graeueltaten
Verzeih ihnen nicht, denn sie wissen was sie tun
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Jakub x Rome
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graeueltaten · 4 months ago
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Rome
Den Weg zur Arbeit bestritt sie anschließend an ihr letztes Gespräch miteinander mit der Gewissheit, dass er immer noch da sein würde, wenn sie später, wann immer das auch sein wird, zurück nach Hause kommen würde. Es machte ihr jeden Gang heute einfacher, da sie zumindest nicht so tun musste, als wäre all das nicht passiert, wenn er schon geflohen wäre. Dann hätte sie vielleicht viel mehr Schwierigkeiten an der Hacke, aber solange sie zusammen arbeiteten, Jakub und sie, würde es andere Lösungen geben, das musste es einfach. In ihrem originären Revier angekommen, wurde sie von allen Kollegen fragend beäugt und mit der Frage des Grundes für ihr heutiges Erscheinen gelöchert. Nachdem die nette aber unscheinbare Rothaarige aus dem Geschäftszimmer sie zuerst mit der Frage konfrontierte, sprang Romes Herz fast zwischen ihren erschöpften Rippen heraus und drohte sie viel zu früh aus der Blüte ihres Lebens zu nehmen. Zumindest redete sie sich immer wieder ein, dass sie sich gerade in ihrer Blüte des Lebens befand. Der blutige Anblick von gestern sprach eher dagegen, aber das Bild versuchte sie immer noch aus ihrem viel zu viel überdenkenden Kopf zu verbannen. Bislang offenbar erfolglos. Aber wenn sie eines in ihrem Job gelernt hatte, dann war es das, dass manche Bilder einen einfach länger verfolgten und heimsuchten als man wollte, und dass man sie dennoch gleichzeitig damit verarbeitete und irgendwann darüber lachte. So weit war sie allerdings noch nicht, zumindest nicht mit fremden Menschen, denn sie erinnerte sich zeitgleich an den Moment zurück, in dem sie mit Jakub darüber gelacht hatte. Zwar nur kurz, aber es war ein ehrliches Lachen. Rome antwortete auf die Frage der Rothaarigen sofort: „Wieso sollte ich denn heute nicht ins Büro kommen?“ Die Rothaarige zögerte nicht, sie gab ihr eine Antwort, die Rome geradeheraus beruhigte. „Ich habe davon gehört, dass du gestern mit im Wald warst. Grausamer Anblick, oder? Naja, jedenfalls hatte ich dir mit dem Wissen sofort dienstfrei eingetragen. Wenn du also willst, kannst du dich für heute entspannt zurücklehnen!“ Rome hatte bereits befürchtet, dass doch noch irgendjemand irgendetwas gesehen hatte. Was würde passieren, wenn auch nur eine Menschenseele sie und Jakub gestern Nacht bemerkt hätten und nun jemanden in ihrer Abwesenheit zum Haus schickten, um ihn festzunehmen? Und gleich danach sie? Ihre Gedanken spielten verrückt, ehe sie der Rothaarigen mit einem gezwungenen Lächeln auf den Lippen wiederum eine Antwort gab. „Dann gehe ich nur kurz hoch und erledige das Nötigste. Danke, Sophie.“
Der Weg nach oben in ihr Büro erschien heute länger als sonst, sie begegnete mehr Kollegen als üblicherweise und aufgrund ihres Routine-Bruches stellten ihr alle dieselbe Frage. Irgendwann winkte sie nur noch und bedeutete ihren Kollegen mit gemurmelten Worten, dass sie keine Lust mehr hatte, die Fragen zu beantworten. Sie wollte so schnell wie möglich an Neuigkeiten gelangen, und sie wollte so schnell wie möglich Jakub davon berichten. In ihrem Büro angekommen, ließ sie sich in ihren Schreibtischstuhl sinken und atmete noch einmal tief durch, während sie ihre LogIn Daten eintrug und darauf wartete, dass ihr Laptop hochfuhr und das Aktenhaltesystem startete. Anschließend klickte sie sich durch alle Details, die einsehbar waren. Die Tote, eine Dame aus der weiten Nachbarschaft bei ihr um die Ecke, der Tatort und die Fotos. Sie klickte versehentlich auch auf die Fotos des Erbrochenen, von dem sie vor Ort noch behauptet hatte, dass es ihres sei, sodass sie gar nicht erst daran dachten, eine Probe davon zu nehmen. Nun wurde ihr schon wieder übel. „Alle guten Dinge sind drei“, murmelte sie zwischen ihre Finger hindurch, die sie über ihre Lippen gestülpt hielt, während sie ihr Kinn auf ihren Handballen stützte. Ein drittes Mal würde ihr bestimmt noch übel werden, dessen war sie sich sicher.
Als sie sich weiter durch die ganzen Berichte und Daten klickte, bemerkte sie plötzlich, dass die Personalien eines Zeugen in das System eingetragen wurden. Ein Zeuge? Was genau hatte er gesehen, und welche Interpretation machten die Ermittler daraus? Der Bericht gab ihr kaum mehr Aufschluss darüber, denn grundsätzlich musste der Zeuge noch vernommen werden. Er hatte seine Aussage noch nicht gemacht, man habe ihn aufgrund der „Brutalität der Szene“ noch verschonen wollen. Doch damit war nicht zu spaßen, vielleicht würde es Rome möglich sein, ihn vorher noch abzufangen. Sie riss einen Notizzettel ab, schrieb seinen Namen mit Wohnadresse nieder und dachte bereits darüber nach, was sie ihn alles fragen wollen würde und ob es klug wäre, Jakub der Vernehmung beiwohnen zu lassen. Er könnte ihren Praktikanten oder Assistenten spielen, oder auch einfach nur ihren Taxifahrer an einem stressigen Arbeitstag, sodass sie jederzeit eine Ausrede hätten, um zu fliehen.
Während sie in ihrem Kopf eine eigene kleine Mindmap über ihre neuen Möglichkeiten erstellte und diese Schritt für Schritt durchging, hatte sie sich schon wieder erhoben und schaltete ihren Laptop wieder aus. Vorher löschte sie noch ihren gesamten Such-Verlauf. „Sicher ist sicher.“
Auf ihrem Heimweg hielt sie in einem Supermarkt, denn die Lebensmittel in ihrem Haus aktuell reichten nur für eine Person. Und obwohl sie nicht die geringste Ahnung von dem hatte, was ihm schmeckte und was nicht, wurde sie schnell fündig und nahm die gängigsten Lebensmittel in doppelter Menge mit, bezahlte diese an der Kasse und fuhr weiter zu ihrem Haus. Vor ihrem Haus blieb sie kurz stehen und rührte sich nicht, sie stieg nicht aus und zog noch nicht die Schlüssel aus dem Zündschloss. Stattdessen lehnte sie sich mit geschlossenen Augen gegen die Kopflehne des Fahrersitzes und ließ ihre Müdigkeit noch ein letztes Mal von ihrem Körper Besitz ergreifen. Ihre Augen brannten, obwohl sie die Lider bereits geschlossen hielt und ihr Körper sackte noch mehr in sich zusammen, als sie unerwartet für wenige Minuten in einen leichten Schlaf verfiel. Ein Klopfgeräusch ließ sie hochschrecken, eine Person musste sie bemerkt haben und war an ihr Autofenster gekommen, um sie zu wecken. Oder um sich zu vergewissern, dass sie überhaupt noch lebte. Sie blickte einem Mann entgegen, seine Augen waren so braun als würden sie Bernstein beinhalten und seine Wangen waren so eingefallen als hätte er zwei Wochen am Stück keine Nahrung zu sich genommen. Sein kurzrasiertes Haar stand zerzaust in alle Richtungen von seinem Kopf ab und Rome realisierte, dass er ihr dafür, dass sie ihn gar nicht kannte, mit dem Autofenster zwischen ihnen ganz schön nahe gekommen war. Viel zu nahe für einen so Fremden. Sie meinte noch ein schräges Lächeln auf seinen Lippen erkannt zu haben, ehe er ohne ein weiteres Wort einfach verschwand. Nachdem sie kurz darüber grübelte und zuerst nachsah, ob es Bewegungen oder Veränderungen bei ihrem Haus gab, drehte sie sich nach dem Fremden um. Er war nirgendwo zu sehen, er war verschwunden.
Gänsehaut benetzte für einige Minuten ihren gesamten Körper, und nachdem sie ihre Haustür geöffnet und über die Türschwelle getreten war, wusste sie, dass die Gänsehaut so schnell nicht nachlassen würde. Da stand er, Jakub, der Mann den sie gerettet hatte und ein weiterer Mann, offensichtlich mit dem Namen Mike, denn sie verabschiedeten sich schnell als sie Rome bemerkten und die Tür fiel hinter ihr zu. Beinahe wäre sie zusammengezuckt, jedoch ließen das ihre Instinkte nicht zu. Sie drehte sich stattdessen instinktiv noch einmal zur Tür um und schloss sofort ab. Zeitgleich schaute sie durch den Türspion, und auch dieser Mike war plötzlich verschwunden, wie vom Erdboden verschlungen. Sie hielt inne, als sie sich zu Jakub zurück umdrehte und bemerkte, wie er zu sprechen begann. Gottverdammt, war sie froh, dass er sprach, denn ihr fehlten gerade die Worte. Sie stimmte ihm zunächst schweigend zu, indem sie nickte und ihm anschließend in das Wohnzimmer folgte, auf dessen Couchtisch sie die braune Papiertüte abstellte und auch die Schlüssel niederlegte. Sie setzte sich auf die Couch und lehnte sich vor. Jetzt war sie wach und anwesend, und so schnell würde sie nicht wieder einschlafen, ganz sicher nicht. Auch nicht nach dem, was er ihr nun alles erzählen würde. „Ich.. Ich bitte darum. Und wo ist dieser Mike eigentlich hin? Am Auto war auch so ein Kerl, den ich nicht habe weggehen sehen, er war einfach weg. Was ist hier los? Wer ist das und wer bist du wirklich?“ Plötzlich schwang eine Art Wut mit in ihren Worten, und vielleicht war auch das ihrer Müdigkeit geschuldet. Wenn er jetzt immer noch nicht verstand, dass er ihr trauen konnte, wusste sie für heute keinen Ausweg mehr.
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graeueltaten · 4 months ago
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Jakub
Unweigerlich fragte Jakub sich, ob er in ihren Augen wie ein geschlagener Welpe aussah. Seine Mutter bevorzugte den Spitznamen „puppy“ für ihn, da er als Kind mit riesigen Welpen Augen zur Welt gekommen war. Die Erinnerung an seine Familie schmerzte. Der letzte Besuch lag schon einige Monate zurück. Ihm war bewusst, dass er nicht in der besten Verfassung war und vermutlich aussah, als würde ihm das Herz jeden Moment in die Hose rutschen. Ihre Worte bestätigten seine Befürchtung noch einmal. Schien sie nicht daran zu glauben, dass er für so etwas verantwortlich sein konnte? Als ihr Blick sich in ihrer Tasse verlor, wendete auch er seinen ab. Seine rechte Hand umklammerte seine eigene Tasse, als hinge sein Leben davon ab, als wäre die Tasse seine letzte Möglichkeit sich zu retten. Ihre nächsten Worte waren entscheidend für das, was er sich zurechtgelegt hatte. Flucht oder Wahrheit. Lüge oder Vertrauen. Jakub versuchte beide Seiten der Medaille zu betrachten – so, wie er es immer schon tat. Seinem Kopf folgend wägte er immer beide Seiten ab, um erst dann eine Entscheidung zu fällen. Dieses Mal machte er es von ihr abhängig, von ihrer Reaktion und ihrem weiteren Handeln.
Dass sie seinen Namen aussprach, überraschte ihn. Dabei war es etwas Alltägliches und er hörte seinen Namen beinahe tagtäglich aus dem Mund anderer. So bizarr es auch schien, doch die letzte Nacht hatte den Effekt, dass er das Gefühl hatte sie schon länger zu kennen. Bei Gott, Rome hatte ihn beinahe in ihr Haus gezerrt, um ihn vor der Polizei zu schützen, obwohl sie ihn gar nicht kannte. Wie viele Menschen würden in einer solchen Situation so handeln und reagieren? Die Tatsache, dass sie ihm Schutz in ihrem Zuhause gewährte und ihn nicht geradewegs zu den Cops schleifte, erweckte etwas Vertrauen in ihm. Das Bauchgefühl siegte über den Verstand. Trotz allem war er überrascht, als sie davon sprach, dass sie ihn hier wegbrachten, wenn er tatsächlich der Mörder war. Was veranlasste Rome dazu ihm bedingungslos zu vertrauen? Jakub besaß kein Wissen darüber, wie die Arbeit bei solchen Mordfällen von statten ging. Was, wenn sie Blut von ihm an der Leiche fanden und ihn somit identifizieren konnten? Dabei hatte er bisher keinen Berührungspunkt mit der Polizei und Blut spendete er auch nicht – vor der Verwandlung spielte er oft mit dem Gedanken, doch die Angst durch sein Blut auch die Krankheit – wie er es gerne nannte – übertragen zu können hielt ihn davon ab. Das Dasein als Werwolf schränkte ihn in vielen Dingen ein.
Sein Blick wurde weich, weswegen er ihn wieder sinken ließ. Auch wenn sie ihren Blick fortwährend auf ihn geheftet ließ, konnte er nicht anders, als ihrem auszuweichen. Sich jemanden verletzlich zu zeigen war für Jakub eine Schwäche, die er nicht noch einmal begehen wollte. Dass sie mit ihren zuversichtlichen Worten allerdings etwas in ihm auslöste, war wohl kaum zu übersehen. Er räusperte sich, um ihr zu widersprechen, denn er konnte und wollte sie nicht noch mehr in die ganze Sache mit reinziehen. Obwohl… war das überhaupt noch möglich? Jakub hatte ihr so eben offenbart, dass er sich nicht sicher war, ob er der Mörder war oder nicht und sie setzte trotzdem alles daran ihn zu decken. Ihm blieb nichts anderes übrig, als vorerst zuzustimmen und sein Magen knurrte. Jakub erinnerte sich wage an das schlecht schmeckende Sandwich, dass er sich gestern in Windeseile in einem Kiosk mitten im Nirgendwo geholt hatte. Zumal dieses Sandwich ebenso wie der Rest seines Mageninhalts gestern auf dem Waldboden gelandet war. Schweigend aßen sie also das von ihr zubereitete Frühstück. Von der Übelkeit der letzten Nacht war nichts mehr zu spüren, weswegen er sich mit dem Kaffee in seiner Hand etwas zurücklehnte. Ihren Bewegungen mit seinem Blick folgend blieb er sitzen.
