#Vera effigies celeberrimi P. Antonii Vieyra
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Verzehren und Bekehren
1.
Die Jesuiten bekehren, die Tupinamba verzehren. Beide tun das durch den Gebrauch juridischer Kulturtechniken, da heißt durch den Gebrauch solcher Kulturtecniken, die historisch auch im Recht mitgemischt haben und dabei kooperiert haben, das zu reproduzieren, was Gesellschaften für Recht halten. Viveiros de Castro ist einer der Autoren, die zeigen, dass die Tupinamba nicht bloß abergläubisch waren. Die Jesuiten hatten ihnen abgesprochen, eine Religion zu haben; sie hatten aber eine Religion. So wurde ihnen auch abgesprochen, Recht zu haben, hatten sie aber, auch ohne Menschenrechte. Ihre Anthropofagie ist Teil juridischer Kulturtechnik, wie etwa Lesen, Schreiben und Zählen auch Teil juridischer Kulturtechniken sind. Etwas sperrig gesagt macht die Anthropofagie Ahnen technisch reproduzierbar, kulturtechnisch. Es macht die Ahnen reproduzierbar, ist also genealogisch. Damit kann man assoziieren, auch sich mit einer Gruppe und die Gruppe selbst, sicher präzise, also limitiert. Die Technik lässt aber auch ahnen, also unsichere Assoziationen wahrnehmen, sie lässt diagnostizieren und prognostizieren. Sie ist nämlich Teil des Distanschaffens, das symbolisiert und den Kosmos damit wahrnehmbar und ausübbar, wir würden sagen: auf nützliche Weise lesbar und sichtbar macht, auch wenn er unsicher ist. Die Anthropofagie bildet. Das sind alles nur Teilaspekte, aber das sind sie auch.
Die Tupinamba lassen sich schwer bekehren, die Jesuiten lassen sich schwer verzehren. Aber gehen tut es. Die Mission und die Anthropofagie teilen eine Gemeinsamkeit, sie teilen das Selbe, nämlich auch vague zu assoziieren. Das heißt nicht, das sie leer und unbestimmt oder gar unverbindlich assoziieren. Das heißt, dass sie durch Vorgänge assoziieren, die erstens auch über solche Formen beschrieben werden können, durch die Bewegung geht (und durch die insofern Bewegung möglich wird, weil der Bewegung durch Form auch Wort und Bild, Orientierung und Aktion (Gründe/ Ursachen oder Intentionen: die Bewegung wird zur Aktion und Handlung) gegeben werden. Zweitens geht diese Bewegung mit Trennungen (also einem Distanzschaffen) und mit Austauschmanövern einher, die durch Verkehrung effektiv werden. Die Formen verdrehen, wenden, kehren und/ oder kippen. Meine These lautet, dass das Selbe, von dem ich hier spreche, polar ist. Sie lautet auch, dass polar ist, was vague ist und das vague ist, was polar ist.
2.
Es ist ein schöner Zufall, dass das Zehren und das Kehren auf eine Weise verwandt sind, die klärbar ist, zwar nicht restlos, aber rastlos. In dieser Verwandtschaft gibt es aus deutscher Sicht die selben Ahnen, griechische Fresser und römische Vagabunden, die zehren und kehren auch. Griechen und Römer sollen ohnein unsere Ahnen und damit ähnlich sein und uns ähnlich machen. Das sind kreisende Ahnen, sogar von klein auf.
Die Verwandtschaft der Kehrer und Zehrer ist ein schöner Zufall, weil die zu Polarität des Selben passt. Das Alphabet hat man so eingerichtet, dass es Stabilität liefern soll, das man nichtso ohne weiteres vom z (über das c?) zum k rutscht. Aber so kann man die Worte auch nicht ohne weiteres auseinanderhalten, nicht einmal das Reale und das Symbolische lassen sich ohne weiteres auseinanderhalten. Theater findet immerhin auch statt und Hunde wollen immerhin auch spielen. Um das Reale und das Symbolische auseinanderhalten zu können, gibt es Kulturtechniken, Sprechen und Alphabetisieren sind zwei davon.
3.
