#die in den 70ern und 80ern die stones gespielt haben
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Das fliegende Klassenzimmer sind die deutschen Marauders
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Die 500 besten Rock- und Pop-Alben in 5 Jahren hören - ein Erlebnisbericht
Wie lange braucht man, um die 500 besten Rock- und Pop-Alben aller Zeiten zu hören? Dabei jedes Album nicht nur einmal, sondern so oft zu hören, um es zu kennen? Wie oft muss man ein Album hören, um es wirklich zu kennen und im Langzeitgedächtnis abzuspeichern? Warum überhaupt?
Im Frühjahr 2014 habe ich mit einem Experiment und Projekt begonnen, das ich fünf Jahre später, im Frühjahr 2019, erfolgreich abschließen konnte. Ich nahm mir vor, alle 500 Alben, die vom Musikmagazin “Rolling Stone” als die besten aller Zeiten gelistet werden (in der Version von 2012), anzuhören — so oft, bis sie mir so vertraut wären, um sagen zu können, ich würde sie “kennen”. Wie ich dabei vorgegangen bin und welche Erfahrungen und Erkenntnisse ich gewonnen habe, möchte ich hier erzählen.
Ohne Musikstreaming nicht möglich
Eines vorab: Spotify ist ein wahrer Segen! Ich stehe mit Spotify in keinster Weise in Beziehung (außer als Kunde), trotzdem möchte ich es einmal sagen: ohne Spotify — oder einen vergleichbaren Musikstreaminganbieter — wäre solch ein Projekt gar nicht umsetzbar. Auf praktisch jedes Album der Musikgeschichte, zumindest im Bereich Pop und Rock, über das Internet sofort zugreifen zu können, ist keineswegs selbstverständlich und voraussetzungslos. In meinem (nicht mehr jugendlichen) Alter weiß ich das zu schätzen, habe ich doch selbst noch die Zeit erlebt, in der man CDs kaufen oder in Bibliotheken oder von Freunden ausleihen musste. Selbst in der Übergangsphase zum heutigen Streaming, als man sich MP3s über Tauschbörsen wie Napster oder Sammlungen auf Festplatten von Bekannten besorgen musste, war es viel aufwändiger als heute, an jedes gefragte Album ranzukommen.
Schon in dieser Zeit zeichnete sich ein Problem ab, das mit Spotify nicht verschwand, aber durch das Streaming wengier spürbar ist: die schiere Masse an Musik zu bewältigen, die man rein rechnerisch niemals zu Lebzeiten einmal, geschweige denn mehrmals anhören könnte. Worauf sich also beschränken?
Mit etwa 30 Jahren hatte ich mehr und mehr das Bedürfnis, in meiner Hörerfahrung systematischer und weniger zufallsabhängig zu werden. Ich wollte eine fundiertere Kenntnis der Musikwelt, sei es in Pop, Rock oder Klassik, erwerben — nicht nur die Namen und Biografien der Bands und Alben kennen, sondern auch eine umfassende Hörerfahrung haben. Ich wollte nicht nur damit vertraut sein, was zufällig jede Woche an Alben auf den Markt oder an Songs in die Charts kam. Ich wollte musikalische und textliche Referenzen in Songs verstehen können. Kunsttraditionen funktionieren durch Zitate: ein Künstler reiht sich in den Kanon der Kultur ein, indem er sich auf Werke vor seiner Zeit bezieht — sowohl in der Klassik als auch im Pop.
Mir erschien es als willkürlich, meinen Musikkonsum auf das aktuell Veröffentlichte zu beschränken. Wenn ich nur eine begrenzte Menge der jemals aufgenommenen Musik hören konnte — warum sollte das Auswahlkriterium für mein nächstes Album nur Neuheit und Aktualität sein? Ist das, was neu ist, automatisch auch gut und hörenswert, und besser als ein älteres Album? Sind nicht auch 40 Jahre alte Alben für mich “neu”, weil ich sie selbst das erste Mal höre?
Ich wollte mich auf Musik konzentrieren, die von vielen Menschen und Kritikern weltweit als sehr gut eingestuft wird. Musik, die sich bewährt hat, weil sie die Zeit überdauert hat und immer wieder als gut befunden wurde.
Geschmack ist intersubjektiv
Der Standardeinwand lautet: Geschmack ist subjektiv. Dennoch interessiert uns, “was anderen gefällt”. Und ein Unterschied zwischen dem Geschmack von Kritikern und dem Geschmack der Vielen, dem Massengeschmack, existiert meiner Meinung nach sehr wohl: Menschen, die sich aus professionellen Gründen viele Stunden am Tag mit dem Anhören verschiedenster Musik (oder dem Anschauen von Filmen oder mit anderer Kunst) befassen, entwickeln wohl eher einen in gewissem Sinne objektiven Geschmack im Vergleich zu anderen, die sich selten bewusst neuer Musik aussetzen und nur das hören, was in ihrer Jugendzeit zufällig gerade im Radio (oder von der rebellischen Gegenkultur) gespielt wurde. Um einen objektiveren Geschmack zu entwickeln, muss man viel Kunsterfahrung sammeln und Werke vergleichen können.
