#alfred vagts
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fabiansteinhauer · 1 year ago
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Sege(l)n: Polarität und Vagheit der Tafel 78 und 79
1.
Alfreds Vagts (er heißt nun mal so) ist einer der ersten Historiker, die etwas zur demjenigen geschrieben haben, was Gertrude Bing in einem Notizblock das Verzehren des Gottes nennt und das auch etwas Vages bildet. Bing bezieht das Verzehren auf die theophage Kulturtechnik der römisch-katholischen Kirche, auf die Liturgie und Dogmatik der Kommunion, auf ihren gemeinschaftsstiftenden und 'subjektivierenden' Einsatz in den Verkörperungen und in den Stellvertretungen von Körperschaften.
Allgemein ist das Verzehren eine verschlungene und verschlingende Technik, die man vage, aber auch gewagt nennen kann. Diese vage oder gewagte Technik geht mit Bewegungen einher, die schwer kalkulierbar erscheinen können, aber nicht schwer kalkulierbar sein müssen. Verschlungene und verschlingende Körper sind, mit Thomas Hobbes gesprochen, meteorologisch, sie befinden sich im transit, sie gehen vor��ber, auch so, wie Diplomaten während eines Empfangs aneinander vorübergehen. Alfred Vagts schreibt allerdings nicht direkt über Tafel 79, er bezieht sich nicht direkt auf diese Tafel. Und doch betrifft das, was er schreibt, diese Tafel und das dortige Verzehren. Das betrifft auch die Frage, inwieweit diese Tafeln (nur) Bildvehikel, inwieweit sie Bildkritik sind, das heißt auch: Kritik mit Mitteln des Bildes.
Vagts, erster Historiker der Warburgs, berichtet in einem Schreiben aus dem Jahr 1975, dessen Abschrift man heute im Leo-Baeck-Institut in New York findet, von seiner persönlichen Bekanntschaft mit den Brüdern Aby Warburgs. Die hatte er in seinem Exil, in Amerika kennen gelernt.  Bei einem Treffen mit Felix Warburg, so berichtet Vagts, habe der ihn mit „seiner forschen oder forzierten Art“ angefahren und gefragt: „Warum tun Sie in Deutschland nicht mehr  zur Bekämpfung des Antisemitismus?“  Vagts habe ihm entgegnet, die einzige Massenorganisation, die das täte, sei die SPD, ob er denn bereit sei, dieser Unterstützung zu leihen? Damit sei das Gespräch geendet „und der [Felix Warburg] ging segeln.“ Segeln ist, wie das Verschlingen,  auch eine vage Technik, sie findet auf Wellen statt.
2.
Warburgs segeln.  Auf Tafel 78 und 79 beschäftigt sich Aby Warburg mit einer sonderbaren Bild- und Rechtswissenschaft, sonderbar, schon weil sie nicht um jenes römische Bild kreist, dessen Aufgabe, wie Autoren von Plinius bis Legendre das nahe legen, darin liegen soll, eine Abwesenheit zu bewältigen, einen Abgrund zu meistern und um das sich darum immer wieder ein großer Bilderstreit entzündet hat (ein Bilderstreit, dessen Linien sich in großer Anzahl wiederholen, ohne (sich) zu verkehren). Warburgs Bild- und Rechtswissenschaft kreist eher um mindere Bilder und mindere Rechte und minderen Streit ( Streit, dessen Linien sich in kleiner Anzahl wiederholen, bis sie sich verkehren). Anders gesagt: Warburgs Bild- und Rechtswissenschaft kreist um die (Choreo-)Graphien eines bürokratischen und studiokratischen, eines verwaltenden und bildgebenden Alltags, in dem nicht das Portrait, nicht ein Bildnis das Leitbild ist. In dem Alltag der Verwaltung bestimmen Formeln, Akte(n) und Tabellen (als kleine Tafeln) die imaginale, piktoriale und visuelle Kooperation. Diese Bilder liegen unterhalb des Radars der großen Bilderstreites. Sie sind mit Cornelia Vismann gesprochen Akten und Stellenwertsysteme, die Raum und Zeit plan- und verwaltbar machen. Das Portrait des Königs und die Standfiguren mag man stürzen, nicht aber die Tabellen, Listen und Kalender: die kann man immer gebrauchen, schon weil sie ohnehin verkehren.
