#Jenja Carow
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Im Kunstgewerbemuseum Berlin wird in lockerer Folge zu so genannten Design Talks eingeladen. Am 3.April um 19 Uhr war es wieder einmal soweit. Ein Podium klug ausgewählter Fachleute diskutierte über „White Gold – zur Zukunft des Porzellans“.
Den Anlass bot die jüngst neu arrangierte und eröffnete Sammlung historischer Porzellane und Fayencen “Rokokowelten”, die sich nun wie eine kostbar schimmernde Perle in der rauen Schale der Gutbrod’schen Betonarchitektur ausnimmt. Vor zartem Türkis defilieren zauberhaft erzähl freudige Manufakturporzellane – Geschirr, Gefäße und Figuren – chronologisch geordnet in sorgfältig ausgeleuchteten Vitrinen. So viel Optimismus, so viel kapriziöser Stolz über die eigene Schönheit, so viel fragiler Übermut und Überfluss war schon lange nicht mehr. Alles kreist um das gesellige Leben, ob im Fantasien beflügelnden China oder in der heilen Welt höfischer Familien. Hier werden Helden und Historien gefeiert und Inspirationen aus Flora und Fauna ideenreich in Szene gesetzt.
Meissner Teller mit Höroldt-Chinoiserien | Foto: Schnuppe von Gwinner
Porzellangruppe “Familie des Erzherzog Leopold”, von Anton Grassi, Wien um 1775–1780 |Kunstgewerbemuseum Berlin, Inv. Nr. HF 351| Foto: Schnuppe von Gwinner
Eine geräumige Vitrine am Ende des Parcours vermittelt den Eindruck einer Kreuzung, an der sich mehrere Wege treffen und auch auseinander gehen. Hier residiert das Ensemble »Bestiarium«, im Jahr 2015 gemeinsam erschaffen von der Künstlerin Maria Volhokova und den Produktdesignern Johanna Spath und Johannes Tsopanides (Shapes in Play). »Bestiarium« stellt dem Betrachter viele Fragen, darunter z.B. die, ob es eher zum Gebrauch oder zur reinen Bewunderung gedacht, ob es eher mit analogen oder digitalen Techniken gemacht sei.
Christian Lechelt – Fürstenberg | Jenja Carow – KPM | Claudia Kanowski, Claudia Banz – Kunstgewerbemuseum SMB Berlin | Anna Sykora – Porzellangestalterin, Berlin | Maria Volokhova – Künstlerin, Berlin | Johanna Spath, Shapes in Play, Berlin | Foto: Schnuppe von Gwinner
Einen besseren Platz als vor dieser Vitrine hätte die Diskussionsrunde der Fachleute, moderiert von Claudia Banz und Claudia Kanowski (beide Kunstgewerbemuseum SMB Berlin) kaum finden können. Konzentriert verfolgte ein zahlreiches Publikum die Debatte und trieb diese auch mit seinen Fragen voran.
Shapes in Play Projekt Cloudspeaker
Die Produktdesignerin Johanna Spath stellte ihre Beobachtung von Parallelen zwischen dem generativen Design am Computer und dem Umgang mit Porzellan an den Anfang des Gesprächs. Sie vergleicht virtuell grenzenlos manipulierbares „Material“ mit vielfältig verformbarem Porzellan, deren erlangte Gestalt man durch „save“ respektive trocknen sichert – um das Objekt dann über den 3D Druck beziehungsweise den Brand zu vollenden. Selbst die Entwicklung der digitalen Kultur, die zunehmend in unser aller Leben eindringt und uns in unserer komplexen Zeit des Experimentierens ständig an Grenzen führt, vergleicht sie mit der historischen Entwicklung der Techniken bis hin zur perfekten Beherrschung des Porzellans. Diese Parallelen der Prozesse begründen für sie den Wert von Porzellan jenseits konkreter Objekte.
Maria Volokhova, SUS BONUS Teeset
Maria Volokhova sieht sich als Künstlerin vor der Herausforderung die Traditionen mit zeitgenössischen Themen zu besetzen und dabei das Erhabene, Opulente, Üppige und Ausserordentliche, unter Ausschöpfung aller technischen Möglichkeiten, in funktionellen Objekten zu bewahren.
Jenja Carow (Head of Sales & Marketing, Königliche Porzellanmanufaktur Berlin – KPM) beschreibt die Spannung, die dadurch erzeugt wird, dass sich KPM unbedingt dem Erhalt der Kultur und des Handwerks verschrieben hat und gleichzeitig die 1763 gegründete Manufaktur als wirtschaftlich erfolgreiches Unternehmen führt.
