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Wer hat Angst vorm weißen Mann?
Auf diese Frage kann es, wenn ich nun für mich selbst sprechen darf, auf den ersten Blick nur zwei simple Antworten geben: Ja, ich habe Angst vorm weißen Mann oder Nein, ich habe keine Angst vorm weißen Mann. Lassen Sie mich beide Antwortmöglichkeiten jeweils kurz besprechen:
1) Ja, ich habe Angst vorm weißen Mann:
Denn er hat in der Vergangenheit bewiesen, zu was er alles fähig ist: Kolonialismus, Weltkriege, Patriarchat, Klimakrise... Relevant für das Jetzt ist allerdings – und immer im historischen Kontext betrachtet – welche Macht der weiße Mann ***heute*** noch inne hat.
Ich habe recherchiert. Es folgen ein paar Statistiken, ich bitte daher ab spätestens jetzt um Konzentration:
Mehr als 90 Prozent der rund 69 Trillionen Dollar, die an der Wall Street gehandelt werden, liegen in den Händen von weißen Männern.1
Die Vorstände der 30 Dax-Unternehmen sind fast alle weiß, 86,6 Prozent sind Cis-Männer >>> Das Kapital liegt also in den Händen von weißen Männern
Beispiel #2: Seit 1949 gab es in deutschen Bundesregierungen mehr Staatssekretäre, die den Vornamen Hans tragen als Staatssekretärinnen. 24 Hanse (ist das der richtige Plural von Hans?) stehen 19 Frauen gegenüber. Und die Frauen haben nur knapp die Karls überholt, von denen gab es seit dem Ende des zweiten Weltkriegs immerhin 18.2 >>> Die politische Gestaltungsmacht liegt im sogenannten Globalen Norden – und dort in den Händen von weißen Männern. Auf Angela Merkel und die im vergangenen Jahr gefeierte weiblich dominierte finnische Regierung komme ich später zu sprechen.
Drittes Beispiel: Fast 80 Prozent der Autorenschaft in der US-Unterhaltungsindustrie (mit Fokus auf Fernseh-Angebote) liegt in den Händen von weißen Männern.3 Sie sehen, dass ich mich oft auf Zahlen aus den USA stützen muss, weil es allgemein für deutsche und europäische Kontexte wenige bis gar keine Erhebungen gibt. Was die Sichtbarkeit von Nicht-Weißen Menschen im Unterhaltungsmainstream angeht, kann ich für Europa an dieser Stelle auch mit qualitativen Rechercheergebnissen dienen. Wie werden People of Color auf unseren Bildschirmen repräsentiert? Ich sage es Ihnen: Türkisch für Anfänger, Einmal Hans (!) mit scharfer Soße, 4Blocks, ziemlich beste Freunde (schlimm!), Monsieur Claude und seine Töchter (ganz schlimm!), Willkommen bei den Hartmanns (ein Kassenschlager in Schland!) usw...
Weißer Humor schlägt somit auch bei der Repräsentation von PoCs durch weil die meisten Autoren, Regisseure, Produzenten und die ZIELGRUPPE weiße Menschen, insbesondere weiße Männer sind.
Ich könnte noch so weiter mit Statistiken um mich werfen, aber ich glaube, dass klar geworden ist, was ich damit aussagen möchte. Eine bekannte deutsche Wochenzeitung hat trotz dieser Evidenzen schon vor Jahren „Das Ende des weißen Mannes“ prophezeit. Zitat: „Mächtig werden jetzt Frauen, Schwarze, Latinos“ (Zitat Ende), hieß es in der Schlagzeile aus dem Jahr 2012. Das ist natürlich (und leider) mit Blick auf die Empirie ein fataler Trugschluss: In Wirtschaft, Politik und Kultur haben weiterhin weiße Männer das Sagen und die Gestaltungsmacht. Und es sieht nicht so aus als würde sich das substanziell in nächster Zeit ändern.
Vor diesem Hintergrund und mit unserem historischen Wissen muss man sich also nicht schämen, wenn man als Person of Color zumindest ein wenig Angst oder Skepsis oder Unwohlsein gegenüber weißen Männern verspürt. Es gibt ja aber auch noch eine andere Antwortmöglichkeit auf meine Ursprungsfrage:
2) Nein, ich habe keine Angst vor dem weißen Mann.
