gaskarov-de
Freiheit für Alexej Gaskarow!
31 posts
Information über die Ermittlungen gegen Alexej Gaskarow
Don't wanna be here? Send us removal request.
gaskarov-de · 10 years ago
Text
Bolotnaja-Fall: Preis der Unfreiheit
Tumblr media
Vier Jahre und sechs Monate Haft. Diese rigide Strafe verhängte das Moskauer Stadtgericht am vergangenen Donnerstag für den vermeintlich für sogenannte Massenunruhen am 6. Mai 2012 verantwortlichen linken Politiker Sergej Udaltsow und den ebenfalls in der Linksfront aktiven Leonid Razwozzhajew. Damit geht ein langwieriger und wenig spektakulärer Prozess zu Ende, der faktisch zur Auflösung jenes Teils der russischen Linken geführt hat, der sich in einem breiten Bündnis für faire Wahlen einsetzte.
Die Umstände der Rückkehr Razwozzhajews aus der Ukraine hielt das Gericht indes nicht für erwähnenswert, dabei hebt diese Episode die zweifelhaften Ermittlungsmethoden der russischen Behörden besonders hervor. Bei dem Versuch in der Ukraine Asyl zu beantragen wurde Razwozzhajew entführt und über die russische Grenze verschleppt. Unter massivem Druck gab dieser ein Schuldgeständnis ab, was er vor Gericht jedoch widerrief. Richter Zamaschnjuk nahm diesen Umstand jedoch gar nicht erst zur Kenntnis und hob stattdessen positiv hervor, dass der Angeklagte eigenständig in seine Heimat zurückgekehrt sei, schließlich sei er ein Patriot.
Über die Gründe, weshalb das Gericht in seinem Urteil weit unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten acht Jahre Freiheitsentzug blieb, lässt sich nur spekulieren. Es liegt nahe, nach einer politisch motivierten Erklärung zu suchen. Man sollte meinen, dass die als Verantwortliche für schuldig befundenen Oppositionellen mit einer höheren Haftstrafe belegt werden als reguläre Teilnehmer der mit Ausschreitungen endenden Protestkundgebung gegen die Wiedereinführung von Wladimir Putin ins Präsidentenamt nach den letzten Wahlen von 2012. Seither haben bereits mehrere Prozesse stattgefunden. Der erste Angeklagte, Maxim Luzjanin, wurde trotz eines Schuldgeständnisses ebenfalls zu viereinhalb Jahren verurteilt.
Mit der ersten Verurteilung schaffte das Gericht Fakten, denn somit entstand die Grundlage für die Anklage wegen „Massenunruhen“, obgleich der entsprechende Strafparagraf eine völlig andere Definition vorsieht als die von den Ermittlern präsentierte Beweislage untermauern konnte. Im Weiteren nahmen die Gerichte dann jeweils auf das erste Urteil Bezug, ohne sich mit dem Kern der Anschuldigung weiter auseinandersetzen zu müssen. Aber das war im November 2012, als der Protest der russischen Opposition zwar weitgehend abgeklungen war, aber immerhin noch einige Großkundgebungen und Demonstrationen stattfanden. Mit der Zeit – nicht zuletzt aufgrund massiver Verfolgungen – nahmen die Aktivitäten im oppositionellen Spektrum allerdings immer weiter ab. Zudem veränderten sich zunehmend die äußeren politischen Voraussetzungen, weshalb Protestaktionen, beispielsweise durch verschärfte gesetzliche Rahmenbedingungen, für die Beteiligten mit zunehmenden Risiken belegt waren und sind.
Mit Blick auf die Ukraine musste die russische Führung im Winter aufgrund einer nicht auszuschließenden Wiederholung des Kiewer Maidan in Moskau bangen. Doch diese Befürchtung erwies sich letztlich als unbegründet. Auch hatten die bisherigen Bolotnaja-Prozesse, die ihren Namen durch den Austragungsort der Protestkundgebung vom 6. Mai 2012 erhalten haben, ihre Aufgabe letztlich bereits erledigt. Eine auf Bewährung ausgesetzte Haftstrafe, ein Amnestie gegen einige Angeklagte nach einem lange und kräftezehrenden Prozess, zeitweilige Zwangspsychiatrisierung eines Protestteilnehmers und Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren gingen dem gestrigen Urteil gegen die Aktivsten der Linksfront voraus.
Auch wenn sich in der Öffentlichkeit kaum mehr Interesse für die Verfolgung jener regt, die vor zwei Jahren ihrer Missbilligung der Politik des Kremls Luft verschafften, warten die Strafverfolgungsbehörden weiterhin mit latenten Drohungen auf. Im Frühjahr erfolgten erneute Verhöre und eine Festnahme, der Ermittlungszeitrum im Bolotnaja-Fall wurde vorerst auf November verlängert. Für August wird das Urteil in einem Prozess gegen weitere vier Angeklagte erwartet, darunter auch gegen den Antifaschisten Aleksej Gaskarow. Gelangweilte Staatsanwältinnen und eine Angeklagte und Zeugen disziplinierende, aber an Aufklärung nur bedingt interessierte Richterin lassen den Eindruck entstehen, dass das Strafmass bereits feststeht und sich vermutlich an den bereits gefällten Urteilen orientiert, wie sehr sich die Verteidigung auch abmüht, ihre Mandanten zu entlasten. Eine internationale Solidaritätswelle hat der Bolotnaja-Prozess, anders als für die Frauen von Pussy Riot, nicht ausgelöst. Zwar unterliegen ihre Handlungsoptionen in Russland ebenfalls starken Beschränkungen, sie aber können sich immerhin ihrer Bewegungsfreiheit erfreuen.
Ute Weinmann
0 notes
gaskarov-de · 11 years ago
Text
Aleksej Gaskarow bleibt weiter in U-Haft
Tumblr media
In Russland gibt es keine politischen Gefangenen. Diese Ansicht vertrat jedenfalls der russische Präsident Wladimir Putin Anfang Oktober vor den Teilnehmern eines Wirtschaftsforums mit dem vielversprechenden Titel »Russland ruft!«. Eine kleine Einschränkung ließ er dennoch zu: »Sie alle wurden zu politischen Akteuren, sobald sie im Strafvollzug landeten.« Es gibt sie also doch. Zumal die Teilnahme an einer Demonstration wie am 6. Mai 2012, am Tag vor der Wiedereinführung Putins ins Präsidentenamt, durchaus ein politischer Akt ist. Zwölf Angeklagte müssen sich derzeit vor Gericht für die Teilnahme an vermeintlichen Massenunruhen an jenem Tag im Mai verantworten. Ihnen drohen Haftstrafen, für einen gesondert abgeurteilten dreizehnten Angeklagten fordert die Staatsanwaltschaft Zwangspsychiatrisierung
Dem Antifaschisten Aleksej Gaskarow und weiteren Teilnehmern jener Demonstration steht der Prozess noch bevor. Anfang Oktober wurde seine Untersuchungshaft bis zum 6. Februar verlängert. Die Beweislage gegen ihn bleibt fragwürdig und stützt sich im Wesentlichen auf die Aussagen von Personen, deren Identität der Geheimhaltung unterliegt. Einziger Hoffnungsschimmer, der Farce ein Ende zu bereiten, ist eine von Putin in Aussicht gestellte Amnestie zum 20. Jahrestag der russischen Verfassung im Dezember. Zumindest könnte die russische Regierung auf diese Weise ihr Gesicht wahren.
Ute Weinmann
Neues Deutschland
0 notes
gaskarov-de · 11 years ago
Text
"Der Staat hat es auf die Linke abgesehen"
Tumblr media
INTERVIEW: UTE WEINMANN
In Russland häufen sich seit dem vorigen Jahr Strafverfahren gegen Oppositionelle. Der Repression sind insbesondere linke Aktivisten ausgesetzt. Mit welchen Konsequenzen haben Sie in Russland zu rechnen, und was führte zu Ihrer Entscheidung, das Land zu verlassen?
