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For the interested reader, diaries and notebooks can be placed in two categories: in the first the text is intended to be official, manifest, aimed at a readership. The notebook becomes a training ground for the outward self, and, as in the case of the nineteenth-century artist and diarist Marie Bashkirtseff, an open declaration, an unending monologue, addressed to an invisible but sympathetic ear. Still Iâm fascinated by the other sort of diary, the working tool, the sort the writer-as-craftsperson keeps close at hand, of little apparent use to the outsider. Susan Sontag, who practised this art form for decades, said of her diary that it was âan instrument, a toolâ â Iâm not sure this is entirely apt. Sontagâs notebooks (and the notebooks of other writers) are not just for the storage of ideas, like nuts in squirrelsâ cheeks, to be consumed later. Nor are they filled with quick outlines of events, to be recollected when needed. Notebooks are an essential daily activity for a certain type of person, loose-woven mesh on which they hang their clinging faith in reality and its continuing nature. Such texts have only one reader in mind, but this reader is utterly implicated. Break open a notebook at any point and be reminded of your own reality, because a notebook is a series of proofs that life has continuity and history, and (this is most important) that any point in your own past is still within your reach. Sontagâs notebooks are filled with such proofs: lists of films she has seen, books she has read, words that have charmed her, the dried husks of completed endeavours â and these are largely limited to the notebooks; they almost never feed into her books or films or articles, they are neither the starting point, nor the underpinning for her public work. They are not intended as explanations for another reader (perhaps for the self, although they are scribbled down at such a lick that sometimes itâs hard to make out what is meant). Like a fridge, or as it was once called, an ice house, a place where the fast-corrupting memory-product can be stored, a space for witness accounts and affirmations, or the material and outward signs of immaterial and elusive relations, to paraphrase Goncharov.
âMaria Stepanova, In Memory of Memory, tr. Sasha Dugdale (emphasis mine)
#maria stepanova#sasha dugdale#in memory of memory#susan sontag#words#mine#2024 reads#women in translation#on memory
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Sometimes it seems like it is only possible to love the past if you know it is definitely never going to return.
âFrom, In memory of memory, by Maria Stepanova
#maria stepanova#in memory of memory#literature#russian literature#literature academia#classic academia#light academia#academia aesthetic#classic academia aesthetic#light acadamia aesthetic#book quote#book quotes#bookblr
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Les histoires qui commencent ainsi: (M. Stepanovna)
Jâaime beaucoup les livres, les films, les histoires qui commencent ainsi: un homme arrive, par exemple, dans une modeste maison de la province  française profonde, il ouvre les fenĂȘtres, sort sur le balcon, dĂ©place les meubles pour les agencer Ă son goĂ»t. Il dĂ©balle ses livres crapahute sous la table pour brancher son ordinateur, Ă©tudie le contenu du buffet et choisit la tasse quâil utilisera. Il emprunte pour la premiĂšre fois un sentier forestier qui le mĂšne au village, achĂšte du fromage et des tomates, sâinstalle Ă une table de lâunique cafĂ© du lieu, boit du vin ou un petit noir, plisse les yeux au soleil, rentre chez lui. Il regarde la tĂ©lĂ©vision, admire le paysage par la fenĂȘtre, jette un coup dâoeil dans un livre, admire le plafond. Sâil est Ă©crivain, il se met au travail dĂšs le matin. Son dimanche sera gĂąchĂ© parce que la guerre Ă©clatera.
En mémoire de la mémoire, p.290.
#maria stepanova#cinĂ©ma#Ă©crire#livre#france#maison#Guerre#ForĂȘt#fenĂȘtre#cafĂ©s et restaurants#paysage
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To start writing was to cease to be a curious listener, an addressee, and to become instead the horizon point of the family line, the destination for the many-eyed, many-decked ship of family history. I would become a stranger, a teller of tales, a selector and a sifter, the one who decides what part of the huge volume of the unsaid must fit in the spotlight's circle, and what part will remain outside it in the darkness.