Jakub war gerade dabei einen Schluck des Kaffees zu nehmen, als ihre Worte an sein Gehör drang. Beinahe verschluckte er sich. Mit einer solchen Frage hatte er nicht gerechnet und auch wenn sein erster Impuls war mit einem nein zu antworten, schwieg er für einen Moment. War es vernünftig zu bleiben, wenn er nicht nur sich selbst, sondern auch sie in Gefahr brachte? Andererseits würde er, falls er wirklich das Weite suchte, wahrscheinlich niemals herausfinden, ob er für den Tod der Frau verantwortlich war. Er kannte nicht einmal ihren Namen. Oder ob sie einen Mann oder Kinder gehabt hatte. Bei dem Gedanken wurde ihm erneut speiübel. „Willst du denn, dass ich bleibe?“ Sein Blick traf abermals auf ihren. Es war seine Art herauszufinden, ob sie wirklich wollte, dass er blieb. Alles, was er darin sehen konnte, war ein kurzer Zwiespalt, ehe sie nickte. „Gut, dann bleibe ich.“ Rome schien zufrieden mit der Antwort zu sein, da sie sich daran machte das Haus zu verlassen, während er seinen Kaffee austrank. Er wusste, dass es besser war das Haus nicht auf eigene Faust zu verlassen, doch er fragte sich insgeheim wie lange er die erdrückende Stille aushalten musste, bis sie wieder zurückkam.
Jakub wusste nicht, ob ein oder zwei Stunden seit ihrem Aufbruch vergangen waren. Er hatte es sich auf ihrer Couch gemütlich gemacht. Immer wieder wanderte sein Blick unruhig zu der verschlossenen Haustür. Er wusste, dass ein Zweitschlüssel unter der Matte für ihn bereitlag, falls er aus irgendeinem Grund plötzlich das Weite suchen musste und doch hatte er sich vorerst dagegen entschieden. Rome hatte ihm eingebläut nur in einem äußersten Notfall das Haus zu verlassen und doch musste er immer wieder an den Wald denken. Ob der Wolf noch darin umherstreifte? Ob er schon längst über alle Berge war und Jakub seine Spur nun verloren hatte? Nervös grub er immer wieder seine Schneidezähne in die sowieso schon strapazierte Unterlippe, bis er erschrocken feststellte, dass er Blut schmeckte. „Verdammt“, murmelte er. Jakub hielt es nicht länger aus und stand auf. Nachdem er aus dem Fenster gespäht hatte, griff er nach dem Ersatzschlüssel. In ihrem Schuhschrank befanden sich ein paar Sneaker für Herren, die ihm zwar eine Nummer zu klein waren, aber dennoch für das genügte, das er vorhatte. Rome würde nicht erfahren, dass er draußen gewesen war. Nicht, wenn er nichts entdeckte oder fand, das von Belang war. Jakub verharrte in seiner Bewegung, als es plötzlich klingelte und jemand an die Tür unmittelbar vor ihm klopfte. Sein Herzschlag beschleunigte sich. „Ich weiß, dass du da drin bist. Mach die Tür auf, Jakub.“ Er kannte die Stimme. Sie kam ihm seltsam vertraut vor und doch schaffte er es nicht sie einzuordnen. Doch viel wichtiger war die Frage, wer zur Hölle wusste, dass er hier war?
Zögerlich blickte er durch den Spion. Es musste sich um eine Verwechslung handeln, schließlich wusste niemand, dass er hier war. Er hatte niemandem Bescheid gegeben, dass er ein paar Tage aus der Stadt verschwand und doch stand da jemand vor der Tür eines fremden Hauses und nannte wiederholt seinen Namen. Jakub konnte die wachsende Unruhe spüren. Wieso war ihm nicht aufgefallen, dass jemand vor der Tür stand, während er auf dem direkten Weg war aus der Hintertür zu spazieren? „Ich kann deine Angst riechen.“ Die Stimme war dunkel, männlich. Instinktiv öffnete er die Tür und sah sich mit einem Mann konfrontiert, von dem er dachte, ihn nie wieder zu sehen. Ungläubig blinzelte er. „Mike?“ fragend schoss seine Stimme in die Höhe. Das Grinsen auf Mikes Gesicht war ihm so vertraut, wie sein eigenes. Mehrere Wochen hatten sich die beiden eine Hütte in dem Sommercamp geteilt, in dem sie beide als Betreuer gearbeitet hatten. Überrumpelt wich er einen Schritt zurück, als der unerwünschte Besucher sich durch die Haustür drängte und sie hinter sich schloss. Aber es war unmöglich. Mike war tot.
„Ich soll dir etwas ausrichten.“ Mit verschränkten Armen stand er vor ihm. Lebend, bei bester Gesundheit, soweit es Jakub beurteilen konnte. Bevor er seine Stimme erheben konnte, sprach Mike weiter. „Hör auf nach ihm zu suchen.“ Verwirrt blinzelnd wich er noch einen Schritt zurück. Normalerweise war Jakub niemand, der vor jemandem zurückwich. Schon gar nicht vor Personen, die er kannte. Doch es war schlichtweg absurd, dass Mike hier vor ihm stand. „Wen meinst du?“ Jakub suchte Halt an der Kommode, die im Flur stand. Bemüht lässig lehnte er sich mit seiner Hüfte dagegen. „Und was zur Hölle hast du überhaupt hier verloren? Scheiße Mike, ich dachte du bist tot!“ Sein Puls schoss in die Höhe, während sein Herz unaufhörlich und barsch gegen seinen Brustkorb hämmerte. „Du weißt, wen ich meine. Hör auf oder sie ist die nächste, die du auf dem Gewissen hast.“ Die Zahnräder in seinem Kopf ratterten, bis er verstand, was er meinte. „Rome?“ fassungslos blickte er den Mann vor sich an. „Wieso sollte er sie umbringen?“ Scheiße, er hatte sie augenscheinlich noch viel tiefer in die Scheiße geritten als sowieso schon. „Weil sie dafür verantwortlich ist, dass du heute Nacht überlebt hast.“ Das Grinsen auf Mikes Gesicht wurde breiter, beinahe schon wölfisch. Warte… wölfisch? Nein, das konnte nicht sein.
Noch bevor er etwas erwidern konnte, hörte er, wie ein Schlüssel im Schloss der Haustür gedreht wurde und diese sich nur Sekunden später öffnete. Rome stand in der offenen Tür und balancierte eine Papiertüte in ihrem linken Arm, während in ihrer rechten Hand der Schlüssel ruhte. Ihr Blick wechselte von besorgt zu alarmiert, als sie den Mann im Flur entdeckte. „Schön, dich mal wieder gesehen zu haben, Mann.“ Mike klopfte lässig auf Jakubs verletzte Schulter, bevor er mit einem Nicken in Romes Richtung an dieser durch die Haustür schlüpfte und sie hinter sich zuzog. Seine Gedanken rasten. Er konnte noch nicht begreifen, was in den letzten zwei Minuten passiert war. Zumal er immer noch in Schuhen im Flur stand und den Anschein erwecken musste, dass er sich doch für die Flucht entschieden hatte. „Es tut mir leid.“ War das Erste, was er über die Lippen brachte. Einem weiteren Impuls folgend wusste er, dass es nichts brachte sie anzulügen oder ihr Informationen vorzuenthalten. Entkräftend fuhr er sich mit einer Hand über das Gesicht, ehe ein schweres Seufzen über seine Lippen rollte. „Ich glaube, ich muss dir ein paar Dinge erklären.“
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graeueltaten · 4 months ago
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Rome
So unerwartet schnell sie eingeschlafen war, wachte sie auch unerwartet schnell und mit lautstarkem Herzklopfen wieder auf. Sie schreckte hoch, sofort machte sich ihr Nacken bemerkbar und vor lauter Schreck warf sie auch die Decke zu Boden. Sie realisierte erst einige Sekunden später, wo sie war und dass Jakub vor ihr im Bett auch inzwischen eingeschlafen war. Sein Kopf war noch in ihre Richtung gedreht, doch ein Blick nach draußen verriet ihr, dass er auch schon einige Stunden an Schlaf gewonnen haben musste. Seine Augen waren geschlossen und sein Brustkorb bewegte sich ruhig und regelmäßig auf und ab. Die Sonne schien bereits in aller Kraft und die Vögel zwitscherten leise durch die Gläser ihrer Fenster hindurch. Sie hatten den Morgen noch versäumt, die Gardinen zuzuziehen, sodass Rome entschied, dass dies ihre erste Tat am Morgen sein würde. Mit der Schwere, die immer noch in ihren Knochen lag, stand sie auf und schlich auf Socken die wenigen Schritte zum Fenster hinüber, um den verdunkelnden Stoff vorsichtig bis in die Mitte des Fensters jeweils zu ziehen, um ihm noch die bestmögliche Dunkelheit zu gewährleisten. Als sie sich nach dem Schließen der Vorhänge einmal zu ihm umdrehte, musste sie schmunzeln, denn ihre Tat hatte nicht viel bewirkt. Das Zimmer war dennoch bereits hell erleuchtet und das Gästebett stand zu Jakubs Pech auch noch genau so, dass viel von dem durchfließenden Licht in sein Gesicht fiel. Sie hatte zuvor nicht viel Acht auf ihr Gästezimmer gegeben, es übernachtete kaum jemand in ihren vier Wänden. Wenn es überhaupt einmal jemand tat, dann war es ihre beste Freundin und mit der schlief sie meistens gemeinsam in ihrem eigenen Bett. So war Jakub also ihr erster Gast seit dem Umzug, und wenn ihr Aufeinandertreffen gestern anders zustande gekommen wäre, hätte sie sogar gehofft, dass er sie weiterempfehlen würde. Und für den Moment hoffte sie sogar auch, dass er noch eine Weile bleiben würde. Eine kleine Weile zumindest, so war die Einsamkeit nicht ganz so erdrückend wie sonst.
Rome musste sich dennoch mit den Vorhängen zufrieden geben, also beließ sie es dabei, griff sich die Decke, die offensichtlich noch über sie gelegt worden war und dann verschwand sie still und heimlich aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Die hölzerne, weiße Tür gab einen kleinen Laut von sich, es war ein Knartschen und das auch in der gesamten Bewegung des Schließens. Rome zog ihren Kopf ein und hoffte inständig, dass es dennoch leise genug war, dass Jakub nicht davon aufwachte Sie hielt den Atem unbewusst an, sie wartete an der Tür und hielt ihren Kopf noch lange an das kühle Türblatt, um mögliche Geräusche abzuwarten - vergeblich, glücklicherweise, also schlief er noch. In ihrem ersten Gang in ihr Schlafzimmer ließ sie sich noch einmal seufzend auf ihrer Bettkante sinken und schloss erneut die Augen. Sie saß noch aufrecht, ihre Hände stützen sie rechts und links von ihren Beinen und sie ließ die letzten Momente des gestrigen Tages noch einmal durch ihren Kopf gehen. Sie war ehrlich zu ihm gewesen, und trotz der Tatsache, dass sie hierbei offensichtlich unbeabsichtigt eingeschlafen war, erinnerte sie sich an seinen Blick, der mit ihrem letzten Wort plötzlich erweichte. Sie meinte darin Trost erkannt zu haben in all der Angst, die sie beide die Nacht lang verspürt haben. Er immer noch mehr als sie, denn er war unmittelbar neben der getöteten Frau zu Bewusstsein gekommen, nicht sie. Sie war nur wenige Sekunden danach dazugestoßen und das war der große Unterschied. Sie kämpfte nicht mit den Schuldgefühlen eines möglichen Mörders, der sein Gedächtnis aus letzter Nacht verloren hatte. Sie hatte kein einziges Detail aus ihrem Gedächtnis verloren, und dennoch musste sie mit dem Gewissen zurechtkommen, dass sie als Gesetzeshüterin mindestens eines von den herrschenden Gesetzen gebrochen hatte. Für ihn. Wer war er überhaupt? Sie kannte seinen Vornamen, sie kannte seinen Körperbau und die Struktur und Farbe seiner Haare, sie kannte seine Augenfarbe und den Geruch, wenn er blutverschmiert und nackt mitten im Wald aufwachte. Sie kannte den Klang seiner Stimme in Angst und in anfänglicher Wärme. Auch wenn es sich bei diesen Dingen um vermeintliche Details handelte, die mancher Mensch vermutlich nie von ihm kennenlernen würde, wusste sie auch, dass er sich immer noch mit hunderten von Rätseln umgab und das größte Rätsel davon war gestern mit ihm gemeinsam durch ihre Hintertür in ihr Leben geraten. "Fuck, wir müssen uns beeilen", kam ihr wispernd über die Lippen als ihr Blick auf den Wecker auf ihrem Nachttisch am Bett fiel. Sie müsste heute ins Revier und trotz allem noch ihren üblichen Alltag spielen. Spielen, sie würde viel schauspielern müssen. War sie eine gute Schauspielerin? Noch nie in ihrem ganzen Leben gelang es ihr, gut zu lügen. Dann wiederum, vielleicht würde sie gar nicht lügen müssen? Was, wenn alles so funktionierte, dass sie beide heile rauskommen würden? Das war ihr Ziel, und das Ziel konnte sie nur erreichen, wenn sie an dem Weg zu Ziel zu feilen begann. So also erhob sie sich wieder auf ihre schlanken, langen Beine und warf ihre Schlafkleidung von sich, um frische Jeans und ein legeres Shirt überzuwerfen. Ein kurzes Kämmen ihrer Haare bei dem Besuch im Badezimmer und sie endete in der Küche, in der sie letztendlich den Kaffee für sie beide vorbereitete.