Warburg beschäftigt sich auf den letzten beiden Tafeln auch mit politischer Ikonographie und mit juridischer Ikonographie.
Warburg hat sich mit einer juridischen Ikonographie seit 1896 befasst, seitdem er vermutlich aufgrund der anthropologischen Lehre, die er in Amerika gemacht hatte, Bildwissenschaft nicht mehr alleine als Kunstwissenschaft und dabei sowohl diesseits als auch jenseits der großen Trennung (Goody/ Latour/ de Castro) betreiben wollte. Die ersten Notizen aus dem Sommer 1896 gelten Gesprächen mit Sally George Melchior, einem der beiden Brüder Melchior,  also einem der Juristen, die den Warburgs verbunden standen.
Die anfängliche Beschäftigung mit juristischen Formeln, Akten und einem Protokoll, am Anfang nur auf die manicipatio, d.i. legis actio und berba solemnia (Prozessformel und Handlungsform) des römischen Rechts bezogen, findet mit den letzten beiden Tafeln des Atlasses ihre Summe, aus Anlaß der Konstitution eines neuen römischen Staates und der Restitution einer alten Idee, nämlich der Idee der Kirche als Staat und Körperschaft.  Warburg entwirft mit den Tafeln die Idee polarer Bilder und Rechte – und gleichzeitig die Idee vager Bilder und Rechte: vage allerdings nicht im Sinne des Unpräzisen und Unbestimmten, sondern im Sinne eines amphibolisch Verschlungenen und Verschlingenden, im Sinne des griechischen phagein wie im Sinne des lateinisches vagire oder im Sinne des veralteten deutschen Wortes ‚fagieren‘ (für verzehren, (ver-)kehren und queren).
3.
Das Bild der Gründung eines neuen römischen Staates, der zugleich ein ältester Staat sein soll, das ist bei Aby Warburg ein amphibolisches Bild. Die Amphibolie ist ein Obergriff für Zweideutigkeit und für Polarität, bezeichnet beides. Die Amphibolie denkt Warburg nicht zweideutig, nicht dialektisch,  er denkt sie polar: in Bewegung involviert, deren abschließende Deutbarkeit unbezifferbar ist und in denen Kehren, Wenden oder Kippen vorkommen. Das Opfer, das zur Gründung gegeben und auf Tden Staatstafeln gezeigt wird, pendelt in seiner Bedeutung zwischen Heiligkeit und Mord.
Charlotte Schoell-Glass hat Warburgs mitlaufende  Hinweise auf den Antisemitismus vor einigen Jahren entschlüsselt. Das Opfer (Brot und Leib Christi) taucht im Kontext  katholischer Liturgie und Dogmatik und im Kontext antisemitischer Propaganda auf.  Man kann sagen, dass sich Aby Warburg hier präzise und amphibolisch ausdrückt, dass er  mögliche Pole des Umgangs mit einem Opfer klar benennt.  Die Tafel ist hier ein Bildvehikel und sie liefert eine Bildkritik, die sich explizit gegen den Antisemitismus wendet. Es gibt aber eine weitere Dimension, die sich kosmopolitisch (und in dem Sinne auch kosmojuridisch) gegen die Lateranverträge wendet und die Mussolini dasjenige abspricht, was er gerade mit diesen Verträgen zu erreichen sich, nämlich die Kreditwürdigkeit auf dem internationalen, diplomatischen Parkett. Sagen wir es anders: er bekommt von Warburg den Kredit, der Mördern und Diktatoren angemessen ist. Morden und diktieren können sie ja, wer weiß, wann man das auf der Ebene internationaler Diplomatie einmal braucht? Alle dürfen zynisch sein, aber nicht derjenige, der um Rat gebeten wird. Warburgs Kreditberatung ist nüchtern.
Es ist nicht gesagt, dass diese weitere, nicht um den Antisemitismus zentrierte Dimension besonders verschlüsselt wäre. Es ist aber doch bemerkenswert, wo diese Dimension in der Literatur angesprochen wird, zumal Tafel 79  zu den meistkommentierten Tafeln gehört. Diese Dimension wird in einem Reiseführer angesprochen, nicht in der rechts- und nicht in der kunsthistorischen, nicht in der bildtheoretischen und nicht in der rechtstheoretischen Literatur. Ein Reiseführer nach Rom macht heute wohl am erfolgreichsten darauf aufmerksam, wie Warburg Anteil am Morden Mussolinis nahm.
