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styletraveler · 6 years ago
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Yucatán, Mexiko: 
Der Zwerg, der Regengott und die Unterwelt
Auf einer mythologischen Reise die Kultstätten der Maya entdecken
Von Marc Vorsatz
Als der gebündelte Sonnenstrahl auf das türkisblaue Wasser trifft, verwandelt sich die unterirdische Kathedrale in einen Ort voller Anmut und Mystik. Der See und die Jahrtausende alten Stalaktiten der Cabaña Suytun Höhle reflektieren plötzlich wie von Geisterhand das eindringende Licht der Oberwelt. Ein magisch anmutender Zauber, der schon die Ureinwohner von Yucatán in die Unterwelt zog.
„Ist das nicht fantastisch? Aber vergesst alles, was ihr in euren deutschen Schulen über die friedfertigen Mayas gelernt habt“, setzt Häuptling Pluma Blanca mit dozierender Geste an. „Nein! Hier ist Blut geflossen. Unendlich viel Blut.“ Der alte Mann vom Stamme der Yaqui ist Reiseleiter mit Leib und Seele und schaut jedem Einzelnen beschwörend in die Augen. „Wenn Chak Opfer verlangte, bekam er sie auch! Meist waren es nur Ziegen. Doch wenn der Regengott den Menschen zürnte und mit heißen Winden den Mais auf ihren Feldern verdorren ließ oder ihn mit fürchterlichen Überschwemmungen ertränkte, dann mussten größere Gaben her: Menschen!“
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Rituelle Menschenopfer
Männer, Frauen, in der Mehrzahl jedoch Kinder, wurden dem Regenbringer in den Cenotes, den Sinkhöhlen mit eingestürzter Decke, rituell geopfert. Meist waren es Sklaven, Gefangene anderer Maya-Dynastien. Doch das sei lange her, fügt Pluma Blanca, zu Deutsch Weiße Feder, nach einer gekonnten Pause ruhig hinzu. Jetzt wäre die perfekte Zeit, um sich ein erfrischendes Bad zu gönnen. Da lägen höchstens noch ein paar altertümliche Tonkrüge auf dem Grund oder vielleicht der eine oder andere eingeschlagene Schädel, fügt er augenzwinkernd hinzu. Schließlich befände man sich am Eingang zur Unterwelt auf halbem Wege nach Xibalba, dem „Ort der Angst“.
Größte Unterwasserhöhle der Welt
Das Bad im türkisfarben schimmernden Höhlenwasser ist in der Tat etwas ganz Außergewöhnliches und so gar nicht beängstigend für rational geprägte Urlauber. Eine willkommene Abkühlung nach den schweißtreibenden Temperaturen der tropischen Außenwelt dazu. Doch vor allem wirkt die gewaltige Kathedrale aus Tropfsteinen einfach majestätisch, fast unwirklich in ihrer Schönheit. Kapitale Fische ziehen im klaren Süßwasser ihre Bahn und scheinen sich nicht im Geringsten von den Badenden stören zu lassen. Woher sie kommen und wohin sie gehen wird ihr Geheimnis bleiben. Über 2500 Cenotes wurden bislang in der Region entdeckt, so der Archäologe Guillermo de Anda, Inhaber des weltweit einzigen Lehrstuhls für Archäologie mit dem Schwerpunkt Höhlentauchen an der Universität Yucatán. Viele sind durch unterirdische Flussläufe miteinander verbunden und bilden das größte bekannte Unterwasserhöhlensystem der Erde. Grade erst hat der deutsche Forscher Robert Schmittner und sein Team die längste Unterwasserhöhle der Welt bei Tulum entdeckt. Laut de Anda die  "wichtigste archäologische Unterwasserstätte weltweit". In ihr schlummerten Hunderte verborgener Schätze, die neue Erkenntnisse über die Maya-Kultur hervorbringen dürften. Über 347 Kilometer erstreckt sich das geheimnisvolle Labyrinth im Verborgenen.
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Untergang der Maya-Imperien
Doch all die Opfergaben an den Regengott Chak konnten den langsamen Untergang der Maya-Imperien im 10. Jahrhundert nicht verhindern. Es war die Hochkultur selbst, die ihren eigenen gesellschaftlichen Kollaps manifestierte. Eine präkolumbische Risikogesellschaft sozusagen. Immer mehr Tieflanddschungel musste Ackerflächen weichen, um die wachsende Menschenschaar von letztendlich 20 Millionen Mayas zu ernähren. Immer öfter blieb daraufhin der lebenswichtige Regen aus und der wenige, der fiel, floss viel zu schnell ab in Richtung Meer. Das Jahr 897 läutete dann folgerichtig eine der verheerendsten Dürreperioden aller Zeiten ein. 30 Jahre Trockenheit. Am Ende überlebten grade mal zwei Millionen Mayas, und die Natur nahm sich wieder, was ihr zuvor geraubt wurde. Mit dem Wald kam auch der Regen zurück. Irgendwann waren selbst die monumentalen Sakralbauten fast vollständig zugewachsen. So auch die 35 Meter hohe Pirámide del Adivino, die Pyramide des Zauberers, in der Ruinenstadt Uxmal. Der Legende nach baute ein Zwerg das monströse Bauwerk in einer einzigen Nacht. Seine Ziehmutter, eine kinderlose Hexe, die ihn einst aus einem Leguan-Ei ausbrütete, habe ihm die Kraft dazu verliehen. Am Morgen danach entthronte der Winzling den herrschsüchtigen König und übernahm die Regentschaft über Uxmal.