Jakub ließ nicht allzu lange auf sich warten, er schlenderte unsicher zu ihr und sie versuchte ihm weiterhin Sicherheit zu gewähren. Als er nun vor ihr saß und sie die Frage von seinen Lippen mehrfach und deutlich wahrnahm, sackte sie langsam in sich zusammen. "Wenn.. wenn du doch der Mörder bist? Meinst du das ernst?" Rome sah ihn nicken, sie fürchtete sich vor dem Gedanken und hatte ihn daher bislang erfolgreich verdrängt. Bis jetzt. Es war fair von ihm, auch diese Seite der Möglichkeiten zu beleuchten und es war noch erleichternder, dass er den Gedanken bewusst mit ihr teilte und darüber redete, um ihnen beiden eine gewisse Sicherheit in ihren zukünftigen Entscheidungen zu geben. Und dennoch fürchtete sie sich vor der Antwort, obwohl sie sofort wusste, wie diese lautete. Lange ließ sie ihren Blick zunächst in der braunen Koffein-Brühe in ihrer Tasse vor ihr ruhen, sie versuchte ihre Worte in eine logische Reihenfolge zu bringen und ihre Stimme zu stärken, bevor sie das aussprach, was sie beide vermutlich in noch mehr Schwierigkeiten bringen würde. "Jakub", seinen Namen sprach sie das erste Mal tatsächlich aus und nahm noch einen tiefen Atemzug, bevor sie ihren Blick hob und fortfuhr. Sie sah ihn an und sie würde nicht mehr wegsehen, ab jetzt nicht mehr, solange er hier war. "Jakub, wenn du der Mörder bist, dann bringen wir dich von hier weg." Das Gefühl in ihr sagte ihr, dass er mit dem Gedanken kämpfte, sich dann unter Umständen der Polizei tatsächlich zu stellen und mit den Konsequenzen zu leben. Vorsichtig schüttelte sie den Kopf als Nächstes. "Wir werden dir die Polizei vom Hals halten und du wirst so weit weg gehen, wie du nur kannst. Man wird dich nie finden. Und bis dahin bist du hier immer noch sicher." Den letzten Satz untermalte sie mit einem Kopfnicken in seine Richtung. Er ließ ihre Worte offensichtlich sacken, sie hörte seine zögernden Atemzüge und seinen Blick, der jederzeit damit rechnete, dass sie ihre Meinung noch ändern könnte. Als er dann seinen Mund öffnete um zu sprechen, unterbrach sie ihn gekonnt indem sie einfach zuerst anfing zu sprechen. „Es gibt keine anderen Optionen, fang mir bloß damit nicht an. Hast du Hunger?“
Rome drehte sich in einer Pirouette und mit dem Kaffee in ihrer Hand wieder zur Arbeitsfläche der Küche neben ihrem Herd um und griff nach ein paar Scheiben Brot, die sie in den Toaster schob. Sie war sich dem schnellen Themenwechsel bewusst und sie wollte ihm auch keinesfalls unhöflich erscheinen und seine Worte grundlos im Keim ersticken, und dennoch sollte er erst gar nicht auf andere Gedanken kommen. Im weiteren Verlauf erklärte sie ihm noch, dass sie für ein paar Stunden auf ihrem Revier erscheinen müsste, um wenigstens so zu tun als würde sie arbeiten. Hierbei könne sie jedoch auch weitere Details über den Verlauf der Ermittlungen zu ihrer Nachbarin herausfinden, die ihnen bei ihrer weiteren Planung unterstützen könnten. Als sie ihren Kaffee erfolgreich geleert und ihr kleines Frühstück von ein paar Scheiben Brot mit Ei verzehrt hatte, erhob sie sich und eine weitere Frage, die ihr Herz schneller und nervöser klopfen ließ als sie erwartet hatte, wich über ihre Lippen und erreichte ihn in Windeseile. „Wirst du bleiben?“
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graeueltaten · 4 months ago
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Jakub
Unsicher, wie er sich verhalten sollte, verharrte er in dieser Position. Seine Arme hatte er inzwischen vor der Brust verschränkt, den Blick noch immer auf sie gerichtet, als er sah, wie sie schauderte. Jakub wusste, dass seine normale Körpertemperatur stets höher war als die eines normalen Menschen, doch normalerweise bemerkte es kaum einer. Seine Haut war nicht glühend heiß wie in manchen romantisierten Werwolf Filmen – die er sich, zugegeben, alle nach seiner ersten Verwandlung angeschaut hatte, um irgendwelche Parallelen zu finden. Twilight war ein schlechtes Beispiel. Aber Jakub hatte gelernt, dass es viele verschiedene Arten von Werwölfen gab. Solche, die tatsächlich einem Wolf sehr ähnlich sahen und sich auf vier Pfoten fortbewegten, während andere – so wie er – nur wenig mit einem Wolf gemeinsam hatten. Sobald der Vollmond seinen höchsten Punkt erreichte, verwandelte sich der Tscheche in eine Kreatur, die selbst den Jägern in den Wäldern Angst machte. Lederne Haut, über zwei Meter groß, wenn er sich auf seinen Beinen fortbewegte, lange, spitz zulaufende Finger, die in scharfen Krallen mündeten, welche mehrere Zentimeter lang und dick waren. Eine Nase geformt wie die eines Wolfes, ebenso spitze Ohren und doch waren diese Attribute auch alles, was er mit einem tatsächlichen Wolf gemeinsam hatte. Jakub fand heraus, dass seine animalische Form, die der Werwölfe in den Harry Potter Filmen glich – nur noch schrecklicher. Er konnte sich erinnern, wie gerne er als Kind Harry Potter geschaut oder gelesen hatte, heute musste er sich beschämt abwenden, sobald die Sprache auf Lupin und sein Werwolf Dasein fiel.
Im Grunde genommen schämte Jakub sich für das, was er war. Aus diesem Grund hielt er sich so gut es ging von seiner Familie fern, die noch immer in Tschechien wohnte. Seine jüngere Schwester studierte inzwischen und wollte in die Fußstapfen ihres Bruders treten und ebenfalls in die USA auswandern. Jakub wusste noch nicht, wie er das verhindern sollte. Er war sich sicher, dass auch in seiner Heimat schreckliche Wesen hausten, doch bildete er sich ein, dass seine Schwester Iva bei ihrer Familie sicherer war als hier bei ihm. Ihr etwas auszureden, gestaltete sich jedoch seit jeher schwierig.
Jakub trat noch einen Schritt zurück, als sie um Einlass bat. Es war paradox, schließlich war das ihr Zuhause und nicht seines. Trotz allem fühlte er sich durch diese Frage wohler. Sie respektierte seine Grenzen, so wie er ihre respektierte. Als sie sich auf dem Sessel niederließ, wusste er nicht so recht, wie er sich verhalten sollte. Sie wirkte so natürlich in dieser Umgebung, während er sich fehl am Platz vorkam. Aus diesem Grund wanderte er in langsamen Schritten von der einen zu der anderen Seite des Zimmers, bis sie auf das Bett deutete. Die Szenerie erinnerte ihn an frühere Therapiesitzungen, in denen er auch nie hatte, stillsitzen können und doch leistete er ihr – wieder einmal – Folge und ließ sich auf das weiche Bett sinken. Es kam ihm nicht richtig vor sich hinzulegen, weswegen er sitzen blieb und sich das Kissen in den Rücken schob, um keinen steifen Nacken davonzutragen. Aufmerksam blickte er sie an. Jakub war gespannt darauf, was sie antwortete. Die Neugierde brodelte schon seit der ersten Begegnung unter seiner Haut, auch wenn es ihm erst später unter der Dusche klargeworden war.
Ihre Worte trafen ins Schwarze. Jakub hatte Angst, ja. Nicht nur im Wald, sondern auch jetzt. Die Frage um den Täter und ob er es gewesen war, kreiste unaufhörlich in seinen Gedanken. Er wusste, dass diese Gedanken von nun an stetiger Begleiter in seinem Alltag sein würden, bis er Gewissheit hatte. Ob er diese jedoch jemals erlangen würde, stand noch in den Sternen. Woher sollte er wissen, ob das, was sie sagte auch der Wahrheit entsprach? Wenn er nachfragen würde, würde sie ihm dann tatsächlich sagen, was bei der Obduktion herausgekommen war? Jakub nestelte beinahe schon nervös an seinen Fingern herum. Er hatte die Angewohnheit Hautfetzen rund um seine Nägel zu demolieren, sobald er nervös wurde. Rome hingegen schien furchtbar müde. Ihre Stimme wurde immer verschwommener, bis sie schließlich tatsächlich in dem Sessel einschlief. Jakub kam gar nicht mehr dazu irgendetwas zu erwidern, da war sie schon eingeschlafen. „Und was, wenn ich doch der Mörder bin?“ fragte er trotzdem in den stillen Raum hinein, auch wenn seine Worte kaum mehr als ein leises Flüstern waren. Er kam sich albern vor, doch ihre Worte beruhigten den Sturm an Gedanken. In einer flinken Bewegung griff er nach der Decke, um sie vorsichtig über Rome zu legen. Sie schien gefroren zu haben, aber sie in ihr Bett zu tragen kam ihm doch etwas sehr übergriffig vor, weswegen er ihr lediglich die Decke umlegte und sich die Wolldecke nahm, die ebenfalls auf dem Bett platziert lag. Das Shirt fand ordentlich gefaltet seinen Weg neben sein Kopfkissen, ehe er sich endlich unter die Decke legte und mit dem Kopf auf das weiche Kissen sank. Sobald sein Kopf endlich den richtigen Platz gefunden hatte, war es, als würde ein Schalter umgelegt werden. Den Blick auf Rome gerichtet fielen ihm immer wieder die hellen Augen zu, bevor auch er in einen – glücklicherweise – schaflosen Traum sank.
Als er Stunden später gegen das Licht anblinzelte, welches durch die Vorhänge fiel, wusste er im ersten Moment nicht, wo er war. Er roch Kaffee und noch immer hing der süßlich milde Geruch von Rome in der Luft. Erst da dämmerte ihm, was letzte Nacht passiert war. Sein Blick fiel auf den Sessel, doch von Rome fehlte jede Spur. Augenblicklich beschleunigte sich sein Herzschlag. Was, wenn sie es sich anders überlegt hatte und die Polizei vor der Tür nur darauf wartete, dass er versuchte zu verschwinden? Was, wenn er sich in ihr irrte? Nein, das war ausgeschlossen. Jakub konnte sich nicht vorstellen, dass sie nach der Aussage gestern ihre Meinung doch noch änderte. Außerdem hatte sie wohl zumindest ein paar Stunden hier auf dem Sessel verbracht, ehe sie aufgewacht war. In der Nähe eines mutmaßlichen Mörders schlief man nicht einfach so ein. Jakub versuchte sich die Dinge schön zu reden, während er die Wolldecke zurückschlug und sich den Schlaf aus den Augen rieb. Was würde er jetzt geben für einen starken Kaffee und einen Muffin. Sofort stellten sich wieder die Gewissensbisse ein. Wie konnte er an solch banale Dinge denken, wenn er noch immer unsicher war, ob er für den Tod der Frau verantwortlich war? Den Tod eines Menschen zu verharmlosen, sah ihm nicht ähnlich. Doch seine Priorität galt Rome. War sie aus dem Haus gegangen? Jakub öffnete vorsichtig die Tür, nachdem er geprüft hatte, ob er Stimmen vernahm. Es war gespenstisch still und doch konnte er Bewegungen aus der Küche vernehmen. Kaum, dass er das Klappern von Tassen hörte, roch er auch den Kaffee.
Tatsächlich stand Rome in der Küche mit zwei dampfenden Tassen Kaffee. Er kam sich vor, als wäre er in einer Simulation gefangen. Wie konnte es sein, dass sie nach nur so wenigen Stunden Schlaf schon wieder frisch und wach aussah, während er sich fühlte, als wäre er von einem Lastwagen überrollt worden? Sämtliche Glieder schmerzten noch immer, doch zumindest hatte der Schmerz in seiner Schulter heute Nacht schon nachgelassen. „Hey.“ Peinlich berührt blieb er stehen, nicht so recht wissend, wie er sich verhalten sollte. Sie hatte ihren Schlafanzug schon wieder ausgezogen und war in ähnlichen Klamotten, wie die gestern, gekleidet. Sie deutete wieder auf den Barhocker, sodass Jakub sich auf diesen platzierte. Noch immer wollte er nicht so recht begreifen, wie er in diese Situation gekommen war und doch hatten ihre Worte vorhin, bevor sie eingeschlafen war, ein warmes Gefühl in ihm hinterlassen. „Ich hoffe du hast keinen steifen Nacken. Die Position, die du im Sessel eingenommen hast, sah sehr… unbequem aus.“ Jakub war ein Meister darin die Stimmung aufzulockern, weswegen er auch jetzt sein Glück versuchte. Doch er wusste auch, dass er das Gespräch von gestern aufnehmen musste. Wahrheit oder Lüge? Für was sollte er sich entscheiden?
Jakub räusperte sich. „Ich weiß, dass so ein Gesprächsthema nicht gerade der beste Einstieg für einen Tag ist, aber: was ist, wenn ich der Mörder bin? Ich kann mich nicht an die Nacht erinnern.“ Geräuschvoll stellte er die Tasse wieder zurück. Sollte er die Flucht ergreifen? Hätte er einfach still und heimlich das Weite suchen sollen? Es erschien ihm falsch, zumal er ihr vermutlich sein Leben zu verdanken hatte.
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graeueltaten · 4 months ago
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Sie spürte mit einem Mal, wie sie ein warmer Schauer überkam, als sie seinen musternden Blick bemerkte und im Anschluss sein Grinsen zum Vorschein kam, welches plötzlich Grübchen in diesem bisher nur ernsten Gesicht erscheinen ließ. Seine Grübchen, diese gottverdammten Grübchen. Ihre Kehle wurde kurz trocken und sie musste ihren Kopf kurz nach vorne neigen, um einmal schwer zu schlucken und ihre Stimme wiederzufinden. Jakub war deutlich größer als sie, ihren Kopf hielt sie leicht in den Nacken gelegt und seit Langem fühlte sie sich viel zu verletzlich, so wie sie vor ihm stand. Dass es allein an seiner Größe lag bezweifelte sie, denn so wie sein brünettes Haar sein Gesicht umrahmte, blieb ihr Blick aus ihren grünen Augen immer wieder dort hängen. Wie könnte es auch nicht so sein, wenn er sie so ansah? Auf seine erste Frage zögerte sie, aus dem einfachen Grund, dass ihr die richtigen Worte fehlten. Wie sollte sie ihr Bauchgefühl so beschreiben, dass es ein fremder Mensch verstehen könnte? Wie könnte sie in einem einfachen Satz einen Teil ihrer Vergangenheit offenbaren und gleichzeitig verständlich machen, dass sie einem vermeintlichen Mörder Zuflucht, eine warme Dusche und Tee angeboten hatte? Ganz davon abgesehen war sie genauso erstaunt darüber, dass er ihre Angebote tatsächlich annahm, auch wenn sie ehrlicherweise zugeben musste, dass sie ihm nicht viele Optionen offen ließ. Wäre er gegangen, hätte sie ihn ein zweites Mal aufgehalten. Hätten ihre Kollegen ihn zuerst gefunden, hätte sie dafür gesorgt, für die Vernehmung verantwortlich zu sein. Hätte er sie angegriffen, hätte sie.. ja, was hätte sie dann getan? Viel wichtiger war doch, dass er es nicht getan hatte, oder? Ein kleines Kitzeln in ihr hinterfragte ihre Entscheidungen, und dennoch ließ sie dieses Gefühl nicht an ihre Oberfläche durchdringen. Rome wusste es besser, und eine andere Entscheidung hätte sie sich nur darüber wundern lassen, was gewesen wäre wenn. Das große, ständige "Was wäre, wenn", welches sie bereits seit ihrer Kindheit heimsuchte. Und sie hatte es so satt, sie nahm ihr Leben heutzutage in ihre eigenen Hände und bestimmte selbst, welche Wege sie einschlug. Dieser Weg hatte sie nun also vorerst zu ihm geführt, und von hier aus würden sie beide mit Sicherheit einen Weg heraus finden.
