatsrechtslehre, mit dem Thomas Vesting Vismann als eine Frau darstellt, die von Kittler kommt. In der Staatsrechtslehrervereinigung muss man allerdings auch zuerst immer sagen, von wem man kommt, weil das eine Wissenschaft ist, die traditionell davon ausgeht, dass die Wissenschaft aus Autoren besteht, die erst Bücher schreiben und dann Schüler haben. Vesting gehört in dem Sinne den weiten und dominanten Kreisen um Hoffmann-Riem an, um einmal ähnlich scherzend über ihn zu schreiben, wie er es über sie tut.
4.
Vismanns Ansatz bei den Linien führt in die Anthropolgie und den Strukturalismus, zu den Wissenschaften der Mimesis und immer wieder zu den juridischen Kulturtechniken, die schon über Institutionen und Manuale auch Disziplinen wurden: Rhetorik, Logik, Hermeneutik, Poetik, Ästhetik (dazu würde ich die Manuale, Rezept- und Musterbücher der Renaissance sowie die Praxis des Kopierens und der Übung vor Ort zählen). Wie Schüttpelz und Gießmann in ihrem Arbeiten zur Kooperation herausgestellt haben ist Vismann schon Teil einer Wissenschaft widerständiger und insistierender Kooperation, die nicht singulär und isolierte Medien fokussiert, um damit die Größe einer Trennung zu erklären. Selbst im Buch über die Akte geht es um etwas anderes als ein Medium und dessen Eigenschaften. Das Buch heißt Akten und Medientechnik - sie schreibt dort laufend über das, was ich einmal rhetorische Ensemble genannt habe, über die Kooperation von Medien. In Bildregeln habe ich insoweit auch nicht, auch auf Anregung von Vismann, unterstellt, dass es Bilder an sich und durch sich schon Bilder mit bestimmten physikalischen Eigenschaften und ästhetischen Effekten sind. Bilder sind Objekte durch Kooperationen, in die lauter andere Objekte und Subjekte involviert sind. Jemand trägt eine Robe, stellt sich auf eine Bühne, hält ein Plakat hoch, ein anderer druckt auf einen Auslöser, sendet die Datei an eine Agentur, Zeitungen suchen über Suchmaschinen im Bildarchiv nach einem Foto, jemand kommt Monate später mit einem Urteilstext: erst so ist das Bild, das Vincent Kessler von Matthias Prinz gemacht hat, zum Teil des Emblemes meines Buches über Bildregeln und Bilderstreit geworden - und das Emblem ist in den Manualen der Renaissance das Beispiel für ein Ensemble oder Kooperation aus Bild, Schrift und Gespräch.
5.
Das ist die erste Abbildung einer Linie in Vismann Buch zu den Akten, quasi ihre erste Linie, ein Quasipomerium. Diese Linie ist ein Saum, eine gekreuzte Linie, die einfädeln oder durchstechen lässt, was vor dem Gesetz stehen und was dort passieren soll. Das Motiv des Saums übernimmt später vor allem Ino Augsberg in seinen Arbeiten, ich übernehme des Motiv der Kreuzung, des Einfädelns und Durchstechens (Reigen)- aber wir beide sind da von Vismann angeregt worden. Der Text von Kafka ist nicht signiert, er ist liniert - und liniert mit einer brüchigen Linie. Vismann Deutung kippt von einer Lektüre des Textes in die Betrachtung eines Bildelementes. Sie achtet auf Rahmen, man achte mal darauf, was ich in Bildregeln daraus gemacht habe, wenn ich nicht nur Bilder abdrucke, sondern auch deren Milieu und deren Einbettung in inkrementelle Prozesse und Kooperationen.
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História e teoria de uma lei inconstante e polar
1.