Das wiederum hat viel mit einem neuen Selbstbewusstsein zu tun, mit einer noch relativ neuen Sprechfähigkeit von People of Color vor allem in Deutschland: Mit der Rezeption alternativer Geschichtsschreibung, eines alternativen Kanons und alternativer Kulturpraktiken, die nicht der etablierten weißen Norm entsprechen. Plötzlich hat Christopher Columbus Amerika eben nicht entdeckt, die Rolle von Frauen of Color im Kampf gegen koloniale Kontinuitäten werden sichtbar, Blackface ist nicht harmlos, Voltaire, Martin Luther oder Theodor Fontane (erst im vergangenen Jahr mit viel Steuergeldern gefeiert) waren Antisemiten.
Auch die alltägliche Popkultur bekommt neuen Schwung: Alle Kidz sagen auf einmal valla. Sogar in Berlin-Wannsee, Hamburg-Eimsbüttel oder in Freiburg. Wobei die weiß-privilegierten Jugendlichen zurück in ihre Goethe-Gymnasien gehen während viele junge PoCs nicht dieselben Chancen der Teilhabe genießen können. Dennoch: It’s okay to be of color and proud of it in Almanya. Das ist wirklich etwas Außergewöhnliches in einer Gesellschaft, die darauf programmiert ist, Minderheiten unsichtbar, hörig und kontrollierbar zu machen. Angehörige von Minderheiten stellen sich mittlerweile furchtlos vor die deutsche Öffentlichkeit und sagen: Euer Integrationsprojekt stinkt. Ich möchte mich nicht in eine Gesellschaft „integrieren“, die Rechtsextreme in ihren Parlamenten nicht nur duldet sondern teilweise als Demokratie feiert, die Polizeigewalt gegen Minderheiten verharmlost oder Menschen im Mittelmeer ertrinken, an den Außengrenzen abknallen und in der Nachbarschaft zerbomben, verhungern oder erfrieren lässt.
Ich habe keine Angst vor dem weißen Mann, auch weil WIR Wissen in uns tragen, zu dem wir exklusiven Zugang haben. Weiße Islamwissenschaftler*innen, Anthropolog*innen, Politikwissenschaftler*innen studieren sechs bis zehn Semester und können auf dem von ihnen imaginierten Souk aus 1001 Nacht noch nicht mal 1 Kilogramm Tomaten kaufen.
Auf die Frage: Wer hat Angst vorm weißen Mann? Gibt es in Wahrheit keine eindeutige Antwort. Ich würde sie sogar je nach Tagesform jeweils anders beantworten, jede Person of Color hier im Raum hat andere Erfahrungen mit weißen Männern gesammelt und verortet sich stets irgendwie doch in intersektionalen Strukturen von Diskriminierung und Privilegien. Apropos Intersektionalität: Ich muss an dieser Stelle kurz über wei��e Frauen sprechen: WTF? WHITE WOMEN? Historisch betrachtet haben sich weiße Frauen sehr oft für die falsche Seite der Geschichte entschieden: Angefangen bei den 53% weißen Frauen, die 2016 für Donald Trump gestimmt haben4, über Marine Le Pen, Beatrix von Storch, Alessandra Mussolini (alle mit interessanten Familiengeschichten) bis hin zu Beate Zschäpe. Ich stehe weißen Frauen also ebenfalls oft mit Angst oder Skepsis oder Unwohlsein gegenüber. Mehr Frauen an der Macht in Dax-Vorständen, als Staatssekretärinnen oder Drehbuchautorinnen sind wichtig, mehr Frauen of Color an der Macht sind mir ganz persönlich aber wichtiger.
Wenn ich das später alles twittere oder auf anderen Wegen bekannt werden sollte, dass ich hier über Weiße Männer und Frauen gesprochen habe, werde ich wieder reichlich Zuschriften bekommen, wie rassistisch ich sei, so über (immerhin) die Bevölkerungsmehrheit zu sprechen. Aber jetzt mal ehrlich: Wer sind diese Weißen überhaupt? Die Bevölkerungsmehrheit in diesem Land und in anderen weißen Mehrheitsgesellschaften ist untererforscht. Weiße studieren und verstehen fördert meiner Meinung nach das friedliche Zusammenleben und davon profitieren letztendlich alle – auch der weiße Mann.