Als er den Schritt zurückmachte, um ihr offensichtlich die Option zu geben, jederzeit zu gehen und so noch weitere Distanz zu ihm aufzubauen, verspürte sie eine Art Enttäuschung. Der warme Schauer auf ihr wurde plötzlich kühl und so schnell wie die angenehme Wärme gekommen war, war sie genauso schnell wieder verschwunden. Strahlte er etwa wortwörtlich eine solche körperliche Wärme aus, dass sie den Unterschied sofort bemerkte? Oder löste allein seine Energie eine körpereigene Reaktion in ihr aus, dass diese Wärme nie von ihm ausgegangen war, sondern er diese in ihr auslöste? Auf seine letzten Worte hin lachte sie überrascht, es überkam sie einfach und sie legte vorsichtig ihre flache Handfläche nacheinander an ihren beiden Wangen, um vielleicht wenigstens kurzzeitig etwas Leben in sie einzuhauchen, wenn auch tatsächlich kurz, da sich ihre Müdigkeit dadurch vermutlich nicht verflüchtigen würde. Rome nickte schließlich und dachte an den Moment des ersten Klingelns zurück. "Ich habe uns beide schon ganz woanders gesehen als gleich friedlich im Bett, mein Gott. Und du warst kurz so blass wie im Wald vorhin." Sie erwähnte die Worte mit einem Lächeln auf den Lippen, sie wollte ihn mit der Aussage keinesfalls gedanklich zurückwerfen, sondern lediglich die soeben gewonnene Leichtigkeit zwischen ihnen aufrechterhalten. Für den Moment schien es zu funktionieren, als sie die sanfte Aufwärtsbewegung seiner Mundwinkel bemerkte, und zum ersten Mal in seiner Anwesenheit wurde ihr Herz leichter und schlug wieder kräftig in ihrem Brustkorb. Sie hielt kurz inne, überlegte und wog ab, ob sie, wie geplant, in ihrem Schlafzimmer verschwinden sollte oder nicht. Grundsätzlich war sie ihm dennoch eine Antwort schuldig, also deutete sie vorsichtig ins Zimmer hinein und begegnete fragend seinem Blick. "Darf ich?" Sie bat um Einlass und erwartete es ehrlicherweise auch nicht anders, als dass er einen Schritt beiseite machte und sie eintreten ließ. Mit gezieltem Gang steuerte sie den kleinen, beigen Sessel an der Wand unmittelbar gegenüber des Fußendes des Gästebettes an und dort ließ sie sich in den weichen Stoff sinken, zufrieden aufseufzend. Rome erkannte, dass Jakub sich hingegen zurückhielt und sich vorsichtig durch den Raum bewegte, das Licht blieb weiterhin ausgeschaltet und sie bedeutete ihm dennoch, sich derweil ruhig auf dem Bett niederzulassen. Er war vorhin schon so ausgelaugt, wieso sollte er jetzt also noch angespannt im Zimmer herumstehen oder umherlaufen? Natürlich war es nicht sein Zuhause und natürlich würde sie sich genauso verhalten, wäre sie in fremden vier Wänden und daher drängte sie ihn zu keinem Augenblick. Sie ließ ihn gewähren und wartete geduldig, bis er es sich auf den Bettlaken gemütlich gemacht hatte und schließlich wieder ihrem Blick begegnete. Dies war der Moment, in dem sie vorsichtig begann, die richtige Formulierung für ihre nachfolgenden Worte zu formen.
"Ich schätze ich mache das alles für dich, weil.. weil ich deinen allerersten Blick gesehen habe, als ich dich gefunden habe. Ich wusste, dass das, was du sagtest, echt war. Ich weiß auch, dass du nicht weißt, was da draußen passiert ist. Aber du hattest so eine... Angst, du hattest Angst und warst ganz alleine. Und-", sie räusperte sich, lehnte sich nach vorne und stützte ihre Unterarme auf ihre Oberschenkel, "-ganz egal, was da draußen passiert ist, du warst es nicht. Du hast diese Frau nicht getötet." Ihr war bewusst, dass diese Äußerung eine sehr mutige war und dass sie auch gar nicht sicher sein konnte, dass sie Recht hatte. Und dennoch war sie davon ganz klar überzeugt. Denn dies war der erste klare Gedanke, den sie an diesem Abend fassen konnte und sie wollte Jakub unbedingt daran teilhaben lassen, um auch ihm für ein paar Stunden ruhigen Schlaf zu ermöglichen. Er brauchte Schlaf, denn ganz egal, was passieren würde, wenn sie beide aufwachten - ob er dann überhaupt noch bei ihr bleiben oder das Weite suchen würde, um den Wolf zu finden, der ihm das angetan hatte - Energie brauchte er. "Ich habe schon genug Mörder gesehen, ich habe die grausamsten Menschen und die schaurigsten Verletzungen gesehen. Aber du?" Rome lehnte sich zurück und zog ihre Beine an ihren Oberkörper, sie fror aufgrund der Müdigkeit und dennoch brachte sie diesen einen Satz zu Ende, während sie ihren müden Kopf schüttelte und allmählich das Hier und Jetzt verließ, zumindest vorübergehend. "Du bist keiner von ihnen, selbst wenn du es selber gar nicht glaubst. Selbst wenn ein Dämon in dir stecken sollte.. das warst du nicht. Das steckt nicht in dir." Ihre Augenlider wurden mit jedem Wort schwerer, sie gab dem Bedürfnis jedoch erst am Ende nach und ehe sie sich versah, ließ sie ihren Kopf zurück in das Kissen am Kopfteil des Sessels sinken und verschloss die Augen fest. Im nächsten Moment glitt sie in einen sanften Schlaf, der sie bereits erwartet hatte und mit offenen Armen für ein paar Stunden empfing.
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graeueltaten · 4 months ago
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Jakub
Jakub hatte bereits vermutet, dass sie die Frau kannte. Vielleicht war es ihr erschrockener Blick gewesen, als sie die beiden im Wald vorgefunden hatte oder eine bloße Vorahnung, die durch seine Instinkte getrieben wurde. Aus Scham musste er den Blick abwenden. Jakub war sich sicher, dass er für den Tod der Frau verantwortlich war. Unter der Dusche war er sämtliche Möglichkeiten durchgegangen, woher das ganze Blut kam. Vielleicht hatte er auch nur ein Tier angefallen und dieses zum Abendessen verspeist und war gar nicht für den Tod der Frau verantwortlich. Gewissensbisse plagten ihn. Er hatte sich geschworen niemals einen Menschen zu töten und niemals an Vollmond frei herumzulaufen. Und doch war genau das heute passiert, weil er zu übermütig wurde und die Wut auf seinen Fluch so viel größer als die Stimme der Vernunft war. Jakub hätte es besser wissen müssen. Er lebte schon einige Jahre mit dem Fluch und auch wenn er dem Wolf noch nie so nah gekommen war, hätte er einen anderen Zeitpunkt für seinen Plan finden sollen. Verkopft wie er normalerweise war, hätte er es besser wissen müssen. Stattdessen musste er sich nun mit dem Gedanken abfinden eventuell jemanden umgebracht zu haben – ob er wollte oder nicht. Dass er sich an letzte Nacht jemals zurückerinnern würde, war ausgeschlossen. Er konnte sich an keine Nacht erinnern, ganz gleich wie oft er versuchte den Fluch zu schwächen und die Kontrolle zu behalten, sobald Vollmond nahte.
Mit einem bedrückenden Gefühl entschied Jakub sich dazu zu schweigen. Was sollte er auch großartig sagen? Hey, tut mir leid, dass ich deine Nachbarin umgebracht habe? Ich wollte sie gar nicht fressen, aber ich konnte nicht aufhören? Oh, und hey, ich bin übrigens ein Monster, ein Werwolf, um genau zu sein! Nein mit Sicherheit nicht. Seine Gedanken verflüchtigten sich, genauso wie der bittere Zug um seine Mundwinkel, als sie sich vorstellte und ein halbes Lächeln auf ihrem Gesicht aufblitzte. Eben so wie er hatte sie rote Ränder um ihre Augen, dunkle Schatten unterhalb dieser und sie wirkte mindestens genauso erschöpft, wie Jakub selbst. So vieles war heute schiefgelaufen. So vieles hätte verhindert werden können, wenn Jakub nicht so kopflos an diese Sache herangegangen wäre. Doch von reiner Spekulation kam er nicht weiter. Seine Chance war zumindest für den heutigen Tag vertan und er musste sich eine Ausrede überlegen, um aus der Situation zu kommen. Abermals meldete sich das schlechte Gewissen. Er war schuld daran, dass sie ihren Job aufs Spiel setzte. Schuldete er ihr nicht zumindest ein paar ehrliche Antworten? Sie schien keinerlei Ahnung von übernatürlichen Wesen zu haben oder aber sie konnte es schlichtweg gut überspielen. Auch jetzt schwieg Jakub, während er einen weiteren Schluck des Tees nahm. Müdigkeit legte sich wie ein Schleier über ihn und zwang ihn dazu mühsam ein Gähnen zu unterdrücken. Die Heimreise würde sich lang und schwierig gestalten. Sein Auto stand irgendwo in der Stadt geparkt vor einem Supermarkt, den er hatte eigentlich aufsuchen wollen, um sich Kaffee zu holen, um die nötige Energie zu tanken, die er für die Heimreise benötigte. Stattdessen saß er hier in einem fremden Haus.
Überrascht zog er eine Augenbraue in die Stirn, als sie ihm anbot das Gästezimmer in Anspruch zu nehmen. Damit hatte Jakub nicht gerechnet. Hatte sie ihm nicht schon genug geholfen, indem sie ihm aus dem Wald schaffte und ihm Kleidung bereitlegte? Er wusste nicht, ob das nicht schon an ein Helfersyndrom grenzte. Nichtsdestotrotz musste er sich eingestehen, dass er schlichtweg zu müde war, um noch geradeaus gehen zu können – ganz zu schweigen davon, dass er nicht mehr in der Lage war ein Auto zu fahren, ohne noch mehr Tote zu verschulden. In einem Zug leerte er die Tasse, bevor er sie vorsichtig auf die Theke zurückstellte und ihr noch immer schweigend folgte. War das alles eine Form von Taktik? Ihn hier zu behalten, bis man herausfand, wer oder was für den Tod der Frau verantwortlich war, nur um ihn dann an die Polizei auszuliefern? Auch wenn sein Bauchgefühl ihm sagte, dass sie das nicht aus Eigennutz machte, konnte er nicht verhindern, dass sein Kopf etwas anderes sagte. „Gute Nacht“, murmelte er nur, schloss die Tür hinter sich. Im Halbdunkeln versuchte er sich in dem Zimmer zu orientieren. Es war nicht groß, aber gemütlich eingerichtet. Ein großes Bett stand an der Kopfseite des Zimmers, umsäumt von zwei Nachttischen. Unter dem Fenster stand eine kleine Kommode, auf welcher ebenfalls eine kleine Lampe platziert worden war. So sehr er sich auch nach etwas Licht sehnte, entschied er sich dagegen. Wer wusste, ob nicht jemand sah, dass das Licht im Gästezimmer angeknipst worden war und misstrauisch wurde. Jakub kannte solche kleinen Städte. Nachbarn tratschten, waren ungemein neugierig und zogen viel zu schnell ihre Schlussfolgerungen aus irgendwelchen gesehenen oder auch nicht gesehenen Dingen. Er war in einem kleinen Dorf aufgewachsen, nur zwei Stunden von Prag, der Hauptstadt Tschechiens, entfernt. Als er sich damals dazu entschied in die USA auszuwandern hatte er sich nicht ausmalen können, dass er nur wenige Jahre später in so einer Situation endete.
Vorsichtig ließ er sich auf dem Bett nieder. Er war gerade dabei das Shirt über den Kopf zu zerren, um zumindest für ein paar wenige Stunden Schlaf zu finden, als er in seiner Bewegung erstarrte. Jemand näherte sich der Haustür mit raschen Schritten. Nur den Bruchteil einer Sekunde später klingelte und klopfte es an der Tür. Sein Herz raste, er konnte den Herzschlag deutlich in den eigenen Ohren hören und spürte, wie das Adrenalin in einem erneuten Zug durch seine Adern schoss. Sogleich erhob er sich wieder, um die Tür für einen Spalt zu öffnen. Sein eigener panischer Blick begegnete dem von Rome. Es schien, als wüsste sie nicht, wer sich vor der Tür befand, weswegen er schlussfolgerte, dass sie niemanden erwartete. Angesichts ihrer Kleidung hätte er sich das denken können. Sie war inzwischen in ihren Schlafsachen gekleidet und dem Geruch nach zu urteilen ebenfalls geduscht. Auf ihren stummen Befehl verschanzte er sich wieder in dem Gästezimmer, blieb allerdings an der Tür stehen. Sobald er hörte, dass es der Postbote war, fiel ein Teil der Anspannung von ihm ab. Es war absurd, doch er musste Tränen der Erleichterung zurückkämpfen. Jakub wollte das alles hier nicht. Nichts davon. Tote, Blut, Verderben, Eingeweide, Mord, … er wollte sich nicht mit solchen Dingen beschäftigen und doch sah so seine Realität aus. Er hatte früh feststellen müssen, dass es nichts brachte in Selbstmitleid zu baden, weswegen er die Tränen zurückkämpfte und für einen Augenblick das Gesicht in seinen Händen vergrub. Das zögerliche Klopfen an seiner Tür riss ihn aus seinen Gedanken. Ohne Umschweife öffnete er eben diese, nur um sich abermals mit Rome konfrontiert zu sehen. Auch sie schien erleichtert, was nur noch deutlich hervorhob, wie müde sie aussah.
