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schmiddesign · 2 years ago
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Die Weihnachtsgeschichte
DIY Weihnachtsgeschichte – eine Bauanleitung:
Eine Geschichte geht so, dass darin irgendwer auftaucht, irgendwas geschieht und sich dann was entwickelt, oder auch so, dass etwas geschieht und jemand da ist und so kommt eins zum anderen und so entsteht eine Geschichte, die irgendwann zu Ende geht, genau dann, wenn man das Gefühl hat, dass sie fertig ist, weil sich dann eine innere Ruhe oder aber auch eine Ausweglosigkeit bei den Lesern oder Zuhörerinnen fest gesetzt hat, dass man sich von der Geschichte feierlich lösen will oder aber man sich aus ihrer Unerträglichkeit heraus lösen muss. Aber irgendwas bleibt trotzdem immer hängen von so einer Geschichte, was man dann den Rest des Lebens mit sich rumträgt.
Eine Weihnachtsgeschichte ist was Spezielles. Da ist immer ein bisschen Ungerechtigkeit, Einsamkeit, Herzenswärme und, um das auch besser erkennen zu können, ein wenig Grausamkeit mit drin, weil die Botschaft der christlichen Geschichte ja Armut, innere Werte, Glaube, Familie, Hoffnung, Treue und Gleichnisse für wichtiger hält als Vergleiche, Macht, Helden- und Reichtum, Ansehen oder Herrschaft.
Wenn ich nun eine Weihnachtsgeschichte schreiben wollte, dann würde ich zum Beispiel mit einer Einsamkeit und Ungerechtigkeit beginnen, die sich dann durch Herzenswärme in eine erlösende Wärme und Seligkeit verwandeln könnte. Aber natürlich ist die Handlung lange nicht alles. Es kommt schon auch auf das Milieu an ... Ein einsamer Panzerfahrer passt nicht so gut ins Weihnachtspersonal wie zum Beispiel eine arme, kranke und frierende Frau, über die man noch nicht einmal sagen bräuchte, dass sie einsam sei. Denn wenn sie das nicht wäre, so unsere Annahme, dann würde es ihr ja besser gehen. Jeder Leser, jede Leserin, denkt so. Denn alle wären sofort zu helfen bereit. Das ist ganz einfach in Geschichten; man denkt sich in Situationen rein und kann dann in Gedanken Gutes tun, das ist ganz einfach, weil in Wirklichkeit muss man ja gar nichts tun, man fühlt sich aber trotzdem besser. Tolle Sache und ein prima Konzept für den Weltfrieden, wenn wir so erfahren können, dass wir uns besser fühlen, wenn wir was Gutes tun! So gehen Geschichten. Das ist ihr Kapital. Und ihr Verhängnis.
Was für Geschichten soll man also an Weihnachten erzählen, die wirklich was nützen, in der Realität, meine ich, nicht nur in der Geschichte.
Ich versuche es mal: „Als Lionel Messi seine Triumphparade in Buenos Aires als Fußballweltmeister abbrechen musste, wusste er, dass er viele Menschen glücklich gemacht hatte. So glücklich, dass sie es kaum fassen konnten und tagelang feierten. Sie lachten, tranken, aßen, lagen sich singend in den Armen und tanzten und waren voller Hoffnung ...“ Stopp! Nein, das wird nichts, zu heroisch und gewollt!
Vielleicht so:
„Wie in jedem Jahr gibt es auch heute zum Weihnachtsfest bestimmt wieder Streit um irgendwas. Letztes Jahr ging es ums Essen, im Jahr davor um den Baumschmuck,... -  unvergessen ist das Weihnachtsfest, zu dem wir vergaßen Tante Marlene einzuladen, sie ist seitdem nicht wieder gekommen. Und irgendwie warteten wir an Weihnachten alle, dass sie irgendwann tot sein würde, damit wir ihrer Vergessenheit nicht mehr gewahr werden mussten. Aber davon traute sich keiner anzufangen. Ich auch nicht ... Oder vielleicht doch, heute?“  Nein, auch zu gewollt, und ohne die einzelnen Figuren vorzustellen, ..., das würde zu lange dauern und wäre eher ein Theaterstück ...
Ein letzter, eher klassischer Versuch:
„Während hinter allen Fenstern Lichter und Kerzen brannten, Kinderaugen leuchteten und festliche Tafeln geschmückt waren, ließ Freddy seine Beine vom Brückengeländer baumeln und es darauf ankommen, ...  Er hatte noch drei Zigaretten, die wollte er auf gar keinen Fall ungeraucht zurücklassen. Dass er fror, spürte er nicht mehr. Er dachte nur noch an sein Dreizigarettenpfand. So banal kann Hoffnung sein ...“ Zu offensichtlich!
Zu allerletzt: „Ich starre die weiße Wand an und denke, schön, dass sie nicht schwarz ist, das wäre irgendwie zu negativ, aber weiß ist trotzdem nicht heiter, was also tun? Bunt malen? Nein, auf keinen Fall, sonst müsste ich ja aufhören zu starren und dabei könnte ich auch gar nicht mehr schreiben. Man kann nicht schreiben und malen, nur entweder oder, gut, man kann schreibend malen oder malend schreiben, farbig und blumig denken und formulieren und so weiter, aber so wird lange keine Weihnachtsgeschichte draus ... Aber irgendwie könnte die hier auch einfach abbrechen und als Anregung zum Schreiben einer eigenen Weihnachtsgeschichte stehen bleiben ...“ So mach ich’s!
Viel Freude beim Selberschreiben ...
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schmiddesign · 3 years ago
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Der Wrap
Coronakulinaristik
Leider kann ich, wie so Viele derzeit, pandemiebedingt, eine meiner Nebentäigkeiten nicht ausüben. Ein Lock- oder Shutdown, wie auch immer man die Schließung von Ausgängen und Zusammenkünften graduell benennen mag, bedeutet die Aussetzung der Gastronomie. Das ist nicht nur deshalb brutal schädlich, weil Gastlichkeit in jeder Form eine Grundlage des gegenseitigen Verstehens und damit unsere menschliche Grundordnung bildet, sondern auch deshalb, weil man zurückgeworfen wird auf den eigenen kulinarischen Horizont, der eine Mischung aus Kochvermögen, kulinarischer Neigung, aktueller Fressideologie, Nahrungsmittelbeschaffung und Selbst(ver)achtung ist.
Als Restaurantkritiker bin ich bemüht, keine Mühe zu scheuen, meinen Hang zu Käse, Schokolade und Nüssen zu kontrollieren, transideologisch und -kulturell zu kochen und ein wenig auf meine Körpersilhouette zu achten.
Und doch suhle ich mich, wollustig wie eine Sau im Schlamm, immer wieder gern und glücklich in gut gekellerten Burgunderweinen aus besten Lagen und in Würde unter den Händen von Traditionalisten gereiften Käsesorten.
Aber wer seine Lebensumstände ändert, ändert meistens und schleichend auch sein Aussehen und Gewicht, weil der Körper nun mal zeigt, wer, was und wie wir sind und leben. Um so zu bleiben wie man war, als alles noch „normal“ war, muss man aktiv arbeiten, genauso wie daran, dass es normal sein muss, dass alles unnormal ist. Aber darum soll es hier nur am Rande gehen.