Und genau diese wichtige Grundlagenforschung passiert in diesen Tagen hier in Freiburg, habe ich dem Programm entnommen: ein Vortrag über „white Gaze“ (nicht zu verwechseln mit White Gays, die aus queerer Perspektive auch ein wichtiges Thema darstellen. Trade Mark für diesen Joke liegt bei Hengameh Yaghoobifarah)5, partnerschaftliche Entwicklungspolitik, the western feminist agenda, Rassismus im Bildungssystem, Schwarze Perspektiven auf die Kolonialität der Klimakrise... um nur einige Themenbereiche zu nennen, die einen Beitrag zur Völkerverständigung und InTiGrAtiOn von Weißen leisten.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Euch allen fruchtbare Diskussionen und spannende Forschungsergebnisse. Vielen Dank.
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1 https://www.axios.com/wall-street-white-male-control-numbers-ad700876-daa7-4b5b-a271-1e00eeccca5c.html
2 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2018-09/gleichberechtigung-frauen-diskriminierung-fuehrungspositionen-ministerien/komplettansicht
3 https://socialsciences.ucla.edu/wp-content/uploads/2019/02/UCLA-Hollywood-Diversity-Report-2019-2-21-2019.pdf
4 https://www.theguardian.com/commentisfree/2018/nov/09/white-women-vote-republican-why
5 https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/eure-heimat-ist-unser-albtraum-9783961010363.html
(Diese KeyNote war Teil des Auftakts des Freiburger Syposiums „Dear White People... Check your Privilege“ am 10. Januar 2020)
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Veranstalte seit einigen Tagen drüben auf Insta den üblichen Quatsch, den man dort halt verzapft. Schaut vorbei, aber bitte vorher die Schuhe ausziehen 💁🏽♂️
instagram.com/m_amjahid/
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Sirenen
Als ich mit 7 Jahren zum ersten Mal auf dem Schulhof in Marokko stand, hörte ich nach der großen Pause eine Sirene, die so klang wie der Feueralarm in meiner alten Schule in Deutschland. Niemand hatte mich informiert, dass die Pausenglocke in Marokko eigentlich eine heulende Sirene ist, die man kilometerweit noch hören konnte.
Ich dachte also, dass die Schule brennt, schaute links und rechts dabei zu, wie sich die Kinder blitzschnell in Zweierreihen aufstellten. Mein Herz raste, ich stelle mich in Windeseile dazu und mir ging ein Gedanke durch den Kopf: No matter what, wir werden alle überleben.
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...und im Artikel selbst wurde diese Zitat aufgegriffen und als "politisch nicht ganz korrekt" beschrieben... Nun frage ich mich, darf ich als Weiße Biodeutsche mit einem Leserbrief darauf regagieren oder spreche ich damit für poeple of colour, was ja in machen Fällen auch kritisch gesehen wird (white charity zum Beispiel) - Also meine Frage ist einfach, wie kann ich angemessen handeln? Ich dachte, vielleicht wären Sie ein guter Ansprechpartner dafür! Ich danke Ihnen!! mit Freundl. Grüßen Johann
Hallo, natürlich dürfen Sie das. Es geht auch um Allianzen und Leserbriefe schreiben sonst nur rechte Trolle. Nur zu. Liebe Grüßen, Mohamed Amjahid
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Dear Mohamed, I read an interview of you and become eager to read your book "Unter Weissen." My german is not good enough to understand it. I wonder whether you have an english version of it. I look forward to hearing from you. Bests, Kezban
Unfortunately not yet 😔
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Overview where nationalists or/and right wing populists already took over government or by mainstreaming whole political systems in #Europe
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#HowToInsultAPoC
In letzter Zeit haben mich wiedermal einige Zuschriften erreicht. Dort wird beklagt, dass man in #Deutschland keine Angehörigen von Minderheiten mehr beleidigen darf. Deswegen folgt hier ein #HowToInsultAPoC für die moderne Einwanderungsgesellschaft:
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Folgender Fall: Ein nordafrikanisch aussehender Mann rast mit seinem neuen BMW rücksichtslos über den Zebrastreifen.
