Text
Pinke Hemden
Soeben verklingt der letzte Ton und der Applaus brandet auf. Auch ich löse mich langsam aus meiner emotionalen Schockstarre und führe beide Armfortsätze ruckartig zusammen um in das Meer von Klatschgeräuschen einzustimmen. Ein bisschen verwirrt schaue ich aus der Wäsche und bin immer noch nicht ganz da, als mich Anna beinahe wie einen übergroßes Kleinkind an der Hand nimmt und durch das Stimmengewirr aus dem Saal zieht. Sie faselt irgendwas von ansprechender Darbietung, wunderbarer Musik und elektrisierender Atmosphäre. Ich nicke stoisch und bringe immer wieder ein “Ja” oder glaubwürdiges “Mhmm” über die Lippen. Eine Fähigkeit dich ich nach einigen Jahren Beziehung nun perfektioniert habe ist nämlich das interessiert und anwesend Wirken. Überlebensnotwendig und mit etwas Übung sogar noch erweiterbar, sodass das Gegenüber den Eindruck gewinnt einen aktiven Zuhörer vor sich zu haben. Auch jetzt zahlt es sich wieder aus, denn wie ich so meinen Gedanken und Gefühlswirrwarr hinterher hänge, merkt Anna gar nicht, dass ich gedanklich ungefähr soweit weg bin, wie Eisbären und Pinguine in freier Wildbahn. Ein Fakt den ich erst im jungen Erwachsenenalter lernte und außer mir nur mein damaliger Gesprächspartner weiß... Gott sei Dank. Was mich nun geistiges Krafttraining verrichten lässt, sind die Nachwirkungen eines Konzertes der besonderen Art. Viel drehte sich in den Liedern um den Glauben und die Frage, ob man den Glauben an den Glauben auch mal verlieren kann. Warum mich das nun so sehr beschäftigt weiß ich auch nicht genau. Vielleicht liegt es an den eindrucksvollen Erzählungen und Erlebnissen der Künstler. Vielleicht tatsächlich auch an den wunderbaren Klängen. Vielleicht aber auch beides. Ich konnte die Künstler gut verstehen. Sie hatten Fragen an den Glauben, die dieser ihnen nicht beantworten konnte. Sie hatten Erlebnisse die nicht in Einklang zu bringen waren mit dem, was sie seit Kindesbeinen an gelernt hatten. Sie hatten Menschen kennen gelernt, die nicht in ihr Menschenbild passten und doch Eindruck hinterließen. Ist der Glaube wirklich so eindimensional wie er manchmal gepredigt wird? Gibt es wirklich so klare Urteile, was falsch und was richtig ist? Ist wirklich alles so genau wie man es liest? Ist Gott tatsächlich so, wie er uns erzählt wird? Ist er der Vater, der ein komplett ausgefeiltes pädagogisches Konzept bereit hält, mit Belohnungssystem und Konsequenzen für jede Handlung, die er abends in seiner halben Stunde mit den Kindern durchzieht? Hat er gar Freude daran Vorschriften zu machen und uns zu belehren? Oder ist er vielleicht viel mehr der gutmütige, manchmal selbst noch kindliche Vater von nebenan, der manchmal Bunt- und Weißwäsche vermischt und plötzlich mit todschickem pinken Hemd herumläuft, der täglich viel Zeit mit den Kindern verbringt, ihnen zuhört, sie leitet und prägt; ohne ein Konzept, aber mit klarer Richtung? Vielleicht... “Manfred komm steig ein, gleich fängt es an zu regnen”, unterbricht Anna meine Gedanken. Ich bemerke erst jetzt, wie ich die Hand am Türgriff habe und mein Spiegelbild seit geraumer Zeit im Seitenfenster anstarre. Anna fragt erst gar nicht. Bedenklich, dass sie das für normal hält...
