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Law & Order
Lieber Hubertus Heil,
ich habe gestern als SPD-Mitglied eine Email von dir bekommen, in der es heißt, ich solle mich solidarisieren. Ich möchte auf diese Email antworten. Dabei soll es mir gar nicht darum gehen, dass ich eine Formulierung wie „[e]s ist eine neue Dimension sinnloser und widerwärtiger Gewalt“ oder der Bezeichnung „Protestterroristinnen und – terroristen“ nicht nur angesichts der NSU-Morde oder IS-Anschläge doch mindestens ungeschickt und geschichtsvergessen finde. Sondern darum, warum ich der Aufforderung nach einem pauschalen „Dank“ an „Polizei- und Rettungskräfte[] sowie […] friedliche[] Demonstranten in Hamburg“ nicht nachkommen möchte, sowie solche Aktionen der SPD – wohl wissend, dass meine Meinung niemanden recht interessieren wird – nicht raten möchte.
Erstens habe ich keinen Überblick über die Demonstrationen in Hamburg, ein pauschaler Dank an alle friedlichen Demonstrant*innen finde ich also ggf. etwas übereilt. Die Jusos haben ebenfalls nach Hamburg mobilisiert. Ihnen möchte ich danken, dafür, dass sie einen kritischen Blick auf das G20-Treffen und die damit verbundene Symbolpolitik werfen.
Zweitens möchte ich vllt. meinen Dank, mindestens aber meinen Respekt denjenigen Polizist*innen und Rettungskräften aussprechen, die in Hamburg und ganz Deutschland Dienst tun und dabei – in manch schwerer Lage – nicht nur Fassung und Ruhe bewahren, sondern womöglich auch um die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit, wie sie in GG Art 20 fundiert wird, bemüht sind.
Drittens möchte ich ganz ausdrücklich nicht in diesen Dank einschlie��en diejenigen Polizist*innen, vor allem aber deren verantwortliche Vorgesetzte in Politik und Polizeiführung, die jene Rechtsstaatlichkeit missachten. Eine Rechtsstaatlichkeit, die sie ja nicht in irgendeiner Weise „verteidigen“ können (es sei denn mensch traut dem Haufen „Chaoten“ staatsumstürzlerisches Potential zu), wie es in deiner Mail heißt: Rechtsstaatlichkeit richtet sich ja schließlich gegen den Staat und seine Exekutiv-Organe, d.h. sie verteidigen ihn immer nur dann, wenn sie sich daran halten. Und das passiert leider – auch in Hamburg – nicht immer. Eklatantes Beispiel dafür sind Nicht-Randalierende, die von Polizist*innen Schläge o.Ä. ausgesetzt sind oder auch Polizist*innen, die noch zuschlagen, wenn Menschen schon handlungsunfähig und prinzipiell ‚festnahmebereit‘ sind. Aber auch bei Menschen, die großzügig mit Pfefferspray bedacht werden, steht in Frage, ob es sich hier um – für die Polizei zwingend geforderte – erforderliche, d.h. nicht nur zweckmäßige, sondern auch vergleichsweise mildeste, Mittel handelt. Fehler sind menschlich und können passieren. Was aus meiner Sicht allerdings problematisch ist, ist eine fehlende Fehlerkultur innerhalb der Polizei, die dazu geeignet wäre dauerhaft auf eine Verringerung und Vermeidung von Fehlern hinzuwirken. Sichtbarstes Beispiel dafür ist die Gegnerschaft vieler Polizist*innen gegenüber einer individuellen Kennzeichnung oder ein Corps-Geist, der die konsequente Aufarbeitung von Rechtsverstößen verhindert. Solange diese Probleme nicht abgestellt und alle Polizist*innen zu Bürger*innen in Uniform, welche die freiheitlich demokratische Grundordnung wirklich hochhalten, geworden sind, müssen polizeiliche Ausbildung und Ausführung von Sozialdemokrat*innen kritisch begleitet werden – was ja im Übrigen auch die Aufgabe von Parteien wäre, die ja nicht nur exekutives Spitzenpersonal stellen, sondern eben auch Parlamentarier*innen (die dann trotz parlamentarischem Regierungssystem auch gerne mal kontrollierend werden dürfen).
Was mich zu viertens führt, dass nämlich führende SPD-Mitglieder und -Verantwortliche nun meinen, sich so undifferenziert äußern zu müssen, wie du es in deiner Mail getan hast. Kein Zweifel: ‚Chaoten-Verhalten‘, d.h. randalieren und dabei die Gesundheit von Menschen gefährden, bleibt abzulehnen. Aber das ist doch so eindeutig, dass es hier zwar noch einmal ausgesprochen sei, aber ja nicht wirklich einer weiteren Diskussion bedarf. Was du mit deiner Nachricht dafür meines Erachtens tust, ist über das zu springen, was Christopher Lauer andernorts [1] ein ‚Stöckchen‘ genannt hat. Nicht nur diese Mail, auch weitere Äußerungen in der jüngeren Vergangenheit, etwa das prominent lancierte Interview von Boris Pistorius [2] (wiederholt in der aktuellen Vorwärts) wirken für mich wie der krampfhafte Versuch, sich im Wahlkampf ein geschärftes innen- bzw. sicherheitspolitisches Profil zu verschaffen. Ich finde im Übrigen das grundsätzliche Anliegen, Sicherheit als öffentliches Gut zu betrachten, welches nicht privatisiert werden sollte, ja sehr richtig. Aber solche, mit Blick auf eine etwaige öffentliche Meinung getätigte Aussagen sind das Gegenteil meines Verständnisses von (sozialdemokratischer) Politik. Eine solche sollte – und das betont die SPD ja auch im laufenden Wahlkampf immer wieder – Haltung einnehmen und für Positionen, die als normativ richtig empfunden werden um Zustimmung werben, nicht anders herum. Und das heißt auch: Differenzierte Positionen zu Themen einnehmen und sich ggf. nicht von den Mechanismen einer (auf Sichtbarkeit [von Randale etwa]) basierenden Öffentlichkeit vereinnahmen lassen.