Don't:
IHR NAFRIS SEID DER LETZTE DRECK, AM BESTEN DU FÄHRST DIREKT ZURÜCK NACH AFRIKA ❌
Do:
An deiner Stelle würde ich mit einem geleasten Wagen nicht so angeben ✅
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Eine Frau, die zufälligerweise ein Kopftuch trägt, schnappt Ihnen Samstagnacht im Kühlregal die letzte Packung Milch dreist vor der Nase weg:
IHR NEHMT UNS UNSERE JOBS WEG UND UNSER HARTZ 4 AUCH UND JETZT AUCH DIE GUTE MILCH! WIR DEUTSCHEN SIND ZU TOLERANT! HAUT AB! ❌
Ich wünsche dir Laktoseintoleranz! Inschallah! Ich habe außerdem das letzte Brot gekauft :P ✅
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Der kleine Ali mobbt auf dem Schulhof den kleinen Michael:
DIE WOLLEN UNS ALLE AUSRADIEREN! DEUTSCHENFEINDLICHKEIT! CHRISTINA SCHRÖDER FOR PRESIDENT!!11!! UND DANN... ❌
Ali, wenn du möchtest, dass deine Nachfahren nicht so wie du vom deutschen Bildungssystem ausgesiebt werden, bist du besser nett zu Michael. Außerdem hat er deiner Mama 👡 schon Bescheid gegeben, viel Spaß Zuhause ✅
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Ein Araber macht auf der Straße eine homophobe Bemerkung (soll ja vorkommen):
EUER PROPHET IST PÄDOPHIL (Anm. d. R.: woher will man wissen an was dieser Mensch glaubt?) UND IHR SEID ALLE PERVERS UND VON VORGESTERN! DER ISLAM GEHÖRT NICHT ZU... ALICE WEIDEL...!!!111!!! ❌
Wie schade, dass du so viel Hass verbreitest. Dabei siehst du echt süß aus. Warte mal! Warst du das nicht neulich auf Grindr? ✅
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#UnterWeißen #36: Positive Energie
Vor circa einem Jahr erschien mein Buch #UnterWeißen. Zum Jubiläum möchte ich mal eine Nörgelpause einlegen und an dieser Stelle positive Rückmeldungen teilen. Ich bekomme seit zwölf Monaten pro Tag ein bis zwei ausführliche Emails (meist über das Kontaktformular meines Blogs) zum Buch zugeschickt. Darunter finden sich – wie in den Sozialen Medien – hasserfüllte und rassistische Tiraden. Es gibt aber auch jene Leser/innen, die das Buch wirklich gelesen haben. Die hohe Bereitschaft zur Selbstreflexion aus einer weiß-privilegierten Position heraus lässt mein Autorenherz natürlich höher schlagen. Hier ein paar zufällig ausgewählte Zuschriften. Enjoy! <3
März 21, 2018 um 07:23
Hallo! Ich wollte nur mal gern loswerden, dass mir Ihr Buch die Augen über mein weißes, privilegiertes Dasein geöffnet hat. Seit ich einen nicht biodeutsch aussehenden Freund habe, werde ich plötzlich ständig mit Rassismus konfrontiert. Es ist beschämend. Danke für das Buch und viel Kraft und gute Freunde, diesen Mist weiter auszuhalten und sich nicht kleinkriegen zu lassen. Viele Grüße
Februar 21, 2018 um 12:37
Guten Tag lieber Mohamed Amjahid, ich wollte nur ganz schnell ein Dankeschön hinterlassen für dieses Buch (Unter WEISSEN)! Ich bin sehr begeistert, es wird so wunderbar klar rassistische Normalität/weiße deutsche Norm dekonstruiert - (sehr sorgsam erklärt, um was es geht, was genau woran warum rassistisch ist, und das ganze sachlich und klar und straight (!) und dann auch noch unterhaltsam und in einer Sprache/Wortwahl, die viele Menschen verstehen können) - wie gesagt Danke!!! Ich finde es immer wieder nervig, zu merken (bei mir selbst und anderen) wie schwierig es scheinbar aus einer weißen Perspektive ist, rassistische Aussagen zu entkräften, die mit dieser weiß-europäischen Doppelbödigkeit (Aufklärung/Moderne/Fortschritt usw) verbunden sind und wie weiße Leute inklusive ich dann anfangen rumzu"eiern". Bei Ihrem Buch dachte ich die ganze Zeit, ja, genau, so klar kann es gesagt und argumentiert werden...! September 10, 2017 um 09:31 kein Buch hat mich in diesem Jahr so beeindruckt und zum nachdenken angeregt wie dieses. Ich brauche noch einige Zeit um ihr Buch zu verdauen und zu reflektieren in welchem angepassten Vakuum ich gelebt habe. Auch zu sehen das viele der Dinge die ich erlebe und erlebt habe eben nicht normal sind . Dankeschön dafür !!!!!
