#Wappenrecht
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Wappenrecht
1.
Irgendwas bringt manche Juristen dazu, in der Moderne zu behaupten, erst in der Moderne seien Bilder verrechtlicht worden, erst im 20. Jahrhundert gäbe es ein Bildrecht. Irgendwas ermöglicht ihnen, das nicht nur zu sagen, sondern auch zu glauben, was sie sagen, denn sie geben sich gar keine Mühe zu sagen, warum die Masse an Material, an Literaturen und Bildern und Rechten dieser Aussage nicht entgegenstehen.
Ich glaube, dass zum Beispiel Röhls These, dass Rechtswissenschaft "natürlich" keine Bildwissenschaft wäre und dass das moderne Recht die Bilder verdrängt hätte, davon lebt, dass Röhl glaubt, katholisches, kanonisches Recht oder die teilweise noch bis Ende der zwanziger Jahre, also bis fast des Ende der Weimarer Republik geltenden Sonderrechte des Adels keine Rechte gewrsen seien, dass Pierre Legendre oder Peter Goodrich keine Wissenschaftler seien. Das ist vielleicht so, wie manche glauben, chinesisches, russisches oder afrikanisches Recht sei eigentlich kein Recht, die Leute dort täten nur so. Röhls Glauben lebt auch von der Verdrängung, das meine ich jetzt im Freudschen Sinne.
Die Autoren des frühen zwanzigsten Jahrhunderts, allen voran Hugo Keyssner, der die Formulierung "Recht am eigenen Bild" erfunden hat, glauben vermutlich nicht, dass das Wappenrecht oder dass kanonisches Recht echtes Recht sei. Sie kommen auch nicht auf die Idee, weiter zu buddeln, andere zu fragen. Ihre Selbstverständlichkeit ist eingerichtet, sie ist Institution. Das ist eine vielleicht protestantisch bürgerliche Überzeugung, die Keyssner und alle anderen, ausnahmslos allen anderen [!] zivilrechtlichen Autoren der Zeit schreiben lassen, die Juristen hätten bisher zur Frage nach dem Bildrecht noch nie etwas gesagt. Nicht eine begriffliche, historische und theoretische Auseinandersetzung mit dem Wappenrecht, nicht eine Auseinandersetzung mit dem ius imaginum, nicht eine vielen mit den Bildregeln und Bildregimen. Das mussten die Autoren nicht, dafür sind Selbstverständlichkeiten, Evidenz und enargeia doch da, zumal als Institution: die Welt auch so ordentlich erscheinen zu lassen. Evidenz lädt etwas vor Augen.
Aber implizit musterten auch diese Juristen die Bilder immer noch mit stratifikatorischer Differenzierung, aus der heraus sich auch das ius imaginum und die Wappenrechte entwickelte. Das Urteil des Reichsgerichtes zu Bismarck ist nur ein Beispiel dafür, dass das Schweigen über die Assoziation mit älteren und anderen Regimen relativ ist. Ein relatives Schweigen, denn im Text nöselt etwas. Der Text des Urteils des Reichsgerichtes erklärt sich nicht allein aus den Regeln einer Anwendung von Gesetzen, nicht allein über die methodisch anerkannten Verfahren der Auslegung. Dafür schreiben die Richter teilweise zuviel, teilweise zu wenig. Und doch ist nichts im Text vergeudet, denn nicht nur das Gesetz, nicht nur das römische Recht spielen eine Rolle, die (römische) Rhetorik tut das auch und damit etwa das Regime decorum, eine juridische Kulturtechnik der Musterung, Messung, Schichtung und Skalierung. In dem Urteil wird sehr wohl und sehr genau zwischen Adel und Bürgerlichen unterschieden, zwischen der Herrschaft und dem Personal. Schon der Umstand, dass das Urteil nicht scharf stellt, welche Person Bismarck eigentlich jeweils gemeint ist, sondern