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8. November 2024
Keine Papiere, keine Kohle
Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit einem kleinen Ingenieurbüro, das hauptsächlich für Gerichte in Berlin und Umgebung tätig ist. Während in Brandenburg und auch vielen anderen Regionen Deutschlands die elektronische Akte ganz überwiegend längst im Alltag angekommen ist, schiebt man auf Berliner Gerichtsfluren vielfach noch geheftete Papierstapel auf kleinen Bollerwagen durch die Gegend. Ein Grund mit dafür dürfte neben der grundsätzlich skeptischen Haltung in der Justiz gegenüber Veränderungen in Richtung Digitalisierung der sogenannte Cyberangriff aus dem Jahr 2019 auf das Kammergericht sein, das höchste Berliner Gericht.
Wir vermuteten, dass wir sicherlich das letzte Büro sind, das - mit einem eBO - auf elektronischen Rechtsverkehr umstellt. Die Gesetzeslage ist etwas undurchsichtig, ob man sowas haben muss oder nicht. Fakt ist aber, dass uns niemand verwehren kann, diesen Kommunikationsweg zu nutzen. Dachten wir. Denn eine kleine Berechnungsstelle im größten Strafgericht Europas sieht das anders, wie ich seit zwei Telefonaten weiß. Zusammenfassen kann man die Sachlage so:
Man kann unsere Rechnungen nicht bezahlen, weil der Geschäftsstelle beim Einreichen einer elektronisch ausgestellten Rechnung ernsthaft was zum Abheften fehlt, worauf man einen „Bezahlt“-Vermerk machen könnte. Es müsse unbedingt der nach der Gerichtsverhandlung ausgehändigte Abrechnungsbogen im Original eingereicht werden. Das ist auch ein sagenhafter Anachronismus: Der oder die Vorsitzende muss nach der Vernehmung von Sachverständigen handschriftlich ein paar Einträge in einem Formular machen, die in dreifacher Ausfertigung mit zwischengelegtem Kohlepapier durchgeschrieben werden. Das Kohlepapier ist ein kleines Heiligtum in Moabiter Gerichtssälen, auf das mit Argusaugen geachtet wird. Vermutlich stellt ein letzter Hersteller dieses Papier nur für ein Berliner Gericht her, mutmaße ich.
Jedenfalls ginge es nicht, so die Berechnungsstelle, dass wir das Formular gescannt mit unserer Pdf-Rechnung einreichen. Es bestünde ja die Möglichkeit, dass so eine Rechnung bzw. das Formular unbemerkt mehrfach eingereicht wird. Ich hab dann auch nicht weiter gefragt und darauf gepocht, dass wir aber doch elektronisch einreichen dürfen, sondern unsere Buchhaltung angewiesen, die Rechnungen wieder auszudrucken und per Post zu schicken. Erfahrungsgemäß nutzt es nichts, sich gegen solche Vorgaben aufzulehnen, da nur ausgeführt wird, was von anderer Stelle vorgegeben wird. Dummerweise haben wir zwischenzeitlich einige der Formulare nach dem Scannen längst geschreddert. Mal sehen, wann wir unsere Kohle bekommen.
(Markus Winninghoff)
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