August 22, 2017 um 11:40
Sehr geehrter Herr Amjahid,
gerade habe ich Ihr Buch "Unter Weißen" beendet. Vielen Dank für diesen kritischen, dabei respektvollen, rationalen und teils humorvollen Beitrag mit einer Menge Details und Einschätzungen, die mir als "Biodeutschem" und sicherlich überdurchschnittlich priviligiertem Menschen wiederum ein Stück mehr die Augen geöffnet haben.
Mit besten Wünschen für die Zukunft, Mai 7, 2017 um 20:03 Hallo Mohamed Amjahid, ich habe Ihr Buch fast durchgelesen und finde es ist ein wichtiger Beitrag - aufgrund seiner Aktualität, seiner Niederschwelligkeit, Ihrer Positionierung darin.
April 26, 2017 um 16:52
Sehr geehrter Herr Amjahid,
am Samstag habe ich mal wieder eine Folge Forum am Freitag geschaut, in der Sie Ihr Buch vorgestellt haben. Das Thema hat mich fasziniert, und so habe ich mir noch am gleichen Tag das Buch gekauft. Am Montag war ich damit fertig. Es ist ein sehr gutes Buch, klug beobachtet, flüssig geschrieben, nicht übergriffig, und regt ohne erhobenen Zeigefinger zum Nachdenken an. Mehr als einmal fühlte ich mich ertappt. Vielen Dank dafür!
* Kursivierungen nachträglich eingefügt
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AfD > Assad für Deutschland/ Alternative für Damaskus
Die #Assad-Propaganda berichtet über den Besuch einiger #AfD-Abgeordneter in #Syrien. Die Deutschen hätten bestätigt, dass ALLES gelogen sei und würden hoffen, dass bald ALLE Flüchtlinge zurückkehren würden. Es gebe nämlich keinen Krieg. Deswegen könne man ja weiter bombardieren.
Damit keine Missverständnisse entstehen: #Assad braucht die AfD natürlich nicht. He really does not give a fuck. Für seine Propaganda ist das aber schon ein Beitrag im Panorama-Teil wert.
Sich über die modischen Syrerinnen in Damaskus freuen (es wurden Fotos von Frauen in Jeans von #AfD-lern gepostet) und zugleich die syrischen Flüchtlinge in Deutschland kollektiv zu diffamieren, ist auch so eine Schwachstelle bei dieser bescheuerten PR-Aktion.
Und dann: da sitzt einer von der #AfD und freut sich, dass der Großmufti von #Damaskus die Teilung von Staat und Religion betone. Dabei gib es eindeutige Dokumentationen, wie das #Assad-Regime jede Art von kritischem Geist (auch Atheisten) verfolgt hat.
Glauben diese AfD-Leutz wirklich, dass das Regime ihnen die bombardierten Krankenhäuser und Schulen, die ausgelöschten Viertel und die Foltergefängnisse zeigen würde? Es ist eine strikte Regel in Arabien, dass Gäste nur die schönen Seiten des Hauses zu sehen bekommen.
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#UnterWeißen #35: Testosteron Macht Politik Bullshit
Vor fünf Jahren habe ich das Buch »Testosteron, Macht, Politik« rezensiert. Es stammt von Karin Kneissl. Sie ist für die #FPÖ neue österreichische Außenministerin. Hätte ich auch gut für #UnterWeißen so formulieren können:
Die Einleitung von »Testosteron, Macht, Politik« beginnt mit Männern, die ihre Machtpositionen für die Befriedigung ihres sexuellen Triebs ausgenutzt haben: Dominique Strauss-Kahn, Silvio Berlusconi, Arnold Schwarzenegger und Bill Clinton. Aber hier geht es laut Autorin nicht um skurrile Einzellfälle aus der Panoramasektion von Boulevardzeitungen, hier geht es um das große ganze: Internationale Beziehungen, Umstürze, Krisen, hier geht es um die Wiedererlangung von Menschenwürde und Freiheit ganzer Völker. Wenn Liebe durch den Magen geht – so könnte man es flapsig formulieren – geht Freiheit durch den Schwanz.
