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Feb 06, 2021: HR Bewerbungsgespräche
Ich kann nicht mehr. Wir hatten heute 2 Bewerbungsgespräche für den Elektrisch-Lehrer. Ich muss sie in umgekehrter Reihenfolge beschreiben, damit ihr so wie ich ein Erfolgsgefühl haben könnt. Sie hätten unterschiedlich nicht sein können.
Also Bewerber Nr. 1 kommt nach Marere und sitzt am grossen Tisch in der Mitte unseres Gebäudes und wartet, bis er interviewt wird. Ich rufe ihm ein freundliches Habari gani (wie geht’s?) entgegen und hole meine Unterlagen im Büro. Er hat nur ein Augenbrauenheben für mich übrig. Ok, macht nichts, wir werden ihm eine Chance geben wie jedem anderen. Ein Elektriker muss ja nicht unbedingt so wahnsinnig kommunikativ sein.
Wir interviewen ihn also zu dritt. Zu mir sagt er: du kennst mich schon… ok, ich wundere mich woher aber er klärt dann auf: vor 5 Jahren war ich mal im Saidia College in Kilifi mit anderen Muzungus. Wir haben uns das College angeschaut und in der Zwischenzeit ist es ja eine Art Partnercollege von uns geworden. Wir helfen einander aus und wir haben schon viele Tipps von ihnen erhalten. Ah ja – ich kann mich schwach erinnern daran und auch daran, dass ich damals schon fand, dass er ein komischer Kauz sei. Das erwähne ich aber nicht, wäre ja auch allzu fies. Ich habe irgendwie keine grosse Lust ihn zu interviewen und so übernimmt Simon den Lead. Er stellt uns vor, erzählt, was es mit dem Marere College so auf sich hat. Dann kommt von Fondo eine kleine Befragung zu Alter, Zivilstand, Anzahl Kinder etc. Die Antworten sind kaum verständlich, er schaut dauernd auf den Boden und legt sein Gesicht in Sorgenfalten. Er war einer von 2 Lehrern und mit Corona wurden die Klassen zusammengelegt und er wurde „entlassen“ obwohl der andere Lehrer eine weniger gute Ausbildung hatte. Wir fragen nach seiner Passion: ist es das Lehren oder als Elektriker arbeiten? Nach kürzester Zeit rückt er damit heraus, dass er eigentlich gar nicht gerne lehrt sondern er habe einfach in der Nähe vom Saidia College gewohnt und deshalb sei er jeweils rüber gegangen zum Lehren. Ok, wir drei schauen uns schon etwas verwundert an.
Wie er denn die Umgebung hier so finde fragen wir ihn: ja es sei nicht wirklich das, was er sich für sein Leben wünschen würde meint er. Er sei mit dem Bike gekommen von Kilifi aber er sei eigentlich schon lieber in der Stadt, obwohl er aus Kauma kommt.
Ok, schon wieder ein Punkt bzw. ein weiteres Eigentor. Die Antwort auf die Frage, was ihn denn zum Lehren bewegen könnte ist: Geld! Ok, wir drei schlucken jetzt gleichzeitig. Simon schlägt vor, dass wir uns zu einem Gespräch zurückziehen… Wir machen das und gehen ins Büro. Mittlerweile hat der sichtlich nervöse Bewerber bestimmt schon 1 ½ Liter Wasser getrunken.
Im Büro müssen wir zuerst mal die Türe schliessen und loslachen. Wow – wie kann man so schlecht vorbereitet kommen (kein CV, keine Ahnung, wo Marere ist etc.) und dann solche Antworten geben. Es ist ganz klar, dass er nicht in Frage kommt. Ich sage zu Simon: in Zukunft sagen wir einfach: hat noch jemand eine Frage? Dann bedanken wir uns für den Besuch und sagen: wir melden uns wieder. Das sieht jetzt schon ein bisschen blöd aus, dass wir da so Gericht führen und er muss draussen warten. Und Fondo sagt: ja und das ist ja verrückt: er ist mit dem Fahrrad nach Marere gekommen von Kilifi – über die Route wo Mbuche wohnt! Ich sage: nein, das hast du falsch verstanden. Er sagte Bike, damit war sicher das Motorbike gemeint. Fondo bleibt dabei: das Piki Piki gehört unserem Mschefa, der Besorgungen für uns erledigt.
Wir gehen also wieder raus und fragen noch ein paar belanglose Sachen. Dann frage ich nach, ob er wirklich mit dem Fahrrad gekommen sei und: er bejaht!!! Er hat 3 Stunden gebraucht und die Strassen sind ja eine Vollkatastrophe! Ok, mir ist schon aufgefallen, dass er ein rechter Kasten ist und gut trainierte Oberarme hat aber ich hätte nicht auf Fahrradfahrer getippt. Jetzt stellt euch das Mal vor: wahrscheinlich hat er sich überhaupt nicht erkundigt, wo Marere ist und hat sich dann auch ganz schön ausgekotzt. Kein Wunder hat er so viel getrunken!!! Ich wollte ihm Ksh 400 ans Benzin geben aber ich sage, dass er das Geld jetzt erhält um sich einen Lunch zu kaufen, denn er hat bestimmt Hunger.