- Maria Stepanova, from In Memory of Memory
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Maria Stepanova/ FAZ
Die russische Frage
Mitte MĂ€rz letzten Jahres waren auf dem Moskauer Flughafen Wnukowo so gut wie alle Abfertigungsschalter geschlossen, nur an einem lief der Check-in fĂŒr einen Flug nach Istanbul. Die Schlange war lang. WĂ€hrend wir warteten, zĂ€hlte ich die Tiertransportboxen: Hunde, Katzen, mehrere Vögel â die Leute planten nicht, bald zurĂŒckzukommen. Nach der Passkontrolle fand ich eine Raucherkabine. Sie war schmal und eng wie eine HundehĂŒtte. Drinnen stand schon ein Mann. Er gab mir Feuer und fragte: âUnd von wo flĂŒchten Sie?â
Er selbst flĂŒchtete aus Donezk, im Moment versuchte er, sich via Moskau nach England durchzuschlagen, zu seinem Sohn. âWir haben euch ganz schön eingeheiztâ, sagte er auf Russisch zu mir. âWir machen euch fertig, ihr werdet schon sehen.â
Ich meinerseits hatte nicht das GefĂŒhl, auf der Flucht zu sein, eher im freien Fall â ich bewegte mich durch einen Raum, in dem ich plötzlich keinen Boden mehr unter den FĂŒĂen spĂŒrte. FĂŒr meine Reise gab es GrĂŒnde, langfristige PlĂ€ne, und diese PlĂ€ne wurden weiterhin umgesetzt, obwohl die Naturgesetze teils aufgehoben waren. Der von Russland begonnene Krieg hatte die alten ZusammenhĂ€nge obsolet gemacht: Alles, was auĂerhalb der Ukraine geschah, hatte keinen Zweck, keinen Sinn und kein Gewicht mehr â der Schwerpunkt hatte sich verschoben, er lag jetzt dort, wo Charkiw und Kiew beschossen wurden; wir dagegen setzten abseits davon aus reiner TrĂ€gheit irgendwelche unklaren Bewegungen fort, als wĂ€re die Welt nicht zusammengebrochen. Doch es war nichts mehr wie zuvor. Die Leute schliefen nicht mehr, auf den Displays leuchteten spĂ€t nachts wie frĂŒhmorgens die grĂŒnen Chatfenster, und Informationen â Schlagzeilen, Telegram-Nachrichten, Namen von StĂ€dten und Dörfern, Opferzahlen â konnte man neuerdings rund um die Uhr austauschen, weil sowieso niemand etwas anderes tat. Wenn man von Putin sprach, sagte man nur er, ohne weitere ErlĂ€uterung, und alle wussten, von wem die Rede war, wie in den Harry-Potter-BĂŒchern, wo Lord Voldemort nicht beim Namen genannt werden darf.
âWirâ waren zum Ort des Todes geworden
Auf Facebook erzĂ€hlten die Leute davon, wie sie in den ersten paar Minuten nach dem Aufwachen regelmĂ€Ăig vergessen hatten, was geschehen war, und erst dann brach es ĂŒber sie herein; sie erzĂ€hlten, dass sie nicht schlafen konnten; sie schrieben wie immer â Kommentare ĂŒber sich, ĂŒber das, was ihnen passierte, im kleinen Radius ihres eigenen Lebens, nur dass dieses Leben mit Beginn des Krieges ĂŒber Nacht seinen Wert verloren hatte: Es ging weiter, aber es bedeutete nichts mehr, und auch das Schreiben war sinnlos geworden. SelbstwertgefĂŒhl, Selbstachtung, der natĂŒrliche Glaube an das eigene Recht, sich zu Ă€uĂern und gehört zu werden, dieses ganze vertraute Denkbiotop war plötzlich verwelkt und vertrocknet, abgestorben. Mein Land hatte Tod und Leid ĂŒber ein anderes Land gebracht, und seither war die Ukraine, die ihre Alten, ihre Kinder, ihre Hunde zu schĂŒtzen suchte, der einzige verbliebene Ort des Lebens â ein Ort, wo man fĂŒr das Leben kĂ€mpfte, Leben rettete. âWirâ dagegen waren zum Ort des Todes geworden, ein Ort, von dem der Tod sich ausbreitete wie eine Seuche, und dieser Gedanke war ungewohnt.