Ich habe eine kulinarische Erfahrung gemacht, gegen die ich mich schon seit Jahren gewehrt hatte. So wie sich meine Eltern gegen Hamburger (Mit den Händen? Unessbare Sauerei!), Pizza (Hefeteigling mit Resten!) oder Spag(h)etti (Warum macht man Nudeln so lang, wenn man sie dann wieder klein schneiden muss?), so habe ich mich gegen den Wrap gewehrt (Erstens weiß man ja nicht was drin ist und man kann ihn weder würdevoll anbeißen, noch traditionell mit Besteck essen!). Außerdem dachte ich bei Wrap zuerst an Verpackung, die man ja nicht mitisst, auch an Kunst, an Christo,  den Reichstag, Jeanne-Claude, den Pont Neuf, den Lago d’Ideo und so weiter .... , an die Kunst der Verhüllung eben, an die Kunst oder die Zauberei, das Anwesende abwesend zu machen, oder anders anwesend zu machen, so dass man nicht mehr weiß, ob, dass und was etwas ist. Die Verpackungskunst Christos hat mich immer an Kinder erinnert, die sich verstecken, indem sie die Hand vor die Augen halten und davon ausgehen, dass sie damit unsichtbar sind für die Sucher. In dieser Handlung steckt das ganze Verständnis von Christos Verpackungskunst. Die Dinge bekommen durch die Verpackung nicht nur im Wortsinn eine andere Äußer- und Innerlichkeit, so wie das Kind, das sich mit der Hand vor Augen versteckt. In Bemerken und Zeigen der Verschwindbarkeit wird die Anwesenheit erst ganz und groß.
So könnte man erklären, warum der kulinarische Wrap so beliebt geworden ist. Damit, dass er in seiner verhüllungstaktischen Anonymisierung die Größe und Verheißung des Ungewissen oder vielleicht sogar ein Geheimnis offenbart. Erst ein kühner Schnitt durch die Mitte des wülstig-wurstig geformten Wraps zeigt sein Inneres, wobei die Schnittflächenbilder das Schönste bilden. Ein diagonal aufgeschnittener und um 30 – 70 Grad zueinander aufgespreizter Wrap offenbart die ganze Verheißung seines Innenlebens; bunt, abstrakt und polymorph, feucht und glänzend, ein Fest der sinnlichen Verheißung als Bild. Es ist müßig, hier die Palette sexueller Anspielungen und Revolutionen zu vertiefen, etwa dass aus einem zerstörten phallischen Gebilde eine zweischenklige Öffnung ... und so weiter. Aber es soll ja niemand sagen, man hätte es nicht bemerkt oder gesehen. Genauso wurde der Hamburger als in seiner Form, Wärme, Weich- und Nahrungshaftigkeit der Mutterbrust ganz nahe gesehen. Seitdem ich das gelesen hatte, lege ich, wenn ich einen Hamburger esse, meine Hand drauf, um das zu überprüfen – aber muss man alles unter die Gürtellinie ziehen und mit Worten und Reflexionen vertiefen, was man früher in drei bis fünf, heute nicht mehr korrekten Worten, über den Schulhof gebrüllt und aufs Klo gekritzelt hat. Und, ach Gott, muss das überhaupt sein: diese Interpretationen!? Irgendwie schon, denke ich, denn da ist ja auch immer was dran. Essen ist nun mal auch eine zentrale Lustquelle unseres irdischen Daseins.
Zurück zum Wrap, für den ich mich zu alt fühle. Seine Form ist uns aus vielen Regionen bekannt, der orientalischen oder mexikanischen Küche etwa, und hat eine internationale Fusionsküchenkarriere gemacht, so dass der Wrap sowas wie das Chilli con Carne(, das es vor der Jahrtausendwende auf fast jeder Party gab,) der Generationen X-Z geworden ist. Von außen sieht jeder Wrap gleich aus, innen aber ist er einmalig, enthält und verhüllt er Geschmack und Ideologie seiner Esser*innen.
Die Uniformisierung qua Wrap verschiebt die Kommunikation über das Essen nach innen. Denn man sieht nicht, was der andere in seinem Wrap hat. Was einst immer sichtbar auf dem Teller war, eine Offenbarung des Appetits und der Essgewohnheiten, der Gesinnung, Religion und des Standes, der Küche, der Felder und Stallungen, kurzum, ein Diskursangebot, wird beim Wrap verhüllt,ist Privatsache und -meinung geworden und wird ungesehen direkt in die blickdichte Körperhülle (Bodywrap) verbracht. Achtung Interpretationsansatz: Der Rückzug aufs Subjekt ist eine Farce und Ausdruck einer gestaltungsunfähigen Gesellschaft geworden. Das Innere ist argumentationslose Meinung und Weltanschuung, außen aber, da wo die Schnittstelle zu den anderen ist, das, worüber zu reden wäre, ist nichts als eine austauschbare Uniform. Die wahlweise weiche oder auch ledrige Wrap-Haut ist alles – und nichts. Sie ist glatt und  global.
Der Trend der (innerlichen) Individualisierung und. Vertuschung des Essens hat sich schon lange abgezeichnet. Über die Bestellung eines Subway-Sandwiches wurde schon viel geschrieben. Die Anzahl der Entscheidungen, die man treffen muss, bevor man ein Sandwich bekommt ist so exorbitant hoch, dass ich Leute, die bei Subway Sandwiches kaufen, grundsätzlich für übertrieben kompliziert halte. In der Dönerschlange dauert es heute auch noch um Mitternacht länger, weil selbst Volltrunkene noch Sachen wie „Mit ohne Zwiebel, sonst aber alles außer Tomate, mit viel Extrascharf und weiße Soße zuerst“ lallen können.“
Mit anderen Worten: Die konsumistische Individualisierungsillusion findet nicht nur zunehmend am Clickportal der virtuellen Kaufhäuser statt, sondern auch an den Freßtheken und in den radelnden Fresswürfeln.
Nach außen aber sind sie alle gleich, die Döners, Wraps, Burgers und Pizzen, Der Pizzakarton gehört schon zum Straßenbild wie das Smartphone, die Designertrinkflasche und Kaffeebechereien.
Der Satz „Schmeckt gut, findest du auch?“ weicht dem Satz: „Meins ist lecker, deins auch?“ -Nochmal: Subjektivismus als Farce!
Mein Wrap übrigens war lecker, die jeweils ganz anders gefüllten meiner Kinder auch. Toll: Allen schmeckt was anderes gemeinsam. Aber ich vermisse beim Wrap, dass man nicht gemeinsam an einer Sache sitzt, sondern jeder bei seiner eigenen. Wie lange es das Wort Eintopf wohl noch gibt!?
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schmiddesign · 3 years ago
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schmiddesign · 4 years ago
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Taxi oder Schirm?
Und es war gut.
Eine einfache Frage, a simple question, very easy, mach einfach, wie du willst, du bist dein eigener Chef, und deine eigene Chefin, wenn du willst,  kannst alles selber entscheiden, frag nicht, mach einfach, am Ende zählt eh, was du getan hast, zählen die Taten und nicht die Zweifel, zählt das Zählbare, logisch, und nicht die Idee, vergiss das mit dem Überlegen, Grübeln, Hinterfragen und Rumeiern, pack das Ding bei den Dingern und zieh los, zieh über Los und hol, was dir zusteht, bevor sonst wer das nimmt, was dir, nur dir gehört, weil du und nur du bestimmen kannst, was Sache ist, weil niemand so gut über dich Bescheid weiß wie du selbst, weil niemand weiß, was aus dir alles raus und was wirklich in dir drin, ich mein ganz tief und richtig in dir drin ist, nur du kannst das rausholen und ganz groß zu deinem eigenen, persönlichen, individuellen und einzigst einzigartigen, logischen, Ding machen, ...  