0 notes
Text
Goldfischapokalypse
Ist es eigentlich verwerflich, sich zu freuen wenn eine Gemeindeveranstaltung ins Wasser fällt? Also in diesem Fall wortwörtlich ins Wasser. Im Jugendraum des Gemeindehauses steht seit zwei Jahren etwa ein Goldfischaquarium. Warum es dort steht weiß keiner mehr so genau. Wie die Dreieinigkeit ein Mysterium welches nicht erfasst werden kann. Die interne Geschichtsschreibung, in Form der 85 jährigen zahnlosen Edeltraut, vermutet ein Wunder Gottes, ein regelrechtes Schöpfungswunder sozusagen. Die Menschen mit etwas mehr Realitätsbezug vermuten, dass der Hausmeister wegen der angeblichen Goldfischallergie (so eine geniale Ausrede kann nur eine göttliche Eingebung sein) seiner Frau, hier seiner Leidenschaft nachkommt. Nun ja jedenfalls war für Sonntagabend ein Jugendkreis geplant, bei dem ich gefragt wurde ein kleines Thema zur Enthaltsamkeit vor der Ehe zu machen. Manchmal frage ich mich, ob unsere Leiter von allen guten Geistern, bzw. biblisch korrekt dem guten Geist, verlassen wurden. Und dann frage ich mich, ob dasselbe mit mir passiert ist, als ich mich sagen hörte:
“Hm kann ich machen. Kein Problem. Gerne.”
Die drei Stufen raus aus der Freiheit hinein in die Fänge des christlichen Leistungsdrucks und der heiligen Arbeitswut.
Stufe 1: Hm kann ich machen. --> Noch recht unverfänglich ist diese Formulierung meist die Einstiegsdroge. Die Formulierung “kann” ist sozusagen die Ausstiegsklausel aus dem mündlich, aber dennoch verbindlich abgeschlossenen Vertrag. Denn die darauffolgende Frage, ob es auch wirklich geht, kann mit einer Aufzählung der schon zu tuenden Aufgaben und kaum vorhandenen Freizeit beantwortet werden. Meist kommt ein verständnisvolles “Mhm kenn ich. Ich frage mal jemand anderen.” Verpasst man diesen Ausstieg gibt es kaum mehr einen Ausweg.
Stufe 2: Kein Problem. --> Das christliche Äquivalent zur Schulnote drei. Einen moralisch unverwerflichen Ausweg gibt es nun nicht mehr. Die Aufgabe wird übertragen, kann aber mit durchnittlich bis mäßigem Aufwand erledigt werden. Wenn man gar kein Gewissen mehr hat, meist aufgrund von vergangenen Erfahrungen in diesem Bereich, kann eine vorgetäuschte Krankheit oder wahlweise Hochzeit eines jungen christlichen Paares Abhilfe verschaffen.
Stufe 3: Gerne. --> Nie, nie NIE “gerne” sagen. Der darin implizierten Freude an der Aufgabe wird mit höchsten Anforderungen begegnet, die jedem Arbeitstier in der freien Wirtschaft die Farbe aus dem Gesicht weichen lässt. In der nächsten Zeit wird von Koffeinhaltigen Getränken und kurzen Nickerchen in der Arbeit gelebt.
Nun ja, also stürzte ich mich nach meinem Faux-Pas in die Arbeit und stieß sofort auf eine geistliche Blockade. Was sollte ich denn bitte über Enthaltsamkeit erzählen, ohne dabei jemanden auf die Füße zu treten, mich selbst zu offenbaren oder den sowieso schon roten Streuselkuchen Teenie Gesichtern die Schamesröte in das Gesicht zu treiben?
Doch in meiner tiefsten Verzweiflung erreichte mich die Nachricht des Jugendleiters Hannes. Am Abend vor meinem Lebendbegräbnis geschah das unerwartbare. Ein etwas übermütiger Jugendlicher schoss mit dem Tischkickerball ein Loch in das Aquarium. Innerhalb kürzester Zeit hatte man einen Eindruck davon, wie sich die Sinflut angefühlt haben muss. Ein Massengrab der Goldfische konnte nur durch beherztes Eingreifen der Jugendleiter und Zeitweise Herz-Lungen Massage an den Goldfischen verhindert werden. Sie residieren nun vorübergehend in den Cocktailgläsern der Jugend.