Zur Wiederholung: die Anregungen, die von dem Werk von Cornelia Vismann für eine Geschichte und Theorie unbeständig polaren Rechts ausgehen, lassen sich zuerst an dem fünffachen, also pentafältigen Modell der Linienzüge, damit auch graphischer und choreographischer, zügiger Formen festmachen, das sie seit dem Buch über die Akten anbietet. Das pentafältige Modell lässt sich an folgenden Stellen oder Passagen festmachen, denen über
vague oder vogue Linien, also Wellenlinien tropischer, tafelnder, speisender und staatenloser Sozietäten,
Graphien einer civilen und wehrenden, so auch privaten (mit Grimm gedacht auch häuslichen) Verwaltungspraxis öffentlicher Dinge, wie man sie in den Tabellen und Listen der notitia dignitatum und dem Kalender des Filocalus trifft,
das Pomerium, die 'vorgeschobenen Linie', die Sozietäten kreisen lässt,
der Saum, also die perforierte oder poröse Linie , die Geschichten von, dem, was vor dem Gesetz sein soll, einfädeln und durchstechen (kreuzen oder versäumen) lässt, in was und zu wem auch immer (das nehmen später ich und Ino Augsberg besonders auf),
die Cancellierung, die auch als Tuch, Textil, Raster und Velum nutzbar ist.
Ich schlage vor, diese Linien und die zügigen Formen und ihre Techniken als juridische Kulturtechniken zu bezeichnen, um sie von juristischen Methoden zu unterscheiden und um deutlich zu machen, dass sie zwar in der Wahrnehmung von Recht kooperieren, dem Recht aber nicht eigen sind. Ich schlage vor, sie nicht gleich als politische Linien zu bezeichnen, weil sie das Politische irisieren, was gut ist, aber begrifflich für Verwirrung sorgen könnte. Das Kosmopolitische erhöht oder verringert an sich die Gefährdung juristischer ode juridischer Rationalität nicht und im Detail ist ohnehin alles anders (Stolleis). Ich schlage wie gesagt und wie Vismann vor, sie als Element juridischer Kulturtechniken zu betrachten.
2.
Ich schlage weiter vor, diese Züge als unterschwellig, minor, klein schwach oder weich zu bezeichnen. Sie sind Teil dessen, was unterhalb der Schwelle des Rechts liegt und dennoch dabei kooperiert, Recht wahrzunehmen und auszuüben, auch, sie zu üben, also zu lehren und zu studieren oder zu trainieren. Bei Begriff des Unterschwelligen und der Präposition unter orienientiere ich mich an Corenlia Vismann Unterscheidung zwischen Verwaltung und Verfassung (das ist eine besondere Unterscheidung), an der Literatur von Latour und de Castro, an Levi-Strauss und an der Literatur der Critical Legal Studies zur Minor Iurisprudences. Sprich: Es ist komplex, aber wir haben Zeit, zu diskutieren und zu erläutern, was das Unterschwellige sein soll. Es kann Infrastruktur sein oder sogar das, was mache die inkrementellen Prozesse der Gesellschaft und damit Züge oder Formate der Kooperation anbietet.
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Regel und Fiktion
Die normative Kraft des Kontrafaktischen: Das ist die Tracht des Rechts - und die Tracht des Rechts ist wie etwas, das überträgt und übertragen wird. Die Tracht des Rechts ist zum Beispiel eine Jacke, die sich ein junger Mann anzieht, um Staatsrechtslehrer zu werden. Das Kontrafaktische und die Fiktionen, das sind nicht Ideen, die sich einzelne Ausdenken: Das sind Kreuzungen. Regel und Fiktion. Zur normativen Kraft des Kontrafaktischen ist ein rechtstheoretischer Text, der allerdings an einem kulturwissenschaftlichen Fachbereich geschrieben wurde - in Auseinandersetzung mit jenem Teil der Frakfurter Schule, die kritische Theorie als ästhetische Praxis propagiert.