Ist Geschmack vielleicht auch nicht objektiv, so ist er immerhin intersubjektiv: d.h., es gibt zumindest gewisse Kriterien, auf die man sich gemeinsam einigen und anhand deren man bestimmen kann, wann ein Kunstwerk gut oder schlecht ist: z.B. kommerzieller Erfolg, handwerkliches Können, Ideenreichtum, Neuheit, Originalität und Kreativität, usw.
Der modus operandi
Während ich zu Beginn des Projekts noch mit verschiedenen Modi experimentierte, pendelte ich mich bald auf folgenden Rhythmus ein: von der Top 100 der Bestenliste hörte ich ungefähr zwei Alben pro Woche, jedes Album mindestens einmal täglich (meistens mit Kopfhörern während der Arbeit, was als Softwareentwickler gut möglich ist). Wichtig war mir, dass ich nach einer Woche das Gefühl hatte, das jeweilige Album nun gut zu kennen. Dafür musste ich es in der Regel etwa zehn Mal anhören. Später wechselte ich dann zu fünf Alben alle zwei Wochen. Diesen Takt würde ich anderen, die dieses Projekt nachahmen wollen, weiterempfehlen, vielleicht mit einer kleinen Anpassung, damit die Alben einem nicht nach einer Woche schon “aus den Ohren raushängen”: fünf Alben zwei Wochen lang hören, aber immer mit einer Überschneidung von einer Woche, d.h. schon die nächsten fünf Alben eine Woche lang hören, während man noch parallel die alten fünf Alben hört.
Dieses Pensum muss erst einmal im Alltag untergebracht werden: so viele Alben in voller Länge halbwegs aufmerksam anzuhören benötigt Zeit. Auch sollte man während diesem Projekt nicht ausschließlich diese Alben, sondern auch aktuelle Musik bzw. Musik, die man einfach sehr gerne mag, hören. Nur aus rationalen Gründen Musik hören kann auf Dauer sehr anstrengend sein.
Das führt zu einer weiteren wichtigen Regel: Alben müssen immer in ganzer Länge gehört werden. Kein Lied wird übersprungen, das Album wird als Gesamtkunstwerk gewürdigt. Hier geht es ja schließlich um die Liste der besten Alben und nicht der besten Songs. Das ist zugegeben nicht immer einfach und manchmal einfach unmöglich. Ich habe bei den 500 Alben bei fünf bis zehn Liedern eine Ausnahme gemacht, z.B. weil es extrem nervige Interludes waren, die mich auch nach mehrmaligem Hören noch wirklich gestört haben. Oder weil ich für manche gewaltsamen Inhalte zu sensibel war und sie mit gutem Gewissen überspringen konnte.
Musikalische Einsichten
Ein wichtiges Ziel dieses Projekts bleibt dennoch die Horizonterweiterung — hier muss man abwägen: wo kann ich meinen Geschmack erweitern, und wo ist für mich definitiv die Grenze des guten Geschmacks überschritten. Geschmack erweitert sich, indem man sich Neuem über längere Zeit aussetzt. Geschmack ist Gewohnheit. Den Musikgeschmack erweitern hat auch etwas mit dem Abbauen von Vorurteilen zu tun, damit, der eigenen Persönlichkeit neue Facetten hinzuzufügen, mehr Verständnis für andere Lebensweisen zu entwickeln — eben seinen Horizont zu erweitern.
Im Nachhinein kann ich sagen, dass bis auf drei Alben (“The Chronic” von Dr. Dre, “3 Feet High and Rising” von De La Soul und “The Black Album” von Jay-Z) alle 500 Alben bei Spotify zu finden sind. Nur einige Kompilationen, besonders aus der Zeit vor den 1960er Jahren, waren schwerer ausfindig zu machen oder musste ich mir selber als Playlist aus verschiedenen Alben zusammenstellen. Ich habe außerdem immer darauf geachtet, die Originalplaylist und keine Deluxeversionen späterer Veröffentlichungen zu hören— wenn möglich, auch keine remasterten Versionen, um an das ursprüngliche Hörerlebnis heranzukommen.
Entgegen meiner anfänglichen Erwartung werden die Alben zum Ende der Liste, also nach den Top 100 oder 200, qualitativ nicht schlechter, im Gegenteil eher leichter und angenehmer zu hören, vor allem, weil sie eingänger werden. Das verdeutlicht, dass es sich bei der Liste um eine Kritikerauswahl handelt und nicht etwa um die Liste der meistverkauften Alben, also nach Massengeschmack. Die Top 100 enthalten vor allem eher anstrengende Lieblinge der Kritiker, und ich habe das Gefühl, dass das oft Alben sind, durch deren Lob man einen distinguierten Geschmack beweist. Oder es ist einfach die Musik, die die Kritiker in ihrer Jugend gehört haben — in den 60ern, 70ern und 80ern —kein unbedingt objektives Kriterium für die Güte der Musik. Oder die Musik war seinerzeit revolutionär und neu, was als Spätgeborener kaum noch nachzuvollziehen ist — Zeitgenosse zu sein ist ein wichtiges Kriterium für die Rezeption von Popmusik. Vieles lässt sich als Nachzügler auch mit dem Lesen von Biografien nicht mehr verstehen. Die zeitgenössischen Diskussionen, Skandale, Hypes und die damalige Medienpräsenz der Künstler ist oft genauso wichtig wie ihre Musik. Ähnlich muss es auch Geschichtshistorikern gehen, die aus Quellen rekonstruieren wollen, was die Menschen zu bestimmten Zeiten gedacht haben und was sie angetrieben hat.
