Tumgik
maylemur-blog · 7 years
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Exkurs: Bioladen
Gestern: mein erster Besuch im örtlichen Hofladen. Eher ein Mini-Bioladen. Modern, hübsch, sauber. Es gibt Obst und Gemüse (viel, frisch, Bio) und andere Lebensmittel des täglichen Bedarfs (nur das Nötigste: Nudeln, Quark, Eier, Brot, Milch, Käse...).
Ich komme in den Laden und instant: Glück. Was ich hier erlebe kontrastiert so herrlich mir verhasste Großmärkte (Kaufland!) - es gibt, was man braucht. Kein Auswahl. Kein Suchen. Kein lästiges, letztlich unbefriedigendes Vergleichen. Eine Milch. Drei Sorten Joghurt. Ich bin glücklich.
“Hallo”, sage ich. “Ich bin heute zum ersten Mal hier. Wie funktioniert das hier?” Die Frau, die mich bedient: Mitte 40, gepflegt, gut gekleidet. Angenehm. Ich lausche ihren Ausführungen zu Salatsorten, schaue ihr in die Augen, schaue ihr auf die Hände, die den Salat halten, beinahe zärtlich die Blätter auseinanderbiegend. “Ich probier mal den bunten aus, glaub ich”, sage ich.
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Warum: Schlechtes Gewissen? Wachsendes Bewusstsein? Der Widerspruch: “Kauft regional, saisonal” in der Schule, danach: Kurztrip zu Aldi.
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Salat, eine Gurke, zwei Karotten, eine handvoll Champignons, ein Brot. Ich bekomme noch eine Aprikose geschenkt, “auf den Weg”. Teuer, das. Manche sagen ja, es sei ein Gerücht, dass Bio so teuer ist. Ein Gerücht, wenn Sie mich fragen.
Zuhause rühre ich eine Salatsoße an. Ausnahmsweise gebe ich mir Mühe: weniger Joghurtssoße, mehr Vinaigrette. Werfe den Salat ins Wasser. So zart! Glücklich rühre ich den weichen Salat im kühlen Wasser mit den Händen umher. Ausnahmsweise nehme ich den Salatseiher aus dem Schrank. Vielleicht zum ersten Mal, seit ich hier wohne, nehme ich den Salat nicht einfach in die Hände und schüttle ihn grob. Ich lege ihn zart in den Seiher. Zart rüttle ich am Seiher. Zart nehme ich in heraus und lege ihn in die Schüssel. Die Gurke. Die Schale lass ich dran. Ist ja Bio. Ausnahmsweise nehme ich den Gemüsehobel raus und hoble die Gurke in feine Scheiben, anstatt sie hektisch zu zerhacken. Das letzte Stück beiße ich vorsichtig ab. Meine Geschmacksnerven reagieren prompt und erstaunt. Für gewöhnlich schmeckt Gurke nicht.
Danach die Karotte. Ich beiße versuchsweise ab. Würzig! Die Karotte ist biegsamer, zugleich schwerer, saftiger, als ich es kenne. Ich angle gleich noch ein Stück aus der Schüssel.
Mein Freund kommt. “Teurer Bio-Salat!”, kündige ich das Produkt meiner Bemühungen an. Wir essen. Wir sind uns einig: Es schmeckt, sehr sogar.
Schmunzeln muss ich trotzdem. Ist es die Liebe, mit der ich den Salat zubereitet habe - das Mehr an Mühe, das ich mir mit der Salatsoße gegeben habe - die Neugier, mit der ich jeden neuen Bisschen probiere, in der Hoffnung, noch eine neue Geschmacksnuance zu erwischen - oder schmeck das Bio-Gemüse tatsächlich nach mehr als seine plastikverschweißten Discounter-Geschwister? Wir hören nicht auf, bis die Schüssel ganz leer ist.
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maylemur-blog · 7 years
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Druck
“Diamanten entstehen unter Druck.”
Schon mal gehört?
Auch beliebt: “Was dich nicht umbringt, macht dich härter.”
Ein großer Teil dessen, was in unseren Schulen schiefläuft, hängt mit dem immer noch weit verbreiteten Glaube zusammen, dass Zwang, äußere Disziplinierung und Strenge sowie ein konsequent geführter Regelkatalog etwas in Schüler/innen hervorbringt, was sie sonst nicht in der Lage sind, auszubilden: Disziplin, Selbstbeherrschung, Fleiß, Leistungsbereitschaft, kurz: alle diese Tugenden, die insbesondere unsere deutsche Gesellschaft so hoch hält.
Und so wird ermahnt, gemaßregelt, zurechtgewiesen, gedroht, getadelt, geschimpft, gestraft was das Zeug hält.