Jetzt aber zum ersten Gespräch, das wir am Morgen hatten. Da sitzt also ein durchwegs positiv erscheinender Typ. Sauber angezogen, mit einem riesigen Smile. Sofort bemüht etwas Smalltalk zu machen und einfach eine tolle Erscheinung. Eine Bekannte habe ihn hergeschickt (das ist die Frau, die allenfalls als Köchin beginnt bei uns) und er wisse nicht ganz genau um was es gehe. Ich ergreife das Wort und entschuldige meinen Mann, der gearde einer Einladung des Deputy Präsidenten William Ruto gefolgt ist und daher nicht dabei sein kann. Ich erkläre das College, dass wir der Community damit helfen möchten und dass wir am Anfang stehen und Menschen mit Pioniergeist suchen. Und dass es nichts mit Politik zu tun habe.
Seine Augen blitzen auf und er meint, das gefalle ihm. Er zählt seinen Lebenslauf auf und der haut uns alle aus den Schuhen. Er ist ganz in der Nähe in Dzitsoni aufgewachsen in einer sehr armen Familie. Nach der Primarschule hatten die Eltern leider kein Geld um ihm die Sekundarschule zu finanzieren und so ist er ins lokale College gegangen und hat Elektriker gelernt, weil er das sinnvoll fand. Er musste täglich bei den Typen vorbei, die arbeitslos und sinnlos da hockten und ihn auslachten, weil er nur an ein Vocational College ging und nicht mehr vorweisen konnte. Er habe aber immer gedacht: eines Tages lache ich über euch! Er hat dann mit Arbeiten im Elektriker-Umfeld Geld verdient um sich die Sekundarschule selber zu verdienen. Zudem hat er die Schafe und Kühe des Schulleiters gehütet. Er ist also jeden Tag extrem früh aufgestanden, hat die Schafe und Kühe auf die Weide gebracht und dann die Schule absolviert. Nach der Schule hat er die Tiere wieder retour geholt und dazwischen hat er immer gearbeitet, damit er wieder den nächsten Term finanzieren konnte. Am Schluss durfte er nicht mehr zur Schule kommen und auch nicht an die Prüfung, weil er das Geld nicht zusammen hatte. So hat ihm ein Lehrer das Geld gebort und er konnte sich am letzten Einschreibetag noch für die Prüfung anmelden. Er hat am Schluss mit einem C- abgeschlossen und mit einem Wert von 330, was ausgezeichnet ist!
Wir sind schon zu tiefst beeindruckt. Jemand, der eine so hohe Eigenmotivation hat: das ist genau das, was wir suchen. Er könnte sogar Motivationsgespräche führen.
Aber sein Lebenslauf ist noch lange nicht zu Ende. Er ist dann nach Mombasa in ein College und hat ein Zertifikat in Purchasing / Supplies Manangement & Stock Keeping gemacht.
Er war dann ein Zimmerreiniger in einem Hotel in Watamu und wurde dann Koch (learning bei doing). Darauf hat ihn ein Luxusresort in Malindi in der Buchhaltung angestellt. Dann hat er ein Training in F&B stocking gemacht und wurde darauf fix angestellt. Als der Tourismus einbrach konnte er sich einen Job bei einer grossen Schiffsgesellschaft MSC ergattern und hat dort in der Galley (Küche) gearbeitet. Das hat ihm erlaubt viele Länder zu bereisen mit dem Schiff. Er war in Mauritius, Seychellen, Namibia, Südafrika und Europa. Dort war dann leider wegen Corona Ende der Karriere. Sie waren 3 Monate auf dem Schiff festgehalten und konnten dann via London evakuiert werden. Seit Juni ist er wieder retour in seinem Heimatort, wo er eine Frau und drei Kinder hat. Und der Mann ist erst 40 Jahre alt…
Wir sind beeindrucktt von seinem Lebenslauf und wie er immer wieder aus jeder Situation das Beste gemacht hat. Er war jeweils 9 Monate auf dem Schiff, was auch nicht besonders einfach ist. Jetzt ist er wieder Elektriker und weil er an die Jugend glaubt nimmt er immer wieder 2-3 junge Männer mit und lehrt ihnen den Beruf vor Ort.
Wir sind begeistert und legen ihm auch dar, dass wir kein grosses Salär zählen können, dass wir aber daran glauben, dass wir immer grösser werden und irgendwann auch Studenten von überall aus Kenia haben werden.
Ihm gefällt die Idee, dass wir Pioniere sind und er sagt: egal, wieviel er verdienen wird: er will ein Teil von dieser Erfolgsgeschichte werden. Er will seine Spuren hinterlassen und er will, dass es später einmal heisst. Robert war dabei, als die Grundlage für eine Zukunft der Jugend in Kauma gelegt wurde.
Wow was will man da noch sagen: ich habe mehr als einmal im Interview meine Tränen verdrückt. Tränen der Freude, Tränen des Staunens. Auch wenn ich manchmal motze, dass ich so viel Arbeit habe mit dem College: solche Situationen entschädigen für die harte Arbeit und sind schlichtweg unbezahlbar. Ich mache sofort ein paar Fotos von ihm, denn ich bin überzeugt: er ist genau der richtige Mann für uns und wir werden mit ihm zusammen arbeiten!!!
Was für eine Geschichte - einem solchen Menschen möchte man wirklich auch was Gutes tun einfach um zu zeigen, dass das Gute auch immer wieder retour kommt. Ich dachte mir sogar, dass vielleicht jemand der diesen Blog liest so begeistert ist wie ich und vielleicht sogar eine Idee hat, wie man ihn kompensieren könnte, wie man ihm eine Freude machen könnte…
Ich bin sicher, ihr habt da Ideen – ich freue mich auf jeden Fall auf das neue Team-Mitglied! Solche Menschen braucht die Welt! Ich bin immer noch ganz geflasht.
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