Tumgik
#Publikationsfreiheit
libreas · 8 years
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Bitte Werke nicht beforschen. Wie Uwe Jochum für publikationsfreiheit.de wirbt.
Eine Notiz von Ben Kaden (@bkaden)
zu: Uwe Jochum: Der unsichtbare Autor. In: uwejochum.github.io, 14.03.2017
Die Debatte um den Referentenentwurf zu einem Gesetz zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse der Wissensgesellschaft (UrhWissG) rotiert in durchaus beeindruckender Geschwindigkeit auf Twitter und in verschiedenen Blogs. Zusätzlichen Spin erhielt sie unlängst durch eine Analyse der Unterzeichnerliste des unter publikationsfreiheit.de verbreiteten Aufrufs einer doch sehr stark vom Verlagswesen geprägten Initiative, die eine beeindruckende Zahl von Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern zusammen bringen konnte, die nun regelmäßig als Aushängeschilder präsentiert werden. Ob Jürgen Habermas, Dieter Henrich oder Ottfried Höffe sich in dieser Rolle wohlfühlen, ist unklar. Sie repräsentieren aber in jedem Fall die von Eric Steinhauer herausgearbeitete Beobachtung, dass ein großer Teil der wissenschaftlichen Unterzeichner des sachlich zumindest diskutierbaren (vgl. Ein Erklärbär zu publikationsfreiheit.de) Aufrufs zur Publikationsfreiheit eher eine älteren Wissenschaftsgeneration angehört, die in den Strukturenes bundesdeutschen Verlagswesens der Nachkriegszeit (u.a. bekannt als Suhrkamp-Kultur) sehr erfolgreich verankert waren und teils Backlist noch sind.
Jüngere Autorinnen und Autoren, für die es ohnehin angesichts der auch ohne Urheberrechtsnovelle stattfindenden Neuaufstellung und -orientierung (sowie teils auch Auflösung) vieler mittelständischer Wissenschaftsverlage schwer wird, den Pfad ins Programm von Suhrkamp Wissenschaft et al. nachzugehen, haben sich dagegen kaum für den Aufruf gewinnen lassen. Das könnte muss sie nicht zwingend zu Anhängern des Open Access machen. Es kann auch einfach sein, dass die Angebote und Anforderungen des wissenschaftlichen Verlagswesens nicht mehr mit den Anforderungen und vielleicht auch Angeboten ihre aktuellen Forschungs- und Lebenssituation in Übereinstimmung zu bringen sind. Das "große Buch" mag in vielen Geisteswissenschaften noch ein Statussymbol sein. In anderen Forschungsfeldern wird es eher als Klotz empfunden.
Deutlicher wird es noch, wenn man an die Publikations- und Forschungsformen einer vorwiegend digital gerichteten Wissenschaftspraxis denkt, die gemeinhin auf der geisteswissenschaftlichen Seite mit dem nicht nur unproblematischen Label Digital Humanities besetzt wird. Und hier bietet sich der Hinweis auf einen aktuellen Beitrag Uwe Jochums an, der sein intensives Werben um eine Unterschrift des Aufrufs zur Publikationsfreiheit nicht nur mit einer Raubverfilmung von Thomas Pynchons Raketenwerks Gravity’s Rainbow anzuregen versucht, sondern zugleich deutlich macht, wie wenig er von korpusorientierter Forschung hält:
"Denn in dem Referentenentwurf steht, daß es in Zukunft erlaubt sein soll, von Werken (der Text spricht in Klammern von »Ursprungsmaterial«) zu nicht-kommerziellen Forschungszwecken auswertbare Textkorpora zu erstellen — das nennt man »Data Mining« (§ 60d, Abs. 1). Und wenn die Forschungsarbeiten erledigt seien, soll der Forscher oder die Forschergruppe das von ihm/ihr erstellte Korpus einer Bibliothek, einem Archiv, einem Museum oder sonst einer Bildungseinrichtung zur dauerhaften Aufbewahrung übergeben dürfen (§ 60d, Abs. 3)."
Mehr noch: Es erscheint im grundsätzlich problematisch, ein schöpferisches Werk als "Material" zu begreifen. Das ist nicht haltbar, denn:
"»Material« nämlich bezieht sich auf Werkstoffe, die in einen Produktionsprozeß eingehen; und diese Werkstoffe wiederum sind Synthesen aus natürlichem »Ursprungsmaterial«, aus Mineralien, Metallen, seltenen Erden oder was auch immer."
Wir erinnern uns selbstverständlich sehr gut an die unterreflektierte Bezeichnung des Fachinformationsprogramms der Bundesregierung für den Zeitraum des expandierenden Internets, nämlich 1996-2000: "Information als Rohstoff für Innovation". Information ist naturgemäß nicht stofflich und daher war der Titel des Programms eine erkennbar substanzlose Phrase. Uwe Jochum folgt dieser Kritik aber nur kurz, in dem er die Gleichsetzung von Natur und Kultur, die er dem Referentenentwurf vorher freilich erst unterstellt, kritisiert.  Das Werk ist für ihn Ende der Schöpfungskette und im Wortsinne unverbesserlich:
"Aber Werke? Werke sind, was sie sind, im Moment ihrer Hervorbringung und von Anfang an. Oder wie soll ich es mir vorstellen, jemand könnte Michelangelos »David« veredeln oder ihn zu einem höherwertigen Produkt umformen?"
