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fabiansteinhauer · 4 months
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Justicejustiz
1.
Immer diese Gerechtigkeit, manchmal geht sie einem auf die Nerven. Fortuna Iustitiae (1534) ist eine brechliche oder brüchige Figur, aber nicht fragmentiert, nicht unverbindlich, ganz im Gegenteil: sie ist assoziativ äußerst attraktiv. Sie ist eine Figur unbeständigen Rechts und unbeständiger Gerechtigkeit. Die oben abgebildete Graphik ist im Zusammenhang mit dem Risiken des Seehandels und Seerechts entwickelt worden.
Valerie Hayert wird Anfang Juni über die Figur fragiler Justiz in Luzern sprechen. Brechlich (heute nur als zerbrechlich oder brüchig im Gebrauch) soll eine Übersetzung von fragilis und debilis sein. Wenn man sich daran hält, dann ist brechlich ein Synonym für schwach (stinkend/ stänkernd) und rüchig (heute nur anrüchig im Gebrauch). Die Figur ist in dem Sinne eine Querela, eine Noiseuse oder Querulantin, also eine, die Krach macht und stänkert, weil sie begehrt oder schlicht gehrend, d.h. gierig, ist.
Das alles muss nicht negativ konnotiert sein, vor allem die leidenschaftliche Ökonomie darin muss nicht negativ konnotiert sein. Der Reichtum und das Riskante der Figur, das Vague und Verschlungene der Figur muss nicht negativ konnotiert sein. Historisch ist es wohl negativ und positiv konnotiert - und diese Konnotationen versucht Warburg zum Beispiel als historische, geographische, soziale und psychische Strecken zu begreifen. Dass es mal so, mal so kommt, das versucht er zu rationalisieren oder auch nur, sich daran zu gewöhnen.
Die Graphik von 1534 taucht in seinem Atlas nicht auf. Sie bildet aber ein sehr gutes Beispiel, um deutlich zu machen, was am Recht für Warburg eine Herausforderung ist und was am Recht ihn interessiert. Das ist Unbeständigkeit, Meteorologie und Polarität und damit alles das, mit dem der Rechtsbegriff seine Ambiguität präzise an zwei Referenzen entfaltet, die begrifflich einerseits als Regierung oder Direktion und anderseits als Regung oder Regen gefasst werden können. Der Sinn für Gerechtigkeit kann woke sein, ein Wachen auf Wogen und Wellen, was nicht unbedingt negativ konnotiert, nicht unbedingt positiv konnotiert sein muss - nach Warburg aber unbedingt polar konnotiert, also mal positiv und mal negativ konnotiert sein wird. Fortuna Iustitiae ist vieles, asketisch ist sie nicht.
2.
Der Asket macht aus der Tugend eine Not lautet ein jüngeres Sprichwort auf dem Oberengadin. Man hat versucht, Kafka zu einem Asketen zu machen und dazu eine Legende entwickelt, die auch an Warburg entwickelt wurde. Bei Kafka und Warburg wird erzählt, das Recht und die Literatur, die Bank und die Bilder seien Gegensätze gewesen. Es wird erzählt, Kafka sei Jurist wider Willen, dafür aber zur Literatur berufen gewesen. Von Warburg wurde verbreitet, er habe das Kredit- und Wechselgeschäft aufgeben, um sich der Kunst und den Bildern zu widmen. Es werden sogar Geschichten erzählt, dass Kunst-, Literatur und Bildwissenschaftler eher links seien und abfällig von Kanzleien, Versicherungen und Banken denken würden, dafür auch nicht soviel davon wüßten; während Kanzler/ Bürokraten und Bänker eher rechts seien und dafür nicht so viel von Kunst und Literatur wüßten. Man lässt gerne Ressentiments kollidieren, vor allem unter dem Dogma der großen Trennung, der Idee der Ausdifferenzierung und einer Dialektik gerechter Kollisionswissenschaften. Wenn ich das produktiv oder auch nur stimmig fände, würde ich mich weder mit Warburg noch mit Kafka beschäftigen.
Meine These lautet, dass Warburg als Kunsthistoriker, Bildwissenschaftler, Rechtswissenschaftler sowie Polarforscher immer im Wechsel- und Kreditgeschäft blieb und damit mitten in der Moderne eine Gegengeschichte zum Dogma großer Trennung und zu den Ideen der Ausdifferenzierung liefert.
Zu Kafka lautet meine These, dass Widerwilligkeit ein hilfreicher und genußreicher Antrieb ist. Wer seinen Beruf nicht widerwillig macht, nicht mit Widerständigkeit und Insistenz, wer den Beruf willig macht, der sollte es lieber lassen. Freier Beruf wird das dann nicht. Kafka hat widerwillig geschrieben, sowohl amtlich und in Büros als auch nicht amtlich und außerhalb der Büros. Man hat sogar nahegelegt, Kafka sei protegiert worden habe so sein Standing bei der Versicherung gehabt. Warburg oder Kafka zu Kronzeugen großer, erfolgreicher oder nur erfolgversprechender Trennung zu machen, ist ein doch schnarchig Schäfergeschichtlein, vor allem wenn solche Geschichten noch brav die Arbeiter von den Reichen, die Linken von den Rechten, die Gewalt von der Gerechtigkeit trennt. Das sind asketische Versuche, Versuche der Askese. Vor allem Kafkas Stand in der Versicherung auf Protektion zurückzuführen ist niederträchtig, einfallslos oder doof. Nicht nur ich reagiere beißend und allergisch auf die an deutschen Fakultäten und Fachbereichen behaupteten und abgeschirmten Kompetenzen.
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