Zwar hat Gott versprochen keine Sinflut mehr zu senden, trotzdem preiste ich den Herrn so ehrlich und lautstark wie schon lange nicht mehr, für dieses mächtige Eingreifen. Wie heißt es noch so schön? Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.
0 notes
Text
Bibel App
Ich renne durch die Wohnung, aufgeschreckt wie ein Hühnerhaufen der gerade erfahren hat, das ein McDonalds um die Ecke eröffnet hat. Existenzängste plagen mich und lassen mich nicht in Ruhe. Ich verfasse schon gedanklich meinen letzten Willen, im Falle, dass mich jemand für tot hält. Was ist passiert? Wirtschaftszusammenbruch, eingeschneit oder gar Lebensmittelknappheit? Nein, mein Internetanschluss ist ausgefallen und wird erst in einigen Wochen neu installiert. Einen Moment denke ich nach, ob ich durch die Wand zum Nachbar bohre und bei ihm anzapfe, die Leute in Indien machen das schließlich auch um Strom zu bekommen. Es heißt ja nicht umsonst:
”Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen.” Letztlich aber siegt die Vernunft, und die Angst über eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch und ich sacke resigniert auf dem Sofa zusammen. Das erste mal seit mehreren Monaten nehme ich den Hörer in die Hand und rufe die wichtigste Person in meinem Leben an, den Pizzaservice ein Dorf weiter. “Wie immer?” “Wie immer.” Plötzlich wird mir bewusst wie unsagbar abhängig ich vom Internet, dem Entertainment und einfach Kontaktmöglichkeiten das es bietet, bin. Auf meinem Weg zum WLAN Router sehe ich meine Bibel auf dem Couch-Tisch. Schon lange nicht mehr aufgeschlagen das Ding, aber ich bekomme ja jeden Tag einen Bibelvers per App mitgeteilt, das muss ja reichen. Aber das funktioniert auch nicht mehr, jetzt da ich von der virtuellen Welt abgeschnitten bin. Würde es mich mehr herausfordern ohne Kontakt zu Gott oder ohne Kontakt zum WorldWideWeb zu leben? Wenn ich ehrlich bin, die Bibelverse aus der App sind auch nicht mehr als eine Benachrichtigung unter vielen. Immerhin wirke ich damit echt fromm. Immerhin habe ich die Bibel-App sogar auf meinem Startbildschirm. Das kann nun auch nicht jeder von sich behaupten, nicht mal mein Hauskreisleiter Thomas hat das. Und während ich mir so innerlich auf die Schulter klopfe, greife ich unbewusst zum Laptop um ein paar Minuten zu surfen. Die Bibel, bleibt weiter auf dem Couch-Tisch.
0 notes
Text
Discokugel
Möööööööööööööööööööp - ungefähr so dröhnt das Nebelhorn der Verunsicherung in meinen Ohren. Frage mich immer noch, ob diese Technik wirklich funktionieren kann, habe schließlich noch nie ein Nebelhorn in Aktion gesehen. Stelle mir das auch ziemlich unangenehm als Seemann vor: Seetang in die Ohren, fertig? Mööp. Jedenfalls fühle ich mich genauso verblasen, wie wenn ich ohne Seetang in den Ohren direkt vor dem Nebelhorn meines Lebens gestanden wäre. Nämlich meinem Glauben. Eigentlich sollte der ja den Nebel des Lebens aufklären. Aber mittlerweile bin ich nicht nur blind sondern auch noch taub. So viele Sehnsüchte und Fragen und statt mir darauf antworten zu geben klatscht mir mein Pastor am Sonntag auch noch nen nassen Lappen voller Fragen zu meinem Glaubensleben um die Ohren. Es war wieder so ein Sonntag an dem ich augenscheinlich soooo vertieft in mein Handy war, dass ich die Leute gar nicht um mich rum wahrgenommen habe. Eine clevere Taktik für Tage an denen einem einfach jeder Menschenkontakt zu viel ist. Besonders kluge Sprüche von weniger klugen Menschen konnte ich jetzt nicht gebrauchen. So gerne ich Eduard auch habe, wenn ich so drauf bin, dann kann er sich seine weisen Sprüche und einfachen Antworten auf schwere Fragen in die Hausmeister-Latzhosentasche stecken. Irgendwie bin ich sehr unleidig, wenn mich diese Fragen piesacken. Nur als Anna nebenbei anmerkte, dass unser Pastor mit seiner glänzenden Glatze auch gut als Discokugel dienen könnte, musste ich kurz schmunzeln und stellte mir so vor, wie er bei einem unserer Jugendgottesdienste von der Decke hing und durch die Lichteffekte auf seiner Glatze endlich mal für Stimmung sorgte, wenn ihm das beim Predigen schon so schwer fiel. Warum gehe ich eigentlich noch in den Gottesdienst? Warum glaube ich an einen Gott, der mir mehr Fragen als Antworten schenkt? So langsam schleicht sich bei mir das Gefühl ein, dass er das mit voller Absicht so macht.