Denn dieselben wir â Menschen meiner Generation und Ă€lter â waren einst in einem Land groĂ geworden, dessen zenÂtrales Narrativ, das alle Bewohner vereinte, nicht etwa der Traum vom Aufbau des Kommunismus war, sondern das Wissen um unseren Sieg in einem furchtbaren Krieg und die Ăberzeugung, dass es nichts Wichtigeres gab, als keinen weiteren Krieg zuzulassen. In diesem wir bĂŒndelte sich wie in einem Prisma die Erinnerung an unermessliches Leid und an eine ebenso unermessliche Anstrengung, die nötig gewesen war, um zu siegen; es war in gewissem Sinn gar nicht denkbar ohne die Erinnerung an das gemeinsam erbrachte Opfer, das alle verband. Der Sieg im Zweiten Weltkrieg war wohl das einzige historische Faktum, ĂŒber das in Putins Russland Einigkeit herrschte. Alles andere und alle anderen â Iwan der Schreckliche und Stalin, Peter der GroĂe und Lenin, die Revolution von 1917 und der Zerfall der Sowjetunion, der GroĂe Terror der 1930er- und die Reformen der 1990er-Jahre â waren und sind bis heute umstritten, und der Streit darĂŒber wird im Lauf der Zeit immer hitziger, eine Art ErinnerungsbĂŒrgerkrieg, ein Bruderkrieg, in dem niemand mit niemandem ĂŒbereinstimmt.
Ein ohnmÀchtiger Teil der Gewalt
Dieses Fehlen einer gemeinsamen Erinnerung, eines gemeinsamen, von der Mehrheit der Gesellschaft geteilten Blicks auf die eigene Geschichte ist einer der charakteristischsten und konstantesten ZĂŒge der russlĂ€ndischen Wirklichkeit. Allein der Zweite Weltkrieg â der Sieg ebenso wie die unheilbare Wunde, die dieser Krieg dem lebendigen Körper des Landes zugefĂŒgt hat, und die besondere, sakrale Bedeutung dieses Kriegs und Siegs â bleibt ein Feld, auf dem Geschichte eine von allen gemeinsam durchlebte Erfahrung ist, an der jeder seinen Anteil hat.
Dass das so ist, hat mit dem so seltenen wie kostbaren GefĂŒhl zu tun, dass das Leid und der gewaltsame Tod von Millionen wenigstens in diesem Abschnitt der russlĂ€ndischen Geschichte einen Sinn hatten, dass sie nicht nur ein unbegreiflicher, grundloser Zufall waren, ein Opfer fĂŒr die geheimnisvollen Götter der Revolution und des Imperiums: Sie waren nötig, um uns, ja die ganze Welt vor dem ultimativen Bösen zu retten. Wir damals, die kurz zuvor noch TĂ€ter und Opfer gewesen waren, standen plötzlich fĂŒr das Gute, waren Sieger in seinem Namen. Wir waren ĂŒberfallen worden. Wir hatten uns verteidigt. Ohne uns hĂ€tte es diesen Sieg nicht gegeben. Das genĂŒgte, um fĂŒr sehr lange Zeit von der eigenen Gutartigkeit ĂŒberzeugt zu bleiben.
Doch wenn der damalige Krieg den Knoten eines wie auch immer heterogenen âwirâ geschĂŒrzt hat, dann gilt dasselbe auch fĂŒr den jetzigen â auf verheerend andere Weise: Wir verteidigen uns nicht, sondern ĂŒberfallen, wir tun genau das, was damals uns angetan wurde â wir dringen in ein fremdes Land ein, wir bombardieren Schlafende, besetzen friedliche StĂ€dte und Dörfer. Wir sind heute genau jene KrĂ€fte des Bösen, die wir aus den SchulbĂŒchern und Heldenbiographien unserer Kindheit kennen, und diese Erkenntnis ist umso unertrĂ€glicher, als alle Differenzierungen in diesem Zusammenhang irrelevant sind. Die Gewalt dieser Monate geht von Russland aus, von seinem Staatsgebiet wird sie nach auĂen getragen â und wenn ich sie nicht stoppen kann, dann werde ich Teil von ihr, ein ohnmĂ€chtiger Teil dessen oder derer, die dafĂŒr verantwortlich sind.