Das war so ungefähr, was ich - keine Ahnung warum!! – dachte, als beim Heraustreten aus dem Bahnhof ein Regen losprustete und ich kurz überlegte, ob ich ein Taxi nehmen oder einen der Billigschirme kaufen soll, die an jedem Regentag schon feil geboten werden, bevor auch nur ein Tropfen die Wolke verlassen hat. Ich war nicht allein. Der Run auf die Taxis war so als wären sie Kutschen ins Paradies.  Und die Schlange am Regenschirmstand war supermarktkassenlang. Die Menschen hatten es eilig. So als hätte der Regen die Zeit gedrängt oder verknappt, so, als hätte er das Leben beschleunigt. Er prasselte herrlich das Prasseln des himmlischen Überflusses, der göttlichen Quelle des Lebens und seiner reinen Freude. Ich stand im Regen und er war um mich herum. Er bemerkte mich nicht und prallte dennoch an mir ab. Die Straßen waren voller großer und kleiner Pfützen und ich sah, dass keine Straße und kein Weg so glatt und eben war, wie sie sonst zu sein vorgaben. Und wenn wer durchfuhr gab es Fontänen und Wellen zu den Kreisen der tänzelnden Tropfen. Zwischen mich und den Himmel war ein Wasserfall getreten, der alle Ansichten wegspülte und Zeit und Raum so nervös machte, dass alle Pläne geändert wurden.
Und als alles vorbei war, die Straßen glänzten wie Pferdepopos und aus den Pfützen Spiegel geworden waren, der Himmel wieder Struktur, Farbe und den richtigen Abstand zum irdischen Geschehen hatte, stand ich vor meiner Tür und es ging mir wie allen Menschen, die feststellen mussten, dass ihre Pläne gar nicht so wichtig sind. Ich hatte weder Taxi noch einen Schirm und war gedanklich ganz frei, nach Genesis 1,18, und im nun fließenden Verbund mit dem Himmel sah ich, dass es gut war.
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schmiddesign · 4 years ago
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Let’s dance ...
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schmiddesign · 4 years ago
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Das Low
Das Low
Distanz und Design
Alles nicht neu und ein bisschen volkstümlich baudrillardmäßig, aber zu erinnern und zu bedenken nicht unwichtig:  
Immer öfter begegne ich mir, selbst auf Toiletten, auf eine neue Art selbst - auf eine entfremdende neue Art!
Dabei ist der Gang zur Toilette – und ich will hier beileibe nicht fäkalwollüstig, ja, noch nicht einmal fäkalästhetisch werden – ein Toilettengang ist immer ein vertieft selbstwahrnehmender, ein Toilettengang ist eine besondere Form der Selbsterfahrung, wo ein Sich-Einlassen (auf die Situation und in den Kloraum), ein sich Vorbereiten (Ausziehen), ein Sich-Anfassen (Hinterlassungsposition einrichten), ein Sich-Trennen (Aussscheiden), Sich-Reinigen (Reinigung und Pflege der Ausscheidungsorgane), Sich-Aufrichten (Herstellung der Stand- und Gangbarkeit), die Rückeroberung der Handlungsfähigkeit (Händewaschen, Frisieren und Kleider ordnen) und schlussendlich die Auslassung, das Heraustreten in die Gemeinschaftsräumlichkeiten. Zusammengefasst: Ein Dramolette, das einem Festmahl in nichts nachsteht.
Denn ohne einander, ohne Nahrungsaufnahme und die Trennung von unmittelbar und mittelbar Verwertbarem, ist der tägliche Stoffwechsel weder zu beschreiben, noch zu begründen.
Die Toilette ist nun mal die Gegenräumlichkeit oder der funktionale Antipode zum Speisesaal. Zusammen bilden sie die Einheit von Aufnahme und Entlassung, dazwischen wird mehr oder weniger sinnvoll getrennt.
Genauso bilden Schlafzimmer zum Wohnzimmer Antipoden und gehören zusammengedacht. Privates und Öffentliches stehen sich da gegenüber; im Wohnzimmer werden Gäste empfangen werden, im Schlafzimmer sind hauptsächlich die darin Wohnenden, um dort privat, nachgerade intim werden. Im Wohnzimmer oder Salon wohnt das Gespräch, im Schlafzimmer der Traum; anders gesagt, gilt im Wohnzimmer das Gesagte, im Schlafzimmer das Gefühlte, oder auch so: im Wohnzimmer der Geist, im Schlafzimmer bevorzugt Körper und Seele.
Hier wie da, bei der Nahrungsaufnahme wie bei der Rekreation durch Schlaf und Fortpflanzung, hier wie da, beim kleinen Kreislauf der täglichen Ernährung, Kraftschlafen und beim großen Kreislauf der (Re-) Generationen, stehen sich privatere Räume (Klo und Schlafzimmer) und öffentlichere (Speisesaal und Salon) gegenüber.
Leider - und allein deshalb verbrenne ich dafür so viel Erklärholz - kommt deren Gestaltung eine zunehmend mittelbar technisch-monokulturelle Ausdeutung und Aushöhlung zugute und nicht die ihr gebührende und angemessene körperliche, soziale, private, öffentliche, intime und funktionale!
Immer mehr Klos zum Beispiel werden zu Low Contact Klos, was viele begrüßen, weil jeder kennt ja eklige Klos. Und man soll ja nichts anfassen! Aber ob das, was ich erlebt habe, dabei hilft, oder einen neuen Ekel vor einer Art funktionaler Sterilität hervorruft, weiß ich nicht. Neulich, in Berlin, in einem Café, war ich auf Klo, ohne was zu berühren. Allein die bekleidungstechnischen und nicht delegierbaren körperlichen Angelegenheiten musste ich selbst klären. Aber sonst: Die Toilettentür öffnete sich von alleine, so wie wir das aus modernen Zügen zwischen den Abteilen kennen, so wie wir das als Kinder seit der ersten Folge von Raumschiff Enterprise (wo nab offenbar keine Toiletten brauchte) uns erträumt haben. Sowohl die Spülung als auch der Wasserhahn gingen von alleine los, die Hände trocknete ich in einem der modernen Luftstrahltrockner, in die man seine Hände, leicht gebeugt, in einem Schlund versenkt, was ein wenig unwürdig ist (Vor dem klassischen Handtrockner konnte man wenigstens noch aufrecht stehen!). Beim Austreten begegnete mir wieder die Tür, die immer dann verschwand, wenn ich kam. Wie sie aussah? Keine Ahnung, denn ein Blick auf sie genügte und sie verschwand. Was ich hier beschreibe, ist bekannt. Es ist nur ein Baustein für eine Welt, in der körperlicher Kontakt immer abstrakter wird und in der damit auch die Einflussnahme schwindet. Wer kann heute noch seinen Motor erkennen und ggf. Zündkerzen wechseln oder dergleichen. Der Motor ist eine High-Tech-Kiste geworden, der von anderen blockhaften Geräten ausgelesen wird. Schon lange fehlt mir die Rückmeldung auf Türöffnungsknöpfen (Darf man sie überhaupt noch Knöpfe nennen?) in Bahnen. Man berührt sie, wenn sie leuchten und piepsen, was bedeutet, dass sie aktiv sind, sie geben ihren produktiven Berührungszeitraum preis - der Knopf ist sozusagen temporär fruchtbar, während er piepst und blinkt. Aber selbst wenn man ihn berührt, gibt er nicht nach, er bleibt eine glatte Oberfläche, an denen sich mein Finger platt drückt. Und meine Fingerabdrücke scannt? Unter dem Vorwand, während der Bereitschaft die Tür zu öffnen?
Ich empfinde das als einen Betrug an meinem Körper.