Angst und Druck zu verbreiten, gehört unter Lehrern schon fast zum guten Ton, denn “sobald der Notendruck wegfällt, machen die ja nichts mehr”. Fällt jemand in der Klasse aus dem vorgegebenen Verhaltensmuster (still, gefügig, höflich, gehorsam, diszipliniert, arbeitsam), wird sofort Gegendruck aufgebaut.
Der Gedanke dahinter: diese Schüler müssen lernen, sich an Regeln zu halten und diszipliniert mitzuarbeiten. Druck, Zwang und Unterwerfung unter die Autorität der Lehrkraft schaden dabei nicht, ganz im Gegenteil: es dient der Persönlichkeitsbildung der Jugendlichen, wenn ihnen endlich mal feste Grenzen aufgezeigt werden.
Verlassen wir für einen Moment die Szenerie der Schule und wenden uns dem Pflanzenreich zu. Stellen Sie sich eine kleine Topfpflanze vor: sie kränkelt etwas, wächst nicht so gut wie die anderen, treibt kaum aus und entwickelt fast keine Blüten. Wie gehen Sie vor? Sie haben zwei Möglichkeiten:
(1) Sie schneiden die Pflanze kräftig zurück. Für jeden neuen Tag, an dem sie keine Blüte trägt, schneiden Sie ihr einen Ast ab - die wird schon sehen, was sie von ihrem Verhalten hat! Als Sie merken, dass auch das nichts bringt, handeln Sie konsequent und entziehen der Pflanze das Wasser - das wird ihr eine Lehre sein! Doch der Zustand der Pflanze verbessert sich einfach nicht. Sie sind mittlerweile etwas ratlos, auch leicht überfordert - die Pflanze ist zudem ein schlechtes Vorbild für die Pflanzen um sie herum! Sie beschließen, die Pflanze von den anderen zu separieren und stellen sie in die dunkle Abstellkammer. Dort wird sie vielleicht endlich mal lernen, sich zusammenzureißen und sich mehr anzustrengen.
(2) Sie stellen fest, dass der Pflanze offensichtlich etwas fehlt oder dass ihr etwas Probleme bereitet. Sie wissen, dass diese Probleme vielfältiger Natur sein können, daher nehmen Sie sich etwas Zeit und untersuchen die Pflanze genauer. Sie stellen fest, dass es der Pflanze offenbar an Halt fehlt, daher geben Sie der Pflanze zunächst eine Rankenhilfe. Dann entdecken Sie, dass einige der Wurzeln nicht mit Erde bedeckt sind. Schnell beheben Sie das Problem. Sie lesen noch ein paar Käfer von den Blättern ab, die die Pflanze anknabbern. Zuletzt düngen Sie die Pflanze noch ein wenig und achten in der nächsten Zeit darauf, dass die Pflanze genügend Licht und Wasser bekommt.
Was denken Sie - bei welcher der beiden Varianten entwickelt sich die Pflanze in der Folgezeit besser?
Wir hängen dem uralten Glauben an, dass Persönlichkeit geformt werden muss, und dass dies im Zweifelsfall unter Druck von außen geschehen muss. Dabei übersehen wir die simple, aber tiefe Wahrheit, dass nichts Gutes durch Zwang, Druck und Repression entsteht.
Persönlichkeit, Charakter und damit auch die Fähigkeit zur SELSTbeherrschung und SELBSTregulation muss in uns selbst wachsen und gedeihen, müssen wir selbst, muss jeder Einzelne in sich selbst ausbilden. Lehrkräfte können in diesem Prozess eine maßgebliche Rolle spielen: indem sie durch Worte und Taten Druck ausüben, Angst verbreiten, erniedrigen, entmutigen und demotivieren. Schüler/innen, die dem ausgesetzt sind, mögen rein äußerlich irgendwann nachgeben und sich einfügen, aber welchen Einfluss hat dies auf die Entwicklung der Persönlichkeitsentwicklung der Heranwachsenden?
Stellen Sie sich auf der anderen Seite Lehrkräfte vor, die die Nöte und Defizite der Schüler/innen wahrnehmen. Die Mut machen, bestärken, Anerkennung zeigen. Fehler und Versagen verzeihen, die mitfühlen und sich bemühen, Ängsten entgegenzuwirken. Die Geduld aufbringen, auch bei der dritten Nachfrage, die gelassen bleiben und den Ursachen von Fehlverhalten auf den Grund gehen, anstatt stumpf zu sanktionieren.
Druck macht keine Diamanten aus uns - es macht uns zu unsicheren, getressten und angespannten Persönlichkeiten. Druck führt vielleicht zu Gehorsam - aber selten zu freier Entfaltung.
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maylemur-blog · 7 years
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Bildung
Ein FIlm: Captain Fantastic (2016)
“Deine Kinder brauchen Struktur, Stabilität. Sie müssen auf eine richtige Schule. Um Chancen auf ordentliche Bildung zu haben.”