Die Logik des Krieges verwischt die Details
Diejenigen, die auf Putins Seite stehen, und diejenigen, die ihn all die Jahre auf jede mögliche Weise bekĂ€mpft haben, lassen sich in dieser kompakten, bedrohlichen Dunkelheit nicht mehr auseinanderhalten. Der Unterschied zwischen Russland und den Russen, zwischen dem Land mit seinen Grenzen und physischen Umrissen und dem russlĂ€ndischen Staat, zwischen Menschen, die hier leben, und Menschen, die frĂŒher einmal hier gelebt haben, zwischen der russischen Sprache und ihren Sprechern, zwischen denen, die gegangen sind, und denen, die bleiben, ist unerheblich geworden. Noch vor Kurzem war er entscheidend, doch heute liegen die Dinge anders.
Dabei geht es gar nicht so sehr darum, wie die AuĂenwelt zu âden Russenâ steht, sondern darum, was uns selbst Angst macht und weshalb. âWirâ, die wir gegen, und âwirâ, die wir fĂŒr Putin sind, wollen auf keinen Fall die Bösen sein, und die Einsicht, dass wir uns dem nicht entziehen können, ist fĂŒr beide Gruppen schwer ertrĂ€glich. Die Logik des Krieges verwischt die Details, sie fordert Verallgemeinerung: StaatsbĂŒrgerschaft, Sprache, ethnische Zugehörigkeit verwandeln sich in eine Art Zement, der disparate Individuen zu einer Gemeinschaft zusammenbackt, und deren Konturen definieren sich nicht von innen, sondern von auĂen. Die persönliche Entscheidung, die Biographie des Einzelnen, die Feinheiten seiner politischen Position sind mit einem Mal irrelevant, reine Privatsache. Wir fĂŒrchten uns vor uns selbst, schrecken vor uns selbst zurĂŒck. Noch bevor man anfĂ€ngt, uns zu hassen, hassen wir uns selbst.
Sieht man sich an, wie dieses âwirâ konstruiert wird, so zeigt sich schnell, dass es ufer- und grenzenlos ist. Wer versucht, es mit den ĂŒblichen Kriterien â der schon genannten Staatsangehörigkeit, der Sprache, des Wohnorts â einzugrenzen, erkennt, wie wenig diese Kategorien mit der gegenwĂ€rtigen Katastrophe zu tun haben. In den letzten Monaten habe ich mit Menschen gesprochen, die Russland verlassen haben (weil sie mit einem Land, das so etwas tut, nichts mehr zu tun haben wollen), und mit solchen, die sich entschieden haben zu bleiben (um von innen Widerstand gegen das Regime zu leisten, so gefĂ€hrlich das auch ist, und weil man das Land, das man liebt, doch nicht seinen Mördern ĂŒberlassen könne), mit Menschen, die schon vor zwanzig, dreiĂig, vierzig Jahren ausgewandert sind, und mit solchen, die in der Emigration geboren wurden, und sie alle nehmen einen Platz in dieser Konstellation ein, auch wenn sie bisweilen verzweifelt auf ihrer Nichtzugehörigkeit bestehen.
Eine gemeinsame Gewissheit
Das neue âWirâ verbindet diejenigen, die sagen âdas ist auch meine Schuldâ, und diejenigen, die ĂŒberzeugt sind, dass sie das alles nichts angeht, gleichermaĂen. Es mag keine klaren Konturen haben, doch es enthĂ€lt eine gemeinsame Gewissheit: Wir leben in einer neuen RealitĂ€t, deren Wörterbuch erst noch geschrieben werden muss. Sie manifestiert sich als Gewalt gegen die einstmals bekannte Welt, gegen das gewohnte System von Beziehungen und Annahmen. Der Krieg hat all unsere frĂŒheren Gewissheiten ĂŒber uns selbst niedergerissen und lĂ€sst in unserem zukĂŒnftigen SelbstverstĂ€ndnis, unserer Selbstbeschreibung keinen Stein auf dem anderen. Nach Butscha und Mariupol stecken unsere individuellen Geschichten in einem einzigen groĂen Sack, und man wird sie im selben Licht betrachten â ârusslĂ€ndische StaatsbĂŒrgerâ oder âRussenâ, Russischsprachige oder Vertreter der russischen Kultur, (ehemalige) Einwohner Russlands oder nicht, wir gehören zur Gemeinschaft derer, die das getan haben â und eben darin mĂŒssen wir von nun an unseren Platz und seinen Sinn suchen.