Gehen wir aber erstmal einen Schritt zurück und schauen uns Kneissls Argumentation genauer an. Ihre These geistert immer wieder durch die (pseudo-)sozialwissenschaftliche Welt: Männer die keinen Sex haben, suchen sich ein alternatives Ventil, manchmal halt in Revolutionen. So könnte es in der Französischen Revolution gewesen sein, so war es anscheinend bei den Aufständen des »Arabischen Frühlings«, so wird es auch in Asien passieren, wo der Männerüberschuss, so ist die Autorin überzeugt, in Zukunft die gleichen geschlechtsspezifischen Mechanismen auslösen wird.
Folgende Aussage stellt die Autorin an den Anfang und in das Zentrum ihres Kapitels zu den arabischen Revolutionen: »Wir haben unsere Freiheit wieder, wir können jetzt heiraten!« Kneissl zitiert damit ihre – wie sie schreibt – vielen Gesprächspartner auf dem Tahrir-Platz nach dem Sturz von Husni Mubarak und sieht darin eine Bestätigung ihrer These: Sexfrust führt bei Männern zur Revolte.
Deswegen verbraucht die Autorin in ihrem Buch viele Seiten, um die Hürden eines sexuell erfüllten Lebens in arabischen Ländern zu beschreiben. Sexverbot vor der Ehe, Anspruchsvolle Bräute, verklemmte Gesellschaften lassen den Druck in und auf junge (mittellose) Männer steigen, bis die Testosteronbombe explodiert. Dem Hormon widmet Kneissl auch gleich ein eigenes Kapitel.
Männer: die besseren Revolutionäre?
Die Freizügigkeit junger Menschen in Sidi Bouzid, Kairo oder Homs mit den sexuellen Freiräumen à la Amsterdam oder gar der »Generation Porno« zu vergleichen, wäre tatsächlich fatal und nicht haltbar. Dennoch, wer in vielen Regionen der »Arabischen Welt« Sex sucht und ihn wirklich haben möchte, der bekommt ihn auch: billig gekauft, anal oder oral mit der Freundin oder einer Bekannten, im Internet, homosexuell oder auf legalem Weg durch frühe beziehungsweise zeitlich begrenzte Heirat. Wer geil ist, wird sich schon zu helfen wissen und sich erstmal nicht auf die Straße zum Protest begeben. Wer geil ist, sucht je nach lokalem Angebot eine andere sexuelle Option. Zugegeben: für Außenstehende AutorInnen sind diese exklusiven Informationen nicht leicht zugänglich. Wenn eine Mehrheit sexuell frustriert sein soll, ist es die Mehrheit der Frauen, die in diesem Maße nicht von diesen Ausweichmöglichkeiten profitieren können.
Im Buch stemmt das »starke Geschlecht« durch den »sexuellen Zorn« nicht nur im quasi Alleingang den Umbruch vielerorts, es ist dabei natürlich auch besser: Männer sind mutiger, fokussierter, spontaner, zu mehr Risiko bereit als Frauen. Alles dank Evolution und Testosteron im Blut, die sie auf dem Schlachtfeld zu einem Vergleich analog zu »wer hat den größten?« verleiten. Einen Mechanismus den die Autorin als Blaupause für die Ereignisse auf dem Tahrir-Platz nimmt, um das Verhalten junger männlicher Revolutionäre zu erklären. Die wollten nach ihrer Phase der Frustration und Stagnation, den Aufbruch gestalten und haben sich dabei gegenseitig im Wetteifer überboten. Frauen waren zwar laut Kneissl auch vertreten, blieben wegen ihrer Art und Rolle in der Gesellschaft aber außen vor.