Eigentlich müssten hier auch die Editionsfachleute des Stroemfeld-Verlags vehement widersprechen, zielt doch ihre Herausgeberschaft der Werke Kleists, Robert Walsers oder Franz Kafkas doch eindeutig wenigstens darin, mittels Veredelung die reinste Form des Werkes herauszudestillieren. Und tatsächlich wirkt die Stroemfeld-Edition eines Textes deutlich wertiger als die Anaconda-Ausgabe.
Was Uwe Jochum in seiner Anbetungsargumentation völlig ausblendet, ist auf der Vorderseite, dass wir gerade bei Textwerken notwendigerweise nur mittels Repräsentation in einer bestimmten Ausgabeform den Zugang zum Werk erlangen. Zu einem Gemälde oder eine Skulptur mag es ein hochauratisches Original geben, das man besuchen kann. Text und auch Film kommen dagegen immer und notwendig über Zwischenmedien zu den Rezipierenden. Gerade die Verlage legitimieren sich permanent darüber, dass sie diese Brücke bauen.
Auf der Rückseite verkennt Uwe Jochum offenbar den Zweck der Anwendung wissenschaftlicher Methoden. Bei diesen, also beispielsweise beim Datamining geht es nirgends um die Verbesserung oder Veredelung eines Werkes. Ziel dieser Verfahren sind das Erkennen und Verstehen mittels systematischer Auseinandersetzung mit einem Gegenstand, der hier ein grandioses Werk der Kultur, dort eine Gesteinsformation und an anderer Stelle die Strukturen des Verlagslobbyismus im Zusammenhang mit der Urheberrechtsgesetzgebung in der Bundesrepublik Deutschland sein kann. Auf einer grundlegenden Ebene der Wissenschaft sind alle Gegenstände gleich. Wofür Uwe Jochum also eigentlich plädiert, ist, besondere Kulturobjekte (also Werke) den Möglichkeiten der wissenschaftlichen Beforschung zu entziehen, denn "[e]in solcher Versuch könnte gar nichts anderes sein als die Zerstörung dieses Werkes." Das kann man machen. Fraglich ist allerdings, ob " so große Namen wie Jürgen Habermas oder Dieter Henrich oder Jürgen Osterhammel oder Peter Graf Kielmannsegg" dies tatsächlich befürworteten. (Berlin, 14.03.2017)
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libreas · 7 years
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Das liest die LIBREAS. Heute: Die Grenze des wissenschaftliche Sagbaren bei Brian C. Martinson
Brian C. Martinson: Give reasearchers a lifetime word limit. In: Nature, 19. October 2017. Volume 550 Number 7676. DOI: 10.1038/550303a
Ein Kommentar von Ben Kaden (@bkaden)
In einer Kolumne der Nature-Ausgabe vom 19.10.2017 entfaltete Brian C. Martinson eine Idee, die als Notwehr in mehrfacher Hinsicht gegen Entwicklungen im wissenschaftlichen Publikationswesen gewertet werden kann. Dass generell zu viel publiziert wird, darf dabei als gesetzt gelten und ist bekanntermaßen schon als Klage aus dem Mittelalter überliefert.
Sein Ausgangspunkt zielt stattdessen auf die Motivation der Wissenschaftler*innen. Als Prämisse ergreift er die These (bzw. Fiktion), in einer nicht näher bestimmten Vergangenheit hätten wissenschaftliche Autor*innen mit dem Ziel publiziert, Erkenntnis zu teilen. Heute dagegen geht es nur um Reputation, also "credit in an academic marketplace" bzw. kürzer "pubcoin". Diese kleine Münze summiert sich durch Menge und ist daher anfällig für eine ganze Palette weniger edler Motive.
Die, wenn man so will, Kommodifizierung wissenschaftlich Autorschaft führt, so Brian C. Martinsons Wahrnehmung, fast unvermeidlich zu einem Qualitätsverlust des wissenschaftlichen Publizierens. Sie fördert Phänomene wie Eigen- und Gefälligkeitszitate, das Haschen nach dem Spektakulären und führt zugleich zu einer Blüte halbseidener Publikationsformate wie den so genannten "Predatory Journals".