Man kann annehmen, dass sich das nur einem Blick von auĂen so darstellt, wĂ€hrend aus der Innensicht (der jedes einzelnen Bewusstseins, das sich unter den Bedingungen der eingetretenen KatasÂtrophe neu zu definieren sucht) alles komplizierter ist. Doch letztlich ist gerade der Blick von auĂen â ein distanzierter Blick, der von unserer liebenswerten SubjektivitĂ€t nichts wissen will â heute der einzige, der bleibt, und so schwer es fĂ€llt, sich daran zu gewöhnen: Es ist genau dieser Blick, mit dem wir uns auch selbst betrachten. Wir sehen uns im Spiegel und erkennen uns nicht: Bin der Kerl dort am Ende ich? Sah so Mamas Liebling aus?
Am seltsamsten ist, dass dieses Grauen vor dem distanzierten Blick, den man auf der eigenen Haut spĂŒrt wie ein Brandmal, sogar diejenigen befĂ€llt, die fĂŒr den Krieg sind, die ihn als âSpezialoperationâ bezeichnen, als notwendigen Schritt zur Selbstverteidigung und dergleichen mehr. Vor Kurzem saĂ ich im Flugzeug und hörte eine Unterhaltung mit, die in der Sitzreihe neben mir gefĂŒhrt wurde â auf Russisch. âKreditkarten funktionieren ja nicht mehrâ, sagte eine elegante Frau in Schwarz zu meiner Nachbarin. Und dann, mit tief empfundenem, hasserfĂŒlltem Nachdruck: âWegen dieser Kanaillen.â Mir ging durch den Sinn, dass mit âKanaillenâ in diesem Fall ohne Weiteres beide Seiten gemeint sein konnten â Putin mit seinem Staatsapparat ebenso wie die internationale Staatengemeinschaft mit ihren Sanktionen oder auch ich, die diese Sanktionen guthieĂ. Wer ĂŒberrumpelt und aus einem Leben herausgerissen wird, das er als sein verlĂ€ssliches Eigentum betrachtet hat (wie alle die, die am Morgen des 24. Februar in Kiew und Charkiw aufgewacht sind?
Sturz ins Nichts
Der Vergleich verbietet sich, dort werden nicht wir bombardiert, dort bombardieren wir), ist unmittelbar mit seiner eigenen Ohnmacht konfrontiert â und versucht daraufhin oft, sich von jeder Verantwortung freizusprechen. Nicht wir haben den Krieg angefangen, sondern Putin, wir haben damit nichts zu tun, denken manche von uns. Nicht wir sind schuld, sondern die westlichen Politiker, die NATO, die âNazisâ, der ukrainische Staat, der Kapitalismus, erklĂ€ren andere. Zwischen so vielen echten und vermeintlichen VerantwortungstrĂ€gern fĂ€llt es immer schwerer, sich selbst zu sehen â wie in einem dieser WimmelbilderbĂŒcher, wo es im dichten Laub oder in einem Berg von Spielzeug einen Vogel, einen Schmetterling, ein Schiffchen zu finden gilt.
Das eingangs erwĂ€hnte GefĂŒhl des freien, zeitlich wie rĂ€umlich unbegrenzten Falls kennen auf die eine oder andere Weise alle, mit denen ich in diesen endlosen Monaten seit Februar gesprochen habe. Fallen â das Wort passt hier gerade in seiner Mehrdeutigkeit gut: Man kann es als Sturz ins Nichts verstehen, als Abweichung von der moralischen Norm, die die Gesellschaft zusammenhĂ€lt, als Abfall von einem zivilisatorischen Konsens oder als Herausfallen aus dem Nest der menschlichen Gemeinschaft. Das GefĂŒhl verbindet (ohne zwangslĂ€ufig NĂ€he zu erzeugen) alle, die diesen Krieg als Manifestation des Bösen sehen und sich selbst als stigmatisiert durch eine undefinierbare Verbindung zu diesem Bösen. âBeing Russianâ nennt die AuĂenwelt das neuerdings kurz â aber fĂŒr diejenigen, die durch Geburt, Wohnort, Sprache, familiĂ€re Tradition, Liebe, Hass, transgenerationelle Erinnerung, manchmal auch nur durch ihren von den GroĂeltern ĂŒbernommenen Familiennamen mit Russland verbunden sind, bleibt die Bindung namenlos. Sie tut einfach nur weh. Im Grunde ist es genau das: Dass man Schuld hat, erkennt man an einem unleugbaren, mit nichts zu verwechselnden Schmerz.