Der Übertritt von einem Raum in einen anderen ist eine vor allem körperliche Erfahrung, deren technische Bewältigung mit dem passiven Flachknopf vollkommen abstrahiert ist. Ein Entrée wie zum Beispiel das Eintreten in einen Bahnhof, eine Stadt, ein Theater oder das Heraustreten wird nicht mehr angemessen und würdevoll thematisisert, durch Türen und Tore zum Beispiel, die ankündigen, einladen und hinübergleiten lassen. Rammbock sinnlos. Vorbei sind auch die Zeiten, als Otl Aicher noch ergonomische Kategorien für zum Beispiel die Betätigung von Türgriffen in Daumenbremse, Zeigefingerkuhle, Greifvolumen und Ballendruckfläche einteilte, um die Physis des Körpers angemessen auf die Physis der Dinge übertragen zu können. Um der Notwendigkeit der Raumtrennung und der Möglichkeit des Übergangs von einem in den anderen Raum ein gutes Gefühl, ein Handwerkzeug zu geben, das die Beziehung der Räume zueinander verständlich und greifbar macht und die Handlung des Übertretens selbst in die Hand legt. Aber immer häufiger bleiben wir vor Türen stehen, weil wir nicht wissen, was sie tun. Es ist ein bisschen wie in einem Restaurant, in dem man zuerst nicht weiß, ob man bedient wird, oder sein Zeug am Tresen holen muss. Ja, das Interface der Tür ist ein schnöde geworden und kaum noch von einem Tablet zu unterscheiden, genauso wie das Telefon, Kochbücher, Temperaturregler, Rolladenriemen und Plattenspieler.
Anstatt uns die widerständige Welt mit allen Sinnen spüren zu lassen, geht sie Distanz zu uns. Sie ist Brett geworden. Ist das nun Fortschritt oder Rückschritt, oder beides, weil Fortschritt immer auch Rückschritt und Rückschritt immer auch Fortschritt ist ....
Gerade fallen mir dazu noch die Hoteldrehtüren ein ... Wären sie nicht allesamt aus Glas, kein Mensch würde je so eine Tür benutzen!
Und die Warentrenner auf den Kassenfließbändern, die es ermöglichen, Waren zu scheiden, ohne reden zu müssen. Sie trennen nicht nur Waren, sondern auch Menschen voneinander!  
Zurück zum Klo, wo die Einheit des Körpers mit seiner Umgebung eine weitaus dramatischere Rolle spielt, denn während der Übergang von einem zum anderen Raum meist ein freiwilliger ist, so ist der Gang zum Klo oft ein notwendiger. Seltsamerweise führt das Notwendige besonders oft zur Missachtung. So sind Toiletten, Kantinen, Schulen und Bushaltestellen meistens achtlos und weltverachtend hässlich. Und Yachten und Salons hingegen meistens paradiesgleich sorgfältig und liebevoll gestaltet (zumindest aufwändig).  
Das weltferne und kontaktlose Zeitalter hat längst begonnen, im Grunde mit der Erfindung der Werkzeuge, in meiner Generation zum Beispiel mit dem Verlust der Wählscheibe, dem Schubladenautomat, den Türgriffen, den elektrische Fensterhebern und Rolläden, mit dem kontaktlosen Zahlen und der uniformen tabletartigen Bedienungsoberfläche aller technischen Geräte, wo jegliche Verbindung zur Welt Interface und jeder Vorgang im Grunde unbekannt geworden ist. Und natürlich beinhaltet das auch den Kontrollverlust, der durch hysterische Versicherheitlichung, Angstszenarien und Kameraüberwachungen, kompensiert wird.
Aber das ist Kulturbashing und lässt ja aus, dass wir bald AIDS und Krebs heilen können, dass wir in paar Jahren tatsächlich mit Lufttaxis umherschwirren und so weiter ...
Aber auf dem Klo hört die Weltentfernung auf. Wenn die Scheiße das letzte ist, was mich noch physisch mit der Welt verbindet, und das wollte ich nur sagen, dann ist mir das schlicht zu wenig, weil einfach nur Scheiße!
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schmiddesign · 4 years ago
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schmiddesign · 4 years ago
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Vom Verlieren
Verlückungen
Vom Verlieren
Ob man verlieren kann, was man nicht hat, weiß ich nicht. Ob sich das Verlieren von was nur Ersehnten anders anfühlt als das Verlieren von etwas nur Gehabtem, weiß ich auch nicht. Aber es gibt da ja Unterschiede. Am Ende aber, glaube ich, verliert man, so oder so, man verliert, ja, egal, ob man was Gehabtes, Gewünschtes, Gehabtes und Gewünschtes oder was Gespieltes verliert. Zwar ist einen Menschen zu verlieren was anderes als ein Fußballspiel oder die Hoffnung auf etwas zu verlieren, aber am Ende verliert man eben trotzdem nur. Und das, obwohl niemand was nichts und nie verlieren möchte. Verlieren ist ein wenig wie Sterben, niemand will es, alle tun es und viele versuchen trotzdem alles, um es zu verhindern.
Um diesen Teufelskreis durchbrechen zu können, ist es hilfreich, das Verlieren gut und rechtzeitig zu lernen ...
Und das geht so:
Erstens, sollte man das Verlieren loben, weil es die Lücke schafft, die Abstand zwischen mindestens zwei Sachen hält, die man daher voneinander besser unterscheiden kann und nun, im neuen Bilde, neu gesehen werden kann. Das Erkennen und Überdenken von Lücken ist sinnvoll, weil es die Übung der Vorstellungskraft ungemein reizt und neue Verbindungen und Verlückungen aller Art zulässt.
Zweitens sollte man das Verlorene loslassen. Denn alles Verlorengegangene hat ein Anrecht auf Autonomie (Und ist vielleicht auch geflüchtet?). Dass wir es uns derart zugeordnet sehen, dass wir es als Verlorengegangen betrachten, zeigt nur, dass wir über etwas herrschen wollen. Mit umgekehrt gedachten Worten: Wer loslassen kann, kann auch nichts verlieren. Die Frage, ob man denn überhaupt lieben könne, ohne je etwas verlieren zu können, lautet unbedingt Ja, das weiß ich ganz gewiss, genauso wie ich ganz gewiss weiß, dass ich nicht weiß und niemals wissen werde, wie das gehen soll.
Drittens sollte man auf das Verlorene gut aufpassen. Ja, denn was nicht mehr da ist, braucht eine besondere Art der Fürsorge, eine Art gedanklicher Überweisung auf das Konto der Hoffnung und Erinnerung, mit der Ungewissheit über das Wie und Wo des Wegs(eins).  
Viertens sollte man das potenziell Verlierbare schätzen, solange es im Zustand des Unverlorenen ist, schlicht weil Geschätztes länger unverloren bleibt als Ungeschätztes. Alles, was da ist, ist Unverlorenes!
Man sollte sich fünftens unbedingt nicht zu viel Gedanken über das Verlieren machen, sonst verliert man leichter. Da kannst du jeden Fußballer fragen!
Ein Sonderfall ist, wenn man sich selbst verliert, was man ja auch als Selbstverlorenheit bezeichnet, was einerseits meint, dass jemand in irgendwas sehr vertieft ist und dabei nicht mehr ganz da ist, wenn jemand ganz nah bei was und dennoch weg ist, was widersprüchlich und zugleich auch logisch ist und außerdem sehr schön sein kann.
Selbstverlorene Menschen erkennt man daran, dass sie absichtslos irgendwo und auch irgendwann sind. Jeder ist manchmal selbstverloren, steckt also ohne Absichten im Zeitloch fest. Man merkt es kaum, was sich aber trotzdem sehr lebendig anfühlt. Meistens wird man aus der Selbstverlorenheit gewaltsam herausgeführt und zurück an Raum und Zeit gekettet sowie an Dinge, die scheinbar zu tun sind.
Übrigens kann man, klar, Sachen kaufen, so richtig für immer besitzen aber kann man sie aber nicht, weil alle käuflichen Sachen entweder verbraucht werden oder uns überleben.