So nah wie sie beieinanderstanden, musste er den Blick nach unten richten, um ihr in das Gesicht schauen zu können. „Wieso machst du das für mich?“ platzte es aus ihm heraus, bevor er es sich anders überlegen konnte. Es war egoistisch sie noch länger auf den Beinen zu halten, aber auch wenn Jakub endlos erschöpft war, würde er sich mindestens noch eine weitere Stunde den Kopf zerbrechen, ehe er in einen hoffentlich traumlosen Schlaf gleiten würde. Wieso also nicht jetzt schon ein paar Fragen aus dem Weg räumen? Sein Blick aus hellblauen Augen suchte ihren. Er konnte sich keinen Reim daraus machen, wieso sie mutwillig einen fremden Mann zu sich nach Hause einlud, den sie im Wald gefunden hatte. „Versteh‘ mich nicht falsch, ich bin dir verdammt dankbar, aber…. Wieso?“ Jakub neigte den Kopf zur Seite, lehnte sich gegen den Türrahmen und stellte fest, dass seine Schulter nicht mehr schmerzte. Er kam nicht umhin sie zu mustern. Das erste Mal seit heute Morgen im Wald musterte er sie richtig. Die leicht gebogene Nase, die mandelförmigen Augen und das dunkelblonde Haar, die vollen Lippen. Wie war ihm nicht aufgefallen, wie attraktiv sie war? Jakub versuchte diesen Gedanken bei Seite zu schieben, indem er den Blick über sie hinweggleiten ließ. „Tut mir leid, ich sehe, wie müde du bist. Vielleicht sollten wir das Gespräch doch auf einen späteren Zeitpunkt verschieben.“ Mit diesen Worten trat er einen Schritt nach hinten, um ihr die Möglichkeit zu geben sich aus dieser Situation zu befreien. Er wusste, dass er zu müde war, um noch klare Gedanken zu fassen. Vielleicht also hätte er ihr sonst etwas erzählt, von dem er gar nicht wollte, dass sie es wusste. Es war schwer die Beherrschung über seine Gedanken und sein Mundwerk zu behalten, wenn er zu erschöpft war, um noch die Augen aufhalten zu können. „Um ehrlich zu sein ist mir das Herz in die Hose gerutscht, als ich das Klopfen an deiner Haustür gehört habe.“ In einem kläglichen Versuch die Situation aufzulockern, platzierte sich ein halbes Grinsen auf seinen Lippen, dass die Grübchen zum Vorschein brachten. „Und ich glaube, dir ist es ähnlich ergangen, so kreidebleich wie du aussiehst.“
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graeueltaten · 4 months ago
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Rome
Die Frage nach der verstorbenen Frau trieb ihr die Übelkeit erneut so in die Kehle, dass sie ihr Wasserglas schnell wieder absetzte und das Glas nach ihrem eigenen Gefühl zu zerbersten drohte. Ein Schauer überkam sie, denn es war tatsächlich eine Frau aus der Nachbarschaft gewesen. Auch wenn Rome die Umstände immer noch nicht kannte, welche ihn hier nun tatsächlich hergebracht hatten, zögerte sie nicht, ihm auf die ehrlichste Weise, die für sie gerade möglich war, zu antworten. Sie räusperte sich, schluckte schwer und nickte dann einmal langsam. "Ja, sie... sie war aus der Nachbarschaft." Mit einem Mal dämmerte es Rome noch einmal -- es hätte genauso gut auch sie selbst treffen können! Was ist, wenn sie zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen wäre? Wo wären sie beide jetzt, und was wäre aus ihm geworden? Aus ihr selbst wäre wohl höchstwahrscheinlich Erdreste und Insekten geworden, auch wenn sie trotz ihres taffen Gemütes Insekten nicht ausstehen konnte. Blut und Organe konnte sie sehen, daran hatte sie sich verrückterweise im Rahmen ihrer beruflichen Ausübung gewöhnt, aber sie würde schreiend aufschrecken, wenn eine Spinne über ihren Arm liefe. So komplex und doch gleichzeitig auch einfach war Rome.
"Mein Name ist Rome und ich lebe hier auch alleine, falls du noch einmal so zögerlich in den Raum hereinkommen solltest wie eben.. man hat dir dein Misstrauen wortwörtlich angesehen." Ihre rosafarbenen Lippen formten sich zum Ansatz eines Lächelns, welches sie aufgrund der Umstände jedoch sofort wieder zu erlöschen wusste. Ihre Blicke trafen sich ein weiteres Mal, es war nie lang aber immer öfter, so als müssten sie beide erst den Mut aufbringen, der Situation, in der sie sich aktuell unumstößlich befanden, tatsächlich ins Auge zu blicken. Seine leuchtend blauen Augen lenkten sie kurzzeitig ab, sie versetzte sich gedanklich plötzlich in eine ganz andere Situation mit veränderten Umständen und stellte sich vor, wie sie ihm von ihrer Vergangenheit erzählte und sich ihm Stück für Stück öffnete. Würde sie dann auch erfahren, von welchem Wolf er ständig sprach? Würde er sich dann auch öffnen? Es kann sich nicht nur um einen Wolf handeln, sie hatte noch nie ein solches Verletzungsbild von einem Wolf gesehen und das trotz ihrer intensiven Ausbildung im Bereich der Todesermittlungen. Man lernte dort jegliche Arten von Todesumständen und -ursachen, man lernte von Brand- und Kälteverbrennungen auf bereits verwesender Haut zu unterscheiden und man lernte den Unterschied zwischen stumpfer und scharfer Gewalt. Aber ein solches Verletzungsbild war ihr bislang noch nie untergekommen, und noch konnten ihre Gedanken keinerlei Ideen fassen, die Sinn ergäben. Sie hing gedanklich an seinen Lippen und hoffte, dass er einfach mit der Sprache herausrückte. Sie arbeitete ständig daraufhin, ein natürliches und sofortiges Vertrauensverhältnis zu fremden Menschen aufbauen zu können, sie konnte sich keinen größeren Erfolg in ihrem Leben aktuell vorstellen. Und dennoch war es ihr am heutigen Abend genau anders herum geschehen - ohne jeglichen Grund hatte er ihr vollständiges Vertrauen, sie hatte ihn mit fremdem Blut an den Händen in ihr Heim gelassen und half ihm dabei, die Spuren danach zu verwischen. Sie war eine gottverdammte Heuchlerin, was ihre Prinzipien für heute anging. Und dennoch hatte sie so ein wohliges Bauchgefühl, dass das, wofür sie sich heute Nacht entschieden hatte, das Richtige war. Alles, was sie tun müsste, wäre das tatsächliche Ergebnis abzuwarten.
"Wir können es für heute darauf beruhen lassen, was hältst du davon? Ich denke, wir haben beide.. irgendwie genug gesehen. Lass mich die Spuren", hierbei verspürte sie einen Stich in ihrer Magengrube und an ihren Schläfen, "-vernichten und wir legen uns hin, ich habe ein Gästezimmer. Einverstanden?" Rome erklärte Jakub im weiteren Verlauf den Weg in ihr Gästezimmer und dass er es sich bei ihr bereits bequem machen könne, wenn er es wünsche. "Gute Nacht, oder was auch immer wir haben werden..", verabschiedete sie sich von ihm, ehe sie sich umdrehte und mit einem tiefen Seufzer ihren Weg zum Badezimmer antrat. Dort angekommen, zog sie sich Handschuhe über und stülpte zuallererst die Jacke der getöteten Frau in einen großen, schwarzen Müllbeutel. Die Dusche und auch den Rest der Fliesen, so wie das Waschbecken und die Toilettenbrille wusch und spülte sie mehrfach ab. Aufgrund ihrer Berufung hatte sie mehrere Reinigungsmittel, die genug Chlor beinhalteten, was es zumindest beinahe unmöglich machte, all das Blut im Nachhinein noch zu finden. Das war alles, was sie für den Augenblick hatte. Den Müllbeutel verbrachte sie im Anschluss in die kleine, üblicherweise ge- und verschlossene kleine Tür im hinteren Bereich ihrer Garage, die auch von innen zu betreten war - so verhinderte sie, dass sie jemand sehen würde. Die Augen ihrer Nachbarschaft, selbst bei befreundeten Verhältnissen, waren überall, so viel habe sie bereits lernen müssen nach ihrem Umzug hierher.
Nachdem sie sich um alles gekümmert und im Hausflur keinerlei Geräusche mehr wahrnahm, die von ihm stammen könnten, schien sie das erste Mal wieder gedanklich herunterzufahren. Sie entwaffnete sich, schloss ihren Gürtel samt Schusswaffe in ihren Tresor in ihrem Kleiderschrank ein, löste ihre Haare aus dem Zopf und verschwand kurz selbst im Badezimmer, um sich eine Dusche zu genehmigen. In ihrem kurzen Genuss vergaß sie die Zeit, und als sie aus ihrem Badezimmer gerade in Richtung ihres Schlafzimmers taperte, in ihrem übergroßen Pyjama in Socken, klingelte und klopfte es plötzlich an der Tür. Rome zuckte sogleich zusammen und das Blut gefror in ihren Adern. Sie hatte sich noch keine Ausrede zusammengelegt, falls sie jemand gemeinsam mit Jakub gesehen haben sollte. Eigentlich hatte sie gerade die Ruhe der Gedankenstürme genossen und damit gerechnet, dass sie sich erst nach dem Ausschlafen wieder mit Lösungen beschäftigen müsse. Ein kurzer Blick auf ihren viel zu grellen Smartphone-Display hellte das Rätsel noch nicht auf, es hatte sie niemand versucht zu erreichen und niemand hatte sich zu Besuch angekündigt. Wer könnte zu dieser späten Stunde noch etwas von ihr wollen? Sollte sie so tun, als würde sie eigentlich schon schlafen und nichts davon mitbekommen? In der Sekunde, in der sie zu der Tür auf dem langen Hausflur blickte, die in das Gästezimmer mit Jakub führte, klingelte und klopfte es erneut. Zeitgleich sah sie Jakubs kantiges Gesicht aus dem Türrahmen schauen und sein panischer Blick stimmte mit ihrem überein. Rome bedeutete ihm, zurück ins Zimmer zu gehen und keinen Ton von sich zu geben, indem sie ihren gestreckten Finger vor ihre Lippen hielt und zuvor zurück in sein Zimmer deutete. Rome würde sich noch keine Ausrede aus den Fingern saugen, sie würde so tun, als wäre er nicht in ihrem Haus. Ein fremder, neuer Mann in ihrem Haus würde ohnehin zu viele Fragen aufwerfen, egal wie brillant ihre Ausrede sein würde. Die Leute zerrissen sich zu gerne das Maul.
Nachdem sie durch das Klacken des Türriegels mit Sicherheit wusste, dass Jakub wieder im Zimmer verschwunden war, eilte sie zu ihrer Haustür, äußerte kraftlos "Ich komme ja schon, ich komme doch" und lunzte durch den Türspion unmittelbar vor ihr. "Der verfickte Postbote", zischte sie zwischen ihre Lippen und mehr zu sich selbst als in den Raum hinein, also öffnete sie schnell die Tür und übersprang den üblichen Smalltalk, den sie mit dem Postboten hielt. Die Uhrzeit hatte sie völlig aus den Augen verloren. Üblicherweise war sie um diese Uhrzeit bereits auf den Beinen und unterhielt sich mit dem Postboten mit einem warmen Kaffee in der Hand. Das war ihre Routine, so kannten sie die Leute hier. Ab heute würde sich alles ändern. Rome begrüßte ihn nur kurz, "Ausnahmsweise wieder eine Nachtschicht, nehmen Sie es mir nicht übel. Danke, bis morgen!" Sie nahm die Briefe entgegen, beobachtete noch kurz, wie der Postbote ihr Grundstück verließ und sie anschließend ruhigen Gewissens die Tür wieder schließen konnte. Sie atmete tief und doch zittrig durch, als sie mit ihrem Rücken gegen die Tür sackte. Ehe sie endlich in ihr Schlafzimmer glitt und sich atemlos in ihre Laken fallen ließ, klopfte sie noch einmal leise bei Jakub an. Er öffnete ihr sofort und stand ihr unmittelbar gegenüber, unerwartet nahe, sodass sie den Geruch der Haarseife und den des warmen Duschwassers noch wahrnehmen konnte. Rome wich nicht zurück. "Es war nur der Postbote, du bist hier heute sicher."
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graeueltaten · 4 months ago
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Jakub
Mit schwankenden Schritten näherte Jakub sich der Hintertür, die unverschlossen in den Angeln hing. Nach einer Vollmondnacht und der damit einhergehenden Verwandlung dauerte es immer einige Stunden, wenn nicht sogar Tage, bis der Nebel sich aus seinem Kopf zurückzog und er wieder vollkommen fit war. Auch seine Arme und Beine schmerzten, vermutlich, weil er die ganze Nacht mehrere Kilometer zurückgelegt hatte. Jakub wünschte sich in Momenten wie diesen nichts sehnlicher, als sich erinnern zu können. Was war passiert? Dass er seinen Erschaffer ausfindig gemacht hatte, war deutlich an den Narben an seiner Schulter zu sehen. Obwohl die frischen Narben auch von einem anderen Tier oder Wolf kommen könnten, klammerte sich Jakub an den Gedanken, dass er seinem Ziel so nah gekommen war, wie noch nie zuvor. Sein Blick heftete sich an die Bäume, die sich vor ihm in Reih und Glied säumten und die Grenze zum Waldgebiet absteckten. Die fernen Blaulichter nahm er gar nicht wahr, während er sich Schritt für Schritt vorankämpfte, nicht darauf achtend, dass er erstens barfuß und zweitens bis auf die Jacke, die um seine Hüfte gewickelt war, splitterfasernackt durch die Landschaft lief. So sehr er sich auch anstrengte nicht an die tote Frau zu denken, schweiften seine Gedanken doch immer wieder zu ihr. Er hatte den Leichnam noch vor Augen und das inzwischen getrocknete Blut an seinem Körper brachte ihn wieder dazu zu würgen. Kleine Sterne tanzten vor seinem inneren Auge auf, als er die Bäume endlich erreichte. Doch statt weiterzugehen, musste er sich erschöpft gegen einen dieser Bäume lehnen, um Atem zu holen.
Verwandlungen waren immer anstrengend. Doch so erschöpft wie heute war er seit seiner ersten unfreiwilligen Verwandlung nicht mehr gewesen. Was also war letzte Nacht geschehen, dass er kaum noch die Augen aufhalten und kaum noch in einer geraden Linie laufen konnte? Als sich warme Hände auf seine Schultern legte, zuckte er zusammen. Sie hatte die Narben getroffen, die sich fein schimmernd und noch immer leicht rötlich von seiner Haut abzeichneten. Seine Schulter schmerzte nach wie vor. Vielleicht war sie geprellt, vielleicht war sie irgendwann im Laufe der Nacht sogar gebrochen gewesen und seine Knochen waren nicht richtig zusammengewachsen. Doch damit würde er sich zu einem späteren Zeitpunkt beschäftigen müssen. Mit müdem Blick kreuzte er ihren. Für einen Moment verhakte sich der Blick aus seinen hellblauen Augen in ihren und er konnte sehen, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, sich Angst in ihrem Blick festsetzte. Jakub verstand es. Er war nackt, blutverschmiert und sie hatte ihn neben einer vollkommen ausgeweideten Leiche gefunden. Und sie hatte auch recht, wenn sie sagte, dass er es in diesem Zustand nicht schaffen würde. Auch wenn sie nicht wusste, was er vorhatte.