Keine Eigenschaft, sondern eine Existenzbedingung
Muss man â im RĂŒckgriff auf Hannah Arendt und Simone Weil â entscheiden, ob es sich bei diesem GefĂŒhl um Verantwortung oder Schuld handelt, muss man analysieren, in welchem VerhĂ€ltnis das Individuelle und das Kollektive hier zueinander stehen? Es wird Jahre dauern, bis wir dazu in der Lage sind â Jahre nicht vom Beginn des Kriegs an gezĂ€hlt, sondern von seinem Ende, das allem Anschein nach weit entfernt ist. Vielleicht wĂ€re es an diesem Punkt sinnvoll, vorlĂ€ufig nicht ĂŒber Unterschiede und Differenzierungen nachzudenken, sondern darĂŒber, was wir weiter tun können.
Es wirkt unpassend, von sich zu sprechen; ich versuche mich kurz zu fassen. Ich wurde 1972 geboren, vom Krieg trennten mich nur dreiĂig Jahre â dieselbe Frist, die auch zwischen dem, wie es seinerzeit hieĂ, weitgehend unblutigen Zerfall der Sowjetunion und Russlands Ăberfall auf die Ukraine liegt. Der Krieg war in meiner Kindheit ĂŒberall: Selbst in den Schlafliedern, die meine Mutter mir sang, ging es um Kriegsschiffe auf Reede, um SchĂŒsse und einen Toten im Steppengras. In unserer russisch-jĂŒdischen Familie (in der die Juden die Mehrheit bildeten; russisch war nur mein GroĂvater, dessen Name â Stepanov â auf meinen Vater und auf uns ĂŒberging) wurde vom Russischsein nicht geredet.
Ihr JĂŒdischsein dagegen vergaĂen meine Eltern nie: Von ihm ging Gefahr aus, es verursachte Schmerz und weckte Liebe, es war enorm wichtig, obwohl mir schleierhaft war, worin es eigentlich bestand und inwiefern es uns von anderen Leuten unterschied. Von innen hatte ich nicht das GefĂŒhl, anders zu sein â von auĂen war es anscheinend unĂŒbersehbar. JĂŒdischsein war keine Eigenschaft, sondern eine Existenzbedingung: In unserem Leben kam man nicht um sie herum. Wenn ich nach meiner NationalitĂ€t gefragt wurde, sagte ich âjĂŒdischâ.
Zu diesem wir zu gehören ist qualvoll
SpĂ€ter wurde ich â zumal in der anglophonen Welt, wo derlei PrĂ€zisierungen unmittelbare Bedeutung fĂŒrs Marketing haben â gelegentlich gefragt, wie ich vorgestellt werden möchte: als russische, russisch-jĂŒdische oder jĂŒdische Autorin? Bislang antwortete ich darauf meist, dass mir das egal ist â und dachte im Stillen, dass ich mich weder als russische noch als jĂŒdische Autorin fĂŒhle und noch weniger als Vertreterin der russlĂ€ndischen Literatur mit ihren Massenauflagen und MessestĂ€nden. Ich mochte die Vorstellung, dass ich fĂŒr niemanden auĂer mir selbst spreche und ausschlieĂlich fĂŒr mich verantwortlich bin. Ich vergaĂ beinahe, was Leiden am Nationalen ist und wie es sich anfĂŒhlt; dann begann die Gewohnheit zu bröckeln, leise und unmerklich, und am 24. Februar brach sie ein fĂŒr alle Mal ab. Heute antworte ich auf die Frage, was fĂŒr eine Schriftstellerin ich bin: eine russische.