0 notes
Text
Synchronschwimmen
Links-Rechst-Rücken-Links-Rechts-Rücken, so verrichte ich schon seit nun mehr als einer Stunde Trockenübungen für die Synchronschwimm-WM der Männer. Wasser ist dabei allerdings eindeutig leichter zu verdrängen, als die ewigen Gedanken über den morgigen Tag. Dabei sollte ich mich doch freuen, kann ich doch meine Weisheit und Gedanken zum Thema “Was hat Evangelisation mit mir zu tun?” weitergeben. “Ein tolles Thema mit viel Tiefgang und Herausforderung.” meinte mein Hauskreisleiter Thomas, den ich liebevoll den ‘schwergläubigen Thomas’ aufgrund seiner beachtlichen Körperfülle nenne. Super genau das, was ich nicht brauche. Habe die Bibel aufgeschlagen und gleich wieder zugeschlagen. Wo soll ich denn da anfangen bitteschön? Warum sucht er aber auch genau mich aus? Das letzte mal als ich, nun ja evangelisieren kann man es nicht nennen, sagen wir mal heilig stottern war, ging das ganze so in die Hose, dass ich mich für eine ‘Gebetsstunde’ auf das McDonalds Kunden-WC gesetzt und dort bis zum Ende der angesetzten Zeit verweilt habe. Als ich dann gefragt wurde, wo ich denn die ganze Zeit war, erwiderte ich nur, dass ich eine Gebetszeit mit einem Menschen auf der Suche hatte. Fromm und nicht gelogen, fragte ich mich doch damals was ich auf einer Evangelisation sollte. Lange Rede kurzer Sinn, die Entscheidung mir dieses Thema für den Hauskreis zuzuweisen ist wie wenn Jesus auf einem Anonymen Alkoholiker Treffen Wasser zu Wein gemacht hätte. Kurz gesagt, katastrophal. Sehe mich schon schweißgebadet und stammelnd vor den anderen Sitzen, während ich versuche zu erklären, weshalb Evangelisten keine Bademeister werden dürfen. Auflösung: Weil sie bei einer ausgestreckten winkenden Hand nur sagen: “Ich habe ihre Hand gesehen.” anstatt die Person wirklich zu retten. Mein Humor stößt meist nicht auf Anklang in meiner Gruppe. Entscheide mich letztendlich morgen über ‘Die Wichtigkeit jedes einzelnen im Missionsauftrag für den Leib Christi’ zu sprechen. Dabei schließe ich in meinen Gedanken jeden mit ein, bis auf mich, ich bin ja zu sowas nicht berufen. Das kann ja heiter bis wolkig werden..