In Russland droht mir mit größter Wahrscheinlichkeit eine langjährige Haftstrafe. Dennoch tat ich mich schwer mit der Entscheidung, zu gehen. Ich hätte bleiben und das Schicksal meiner Genossen und Freunde, Sergej Udalzow, Aleksej Gaskarow, Wladimir Akimenkow, Dmitrij Rukowischnikow und Leonid Raswosschajew, teilen können. Ausschlaggebend für die Emigration war aber der Umstand, dass ich in Freiheit für sie wesentlich mehr tun kann als aus dem Gefängnis heraus. Nicht nur für jeden einzelnen von ihnen, sondern auch für unsere Sache, für die wir gemeinsam gekämpft haben.
Präsident Wladimir Putin hat am Vorabend des G20-Gipfels auf einem Treffen mit Mitgliedern des Rats für Menschenrechte Zugeständnisse in einigen Fragen wie beim gegen NGOs gerichteten »Agentengesetz« angekündigt, über den Bolotnaja-Fall wollte er jedoch nicht sprechen. Wer ist besonders von Strafverfolgung bedroht und weswegen? Kommt der linken Bewegung dabei eine Sonderstellung zu?
Ja, ich bin davon überzeugt, dass der Staat es insbesondere auf die Linke abgesehen hat. Das ist kein Zufall, sondern Resultat einer politischen Entscheidung. Das hat damit zu tun, dass die Beteiligung der Linken an der breiten Demokratiebewegung die gesamte Logik der Verwaltung der Gesellschaft durch den Staat über den Haufen geworfen hat, die auf dem Prinzip beruht, dass es eine Masse voneinander isolierter Minderheiten gibt. Die Linke versuchte mit wechselndem Erfolg, die Interessen der Mehrheit zu artikulieren. Das ist für den Staat höchst gefährlich.
Die russischen Liberalen versuchen gar nicht erst, an die Mehrheit zu appellieren, dazu sind sie auch nicht in der Lage. Sie haben sich nach dem Zerfall der Sowjetunion dermaßen diskreditiert, dass sie nicht als demokratische Kraft gelten können. Ihr Rückhalt beruht auf ihrem Zugriff auf Ressourcen des politischen Establishments. Noch dazu strebten sie selbst die Isolation der Protestbewegung als privilegiertes Ghetto der oberen Mittelschicht an. Ausdruck dafür sind auch arrogante Aussagen wie die Gegenüberstellung der »kreativen Klasse« und der »aggressiven und gefügigen Mehrheit«. Ausgehend von ihrer bescheidenen Wählerbasis vertreten die Liberalen aber nur eine Minderheit.
Die Linke ist auch nur in der Minderheit.
Solange die Linke sich in der Isolation befand, stellte sie ebenfalls keine Gefahr für die Regierung dar. Man ließ uns also in Ruhe. Doch im Winter und Frühling 2011/2012 zeigte sich, dass unter dem linken Nachwuchs genügend organisatorisches und intellektuelles Potential vorhanden ist, um einen festen Pol in der erstarkten Protestbewegung zu bilden. In Russland finden zu wenige tiefgründige Diskussionen über die fundamentalen Belange für die Entwicklung des Landes statt. Bestenfalls wird das gesamte Desaster mit der allgegenwärtigen Korruption erklärt, die mittlerweile für das weltweite Böse steht. Linke Kräfte üben indes eine fundierte Kritik des russischen gesellschaftspolitischen Systems und stehen für eine radikale Alternative. Und wenn man sich vorstellt, dass nicht kompromittierte ehemalige Minister der Regierungen Jelzins oder Putins, sondern junge, engagierte Linke Forderungen wie die Ablehnung neoliberaler Reformen und autoritärer Kontrolle und die Umverteilung nationaler Reichtümer vertreten, denen sich viele Russinnen und Russen anschließen, gibt es eigentlich keinen Grund, weshalb diese »neuen Linken« nicht die Mehrheit auf ihre Seite ziehen sollten. Außerdem haben mit Einsetzen der Massenproteste die daran beteiligten Linken ihre traditionellen Grabenkämpfe beigelegt und eine Art Koalition gegründet. Damit will ich sagen, dass der Staat uns nicht ohne Grund als ernstzunehmende Gegner einstuft.
Welche Überlegungen spielten eine Rolle bei Ihrer Entscheidung, gerade in Schweden Asyl zu beantragen?
Eine ganze Reihe von Faktoren. Mir war wichtig, dass in dem Land eine starke linke Bewegung existiert und die logistischen Voraussetzungen vorhanden sind, um einen engen Kontakt mit Russland zu behalten. Außerdem gibt es in Schweden im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eine relativ positive Haltung gegenüber politischen Emigranten. Und die klimatischen Verhältnisse sind wie zu Hause.
Es entsteht der Eindruck, dass sich viele Linke im Westen schwertun, Solidarität mit russischen Aktivisten zu üben. Von wem werden Sie in Schweden und anderen europäischen Ländern unterstützt? Welche Möglichkeiten gibt es, um von dort auf den gegenwärtigen Kurs der russischen Führung Einfluss zu nehmen?
Zumindest hoffe ich, politisch arbeiten zu können. Andernfalls hätte es sich nicht gelohnt, Russland zu verlassen, denn nach allem, was wir gesagt und getan haben, wäre es ehrlicher gewesen, ins Gefängnis zu gehen. Derzeit scheint die Zusammenarbeit mit linken Genossen gut zu laufen. Ich hatte bereits die Möglichkeit, über die Situation in Russland, politische Gefangene und die Rolle der Linken in der Protestbewegung zu sprechen, und zwar mit völlig unterschiedlichen Gruppen, von Linksradikalen über leitende Personen von im Parlament vertretenen Parteien und Menschenrechtlern bis zu einem akademischen Publikum. Die Aufmerksamkeit war groß, aber generell ist es natürlich kein leichtes Unterfangen. Umgekehrt könnte man fragen: Haben wir in Russland politische Emigranten aus der Ukraine oder Kasachstan ausreichend unterstützt?
Was könnte man konkret tun?
Objektiv betrachtet überschneiden sich die Interessen völlig unterschiedlicher Kräfte. Nach dem 6. Mai versuchte Putins Apparat, die Elite durch politische Repression und das schamlose Schüren von Fremdenfeindlichkeit zu konsolidieren. Das Regime entwickelt immer stärker faschistoide Züge, und das stellt nicht nur für die Linke ein Problem dar, sondern für alle. Noch dazu ist Russland das größte Land Europas. Angemessen wären Sanktionen gegen russische Beamte, die gegen Menschenrechte verstoßen. Solche Maßnahmen treiben einen Keil in die in den Repressionsapparat eingebundene Elite.
Was die europäische Linke betrifft, so kann sie in Bezug auf Russland wichtige Punkte ansprechen, die auch im Westen relevant sind, aber aus dem traditionellen politischen Diskurs gerne ausgeblendet werden. Beispielsweise muss die direkte Verbindung zwischen einer neoliberalen Sozialpolitik und dem Erstarken autoritärer Tendenzen genannt werden. Auch Themen wie Menschenrechte und Demokratie haben darin ihren Platz, die Situation von linken Gefangenen wie Wolodja Akimenkow, der im Gefängnis fast erblindet ist, gibt dafür genug her. Wichtig erscheint es mir, die linken Parteien und Verbände dazu zu bringen, die Diskussion über Russland nicht anderen Kräften zu überlassen.
In der letzten Zeit gibt es immer mehr Menschen, die aufgrund der staatlichen Diskriminierung Homosexueller zu einem Boykott der olympischen Winterspiele in Sotschi aufrufen. Kann sich die internationale Reaktion auf Russlands homophobe Gesetzgebung auch positiv auf die Angeklagten im Bolotnaja-Fall und andere verfolgte Aktivisten auswirken?
Da bin ich unsicher. Putins Polittechnologen bemühen sich, die Diskussion auf eine Konfrontation zwischen verschiedenen »kulturellen Minderheiten« und der sogenannten Mehrheitsgesellschaft zuzuspitzen. Dafür brauchte es diese idiotischen Gesetze, dafür werden Migranten in Lager gesperrt und dergleichen mehr. Wir sollten nicht in diese Falle tappen. Natürlich dürfen wir die offensichtliche Diskriminierung weder rechtfertigen noch verschweigen, aber es wäre falsch, sich in der vorgegebenen Weise der Mehrheit gegenüberzustellen. Die meist utopischen und einfach gestrickten Boykottaufrufe entsprechen genau jener eindimensionalen Konfrontationslogik, der sich die Linke keinesfalls anschließen sollte .