Ich denke oft daran, dass ich noch vor einem Monat oder einem Jahr ohne Weiteres in der Metro oder Tram neben einem von denen hĂ€tte sitzen können, die heute in der Ukraine kĂ€mpfen und dort unschuldige Menschen töten. Auch mit ihnen verband und verbindet mich also ein gemeinsames wir â das schnelle, situative wir des gemeinsamen Raums, eines Metro-Waggons oder eines Platzes in der Stadt, das wir der gemeinsamen Sprache, die einmal mehr niemanden hindert, den anderen umzubringen. Dieses wir, von dem ich spreche, besteht aus Millionen disparater Biographien und Strategien, die gegenĂŒber der allgemeinen Schuld, dem allgemeinen UnglĂŒck, der allgemeinen Katastrophe nicht ins Gewicht fallen. Zu diesem wir zu gehören ist qualvoll â aber vielleicht ist es das Einzige, was derzeit Sinn hat: Das getane Böse muss ausgeglichen und der Ort, von dem es ausgeht, wieder bewohnbar gemacht werden, die Sprache, die es spricht, muss sich verĂ€ndern. Vielleicht wird das Stigma, das schmerzhafte Zeichen der kollektiven MittĂ€terschaft eines Tages zu dem Punkt, an dem der Weg von einem blinden âWirâ zu einer Gesellschaft der sehenden âIchsâ beginnt. Bewerkstelligen lĂ€sst sich das nur von innen.
Maria Stepanova, 1972 in Moskau geboren, ist Schriftstellerin, Lyrikerin und Essayistin. Auf Deutsch erschien zuletzt ihr Gedichtband âDer Körper kehrt wiederâ.
Aus dem Russischen von Olga Radetzkaja.
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Maria Stepanova, Winterpoem 20/21, 2023, Berlin, Suhrkamp Verlag, S.15.
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...like a character from a Jane Austen novel I sat for hours at the window watching passers-by... Maria Stepanova, In Memory of Memory, trans. Sarah Dugdale
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I was reading Marianne Hirschâs classic work, The Generation of Postmemory, as if it were a travel guide to my own head. I knew everything she described immediately and intimately: the ceaseless fascination with oneâs familyâs past (and, beyond this, with the densely populated human context for these lives, the thick undercoat of sounds and smells, the coincidences and concurrences, the synchronized turning of the wheels of history) and the clinical boredom with which I roll my own contemporary world backwards to that past, back to them, and feel quite certain, in-my-gut certain, of how it was back then, the tram routes, the stockings that sagged around the knees, the music from the loudspeaker. Any story about myself became a story about my ancestors. There they were behind me like an opera chorus encouraging my aria â only the music was written seventy years ago. The structures that emerged from the black waters of history fought shy of linearity, their natural state was co-presence, the simultaneous sounding of voices from the past, contradicting the obvious: time and slow disintegration.
âMaria Stepanova, In Memory of Memory tr. Sasha Dugdale
#maria stepanova#in memory of memory#sasha dugdale#words#2024 reads#mine#women in translation#on memory
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This is perhaps my favorite video to exist on youtube! I watch it way too often lol. These students were so lucky to share a stage with the dancers from Bolshoi.
It is so difficult to even choose favorite dancers in this performance. I would say Xenia Zhiganshina and Yulia Stepanova stood out for me though. Alyona Kovalyova danced my favorite variation, and I think she did a marvelous job here. I thought it was breath-taking. She's so tall though that in the end when she does the tour jete, it low key looked like she tripped lol. I know it's part of the choreography but my heart still skipped a beat. This performance is my Avengers Endgame haha.