»Das kann man nicht Ernst nehmen«
Dina Wahba studiert Gender Studies in London und ist ägyptische Aktivistin der ersten Stunde. Sie schüttelt bei der Testosteron-These nur den Kopf: »Es gab schon viele Versuche die Revolution umzuschreiben, aber in diesem Buch werden Frauen ja bei Tageslicht marginalisiert!« In anderen Büchern versuche man die Anzahl der Frauen auf den Straßen zu quantifizieren: »Dabei kommen so Zahlen heraus wie 30 Prozent seien Frauen gewesen oder so, hier werden aber trotz aller Relativierungen Frauen zu Luft erklärt«, beschwert sich Wahba. Dabei hätten Frauen ihre männlichen Mitstreiter mit ihrer bloßen Anwesenheit dazu motiviert dran zu bleiben, ohne dass dies etwas mit Sex oder Instinkten zu tun hatte: »Das Buch von Frau Kneissl fußt auf einem falschen Bild der arabischen Jugend und klingt mehr nach Propaganda als nach ernster Analyse«.
Darüber hinaus könne sich die Aktivistin gut daran erinnern, dass sich viele Frauen vor Panzer gestellt haben, es gebe mindestens so viele Märtyrerinnen wie Märtyrer: »Aber es geht hier auch um Frauen, die die ganze Logistik organisiert haben, die uns jungen Aktivisten und Aktivistinnen Essen gekocht und gebracht haben, erst wir Frauen haben die internationale Aufmerksamkeit auf das Geschehen gelenkt«. Aus dem Aufstand eine primitive männliche Revolte zu machen, sei »einfach nur grauenvoll«. Die These mit dem absoluten Sexfrust kann die Aktivistin auch nicht nachvollziehen: »Gerne würde ich die Quellen und Belege für die These, dass junge Menschen bei uns gar keinen Sex haben sehen«.
Zum Glück distanziert sich aber die Autorin von »Testosteron, Macht, Politik« von einer simplen Kausalkette zwischen Hormonen und Politik und nimmt somit auch ein wenig Abstand vom biologischen Determinismus in ihrem Buch. Sie führt das menschliche Verhalten nicht eins zu eins auf den Hormoncocktail in unseren Adern. Dennoch versucht sie »einen roten Faden« durch einige Kriege und Revolutionen zu ziehen: viel, sehr viel Testosteron gehört zu einer Revolution dazu, so ihre Vermutung. Wenigstens formuliert es die Autorin oft genug in ihrem Buch selbst, dass sie sich dabei auf sehr dünnes Eis begibt.
Diese Rezension erschien im Jahr 2012 bei zenith-online.
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#UnterWeißen #34: Am weißesten
Als ich mich in die Bibliothek der Maison-Heinrich-Heine im Herzen der Cité Universitaire von #Paris setzte, fing es an zu schneien. Ich habe mich sehr über die Einladung gefreut, konnte ich doch endlich auch vor einem französischen Publikum mein Buch und meine Arbeit vorstellen. Jetzt weiß ich: Es war sehr wichtig zwischendurch wiedermal so eine Erfahrung zu machen, im Land, das ich provokativ als „der weißeste Ort in #Europa“ bezeichne.
Nach wenigen Minuten (maximal acht) meldete sich eine junge Frau im Publikum. Sie hatte schon von Anfang an gezittert, ihren Kopf geschüttelt, die Augen verdreht, Grimassen gezogen – bei jedem Satz den ich aussprach. Sie konnte sich nicht mehr zurückhalten und hielt einen kleinen Vortrag, um mir zu erklären, dass ich einfach nur falsch falsch falsch liege. Ich habe nicht verstanden, was ihre Message war. Sie wollte ein größeres Opfer als alle sein, fand es überhaupt überflüssig, die Geschichte aufzuarbeiten und wollte unbedingt über die Diskriminierung von Weißen in Algerien sprechen. Es klang alles etwas wirr. Ein Monsieur, der ganz vorne saß, fühlte sich daraufhin berufen, etwas zu sagen. Er hielt ungefragt einen kleinen Monolog und streute die Wörter Moschee, Scharia und natürlich ISLAM ein. Ein anderer Monsieur antwortete ihm: Moschee, Scharia, Islam. Ich machte mir als Anthropologe ein paar Notizen im Kopf. Die junge Frau meldete sich kurze Zeit später wieder, machte die Ansage, dass sie nun provozieren und über Minderheiten (das wahre Problem) reden wolle. Mir fehlten so ein wenig die Worte, hätte ich nie gedacht, dass eine französische Gesprächsdynamik dermaßen schnell solch aggressive und essentialistische Formen annehmen kann. Was ist nur los in #Frankreich?
