Geschichten wie das leben sie schreibt, schreiben könnte und kompletter Unsinn
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Jonas, Tod und Finsterlinge
Die kleine, dicke Frau hüpfte ungelenk auf einem Bein über das Trottoir. Vergeblich versuchte sie ihren widerspenstigen Fuß in einen caramelfarbenen Wildlederstiefel zu zwängen.
Wie so oft, hatte sie Uhr- und Jahreszeit aus dem Blick verloren und deshalb ihr Schuhwerk nicht mehr rechtzeitig angelegt. Wenigstens war sie warm genug angezogen. Sie trug einen farbenfrohen Poncho aus Schafwolle mit einer langen, spitz zulaufenden Kapuze, dazu weite, schwere Röcke und blau geblümte Armstulpen.
Zack! Der Fuß rutschte mit einem Ruck in den Stiefel und – Flaps! - landete die kleine Frau mit ihrem breiten Hinterteil auf den von Eis überzogenen Pflastersteinen.
Sie kicherte. Ihr rundes, herzliches Gesicht war über und über bedeckt mit freundlichen Lachfältchen. Schnaufend hievte sie sich wieder in die Höhe und klopfte sich den Schnee von den Röcken. Die Kirchturmuhr schlug 14.45 Uhr. Ihr blieben nur noch wenige Minuten. Sie stellte sich neben die Beifahrertür des gelben Kleinwagens.
Auf der anderen Straßenseite lief ein Mann mit zwei Kindern und einem Hund vorbei.
Der Hund wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, als er die kleine, dicke Frau bemerkte. Tiere mochten sie. Sie wussten, dass sie den Tod nicht zu fürchten brauchten.
Ängste, Schmerzen und alle anderen Schattengefühle waren Geschäfte des Lebens, Geschäfte der Finsterlinge. Damit hatte sie nichts zu tun.
Wie erwartet nahmen der Vater und seine Kinder keine Notiz von der Fremden.
Jonas Penning ging achtsamen Schrittes zu seinem Wagen, unsicher ob er schon wieder Auto fahren durfte. Er öffnete den gelben Lupo und griff nach seinem Eiskratzer. Es war klirrend kalt. Seine Finger fühlten sich taub an, als er sich endlich in den Fahrersitz sinken ließ. Er klemmte sein Handy, das er als Navi nutzte, in die Halterung an der Windschutzscheibe. Auch auf Strecken, die er häufig fuhr, gab es ihm ein irrationales Gefühl von Sicherheit.
Der beißende Körpergeruch, den er ausdünstete, würde ihm in jeder Kontrolle zum Verhängnis werden, ganz davon abgesehen, dass die Kleidung, die ihm auf der Haut klebte, roch, als hätte er damit ausgiebig schmutzige Aschenbecher und Schnapsgläser ausgewischt. Er startete den Motor, ließ die Kupplung kommen und setzte sein Auto beinahe gegen den silbernen Kleinbus vor ihm, weil er vergessen hatte den Rückwärtsgang einzulegen.
„Auf Lessingstraße in Richtung Goethestraße starten. Die geschätzte Ankunftszeit ist 15.32 Uhr. Sie befinden sich auf der schnellsten Route trotz des üblichen Verkehrs“
Beim Rechtsabbiegen fiel ihm der herausgezogene Stift an der Beifahrertür auf. Hatte er sein Auto die ganze Nacht offen gelassen? Die Heizung wurde untypisch schnell heiß. Er manövrierte sich aus den engen, verwinkelten Gassen des Dichterviertels hinaus auf die Bundesstraße. Die Sonne schien. Langsam breitete sich Ruhe in ihm aus. Seine Finger tauten auf. Die Straße war frei.
Sanft strich sie über seinen Oberschenkel und sang ihm 'Jacobs Schlaflied' vor, so wie seine Mutter es an seiner Wiege getan hatte.
„Hab keine Angst vorm schwarzen Mann
Er fürchtet sich ja selber so
Träum von deiner Eisenbahn
Löwen gibt’s doch bloß im Zoo“
Sie sah zu, wie er sich entspannte. Seine Ellbogen fielen nach unten und seine Gesichtszüge wurden weich. Ob es nun ihr Gesang war, oder die Heizung, die sie erhitzt hatte war unwichtig. Sie lächelte ihr warmes, herzliches Lächeln. Als sie endlich den Finsterling bemerkte, war es bereits zu spät. Die ganze Zeit über hatte der bleiche, hagere Mann in seinem schwarzen Umhang regungslos auf dem Rücksitz gesessen. Im entscheidenden Moment schnellte die weiße, knochige Hand mit den schwarzen, langen Fingernägeln an ihrem Gesicht vorbei nach vorn.
Warme Heizungsluft blies Jonas ins Gesicht. Zwar registrierte er die rote Ampel, nicht aber ihre Bedeutung. Seine Lider wurden schwerer. Plötzlich spürte er einen stechenden Schmerz in seiner rechten Schulter, fast so als würde jemand lange Fingernägel durch seinen Mantel hindurch in seine Haut bohren. Er riss die Augen auf – Rote Ampel! - und ging voll in die Eisen. Quietschend kam der gelbe Lupo zum Stehen. Ein LKW brauste dicht von links nach rechts an ihm vorbei. Der hätte ihn ganz sicher erwischt, wenn ihn nicht…
Er griff nach seiner rechten Schulter und drehte sich abrupt um. Das Auto war leer. Er war allein. Seine Wangen glühten. Glück gehabt!
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