Warburg wählt für die Abbildung eines Blutwunders Raffaels Bild von der Messe von Bolsena, er assoziiert Tafel 79 mit seiner eigenen Italienreise und damit auch mit einer Fahrt, die er im Frühjahr von Rom nach Orvieto gemacht hatte, um dort im Dom unter anderem auch das von Raffael gemalte Corporale, also das gefaltete und blutige Tuch zu sehen, das als diplomatisches Objekt ein Wunder und das Dogma bezeugt und authentifiziert.
Bei der Rückfahrt aus Orvieto kommt an der Stelle vorbei, an der man vor einigen Jahren die Leichnam Matteotis gefunden hatte. Er notiert das in das Tagebuch der KBW, macht die Passage und den Fund also zu einem nicht privaten, sondern beruflichen Moment. Dieses Erlebnis führt mit zu der Tafel 79, wie wir sie kennen. In der Sekundärliteratur habe ich bisher nur einen Reiseführer gefunden, der diese Geschichte aufgegriffen hat.
Ich korrigiere mich, weil Reiseführer schönste, beste und wichtigste Literatur sind: Es gibt keinerlei Rechtfertigung des Umstandes, dass ich eben geschrieben habe, man finde diese Geschichte heute 'nur' in einem Reiseführer. Glücklicherweise findet man den Hinweis an ehrenhafter und bester Stelle. Der Reiseführer trumpft mit dem Hinweis auf Warburgs Exkursion nach Orvieto auf und setzt der Fahrt ein bestes Denkmal, empfiehlt sogar, so zu reisen, wie Warburg es tut: pendelnd in alle Richtungen und dabei immer schön darauf achten, was am Wegesrand liegt. Warburg macht auf Tafel 79 einen präzisen Hinweis auf die Polarität des Gründungsopfers. Die Lateranverträge kreisen um Gründungsopfer: sie Kreisen um das Gründungsopfer des Vatikanstaates: das christliche Opfer, verschlingen es, und sie kreisen um das Gründungsopfer der italienischen faschistischen Diktatur, um den Mord am kosmopolitischen Sozialisten Matteotti. Sie verschlingen den Kosmopoliten. Die Lateranverträge werden von einem Kardinalstaatssekretär und von einem Mörder unterzeichnet. Das ist eine Bildkritik, die nicht allein gegen etwas, nicht allein gegen den Antisemitismus gerichtet ist. Sie ist gleichzeitig auf das Kosmopolitische und auf das Kosmojuridische gerichtet, die Kritik am Anstisemitismus wird dadurch nicht relativiert oder geschmälert, sie wird erweitert.
Hätte Warburg seine Kritik an der Kreditwürdigkeit Mussolinis nicht deutlicher, expliziter machen können? Es gab Fotos vom Fund des Leichnams , die Warburg gut auf seine Beschäftigung mit dem Tod des Meleager hätte beziehen können: Die Kiste als Pathosformel (etwas ähnliches  ist erst viel später und nach Warburgs Tod mit einem Kinoplakat geschehen. Hätte er den sozialistischen Parteigenossen von Matteotti nicht deutlicher Unterstützung leihen können statt so zu segeln? Das ist eine Frage, die ich mir selber, nicht ihm stelle; macht forensic architecture die Bild- und Rechtswissenschaften nicht viel besser als ich das tue, weil sie eindeutig und explizit die Mörder benennen und viel klarer den Opfern zur Seite springen? In Bezug auf Warburg fällt mir, vielleicht hilflos, Nu ein: Dann wäre es nicht die Tafel eines Polarforschers, der gleichzeitig an eine Geschichte und Theorie des Verschlingens bedenkt. Warburgs Geschichten sind nicht schön, das sind Geistergeschichten für ganz Erwachsene. An einem Tag ist es so, als lähmten die Geschichten, am nächsten Tag dann geben sie Schub.
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Saint Peter with the Cock Crowing, Unidentified Artist, c. 1600, HAM: Sculpture
Harvard Art Museums/Fogg Museum, Gift of Detlev F. Vagts in memory of Alfred Vagts Size: 61 x 104.5 cm (24 x 41 1/8 in.) Medium: Wood covered with plaster, with polychrome and gilt
https://www.harvardartmuseums.org/collections/object/227233
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fabiansteinhauer · 3 years ago
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Vagts
1.