Dann meldete sich eine Studentin zu Wort. Sie lächelte und fragte, wie man sich als Weiße in Allianzen gegen Rassismus und Othering einbringen könne. Ich weiß nicht, ob sie ihre Frage bewusst stellte oder es mehr Zufall war. Aber sie brachte mich wieder, trotz Widerstand im Raum, auf das Hauptthema des Abends zurück: die Privilegien der Mehrheitsgesellschaft. Ich schaute in die hinteren Reihen. Da saß meine wunderbare Freundin Cécile und nickte mir anerkennend zu. Neben mir saß Valérie, die Moderatorin, die mich in ihrer Rolle unterstütze, manchmal ein präziseres Wort im Französischen einstreute, sich angenehm zurückhielt und doch einige Male klärend eingriff. Ich machte einen Witz, dass ich mir in Deutschland wünschen würde, als „Kartoffel“ beschimpft zu werden und nicht als hypersexualisierter Eselficker. Einige lachten, andere nicht. Die ungeduldige Frau, die weiterhin zitterte und zappelte, schob die Frage nach, ob ich es okay fände, als „Couscous“ bezeichnet zu werden. Da war die Diskussion aber schon beendet.
Die Frau stand später mit den Messieurs beim Wein-Empfang im Foyer und regte sich über Mohameds wie mich auf. Ich weiß nicht, was sie im Einzelnen besprochen und abgemacht haben. WIR stapften nämlich kurze Zeit später durch den Schnee in die Stadt, um in Ruhe Allianzen zu schmieden.
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#UnterWeißen #33: Hinter Gittern
Heute war ich im Knast. Ich war Gast in der Jugendarrestanstalt (schöne deutsche Sprache) in Berlin-Lichtenrade. Dort habe ich ein Dutzend junge Menschen getroffen, die mal große und mal kleinere Scheiße gebaut haben und deswegen bis zu vier Wochen auf ihre Freiheit verzichten müssen. Wir haben Kuchen gegessen und geplaudert. Am Tisch: Jungs (es waren ein paar mehr) und Mädels, zwischen 14 und 22, weiß und nichtweiß, aus armen (die meisten) und aus sozial stabileren Verhältnissen. Die meisten haben ihren Schulabschluss (noch) nicht geschafft. Aus Datenschutzgründen kann ich hier nicht mehr über deren Geschichten schreiben.
Mir ist aber wichtig festzuhalten, dass neben der individuellen Verantwortung, die diese jungen Menschen hinter die hohen Mauern der Anstalt befördert hat, die Gesellschaft als ganzes eine Mitverantwortung trägt. Ich habe heute mit Kindern sprechen dürfen, an die niemand oder nur wenige geglaubt haben und glauben – aufgrund ihrer (sozialen) Herkunft, ihrer Hautfarbe (!), ihres Habitus. Der eine nichtweiße Jugendliche meinte sogar, dass Racial Profiling verständlich sei – „weil 'wir' ja die meiste scheiße bauen“. Im Gespräch verstand er aber schnell, dass es auch kontraproduktiv sein kann und Menschen kaputt macht, wenn man sie aufgrund ihrer Hautfarbe und Herkunft andauernd verdächtigt, herauspickt, stigmatisiert. Die diskriminierenden Strukturen haben sich in zu viele junge Köpfe festgesetzt.
Bei denjenigen Jugendlichen, die mit mir ausführlicher gesprochen haben, konnte ich beobachten, wie eloquent, (selbst-)kritisch und auch streitlustig sie sind. Die weniger privilegierten weißen Kids hinter Gittern waren reflektierter als so mancher Professor in Freiheit. Es ist für uns alle ein Armutszeugnis, dass wir als Gesellschaft nicht mehr Ressourcen in diese Menschen „investieren“. Die Knausrigkeit der deutschen politischen Kultur wird uns alle noch viel kosten.
Ich bedanke mich sehr für die Einladung und bei den Menschen, die sich um diese Jugendlichen kümmern. Mehr Infos, auch wie man den Förderkreis der JAA unterstützen kann, finden sich hier: http://www.arrest-im-kieferngrund-ev.de
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