0 notes
gaskarov-de · 11 years ago
Text
Tagebuch einer Braut: Die Frage der Verteidigung tut nichts zur Sache
Tumblr media
Über den Bolotnaya-Prozess kann man mittlerweile weder schreiben noch lesen. Seit Anfang Juni finden die Anhörungen an drei Tagen der Woche, dienstags bis donnerstags von 11.30 Uhr bis 18-19 Uhr abends statt. Dabei ist jede Sitzung nur eine Wiederholung der vorigen. Faktisch gesehen beinhalten sie alle dieselben Kombinationen der Aussagen von Richterin und Staatsanwaltschaft, bloß in unterschiedlicher Reihenfolge: „Die Frage der Verteidigung ist abgewiesen aufgrund der Formulierung / da nicht zum Thema gehörig / aufgrund von Wiederholung.“
In dieser ganzen Zeit habe ich bewusst den Sitzungssaal des Moskauer Stadtgerichts nicht betreten, wo der Bolotnaya-Prozess verhandelt wird. Ich habe mir die Übertragung auf den Bildschirmen im Korridor angesehen oder den Zirkus von den Presserängen aus beobachtet. Wenn es mir möglich wäre, nicht zu den Verhandlungen gegen Ljesha Gaskarov zu gehen, würde ich auch sie gerne verpassen. Es ist eine Sache, mit den emotional aufgelösten Verwandten der Gefangenen vor dem Gerichtsgebäude zu sprechen oder sich die Fotos der Angeklagten in der Presse anzusehen und eine ganz andere, zu beobachten, wie sich nahestehende Menschen nur mit Blicken durch die Glasscheiben des Aquariums verständigen, die bereits seit einem Jahr keine andere Möglichkeit haben, einander zu unterstützen.
Gestern, am 29. August, bin ich zur Verhandlung gegangen um Tanja Polihovich Gesellschaft zu leisten: ihr angeklagter Ehemann Ljesha Polihovich hatte Geburtstag. Ljeshas Vater, Alexej Polihovich senior, begrüßt uns freudig im Flur des Gerichts: „Ljesha hat mit seinen Mitinsassen in der Zelle schon kräftig gefeiert. Sie haben mit Limo aus dem Gefängnis-Laden angestoßen und er hat drei Streichhölzer ausgepustet. Warum drei? Er ist 23 geworden!“
Der Gerichtsdiener öffnet die Tür und bittet alle in den Saal für die Angehörigen. Und obwohl Ljesha Gaskarov nicht zu den ersten zwölf Angeklagten gehört, legt mir Alexej Polihovich senior einen Arm um die Schultern und führt mich zu den Bänken neben dem Aquarium. Die Leute im Aquarium drücken sich an das Glas und winken ihren Verwandten, lächeln. Besonders erfreut ist Stepa Zimin: seine Freundin Sasha ist zum ersten Mal zur Verhandlung gekommen, sie wurde vom Zeugin-Status befreit, der sie bisher an der Teilnahme hinderte. Die Blicke von Sasha und Stepa treffen sich und sie halten bis zum Ende der Sitzung Blickkontakt, der durch das Publikum unterbrochen wird (doch dazu später mehr).
Mir am nächsten auf der Anklagebank sitzen Jaroslav Belousov, Andrej Barabanov und Denis Lutskevich. Ljesha Polihovich sitzt am hintersten Ende, Tanja winkt ihm zu und entrollt ein T-Shirt mit einem Aufdruck des Elefanten Dendy. Polihovich reckt beide Daumen in die Höhe – das ist sein Geburtstagsgeschenk. Denis Lutskevich kann die Augen nicht von seiner wunderbaren Mutter Stella abwenden, die Fähigkeit der Beiden, einen Dialog nur mittels Blicken zu führen, wird mich die gesamte Sitzung über erstaunen. Andrej Barabanov betrachtet die übrigen Gäste. Seine Freundin Katja kann nicht zu den Verhandlungen kommen, da sie als Zeugin gilt.
Während ich die aufgeweckten Gesichter der Leute auf der Anklagebank betrachte, betritt Richterin Nikishina den Saal. Der Angeklagte Sergej Krivov richtet sich in gewohnter Manier an sie:  
„Ich habe schon seit zwei Tagen einen Antrag vorzubringen!“
„Schweigen Sie, Krivov“, fährt die Richerin dazwischen.
„Nein, hören Sie. Sie sind verpflichtet, meinen Antrag anzuhören!“
„Ich verwarne Sie wegen Störung der Verhandlung, Krivov!“
„Ich verwarne Sie, weil Sie meinen Antrag nicht anhören!“
Danach beginnt die Befragung des sechsten Geschädigten, des OMON-Beamten Alexander Algunov: in den Prozessunterlagen befindet sich seine Aussage über eine Prellung seines rechten Handgelenks. Ich höre nicht mehr hin, während der Geschädigte seine monotone Rede herunter spult, mein Blick kehrt zurück zum Aquarium und trifft den Blick Lutskevichs. Denis zeigt ein breites Lächeln und ich beginne, mit großen Buchstaben die Worte „Grüße von Gaskarov!“ in meinen Block zu malen. Ich versuche, meine Botschaft unbemerkt in die Höhe zu strecken, damit die Leute sie sehen können, doch außer ihnen bemerken sie auch die Gerichtsbediensteten. „Na toll, jetzt werden sie mich aus dem Saal werfen“, denke ich, als sich mir ein schwarzgekleideter Gerichtsdiener nähert. Ich verstecke meinen Block und erhalte eine Verwarnung, der Gerichtsdiener stellt sich neben das Aquarium, zwischen mich und die Insassen_innen, doch diese beugen sich zurück, winken mir hinter seinem Rücken und lächeln mich an.
In der Zwischenzeit schlägt die Staatsanwaltschaft entgegen aller Strafprozessnormen vor, die Gegenüberstellung gleich im Gerichtssaal vorzunehmen: „Befinden sich unter den anwesenden Angeklagten ihrer Meinung nach Personen, die Polizeibeamte geschlagen haben?“ 
Die Anwälte springen auf, Makarov und Agranovskij verweisen auf diejenigen Gesetzesparagrafen, die eine solche Prozedur im Gerichtssaal verbieten. Richterin Nikishina fährt sich mit der Hand über das Kinn, lächelt und sagt langsam: „Algunov, beantworten Sie die Frage des Staatsanwalts.“
Algunov „erkennt“, wie er sagt, die „Person im T-Shirt“ und nickt in Richtung Krivov, danach zeigt er auf zwei junge Frauen, Sasha Naumova (Duhanina) und Maria Baronova. Im Anschluss beginnt eine Erzählung darüber, wie die Demonstrierenden dazu aufgerufen hätten, „auf den Roten Platz zu gehen!“ und den „Kreml einzunehmen!“.
Krivovs Anwalt Makarov ist wie immer gänzlich bereit dazu, den Geschädigten zu befragen, doch in der sechsten Stunde der Verhandlung wird er durch die Zuschauenden im Saal unterbrochen. Zwei junge Frauen springen auf die Bank, es erklingt „Bella Ciao“, das Lied des italienischen antifaschistischen Widerstands. Doch es gelingt ihnen nicht, ein kleines Banner mit Geburtstagswünschen für Ljesha Polihovich zu entrollen – sechs Personen in Uniform ergreifen sie und führen sie aus dem Saal. Mit ihnen müssen auch alle Zuschauer_innen, einschließlich der Verwandten, den Raum verlassen. Artjom Naumov, der Ehemann der Angeklagten Sasha, erkennt unter den Beamten in Uniform einige von denen wieder, die bei Sasha eine Durchsuchung durchgeführt haben.
Jetzt stehen alle im Flur des Gerichtsgebäudes, die Eltern sind traurig. Es wäre besser gewesen, mit dieser erfolglosen Aktion zu warten, bis die Verhandlung endet. Sasha Naumova verlässt den Saal, das Gericht setzt eine Vertagung bis zum nächsten Dienstag an.