Ooh, also. In the mazurka, look at how tiny the 2023 graduates are. Time flies. I still find it unacceptable that I'm now older than some prima ballerinas. Anyway, take a break for an hour and make sure to watch this the whole way through! I can also compile a playlist of the variations if anyone's interested. Oscar Frame 2017 graduate (variation from the ballet Le Conservatorie, music by H.S.Paulli) Eleonora Sevenard 2017 graduate (variation from the ballet Trilby, music by Y.Gerber) Alyona Kovalyova 2016 graduate (variation from the ballet Le Roi Candaule, music by C.Pugni) Xenia Zhiganshina 2014 graduate (variation from the ballet Gretna Green, music by E.Guiraud) Olga Smirnova 2011 graduate (variation from the ballet Paquita, music by L.Minkus) Mikhail Lobukhin 2002 graduate (variation from the ballet Don Quixote, music by L.Minkus) Yulia Stepanova 2009 graduate (variation from the ballet The Little Humpbacked Horse, music by C.Pugni) Evgenia Obraztsova 2002 graduate (variation from the ballet Le Pavillon dâArmide, music by N.Tcherepnin) Denis Rodkin (variation from the ballet La Source, music by R.Drigo) Svetlana Zakharova 1996 graduate (variation from the ballet La Sylphide, music by R.Drigo)
#russian ballet#bolshoi ballet#vaganova#eleonora sevenard#alena kovaleva#alyona kovalyova#xenia zhiganshina#olga smirnova#mikhail lobukhin#yulia stepanova#evgenia obraztsova#denis rodkin#svetlana zakharova#anastasia nuikina#maria khoreva#maria bulanova#anastasia demidova#alexandra khiteeva#yulia spriridonova#svetlana savelieva#sofia valiullina#maria koshkareva#anna sharova#angelina karamysheva#Youtube
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this is now the best video ever
https://twitter.com/phoenixmercury/status/1680426962098208771?s=46&t=QnOPd_tNZm2Sd6S-49-JCg
nothing else compares
I can only think of one thing to compare this to...
In 2005, Diana did this little Q&A. A fan asked if she had a celebrity crush.
She said "WNBA president Donna Orender"
I'm happy that BG is keeping the tradition alive đ
#that Q&A is insane btw...#Diana in 2005 was clubbing every night and enjoying Maria Stepanova#wnba#phoenix mercury#brittney griner#diana taurasi
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Le territoire de la mémoire déviée (M. Stepanova)
Le monde contemporain, avec ses projets conservateurs et ses reconstructions â tentatives de devenir great again, de rĂ©instaurer un ordre ancien chimĂ©rique â, respire le postmĂ©moriel. LâĂ©cran se rĂ©vĂšle Ă double face. Peuvent y projeter leurs peurs, leurs espoirs et leurs histoires, non seulement ceux qui se trouvent au bord du cratĂšre, mais aussi les petits-enfants et arriĂšre-petits-enfants de la majoritĂ© silencieuse, qui a su attendre son heure et la possibilitĂ© dâexhumer Ă la lumiĂšre sa propre version des Ă©vĂ©nements anciens. La Russie, oĂč le tourbillon de violence sâest prolongĂ© inlassablement, formant une sorte dâenfilade traumatique que la sociĂ©tĂ© traverse de malheur en malheur, de guerres en rĂ©volutions, famines, assassinats de masse, nouvelles guerres et nouvelles rĂ©pressions, est devenue, avant dâautres, le territoire de la mĂ©moire dĂ©viĂ©e. Les versions dĂ©doublĂ©es, dĂ©triplĂ©es, voilĂ©es des rides de non-coĂŻncidences et divergences, de ce qui sâest passĂ© au cours des cent derniĂšres annĂ©es, masquent la lumiĂšre sur le prĂ©sent, comme une couche de papier opaque.
En mémoire de la mémoire, p.110-111.
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Which bolshoi ballerinas do you think could become primas at the mariinsky and vice versa?
This is hard to answer because I don't follow the Bolshoi as closely â just don't have the time. (I work, I have kids!) BUT⊠I could see Eva Sergeenkova at the Mariinsky. She has a regal, reserved style that could work very well there. Bulanova has always seemed like a Bolshoi-style of dancer to me. Natural charisma, bravado, theatrical. She just projects on stage in a way that vibes with the Bolshoi, but happy to see her thriving at the Mariinsky. On another note. If I could go back in time...I really, really, really wish that Stepanova could have had a career at the Mariinsky. She just doesn't seem to fit in at the Bolshoi style. (At least to me.) She's refined and elegant, just a lovely dancer. If she had been supported (and I have no idea why she wasn't) she could have done so well in St. Petersburg.
#mariinsky ballet#bolshoi ballet#ballet crossovers#fantasy league#russian ballet#Julia Stepanova#Maria bulanova#Eva Sergeenkova#ballerinas
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Novel Cover -- My circus painting is used for the cover of a novel by Maria Stepanova, published by Nirstedt/litteratur, a Swedish publishing company.
Maria Stepanova is a Russian poet and novelist.
https://nirstedt.se/flyktpunkten/
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