Aus diesem Grund ließ er sie gewähren, als sie nun ihre schlanken Finger um seine Unterarme wickelte, um ihn zurück zum Haus zu führen. Bei Gott, er war erschöpft. Der fahle Geschmack von Erbrochenem lag ihm noch auf der Zunge. Jakub folgte ihr wie in Trance, achtete gar nicht darauf, ob sie wirklich zum Haus zurückgingen, oder ob sie ihn geradewegs an die Cops auslieferte, zu denen sie gehörte. Erst als er das Geräusch von Wasser hörte, richtete er den Blick auf. Dampfschwaden stiegen auf, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel und er abermals allein zurückblieb. Die Jacke ließ er achtlos zu Boden fallen, ehe er in die Duschkabine stieg und bei dem ersten Wasserstrahl wohlig seufzte. Die Wärme entspannte seine angespannten und verhärteten Muskeln, während das Wasser gleichzeitig jedes Blut von seinem Körper wusch. Je sauberer seine Haut wurde, desto klarer wurden auch seine Gedanken. Er hätte im Gefängnis landen können. War das etwa das Ziel des Wolfes gewesen? Um Jakub so endlich loszuwerden, der ihm nun schon so lange auf den Fersen war? Eine weibliche Stimme erklang vor der Tür, sodass er für einen Moment den Kopf aus dem heißen Strahl herausnahm und hörte, wie sie ihm Kleidung vor die Tür legte. Wohnte sie hier allein? Gab es noch jemanden, der von diesem ganzen Scheiß etwas mitbekommen hatte und vor dem er sich würde erklären müssen? Die Anspannung, die erst vor wenigen Sekunden seinen Körper verlassen hatte, kehrte mit einem Schlag zurück. Jakub fing an mit seinem Kiefer zu mahlen, während er versuchte eine Lösung für den Schlamassel zu finden, in den er sich hereingeritten hatte. Nun ja, nicht nur sich, sondern auch die Frau, die ihm so bereitwillig half, obwohl sie ihren Job aufs Spiel setzte. Nachdem er sich in aller Ruhe die Haut trocken gerubbelt hatte, bis er sich auch sicher war, dass kein Tropfen Blut übersehen worden war, spülte er sich mehrmals den Mund aus mit Wasser und etwas Zahnpasta, die er gefunden hatte. Die Kleidung, die sie ihm hingelegt hatte, passte. Was bedeuten musste, dass die Person, die diese Kleidung gehörte, auch in etwa um die 1,85 Meter groß und schlank sein musste. Würde er es im Notfall mit zwei Personen aufnehmen können? Seine Gedanken wanderten, bis er, den Geräuschen folgend, die kleine Küche erreichte. Auf ihre Aufforderung hin nahm er Platz. Auf ihre Frage hin ließ er seine Schulter kreisen, um festzustellen, dass das warme Wasser tatsächlich Wunder bewirken konnte. Sie schmerzte noch immer, aber Schmerzmittel wirkten bei ihm nur selten. Sein Organismus und Körper waren darauf ausgelegt alles schrecklich schnell zu verarbeiten, sodass Schmerzmittel, wenn es nicht gerade hochdosierte waren, in den meisten Fällen nichts brachten. „Nein, danke. Es geht.“ Den ersten Teil ihrer Frage vorerst ignorierend, griff er nach dem Glas Wasser und stürzte es in einem Zug herunter. Dass er sich unmöglich verhielt, war ihm bewusst. Dabei legte Jakub im Normalfall viel Wert auf Höflichkeit. „Danke für die Klamotten und die Dusche.“ Seine Hände legten sich um die dampfende Tasse, die vollständig zwischen diesen verschwand. Für den Moment versuchte er, ihrem Blick aus dem Weg zu gehen, doch er wusste instinktiv, dass sie nicht aufhören würde zu fragen, bis er irgendetwas antwortete.
„Ich bin mir nicht sicher, was mit meiner Schulter passiert ist. Ich wurde angegriffen, an mehr kann ich mich nicht erinnern.“ Das war zumindest die halbe Wahrheit. Er konnte sich daran erinnern, wie er in den Wald gelaufen war und die Kontrolle verlor, sobald er bemerkte, wie nah er an dem gesuchten Wolf dran war. Dann erinnerte er sich nur noch daran, wie er blutbeschmiert auf dem kalten und feuchten Waldboden aufgewacht war, bevor er mit der Mündung ihrer Waffe konfrontiert wurde. „Ich heiße übrigens Jakub.“ Nun richtete er den Blick doch auf, heftete diesen in ihren. Er war sich sicher, dass er nicht unbedingt vertrauenswürdig aussah. Nicht mit den vielen feinen Narben, die sich nicht nur über seine Hände, sondern auch über seine linke Wange zogen. In einer geschmeidigen Bewegung neigte er den Kopf zur Seite, den Blick noch immer auf die junge Frau gerichtet. Jakub bemerkte die dunklen Schatten unter ihren Augen, was ihn schlussfolgern ließ, dass sie genauso wenig Schlaf bekommen hatte, wie er selbst. War er schlau gewesen ihr seinen richtigen Namen zu nennen? Er konnte nicht einordnen, inwiefern sie ihren Job aufs Spiel gesetzt hatte, ob sie einer von den Cops war, ob sie eventuell sogar diente oder ob sie eigentlich etwas ganz anderes gemeint hatte.
„Ich bin dir dankbar, dass du mich da rausgeholt hast. Wenn ich mehr wüsste, würde ich es dir sagen. Ich war auf der Suche nach dem Wolf. Ich habe gehört, dass er hier sein soll und war… nun ja, neugierig.“ Neugierig war nicht das richtige Worte, aber Jakub konnte ihr wohl nicht einfach die ganze Wahrheit auftischen ohne Gefahr zu laufen, dass sie ihn für vollkommen verrückt einstufte. „Kanntest du die Frau?“ er wendete den Blick wieder ab, als abermals Bilder des Leichnams in seinen Gedanken aufblitzten. Der Tee beruhigte seinen Magen und auch sein Kopf lichtete sich. Seine Hände zitterten nicht mehr, als er sich die Tasse zu den Lippen führte und einen Schluck nahm. Sich in eine solche Situation zu begeben hatte nicht auf seiner To-Do Liste für heute gestanden, auf ihrer aber sicherlich auch nicht. Jakub kam nicht umhin auch etwas Amüsantes in der ganzen Sache zu sehen. Wenn er sich in die Scheiße ritt, dann richtig. Dafür hatte er schon immer ein Talent gehabt.
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graeueltaten · 4 months ago
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Rome
"Willst du- ich meine, wollen Sie jetzt wirklich..?" Nun war doch der Moment gekommen, in dem sie das erste Mal seit seiner Ankunft einfror. Rome beobachtete, wie er seinen für den Moment geschwächten Körper auf die Beine führte und in Richtung der Hintertür zurück schwankte. Dieser andere Wolf schien ihm so wichtig zu sein, dass er dafür sein Leben riskieren würde. Was war sein Ziel, wollte er den Wolf töten, weil dieser die Frau getötet haben könnte? Oder hatte er selbst die Frau getötet und spielte ihr all das nur vor? Hatte sie soeben den größten Fehler ihres Lebens begangen?
Im Hintergrund der aufgehenden Sonne waren noch die Blaulichter der Funkstreifenwagen zu sehen. Die Lichter waren sehr schwach, doch als Romes Blick in ihnen versank, wurde sie plötzlich wieder müde. Was sollte schon passieren, wenn der blutverschmierte Fremde jetzt wieder ihr Haus verlassen würde? Er würde verschwinden und ihr Leben würde wieder in ihr altes, gewohntes Muster fallen. So wäre es auch unwahrscheinlicher, dass ihre Schandtat gerade ans Licht kommen würde. Sie wäre sicherer, sie wäre wieder alleine und für sich in ihren vier Wänden. In ihren vier Wänden, die von viel zu wenig Leben sprachen. Sie hörte, wie er die Tür öffnete und sie knartschte, er stolperte fast über die Türschwelle und plötzlich verließ er tatsächlich ihre Räumlichkeiten. Ihre Stimmung veränderte sich sofort, es kehrte plötzlich Ruhe ein und alles, was blieb, war das leise Knistern der Alufolie, die auf ihrer Couch zurückgeblieben war. Das war alles, was er gefunden hatte, und dennoch hatte er es genommen und es genutzt, um ihre Möbel zu schützen. Wie konnte so jemand vorher eine Frau so grausam töten? Mit einem Mal schüttelte sie ihren Kopf, eine Strähne fiel ihr ins Gesicht und sie pustete einmal angestrengt nach oben gegen ihre Stirn. Was zum Teufel änderte gerade ihre Meinung? Sie hatte zuvor sogar ihr Leben für ihn riskiert. Wieso machte sie ausgerechnet jetzt einen Rückzieher? Rome erhob sich, ohne einen weiteren klaren Gedanken zu fassen. Sie benötigte keine weiteren klaren Gedanken, ihre Entscheidung war schon längst gefallen. Sie eilte zu der Hintertür in der Hoffnung, dass der Mann in seinem Zustand noch nicht allzu weit gekommen war.
Rome war offensichtlich gerade rechtzeitig aus ihrem Sessel aufgestanden, denn sie sah, wie er am ersten Baum des Waldes angekommen war und sich an diesen vorsichtig lehnte, um für die nächsten Schritte neue Kraft zu tanken. Sie wurde schon beinahe wütend darüber, wie er weiterging trotz der fehlenden Kraft. Mit einem Griff nach ihren Schlüsseln, die er am Eingang zuvor niedergelegt hatte, lief sie hinaus und kletterte geschickt über den kleinen Zaun, den ihr Garten umfriedete, bis sie ihn schnell erreichte und erneut an den Schultern ergriff. Diesmal zuckte er zusammen, und das offensichtlich nicht vor Schreck. Er seufzte auf, er schien Schmerzen zu verspüren. War er also doch verletzt worden? Sie hatte doch nichts an seiner Haut feststellen können. "Entschuldige, ich muss- komm zurück, die Cops sind noch da draußen und weiß Gott, was das für ein Wolf da draußen ist, in deinem Zustand schaffst du das nicht." Das erste Mal seit ihrer Begegnung am Tatort traf sein Blick auf ihren, und ihre Gänsehaut kehrte zurück. Sie verfügte über genug Menschenkenntnis, dass sie wusste, dass etwas Dunkles in ihm saß, es saß tief und es war nicht immer an der Oberfläche, aber es machte ihm vermeintlich genauso viel Angst wie es ihr in diesem Moment machte.
Den Gedanken beiseite schiebend, fasste sie stattdessen vorsichtig an seine Unterarme und führte ihn subtil widerwillig zurück in ihr Haus. Sie schob ihn schweigend in die Räume, die ihn hoffentlich wieder in einen halbwegs ansehnlichen Menschen verwandeln würden. Zuerst schob sie ihn in ihr Badezimmer, öffnete die Duschkabine und schaltete das Wasser ein, sie schaltete es auf lauwarm um das getrocknete Blut abspülen zu können. Ein dunkles Handtuch legte sie ihm an einem der Waschbecken bereit und verließ das Badezimmer, um ihm Kleidung herauszusuchen. Glücklicherweise hinterließ ihr jüngerer Bruder immer wieder Kleidung, die er aussortiert hatte, sodass sie ihm von diesen eine Hose und ein Oberteil herauskramte und vorsichtig vor der Badezimmertür platzierte. "Von der Größe her sollte es passen", murmelte sie leise vor sich hin und entfernte sich anschließend aus dem Flur und in ihre Küche, die sich ebenfalls im Eingangsbereich neben dem Wohnzimmer befand. Hier bereitete sie eine heiße Gemüsebrühe vor, sowie zwei Tassen mit magenschonendem Tee und zwei Gläser Wasser. Eine Portion jeweils nahm sie selbst an sich und schlürfte diese vorsichtig, nachdem sie ihre Hände und Unterarme so sauber geschrubbt hatte, dass sie ihre Haut gereizt und gerötet hinterließ. Rome erwartete ihn an der Arbeitsplatte in ihrer Küche, sie hatte dort Barhocker platziert und ihre Zubereitungen auf der dortigen Kücheninsel gestellt. Als er nach einiger Zeit, in der sie schweigend und geduldig auf ihn gewartet hatte, mit noch feuchten Haaren in die Küche trat und seine nackte Haut nun geschützt in warmer Kleidung steckte, deutete sie auf den Barhocker vor ihr. "Was ist mit deiner Schulter passiert, brauchst du Schmerzmittel?", war das nächste, was sie fragte, während ihre Tasse voll Tee an ihren Lippen ruhte und sie das Keramik mit ihren Fingern umwickelt hielt. Alles andere, was sie für heute noch überlegen mussten, war, wo er unterkommen konnte und ob er überhaupt in der Nähe lebte. Irgendetwas in ihr sagte ihr, dass sie ihn einfach nach Hause schicken könnte und es damit sein eigenes Problem sein ließe. Rome hätte es so einfach und so wären die möglichen Probleme für sie auch aus dem Weg geräumt. Eine andere, jedoch viel lautere Stimme sagte ihr jedoch, dass sie ihn jetzt nicht mehr zurücklassen sollte. Es war ihr gottverdammter Job, Rätsel aufzuklären, wieso also sollte sie dieses auf sich beruhen lassen? Und merkwürdige Umstände brachten sie dazu, diesem Mann vorerst zu vertrauen, egal wie wenig Worte sie bisher ausgetauscht hatten. Sein Wesen erschien für sie gut, ganz egal was noch in ihm lauerte.
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graeueltaten · 4 months ago
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Jakub
Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, während er in einem letzten Schwall den Rest seines Mageninhaltes von sich gab. Der bittere Geschmack von Galle und Erbrochenem mischte sich zu dem von Blut und Eingeweiden. Jakub war sich sicher, dass er schuld an dem Tod dieser Frau war, und er war sich auch sicher, dass er das nicht mehr würde vergessen können. Einerseits hoffte er, dass die Erinnerungen an letzte Nacht für immer verpackt in einer Schachtel in der hintersten Ecke seines Kopfes bleiben würde, doch andererseits nagte die Ungewissheit an ihm. Im Grunde genommen hatte er auf ganzer Linie versagt und zusätzlich zu seinem miserablen körperlichen Zustand ratterten die Gedanken nur so durch seinen Kopf, der hämmerte und wummerte, als läge eine wilde Partynacht hinter ihm.