dass es vom Fürst Bismarck spricht, den Vornamen weglässt und an diesen Stellen sowohl den toten Vater Otto als auch den lebenden Sohn Herbert meinen kann, dass es gleichzeitig nur bei den bürgerlichen Beteiligten jeweils zwar deren Beruf angibt, die Namen aber abkürzt, das ist stratifikatorische Differenzierung, mehr noch: das ist vormodernes Bildrecht, das ist decorum. Der Förster X.Y., so etwas kann das Gericht schreiben. Das Reichgericht hätte es aber nicht gewagt, vom "Pensionär B." zu schreiben, das wäre unangemessen gewesen, ein Verstoß gegen das decorum. Auch den Sohn hätte es nicht den Land- und Forstwirt oder den Abgeordneten B. genannt. Das wäre weder rhetorisch noch rechtlich richtig gewesen, denn streng genommen waren weder Vater noch Sohn eine bürgerlich-rechtliche Person, der eine war Fürst, der andere Graf. Diese Namen sind auszuschreiben, nicht abzukürzen. Dem Gericht geht es nicht um den Schutz der Privatheit, nicht um den Schutz privater Individuen, allen wird verraten, dass Bismarck Vater und Bismarck Sohn hier in Bilderhändel verstrickt sind. Es geht um den Schutz stratifikatorischer Differenzierung, es geht um den Schutz einer Ordnung, zu der das Recht und die Rhetorik gehören.
Einerseits stellt die Literatur dieser Zeit keinerlei Verbindung zwischen alten Regimen und modernem Recht her, anderseits stellt sie die Verbindung laufend her. Einerseits begreift sie die Assoziation nicht, anderseits begreift sie sie. Einerseits expliziert sie die Assoziation, anderseits nicht. Implizit ist die Assoziation immer da. Darum halte ich den Begriff der Ausdifferenzierung für falsch. Die Idee des blinden Fleckes, die halte ich für falsch. Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, das Recht an eine große Referenz, eine Selbstreferenz anzuhängen. Ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll ist, zu unterstellen, dass diese Referenz mit einer Leitdifferenz einherginge. Es ist nicht nur so, dass man die Referenz und die Leitdifferenz dekonstruieren kann. Der Alltag, die Praxis, das alles ist auch Dekonstruktion. Zu sagen, man dekonstruiere was, das ist da fast schon eine Ausrede oder eine Anmaßung, ein Selbstschutz, mit dem man schon wieder etwas, DIFFERENZ, aufpumpt und groß macht. Für sinnvoll halte ich, den Kreuzungen nachzugehen.
2.
Das Recht ist kein System. Es ist keine Einheit. Es hat nicht eine Funktion. Es hat nicht ein Leben. Es ist nicht einfältig, nicht einzigartig. Nicht eins ist ihm eigen. Das Recht ist mulitiplizit, es ist austauschbar und übersetzbar und tut das laufend, tauscht laufend etwas aus und ersetzt etwas.
Keyssners Publikation über das Recht am eigenen Bild erscheint 1892 in Berlin, Hauptmanns Wappenrecht erscheint 1895 in Berlin. Nicht einmal die Gegenwart ist sich selbst präsent, nicht einmal die Präsenz ist überall gegenwärtig. Die Zeit ist nicht synchron, in Berlin ist nichts gleichzeitig, der Raum ist auch schon verteilt. Das Recht kann systematisiert werden, es kann als System dar. und hergestellt, werden, das verlangt aber komplizierte juridische Kulturtechniken, das System ist artificial knowledge. Sogar die Gegenwart ist das, Berlin sowieso. Hilfreich finde ich es, die Techniken und Verfahren zu beschreiben, um eine detaillierte Vorstellung von den Assoziation, ihren Konditionen, ihrer Geschichte und ihrer Theorien zu bekommen.
3.