0 notes
Text
Michelin Männchen
Manchmal frage ich mich ernsthaft warum mich meine Mutter damals Manfred gennant hat. Ich meine es gibt so viele schöne Namen wie: Tim, Noah, Marcel, Thomas. Allesamt bodenständig aber doch schön im Klang und dann komm ich MANNFRÄÄÄÄD und platze hinein wie die Axt im Walter, ähm Walde. Heute habe ich ein junges Ehepaar aus unserer Gemeinde im Nachbarort beim Einkaufen getroffen. Nachdem wir uns gegen eine christliche Umarmung und für einen Handschlag entschieden haben, wo kämen wir denn hin, wenn wir unsere christliche Nächstenliebe so öffentlich zeigen würden, man könnte ja sehen, dass wir Christen sind; redeten wir über den neuen Familienzuwachs, der während dem Gespräch eine Schleimspur auf der mütterlichen Schulter hinterlies, auf der sogar eine Weinbergeschnecke ausgerutscht wäre. Der kleine Zachary Nathaniel ist jetzt gut 11 Monate alt wie ich ausrechnete. Ausrechnen sage ich, weil Eltern ja scheinbar alles in Wochen ausdrücken müssen. 44 Wochen, wer sagt den sowas? Ich sage ja auch nicht, ich habe mich vor 780 Wochen bekehrt, auch wenn ich da auch von neuem geboren wurde. Ich schweife ab. Jedenfalls erzählten sie wie dieses Kind neue Dinge dazu lernte, wie es lachte, was für Schwierigkeiten es bereitete und die lange Liste von schlaflosen Nächten die Zachary verursachte. Als ich dieses kleine Michelin-Männchen (den Vergleich darf ich den stolzen Eltern auch nicht offenbaren) so anschaute, wie es mit einem Lächeln auf den Lippen sorglos in den Armen der Eltern lag und sich des ganzen Aufwandes und Trubels um seine Person nicht im klaren war, spürte ich diese Sehnsucht nach genau dieser Geborgenheit in mir hinauf kriechen. Ich bin doch Gottes Kind. Schaut er mich mit meiner gefüllten Lebenswindel auch so liebevoll von oben an? Ich bin sicher ich habe ihm auch so einige schlaflose Nächte bereitet, als ich ihm die Ohren voll gejammert habe und wie eine Feuerwehrsirene ein Gebet nach dem anderen ihm entgegenschmetterte. Ich verabschiedete mich an der Kasse mit einem kleinen Knuff in die Babywange, was der kleine Wonneproppen prompt mit einem ohrenbetäubenden Schreien kommentierte. Ich zog den Kopf ein, entschuldigte mich leise und blies rasch zum Rückzug. Freue mich schon wenn Anna und ich uns damit rumschlagen dürfen. Zachary Nathaniel... der kleine ist auch fürs Leben gestraft. So christlich die Namen auch sein mögen, da macht man sich ja nen Knoten in die Zunge. Da ist Mannfräääääd doch fast eine Wohltat.
0 notes
Text
Tanzbein
Heute ist Sonntag. Der Tag des Herrn, des billigen Parfums, der möchtegern Hemdträger und plötzlich lammfrommen Teenager. Ich stehe also morgens auf, betrachte mein Meisterwerk des gestrigen Tages und sehe ein, dass ich doch an manchen Stellen nochmal nachstreichen muss. Und da ich so eine ungeduldige Person bin, ertappe ich mich dabei wie ich Gott doch tatsächlich frage, ob er sich seine Ruhepause nicht einen Tag später hätte gönnen können. Klatsche mir kurz gegen den Kopf um diesen reichlich unheiligen Gedanken zu vertreiben. So richtig helfen tut es aber nicht. Nach einer längeren Autofahrt in das Haus Gottes betrete ich die Hallen, nicke hier und dort jemanden zu, den ich zu kennen meine und setze mich schließlich an den Platz, der mittlerweile eigentlich meinen Hinternabruck auf sich verewigt haben sollte. Doch dafür macht Eduard, der gerade auf mich zu kommt, einen zu guten Job. Er ist Hausmeister und hat immer ein Lächeln auf den Lippen. Angenehmer Mensch wie ich bei mehreren Fußballabenden feststellen durfte. Allerdings Bayern-Fan, was ihn leider nur auf 7 