Als plötzlich kalte Hände seinen glühend heißen Körper abtasteten, schreckte er auf. Die fremde Frau war inzwischen an ihn herangetreten und nahm die Worte, die er gesprochen hatte, offensichtlich ernster als er selbst. Seine Schulter schmerzte noch immer, sodass er zu ihr herunterblickte und sah, wie die Wunde sich inzwischen zu wulstigen Narben zusammenschloss. Ein weiteres Indiz dafür, dass er einen Angriff überlebt hatte. War es der Wolf gewesen, den er suchte? Oder etwas anderes? Die Werwolf Art, zu der Jakub und auch sein Erschaffer gehörten, war nicht dafür bekannt in Rudeln zu existieren. Sie waren Einzelgänger. Mörderische Bestien, die im Grunde genommen nicht viel mit Wölfen gemeinsam hatten. Fast haarlose Monster mit spitzen Zähnen, die den ganzen Kiefer einnahmen und dazu dienten andere in nur wenigen Sekunden komplett zu zerfleischen. Lediglich die spitzen Ohren, das grell goldene Augendual, das fast menschlich wirkte, und die spitze Nase deutete auf den Ursprung dieses Fluches hin. Denn nichts anderes war es – ein uralter Fluch. Wie dieser zustande gekommen war, hatte Jakub bisher nicht herausfinden können. Es gab unzählige Geschichten darüber, wie Werwölfe erschaffen worden waren und doch lief es immer auf die wolfsähnlichen Gestalten hin, die sich überwiegend auf allen vier Pfoten fortbewegten, während Jakub in seiner Gestalt auch auf zwei Beinen gehen konnte. In seiner Wolfsgestalt überragte er sämtliche Menschen. Meistens konnte er sich nicht an die Vollmondnächte erinnern, doch Dank eines genialen Einfalls installierte er vor Monaten Kameras in seiner Zelle, die alles aufzeichneten. Als er sich selbst das erste Mal als Werwolf gesehen hatte, musste er sich – ähnlich wie Sekunden zuvor – schwallartig übergeben. Er sah grausam aus.
Die Worte der Frau drangen wie in Watte gepackt zu ihm. Jakub konnte sich nicht darauf konzentrieren zu protestieren oder sie zu mustern, um festzustellen, ob sie vertrauenswürdig war oder nicht. Trotz der Waffe, die mit Sicherheit nicht mit Silberkugeln geladen war, war er ihr überlegen. Nicht, dass er es wollte, es war schlichtweg ein Fakt, der ihm durch den Kopf schoss, während sie ihm dabei half auf die Beine zu kommen. Die Jacke umklammert, torkelte er benommen in die Richtung, in die sie ihn scheuchte. Alles woran er denken konnte, war, dass er sich den Mund auswaschen und das Blut loswerden wollte. Seine Schritte beschleunigten sich von selbst. Alsbald flog das Laub, welches er durch seine Schritte aufwirbelte, um ihn herum. Normalerweise war es ein reiner Instinkt jegliches Geräusch zu vermeiden, doch während seine Gedanken noch immer ratterten funktionierte sein Körper mechanisch. Das Rascheln im Busch hörte er nicht mehr, womöglich wäre er sonst auf direktem Wege wieder zurück in seinen sicheren Tod gerannt.
Mit zitternden Händen schloss er die Hintertür auf, wie sie es befohlen hatte. Ein einsames Licht brannte, weswegen er sich nicht die Mühe machte das Deckenlicht anzuschalten. Stattdessen blieb er stehen, den Blick auf die Wand direkt gegenüber gerichtet. Er musste das Blut loswerden. Und den Geschmack von Erbrochenem. Andererseits fiel ihm auf, wie penibel sauber die Wohnung gehalten war, weswegen er sich geistesabwesend dagegen entschied. Er hatte nicht nur sich selbst, sondern wohl auch die Fremde tief in die Scheiße geritten und wollte ihr nicht noch mehr Ärger bereiten, indem er das Blut, das an ihm klebte, überall in ihrer Wohnung verteilte. Es war schlimm genug, dass seine nackten Füße schlammige und schmutzige Abdrücke auf dem Boden hinterließen. Es war absurd, dass er sich in einer solchen Situation solche Gedanken machte, aber es war eine Art sich von dem Geschehenem abzulenken. Jakub kannte sich. Er wusste, dass er sonst in eine Abwärtsspirale seiner Gedanken gefangen war, in welcher er sich vorwarf, versagt zu haben – nun, er hatte versagt, wieder einmal. Der Frust darüber saß tief in seiner Brust verankert und drohte ihm den Atem zu nehmen, wenn er sich nicht auf etwas anderes fokussierte. Das Sofa sah einladend aus, doch setzte er sich, war es unwiderruflich beschmutzt. Seiner Erfahrung nach war Blut verdammt schwierig aus Stoff zu bekommen, weswegen er sich dazu entschied in die Küche zu gehen. Vielleicht besaß sie Zeitung, die er sich unterlegen konnte oder ein Tuch, welches sowieso zum Wegwerfen verdammt war. Doch Jakub fand nichts dergleichen. Lediglich eine Rolle Alufolie lag auf dem Tresen, nach der er nun griff, um einige Meter davon abzurollen. In der Stille raschelte die Alufolie nur noch lauter als ohnehin schon. Es war verdammt still. So still, dass er sich fragte, ob er nicht doch seine Wolfssinne verloren hatte. Normalerweise hörte er immer und zu jeder Tageszeit zumindest etwas. Das Summen des Kühlschranks, das ferne Zwitschern der Vögel im Wald, Schritte auf den Straßen vor seiner Wohnung, das Gelächter eines frischverliebten Paars oder das Klacken eines Gehstocks eines in die Jahre gekommenen Mannes, der tagtäglich seine Zeitung in dem Kiosk nicht unweit seiner Wohnung holte. Jakub breitete die Alufolie auf dem Sofa aus, darauf bedacht nichts zu berühren. Er zuckte zusammen, als sein provisorischer Schutz unter ihm knisterte, als er sich schlussendlich setzte. Die Jacke lag noch immer um seine Hüfte und erst jetzt bemerkte er, wie winzig sie war. Eine Frau. Eine unschuldige Frau war ermordet worden und auch wenn Jakub es sich nicht eingestehen wollte, war er mit großer Wahrscheinlichkeit schuld an ihrem Tod.
Nach vorne gebeugt, die Hände ineinander verflochten, starrte er einen Punkt vor sich auf dem Boden an. Er bemerkte nicht einmal, dass die Frau das Haus betrat. Im Moment wünschte er sich nichts sehnlicher, als dem ganzen entkommen zu können. Jakub wünschte sich oft, dass er dieses verdammte Sommercamp nie aufgesucht hätte, dass er in diesem Sommer einfach zuhause geblieben wäre, um sich um seine Großmutter zu kümmern, die inzwischen nicht mehr unter den Lebenden weilte. Erst als sie sich ihm gegenüber niederließ und ihn direkt ansprach, hob er den Blick. Auch sie war blutverschmiert, doch schien sie unverletzt, was ihn daraus schließen ließ, dass sie keine Begegnung mit einem Wolf gehabt hatte. Zumindest keine direkte, wenn man ihren Worten Glauben schenken konnte. Seine dunklen Augenbrauen zogen sich zusammen, sodass eine Falte zwischen ihnen entstand. Ihren Job? Ihm war nicht bewusst gewesen, dass vermutlich irgendjemand Alarm geschlagen hatte und sie so zum Tatort geführt wurde. Tatort. Nichts anderes war es. Eine verdammte Mordszene, für die er verantwortlich war. „Ein Wolf. Ein Wolfsangriff.“ Es war nicht die ganze Wahrheit, aber auch keine Lüge. Jakub hütete sich davor ihr direkt alles zu erzählen. Sie würde ihm nicht glauben und mit Sicherheit als verrückt einstufen und doch an die Polizei verpfeifen. Seine Stimme klang rau und kratzig, was daran liegen musste, dass sein Hals und seine Kehle vom Übergeben noch immer gereizt waren. In abgehackten Bewegungen lehnte er sich etwas zurück, noch immer darauf bedacht keine ungeschützte Fläche zu erwischen. Seine Schulter schmerzte noch immer, auch wenn die Wunde sich längst geschlossen und nichts weiter als Narben zurückgeblieben waren. Jakub wusste nicht einmal, ob er noch immer in Alaska war. Der Wald ähnelte dem, den er gestern Abend betreten hatte, aber es gab Zeiten, in denen er in ganz anderen Ländern oder Staaten aufgewacht war. Jakub vermied es ihr in die Augen zu blicken. Er war sich sicher, dass man allein durch seine blauen Augen sehen konnte, dass er die Schuld an dem Tod der Frau trug. Diese Tatsache lastete schwer auf seiner Seele. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was sie eben von sich gegeben hatte. Ein Knurren unmittelbar in ihrer Nähe? Normalerweise griff ein Werwolf immer an. Es sei denn, er erlangte selbst in seiner animalischen Form die Kontrolle über das Bewusstsein. Das wiederum musste bedeuten, dass sein Erschaffer tatsächlich in der Lage war die Kontrolle zu behalten, wenn er sich in Vollmondnächten verwandelte. Es war, als würde ein Kartenhaus in seinem Kopf umfallen. Daraus schlussfolgernd biss der Werwolf ihn in jener Nacht mit voller Absicht und nicht aus einem Trieb heraus. Es war Wut, die sich versuchte an die Oberfläche zu kämpfen und unter seiner Haut brodelte, um auszubrechen. „Dieser Wolf, der Sie angeknurrt hat, ist er noch da draußen?“ Jakub erhob sich, die Jacke noch immer umklammert und kam schwankend auf die Beine. Wenn er noch da draußen war, würde ihn nichts in diesem Haus halten. Nicht einmal das Gefühl von Übelkeit und Erschöpfung, dass sich in seinem Körper breit machte. Jeder Zentimeter seines Körpers tat höllisch weh. Eine Nachwirkung der Verwandlung in Vollmondnächten. Seine Haut war furchtbar empfindlich und gerötet, seine Schritte, die er nun in Richtung der Tür machte, wackelig. Dass er wie ein lebensmüder Idiot auf sie wirkte, blendete er gekonnt aus. Der Gedanke diesen Bastard von Wolf ausfindig zu machen war vorherrschend und vernebelte ihm jeglichen Sinn von Verstand.
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graeueltaten · 4 months ago
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Rome
Rome erhielt den Anruf mitten in der Nacht, sie hatte sich gerade ein letztes Mal in ihrem Bettlaken gewälzt und endlich zur Ruhe gefunden, als sie hochschreckte und die müde Stimme ihres Kollegen ihr erläuterte, dass weibliche Schreie aus der Richtung eines Waldes gemeldet wurden. Die Schreie hätten eine derartige Panik und Lautstärke in sich gehabt, dass die lokale Polizeibehörde bereits von einem Tötungsdelikt ausgehen würde. Sie strich sich seufzend durch ihr verknotetes Haar, lehnte sich langsam gegen das Kopfteil ihres Bettes und verdeckte ihre Augen vor Müdigkeit, während sie versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. „Wieso zum Teufel nochmal ruft ihr mich dann? Josh, ich bin in einem ganz anderen Revier—„, ihr Mund klebte, ihre Lippen klebten vor Trockenheit zusammen und sie gab sich jegliche Mühe, überhaupt in diesem Zustand zu sprechen. Sie war schon jahrelang aus dem Einsatz- und Streifendienst heraus, sie hatte sich gegen den Schichtdienst und für ein ruhiges, geregeltes Leben entschieden, in dem sie ihre Zeit selbst einteilen und so widmen durfte wie sie wollte. Nachtschichten hatten schon immer zu ihren Abneigungen gehört, sie war keine Nachteule und würde es vermutlich niemals sein. Und dennoch hatte man sie aus dem zuständigen Revier mitten in der Nacht angerufen und ließ sie gar nicht erst ausreden und die nächsten Worte, die fielen, hinterließen eine Gänsehaut auf ihren Unterarmen und Oberschenkeln. Es war das riesige Waldgrundstück, das an ihr eigenes Grundstück grenzte. „Fuck.“ Die Realität schlug auf sie ein wie in ihrer Kindheit, als ihr Vater zu viel des gold-braunen Whiskeys über seine Brust verschüttete und anschließend auf Rome losgegangen war. Körperlich. Er hatte sie grün und blau geschlagen und alles, was sie getan hatte, war ihren Kopf zu schützen. Sie hatte ihre kleinen, dünnen Arme um ihren Kopf gewickelt so gut es ging und hielt so lange still, wie es dauerte. Und der Moment war ihre heutige Motivation dazu gewesen, ihre Instinkte zu trainieren und eine solche Demütigung nie wieder durchleben zu müssen — und genau aus diesem Grund funktionierte sie in diesem Moment stumpf, auch wenn alles in ihrem Körper nach Stillstand und Schutz schrie. Sie erhob sich aus ihren Bettlaken, taperte in ihr so großes Badezimmer, dass es schon beinahe königlich wirkte, kämmte sich ihr Haar und band es zu einem Zopf, und nachdem sie sich die Zähne putzte und kaltes Wasser in ihr Gesicht spritzte, zog sie ihre Kleidung vom Vortag an und schnürte sich anschließend ihre Schusswaffe von Heckler und Koch um, ehe sie sich zusätzlich in ihre Schutzweste warf und das Licht ausschaltete, als sie ihr Haus verließ. Eine Taschenlampe gehörte zu ihrer Ausrüstung, und so kämpfte sie sich Stück für Stück vor durch die grüne Bewachsung, ehe sie plötzlich laute Atemzüge wahrnahm und kleine Äste unter dem Gewicht knackten, unter welchem Gewicht auch immer, das würde sie alsbald herausfinden.