Beim Verlassen des Saales hört man die Richterin Nikishina unzufrieden sagen, im September solle es fünf Verhandlungstage wöchentlich geben, um schneller mit dieser ganzen Sache durch zu sein.
0 notes
gaskarov-de · 11 years ago
Text
Im Prozess gegen Aleksej Gaskarov gibt es einen zweiten Betroffenen
Tumblr media
Im Verlauf der Ermittlungen erkannte ein Militäroffizier am 26. August Ljesha als denjenigen, der an ihm eine Straftat nach §318 des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation (Gewalt gegen Staatsbedienstete - Anm. d. Übs.) verübt hat. Den Worten des Betroffenen zufolge habe Ljesha ihn am Arm gezogen und ihn 2-3 Schritte aus einer Polizeikette herausgezerrt. Während der Beweismittelauswertung wurden alle Fragen, die eine wie auch immer geartete Gewaltanwendung in diesem Zusammenhang hätten betreffen können, von den Ermittlungsbeamten_innen ausgeschlossen. Der Betroffene sagte aus, ihm sei erst nachdem er eine Aufforderung zur Zeugenbefragung erhalten habe, durch den Leiter seiner Kampfeinheit ein Video der Geschehnisse (des 6. Mai 2012 - Anm. d. Übs.) vorgespielt worden. Zum Zeitpunkt der Gegenüberstellung, bei der es um eine Identifizierung Gaskarovs ging, kannte er die Videoaufzeichnungen demnach bereits.
Svetlana Sidorkina, die Anwältin Aleksejs, ist überzeugt, dass es in der betreffenden Situation keinerlei Anzeichen für Gewaltanwendung gegeben habe. Der Status des Offiziers solle vom Betroffenen zu dem eines Zeugen korrigiert werden.
4 notes · View notes
gaskarov-de · 11 years ago
Text
Freundinnen im Unglück: Ein Brief der Ehefrau des Politgefangenen Alexej Polihovich
Tumblr media
Auf unserer Seite gibt es die Rubrik Tagebuch einer Braut, in der Anna, die Verlobte Alexej Gaskarovs, uns ihre Gedanken bezüglich seiner Verhaftung mitteilt. In einer ähnlichen Lage sind auch andere Angehörige politischer Gefangener in ganz Russland und konkreter, derjenigen, die im Zusammenhang mit den Ereignissen des 6. Mai sitzen. Tatjana, eine andere junge Frau, wartet bereits ein ganzes Jahr auf ihren Mann Alexej Polihovich. Um ihre Solidarität auszudrücken, schickte sie uns einen Brief, in dem sie offenbart, wie schwer es ihr und ihrer Familie fällt, diese Zeit zu überstehen und wie langwierig der Kampf sein wird, bis alle Leute wieder frei sind.
Das Kollektiv von Gaskarov.info unterstützt nachdrücklich die Forderung nach der Freilassung Alexej Polihovichs. Wir werden die Situation der Politgefangenen in Russland auch weiterhin durch Informationsverbreitung und Protestaktionen beleuchten und thematisieren.
Wir würden wahrscheinlich zusammenwohnen, hätten irgendwo eine kleine Mietwohnung, würden arbeiten und uns einen Kater anschaffen (Ljesha vergöttert Katzen), einen Gauner und Rowdy, der die Tapeten zerfetzen würde. Aber wir würden ihn trotzdem unendlich lieben und ihn mit allerhand Leckereien verwöhnen. In diesem Sommer wären wir ans Meer gefahren oder hätten eine kleine Städtereise gemacht, entweder zu zweit oder mit Freunden_innen.
Wir würden fast jeden Morgen nebeneinander aufwachen, uns über verschiedene Kleinigkeiten streiten, hätten hitzige Diskussionen über Nachrichten, Bücher, Zeitungsartikel, Ideen. Wir würden einander widersprechen aber schließlich – das weiß ich genau – immer einen Konsens finden.
Ich denke ständig daran, was wäre, wenn. Und das bringt mich immer zurück in die Realität.
25. Juli 2012: Am Abend haben wir uns an der Metro-Station verabschiedet und abgemacht, dass wir uns am nächsten Morgen oder tagsüber bei einander melden. Ljesha ist nachhause gefahren und ich blieb über Nacht bei einem Freund.
Ein ganz gewöhnlicher Tag. Ein ganz gewöhnlicher Abend. Und dann geschah das, worauf wir absolut nicht vorbereitet waren.
Anrufe seiner Großeltern, Baldrian und Versammlungen, die nächtliche Petrovka und eine Suche. Jemand ruft an, sagt irgendetwas, der Morgen, ein Anwalt, die Eltern und ein ganzer Tag des Hin- und Herfahrens, Journalisten_innen, die Nacht, der Versuch, zu schlafen. Und schon ist es Freitag, der 27. Juli, das Basmann-Gerichtsgebäude, die Verhaftung.
Einatmen, Ausatmen.
Juli 2013: Die Hochzeit von Sasha Duhanina
Ich ziehe es vor, daran zu denken und nicht daran, dass bereits ein ganzes Jahr vergangen ist, dass all unsere Pläne, unsere Träume in unseren Köpfen bleiben mussten und auf dem Papier unserer Briefe.
Ich ziehe es vor, mich für sie und ihren Mann zu freuen und nicht meine ohnehin ausgezehrten Nerven zu strapazieren. Ich möchte dieses Jahr als eine Erfahrung betrachten und nicht als größtmögliche Tragödie.
Ich möchte lieber „Danke“ sagen, an meine Eltern, meine Freunde_innen, an diese robustesten Zinnsoldaten_innen in meinem Leben, und an all die Leute, die gezeigt haben, dass Menschlichkeit möglich und nötig ist, dass Solidarität kein leeres Wort ist. Lieber das, anstatt Worte des Hasses, gerichtet an den Staat und all seine Institutionen, obwohl solche Gefühle von mir Besitz ergreifen.
Immer wenn es scheint, man sei an der Grenze seiner Möglichkeiten angelangt, an einer Art Abhang, von dem man in die Tiefe stürzen könnte, muss man sich daran erinnern, dass wir eine unerschöpfliche Kraftquelle besitzen, dass wir unsere Stärke aus allem ziehen können, selbst aus Kleinigkeiten.
Das bedeutet, dass wir nicht aufgeben werden.
Das bedeutet, dass wir weiterkämpfen werden.
0 notes
gaskarov-de · 11 years ago
Text
"Gaskarov wurde mit einem Schlagstock ins Gesicht geschlagen, zu Boden geworfen und getreten. Das Blut lief ihm in die Augen und er verlor beinahe das Bewusstsein."
Tumblr media
Pavel Chikov, Mitglied des präsidentiellen Ausschusses für Menschenrechte und Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation "Agora", hat sich an den Moskauer Staatsanwalt Sergej Kudeneev mit der Bitte gewandt, eine Untersuchung von Vorwürfen gegen Polizeiangehörige durchzuführen, denen Gewaltanwendung gegenüber Demonstrierenden zur Last gelegt wird.
Seinen Worten zufolge werden solche Fälle häufig überhaupt nicht untersucht.
Ein Teil seiner Anfrage befasst sich mit den Geschehnissen im Rahmen von Alexej Gaskarovs Teilnahme an der Demonstration am 6. Mai 2012:
Alexej Gaskarov: Antifaschist, Mitglied des Koordinationsrates der Opposition.
Am 6. Mai 2012 beschloss er, an einer bei der Moskauer Stadtverwaltung angemeldeten, öffentlichen Veranstaltung teilzunehmen, die als Kundgebung und Demonstration unter dem Titel "Marsch der Millionen" angekündigt war. Während der Demonstration sah er, wie Angehörige der OMON-Polizeieinheit sich offensichtlich aggressiv gegenüber Demonstrierenden verhielten, indem sie in die Menge liefen und begannen, Menschen zu schlagen und diese hinter die Absperrung zu zerren.