Um dem entgegen zu wirken, schlägt er eine künstliche Verknappung der pro Karriere und also Wissenschaftler*in zulässigen Zahl von Wörtern vor. Autor*innen müssten sich dann nämlich in Beschränkung üben, was, so die Hoffnung, eine Reihe von maßgeblichen Verbesserungen des Publizierens führte. So würde die Relevanz der Texte genauso wachsen wie ihre formale Qualität und wissenschaftliche Güte. Denn wer nur eine Handvoll Aufsätze pro Leben hat und an wissenschaftlichem Leben eben nur eines, der wird nicht riskieren, dass ein Text wegen eines Mangels zurückgezogen werden muss. Für Herausgeber*innen, Peer-Review-Peers und Redaktionen sowieso veränderte sich die Lage dabei grundlegend und zum Guten. Diese Tätigkeiten würden auf einmal wieder Freude bereiten, alles wäre überschaubarer und griffiger. Berufungskommissionen könnten auf die Konsultation von Impact-Faktoren verzichten und die Texte von Bewerber*innen vollständig lesen und beurteilen. So jedenfalls die Fantasie einer schönen neuen Wissenschaftswelt.
Aber auch die Medialle, die die Münze ersetzen soll, hat ihre Kehrseite. Und so räumt Brian C. Martinson bei seinem Gedankenspiel drei Probleme ein. Erstens befürchtet er, dass in Zeiten knapper Sätze nur Erfolge bzw. positive Ergebnisse sichtbar würden, weil man in jedem Text brillieren will. Er sieht weiterhin, dass die zu erwartende Kürze mitunter zu kurz wäre. Und er gesteht unterschiedlichen Disziplinen einen unterschiedlichen Wortaufwand zu, würde also hier und da Ausnahmeregelungen als notwendig ansehen und Kollaborationen, bei denen ein Wissenschaftler ein Wort einem anderen gibt, vielleicht.
Dies allerdings sind nicht einmal die entscheidenden Schwachpunkte dieser als Lösung für die Not der Leser und Autoren propagierten durch und durch autoritären Notlösung. Ganz grundsätzlich und völlig unabhängig von den Fragen der administrativen Organisation eines enormen Monitorings und sicher notwendiger Sanktionen (Ausschluss aus dem Forschungsbetrieb bei Überschreitung der Wortgrenze?) kollidiert die Idee sofort mit sämtlichen Ideen einer Wissenschaftsfreiheit und der damit verbundenen Publikationsfreiheit ohnehin. Im Grund zeichnet sich ein potentielles wissenschaftliches Sprechverbot am Horizont ab, dass völlig arbiträr über ein unsinniges quantitatives Kriterium appliziert werden soll: Man darf alles sagen, sofern man noch genug Silben übrig hat. Orwellianischer kann man die Wissenschaftskommunikation kaum denken.
Unabhängig davon staunt man, wie fahrlässig Brian C. Martinson generell die Diversität nicht nur disziplinäre Ansprüche an einen Sprachgebrauch sondern auch die Formen der wissenschaftlichen Kommunikation selbst ignoriert. In der Konsequenz entständen bei der Realisierung seines Wunsches vermutlich einfach zwei Kommunikationskulturen. Eine streng eingepferchte einer hochformalisierten und bürokratisierten Wissenschaft, in der Autor*innen um jedes Komma kämpfen und artistische Abkürzungs- und Formulierungsformen entwickeln. Und eine freie und offene Kommunikationskultur außerhalb dieses linguistischen Experimentes, die sich vielleicht nicht mehr wissenschaftlich nennen darf, aber permanent Erkenntnis produziert. Es dürfte klar sein, welche Domäne trotz allem die relevanteren Ergebnisse hervorbringt.
Statt die Motivation der Autor*innen in diesem Zusammenhang zu beleuchten, bietet sich also eher an, die Motivation des Autors Brian C. Martinson zu beleuchten, der fast poetisch formuliert: "Perhaps my flight of fancy is a rose-tinted remenbrance of times past." In der Tat wirkt die Kolumne wie eine Träumerei in Altrosa und vor allem als Zeichen einer großen Erschöpfung angesichts der wissenschaftskommunikativen Gegenwart. An dieser gibt es vieles zu bemängeln und zu entwickeln. Aber die Idee des wissenschaftlichen Kapitals als Triebkraft für das wissenschaftliche Äußern ist nur wahrlich kein Novum und keine Begrenzung eines Wortbudgets wird daran etwas ändern.
Für qualitativ schlechte Texte braucht es dagegen Filterkonzepte und zwar bei der Produktion und Vermittlung, gern auch durch Bibliotheken oder Fachinformationsdienste. Denkbar ist auch ein reges Rezensionswesens. So lange die Anreize für das wissenschaftliche Verlegen auf dem Prinzip Masse liegen, was aus nahezu jedem Programm eines größeren Wissenschaftlichen Verlags sofort ins Auge springt, so lange wird das Problem zu vieler zu dürftiger Wissenschaftstexte existieren. Hier könnte man tatsächlich mit der Idee der Beschränkung ansetzen.
Es ist insofern schade, dass Brian C. Martinson derart viele Wörter und viel Platz einer renommiertesten Wissenschaftspublikationen für so eine so groteske Idee verbraucht hat. Andererseits ist es ein Grund für Freude und Erleichterung, dass das wissenschaftliche Publikationswesen inklusiv genug ist, um auch solch dystopische Gedankenspiele so prominent zur Diskussion zu stellen.
(Berlin, 25.10.2017)
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