'Zehren' und 'Kehren' bezeichnen dasselbe, ein Selbes, das wendig ist, und sie bezeichnen es ordentlich. Polarität, so scheint es mir, erklärt man hoffentlich einfacher, in dem man Polarität über die Bewegung von Formen erklärt (und nicht über die Qualitäten von Energie oder ein Wesen der Kraft). Dass ich das Missionieren und die Anthropofagie dabei auch über Zeichen erkläre, die dem Vorgang äußerlich sind, nämlich über deutsche Worte (denen immerhin passiert ist, wovon sie sprechen), das ist Spielerei. Aber es ist nicht nur Spielerei, und die Spielerei die das ist, ist immerhin die Spielerei, aus der jener Teil des normativen, symbolischen Kosmos ist, den wir Sprache nennen. Das ist Spielerei, die äußere Verwandschaften auch äußerlich denkt. Das ist noch etwas anderes als Spielerei, weil man so Vorgänge zerlegt, die künstliche Welten zusammenhalten. Man analysiert sie. Man schiebt dabei aber nicht Inhalte unter die Formen (wie man das mit einem Ass und einem Haufen Spielkarten oder mit einem Tisch unter ein Papier machen kann, um mit einem einfachen Trick mehr Gründe zu gewinnen).
Man zerlegt Formen, um sie auf anderen Formen zu beziehen. Dabei, und das scheint ein Vorteil, steigt man mehr oder weniger bemerkt, aus dem Dogma der großen Trennung aus. Man steigt nämlich aus dem Stapel aus, in dem eine große Anzahl von Trennungen einer große Anzahl von Trennungen entsprechen, sie ohne Verlust übersetzen, sie tragen und eine Betrachtung ermöglichen sollen, deren Tiefe und Weite wie ein epistemischer Boulevard oder Prospekt angelegt sein soll. Das Dogma der großen Trennung lebt von hohen Stapeln, auch hohen Stapeln Papieren, es lebt auch auch davon, dass (sich) das Limit der Trennungen und Austauschmanöver in der Entfernung verläuft.
3.
Die anthropologische Lehre, die unter anderem Aby Warburg unmittelbar vor der Kreuzfahrt oder Schiffsreise mit dem Anwalt Sally George Melchior macht (und die meines Erachtens für Warburg der Auslöser dafür ist, Bildwissenschaft nicht nur als Kunstgeschichte, sondern auch als Rechtsgeschichte und Rechtstheorie zu betreiben) das ist unter anderem die Lehre, dass überall alles vorkommt, nur in immer anderen Reihenfolgen.
Gombrich behauptet in seiner Biographie, Warburg habe u,a. durch die Amerikareise seinen Fortschrittsoptimismus verloren. Wenn das stimmt, dann hat er dadurch die Möglichkeit gewonnen, das totale Asyl in Kreuzlingen auch wieder zu verlassen. Ich würde eher sagen, dass er gar nichts verloren hat und sich wendig und unbeständig wie von klein auf zeigte.
Kein Fortschrittsoptimismus mehr, dafür wieder Alltag und mitten im Leben, kein schlechter Tausch unbedingt wäre das, was Gombrich beschreibt, Wenn es den Fortschritt nicht gibt, dann gibt es den Austritt aus der totalen Institution, die ein Asyl ist, und das ist eine operativ geschlossene Anstalt, auch wenn dort Informationen frei ein und ausgehen können, sie also informationell und kognitiv offen ist. So, das glaube ich, ist das für Warburg gewesen, ich spekuliere, aber nicht in der Leere. Warburg gelingt der Austritt aus dem Wahn, nicht weil er den Wahn verliert, es gelingt ihm ein 'Wiedereintritt ins Außen', er kann schlicht wieder antreten, das heißt, das er den Wechsel und die Verwechslungen, den Austausch und den Ersatz wiederaufgreift, und das mit seiner Stärke, dem melancholischen Talent, einen deutlichen Polaritätssinn, einem Sinn für Drehungen, Wendungen, Kehren und Kippen. Er macht den Wahn weiter mit, hat die Aporien aber in Passagen verwandelt.
3.
Die Missionare und die Kannibalen machen zwar das Selbe, aber nicht das Gleiche. Was sie tun, bringt nämlich in andere Reihenfolgen und ist in andere Reiheinfolgen gebracht. Dadurch machen sie zwar auch das Selbe, aber nicht nur das Selbe.
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