Von den Leidtragenden dieser Gewalt ging indes keinerlei Aggression aus. Unter den Festgenommenen befanden sich sowohl Frauen, als auch Minderjährige. Die OMON-Angehörigen machten keine Angaben zu den Gründen ihrer Maßnahmen, sie taten sich einzig durch ihre unflätige Ausdrucksweise hervor. Als die OMON-Kräfte zum wiederholten Mal versuchten, jemanden festzunehmen, konnte er [Gaskarov - Anm. d. Übs.] sich nicht länger zurückhalten und lief auf sie zu, um sie davon abzubringen. Auf seine Frage "Was tut ihr den bloß?" erhielt Gaskarov einen Schlagstock ins Gesicht, er wurde zu Boden geworfen und getreten. Einige Zeit bedeckte er sich mit Händen und Armen, erhielt aber einen sehr starken Schlag kurz über dem Auge. Das Blut begann, ihm in die Augen zu laufen und er verlor beinahe das Bewusstsein. Gleichzeitig versuchten die OMON-Kräfte, ihn festzusetzen. Als sie jedoch seinen Zustand bemerkten, ließen sie ihn einfach mitten auf dem Platz liegen und gingen wieder hinter die Absperrung.
Demonstrierende halfen Gaskarov wieder auf die Beine und begleiteten ihn bis zur Tretjakovskaja-Galerie, wo sich ein Erste-Hilfe-Punkt befand. Dort wurde seine Wunde gereinigt, er fühlte sich jedoch nicht gut und fuhr ins Krankenhaus. Dort stellten die Ärzte eine offene Kopfwunde fest, die mit drei Stichen genäht werden musste.
Infolge dieser Geschehnisse wandte sich Gaskarov an das Moskauer Ermittlungskomitee der Staatsanwaltschaft, erhielt dort jedoch die Antwort, dass seine Aussage nicht genug Informationen beinhalte, die eine Untersuchung über etwaige ungesetzliche Handlungen von Seiten Polizeiangehöriger ermöglichen würden.
Die Anfrage thematisiert darüber hinaus einige weitere äußerst bezeichnende Vorfälle:
am 31. Mai 2010 wurde dem Journalisten Aleksander Artemjev bei dessen Verhaftung auf dem Triumph-Platz der Arm gebrochen, auch die Journalistin Jenny Kurpen trug am 23. Juli 2011 Verletzungen davon. Am 31. Juli 2011 wurde der Fotoreporter Dmitrij Shedrin auf der Tverskaja-Straße verhaftet, der, wie Chikov angibt, in den administrativen Räumlichkeiten der Metro-Station "Majakovskaja" festgehalten und mit Handschellen gefesselt wurde, woraufhin er zusammengeschlagen wurde.
"Die oben dargelegten Fakten zeigen, dass das Moskauer Ermittlungskomitee systematisch und seit geraumer Zeit seinen Aufgaben und Pflichten nicht in gebührendem Maße nachkommt. Außerdem weigert er sich auf ungesetzliche Art, Ermittlungen aufzunehmen, selbst wenn offensichtliche Beweise für im Dienst begangene Gewaltverbrechen vorliegen.", heißt es in Chikovs Gesuch an den Moskauer Staatsanwalt.  
0 notes
gaskarov-de · 11 years ago
Text
Toni Negri: „Ihr müsst Gaskarov seine Freiheit zurückgeben“
Tumblr media
Der bekannte italienische Politikwissenschaftler und Autor von „Empire – die neue Weltordnung“ und „Multitude“ setzt sich mit einem offenen Brief für die Freilassung von Aleksej Gaskarov ein.
Geleitwort 
Es sind mittlerweile über zwei Monate seit der Verhaftung Alexej Gaskarovs vergangen, die ihn zum bisher letzten Betroffenen im "Bolotnaya-Prozess" gemacht hat. Seit Anfang an schwang in den Argumenten der Ermittelnden ihm gegenüber eine besondere Tonart mit, die Gaskarov aus der Masse der Angeklagten heraushebt: gerade er scheint besonders gefährlich zu sein in seiner Position als öffentliche Führungsfigur, als Aktivist des linken Flügels der Protestbewegung, als Mensch, der von seinem Handeln überzeugt ist und der Andere überzeugen kann.
Negri verbrachte mehrere Jahre hinter Gittern, ohne dass ihm konkrete Beschuldigungen zur Last gelegt wurden. Seine Straftat bestand, den Worten Michel Foucaults zufolge, einzig darin, "ein Intellektueller zu sein". Mit dieser Aussage wollte er jedoch mitnichten Mitleid für den zu Unrecht inhaftierten Schriftsteller erregen, sondern den wahren Grund für dessen Verhaftung sichtbar machen. Ein Intellektueller zu sein bedeutet nicht nur, des Denkens mächtig zu sein, sondern auch, das Denken mit einem politischen Handeln in Einklang zu bringen. In den 2000er Jahren, nach seiner langjährigen Inhaftierung, verfassten Antonio Negri und der amerikanische Professor Michael Hardt ihr Werk "Empire: Die neue Weltordnung", welches zu den bedeutendsten politischen Darstellungen des Jahrzehnts gehörte. Desselben Jahrzehnts, das sowohl die Antiglobalisierungsbewegung hervorbrachte, als auch den "Arabischen Frühling", Occupy Wallstreet und auch unseren Dezember 2011 [Die Massenproteste gegen Wahlfälschungen während der russländischen Präsidentschaftswahl - Anm. d. Übs..]. Jedes dieser Ereignisse und jede Lebensepisode ihrer Teilnehmenden und Beobachter_innen weisen - wie bereits der verwirrte Polizist aus dem Film "V wie Vendetta" sagte: "irgendeine eigenartige Verbindung" auf. Diese Verbindung wird kaum eine Hundertschaft von Spezialisten_innen aus dem Untersuchungsausschuss der Russländischen Föderation entdecken können - den nicht miteinander bekannten Alexej Gaskarov und Antnio Negri ist sie jedoch sofort klar.
Diesen offenen Brief schrieb Negri, nachdem er durch Kooperation mit russischen Aktiven von den Umständen der Verhaftung Alexejs erfahren hat. COLTA.RU veröffentlicht eine Übersetzung aus dem Italienischen.
Ilya Budrajtskis
Liebe Genossen_innen!
Die Nachricht von den grausamen Repressionen gegenüber der linken Opposition in Russland verärgert, beunruhigt und bestürzt mich zutiefst. Nachdem die wiederkehrenden Massendemonstrationen seit 2011 gezeigt haben, dass in Russland eine wachsende Opposition gegen das kapitalistische Gesellschaftssystem und seine Regierung heranwächst, hat die herrschende Oligarchie zum Gegenschlag ausgeholt: zu Repressionen, die wenig Hoffnung lassen auf eine Wiederholung der Option für eine wahrhaft demokratische Praxis in Russland.
Die Verhaftung Alexej Gaskarovs ist ein weiteres Beispiel für einen deutlichen Verstoß gegen alle demokratischen Regeln des Versammlungsrechts und des Rechts auf freie Meinungsäußerung.
Wir haben uns nie der Illusion hingegeben, diese Regeln seien universell anwendbar. Und doch existiert eine Grenze, die nicht überschritten werden darf: sie betrifft das Recht auf Protest, die radikale und beständige Forderung auf ein Leben innerhalb eines politischen Rahmens, der uns nicht dazu zwingt, uns stumm allen Entscheidungen der Regierung zu ergeben und den Befehlen ihrer Polizei-Schergen zu gehorchen, und uns ebenso wenig mit der populistischen Erpressung durch „Ruhe und Ordnung“ zufrieden zu geben. Ihr könnt uns verfolgen. Doch ihr werdet uns niemals unsere Seele nehmen können, die sich wehrt und die von einer unzähmbaren demokratischen Leidenschaft genährt wird.
Doch Achtung: Arbeit wird zunehmend intellektueller und es ist allein die menschliche Subjektivität, die sich zur Triebkraft der Produktion entwickelt. Ihr, die Mächtigen, die Oligarchen, die ihr in euren Händen sowohl die politische, als auch die ökonomische Macht vereint, besitzt ohne Zweifel auch die Macht der Unterdrückung. Doch wer kann euch garantieren, dass diese Unterdrückung nicht euer eigenes Produktionssystem in die Krise stürzt? Die freiheitliche Natur der intellektuellen Arbeit zeigt ihr Bewusstsein in einer Vielzahl Lohnarbeitender und sogar unter denen, die bloß Zeitarbeit verrichten, weltweit. Von den Ländern des Maghreb bis nach Madrid und Barcelona, von Griechenland bis nach New York und Montreal... Und heute auch in der Türkei und Brasilien.