Als sich ihr Blick mit dem des jungen Mannes kreuzte, wurde ihr plötzlich furchtbar schwindelig. Alles, was sie sah, war blutverschmierte Haut, sowohl an ihm als auch an dem Leichnam, der unmittelbar vor ihm lag. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit, als sie beobachtete, wie er sich in ihrem Beisein übergab. Er schien seinen gesamten Mageninhalt zu leeren, was ihr wiederum die Zeit gab, sich einen kleinen Überblick über die Tatörtlichkeit zu verschaffen. „Fuck,“ wich ihr abermals über die trockenen Lippen, als ihr Blick kurzzeitig auf dem weiblichen Leichnam verblieb. Rome erkannte die Frau wieder, es war jemand aus der Nachbarschaft. Auch wenn sie sie nicht namentlich kannte, wurde Rome in der Sekunde erneut übel und beinahe tat sie dem Mann gleich, indem sie kurz würgte und ihren Mageninhalt nur mit viel Talent innehielt. Auch das war Training, das sie jahrelang praktiziert hatte an Tatorten, die eigentlich noch viel grausamer waren als dieser hier. Und doch ging dieser hier ihr besonders nahe. Mit einem Mal kamen die von ihm zuvor ausgesprochenen Worte bei ihr an, er war verletzt. Gott verdammt, er war verletzt. War er der Mörder? Alles sprach dafür, und doch konnte sie den kleinsten Zweifel nicht ausschließen. Was, wenn ihm eine Falle gestellt wurde? Rome steckte ihre Schusswaffe weg und schaute sich schnell um, ihre Kollegen müssten bald eintreffen. Und sie würden den Mann nicht glimpflich davonkommen lassen, er würde festgenommen werden und vermutlich nie wieder das Tageslicht sehen, so radikal wie das Gesetz in Alaska war. Ohne ihre Waffe ging sie auf ihn zu, und reflexartig begann sie vorsichtig, jedoch auch gekonnt die Körperteile an ihm abzutasten, die von seiner notdürftigen Bedeckung herausragten. Sie endete an seinem Kopf, ihre Hände bedeckten seine Wangen und sie erkannte keinerlei Verletzungen an ihm. Nichts deutete auf einen Ursprung der vielen Liter Blut, die hier scheinbar vergossen wurden.
„Stehen Sie auf. Jetzt. Nehmen Sie die Jacke einfach mit, ich kümmere mich gleich darum“, antwortete sie, als sie seinen fragenden Blick und seinen Griff in Richtung seines Intimbereiches bemerkte. Sie half ihm auf, griff an seine Schultern und richtete ihn wieder auf seine Beine und drehte ihn in die Richtung, aus der sie selbst gekommen war. „Gehen Sie in diese Richtung, gehen Sie bis sie kleine rote Laternen im Vorgarten leuchten sehen. Hier ist der Schlüssel, gehen sie hinten rein und lassen Sie die Tür offen. Ich komme gleich nach. Lassen Sie sich nicht sehen, auf keinen Fall.“ Sie schüttelte ihren zierlichen Kopf, um ihre Worte noch einmal mehr zu unterstreichen. Davon war jetzt sein Leben abhängig, und wenn er erwischt werden sollte, wäre auch sie in einem riesigen Schlamassel, so viel stand fest. Dann sah sie ihn nur noch rennen. Er torkelte wohl merklich, irgendetwas an ihm schien nicht wie üblich zu sein. Und dennoch schaffte er es bis in ihr Haus.
Plötzlich raschelte etwas im Busch, da war erneut jemand. Ein Blick in die Richtung des Mannes erklärte ihr, dass es sich dabei diesmal nicht um ihn handeln konnte. Hier war noch jemand, und vielleicht hatte er die Tat beobachtet, oder schlimmstenfalls sogar vollbracht? Sie konnte es nicht ausschließen, also zog sie mit blutverschmierten Händen ihre Waffe erneut aus dem Holster heraus und richtete diese auf die Böschung, aus der die Geräusche kamen. „Wer ist da? Polizei hier, kommen Sie mit erhobenen Händen raus oder ich schieße!“ Sie schrie so laut ihre Stimme es zuließ, doch plötzlich überkam sie eine tödliche Ruhe. Es war plötzlich gar nichts mehr zu hören, und inzwischen war der Mann auch so weit entfernt, dass sie auch seine Schritte nicht mehr wahrnehmen konnte. Sie hörte nur noch die Geräusche der Tiere. Dann ein plötzliches lautes Knurren und ein schwarzer Schatten, der aus dem grünen Dunklen vor ihr davonlief. Sie schaffte es nicht, ihre Taschenlampe noch rechtzeitig auf die Silhouette zu richten. Was auch immer da gerade bei ihr war, war genauso schnell wieder verschwunden wie sie es bemerkt hatte.
Die nächsten zwei Stunden verbrachte sie am Tatort, empfing ihre Kollegen und erläuterte ihnen mehrfach, was sie beobachtet hatte und dass sie in der Nähe keine verdächtige Person habe feststellen können. Die konkrete Zeit ihres Eintreffens wurde notiert, das Blut an ihren Händen digitalfotografisch gesichert und die Spuren, die sie nachträglich noch an dem Leichnam hinterlassen hatte, damit es so aussah, als hätte sie an dieser noch versucht, ein Lebenszeichen festzustellen. Und nachdem ihr Kollege Josh sie noch ein letztes Mal zur Seite zog und sicherstellte, dass alles in Ordnung bei ihr war, wurde sie aus den polizeilichen Maßnahmen vor Ort entlassen.
So blutverschmiert wie Rome den fremden Mann losgeschickt hatte, fand sie ihn auch in ihrem Haus wieder vor. Er hatte sich vorsichtig Alufolie unter gelegt, auf die Couch platziert und schien tief in Gedanken zu sein, als sie durch die Hintertür hineinschlich und von draußen schon beinahe der Sonnenaufgang zu sehen war. „Fuck,“ sie wiederholte sich abermals, und doch war es das einzige, was ihr in der Situation einfiel. Sie ließ sich gegenüber von ihm auf ihren Sessel sinken, ihre blutverschmierten Hände berührten hierbei nichts und ihm warf sie im selben Zug noch eine alte Decke zu, da sie jetzt erst bemerkte, dass er immer noch nackt war. „Was ist da draußen passiert, und was hat mich da draußen noch angeknurrt? Und ich erwarte verdammt nochmal, dass Sie mir die ganze Wahrheit sagen, denn ich habe gerade meinen beschissenen Job für Sie aufs Spiel gesetzt!“
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graeueltaten · 4 months ago
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Jakub, Part II
Das Zwitschern der Vögel ebbte ab und wurde durch das Rufen einiger Eulen abgelöst. Im Unterholz knackte und raschelte es gelegentlich, während Jakub einen Fuß vor den anderen setzte. Der Geruch wurde intensiver und er war sich sicher, dass es sich nur noch um Minuten handeln konnte, bis er ihn erreichte.
Und dann verlor er die Kontrolle.
Stöhnend vor Schmerz blinzelte er gegen das Morgenlicht, das sich durch die Baumkronen kämpfte. Er war nackt. Nackt und verwundet. Seine rechte Schulter schmerzte höllisch und auf seiner Zunge konnte er Blut schmecken. Für einige Momente saß er vollkommen orientierungslos auf dem nasskalten Boden, der leicht unter ihm nachgab. Der Geruch von Regen und Morgentau lag in der Luft, gepaart mit dem Geruch von Blut und Tod. Schlagartig wurde Jakub bewusst, dass er lebte. Hatte er es geschafft? War er frei von dem Fluch? Mit rasendem Herzen ließ er seinen Blick wandern. Das Licht schaffte es nur spärlich bis unter die Baumkronen und doch ließ es sich nicht vermeiden, dass sein Blick, auf den einer Frau traf. Sein erster Impuls war es aufzuspringen und loszurennen, bis er feststellte, dass die Augen der Frau aufgerissen und leblos waren. „Scheiße“, murmelte Jakub, darum bemüht die Fassung zu bewahren. War er das gewesen? Hatte er eine unschuldige Frau umgebracht? Das Gefühl von Panik kroch seine Brust hoch, legte eine Schlinge um seinen Hals und drohte ihn zu ersticken, wenn er nicht handelte. Der Anblick der toten, fremden Frau allerdings war wie ein Magnet in diesem ganzen Chaos, dem er nicht entrinnen konnte. Nach Luft schnappend wendete er den Blick ab und suchte nach Halt auf dem Waldboden. Auch wenn er saß, fühlte es sich an, als ziehe ihm jemand den Boden unter den Füßen weg. Zu der Panik gesellte sich Übelkeit. Sein Mund schmeckte nicht nur nach Blut, sondern auch nach…. Er konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen, ohne gleich hier und jetzt seinen Mageninhalt auf dem Waldboden auszuleeren. Das Knacken eines zerbrechenden Zweiges ließ ihn augenblicklich in seiner Bewegung innehalten. Seinem guten Gehör nach zu urteilen hatte er es nicht geschafft. Oder musste sich sein Körper erst einmal wieder an menschliche Sinne gewöhnen? Nein, das ergab keinen Sinn. Als er die sich nähernden Schritte vernahm, griff er nach der zerschlissenen Jacke der Frau, die unmittelbar vor ihm lag, um sie über seine Hüfte zu schmeißen. Er war nackt. Nackt, in Blut gebadet und sah vermutlich nicht nur vollkommen irre, sondern auch vollkommen besessen aus. Wer auch immer sich ihm näherte, er betete, dass die Person einfach weiterging und sie nicht entdeckte. Vielleicht war es aber auch der gesuchte Werwolf, der sich nun einen Spaß daraus machen wollte, dass Jakub seine Chance vertan hatte? Dem Geruch nach zu urteilen handelte es sich jedoch um eine Frau, die jeden Moment durch das Dickicht auf die kleine Lichtung brechen würde. Dank der schmerzenden Schulter und den steifen Gliedmaßen war es ihm nicht möglich schnell genug zu reagieren, sodass er wie erstarrt sitzen blieb, als sich ein Haarschopf hinter dem Gebüsch abzeichnete und nur Sekunden danach eine Frau auf die Lichtung trat. Die Waffe in der Hand erhoben und mit wachsamem, wenn auch schockiertem Blick schien sie die Szene zu analysieren. Jakub steckte tief in der Scheiße. „Ich bin verletzt“ war das einzige, das er über die Lippen brachte, bevor er sich schlussendlich auf den Boden erbrach und sämtlichen Inhalt ausleerte.
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graeueltaten · 4 months ago
Text
Jakub, Part I
Die Tage und Nächte vor dem Vollmond waren die schlimmsten im Monat. Nicht nur, dass Jakub leicht reizbar war und zu Stimmungsschwankungen neigte, sondern auch die Empfindlichkeit gegen Licht und laute Geräusche machte die Tage unerträglich. Es war, als würde ihm jeden Moment der Kopf platzen, weswegen er sich an solchen Tagen davor hütete die Wohnung zu verlassen. Doch dieses Mal war es anders. Jakub war ihm auf der Spur. Dem Werwolf, der ihn zu dem gemacht hatte, was er nun war. Ein Monster. Ein Monster, das unter Kontrollverlust litt und in Momenten wie diesen dazu neigte alles und jeden in Stücke zu zerreißen oder zu infizieren, um die Spezies zu sichern. Jakub schloss sich in Vollmondnächten ein. Angekettet in einer unterirdischen Zelle, geschwächt durch Wolfs Wurz und Silber. Doch nicht heute Nacht. Er war zu nah und zu lange suchte Jakub nun schon nach einer Spur, um dem Werwolf das Leben zu nehmen, der seines zur Hölle gemacht hatte. Nur das würde den Fluch brechen können, der auf ihm lastete – so jedenfalls die Überlieferung. Als junger Erwachsener war der gebürtige Tscheche in den USA als Betreuer in einem Sommercamp angestellt. Noch heute wünscht er sich, niemals diese Stelle angenommen zu haben. Was wäre passiert, wenn er diesen Sommer zuhause geblieben wäre, statt sich auf die Reise in die Vereinigten Staaten zu machen? Was, wenn er nur dieses eine Mal nicht seiner Spontanität verfallen gewesen wäre? Stattdessen wurden die schönen Erinnerungen an die zwei Monate im Sommercamp von einem schrecklichen Ende gekrönt, an dass er sich nicht gerne zurückerinnerte – auch wenn er sich kaum noch die Bilder ins Gedächtnis rufen konnte. Das Bild von blutüberströmten Leichen jedoch saß fest verankert in seinem Kopf und vermutlich würde es auch so schnell nicht verschwinden oder zumindest verblassen. Ganz gleich wie verkniffen Jakub auch versuchte sich zu erinnern, um einen Sinn in der ganzen Sache zu sehen oder verstehen zu können, was genau passiert war, es legte sich jedes Mal ein Schleier über seine Erinnerungen. Trotz der Müdigkeit und Erschöpfung, die sich in jedem seiner Gliedmaßen bemerkbar machte, entschloss er sich dazu die heutige Nacht nicht angekettet, sondern frei zu verbringen. Fernab von seinem sicheren Bunker und mitten in Alaska. Ihm war bewusst, dass er als Werwolf keinen anderen Werwolf umbringen konnte – zumindest nicht aus sicherer Entfernung. Und wenn er richtig lag, würde er einen Nahkampf mit seinem Erschaffer nicht überleben. Dafür war er nicht Herr genug über sich und seine animalische Form, in welcher er jegliche Kontrolle über Handeln und Verstand verlor. Gesteuert von Trieb und Instinkt und fernab von jeglichem gesunden Menschenverstand agierte er als Werwolf irrational und impulsiv. Je näher die Nacht rückte, umso nervöser wurde Jakub. Seine Nackenmuskulatur schmerzte vor Anspannung, während sein Kopf unaufhörlich dröhnte und es unerträglich machte das gemietete Motelzimmer zu verlassen. Monatelang hatte er nach einer Spur gesucht und nun war es so weit. Heute würde er eine reelle Chance auf Rache bekommen, auf Erlösung – auf ein besseres Leben. Das einzige Problem an der Sache war, dass er sich in diesem Wald nicht auskannte, auch wenn er die letzten Nächte damit zugebracht hatte ihn auszukundschaften. Doch die Fläche überstieg sogar seine Kompetenz und Ausdauer, weswegen er sich mit einem groben Plan, der sich in seinem Kopf manifestierte, zufriedengeben musste. Ob es reichte, würde sich bald genug herausstellen.
Nur wenige Stunden später streifte er noch immer als Mensch durch die Wälder. Schon jetzt konnte er spüren, dass seine Haut zum Zerreißen gespannt war und es nicht mehr lange dauerte, bis sein Körper dem Druck nicht mehr Stand halten konnte. Das unablässige Kribbeln unter seiner Haut machte es nur noch unerträglicher. Doch was zählte war die Spur des Werwolfes, der er seit gut einer Stunde folgte. Sie führte immer tiefer in den Wald hinein und insgeheim fragte Jakub sich, ob es eine Falle war. Vielleicht wusste er, dass Jakub ihm auf der Spur war und verfolgte. Der Werwolf musste um einiges älter als er selbst sein und schon jahrelang mit diesem Fluch leben, wenn er seiner Quelle Glauben schenken konnte. Im Grunde genommen mündete alles Leid der letzten Jahre in eben diesem einen Ursprung.
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