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schmiddesign · 5 years ago
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Traum Nummer Sieben
Traum Nummer Sieben
Ich weiß nicht mehr, wann ich angefangen habe, meine Träume zu beziffern. Ich vermute aber, dass es zu einer Zeit war, in der die Dinge nicht gerade gut liefen.  Denn ich glaube, dass man Sachen dann eine Nummer gibt, wenn man sie weniger wertschätzt und vielleicht sogar loswerden will. Sachen, die ich mag, haben nämlich Namen und keine Nummern. Bei Ungeliebtem hilft so eine Anonymisierung mit Ziffern, Nummern oder Zahlen ganz gut. Sie schaffen Ordnung, ohne was zu erklären. Die Sachen werden meistens mit einer (laufenden) Nummer in eine lineare Zeitschiene eingeordnet. Okay, es gibt auch schlaue Nummern, wo jede Ziffernstelle eine bestimmte Aussage über Ort und oder geheimnisvolle Art von dem zu nummerierenden macht, so wie Personalausweis-, Sozialversicherungs- oder ISBN-Nummern. Da machen sich die Zahlen dann schlauer als sie eigentlich sind. Oder aber so, dass Nummern zu Legenden werden, wie die Nummer 10 im Fußball, die nur die Chefs tragen: Matthäus, Messi, Netzer, Neymar, .... Früher konnte man auch noch die Position ablesen, 5 Libero, 4 Vorstopper usw. Und es gibt Geschichten dazu: Michael Jordan hatte die 23, weil sein Bruder die 45 hatte und er sich für halbsogut (22,5, aufgerundet 23) hielt. Mythen! Richtig gut finde ich Wartenummern, die man von Rollen abreißen muss oder die aus geheimnisvollen Kästen beim Berühren ausgespuckt werden. Wenn die Leute dann beim Warten alle dasitzen und auf ihre Nummern starren und beim Aufrufen oder Aufleuchten oder Gong machen der nächsten Nummer immer wieder die eigene Nummer mit der ausgeleuchteten oder ausgeläuteten vergleichen, da sieht man dann, wie wenig die Leute den Nummern im Grunde vertrauen. Sie überprüfen sie ständig. Dabei ist es ganz einfach, auch für Non-Nerds, sich für eine Weile eine eins-, zwei- oder auch mal dreistellige Nummer zu merken. Aber niemand möchte gern eine Nummer sein. Denn nur eine Nummer sein ist fast wie Niemand sein. Außer Nummer eins natürlich - Weil das ganz vorne meint, am Anfang, als Erstes ... You are my number one ... texten die Popnärrischen ziemlich oft. Ich weiß niemanden, der singt Du bist Nummer 2, 3 oder und so weiter. Und natürlich gibt es auch Lieblingszahlen und Symbolzahlen wie die 7, wegen der Todsünden Tugenden und weil sie aus der geistigen Welt, der Dreieinigkeit und der realen Welt , die aus vier Himmelsrichtungen und so weiter zusammen alles geistige und Weltliche ergibt und jeder hat da auch so seine Privattheorien. Ich wunder mich zum Beispiel sehr über die Rolle der 3 in meinem Leben. Sie taucht extrem oft, sozusagen subjektsymbolisch, auf, aber daran kann man nur erkennnen, dass wir das nicht aushalten, wenn Nummern einfach nur Nummern sind und das machen, was sie gut können: gefühlskalt und gedankenleer Ordnung schaffen. Mit anderen Worten: Nummern sind sinnfrei.
Ich führe das alles nur deshalb aus, weil mein Traum Nummer Sieben wirklich nur eine banale Ordnungszahl hat. Wie diese Ordnung zustande kam, würde jetzt zu weitgehen. Aber die Sieben in Traum Nummer Sieben bedeutet wirklich nichts, außer, dass es in meinem Leben nur einen Traum gibt der Nummer Sieben heißt und den ich tatsächlich wie viele andere Träume mit einer Nummer sozusagen an die Leine gelegt habe, weil er mich irgendwie verunsichert hat. Natürlich erzähle ich den Inhalt von Traum Nummer Sieben nicht. Denn Träume teilt man nur mit Menschen, mit denen man auch das Bett teilt und aus einem Teller isst oder so ähnlich und ich weiß nicht, ob uns das die Sache wert ist. Träume sind nun mal eine persönliche innere Angelegenheit, die man nicht so einfach auf die Straße wirft. Träume herumerzählen ist so, als würde man vor allen Leuten seine Verdauungsgeschäfte erledigen. Wie gesagt, Träume sind nun mal persönlich und innerlich, auch Traum Nummer Sieben, denk dran!
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schmiddesign · 5 years ago
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Einseidung
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schmiddesign · 5 years ago
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Wie man gutes Design erkennt ...
Wir können das ganz kurz machen und einfach sagen, dass man ein gutes Design daran erkennt, dass es sich gut verkauft. Umgekehrt wäre dann schlechtes Design eines, das sich schlecht verkauft. Die Anhängerschaft dieser Sichtweise ist prominent und groß. Sie ist der Meinung, dass Design anderen helfen soll, mehr Geld zu verdienen, um daran mitverdienen zu können und dass darin das Wesen von Design liege.
Aber liegt Design allein in der Unterwerfung unter das Diktat der Ökonomie?
Wenn ja, wäre Design unmündig. Außerdem könnten
Ökonomen Design die Schuld an schlechten Verkäufen geben, was absurd wäre, weil es eben die Aufgabe der Ökonomen ist, Geld zu verdienen, und es wäre nicht fair, dass wenn es finanziell bei denen nicht läuft, Design die Verantwortung dafür gegeben würde. Das wäre, umgekehrt betrachtet, so, als würden Designer behaupten, dass an schlechter Gebräuchlichkeit oder Hässlichkeit die Banken Schuld hätten. Das könnte ja auch niemand verstehen. Einmal abgesehen davon also, dass allein wirtschaftlicher Erfolg kein Kriterium für gutes Design sein kann, weil Design sonst überflüssig wäre, weil es wirtschaftlichen Erfolg immer auch so gibt, muss man sich fragen, was denn dann als Kriterium für gutes Design dienen könnte.
In Frage kämen Begriffe, die dem Design kreatürlich innewohnen und die Gestaltung betreffen: Schönheit, Nützlichkeit, Nachhaltigkeit, praktisches Funktionieren und vielleicht auch ein bewusstes Verhältnis zwischen Form und Inhalt. Ja, darum geht es, hört man oft, und zwar um alles zusammen und obendrauf natürlich auch darum, dass es sich verkauft, denn der Markt balanciert das alles aus. So könnten künstlerische, soziale, technische und ökonomische Aspekte in eine Bewertung von Design einfließen. Ist gutes Design also etwas, was schön, nützlich, praktisch, ökonomisch und ökologisch ist?
Stellen wir wieder einmal die Umkehrfrage. Ist ein Design, das wenigstens eines oder zwei dieser Kriterien nicht erfüllt, dann schlechter, als wenn es alle diese Kriterien erfüllte?
Auch dieser Auffassung, dass gutes Design schön, nützlich, ökonomisch usw. sein muss, kann man nicht uneingeschränkt zustimmen.  Denn die einzelnen Aspekte können nicht nur, sondern müssen sich sogar manchmal widersprechen. So kann nicht nur der Preis das Material beeinflussen und die Konstruktion das Aussehen belasten, die Ökologie den ökonomischen Zielen schaden und umgekehrt. Vor allem schließt sich Schönheit in der allgemeinen Bemessung selbst als Maßstab aus, weil Schönheit schwerlich allgemein, sondern immer auch im Geschmacklichen zu fassen ist, in dem, was gefällt. Und in geschmacklichen Dingen gilt es schlicht, den Menschen kein Maß vorzuhalten!
Natürlich kann man (und sollte unbedingt vermehrt) geschmackliche und ästhetische Erziehung betreiben, was aber auch nicht zu einer Vereinheitlichung, sondern zu einer Vervielfachung des Geschmackes führt. Es ist das modisch allgemeingeschmackliche, das uns nahelegt, dass die Menschen keinen Geschmack haben, sonst würden sie ja selbst einen kreieren und müssten sich nicht ständig einen neuen ausleihen.