Alexej Gaskarov gehört zu dieser Generation erzürnter Aktivisten_innen. Ihr dachtet, dass dieser befreiende Tsunami nicht bis zu den Grenzen Russlands vordringen wird? Ihr müsst Gaskarov seine Freiheit zurückgeben, denn er repräsentiert die Mehrheit dieser neuen Arbeitenden der materiellen und immateriellen Berufszweige, von denen schlussendlich das Wohlergehen und das intellektuelle Niveau unserer Gesellschaften abhängen.
Der Wille Gaskarovs zum Widerstand ist eine heilige Sache. Tausende weitere Bürger_innen sind an seiner Seite und neben seinem widerständigen Geist aufgewachsen; sie können nicht unterdrückt werden, man muss Verständnis für die Gründe ihres Aufstandes entwickeln. Auch wir, Antifaschisten_innen und Aktivisten_innen, die für Gleichheit und Gerechtigkeit gekämpft haben, waren nach 1968 von Repressionen betroffen. Wir sind gestärkt und klüger aus dem Gefängnis gekommen. Wollt ihr also tatsächlich nicht all diejenigen befreien, die 2011 ihren Protest begonnen haben? Es ist traurig mitanzusehen, was Europa und die ganze Welt in Russland beobachten: das Ende der herrschenden Klasse, die im Sozialismus erzogen wurde und die sich nach ihrer politischen Niederlage zu Reaktionären entwickelte. Dies ist auch der größte Mangel unseres gegenwärtigen politischen Systems: die Ausnutzung von Macht als Hilfsinstrument eines verwaltungstechnischen Zynismus und die Abkehr vom Richtigen und der Gerechtigkeit.
Als der Stalinismus zusammenbrach, glaubten wir nicht an eine kapitalistische Invasion in Russland; als die ersten neoliberalen russländischen Regierungen ihre Macht verloren, hofften wir, dass die Mehrheit der Arbeitenden und Denkenden in Europa und Russland - der erschaffende Intellekt - einen Weg finden würden, sich zusammenzuschließen, in ihrer Hoffnung auf Frieden und Gerechtigkeit. Heute scheint es, als bewegten die russischen Oligarchen und die europäischen Neoliberalen sich dorthin, woher es kein Zurück mehr gibt: sie nutzen Repression, sie schotten sich zunehmend von der Bevölkerung ab und zerstören deren Hoffnung auf Glück.
Freiheit für Alexej Gaskarov!
Toni Negri
Venedig, 01. Juli 2013  
0 notes
gaskarov-de · 11 years ago
Text
Gericht bestätigt Haftverlängerung für Aleksej Gaskarow
Tumblr media
Am Mittwoch den 24. Juli bestätigte das Moskauer Stadtgericht die Haftverlängerung für Aleksej Gaskarow und wies damit die Haftbeschwerde der Verteidigung zurück. Dies teilte dessen Anwalt Dmitrij Dinze der Agentur RAPSI mit. Gaskarow wird die Beteiligung an „Massenunruhen“ auf dem Bolotnaja-Platz am 6. Mai 2012 vorgeworfen.
Ende Juni verfügte das Moskauer Basman-Gericht über eine Verlängerung der Untersuchungshaft für Aleksej Gaskarow bis zum 6. Oktober.
Zuvor teilte der zuständige Ermittler mit, dass im Fall Gaskarow einige Gutachten noch nicht fertig gestellt seien, außerdem schloss er die Ausweitung der Ermittlungen aufgrund neuer Anschuldigungen nicht aus. Als Beleg dafür, dass Gaskarow sich dem Prozess entziehen könnte, verwies der Ermittler auf dessen Zugehörigkeit zur Antifabewegung. Außerdem gab er an, „seine Bekannten sind in der Lage innerhalb kürzester Zeit bedeutende Geldsummen zu akquirieren“. Die Verteidigung fügte ihrerseits den Akten Nachweise über positive Charaktereigenschaften Gaskarows und einige Bürgschaften bei, darunter vom Chefredakteur der „Nowaja Gazeta“ Dmitrij Muratow.
Nach Angaben der Ermittler habe Gaskarow am 6. Mai 2012 auf dem Bolotnaja-Platz in Moskau angeblich eine „Gruppe von Personen befehligt“, die sich aktiv an den „Massenunruhen“ beteiligte. Außerdem habe er gegen einen Polizisten „persönlich Gewalt angewendet“. Gaskarow hat zwar kein Schuldgeständnis abgelegt, leugnet aber seine Anwesenheit auf dem Platz nicht.
0 notes
gaskarov-de · 12 years ago
Text
Tagebuch einer Braut: “Wir werden dahin gehen wie zur Arbeit”
Tumblr media
Am 2. Juli wird das Moskauer Stadtgericht (Mosgorsud) die Berufung wegen Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Bolotnaya-Gefangenen im „Fall der Zwölf“ verhandeln. Auch wir müssen dann dort sein.
Es stimmt, dass in den Saal nur Angehörige, die Presse und eine sehr geringe Anzahl an Zuschauern_innen gelassen werden. Ja, die die reinkommen, werden sich unglaublich langweilen unter der monotonen Litanei der Ermittelnden und Richter. Die, die nicht rein gelassen werden, werden in der Hitze vor dem Gerichtsgebäude stehen und mithilfe sozialer Netzwerke und den Mitteilungen derer, die im Saal sind, dieselbe monotone Litanei nachverfolgen können.
Und ja, bereits seit einem Jahr passiert Monat für Monat kein Wunder und das Gericht behält die Gefangenen des „Bolotnaya-Prozesses“ jedes Mal weiterhin unter Arrest.
Ja, wir sind erschöpft und es stimmt, Gerichtsverhandlungen sind langweilig. Macht es denn überhaupt Sinn, zu den Verhandlungen zu gehen? JA.
Wenn ich mich nicht irre, stammt der Ausspruch „Wir werden dahin gehen wie zur Arbeit“ von Alexej Navalnyi, aus seiner Rede auf dem Sakharov-Prospekt vor 100 000 Zuhörenden. Daraufhin haben aus unerfindlichen Gründen Mitglieder der NASHI verkleidet als Gemüse [Synonym im Russischen für Versager] (oder Gemüse verkleidet als NASHI) mit Schildern, auf denen diese Aufschrift zu lesen war, damit begonnen, zu den Verhandlungen zu gehen, als sei dies etwas Verruchtes.
Aber der Gedanke an sich ist ja völlig richtig. Seit einigen Tagen gibt es sogar eine sehr bequeme Möglichkeit online die Mitteilungen der Gerichte mitzuverfolgen und im Vorhinein in Erfahrung zu bringen, wie viele Leute zum Prozess kommen werden.
Manchmal muss Motivation nicht von rationalen Beweggründen herrühren. Kommt bloß einmal zu den Verhandlungen, schaut den Gefangenen und ihren Angehörigen in die Augen und ihr werdet verstehen, warum es wichtig ist, ins Gericht zu gehen.
0 notes
gaskarov-de · 12 years ago
Text
Konzert in München
Tumblr media
Im Rahmen der internationalen Solidaritäts-Kampagne für Alexej Gaskarov wurde während eines Konzertes auf Initiative von Aktivisten_innen verschiedner Gruppen des autonomen Zentrums "Cafe Marat" München eine "Gaskarov-Soli-Bar" organisiert. Dadurch kamen an diesem Abend 167€ für die Solidaritäts-Kampagne in Moskau zusammen. Zwei Wochen zuvor, während der Geburtstagsfeierlichkeiten der feministischen Gruppe asab_m, führten die Genossen_innen einen Unterstützer_innen-Workshop für russische linke Aktivisten_innen durch. Hier bastelten die Teilnehmenden unter Anderem ein Solidaritätsbanner für Fahrrad-Demos, zur Unterstützung der Gefangenen des 6. Mai.