Ben hat sich dafür entschieden, seine Kinder selbst zu unterrichten. Fernab der Zivilisation lebt er mit ihnen im Wald. Die fünf Kinder werden nach Platos Idealen herangezogen, die sind körperlich und geistig fit und lernen von ihrem hochgebildeten Vater, was dieser als sinnvoll erachtet. Als er mit seinen Kindern die Familie seiner Schwester besucht, kommt es zur Auseinandersetzung.
“Es sind Kinder. Sie müssen zur Schule, die wirkliche Welt kennenlernen.”
Ben ruft die beiden Söhne seiner Schwester, Justin und Jackson, in die Küche.
“Wie alt bist du, Jackson?” “13.” Weißt du, was die Bill of Rights ist?” “Irgendwas mit ‘Bill the Kid’ vielleicht?” “Gut geraten. Justin, du gehst zur High School?” “Ja.” “Magst du die Schule?” “Geht so.” “Weißt du, was die Bill of Rights ist?” “Ähm. Irgendwas mit der Regierung. Rechte, die uns allen hier zustehen und so.”
Anschließend ruft Ben seine keline Tochter Zaja in die Küche.
“Ich möchte dich nur kurz was fragen. Zaja ist übrigens gerade acht geworden.”
Ben wendet sich an seine Tochter: “Die Bill of Rights.”
Zaja beginnt, die Bill of Rights auswendig aufzusagen, Ben unterbricht sie:
“Danke. Ich meinte nicht auswendig den Gesetzestext runterbeten. Erkläre es mir mit deinen eigenen Worten.” “Ohne die Bill of Rights wäre es hier wie in China. Wir haben hier wenigstens keine willkürlichen Durchsuchungen, es gibt Meinungsfreiheit, Bürger sind geschützt vor grausamen und ungebräuchlichen Strafen...”
An dieser Stelle wird Zaja von Bens Schwester unterbrochen.
Die Szene, so überspitzt sie die Botschaft auch wiedergeben mag, ist eindrücklich. Ziel von Bildung kann nicht sein, dass eine Achtjährige die Bill of Rights auswendig aufsagt (es sein denn, es liegt in ihrem eigenen Interesse, dies zu tun). Die Lücke, die zwischen dem Anspruch unserer Schulen klafft, ‘Allgemeinbildung’ zu generieren und der Wirklichkeit, in der Schüler/innen an einfachsten Fragestellungen scheitern, ist allerdings nicht kleinzureden. Da hilft auch kein polemisches “Das steht ja schon im Lehrplan der 3. Klasse, das ist ja deren Schuld, wenn die nie aufpassen!” von Seiten der Lehrkräfte. 
Schule versagt bei einem Großteil der Schüler/innen in dem Versuch, Allgemeinbildung zu vermitteln. Ohne hier weiter auf den Begriff “Allgemeinbildung” eingehen zu wollen - davon vielleicht später mehr: Solange das System Schule daran festhält, den Schüler/innen den jeweiligen Lerngegenstand vorzuschreiben, den Lernprozess eng zu führen und “Lernen” als notwendiges Übel zu verkaufen, wird sich das nicht ändern.
Bildung darf - soll - niemals aus Zwang erwachsen. Bildung lässt sich mit einer Pflanze vergleichen, die wächst. Der Samen - der Ursprung - von Bildung: Neugier, Interesse, Leidenschaft. Allein der Gedanke, einem Schüler ein Thema vorzusetzten: “Heute lernst du...”; “Heute beschäftigen wir uns mit...” - absurd. Im besten Falle versucht die Lehrkraft durch motivierende Einstiege, Lebensweltbezug und Methoden mit Aufforderungscharakter intrinsische Motivation zu wecken. Es geht aber auch anders: “Passt heute gut auf, das kommt ganz sicher in der Klassenarbeit dran” oder: “Wofür brauchen wir das?” “Für die Abschlussprüfung”.
Unser Schulsystem rechtfertig sein Vorgehen mit der Überzeugung, Allgemeinbildung zu vermitteln. Rechtfertigen liese sich dieses Ziel - vielleicht -, wenn es erreicht werden würde.
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maylemur-blog · 7 years
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Arbeit
Auf die Frage, ob wir ohne Arbeit (im Sinne eines Jobs) moralisch verkommen würden, antwortert der amerikanische Psychologe Dr. Peter Gray auf seinem Blog “Freedom to Learn”:
“In our work-filled world we too often fall into a pit where the duty of the job overrides our concern for others.  Work detracts from the time and energy—and sometimes even from the motivation—for helping neighbors in need, or striving to clean up our environment, or promoting causes aimed at improving the word for all. The fact that so many people engage in such humanitarian activities already, despite the pressures of work, is evidence that people want to help others and make the world a better place.  Most of us would do more for our fellow humans if it weren’t for the sink of time and energy and the tendencies toward greed and submission to power that work creates.”
https://www.psychologytoday.com/blog/freedom-learn/201611/instead-job-creation-how-about-less-work
Ein Schulbuch benennt ein Kapitel, das das Verhältnis von Freizeit und Arbeit thematisiert, “Arbeit macht das Leben süß”. Ist das so?