Die Tracht des Rechts: Ein unstillbares Übertragen, wie jenes Übertragen, das Ino Augsberg Kassiber nennt. Die Tracht des Rechts ist musterhaft, sie lässt das Recht mustern. Die Tracht des Recht kann wie ein Fluss reissen, wie ein Architekturzeichnung mitreissen und wie ein scharfer Spruch an einer Bar jemanden aufreissen. Die Tracht des Rechts kann Textil und Text sein, sie kann Fabrik/ Fabrikation sein, wie Latour sagt. Die Tracht des Rechts, ein tragender, trahierendes, traktierender Zug des Rechts kann ein Akt sein, wie Vismann sagt und kann Performanz sein, wie Sabine Müller Mall sagt. Die Tracht des Recht kann eine Tafel sein. Ein Beispiel kann eine Tracht sein, denn exempla trahunt. Für alles gibt es gute Beispiele, zum Beispiel französische Texte von Yan Thomas, und für alles gibt es böse Beispiele, zum Beispiel deutsche Fotos von Fabian Steinhauer:
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Wozu Anthropofagie?
1.
Ino Augsberg hat mich gestern Abend an den Anfang von Lacans Vortrag in Rom erinnert. Dort sagt Lacan, Aulus Gellius leite das Sprechen von vagire ab. Man übersetzt das oft als Schreien (meint das Schreien der Säuglinge), ich würde vagire auch mit Quengeln, Nöseln (unraffinierte, subtile oder frivole Formen des Querulierens), mit dem außer Gebrauch geratenen fagieren, also mit begehren, verkehren und verzehren) übersetzen. Gellius meint mit vagire etwas mit Krach und Kommunikation. Er meint die Geräusche und das Gerausche, die von den Säuglingen, also von kleinen saugenden Wesen veranstaltet werden. Das vagire könnte dabei jenen Teil bezeichnen, den die Saugenden veranstalten, um Saugende zu sein, also um zu essen. Das vagire ist mehr oder weniger als Essen, das ist phagein. Die Säuglinge saugen die Mutter aus, sie essen oder trinken ihren Saft, in diesem Fall ist das Milch. Es sind keine Vampire, und sie vagieren doch. Sie schmatzen. Man kann vagire auch mit kreisen/ kreischen übersetzen, die Engländer sagen cry. Dieses kreisen wäre elliptisch, sprunghaft, wie vom eigenen Rücken perforiert. Der eigene Schub sorgt für Sprünge, die die Bewegung anhalten lassen, im Sinne einer Unterbrechung und eines Durchhaltens.
2.
Am Anfang war Rauschen und Treiben. Am Anfang war noise. Am Anfang war das Nöseln, Quengeln und Quak-Quak. Am Anfang war O O und A A, vor allem aber wohl (so Gellius ) das OA (sprich: Vuoa wie in Vatikan) und am Anfang, wie später dann Kittler sagen wird, war das Bla, manchmal mit dem Blub. Am Anfang war was mit dem Blub.
Aulus Gellius habe das notiert, sagt Lacan, bevor in Rom die Glorie des höchstens Stuhls (die Übersetzer schreiben gewagt, abgewogen oder aber modisch: Throns) offenbart habe.
Das ist geschrieben la chaire du monde, damit ist gesagt (mitgesagt ist) la chair du monde. Gut, dass ich gestern unseren Gästen Fleisch und Spinat (allerdings ohne den Blub) serviert habe.