Er heisst nun mal so. Vagts, Alfred Vagts. Ich kann auch nichts dafür, dass die Welt in weiten Teilen ausgedacht ist und dass diese Teile oft genug ihre Ausgedachtheit vor sich her tragen. Die Technizität, Artifizialität, Künstlichkeit und Fiktionalität dessen, was in der Welt grapisch und symbolisch, beschrieben, geschrieben und begriffen ist, ändert sonst kein Fitzelchen an dem, was in der Welt real und Realität ist.
Alfred Vagts ist einer der frühen Historiker, die sich mit den Warburgs beschäftigen. Im Leo Baeck Institute in New York findet man im Archiv einen schmucklosen Aktenordner, darin Zettel aus einem Zettelkasten mit einer Liste des Inhaltes dieses Ordners. Der Ordner trägt ein Aktenzeichen (AZ 1157) und einen Titel: Warburg Family Collection. Man findet darin teilweise Bilder, die man auch in einem tab(u)linum finden würde. Hier sind es Photokopien von dokumentarischen Schreiben, die etwas vom Geschlecht Warburg bewahren, die erstens als Photokopie und zweitens als historisches Material auch einen imaginalen und einen imaginären Charakter angenommen haben. Sie haben Schrift oder Schreiben auch über den Begriff des Schriftbildes hinaus in Bild verwandelt, so wie man auf Tafel 78 auch Fotos von Schreiben findet, die Schreiben in Bild verwandelt haben. Diese Schreiben betreffen Geschäfte, die längst erledigt sind, zum Beispiel Zahlungsanweisungen von 1871 oder die Bitte eines Rothschilds aus Frankfurt, 1000 Havannazigarren zu übersenden. Sie haben für das Geschäft keine reale Bedeutung mehr, aber noch eine imaginäre Bedeutung. Man findet damit also in einem römischen Sinne in diesem schmucklosen Aktenordner imagines der Familie Warburg: Material des ius imaginum.
Man findet dort nicht nur Photokopien, also nicht nur Dokumente, die durch ein Photo ein Schreiben abbilden. Man findet auch maschinenschriftliche Abschriften von Schreiben. Dokument Nr. 4 ist beides: Photokopie eines maschinenschriftlichen Abschreibens. Das ist ein Brief, den Alfred Vagts 1975 an Dr. Grubel geschrieben hat.
2.
Tafeln sind skalierbare Operationsfelder. Es sind auch Polobjekte. Auf Tafel 79 beschäftigt sich Aby Warburg mit dem Verhältnis zwischen Gesetz und Gewalt sowie mit dem Verhältnis zwischen kirchlicher Macht und weltlicher Macht. Wie groß und wie klein ist die Entfernung?
Aby Warburg beschäftigt sich mit etwas, zu dem es nicht ein, sondern mehrere Dogmen gibt. Es gibt dazu aber auch so etwas wie ein Superdogma, Metadogma oder Hyperdogma: Ein Dogma, das Dogmen zusammenhält und von Dogmen zusammengehalten wird: Das Dogma der großen Trennung. Warburg zeichnet etwas von diesem Dogma auf, das heißt auch: von diesen Dogmen zeichnet er etwas auf. Das Dogma der großen Trennung basiert ohnehin auf einer Kaskade von Austauschmanövern, deren Limit (sich) in der Entfernung verläuft. Man kann Kirche und Staat unterscheiden, weil man Gesetz und Gewalt unterscheiden kann, die man unterscheiden kann, weil man Subjekt und Objekt unterscheiden kann, weil man Inhalt und Form unterscheiden kann, weil man Signifikant und Signifikant unterscheiden kann, weil man Mensch und Tier unterscheiden kann. Man könnte auch sagen: Soweit man eins kann, kann man das andere auch.
3.
Warburg trennt Kirche und Staat und Gesetz und Gewalt und alles andere, was auch vom Dogma der großen Trennung getrennt wird. Aber er macht das vage und als Operationalisierung von Polarität. Es gibt eine Notiz aus dem Tagebuch, in der Warburg davon spricht, wie weit die katholische Kirche in Bezug auf das Opfer und das Abendmahl auf dem Weg begriffen sei, sich von den magischen, archaischen, blutigen und gewaltigen Vorstellungen zu lösen. Er macht das etwas knapper, aber nicht weniger optimistisch. Gombrichs Deutung von Tafel 79 hebt darum auch einen Aspekt der Tafel 79 hervor, der schon an eine Apologie des Christentums erinnert, ich meine damit auch die erst später entwickelten Thesen von René Girard zur mimetischen Gewalt. Es gibt einen Aspekt, in dem wird der Abstand zwischen Gesetz und Gewalt auf der Tafel groß, man könnte sagen, dass das Gesetz ganz auf der Seite des heiligen Stuhls und des neuen römischen Staates namens Vatikanstaat stünde, die Gewalt stünde aber auf der Seite des Königreiches Italien, Mussolinis und der Darstellungen zum Hostienfrevel.
