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Bullenbrille #1 - Die Irre im Hochhaus -
Hochhaussiedlung unweit der Uniklinik. 7. Etagen, direkt an der Hauptstraße gelegen. Nach 15 minütiger Parkplatzsuche, haben mein Kollege und ich es endlich geschafft, den alten Opel Zafira fachmännisch und akkurat in einer Parklücke nahe unseres Zielobjekts abzuparken.
Zielsicher steuern wir auf den Haupteingang zu. Ein Blick auf das Klingelschild verrät: Natürlich geht's nach ganz oben, wie könnte es anders sein. Beim Hineinsehen in den zum Klingelschild gehörenden Briefkasten bietet sich uns ein gewohntes Bild. Briefe über Briefe, ein Wunder, dass der Kasten überhaupt noch schließt. Wann er wohl letztmalig geleert worden sein mag? Nun ja, tote Menschen lesen nicht. Aber wer weiß, vielleicht geben einige dieser Briefe ja einen genaueren Anhaltspunkt darauf, unter welchen Umständen die Dame im 7. Stock zu Tode gekommen ist. Fremdverschulden? Suizid? Medizinischer Notfall? Ein ganz natürlicher Tod? Ein wenig Licht ins Dunkle bringen, der Auftrag eines jeden Todesermittlungsverfahrens.
Und so geht es schnurstracks in Richtung Aufzug. Kaputt. Am Arsch denke ich mir, nur um wenige Sekunden später in den 7. Stock zu watscheln. Das ganze Haus ist in eine Aura von Tristesse gehüllt. Rauer, gelb gefärbter Beton soweit das Auge reicht. Mutmaßlich doppelt so alt wie ich selbst, wenigstens. Die letzte Renovierung wahrscheinlich Jahrzehnte her. Umso dramatischer scheint mir, dass dieses Haus die Bleibe für eine dreistellige Personenzahl bildet. Bleibe ist der richtige Ausdruck denn ich bin nicht sicher, ob ein Ort wie dieser überhaupt so etwas wie ein Zuhause darstellen kann. Einer von vielen Momenten in meinem noch jungen Dienstalltag in denen mir schmerzlich bewusst wird, unter welch privilegierten Umständen ich habe aufwachsen dürfen. Wir erreichen den 7. Stock. Aus unserer Zielwohnung dringt ein beißender, fauliger Geruch. Und das, obwohl die Tür nach wie vor geschlossen ist. Der Spalt unter der Tür jedoch reicht völlig aus, um einen Vorgeschmack auf das Feuerwerk für die Nasenschleimhäute zu geben, welches hinter der Tür auf uns wartet. Wir betreten die Wohnung.
Unverzüglich verstärkt sich der eben schon wahrgenommene Geruch exponentiell. Ein Auge beginnt leicht zu Tränen und ich mich überkommt ein flaues Gefühl im Magen. Die Tür von rechts nach links auf. Rechts hinter der Tür das, was wohl das Badezimmer sein soll. Geduscht hat hier seit Monaten niemand mehr. An Stelle dessen, Essensreste in der Dusche, eine tote Ratte in einem Putzeimer. Daneben ein kleiner Gaskocher. Geradeaus der Wohnungstür folgend ein kleiner Flur. Nach einem kleinen Rechtsknick Zugangsmöglichkeit zum Wohn-, Schlaf- und Essbereich. Keine weiteren Zimmer. Einzig eine Glastür vor Kopf ermöglicht das Hinaustreten auf einen Balkon, Das Zimmer, wohl an die 25 Quadratmeter groß, in gar nicht so schlechtem Zustand. Wenn man davonabsieht, dass in der linken Ecke eine, man kann es nicht anders sagen, mit Leichensäften und Maden besudelte Matratze einen bestialischen Gestank verursacht. Die Tote selbst: Längst durch den KDD erstbegutachtet und nachfolgend durch einen Bestatter bis zum Abschluss des Todesermittlungsverfahrens an einen dafür vorgesehenen Aufbewahrungsort verfrachtet. Wie es hier gerochen haben muss, als die Dame noch dort gelegen hat?, frage ich mich. Mein Kollege nimmt die Wohnung in Augenschein, ich spreche mit einer Nachbarin. Ob man sich gekannt habe, will ich wissen. Die Nachbarin, selbst schon über 70 antwortet nur. Die kannte hier jeder, aber gekannt habe ich sie nicht. Sie hat immer vom Balkon geschrien.
Ich sollte noch weitere Fragen stellen, aber nach diesem Satz wusste ich genug, um die Verstorbene einzuschätzen.
Dachte ich zumindest. Nachdem ich einige Zettel in der Wohnung überflogen hatte, ergab sich für mich das Bild eines kreativen Geistes. Welcher jedoch verwirrter kaum hätte sein können. Es schien als würde sie ein Theaterstück leben. "Das Leben der A.R.", in der Hauptrolle: A.R., Bühnenbild: A.R., technische Leitung: A.R., Idee und Drehbuch: A.R. Ein Stück auf der Bühne die sich Gesellschaft nennt, doch leider ohne Zuschauer. Und so dachte ich mir, verendet diese Frau in Ihrer Wohnung. Von allen gesehen und doch alleine.
Als wir die Wohnung verlassen, haben wir keine Hinweise auf ein Fremdverschulden. Nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass bei Tötungsdelikten prozentual gesehen in aller Regel ein wenigstens bekanntschaftliches Verhältnis besteht. Diese Frau aber. Sie kannte niemanden. Hatte niemanden. Und niemand wird sie beerdigen oder gar um sie trauern.
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