#die ideologischen vorläufer des reform-muli-33-kühlers
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Erinnerung
1.
Aus purer Verzweiflung an Erinnerung festhalten: Der Frühling und Sommer 1993 war bei allen Anzeichen von kommender Gewalt (etwa die Brutalität am 1. Mai und der Sprengstoffanschlag auf die Uffizien) in Rußland ein großes Versprechen.
Im ersten Block, man kann das Fenster sehen, habe ich gewohnt, da stand mein Schreibtisch vor dem Fenster. Seitdem ist dieses Viertel immer auch mein Viertel und das wird es auch bleiben. Hier bin ich die ersten sechs Tage mit einem Walkman rumgelaufen, habe die 6. Symphonie von Mr. T gehört, immer wieder, weil sie dem Stil der Stadt entspricht, weil ich aber auch noch ein bisschen scheu war und nicht angesprochen werden wollte. Es gab noch die Bierbuden mit den großen Krügen und damals fing am Ende der Straße noch das Meer an. Nicht weit von hier wohnte Sweti, manchmal konnte ich vom Schreibtisch sehen, wie sie über den Zebrastreifen ging. Damals gab es keine Handys, da waren solchen Blickachsen hilfreich. Dann konnte man nämlich schnell in den Aufzug, runter, um den Block laufen und an Ecken so tun, als ob man jemanden zufällig trifft.
Anders als in Deutschland ist in dieser Stadt der jüdische Einfluss nicht verlorengegangen, nicht ausgesondert. Vermengt behauptet er sich. Überall Leser, überall "Musik und Mathematik" und ein Bildunganspruch, der durch die breite Bevölkerung geht statt Status und feine Unterschiede zu sichern. Alles, was in der Sowjetunion vorkam, kommt hier noch vor. Natürlich ist diese Stadt meine liebste Hafenstadt. Wo, wenn nicht hier, gilt: Je Aurora, desto voran. Lieben heißt auch Trotz. Lieben heißt auch nichts. Durch diese Stadt bin ich gegangen.
2.
Die russische Regierung macht aus dem Gewaltmonopol vor allem eine Strategie des maximalen Schreckens. Nehmen Leute Geiseln, sprengt der Staat die Geiseln und die Geiselnehmer, den Wohnblock, ein paar Zeugen und noch die Polizisten dazu. Das Gewaltmonopol ist überall auf der Welt normativ und darum realistisch betrachtet überall porös. Aber nicht überall macht der Staat aus dem Gewaltmonopol ein Terrormonopol, in dem sein Terror einfach immer eine Stufe größer oder erschreckender ist als der Terror irgendwelcher anderen dahergelaufenen Organisationen. Das ist nicht nur in Russland so, da aber auch. Russland ist nicht nur so, das aber auch.
An Tafeln, an Tischen lässt sich über die Lage nicht mehr sprechen. Es geht nicht mehr. Es ist zu schmerzhaft, zu viel Schwindel, Scham und Schuld, Machtlosigkeit und Kontrollverlust, vor allem aber alles epidemisch irrsinnig. Man wird vom Wahnsinn aufgesogen, das ist wie ein Hoovern, aberhier würde ich es medwedewen nennen. Verachtung steckt an, es ist unerträglich. Und im Nachhinein wirkt alles auch wie eine Strategie. Die Gewalt macht sich nicht nur indiskutabel, sie macht sich unberedbar. Dazu kommt die fatale Lage, dass die russische Gesellschaft ihre Freiheit nicht jenseits des Staates,sondern abseits und durch Umgehung des Staates hat.
Die Großstädte werden zudem geschont, hier sterben keine Söhne und keine nahen Verwandten. Und hier ist Freiheit nach wie vor das Schlupfloch, ein Schlupfloch, das fatalerweise aus dem größten Land der Erde besteht. Dieses Schlupfloch ist sehr viel Steppe, sehr viel Wald, sehr viel Pilze, sehr viel Tundra, ser viel Berge, viel Raum und Platz, dieses Schlupfloch ist ein großes und schönes Land, das tut ihm in dieser Lage nicht gut, wie überhaupt oft zuviel Natur und zuviele Rohstoffe einem Land nicht gut tun, nicht dann , wenn es um Regierung geht.
In den Städten ist die Zone, in der man sich unter dem Radar bewegt, zumindest bis vor kurzen noch sehr sehr hoch gewesen, so dass auch das Leben in russischen Großstädten im alltäglichen Sinne auch frei und unbefangen möglich war. Man mochte das vielleicht eine spezifische Form russischen Biedermeiers genannt haben, aber es passte nicht, zu wild und unbeständig, in einem guten Sinne, war dieser Bereich. Jetzt steuert nichts auf die Katastrophe zu, es gibt keinen Grund, Angst vor der Zukunft zu haben. Die Katastrophe ist längst da, längst ist Zukunft zerstört.
3.
(...)
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