Das Hören der 500 Alben führt definitiv zu einem größeren Interesse für die Künstler, Bands und deren Biografien, auch wenn der Großteil der Alben vor meiner aktiven Chartshörerzeit, also Jugend, veröffentlicht wurde. Das eröffnet einen Einstieg in die komplexen Verflechtungen zwischen den Bands, den Musikern und deren Alben — welcher Gitarrist war überall in welchen Bands, welcher Sänger hat welche andere Band oder welches Soloprojekt gegründet, welche Band hat sich aus welchen Gründen getrennt (häufiger als man denkt wegen tödlichen Verkehrsunfällen!).
Kritikern scheint es übrigens bei Pop und Rock sehr wichtig zu sein, dass es immer einen psychedelischen, atmosphärischen, chaotischen, inkommensurablen Teil geben muss, gerne am Ende des Albums, mit einem Lied über sieben Minuten Länge und Outro. Sehr viele Alben auf der Top 500 haben so einen Teil auf dem Album, fast als wäre es ein Einschlusskriterium.
Manche Künstler sind in den Top 500 oder sogar Top 200 sehr häufig vertreten, was für mich auch nach fünf Jahren geschmacklich nicht nachvollziehbar blieb: Bruce Springsteen, Marvin Gaye oder Velvet Underground und Nico zum Beispiel. Manche Künstler wiederum sind für mich auf unverständliche Weise selten oder gar nicht vertreten. Von Queen z.B. ist nur ein einziges Album in den Top 500.
Trotzdem muss ich sagen, dass es nur wenige Alben aus den Top 500 gibt, vielleicht fünf bis zehn, die ich nach Ende des Projektes gerne weiterhin noch öfter hören möchte, was überraschend wenig ist. Vielleicht reichen auch fünf Jahre nicht aus, um jedes der 500 Alben schätzen zu lernen, auch wenn man die Hälfte davon abzieht, weil sie nur in der Liste sind, weil die Kritiker mit ihnen aufgewachsen sind und sie deswegen für sie einen so hohen persönlichen Stellenwert besitzen. Ich höre immer noch ab und zu zufällig mal ein Album von der Liste, und ich kann mich oft gar nicht mehr so richtig daran erinnern, dass ich es vor einigen Jahren einmal so intensiv gehört habe. Ein Prozess, der vermutlich Jahrzehnte dauert, lässt sich wohl nicht auf fünf Jahre verkürzen. Popkünstler und Songs müssen mit der eigenen Biografie verknüpft sein. Wenn ich ein Album von vor 10 Jahren höre, fühle ich mich sofort in die Zeit und mein eigenes damaliges Denken und Fühlen zurückversetzt.
Dafür habe ich einige neue Künstler, die ich vielleicht vom Namen her schon kannte, schätzen und mögen gelernt, z.B. Elvis Costello, Jimi Hendrix oder Kanye West. Dank Bob Dylan oder Bob Marley gibt es Musikstile, die ich nun mehr mag als vorher.
Und: die Beatles sind wirklich die beste Band aller Zeiten. Die Rolling Stones sind nun wirklich nicht mit ihnen vergleichbar. Auch nachdem ich fast alle ihrer Alben nun mit offenem Geist sehr oft gehört habe und auch teilweise recht gut finde, sind die Beatles meiner Meinung nach meilenweit besser, was Songwriting, Instrumentierung, Perfektion und Lyrics betrifft. Stones oder Beatles ist wohl mehr eine Frage der präferierten Charaktereigenschaften und des Lebensgefühls, dem man sich zuordnet, also ob einem Mick Jagger oder John Lennon sympathischer und ähnlicher ist.
Eine rationale Art, Musik zu hören
Noch ein paar Worte zu Spotify. Was mir an dem Projekt immer gefallen hat, ist sein subversiver Charakter. Denn durch diese rationale Art, Musik hören (nach einem bestimmten Schema und Plan), ist es zugleich eine sehr unübliche Art: die meisten hören Musik, die ihnen gefällt, also nach dem Lustprinzip und nicht vernunftgesteuert. Bei diesem Projekt hört man aber systematisch und nicht bedürfnisgesteuert, nicht nach dem Gefällt-mir-Prinzip. Daher habe ich immer gedacht, dass mich die Spotify-Algorithmen sehr hassen müssen. Zumindest schaffen sie es bisher nicht, einen Zusammenhang in meinem Hörverhalten zu erkennen, um mir vorhersagen zu können, was ich als nächstes hören möchte. Die Alben, die ich höre, haben ja nichts damit zu tun, was ich als nächstes hören werde. Das macht mich ein bisschen stolz, “unpredictable”, nicht vorhersehbar zu sein.
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