Spektakuläre Show
Archäologen hingegen gehen von einer Bauzeit von sage und schreibe 400 Jahren mit Tausenden von Arbeitern aus. Nach dem Untergang der Maya-Dynastien geriet auch die Pyramide des Zauberers in Vergessenheit, bis sie im 15. Jahrhundert von den spanischen Eroberern geplündert wurde. Mit ihren abgerundeten Ecken, dem elliptischen Fundament und ihrer schieren Größe gilt die Zauberpyramide heute als das markanteste Maya-Bauwerk von Yucatán und dominiert den gesamten Komplex der imposanten Zeremonienbauwerke von Uxmal.
Das Zentrum der historischen Stadt ist in den letzten Jahrzehnten auch für Besucher erschlossen worden. Allabendlich verfolgen Touristen aus aller Welt eine spektakuläre Licht- und Klangschau, die die alten Gemäuer neuzeitlich in Szene setzt. Absolut sehenswert!
Der Großteil der Mayastadt liegt hingegen noch immer unter einem dichten Wald begraben. 1996 wurde Uxmal in die Liste der UNESCO-Weltkulturerbestätten aufgenommen.  
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Sisal – das grüne Gold
So medienwirksam sich Häuptling Pluma Blanca mit seinem Schamanenstab noch vor der Pyramide in Szene gesetzt hat, so nachdenklich und ruhig wird der sensible Mann mit den markigen Sprüchen jetzt auf der Hacienda Sotuta de Poeón. Auf dem Landgut werden noch heute für Touristen Sisalstricke nach traditioneller Art hergestellt. Um 1900 bescherte die Faser der Sisal-Agave, das „Grüne Gold“, den Großgrundbesitzern der Halbinsel märchenhaften Reichtum. Tausende Maya und Yaqui schufteten damals fürs Überleben auf den Haciendas, bis die Erfindung des Nylons 1935 das Ende des Sisalbooms einläutete. Ob sich auch die Vorfahren von Pluma Blanca auf den Feldern verdingen mussten, ist zu vermuten, bleibt jedoch sein Geheimnis. Wie auch die Entstehung eines vergilbten Fotos aus den 1970er Jahren, das er immer bei sich trägt und auf das er mächtig stolz zu sein scheint. Es zeigt ihn mit einem wirklich großen Häuptling in einem Park bei Bonn. Dem größten, dem er je begegnet sei. Die beiden scheinen sich gemocht zu haben. Altbundeskanzler Willy Brandt schaut dem Yaqui-Häuptling mit offenen Augen lächelnd ins Gesicht.
Einen Augenblick später schon hat sich Weiße Feder wieder gefangen und poltert in bekannter Manier los: „Wie das Foto entstanden ist? Das wollt ihr gar nicht wissen!“ Nur so viel, er habe 20 Jahre in Europa gelebt, kenne Deutschland eh besser als jeder Teutone und dem Land fehle seit Willy Brandt ein großer Häuptling. Punkt! Zustimmendes Kopfnicken hier, gequältes Lächeln dort. Wie vermutlich schon dutzende Male zuvor. Der Mann mit dem zerfurchten Gesicht und dem Schalk im Nacken ist ein Entertainer par excellence.
Zeugnis einstiger Größe und Pracht
An der Küste klingt die mythologische Entdeckungsreise mit einem der bedeutendsten Erbstücke dieser geheimnisumwobenen Kultur aus: Tulum, die Festung. Es ist die einzige Stadt, die die Maya direkt ans Meer gebaut haben. 1518 verglich der spanische Navigator Juan Díaz de Solís den Ort gar mit Sevilla. „Als die Spanier Tulum sahen, wollten sie einfach nicht glauben, dass die dummen Mayas so etwas Vollkommenes erschaffen hatten“, poltert Pluma Blanca. Die Besetzung durch spanische Truppen im Jahre 1544 bedeutete den wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Exodus von Tulum. Was blieb war ein kleines Fischerdorf außerhalb der historischen Mauern. Über Jahrhunderte brachen Einheimische dann Steine aus den Tempelanlagen, um Baumaterial für ihre Behausungen zu gewinnen.
So grenzt es fast an ein Wunder, dass noch heute die verbliebenen Ruinen erhaben über der Riviera Maya thronen und Zeugnis von einstiger Größe und Pracht ablegen. Der Tempel des herabsteigenden Gottes zum Beispiel, oder der Freskentempel oder das Castillo. Und vom Tempel des Windes fällt der Blick auf einen Bilderbuchstrand mit seinen malerischen Buchten, vereinzelten Kokospalmen und einem Türkis leuchtenden Wasser, das es so nur in der Karibik gibt.
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Allgemeine Auskünfte: Allgemeine Auskünfte erteilt das Mexikanische Fremdenverkehrsbüro Telefon: 030/2639794-0, www.visitmexico.com
Reiselektüre: Die preisgekrönten Autoren Gerhard Heck und Manfred Wöbcke beschreiben die unterschiedlichsten Urlaubsoptionen, aber auch Wissenswerten puncto Geschichte und Gegenwart. DuMont Reise-Handbuch Mexiko, 24,99 Euro, eBook 20,99 Euro, www.dumontreise.de
 © 2019 · Marc Vorsatz / MEDIA CREW MITTE
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