Vielen Dank und Glück auf!
[1] http://www.christopherlauer.de/2017/07/08/g20hamburg/
[2] http://www.rnd-news.de/Exklusive-News/Meldungen/Juni-2017/Pistorius-Plan-gegen-Fussball-Gewalt-SPD-droht-mit-lebenslangem-Stadionverbot
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Selbstevidenz
Joachim Herrmann hat das N-Wort gesagt. Im Fernsehen. „Neger“. Das ist nicht wirklich überraschend, aber trotzdem ein Skandal. Und exakt das finde ich Interessant. Weil es erneut Mechanismen des öffentlichen Diskurses und damit verbunden bestimmte Logiken (medialer) Reprãsentationen offenbart, die mir schon in einem anderen Fall (Lutz Bachmann) aufgefallen sind. Dazu gleich mehr.
Hermann ist Innenminister der CSU in Bayern. Jene CSU tut sich generell nicht gerade durch ein progressives Weltbild hervor. Ohne jetzt eine empirische Diskursanalyse durchgeführt zu haben, ließe sich mit Sicherheit zeigen, dass sowohl Hermann wie auch die CSU in vielen ihrer Aussagen und politischen Inhalten bestimmte, der Tendenz nach xenophobe Positionen vertreten und Bayern für normativ besser als den Rest der Welt halten. Aber wer macht sich diese Arbeit?
Das Wort „Neger“ trägt wiederum neben seinem Denotat „Mensch mit nicht-weißer Hautfarbe“ ein ganzes Konglomerat an (auch historisch bedingten) Mitbedeutungen, auch (und möglicherweise vorrangig) normativ abwertende. Aufgrund dieser Semantik -- und weil Sprache durchaus soziale Strukturen reproduzieren kann -- wird das Wort zur Denotation einer Differenz der Hautfarbe im alltäglichen Sprachgebrauch zunehmend weniger verwendet.
Auftritt Herrmann. Dieser versucht das Wort „unschuldig“ genau dafür zu gebrauchen, möglicherweise mit der Absicht jene Konnotationen mit zu transportieren, deutlich wahrscheinlicher jedoch aus Ignoranz. Da ich gut poststrukuralistisch auf Autorintentionen pfeife, soll dieser Beitrag sich auch gar nicht mit der Absicht hinter Herrmanns Aussage beschäftigen, sondern vielmehr mit der Reaktion darauf. Diese fiel (Stichprobe: meine Twitter-Timeline, ein paar online- und offline Zeitungen) äußerst negativ auf. „Herrmann äußert sich rassistisch“ lautete da eine Schlagzeile.
Größtenteils wurde ein Rassismus' Herrmanns jedoch lediglich über die Verwendung des einzelnen Wortes „Neger“ argumentiert. Das Wort transportiert ohne Frage eine rassistische Semantik. Es in Verbindung mit einer Kopula (Blanco ist/war ein Neger) zu verwenden bindet die (kollektiv) abwertenden Wortgehalte zudem an die jeweils bezeichnete Person. So weit, so wenig kontrovers. Die herablassende Verwendung von „wunderbarer“, Herrmanns Flüchtlingspolitik et al. boten allerdings weniger Anlass zu einer Berichterstattung über den Rassismus des Innenministers. Warum?
Weil die Verwendung von „Neger“ zu einem in sich schlüssigen, hinreichenden Beweis für Rassismus gerinnt. Während es aufwändiger erscheint, strukturellen Rassismus zu analysieren, scheint die Sache im Falle von „Neger“ selbstevident. Kurzum: „Das ist endlich der Beweis, der Typ ist ein Rassist.“
Das wiederum spiegelt eine imho problematische Art im öffentlichen Diskurs mit politisch rechten Positionen umzugehen. Solange nämlich auf die gängigen „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ verzichtet wird, gibt es kein Problem. Lutz Bachmann konnte wochenlang rassistische Parolen in Dresden von sich geben, zum Problem wurde es erst, als die Facebook Leaks auftauchten und auch dabei wurde sich vor allem auf das Foto (schon medial Evidenz produzierend) von ihm mit einschlägiger Frisur konzentriert: „Das ist endlich der Beweis, der Typ ist ein Nazi.“
Diese Konzentration auf vermeintlich selbstevidente Zeichen versteckt aber nicht nur einen rassistischen Diskurs, der ohne solche Zeichen auskommt, es löst das Zeichen auch aus seiner konkreten Verwendung heraus und macht auch jene verdächtig, die sich bewusst und informiert mit solchen Zeichen und deren Semantik (Historiker*innen, Diskursanalytiker*innen etc.) beschäftigen und diese dafür anzitieren.
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