von 10 Heiligenscheinen, meine persönliche Sympathieskala für Christen, kommen lässt. Ertappe mich wie ich mich, nach einem kurzen Plausch mit ihm, auf den Gottesdienst freue; komisches Gefühl. Eduards Satz: “Mit Kirche ist es wie beim Fußball, wenn du kein Erlebnis hast, gehst du irgendwann auch nicht mehr ins Stadion.” geht mir nicht ganz aus dem Kopf. Herr, ich will aber ein Erlebnis haben. Mir gefällt mein Stadion ganz gut eigentlich. Die Band schlägt die ersten Akkorde an und ich entscheide mich genauso laut mitzusingen wie bei den besten Spielen meines Vereins, die leider auch immer seltener werden. Ein erhebendes Gefühl stellt sich ein, während ich Gott diese alte Hymne entgegen schmettere. Nach einiger Zeit springt der Pastor auf die Bühne und predigt. Als ich mich bereit mache mein obligatorisches 5min Schläfchen zu halten, kann ich allerdings kein Auge zu tun. Der Pastor scheint heute zu mir zu sprechen. Oder ist das Gott? Keine Ahnung, jedenfalls trifft die Predigt über Neuanfänge ziemlich genau meinen Nerv. Anschließend kurze Gebetszeit für unser Land, die ich heute sogar einmal bewusst mitmache. Als der Abschlusschorus erklingt und mit treibendem Rhythmus den Gottesdienst beschließt, bewege ich fast meine Füße zum Takt der Musik. Kann mich gerade noch beherrschen. Ich will mich doch nicht lächerlich machen.
0 notes
Text
Alpin Weiß
“Water you turned into wine!” plärrt mein Küchenradio lauthals durch die ganze Wohnung. Hoffnung und Glaube hallt von den nackten Wänden wieder, die ich gerade versuche mit Farbe von Aldi zu streichen. ‘ALPIN WEIß’ steht mit großen Lettern auf dem Eimer geschrieben. Die Beschreibung trifft es ganz gut, bilden sich doch immer wieder neue Brocken von Farbe die wie Berge an der Öberfläche schwimmen. Ich blicke sie drohend an und sie blicken zurück. Ein Duell, welches ich die letzten 50 mal verlor. Warum ich es weiter versuche? “Denn wahrlich ich sage euch: So ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so mögt ihr sagen zu diesem Berge: Hebe dich von hinnen dorthin! so wird er sich heben.” Nun ja das muss ich wohl nochmal üben. Ist der Hersteller der Farbe Christ und will nur, dass ich weiter wachse? Sicher nicht, sonst hätte er eine 3-Punkte-Predigt auf die Verpackung gedruckt mit dem Titel: ‘Wie versetze ich die Berge meines Lebens’. und sie mit vielen Ausrufezeichen und rhetorischen Fragen gespickt. Während ich also so vor mich hin streiche und hin und wieder meinen alpinweißen Schnurrbart bewundere den ich, Gott weiß wie, in der letzten halben Stunde auf meiner Oberlippe zum florieren gebracht habe, kreisen meine Gedanken abwechselnd um die Peinlichkeit, dass ich seit nun mehr Jahrzenten Christ bin und immer noch nicht weiß wie groß dieses sagenumwobene Senfkorn wirklich ist oder geschweige denn aussieht, und darum, wie ich eigentlich Glaubenstechnisch aufgestellt bin. Es gibt Zeiten in denen ich beinahe dazu tendieren würde mir einen soliden mitessergroßen Glauben einzugestehen. Zeiten in denen ich Lobpreislieder, wie das nun verklingende, mit geschwellter Brust und lauter Stimme schmettern kann und dabei sogar das Fenster gelegentlich offen lasse, damit die Nachbarn auch etwas Evangelisation abbekommen. In letzter Zeit allerdings gleicht mein Glauben eher einer Amöbe die versucht sich durch unauffälliges Kriechen fortzubewegen. Diese Einzeller schaffen es aber immerhin sich zu teilen und zu vermehren. Wo bleibt meine Glaubensvermehrung? Fragen über Fragen. So ein gute Rotwein aus der Kelterei ‘Jesu Christi erstes Wunder’ Jahrgang 30 n.Chr. würde mir jetzt auch munden.
0 notes