#50 jahre Aktionsgruppe Wiesbaden
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50 Jahre Aktionsgruppe Wiesbaden (1971-1973) – Als die Pimpfe der 68ziger-Bewegung den Aufstand probten
Ambivalente Erinnerungen an eine der ersten politischen Lehrlings- und Schülergruppen in der Landeshauptstadt oder als ich noch jung, linksradikal und naiv war.
Zwei Jahre mischte diese fast 40 Kopf starke Gruppe, von den Nachwehen der 68ziger-Bewegung getragen, mit Flugblatt-Aktionen, SIT-INS, progressiven Konzerten und Zeitungen das kulturelle Leben der Stadt Wiesbaden auf, ehe sie von dogmatischen linken Apparatschiks namens „Politzentrum“ unterwandert, indoktriniert und gespalten, Anfang 1973, kurz vor ihrer Anerkennung als „förderwürdige Jugendgemeinschaft“, den Geist aufgab.
In einer vor genau 30 Jahren erschienenen internen Dokumentation, die mir dieser Tage wieder in die Hände fiel, ist der Auf und Abstieg der Gruppe inclusive Namenslisten genau protokoliert. Startschuss für die Gründung war eine in der Rhein-Main-Halle stattfindende Messe bzw. Ausstellung für Jugendliche und junge Erwachsene Namens JUMA. „Die Kapitalisten produzieren nicht, um bestehende Bedürfnisse zu befriedigen, sondern um Profit zu machen“ heißt es da in einem Flugblatt mit der reißerischen Überschrift „Nieder mit dem Konsumterror“. Es wurde im März 1971 bei der Ausstellungseröffnung der JUMA verteilt und gefiel auch der linken DGB-Jugend, die gleichfalls gegen die Ausstellung Sturm lief. In einer Gewerkschaftszeitung findet die Aktionsgruppe Wiesbaden erstmals Erwähnung. Damals bestand die Gruppe nur aus fünf Gründungsmitgliedern.
Im September des gleichen Jahres blockierte die Aktionsgruppe Wiesbaden, die inzwischen mindestens 20 Aktivisten zählte und darüber hinaus eine Menge Sympathisanten mobilisieren konnte, den Eingang einer bekannten Tanzschule, um gegen „blinde Konsumhaltung“ zu demonstrieren. In einem lustigen Flugblatt wird vorgeschlagen selbst Feste zu organisieren und „Probleme zu diskutieren“. Resümee: „Helft den Herrschenden nicht beim Ausbau ihrer Macht über euch.“
Dass angesichts solcher naiver Parolen so mancher ehemalige Aktivist der Gruppe bereits 20 Jahre später 1993 bei einem Treffen in einer altgedienten Wiesbadener Szenekneipe keine Freudensprünge machte, ist verständlich. Die Dokumentation – In einer teuren Kleinauflage gedruckt - wurde nur zu zwei Drittel verkauft. Einige beschwerten sich über die darin befindlichen Mitgliederlisten. Immerhin befinden sich einige in Wiesbaden und sogar bundesweit bekannte Persönlichkeiten darunter wie zum Beispiel ein Fernseh-Schauspieler, ein Banker, ein ehemaliger Klinikchef, eine Psychologin, ein Kulturmanager, ein leitender Angestellter einer großen Zeitung im Rhein-Maingebiet, ein Musiker, eine renommierte Buchhändlerin usw. Erfahrungen haben gezeigt, dass jene, die damals lauthals Freiheit und Selbstbestimmung brüllten, heute sofort teure Abmahnungen verschicken, wenn sie sich in irgendeiner Weise in der Öffentlichkeit beleidigt oder in seinen Rechten verletzt fühlen. Ich werde also einen Teufel tun, und hier irgendwelche Namen preisgeben. Dass es die Gruppe gab, beweisen einige Zeitungsberichte und die Plakate der Veranstaltungen.