0 notes
gaskarov-de · 12 years ago
Text
„Wenn es keine andere Möglichkeit gibt, heiraten wir natürlich im Gefängnis“
Tumblr media
Lenta.ru veröffentlicht eine Serie von Artikeln unter dem Titel „Schwierige Familienverhältnisse. Über das Leben der Ehegatten und Freundinnen der vom ‘Bolotnаja-Verfahren‘ Betroffenen“.
(…) Der folgende Artikel ist Anna Karpova, Alexej Gaskarovs Verlobten, gewidmet.
Alexej Gaskarov, der Verlobte der 22jährigen Studentin Anna Karpova, wurde am 28. April 2013 verhaftet. Er ist der 28. und bisher letzte Angeklagte im sogenannten ‘Bolotnaja-Verfahren‘. Seinen Eltern gelang es jeweils einmal, ihren Sohn im Untersuchungsgefängnis zu besuchen, Anna jedoch erhält keine Besuchserlaubnis – ohne Angabe von Gründen. Sie selbst ist der Ansicht, dass sie nicht zu ihrem Freund gelassen wird, weil sie am 6. Mai 2012 mit ihm zusammen auf dem Bolotnaja-Platz war.
„Ljesha wollte einfach einem Menschen helfen, der von der Polizei festgehalten wurde. Zu behaupten, er habe jemanden verprügelt, ist einfach dumm. Er versucht selbst nach Möglichkeit, nicht in solche Situationen zu geraten, weil er weiß, dass sie als Grund für eine Verhaftung dienen könnten – wie es schließlich auch gekommen ist,“ sagt Anna. In derselben Aufzeichnung ist auch eine andere Szene zu sehen: ein OMON-Beamter wirft Gaskarov zu Boden und tritt ihn anschließend ins Gesicht. Die Anzeige, die Gaskarov gegen diesen Polizeibeamten gestellt hat, wurde abgewiesen.
Im Spätsommer 2012, als die Massenverhaftungen im Zuge des ‘Bolotnaja-Verfahrens‘ begannen, fuhren Karpova und Gaskarov nach Spanien. Dort, in einem Vergnügungspark unweit von Barcelona, machte er ihr einen Heiratsantrag.
Im Unterschied zu manch einem anderen Angeklagten dieses Prozesses, kam die Verhaftung Alexejs für das Paar nicht gänzlich unerwartet. „Ljesha und ich haben viele Male überlegt, ob er zu den Angeklagten des 6. Mai gehören wird. Zum Einen hat er diesen OMON-Beamten angefasst. Außerdem, nachdem Konstantin Lebedev verhaftet und unter Hausarrest gesetzt wurde, hatten wir große Befürchtungen, dass er in seiner Aussage Ljeshas Namen nennt, weil er bekannt ist,“ erzählt Anna. Sie befürchtet, dass die Staatsanwaltschaft noch „große Pläne“ mit Alexej hat. Die Seite der Anklage scheint genau das zu bestätigen: der Ermittler im ‘Bolotnaja-Verfahren‘ sagte in einem Interview gegenüber lenta.ru, dass es seiner Meinung nach gerade Gaskarov war, der eine Gruppe von maskierten Provokateuren auf den Platz gebracht habe.
„Sie haben ihn einfach aus meinem Leben gerissen, er ist weg und es gibt keine Hochzeit“, seufzt Anna. „Ich habe Ljesha vorgeschlagen, im Untersuchungsgefängnis zu heiraten, aber er hat gesagt, dass er seine Hochzeit nicht mit diesem Ort in Verbindung bringen will. Andererseits, wenn es keine andere Möglichkeit für uns geben wird, einander zu treffen, werden wir natürlich heiraten.“
Link zum vollständigen Artikel auf Russisch
0 notes
gaskarov-de · 12 years ago
Text
Aleksej Gaskarow bleibt bis zum 6. Oktober in U-Haft
Tumblr media
Die Anwältin Swetlana Sidorkina nahm mehrere Bürgschaftserklärungen in die Akten auf, u.a. vom Chefredakteur der „Nowaja Gazeta“ Dmitrij Muratow, dem Eigentümer des Internetfernsehsenders „Dozhd“ („tvrain.ru“) Alexander Winokurow (er erschien persönlich im Gericht). Außerdem legte sie positive Beurteilungen ihres Mandanten vor: von seinen Mitstreitern im Koordinationsrat der Opposition, in den Aleksej mit 22 000 Stimmen gewählt wurde, und dem lokalen Äquivalent in seinem Wohnort, dem Volksrat von Zhukowskij; von seinen Nachbarn und dem Helden der Sowjetunion, dem Kosmonauten Igor Wolk, mit dem er gemeinsam im Fitnessstudio trainiert und dem verdienten Testpiloten Wladimir Kondratenko. Außerdem beantragte die Anwältin die Aufnahme zu den Akten von 500 Unterschriften von Bürgern aus Zhukowskij (Aleksejs Geburts- und Wohnort) unter der Bitte um Hafterleichterung. Und Materialien aus den Medien, die über Gaskarows Engagement als Antifaschist und in sozialen Bewegungen berichten: „Kann sich eine untergetauchte Person überhaupt gesellschaftspolitisch engagieren?“
Der Ermittler Bykow forderte, wie zu erwarten war, einen Großteil der Materialien nicht in die Akten aufzunehmen: „Die wichtigste Beurteilung von Gaskarow, nämlich dass er gemeinsam mit einer Gruppe weiterer Personen Polizeiangehörige angegriffen hat, ist völlig ausreichend.“ Aleksej wiederholte aus dem Käfig heraus gegenüber der Richterin, dass er einen Polizeiangehörigen von einem Demonstranten weggestoßen habe, den jener im Begriff war festzunehmen. Doch wertet er dies nicht nicht als Gewaltakt, da er nicht die Absicht verfolgte den Polizisten zu schädigen und ihm auch keinerlei Verletzungen zugefügt hat. Auf dem Bolotnaja-Platz wurde Gaskarow selbst verprügelt und kurz nach dem 6. Mai stellte Gaskarow eine Anzeige gegen OMON-Angehörige, der er Nachweise über seine Verletzungen beigelegt hatte. „Dieser Umstand zeugt davon, dass ich keine Absicht hatte unterzutauchen“, erklärte er der Richterin mit leiser und ruhiger Stimme, mit der man gewöhnlich Kinder beruhigt.
Bykow las offenbar vom gleichen Blatt ab wie im April beim ersten Haftprüfungstermin, jedenfalls sind die Formulierungen die gleichen geblieben: „...führte einen konspirativen Lebenswandel, wechselte seine Wohnorte, beabsichtigte sich ins Ausland abzusetzen.“ Nur dass früher nur vom Ausland die Rede war, während jetzt in den Prozessakten der Begriff „Länder mit antirussischen Einstellungen“ auftauchte, wohin Gaskarow nach Ansicht der Ermittler häufig reiste.
Gaskarows Arbeitskollege aus der Consulting-Firma „Expert Systems“ Jegor Ozhereljew erschien persönlich vor Gericht, um die Behauptung zu widerlegen, Aleksej sei vor seiner Festnahme untergetaucht. Er sagte aus, dass Gaskarow ein verantwortungsvoller Mitarbeiter sei, jede Aufgabe mit Erfolg bewältigte und regelmäßig an seinem Arbeitsplatz erschien ohne Fehlzeiten, außer in den Fällen, in denen ihn Staatsschutzmitarbeiter ohne Vorwarnung vor dem Bürogebäude abpassten, um an einem anderen Ort mit ihm „zu reden“.
Sidorkina beantragte eine Freilassung gegen Kaution. Aleksejs Mutter stellte als Gegenwert ihre Wohnung im Wert von etwa 83 000 Euro zur Verfügung, in der ihr Sohn gemeldet ist. „Er besitzt keine eigene Wohnung. Die Mutter ist eine andere Person“, entgegnete der Staatsanwalt und legte gegen den Antrag Einspruch ein.