KPM, To-go Becher im klassischen KURLAND Design von 1790, Porzellan
In gut geschulter Rhetorik bringt er es auf den Punkt: Zukunft braucht Herkunft – Gegenwart braucht Relevanz! Für die Marke KPM geht es um Werte und um Identität. Für die Funktion reicht ein Plastikbecher, doch KPM triumphiert auf anspruchsvollerer Ebene: z.B. wurde die Porzellanmalerei vom Expertenkomitee der Deutschen UNESCO-Kommission als Immaterielles Kulturerbe offiziell anerkannt, das zählt!
Im Austausch der Interessen von Manufaktur und Designern wird deutlich wie existenziell wichtig eine belebende und inspirierende Kooperation von beiden Seiten eingeschätzt wird. Für die KPM zählt Jenja Carow eine wirklich beeindruckende Fülle von Projekten und Bildungskooperationen auf. Maria Volokhova beschreibt ihre, oftmals schwierig zu arrangierende Zusammenarbeit mit vielen unterschiedlichen Porzellanmanufakturen, die über Studenten- oder Workshop-Projekte hinaus gehen.
Christian Lechelt ( Museumsleiter, Museum Schloss Fürstenberg und Redakteur der Zeitschrift KERAMOS) zitiert Max Adolf Pfeiffer, der sich zwischen 1918 und 1933 enorme Verdienste bei der künstlerischen und technologischen Erneuerung der Staatlichen Porzellanmanufaktur Meißen erwarb: „Porzellan ist das schönste Material das sich der Mensch selbst geschenkt hat!“ Als erster Kunststoff der Weltgeschichte eröffnet es großartige Möglichkeiten und kann leicht nachhaltige Leidenschaft auslösen. Technologisch gesehen ist es auch gerade in Deutschland ein echtes Kulturgut, was sich schon darin beweist, dass nirgendwo solch eine Vielzahl an Manufakturen seit dem 18. Jahrhundert bis heute überdauert haben.
Anna Sykora, Sgraffito-Vase, Höhe: 21 cm
Mit Anna Sykora sitzt auch eine veritable Handwerks-Meisterin auf dem Podium, die sich ganz und gar dem Porzellan verschrieben hat. Seit 1992 betreibt sie ihre Werkstatt in Berlin und überrascht die Welt immer wieder auf’s Neue mit feinen, nach eigenen Entwürfen auf der Töpferscheibe gedrehten Porzellangefäßen. Deren hauchdünne, transluzente Scherben überzieht sie mit verschieden farbigen, mattschimmernden keramischen Tonüberzügen – einer „terra sigliata“ nach eigener, geheimnisvoller Rezeptur. „Eine Philosophie habe ich nicht,“ lacht sie,“ich arbeite aus Lust und Begeisterung in diesem geliebten Beruf, der mich ernährt.“
Mit der Frage „Wie sieht’s bei Ihnen Zuhause aus? Was haben sie im Küchenschrank?“ provoziert sie Christian Lechelt zu einer ehrlichen Antwort, die wohl viele „Normalverbraucher“ ähnlich beantworten könnten, wenn man davon absehen möchte, dass die meisten keine so ausgesprochenen Porzellansammler sind wie dieser Fachmann. Im Laufe der Jahre habe er immer weniger Manufaktur und immer mehr individuell Gefertigtes erworben. Daran fasziniert ihn die Einmaligkeit eines Objektes, selbst die leichten Variationen eines Serienproduktes, durch die es emotional zugänglicher wird. Dem gegenüber steht heute das Streben der Manufakturen nach Makellosigkeit und Perfektion..
Gesprochen wurde über den Einsatz neuester Technologien ebenso wie über das Charmante des Handgemachten: Doch welches sind die zukünftigen Themen des Porzellans?
Christian Lechelt aus Fürstenberg ist der Ansicht, dass für die Porzellan-Manufakturen Tafelkultur immer ein wichtiges Thema sein wird. Bisher gibt es kein adäquates Material in Bezug auf Hygiene, Haltbarkeit und dem Weiß des Materials, das ein unverfälschtes Bild der Speisen zulässt. Tafelkultur verändert sich laufend und es geht darum, diesen Umstand im Sortiment sinnvoll zu reflektieren.
Auch Jenja Carow sieht für KPM die funktionale Zukunft des Porzellans darin, die metropole Gesamtsituation zu berücksichtigen. Es gibt immer weniger Platz. Immer mehr Flexibilität ist gefordert. Das heißt man muss sich für zeitgemäße Lösungen öffnen: Nachhaltigkeit, Funktionalität und Ästhetik schliessen sich nicht aus.
Welche Optionen hat das Porzellan in der modernen Materialkultur in Bezug zu anderen konkurrierenden Materialien?
Die Designerin Johanna Spath prognostiziert für den 3D Druck mit keramischen Massen eine große Zukunft sobald dieser noch besser entwickelt ist und wirtschaftlich funktioniert. Neue Beziehungen zwischen Kunden und Manufaktur, on demand Produktion und die Mischung von Unikat und Serie könnten sich über neue Technologien entwickeln.