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Manta
Der Manta ist, spätestens jetzt, ein Bilderfahrzeug, in das man schlüpfen und in dem man eine Strecke abfahren kann, dann steigt man wieder aus. Davon hat der Manta seinen Namen, man kann rein und rausschlüpfen, er transportiert einen. In seiner Affinität zur Mantis, zur Semantik und zu Mänteln ist er historisch betrachtet der Zeitfahrzeuge einer Geschichte, an der zwar etwas nicht stimmt, aber dafür etwas dran ist. Das, an dem etwas nicht stimmt, dafür aber dran ist, das ist sowohl der Forschungsgegenstand von Johann Jacob Bachofen als auch der von Jean Starobinski, von Aby Warburg oder auch Thomas Schestag. Das ist der Forschungsgegenstand von Cornelia Vismann, Ino Augsberg und mir, von Pierre Klossowski, Maria Muhle, Johan(nes) Horst und Ricardo Spindola, von Roger Caillois auch, ganz sicher der von Karl-Heinz Ladeur. Am Ding stimmt etwas nicht, dafür ist etwas dran: Die genannten 'Mantafahrer und Beifahrer im Geiste' sind Mantiker.
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Foto 1 via Ino Augsberg
Deuten
Bevor die Wahrsager enteignet wurden war es kein Geheimnis - oder bis dahin waren die Leute mutiger: Alles lässt sich scharf und präzise deuten, sogar Schloß Burg an der Wupper im Bergischen Land oder eine Bronzeleber.
Benjamin, Kafka und Warburg wissen das sehr genau. Warburg feilt scharf und präzise an einer Geschichte und Theorie des Vaguen, auch in rechtlichem und rechtswissenschaftlichem Kontext. Vagues Recht und vague Assoziationen lassen sich nach Warburg scharf, bestimmt und präzise interpretieren, das macht er auf den Staatstafeln. Der Leser muss nicht auf die Autorisierung seiner Lektüre warten, also seine Lektüre nicht an eine angeblich bevollmächtigte Instanz delegieren. Wenn er das tut und wartet, dass ein Dritter ihm sagt, wie er zu lesen hat, dann kann er lange warten, wie ein Mann vom Lande. Lange warten zu können ist nicht unbedingt schlecht, nicht unbedingt gut, es ist unbedingt instituiert, weil Institutionen dasjenige sind, was (er-)warten lässt.
Didi-Huberman hat insoweit Warburgs Verfahren mit einer Formulierung assoziiert, die bei Benjamin auftaucht: Warburg lese, was noch nicht geschrieben steht. Er gibt sogar zu lesen, was noch nicht geschrieben steht. Das betrifft Schreiben, Graphien und Choreographien, die zwar schon vorkommen, aber immer noch nicht gefestigt sind. Warburg deutet also auch, was geschrieben noch nicht steht. Das macht ihn zum Polarforscher und zu einem Wissenschaftler eines Rechts, das nicht nur Direktive sondern auch Regen ist. Die Letter sind Mahle, die bereitet sind: ab urbe condita, nur bezieht sich condita insoweit auf condeo und condio. Graphie muss nicht regiert sein, um lesbar zu sein. Graphie muss nicht regiert werden, um es zu deuten. Graphie kann auch regend lesbar sein. Das macht ihn zum Historiker und Theoretiker unbeständigen, meteorologischen und polaren Rechts.
Es gibt Leute, die lesen Texte und sagen dann, die Texte seien vague und darum auch unklar, unscharf oder diffus. Zuviel stehe drin oder man könne viel dazu sagen, aber gerade darum hält der eine oder andere ein und wartet auf eine Autorisierung der Interpretation. Man wartet auf den Chef. Viele Leser sehen viel im Text, trauen sich dann aber nicht, selbst zu deuten. In Deutschland gilt Vieldeutigkeit nicht allen als Mangel, aber ein paar Leuten schon. Zu wenig Chefsache sei im Lesen, das Lesen sei nicht beherrschbar. Bevor es dann solchen auf Chefsache und Leitbild ausgerichteten Subjekten zuviel wird, schlagen sie lieber gleich vor, dass Schluss sein soll mit der Lektüre. Der Autor sage viel, man könne ebenfalls viel dazu sagen, aber der Autor sage nicht, wie man sich bei der Lektüre entscheiden solle: So begründen obertänig ausgerichtete Leser das Ende der Lektüre. Sachen gibt's, die gibt's, aber erst da, wo die Wahrsager enteignet wurden, die Deutung Hof und Stand hielt und, wie Fögen sagt, die Frage nach der Wahrheit zu einer nach dem Gesetz wurde. Man hat die Deutung lieber reguliert, als sie regnen und regen zu lassen.