In der Strafsache tauchte ein neue Zeuge auf, wie bei den zwei vorhergehenden wird auch dessen Identität unter Verschluss gehalten. Allerdings handelt es sich dieses Mal nicht um einen Polizeiangehörigen, sondern um eine Person, die sich der anarchistischen Bewegung zugehörig fühlt. Gemäß den Zeugenaussagen fürchtet er um sein Leben, da „Aktivisten eine Zusammenarbeit mit der Polizei nicht gutheißen“. Weiter heißt es darin, das Ziel der Anarchisten bestünde im Widerstand gegen das Staatssystem und fester Bestandteil der Ideologie sei Gewaltanwendung.
„Ihr Vorgehen gleicht dem im Fall Chimki, wenn ihnen die Beweise ausgehen sammeln sie gefälschte Aussagen. Ich denke, dass es diese Person gar nicht gibt“, äußert sich die Freundin von Gaskarow Anna Karopowa.
Zum Schluss der Verhandlung hielt Swetlana Sidorkina ein leidenschaftliches Plädoyer: „Ich habe meinen Mandanten um das Fünffache mehr schätzen gelernt seit ich ihn besser kennengelernt habe. Nie zuvor bin ich einem Menschen mit einem solch idealen Lebenswandel begegnet. Alle von jung bis alt sprechen von ihm als einen bemerkenswerten Menschen. Wäre er in Freiheit, könnte er viel mehr zum Wohl des Landes beitragen. Der Ermittler führte keinen polizeilichen Ermittlungsvorgang an, den Aleksej behindern könnte.“
„Es liegen keine ausreichenden Grundlagen für die Aussetzung der Untersuchungshaft vor“, lautete die lakonische Schlussfolgerung des Staatsanwalts. Im Saal brach hilfloses Lachen aus.
Die Richterin Skuridina verlängerte die U-Haft von Aleksej Gaskarow um drei Monate und acht Tage bis zum 6. Oktober.
Natalja Zotowa, Novaja Gazeta
0 notes
gaskarov-de · 12 years ago
Text
Haftprüfungstermin am 25. Juni
Tumblr media
Der nächste Haftprüfungstermin für Aleksej Gaskarow ist für den 25. Juni um 16 Uhr angesetzt. Seine beiden Anwälte wurden erst am Vortag über diesen Umstand in Kenntnis gesetzt. Beide vertreten außerdem Mandanten in dem Gerichtsprozess wegen sogenannter „Massenunruhen“, der am 24. Juni gegen zwölf von insgesamt 27 Angeklagten begann. Die Verhandlungen werden am morgigen Dienstag fortgesetzt. 
0 notes
gaskarov-de · 12 years ago
Text
Aleksej Gaskarow bleibt weiter in U-Haft
Tumblr media
Am 19. Juni wies das Moskauer Stadtgericht die Haftbeschwerde gegen die Anordnung des Basman-Gerichts über Untersuchungshaft für Aleksej Gaskarow zurück. Die Richter benötigten zur Beschlussfindung gerade mal drei Minuten. Aleksej wurde nicht zum Gericht gebracht. Er nahm an der Verhandlung per Videoübertragung teil und beschwerte sich aufgrund der schlechten Verbindung.
Etwa 50 Menschen versammelten sich vor dem Gerichtssaal, um Aleksej ihre Geburtstagsgrüße zu überbringen. Viele hielten Luftballons in den Händen. Doch die Polizei verdrängte sie von dem abgezäunten Gerichtsgelände und zum Gebäude erhielt nur Zutritt, wer ohne Plakate und Luftballons erschienen war.
0 notes
gaskarov-de · 12 years ago
Text
Tagebuch einer Braut: „Alles Gute zum Geburtstag, Ljosha!“
Tumblr media
"Ljosha, alles Gute zum Geburtstag! Ich liebe dich sehr!!! Komm so schnell wie möglich raus!"
Eigentlich wären wir heute morgen zusammen aufgewacht und hätten zusammen gefrühstückt. Ich hätte Ljosha zum Beispiel ein Ticket für die Ausstellung „Körperwelten“ und für eine Vorstellung im teatr.doc wie „Lärm“ oder „dok.tor“ geschenkt. Danach wäre Ljosha zur Arbeit gefahren und ich hätte den sich nach der Renovierung in Bad und Küche angesammelten Staub beseitigt. Anschließend wäre ich zur Abschlussfeier an meine Uni gefahren. Im Laufe des Tages hätten Ljosha und ich telefoniert, er hätte gesagt, dass er länger auf der Arbeit bleibt, weil dort sein Geburtstag gefeiert wird. Dann hätte ich unsere Eltern angerufen und die kleine Familienfeier um eine Stunde verschoben. Abends hätten wir mit unseren Eltern zusammen gesessen und anschließend wären wir nach Hause gegangen. Am Wochenende hätten wir Ljoshas Geburtstag mit unseren Freunden gefeiert, vielleicht wären wir zum See baden gegangen oder hätten Laserschlacht gespielt, danach wären wir dann zur Ausstellung und ins Theater gegangen.
Gefrühstückt wird der Reihe nach, da nicht alle Zelleninsassen gemeinsam am Tisch Platz finden. Um 9:30 findet eine Zellenkontrolle statt. Danach bekam Ljosha vermutlich viele Geburtstagsbriefe ausgehändigt. Und jetzt liest und beantwortet er sie vielleicht.
Und ich sammle heute die letzten Unterlagen für die morgige Gerichtsverhandlung im Moskauer Stadtgericht, die um 11 Uhr beginnt. Meine Abschlussfeier ist ausgefallen, da ich aufgrund von Ljoshas Festnahme es nicht geschafft habe mein Diplom zu verteidigen.
Jetzt sind die Gerichtsverhandlungen unsere einzige Möglichkeit uns zu sehen. Aber alle unsere Pläne sind nur aufgeschoben bis Ljosha frei kommt.
Tumblr media
0 notes
gaskarov-de · 12 years ago
Text
Tagebuch einer Braut
Jedes Mal wenn sich bei Ljosha und mir schwere Zeiten ankündigten tauchten in meinem Leben Vögel auf.
Im Jahr 2010 war es ein Nestflüchter, den Denis aufgesammelt hatte. Als Denis, Ljosha und Max als Geiseln genommen wurden blieb der kleine Vogel bei mir. Aber durch die täglichen Fahrten nach Chimki zu den Anwälten oder zum Untersuchungsgefängnis zur Übergabe von Lebensmittelpaketen konnte ich mich nicht um ihn kümmern und schließlich starb der Vogel. Denis war gezwungen wegzufahren und kann bis heute nicht nach Hause zurückkehren. Ljosha und Max wurden eingesperrt und blieben drei Monate in Haft.
Tumblr media Tumblr media
Schon damals hat sich bei mir das komische Gefühl breit gemacht, dass Ljoshas und mein Wohlbefinden vom Wohlbefinden dieser Vögel abhängt. Deshalb war ich ständig darum bemüht, dass weder meine Katze noch meine Gäste beim Gang auf den Balkon die Fliegenschnäpper-Familie übermäßig beunruhigen.
Im Mai kehrten die Vögel auf meinen Balkon zurück. In diesem Augenblick, wo ich diese Zeilen schreibe, scheinen durch das Fenster die Silhouetten winziger Vögel durch. Sie fangen Käfer und füttern ihren fünfköpfigen Nachwuchs.
Tumblr media Tumblr media
In der Natur ist es normal, dass sich Vögel einige Jahre hintereinander an ein und dem selben Ort einnisten, aber selbst mit diesem Wissen lässt mich das Gefühl nicht los, dass es sich nicht einfach um einen Zufall handelt. Ljosha erzählt in seinen Briefen über seinen Alltag in U-Haft und berichtet davon, dass sich viele Gefangene in Unfreiheit dem Glauben zuwenden. Wenn einem bewusst wird, dass eine lange Haftzeit bevorsteht und mit einem gerechten Verfahren nicht zu rechnen ist, fängt man an Wunder an zu glauben (und zu hoffen).
Das gleiche Phänomen trifft man bei Menschen in Freiheit an. Deshalb trage ich dafür Sorge, dass meinen Vögeln niemand beim Aufziehen ihres Nachwuchses in die Quere kommt. Und schon bald lernen sie zu fliegen.
Tumblr media
0 notes