Geschmackserziehung kann aber nie etwas anderes sein, als das Erlernen spezifischer Kritikfähigkeit, also die richtige Mischung aus Wissen, Können, Erfahrung und Urteilskraft ins Leben und seine Gestaltung hineinzutragen. Das Resultat wäre dann aber, wie gesagt, keine Einheitsvorstellung von gut und/oder schön, sondern eine Vielfalt. Und da beißt sich die Katze in den Schwanz; denn wenn wir der Frage nachgehen, wie man gutes Design erkennt: dann nämlich, wenn wir uns fragen, wie man etwas für gut befinden soll, das in sich selbst nichts Messbares, vielmehr eine nicht messbare Vielfalt als Eigenschaft in sich trägt?
Und trotzdem können wir das. Wir können gutes Design von schlechtem unterscheiden, weil wir eine Einheit in der Vielfalt bilden, besser gesagt, weil unsere Vorstellung von Einheitlichkeit in der Vielfalt gründet – im künstlerischen, handwerklichen, materiellen, technologischen, industriellen, im medialen und ästhetischen, im sozialen und ökonomischen Verständnis von Design. Das wird schon im Wort Design klar, das schon als provozierender Kollektivsingular auf die Welt kam, ohne je im Plural existiert zu haben. Denn alle wissen, ohne es zu sagen, dass wir eigentlich immer von Designs(!) reden, wenn wir Design sagen. „Das Design“ als verbindlichen und quasi institutionellen Begriff gibt es einfach nicht, auch wenn er (auch hier) gebräuchlich ist.
Design(s) bildet(n) ab, was eine Gesellschaft ist; in einer Demokratie ist das eine Vielfalt als Einheit und keine Vereinheitlichung von Vielfalt als Einzigartigkeit, wie in totalitären Systemen. Genauso wie eine Gesellschaft mit nur einem und immer auch ausgrenzenden Thema das Prinzip der Vielfalt als Bedingung für eine Demokratie nicht verstanden hätte, so wäre auch ein Designverständnis ein sinnloses, wenn es sich der Vielfalt der Sicht- und Herangehensweisen nicht selbstverständlich so nähern würde, dass es Teil einer Vorstellung von Gemeinsamkeit ist, in welcher Andersheiten und Vielfalt logischerweise die Bedingung und nicht die Bedrohung für die Einheit sind.
Die Einheit ergibt sich aus, in und durch Vielfalt. So ist das im Leben. So ist das auch im Design, weil es sich der Vielfalt der praktischen und ästhetischen Lebensformen widmet.  
Wie erkennt man nun etwas Besonderes, etwas Herausragendes, meinetwegen etwas Gutes, wenn es als Teil der Einheit und Vielfalt variabelste Formen ausbildet und die Bewertungskriterien dafür unsichtbar zu sein scheinen und die sich überdies vor dem Hintergrund der Geschichte noch dazu wandeln?
Ich denke, dass die Antwort darauf in der nun etwas weiter ausstaffierten Frage selbst liegt:
Gutes Design erkennt man daran, dass es zwischen Einheit und Vielfalt vermittelt. Indem es zwischen Verstehen und Erleben vermittelt, zwischen Nutzen und Sinn, zwischen Anmutung und Wertschätzung, zwischen Wertschöpfung und Ausbeutung, zwischen Geiz und Verschwendung, Verführung und Verlogenheit, zwischen Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit, Individualität und Gerechtigkeit, zwischen dem Einfachen und dem Komplexen, ..., letztlich zwischen dem Eigenen und dem Fremden vermittelt. Gutes Design löst Widersprüche sinnvoll und ästhetisch auf.
Und, ja, das kann man erkennen. Allein es braucht Wissen, Können, Erfahrung und Urteilskraft, was aber nicht mehr ist als das, was man ohnehin braucht, um Teil einer lebendigen Demokratie zu sein.
Das Gute, welches nicht aus dem Mangel geboren, also aus einer Kompensation heraus gut ist, sondern aus einem Gestaltungswillen, fordert Mühe, die nur aus einer inneren Motivation heraus funktioniert: den Mut zur Kreativität!
Und diese Mühe erklärt auch, warum es sich manche beim Bewerten von Design so einfach machen: aus Mangel an Mühe, er verhindert Tiefe, laut Adorno aber der einzige gültige Maßstab für Schönheit, was für Design bedeuten könnte, dass es Handlungen Sinn und Sinnlichkeit verleihen soll.
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schmiddesign · 5 years ago
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schmiddesign · 5 years ago
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Gefahr durch tote Tiere
Von Widersprüchen
Ich sage oft, dass man Widersprüche aushalten müsse, zum Beispiel den, dass man auch dankbar sein soll für Kritik, die weh tut, oder aber, dass Erfolg nichts bringt, weil man davon nichts lernt. Lauter solchen Käse sage ich manchmal. Kürzlich habe ich sogar behauptet zu wissen, was man zu tun hätte, wenn man mit einer Viper in eine dunkle Zelle gesperrt wird, oder aber, dass man über Geschmack streiten oder auch nicht streiten kann. Auch Sprichwörter, wie dass man den Tag nicht vor dem Abend loben solle, oder dass Alter vor Schönheit gehe und kein Brot härter sei als altes, der Hunger beim Essen komme und der Teufel ein Eichhörnchen sei ... So Zeug halt. Unmöglich! Auch peinlich und zum Glück noch nicht gesagt, aber, zugegeben, unterdrückt habe ich den Satz: Sag mir doch öfter mal spontan, dass du mich liebst. Oft tue ich auch einfach das Gegenteil von dem was ich vorhabe. Ich habe keine Ahnung, warum. Ich kaufe zum Beispiel Sachen ein, um ein Essen zu kochen und kurz vor meiner Wohnung betrete ich ein Schnellrestaurant, um mich satt zu essen. Ich nehme mir vor, auszuschlafen und stehe mitten in der Nacht auf, um bis zum Morgengrauen durch die Stadt zu laufen. Ich fühle es-moll und spiele As-Dur, ich fühle nichts und rege mich wahnsinnig auf, ich sage, dass es schön ist, obwohl es mich anödet, ich trinke ohne Durst. Ich enttäusche mich selbst, obwohl ich mir dann Vorwürfe mache, ich glaube an Gott, weil ich zu faul bin, an was anderes zu glauben oder richtig zu denken. Ich denke an Leute, die ich nicht leiden kann und vergesse Geburtstage von geliebten Menschen. Es ist schon ein Kreuz mit dem Luxusleben!  
Aber was soll das, sich darüber aufzuregen ...; bei Windows kann man die Escape-Taste drücken und mein Nachbar hat ein „Rasen Betreten Verboten!“- Schild mitten auf dem Grün! Und die Bibel weiß auch nichtvalles, zum Beispiel, wieviel Söhne Abraham hatte. Die Galater sagen so (Galater 4,22): „Denn es steht geschrieben, dass Abraham zwei Söhne hatte.“ Bei den Hebräern aber (Hebräer 11,17) heißt es: „Durch den Glauben opferte Abraham den Isaak, als er versucht wurde, und gab den einzigen Sohn dahin, ...“ Am Ende muss man so Zeug schon aushalten, weil zum Ändern oder klären oder Vereindeutigen gibt es da nichts. Widersprüche können nur mit Mathematik elegant aufgelöst werden. Und wenn sie für Mathematik nicht empfänglich sind, können sie nur gewaltsam beseitigt werden. Durch Verbot, Vernichtung, Unterdrückung, Unterlassung und so weiter. Jedenfalls nichts Schönes. Nie.