Hauptmann assoziiert sein Wappenrecht nicht mit der notitia dignitatum. Andere Autoren, vor allem in der englischen Literatur (Goodrich zum Beispiel), behaupten, die Heraldik, das Wappenrecht, das Markenrecht, das Recht der coats of arms sei historisch mit der notitia dignitatum verknüpft, sie sei ein Vorbild in dieser Geschichte. Hauptmann scheint eher familienrechtlich, erbrechtlich zu denken - seine Vorstellung vom Adel ist auch nicht unbedingt eine Vorstellung von Amts- und Verwaltungsgeschichte, das ist fast schon eine Privatgeschichte, aber nur fast. Privatheit und Öffentlichkeit, Staat und Gesellschaft: Hauptmann weiß das präzise zu unterscheiden, aber das heißt ja nicht, dass er damit aus ist, dass er glaubt, so etwas sei ausdifferenziert.
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Bildrecht
1.
1902 und 1907 erscheinen zwei Aufsätze, in denen Warburg sich mit jenem Verhältnis zwischen Bild und Recht beschäftigt, das in der Tradition des ius imaginum steht, weil Bild und Recht das imago/ die imagines eines (Familien-)Geschlechtes und damit seine gesellschaftliche Stellung fassen sollen. In dem ersten Aufsatz, der 1902 genau zu der Zeit publiziert wurde, als in Deutschland im Anschluss an den Bismarck-Fall die Überlegungen um das Recht am eigenen Bild auch in einer außerfachlichen Öffentlichkeit diskutiert werden, bezieht Warburg mit einer Randbermerkung diesen Aufsatz auf die Diskussion um Bildrechte.
Unter anderem spielt der Konflikt zwischen Privatheit und Öffentlichkeit, aber auch zwischen Persönlichkeitsrechten und Eigentumsrechte, zwischen veräußerlichen und unveräußerlichen Rechten eine Rolle. Beide Aufsätze beschäftigen sich mit Bildnissen des florentiner 'Bürgertums', vor allem Bildnissen der Familie Sassetti und der Tornabuoni, und mit Rechtsverhältnissen, die teilweise kirchenrechtlich über das sog. Patronatsrecht, teilweise auch testamentarisch und 'erbrechtlich' bestimmt sind.
2.
Beide Aufsätze sind auch in die erste Ausgabe der gesammelten Schriften von 1932 aufgenommen worden, da sind (von Saxl, Bing und Rougemont) neue Anmerkungen hinzugefügt worden, wie diejenige oben. Antiqua: Das sind Warburgs Notizen zu den Aufsätzen, kursiv gedruckt sind Anmerkungen der Mitarbeiter).
Die juristische Literatur kann man im 19. und frühen zwanzigsten 20. Jahrhundert in Bezug auf Bildrechte in zwei Phasen teilen: in der ersten Phase, gleich ab dem Moment, in dem eine Bildtechnik als neues Verfahren und als technische Erfindung patentiert werden soll, dreht sich die Diskussion zuerst um Urheberrechte. Es wird durchaus auch bestritten, dass die Technik der Photographie selbst eine neue Technik sei - und es gibt Stellungnahmen, die auf Bildgebungsverfahren verweisen, die man als 'Photographie vor der Photographie' verstehen kann, das betrifft aber vor allem die optischen Verfahren, die durch die camera obscura schon vorher in Gebrauch waren. Das ist aber eine Randdiskussion, stärker wird diskutiert, ob bei solchen technischen, optischen, mechanischen und chemischen Verfahren von Urheberrschaft gesprochen werden kann. Man kann sagen, dass diese erste Phase bereits um 1870 alle Argumente vorgebracht hat. In einer zweiten Phase geht es dann um die Rechte der Abgebildeten, also die Recht, die man im engeren Sinne als "Recht am eigenen Bild" bezeichnet. In der Diskussion ist auffällig, wie deutlich die Literatur sich selbst als traditionslos und präzedenzlos begreift.