Das Vage ist nicht das Unbestimmte. Aber es fällt zum Beispiel auf, dass Warburg in dem Tagebuch sehr scharf etwas von dem Schock notiert, der sich durch ein kurzes Zusammentreffen ergab: An einem Tag fährt er zu dem blutigen Corporale in Orvieto und kommt auf der Rückfahrt am Fundort der Leiche Giacomo Matteottis vorbei. Er sieht sieht an einem Tag das gefaltete, diplomatische Tuch aus Bolsena, diplomatisch weil es gefaltet ist und weil es die Authentizität des Opfers und Blutwunders bescheinigt. Und er sieht die Fundstelle der Leiche desjenigen Abgeordneten, dessen Ermordung auch die Diktatur in Italien begründete. Seitdem Mussolini im Parlament und vor den anderen Abgeordneten die volle Verantwortung für diesen Mord übernahm, war klar gestellt, dass Mussolini keine parlamenterischen Kompromisse oder aber demokratische Regeln akzeptiert.
Ein Foto von der Fundstelle, eines von Matteotti findet man auf der Tafel nicht. Es gibt viele Fotos von Matteotti, auch mit Gesten, die man als Pathosformeln des Opfers in Betracht ziehen könnte. Es gibt ein Foto vom Fund der Leiche Matteottis, auf dem man auch sieht, was ein punctum in Roland Barthes Sinne, oder aber das Optisch-Unbewußte in Benjamins Sinne und damit schließlich ein forensisches Element des Bildes ist: Einer der Carabinieri, die den hölzerne Sarkophag oder kurz Sarg von Matteotti tragen, hält sich die Hand vor Mund und Nase.
Die Leiche muss nach den zweiten Monaten, wo sie zerfetzt kurz neben der Straße im Gebüsch lag, furchtbar gestunken haben. Von dem eleganten Matteotti ist auf dem Bild nichts zu sehen, man weiß nur: Er ist in der geschlossenen Kiste und sie stinkt furchtbar. Es gibt keine Hinweise, dass Aby Warburg dieses Bild kannte. Aber alle anderen Zusammenhängen zwischen Opfer, Gesetz und Gewalt, Gründung eines neuen Staates und Verbleib alter Staaten, das ist Aby Warburg alles sehr bewußt. Er vermeidet aber, etwas von dem Sozialdemokraten Matteotti auf die Tafel zu nehmen oder an die Tafel zu lassen. Vielleicht ist das schon zuviel gesagt und Warburgs Musterungen und Zensuren lassen ihn bei der Erstellung der Staatstafeln nicht an das Opfer Matteotti denken.
3.
Alfred Vagts schreibt in dem Brief über die Warburgs, auch über das Verhältnis der Warburgs zum Marxismus und zum Sozialismus. Er schreibt nicht direkt von einer Unterlassung, einer Schuld, nicht von einer offenstehenden Forderung, nicht von einem Schweigen. Er schreibt zwar vom Ende eines Gespräches, aber dann auch noch vom Segeln, einer vagen Verkehrs- und Sportart, die findet auf Wellen statt, gilt hier und da als gewagt und wird in der juristischen Ikonographie doch auch mit der Fortuna Iustitiae in Verbindung gebracht. Siehe und lies oben. Dieser Brief von Vagts ist mir in den letzten Monaten ein bisschen ans Herz gewachsen, can't say why.
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fabiansteinhauer · 3 years ago
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Saint Peter with the Cock Crowing, Unidentified Artist, c. 1600, HAM: Sculpture
Harvard Art Museums/Fogg Museum, Gift of Detlev F. Vagts in memory of Alfred Vagts Size: 61 x 104.5 cm (24 x 41 1/8 in.) Medium: Wood covered with plaster, with polychrome and gilt
https://www.harvardartmuseums.org/collections/object/227233
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