Manchmal sagen die im Radio „Gefahr durch tote Tiere...“ und meinen gar nicht das Insektensterben. Das regt mich schon lange auf. Nicht nur, weil von toten Tieren eigentlich keine Gefahr ausgehen kann. Was sollen Tote schon anrichten? Sondern, dass dieser Satz im Verkehrsfunk so selbstverständlich geworden ist, dass er nahelegt, tote Tiere hätten sich absichtlich auf die Straße gelegt, um Autofahrer zu ärgern, so wie Schaulustige. Außerdem unterschätzt es, dass lebende Tiere, zusammen mit Autos, allzeit eine Unfallgefahr sind. Um mal Klartext zu reden: Die Tiere sind tot, weil sie totgefahren wurden. Was davon bleibt, nennen wir Kadaver. Und wenn wir schon wegen Tierliebe keine mehr essen, sollten die Tiere auch zuverlässig vor Autofahrern gewarnt werden, so: „Gefahr durch lebende Menschen!“  
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schmiddesign · 5 years ago
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Wolkenfabrik
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schmiddesign · 6 years ago
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Der Baumarkt
Der Baumarkt
Genesis
Ein Baumarkt ist ein großes, meist kistenförmiges Gebäude, dessen Eingang mit einem großen Namenzeichen und einer verglasten Eingangsseite an einem Parkplatz steht. Man könnte auch sagen, dass der Parkplatz an einem Baumarkt liegt, was aber auch einseitig betrachtet wäre. Denn Parkplatz und Markt gehören zusammen, was zusammen viel Platz braucht, weshalb die allermeisten Baumärkte nicht in den engen Städten, sondern in den geräumig für die An- und Abfahrt gebauten Gewerbegebieten zu finden sind. Und ohne Auto, am besten mit einem großen, zum Baumarkt zu kommen, ist schwierig, weil von dort mächtige und sperrige, massige und massenhafte Teile verkauft werden, die abzutransportieren im Fahrradkorb selten möglich sind. Dennoch ist es oft in Studentenstädten so, dass junge Menschen, die gerade ein WG-Zimmer bezogen haben, natürlich ihr oft erstes eigenes Heim streichen wollen. Sie machen dann nicht selten die Erfahrung, dass Farbeimer auf Fahrradgepäckträgern eine schwierige Angelegenheit sind. Und deshalb findet man in der Nähe von Baumärkten oft Farbkleckse auf dem Asphalt, die durch Reifenspuren oder Fußabdrücke in die nähere Umgebung verteilt werden. Sie bleiben dort wochenlang. Denn bis die Farbe verschliffen ist, braucht es schon ein paar Regentage und dauerhaften Abrieb. Da macht der Baumarkt dann auch mal irgendwie Kunst.
Kurz vor und an Wochenenden haben Baumärkte Konjunktur. Nicht Wenige fahren schon in Handwerksklamotten, latzhosenartiges, grobstoffiges Zeug mit stahlverkapptem Schuhwerk, vor, um das zu besorgen, was sie für ihr Weekend-Projekt brauchen: Holz für Carports oder Gartenhäuschen, Fliesen oder Keramikteile für’s Badezimmer, Laminate, Farben, Böden, Leuchten aller Art und Werkzeug, Werkzeug, Werkzeug, ... . In der Verbindung des Verkaufs von Werkzeug und Materialien und Beratung lieg die geniale Idee des Baumarktes. Denn jedes Werkzeug ruft nach Gebrauch und der Baumarkt hat schon mal eine Menge Holz, wenn du zum Beispiel Lust auf eine Säge oder einen Bohrer hast. Andersherum: wenn du dein Bad neu machen willst, weil das gut für Zuhause ist, kannst du außer schönen Kacheln auch gleich die passende Abziehklinge, bunten Fugenkitt oder was auch immer kaufen. Die Leute dort sagen dir schon was du brauchst. Nein, viel besser, sie fragen dich, ob du auch das passende Werkzeug oder Material hast. Ganz schnell ist man dann in ein Gespräch über Schleifpapierkörnungen, Trittschallparameter, Muffen, Aushärtungen, Abbinungen, Spiralbohrern, Überwurfmuttern und Kunststoffbeschichtungen verwickelt, wovon der Berater immer mehr Ahnung hat, der dem Käufer aber immer das Gefühl gibt, dass er mindestens auf Augenhöhe steht.
Zu den Verkäufern und Beratern, die bestimmt bald DIY-Consultants oder so heißen werden, ist noch zu sagen, dass man sie leicht erkennt, obwohl sie sehr klein zwischen den haushohen Regalschluchten stehen. Denn sie tragen grellbunte Trikots wie Fußballmannschaften, Frauen wie Männer. Es gibt im Baumarkt keine Frauenkleider. Da ist der Baumarkt sexistisch. Umgekehrt ist es aber so, dass im Lebensmittel-Supermarkt die Männer keine Schürzen, sondern Hosen, also auch Männerkleider tragen. Da ist der Supermarkt also weniger sexistisch. Aber was soll das? Im Baumarkt geht es um Projekte!
Natürlich sind nicht alle Baumarktbesucher projektwütig. Ich zum Beispiel gehe nur zum Baumarkt, wenn was kaputt ist, fühle mich verloren und frage mich, wie man sich sein Wochenende mit Gartenhäuschen bauen oder Boden verlegen versauen kann. Aber ich bin ja auch total unbegabt und faul und ängstlich. Der Anblick einer Säge oder eines Bohrers löst bei mir massakerhafte Vorstellungen aus. Allein den Holzzuschneidern schaue ich gerne mit gemischten Gefühlen zu - wie sie aus riesigen Platten und Latten Tisch- und Regalformate, Schindeln und Stege sägen, die dann verstapelt und gebunden in irgend einem Kofferraun verschwinden, irgendwo in einem Zuhause ausgeladen und wundersam zu Möbeln verbaut werden. Ich denke dabei auch immer, dass das ja mal Bäume waren und wie man aus so einem verwachsenen Baum so eine gebändigte Bretterwelt aus rechten Winkeln schaffen kann. Und ich finde das nicht unbedingt in Ordnung! So gesehen, sind ja Holzmöbel auch nichts anderes als domestizierte und gebändigte Baumhäuser. Unser Bett verbindet sogar die ältesten Schlafplätze: den Baum und die Höhle.
Wie gesagt, ich gehe nur zu Baumarkt, wenn was kaputt ist, Glühbirne oder so was. Daher weiß ich das auch alles, auch das mit den Fahrrädern, weil ich selber auch kein Auto habe und daher immer vor die Stadt radeln muss, was sehr amerikanisch-gefährlich ist, weil man da außerhalb der City auf der Straße ohne Auto schon mal angehalten und verdächtigt wird. Man wundert sich auch vor Baumärkten geradezu über Fahrräder und hält Radfahrer für lebensmüde. Die Wahrscheinlichkeit vor einem Baumarkt von einem 380 PS-Pickup vom Sattel gehupt zu werden, ist ziemlich groß. Hinzu kommt, dass sich manche Leute Anhänger ausleihen, um die großen Sachen heim zu bringen, aber nie gelernt haben, mit einem Anhänger ein- und auszuparken. Schon gar nicht rückwärts.
Ja, der Baumarkt ist eine Wunderkiste: Die ganze Schöpfung befindet sich hier in Regalen: handlich verpackte und variabel domestizierte Rohstoffe mineralischer, pflanzlicher und synthetischer Natur;  Blumenerde und Holz, es geht bei den Grills um Feuer, bei den Teichen um Wasser, bei Klimapropellern um Luft und immer natürlich auch um Erdbewegungsangelegenheiten, von der Schippe bis zum Bagger. Zu den Tieren ist es auch nicht mehr weit, oft ist der Zoohandel nebenan oder schon integiert. Der Baumarkt hat alles was man braucht, um sich daraus in wenigen Stunden oder Tagen sein Ding zu machen, eine eigene kleine Welt, deren Schöpfer du dann bist. Alles, um selbst einmal Gott zu spielen. Der Baumarkt ist so was, wie das 1. Buch Moses im kapitalistischen Kistenformat mit Parkplatz. Er hat übrigens auch alles gegen biblische und nichtbiblische Plagen. Er ist die Apotheke der Dinge. Das Wunder, der genialische Konsument, und das Geheimnis der Rohstoffe und Werkzeuge werden im Baumarkt zum Tempel der Selbstwerdung. Und der Baumarkt ist vielleicht das bestmögliche Paradies nach der Vertreibung aus dem echten Paradies!