Auffällig ist das auch in einem Text, der zuerst als Vortrag diente und dann publiziert wurde. Er stammt von Hugo Keyssner, erscheint 1896 (also schon einige Jahre vor dem Bismarckfall) und gibt dem Recht überhaupt seinen Namen, den dieser Text heißt "Das Recht am eigenen Bild". Keyssner unterstellt wie seine Kollegen, dass Juristen sich bisher nicht zu dem Thema geäußert hätten. Und er vermeidet es, auch nur irgendeinen Bezug zwischen seinem Text und der Literatur zum ius imaginum oder zur Literatur um Wappenrechte herzustellen. Er schreibt so, als ob bisher nichts geschrieben wäre, also schreibt er selbst im Modus von Autorenschaft und Urheberrschaft und fogt der Diskursregeln, beim Schreiben Lücken vorauszusetzen um den 'eigenen Text' als grundlegend auszuweisen. Der Text setzt zwar deutlich aber implizit mit einer Funktion des ius imaginum ein, die ich auch als Spur einer bildrhetorischen Tradition (Didi-Huberman schreibt ihr eine religöse Funktion zu, das ist kein Gegensatz) begreife: Keyssner beginnt den Vortrag mit dem Hinweis darauf, dass Bildnisse die Funktion haben, 'unser Bild der Nachwelt Ahnen zu überliefern', die Überlieferung eines (Familien-)Geschlechts zu begleiten. Bilder sind Ahnenapparat, nicht nur, aber eben auch, vor allem dann, wenn sie Bildnisse sind und mit Rechten verknüpft sind. Aber wie alle Juristen seiner Zeit spart sich Keyssner explizit etwas zum ius imaginum zu sagen. Man kann das Verhältnis zwischen Keyssner und Warburg nicht als Verhältnis der Ausdifferenzierung begreifen, es sei denn, man lässt es für Ausdifferenzierung schon ausreichen, in einem Text nur Bezüge zu x, nicht aber zu y herzustellen.
3.
Warburgs Aufsätze von 1902 und 1907 bilden einerseits zentrale Referenzen für das Verhältnis zwischen Bild- und Rechtswissenschaft einerseits sowie den Forschungen von Aby Warburg anderseits.
In beiden Aufsätzen zeigt sich das ganze Warburgsche Talent, also auch seine Fähigkeit, durch Bilder hindurch auf Schreiben und durch Schreiben hindurch auf Bilder zu schauen, vor allem aber auch, Bilder nicht isoliert als autonome Größen oder gar "Medien der Ausdifferenzierung" zu betrachten, sondern auf ihre historischen, geographischen, psychischen und gesellschaftlichen (also auch juristischen, politischen, religiösen oder ökonomischen) Bedingungen hin zu untersuchen. Aber dasjenige, was mich besonders an Warburg interessiert, nämlich seine Polarforschung, das zeigt sich in den Aufsätzen nur so, dass man vielleicht extra noch einmal darauf hinweisen muss. Denn die Bildnisse in St. Maria Novelle und in St. Trinita zeigen sich nicht ohne weiteres als Polobjekte, ebensowenig wie das alles das Material macht, das Warburg als "Notizie" [notitia dignitatum?] bezeichnet und das in gewisser Hinsicht das 'diplomatische Material' (kurz: die 'Diplome') und Füllmaterial für ein 'tab(u)linum' der Familie Sassetti bildet.
Die Bildnisse sind keine (astrologischen) Drehscheiben, keine (kosmologischen) Wendeobjekte, ebensowenig ist es das diplomatische Material, also die Urkunden und dokumentarischen Schreiben, die etwas von dem Werden und der Würde der Sassetti bewahren sollen. Das werden diese Objekte 'erst' durch das Auf und Ab des Familiengeschlechtes; erst so speichern und übertragen Bildnisse und 'Diplome' auch die Kehren und das Kippen des Geschlechtes; erst so entfalten sie jene melancholische und zwiefältige, vielleicht auch wieder befeuernde Wirkung, die Warburg in beiden Aufsätzen auch erwähnt.
4.
Im Hinblick auf das, was Warburgs eigensinnige Besonderheit für das Verhältnis von Rechts-und Bildwissenschaften ausmacht, nämlich seine Polarforschung, entfalten die Staatstafeln mehr von dieser Besonderheit. Warburg verändert damit nicht nur den Blick, den man auf Bilder haben kann, er verändert auch den Blick, denn man auf Recht und Gesetz haben kann.
#Aby Warburg#Kannibalismus#Geschichte und Theorie des Vagen#Warburgs Staatstafeln#ius imaginum#Bild und Recht
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