Ich beobachte, dass Menschen Arbeit als selbstverständlichen Teil ihres Lebens sehen. Arbeit wird gerechtfertigt, verteidigt, auch schön geredet. Da sind alle Aussagen drin, von “ohne Arbeit würde ich mich doch nur langweilen” über “von irgendwas muss man ja leben” zu “mein Job ist eigentlich ganz ok, wird echt gut bezahlt”. Und natürlich, das darf man nicht verschweigen, gibt es diese Menschen, die ihren Job lieben, darin aufgehen, ihren Sinn und ihre Identität in ihrer Tätigkeit finden. Das sind aber dann meistens auch die Menschen, die spüren, dass sie am richtigen Platz sind mit dem, was sie tun. Die die Resultate ihres Tuns erleben, die etwas bewegen, die überzeugt davon sind, einen sinnvollen Beitrag zu leisten, unserere Gesellschaft voran zu bringen.
Ich unterhalte mich mit meiner Oma über Arbeit. “Was ist schon ein Traumjob?”, sagt sie. “Das sind doch nur ganz wenige Menschen, die das von ihrer Arbeit behaupten können. Aber alle anderen müssen auch von etwas leben.”
Wut.
Ist es in Ordnung, dass unsere Gesellschaft aufbaut auf einer Masse von Jobs, die als kaum mehr betrachtet werden können als ein Weg, Geld zum Leben zu beschaffen? Mitleidig besehen wir die Toilettenfrau und den Fließbandarbeiter und rechtfertigen dabei noch halb die Masse an Hauptschulabgängern mit den Worten “irgendjemand muss auch diese Jobs machen”. Oder: “Die können froh sein, dass sie Arbeit haben.” Bitte was?
Ist es Ordnung, dass Menschen acht Stunden täglich einer Tätigkeit nachgehen, die ihnen weder Freude bereitet, noch sinnvoll erscheint, noch eine Identität verleiht, die sie mit Stolz tragen können? 40 Stunden Lebenszeit pro Woche, verwendet für - verschwendet für - was?
“If money didn’t exist, would you still get up every morning and do what you do for a living?” provoziert eine Postkarte an der Wand im Klo.
Mein Lieblingsargument: Ohne Arbeit wüssten die Menschen doch gar nicht mehr, was sie mit ihrer Zeit anfagen sollen.
Vorher Wut, jetzt: ein schales Gefühl von Leere, auch: Traurigkeit.
Wie kann es sein, dass Menschen verlernt haben, Zeit zu genießen - Zeit zu nutzen. In sich hineinzuhören. Interessen nachzugehen. Talente zu entdecken. Für andere dazusein. Wieder etwas mit Engagement und Hingabe zu tun, anstatt Punkte auf To-Do-Listen abzuhaken.
Die größte Gefahr unserer 40-Stunden-Woche sehe ich darin, dass sie uns um viel mehr beraubt, als um 40 Stunden unserer Zeit. Sie beraubt uns auch der Energie, der Motivation und Kraft, mit der verbleibenden Zeit noch viel sinnvolles anzufangen. 40 Stunden Arbeit lassen nicht viel Raum für Kreativität, für Eigeninitive, für Bildung, für Menschlichkeit.
Würden wir ohne Arbeit moralisch verkommen?
Ich denke nicht. Ich denke, es bleibt Zeit, sich zu langweilen. Zeit, träge zu sein. Auch mal durchzuhängen. Zeit, in der man auf einmal mit sich selbst konfrontiert wird. Wer bin ich eigentlich, wenn ich nicht arbeite? Was bleibt von mir übrig - ohne Job?
Und dann?
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maylemur-blog · 7 years
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Grund
Bloggen gegen die Angst. Anschreiben gegen eine unbestimmtes Gefühl des nicht-im-Lot-seins, nicht-einverstanden-seins, nicht mitmachen wollen und es doch täglich tun. Ein Gefühl der Ohnmacht, auch Wut, mehr noch: Schuld. Und mit wem teilt man diese Gedanken? Teilt man sie aber nicht nicht, so gleichen sie kleinen, agilen Vögeln, laut und schnell und mit scharfen spitzen Schnäbeln, eingeschlossen in den Kopfkäfig, abprallend an glatten Wänden. Warum nicht?
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