Unter anderem schaffte es den Gruppe den weltbekannten Jazzmusiker Albert Mangelsdorff nach Wiesbaden zu holen, der zusammen mit der Kraut-Rock-Jazz Band XHOL in der Wartburg ein unvergessliches Konzert gab. Weitere Konzerte mit den damaligen Gruppen Sixty-Nine, Cold Sun, Blues Experiment und anderen Lokalen Rockgruppen rundeten das Programm ab. Von dem Erlös finanzierte die Aktionsgruppe eine kleine Zeitung mit einer Auflage von immerhin 5000 Exemplaren. Der Denkansatz den jungen Menschen durch kulturelle, kreative Veranstaltungen eine Alternative zum drögen Konsumverhalten zu geben ist angesichts von Dauer-Smartphone-Netz-Konsum aktueller denn je.
Dass die Gruppe diesen Weg nicht weiter beschritt hatte zwei Gründe: Immer öfter tauchten auf den Versammlungen in einem Jugendzentrum am Elsässer Platz bärtige Alt-Achtundsechziger des „Politzentrums“ auf, die uns Jungspunden – wir waren damals zwischen 16 und 19 Jahre alt - in endlosen Theoriediskussionen klarmachten, dass wir noch eine Menge über Marxismus Leninismus lernen mussten. Allein 30 Seiten beschäftigen sich mit endlosen verquasten Diskussionen. Am Ende wurde sogar das Lesen von Karl Marx zur Grundvoraussetzung für die weitere Mitgliedschaft gemacht. Der zweite Grund: Angesichts dieses von außen in Gang gesetzten Prozesses begann sich die Gruppe in zwei Fraktionen zu spalten. Auch am Stuhl des Vorsitzenden, eines Gründungsmitgliedes, wurde fleißig gesägt. Am verhängnisvollsten war sicherlich die vom „Politzentrum“ betrieben Spaltung der Gruppe in Schüler und Lehrlinge. Dieser Prozess fand sogar Niederschlag in der örtlichen Lokalpresse, die bereits am 27. 5. 1972 mit der Überschrift „Der Aktionsgruppe geht die Puste aus“ den Anfang vom Ende protokolierten…
Sandkasten für spätere linke Machspiele
Unterm Strich betrachtet war die Aktionsgruppe Wiesbaden in ihrer zweiten Phase vor allem eins: Ein Sandkasten für spätere linke Machtspiele, ein Paradebeispiel wie Pioniere und Idealisten von ausgebufften Politprofis weggebissen werden, wie eine anfangs gute Idee am Ende pervertiert wird. Im Grunde genommen war die Aktionsgruppe wie der Mikrokosmos für das Scheitern jeder Revolution. Manche der Protokolle lesen sich wie Plädoyers von linken Rechtsanwälten, andere erinnern an Dokumente aus der DDR und Stalinzeit. Für mich war die Aktionsgruppe Wiesbaden der bittere Vorgeschmack für eine sich weiter nach links bewegenden Gesellschaft, die nur während der Kohl-Ära ein wenig ins Stocken geriet. Ganze sieben Jahre habe ich um Politik einen riesigen Bogen gemacht, um dann angesichts zunehmender Umweltprobleme 1979/80 als Gründungsmitglied der GRÜNEN einen neuen Anlauf zu wagen, der ebenso wie mein Spät-Achtundsechziger-Debüt tüchtig in die Hose ging. Mein längstes „Politisches Amt“ – also der dritte Anlauf – dauerte von 1990-1995, als ich auf Drängen vieler Kollegen für den Betriebsrat eines großen Sozialen Verbandes kandidierte und dort als Vorsitzender ähnliche Machtmenschen antraf wie in meiner Jugend, im politischen Sandkasten der Aktionsgruppe Wiesbaden. Heute fast 70 frage ich mich, warum ich mir immer wieder im Leben so etwas antue. Muss wohl an meinem Karma oder an meiner Himmelskarte liegen. Kleiner Trost: Wer in solchen Gruppen mitmischt, erlebt ein Stück Zeitgeschichte, hat im Guten wie im schlechten daran mitgewirkt. Damals wie heute gilt: Die Idealisten der Anfangsphase werden schnell ausgebootet. Egal in welchem politischen Lager jemand unterwegs ist.
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