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schmiddesign · 6 years ago
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Paradiesplastikrasen
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schmiddesign · 6 years ago
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Gespräche auf Yachten
Accesoire
Ich weiß im Grunde nichts von Gesprächen auf Yachten. Aber wer tut das schon?
Schreibt man Yachten überhaupt mit Y?
Alles ging so los: Gestern, spätnachmittags, lief die Grace of Swedenein und machte die Leute im Dorf Staunen; nicht wegen der geschätzten 250 qm Segelfläche oder den sanft schnurrenden elektrischen Winschen oder der yachtbraungebrannten Schönlingen auf dem Teakdeck, das kannten sie schon; auch nicht, wegen der vermeintlich erotischen Wasserlinie der Grace of Sweden, sondern schlicht,  weil ihr Mast den Kirchturm im Dorf an Höhe nicht nur anvisierte, sondern um geschätzt eine Matrosenlänge überragte; - eine Anmaßung, die durch keinen noch so günstigen Blickwinkel beschönigt werden konnte, eine Anmaßung, die wie ein stimmloses Raunen durch das Dorf ging, eine Anmaßung, von der die lässig auf dem Deck  der Grace of Swedenhereinschwebende Besatzung keinen blassen Schimmer hatte, eine Anmaßung an sich!
Auch wenn der Mast ganz oben, am Ende, nur noch oberarmdick ist und der Kirchturm oben immer noch die quadratischen Grundfläche einer Tischtennisplatte aufweist, auf der noch ein pfannengedecktes Pyramidendach thront, während auf der Grace of Sweden nur ein buntes Gewimpel zappelt ... ; und ich weiß, dass ich mich wiederhole: Ein Schiff, dessen Mast den Kirchturm überragt, ward hier noch nicht gesehen. Man kann daher also auch von einem historischen Ereignis sprechen.  
Ich hatte es angedeutet: Dieser skandalöse Umstand war der Besatzung der Grace of Sweden nicht klar, sie ahnte nicht einmal, dass ihr gemütlich-majestätisches Arrivé landseitig nicht als abendliches Entrée, sondern, je nach Gesinnung, als Invasion (Bürgermeister), Überfall (Hafenanrainer) oder Blasphemie (Pfarrer) gewertet wurde.
Aber im Dorf wusste man nicht nur, was sich gehörte, man war auch gewohnt, erst einmal abzuwarten. Denn es ist die Natur alles Dörflichen, dass man vom Wissen zehrte, dass alles Unheil, welches überkommt, irgendwann von allein verginge. Und: Die Dorfbewohner hatten schnell begriffen, dass die Unwissenheit auf der Seite Schwedens lag und dass man den durch den Skandal gewonnenen Wissensvorsprung bei Zeiten nutzen könne.
Das Anlegemanöver erledigte der Dorfhafenmeister daher mit einer lässig gespielten Nonchalance. Denn er hatte den Skandal als erster erkannt und hätte, wenn er gekonnt hätte, die Grace of Sweden schon beim Einlaufen absaufen lassen. Andererseits: Man bekommt nicht alle Tage solch prachtvolle Schiffe zum Anlanden. Und er wusste, dass er genau beobachtet würde. Auch von Antonella, die er seit Wochen vergeblich zurückgewinnen versuchte, was aber eine andere Geschichte ist. Nur so viel: sie flirtet mit dem Skipper der Angélique.So kam plötzlich sein ganzes Schicksal zu ihm: bei einem ganz alltäglichen Anlegemanöver – armer Yuri!
Hinzu kam, dass Yuris alter Hafenmeisterpulli, der an Kutterlandungen gewohnt war, neben dem schneeweißen Skipperhemd auf der Grace of Swedendie wunde Stelle Yuris zeigte, seine Ungewaschenheit.
Nach dem die Grace of Swedengekonnt vertäut war, machte der tadellos braungebrannte und weiß gewandete Skipper klar Schiff: Nachdem er achtern funkelnde Gläser anbrachte, kamen die sonnen-und windseligen Menschen aus der Kajüte; drei Männer, drei Frauen, vorwiegend blauweiß und braungebrannt zu Tisch und gossen sich irgendwas schaumweiniges in ihre Gläser. Der Skipper brachte die Schalentiere und ich dachte nur daran, dass das rein kleckermäßig bestimmt nicht ungefährlich ist und fragte insgeheim, wie viele weiße Hosen und Hemden man für einen Fünftageturn auf die Grace of Swedenmitnehmen müsse.
Ich saß derweil übrigens in meiner orangefarbenen Badehose und einem blauen Hemd auf einer Bank am Hafen und trank eine zuckerfreie Cola, die es ja inzwischen überall auf der Welt zu kaufen gibt und zu meinen Lieblingsgetränken gehört. An den Füßen trug ich Flipflops. Niemand könnte sagen, dass ich auffällig wäre. Vielleicht ein wenig zu touristisch. Aber so sehe ich immer aus. Meine Neugierde und allgemeine Ratlosigkeit macht mich auch zuhause ein wenig touristisch.
Ich legte die Arme genüsslich auf die Banklehne und warf den Kopf zurück, um zu sehen, ob ich mit dem Überkopfblick nochmal die Sonne erblicken könnte, die sich langsam hinter mir auf den Horizont zubewegte. Aufstehen wollte ich nicht. Und schon gar nicht wollte ich von meinem Logenplatz aus verpassen, was auf der Grace of Sweden passiert. Denn in meiner Phantasie passieren auf Yachten überdurchschnittlich viele aufregende Dinge, was ziemlich genau erklärt, warum ich gern eine Yacht hätte, ohne jemals eine besitzen zu werden. Folgende Gesprächsfetzen flogen zu mir:
Mrs X: Well, Manchester is a quite interesting place, but it is British.
Mr X: I think you are right but not really …
Mrs Y: What do you mean?
Mrs X: I mean that if you make a difference between some things it could give you another impression of something else  …
Mrs Y: Maybe you are right but …
Mrs X: This, for example, is a typical Chardonnay Place, Harvey, would you be so kind?
Hrvey: Of course, Sir, I just thought about it …
Mr X: The Place?
Harvey: The Chardonnay ...
(Hier lachen alle ein wenig zu laut, um es wirklich witzig gefunden haben zu können, denke ich, denn ich.)
Mrs Y: The Chardonnay? Harvey, indeed, is always able to find the right wine for each charisma.
….
So  ähnlich ging das weiter. Ich war enttäuscht, denn ich dachte, auf Yachten gehe es nur um große Geschäfte, um Amours Fous oder Schutzgelderpressungen. Und nun das: Chardonnay-Schmarren!    
Schade, denn die Grace of Swedenwar wirklich ein schönes Schiff. Schön genug, um all meine maritimen Träume zu beflügeln. Schade. Wirklich schade. Das war es nämlich schon, was ich über Gespräche auf Yachten zu sagen habe. Mehr weiß ich davon leider nicht. Schade. Und mehr gab es auch nicht. Ich hatte auch genug. Meine Cola war leer, es wurde dunkel und ich ging. Denn wer konnte wissen, was die Dorfbewohner mit der Grace of Sweden noch vorhatten!
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