#Zeitsoziologe
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plietschje · 9 years ago
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Nicht nur die Gene - mein Kommentar
In Kurz: (╯ಠ‿ಠ)╯︵┻━┻
Längere Version:
1. Lange Schlafen mögen und Morgenmuffel sind nicht ein und dasselbe. Es ist egal, zu welcher Tageszeit ich aufstehe, ob vom Wecker aufgeschreckt oder nicht, ich gehöre zu jenen, die dann nicht gleich offen dafür sind, freudigst vom Geplapper anderer Menschen angesprungen zu werden und schon gar nicht freudig selbst in sinnfreies Geschnatter verfallen. Das ist auch nicht damit zu verwechseln, dass manche nicht in voller Energie sofort aus dem Bett springen können, weil ihr Körper einfach etwas Anlauf benötigt, um in Schwung zu kommen. Mein Körper hat weniger das Problem gleich anzuspringen, meine Seele oder mein Verstand auf gewisse Art dagegen schon.
Ich bin ein klassischer Morgenmuffel, mürrisch, wenn ich nicht in Ruhe gelassen werde. Das bin ich um 6 Uhr morgens ebenso wie um 10 Uhr morgens. Allenfalls ist es bei mir wahrscheinlicher, dass ich um 10 Uhr auch genug Schlaf bekommen habe, und deshalb dann nicht mehr gleich die Zähne fletsche und zubeiße, sondern nur höflich aber bestimmt knurre und jede Plaudertasche dann ignoriere, wenn es sein muss demonstrativ mit Kopfhörer aufsetzen. Hat vermutlich mit meinem eher introvertierten Wesen zu tun: Ich bevorzuge es ganz besonders zu Beginn des Tages erst einmal meiner eigenen, inneren Welt überlassen zu sein, die ist turbulent und prall angefüllt. Die Ideen und Gedanken, die ich in diesen ruhigen Morgenmomenten habe, sind es öfter wert, mich in Ruhe zu lassen, da ist schon der eine oder andere auch für andere nützliche Gedankenstrang dabei herausgekommen.
2. Immer wieder lächerlich, wie wir glauben, mit dem Argument "Natürlichkeit", hier Genetik, einer Wertung oder Wertediskussion aus dem Wege gehen zu können. Das in Zeiten von Gentechnik. Ich kann verstehen, dass es wie ein Schutzschild von manchen missverstanden wird, voller Hoffnung, dass endlich die anderen, die Gesellschaft damit aufhören würden, sie als Menschen, ihren Wert und ihre Existenzberechtigung infrage zu stellen. Aber das ist eine, in meinen Augen sogar gefährliche, Illusion. Für eine Weile mag das funktionieren, aber wird nicht davon abhalten, manches Sein gegebenenfalls als zwar natürlich, aber dennoch krankhaft oder unerwünscht zu befinden, und im besten Fall (?) als etwas zu werten, das mit allen Mitteln geheilt werden müsste. Man muss nur die richtigen Genschalter finden, und dann können wir z.B. den "Defekt" "Spätaufstehen" verhindern oder gar aufheben, die Individuen oder zumindest die Menschheit vor dieser unerwünschten Variante schützen und heilen. Zu erklären, etwas sei Natur, hat Menschen noch nie davon abgehalten, es dennoch als Krankheit oder gar Bedrohung anzusehen und aus der Welt schaffen zu wollen.
3. Es ist rein rechnerisch völlig belanglos, ob ich den Arbeitstag um 6 Uhr, um 8 Uhr, oder erst um 11 Uhr beginne - wenn ich dann 8 Stunden arbeite, arbeite ich 8 Stunden. Der Arbeitstag ist nicht länger oder kürzer. Inwieweit unterschiedliche Tageszeiten die Produktivität beeinflussen ist eine andere Frage, die auf gesellschaftlicher Ebene andere Kriterien umfasst als auf individueller. Je flexibler allerdings die technischen Produktionsgegebenheiten sind (Unabhängigkeit von Lichtverhältnissen, gleichmäßige Stromversorgung, gleichmäßige Anlieferung, keine Stoßzeiten von Kunden, keine saisonalen Abhängigkeiten usw.) desto individueller könnte Arbeitszeit gestaltet werden. Zuerst hat die Mechanisierung und Maschinisierung eine Uniformierung des Menschen zur Integration in die Arbeitsabläufe der maschinellen Prozesse erfordert (Industrielle Revolution, Fordismus, Taylorismus). Jetzt könnten wir vielleicht eine andere Entwicklung erleben, zumindest in einigen Bereichen: Weitere Technisierung, die Digitalisierung, könnte eben jene Uniformierung wieder auflösen, weil mechanische Uniformität jetzt der Produktivität sogar abträglich sein mag. Bisherige Arbeitsethik wird infrage gestellt.
4. Es spricht für sich, dass von "Langschläfern" die Rede ist, was unterstellt, dass Menschen, die später am Tage aufstehen, mehr, länger schlafen, also faul sind. Sind sie nicht. Wobei "Spätaufsteher" auch nicht schmeichelnd wäre bei unserer derzeitigen Arbeitsethik, denn wer zu spät kommt... Es ist überhaupt nicht verwunderlich, wenn Frühaufsteher als gesünder, klüger und glücklicher gelten. Es wäre nicht einmal verwunderlich, wenn sogar die eine oder andere wissenschaftlich oberflächliche Studie dafür Belege erbringen könnte. Unsere Gesellschaft bewertet Frühaufstehen als positiv, produktiv, gutes Verhalten, wertvoll, lobenswert - selbstredend werden Menschen, die diesem Ideal entsprechen, sich entsprechend positiv, produktiv, gut fühlen und von anderen darin auch unterstützt werden. Daher gibt es auch genügend wohlmeinende Ratschläge, wie man sich zu einem Frühaufsteher machen kann. Nicht alle haben die Wahl, ob sie das eine oder andere sind oder sein dürfen. Verfügung über die eigene Zeit, Freiheit der eigenen Zeitgestaltung ist immer noch vielfach ein Privileg.
5. Keine Frage, medizinisch ist es überfällig, mehr Fragen der Einflüsse von Zeit, Zeitpunkten und zeitlichen Rhythmen nachzugehen und auf individuelle Unterschiede dabei einzugehen. Ein und dasselbe Medikament in derselben Dosierung unterschiedlichen Menschen zu unterschiedlichen Zeiten verabreicht könnte unterschiedliche Wirkungen haben, für den einen mag es effektiver sein gleich nach dem Aufstehen, für andere eine Stunde später - auf solche Feineinstellung wird noch zu wenig eingegangen. Aus der richtigen Zeit fallen, aus dem Rhythmus fallen, mag eine Rolle spielen bei einigen Krankheiten, und dann können unterschiedliche Chronotypen Einfluss haben. Da gibt es viel zu erforschen.
Wer die Frage, "Eule" oder "Lerche", nachtaktiv, Spätaufsteher oder morgenaktiv, Frühaufsteher aber nur als individuelle und genetische, natürliche Frage sieht, hat einen beschränkten Blick, dem entswichtiges cheidendes entgeht.
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