Maria Volokhova erkennt trotz der formalen Vereinfachung des Porzellans für den täglichen Gebrauch auch weiterhin das Bedürfnis zu erleben und zu übertreffen. Schon jetzt ist der Markt überschwemmt mit einfachen Produkten, doch die Nachfrage für spezielle Formen und das Interesse an besonderen Produkten wächst.
Für die Manufakturen wird es darum gehen Trends und Technologien zu identifizieren, denen sie sich in Kooperationen mit Hochschulen und Designern öffnen. Mans sollte der 3D Technik zutrauen, dass sie Möglichkeiten und Formen erschaffen kann, die das Bestehende ergänzen und spannender machen. Dass sie Neues ermöglicht, was noch nicht da war.
Christian Lechelt weist darauf hin, das die Relevanz des Materials ambivalent sei. Porzellan gilt ebenso als beliebiges, sogar billiges Alltagsprodukt wie auch als rares, kostbares „weißes Gold“. Beide Vorstellungsbilder des Porzellans halten sich hartnäckig. Erstaunt ist er über die Tatsache, dass auf dem großen Sektor der technischen Keramik ungeheuer kreativ und innovativ agiert wird aber bisher nichts davon in den Alltagsbereich eindringt. Ob sich dort Materialeigenschaften finden die sich für ganz andere Themen im Haushalt auswerten lassen?
„Die technischen Möglichkeiten müssen sinnvolle Ergebnisse bringen und umgekehrt“ findet Anna Sykora. Sie bemerkt, dass die Sehnsucht nach Haptik und Emotion zunimmt. Viel mehr Menschen als noch vor 20 Jahren kommen zu ihr in die Werkstatt und ihre häufigste Frage ist: „Was ist eigentlich Porzellan?“ Dieser Bezug zum Material ist wichtig, davon ist sie überzeugt, alles andere ist Entfremdung. Dafür sprechen auch die Erfahrungen der KPM. Wer jemals eine Porzellanmanufaktur von innen gesehen hat, hat auch die Wertschätzung für Porzellan – eine Manufakturführung führt zu einem Perspektivwechsel.
Claudia Banz blickt auf die Zukunftsvision für Werte, für Bedeutung und Relevanz und fordert, dass wertebewußter Umgang bereits in Kindergärten und Schulen vermittelt werden sollte, die Sensibilität dafür dass wir unseren Planeten zu müllen. Jenja Carow dagegen glaubt, dass die Wertschätzung durch das Machen und nicht durch reden wächst, dass etwas eher gekauft wird weil es schön ist, nicht weil es gegen Müll ist.
Die Wertigkeit von Porzellan spielt keine Rolle mehr als Statussymbol häuslicher Präsentation stellt Christian Lechelt fest. Solange die gesellschaftliche Relevanz nicht da ist wird es schwierig. Nicht Geld oder Preise sind das Problem Doch solange man sich eine neue Teekanne nicht als Schmuck um den Hals hängen, sie also nicht zeigen kann, wird sie es schwer haben. Jenja Carow hält dem entgegen, dass die Relevanz und Wertschätzung von Porzellan aus der Sicht von KPM sehr gestiegen sei und nennt das Stichwort „Hochzeitsliste“ die sich wieder großer Beliebtheit erfreut. Er ist sehr optimistisch, dass die gesellschaftliche Relevanz von handgemachten Dingen wieder zunimmt.
Maria Volokhova wünscht sich mehr Offenheit der Manufakturen, die sich einem immer jünger werdenden Publikum gegenüber sehen. Sie sollten neue, zeitgemässe Formen anbieten, die auch junge Leute heute interessieren und die sie kaufen möchten. Und Johanna Spath bekräftigt, dass die digitale Kultur eine eigene, spezielle Ästhetik habe, die gezeigt werden sollte, als eine Verlinkung von alt, gegenwärtig und zukünftig.
Mitschnitt und Zusammenfassung: Schnuppe von Gwinner
„White Gold – zur Zukunft des Porzellans“ – Dokumentation eines Gesprächs unter Fachleuten: Kunstgewerbemuseum Berlin 03.04.2019 Im Kunstgewerbemuseum Berlin wird in lockerer Folge zu so genannten Design Talks eingeladen. Am 3.April um 19 Uhr war es wieder einmal soweit.
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Neupräsentation der Porzellan- und Fayencesammlung: Berlin ab 21.03.2019
Neupräsentation der Porzellan- und Fayencesammlung: Berlin ab 21.03.2019
Das 18. Jahrhundert war das Jahrhundert des Porzellans. Unter Fürsten, Aristokraten und vermögendem Bürgertum war man regelrecht süchtig nach dem „weißen Gold“, man sprach von der „maladie de porcelaine“. Wer sich das exklusive Porzellan nicht leisten konnte, griff zur Fayence, um seine Tafeln, Konsolen, Kaminsimse und Kommoden zu schmücken.
In der nun neu eingerichteten Dauerausstellung gibt es…
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