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#Sehnsuchtsorte2020; Marokko Rif-Gebirge
sehnsuchtsorte2020 · 4 years
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Sehnsuchtsort “Rif-Gebirge”
34° 59' 59.968" N     3° 59' 59.942" W
Marokko war lange ein Sehnsuchtsort für uns. Es versprach Exotik, Orient und Abenteuer. Wir waren dann mehre Male in diesem Land über eines unserer Abenteuer erzählt die folgende Geschichte.
„Es sind nur wenige Meter, dann kann man rein“, lachend mit umgehängtem Poncho kommt Schmiro durch den Regen gerannt. Wir stürmen aus dem Bus, hinter ihm her und schon stehen wir drin. Ein Marokkaner übernimmt die Führung. Nach einigen Treppendekaden stehen wir im „Kamin“, siebzig, achtzig Meter geht es hoch, darüber ein Stück rinnender Himmel. Die Treppen gehen weiter an der Wand entlang, unterschiedlich Tritthöhe, unbefestigt. Seitlich geht es hundert Meter runter. Ein zweiter Marokkaner hat sich uns angeschlossen, die Vormänner machen ziemlich Tempo, mir ist mulmig zumute.
Angelika bleibt als erste zurück, dann Maike, wir anderen kommen heil am Boden des Kamins an. Der Führer steuert zielstrebig eine Öffnung an, ein Weg ins Innere des Berges. Er brabbelt etwas von „sept kilometres“, wir glauben ihm nicht. Durch die Öffnung muss man sich durchzwängen. Es ist stockdunkel, alles glitschig. Die Lichtkegel der Taschenlampen schneiden immer nur ein scharf abgegrenztes Stück aus der Höhlenwirklichkeit. Grässliche Fratzen mit aufgerissenen Mäulern – aber doch nur aus Tropfstein, Speere mit auf uns gerichteten Spitzen – Stalaktiten, seitliche Höhlengänge, die aussehen wie das Tor zur Hölle.
Die Stufen haben aufgehört. Wasser rieselt von den Wänden und der Decke. Wir müssen etwas Ähnliches wie eine Leiter überwinden mit einem Sprossenabstand von gut einem Meter. Wir sind schon eine halbe Stunde unterwegs. Mit einem Sprung über eine nicht überschaubar tiefe Kluft, an der Hand des Vordermannes über einen schmalen Grat und immer mit dem Gefühl, gleich abzustürzen, haben wir uns immer weiter in die Höhle vorgetastet. Sollte sie wirklich sieben Kilometer lang sein?
Springen, klettern, rutschen, nach Licht rufen, fluchen. Es geht weiter, wohin fragt schon keiner mehr. Das Licht der Taschenlampen wird immer schwächer, selbst unsere Führer machen besorgte Gesichter. Ohne Licht kommen wir hier nicht wieder raus. Also umkehren. Das gleiche Spiel noch einmal von vorne. Eine breite Halle öffnet sich am Ende des schmalen Ganges. Figuren wir Heiligenstatuen heben sich im schalen Licht der schwächer werdenden Lampen von den Wänden ab. „Waren wir hier schon einmal?“ Ein fragender Blick zu den Führern, doch die schauen sich ratlos an. Es ist kalt geworden in der Höhle, sind wir eine oder vielleicht schon zwei Stunden hier unten? Vor uns ist jedenfalls nichts als Fels. Kein Durchkommen. „Die anderen werden uns vermissen und Hilfe holen“, sagt Wizwab, er meint es als Trost, aber Schmiro zeigt wortlos den Autoschlüssel. Mitten im Rif-Gebirge, das nächste Dorf ist kilometerweit weg, wie sollen sie da ohne Auto Hilfe holen?
Die Führer beraten auf Arabisch, mir war, als hätte ich „Kismet“ und „Allah akbar“ verstanden. Es wird immer kälter. Schmiro leuchtet mit der einzigen noch übriggebliebenen Taschenlampe die Wände ab. „Da ist der Weg“, ruft er. In fünf Meter Höhe führt ein schmaler Gart an der Wand entlang. Wir müssen zurück, haben wohl den Aufstieg verpasst. Also doch nicht das Ende. Wenig später  stehen wir am Boden des Kamins. Wieder die Treppen. Mit letzter Kraft steigen wir nach oben. Schweißdurchnässt, dreckverkrustet und glücklich kommen wir wieder ins Freie.
Alle Reisenden. Aufgrund der steigenden Infektionszahlen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 sind Flug- und Fährverbindungen nach Marokko derzeit eingestellt. Auch die Landesgrenzen wurden bis auf Weiteres geschlossen. Im Land wurde der Notstand ausgerufen, sodass es zu Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und des öffentlichen Lebens kommt. Es gilt eine landesweite Ausgangssperre und es kommt zu Einschränkungen des inländischen Verkehrs. Zudem besteht vorübergehend eine Pflicht zum Tragen von Atemschutzmasken im öffentlichen Raum.
Text und Fotos: Wolfgang Orians
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