Schloss Burg, Bergisches Land, kafkaeskes Motiv, aber nicht das einzige Motiv mit römischer Geschichte und antikem Nachleben. Ab urbe condita muss nicht heißen: seit der Bergung oder Burgbildung Roms. Das kann auch heißen: seitdem im Kreise zubereitet oder seitdem kreisend/kreischend/ kriselnd betrachtet wird. Ab urbe condita, d.m. ab schlüssiger Reizung.
Condita ist ein Wort mit zwei Haken.
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Polarforschung
Auf Tafel 79 polarisiert Warburg, in dem er die Betrachtung um Achsen kreisen lässt. Die Tafel reigt elliptisch. Warburg erfindet nichts, er kennt die Geschichte eines Wissens, dessen Gegenstände kreisen und dessen Medien und Techniken darum ebenfalls kreisen. Warburg kennt die Geschichte der Astrologie und Astronomie, verwaltungsrechtlich kennt er die Geschichte der Computisten und der Zeitmessung. Rom ist bei Warburg nicht unbedingt Raum, Raum kann zudem bei Warburg Denkraum sein - und in Warburgs Denkraum bleibt der Raum erstens relativ und damit zeitlich, also auch der Zeit verbunden.
Ich kann mir schwer vorstellen, dass Warburg Figuren wie die prudentia bifrons, der Janus und die Cardea/ Carne, also Figuren, die gemeinhin als Teil einer Jurisprudenz der Ambiguität, als Teil explizit mehrdeutiger rechtlicher Praxis und mehrdeutiger Rechtswissenschaft (auch im Sinne von Ino Augsbergs Überlegungen zum methodischen Verfahren) nicht auch als Figuren der Zeitmessung und der Verwaltung von Zeit verstanden hat. Diese Figuren können ambigue sein, sie können aber auch polar und/oder meteorologisch sein. Janus und Carne/Cardea können, müssen aber nicht für das Doppelte von Deutung einstehen, nicht für Paradoxien, Widersprüche oder Gegensätze, nicht für die Kontingenz von Deutung. Sie können für die Verwaltung von Zeit einstehen - beides mal im Fall von deutlichen Wenden.
Während Janus heute weitgehend unübersetzt noch ein Teil der Rechtskultur ist, ist Carne/ Cardea heute deutlich übersetzt und quasi verfremdet worden. Ich glaube, dass der heilige Johannes, São João, Carne/ Cardea übersetzt. Seitdem ich in Recife war und dort São João gefeiert habe, glaube ich das um so mehr. Ihren Feiertag hat er übernommen.
Diese These ist Teil einer archäologischen Geste, die nicht auf Fragmentierung verweist, die also in der Geschichte zwar mit Kontinuitäten und Kontinuitäten hadert und die zu händeln versucht, aber der Größe von Brüchen kein einrastbares Maß geben kann. In so einer Geschichte kann es zwar große Brüche geben, etwa Revolutionen oder Emergenz mit großer Wirkung. Die Größe kann und wird aber schrumpfen, die Größe kann ins Kleine gehen. Ihre Geschichte ist eine Geschichte der Kontraktion und Distraktion. Wenn sich in der oder mit der Ambiguität etwas öffnet, dann nicht, ohne zu schließen. Wenn Ambiguität etwas (auf-)reißt, dann nicht ins Leere hinein. Der Riss sitzt einem historischen Material auf, keiner Leere. Im Winter und im Sommer werden Wenden feierlich und festlich, weil die Messung der Zeit immer, noch während der Feier, ein ernsthaftes Problem darstellt. In ihrer symbolischen und imaginären Fassung verlieren die energischen Kippmomente nicht das Reale.
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