Tumgik
#Operation Wehrlos
theswordofdamocles · 4 years
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T-1 Jahr: Das Glas ist halb leer
Déjà-vus sind eine interessante Sache - lustig, wenn man auf der Weltreise auf einem namenlosen Berg in Nepal das Gefühl hat, bereits dort gewesen zu sein, weniger lustig, wenn sie einen sieben Jahre zurück in die Vergangenheit holen und man wirklich schon einmal auf der Liege des Kieferorthopäden festsaß und sich nicht rühren durfte, während alles Mögliche mit seinen Zähnen angestellt wird - so fühlte es sich zumindest an - und erst wieder aufstehen darf, wenn alle zwölf Brackets aufgeklebt und verdrahtet sind (zehn bei mir, weil mein Kieferorthopäde irgendwann aufgeben musste). Ich hatte ganz vergessen, wie ungemütlich eine Zahnspange ist. So wirklich darf ich das nicht sagen, weil ich in grauer Vorzeit nur im Oberkiefer eine hatte, um meine schiefen Vorderzähne zu korrigieren (ebenjene, die immer noch sehr bewegungsfreudig sind). Aus gegebenem Anlass deshalb der Beginn der Liste an Sätzen, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie sagen würde™ : 1. Ich sehne mich nach jenen sorglosen Tagen vor sieben Jahren, als ich eine Zahnspange auf der oberen Zahnreihe hatte. (Die selbstverständlich auch nur noch bis zum 04.05. auf sich warten lässt. Neuer Meilenstein!)
Meiner Meinung nach sind Besuche beim Zahnarzt und beim Kieferorthopäden so unbeliebt, weil man absolut wehrlos ist. Sobald man in die Falle gegangen ist, d.h. auf der Liege Platz genommen hat, kann man nichts mehr tun, um die ominösen Vorgänge aufzuhalten, die in deinem Mund stattfinden, ohne eine Riesenszene zu machen. Ich denke voller Sehnsucht an die Arztbesuche, wo ich meine Bedenken zumindest artikulieren konnte. Was kann ich beim Kieferorthopäden schon sagen, wenn ohnehin alles gleich klingt, weil eine Vorrichtung sowohl Mund als auch Zunge bewegungsunfähig macht - für 15 (!) Minuten? So lange dauerte es zumindest, meinen Unterkiefer zu verdrahten.
Einige Highlights aus der Behandlung: 1. Ich habe eine beschämend lange Zeit gebraucht, um in die oben beschriebene Vorrichtung zu kommen, weil ich nicht sehen konnte, wo meine Zunge war. 2. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich die ganze Prozedur in der Spiegelung der Schutzbrille der Arzthelferin beobachten können. Ich wollte nicht. 3. Das Herumwerken an meinem Gebiss wurde liebevoll als “Fummelei” betitelt - ich nehme es als Kompliment! 4. Das o.g. Kompliment hat mich ein Bracket gekostet. Auf meinem linken vorderen Backenzahn hat das Bracket auch beim zweiten Versuch nicht gehalten. 5. Mein hinterer rechter Backenzahn ist ebenfalls bracketlos, weil er so schief steht, dass ich selbst dann auf das Bracket gebissen habe, nachdem man es zum größten Teil abgeschliffen hatte. Er genießt seine wiedererlangte Freiheit. 6. Der Draht hat nicht in die hinterste Halterung gepasst; nach 5 Minuten Herumstochern hat man fürs Erste aufgegeben. 7. Laut verlässlichen Quellen war die Arzthelferin irgendwann ernsthaft frustriert, weil die Halterungsgummis auf einem Zahn partout nicht gepasst haben. 8. Essen macht nun keinen Spaß mehr. Fairerweise ist heute auch erst Tag 1.
Kleine Zähne! ¯\_(ツ)_/¯
Auch wenn es nicht wehtat, der Arzt und die Helferin sehr nett zu mir waren und ich nach einem kurzen Moment der Schwäche wieder die Notwendigkeit sehe, Zahnspange und OP über mich ergehen zu lassen, besorgt es mich doch ein wenig, den Arztbesuch wirklich zu erleben - es ist ein bisschen so, als wünsche man sich, krank zu sein, um nicht zur Arbeit zu müssen, aber wenn man dann krank ist, erinnert man sich erst daran, wie unangenehm das eigentlich ist. Die endlos lange Zeit auf der Patientenliege hat mir ein wenig die Augen geöffnet, leider zum Nachteil meiner Motivation. Zu sehen, was für eine “Fummelei” allein die Zahnspange gewesen ist, beunruhigt mich im Hinblick auf die Operation. In mir erwacht der Wunsch, einen breiten, robusten Kiefer zu haben, der so etwas problemlos wegsteckt. Aber jetzt ist es offiziell: Die OP wird durchgeführt werden und es gibt kein Zurück mehr. Ich brauche noch ein Weilchen, bis ich mich damit angefreundet habe. Das Glas ist halb leer; man wird sehen, wie die Dinge stehen, wenn die zweite Hälfte der Zahnspange in zwei Wochen an Ort und Stelle sitzt.
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dayoffdementari · 7 years
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What if the book characters were chibis from Epic Battle Fantasy 3?
Can you guess them all? Some are pretty much impossible.
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melbynews-blog · 6 years
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Die US-Agenda | Rubikon
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Die US-Agenda | Rubikon
Die wirklichen Gründe für Trumps Kündigung des Atom-Deals von Darius Shahtahmasebi
Wir müssen feststellen, dass Donald Trump das Nuklearabkommen mit dem Iran nicht etwa hasst, weil es ein schlechter Deal wäre. Nein, vielmehr hasst er es, weil es ein in jeder Hinsicht gutes Abkommen ist; eins nämlich, das wirklich funktioniert.
Falls Sie Zweifel daran haben, sollten Sie sich fragen, ob Trump jemals auch nur ein vernünftiges Argument hervorgebracht hat, das seine Ablehnung des Deals begründet hätte. Zwar hat er den Deal in immer blumigeren Worten verurteilt, aber die angeblichen Mängel daran nie so richtig dargelegt. Außerdem, wenn das Abkommen wirklich so schlecht ist, warum strebt er dann eine ganz ähnliche Einigung mit Nordkorea an? Wie könnte ein solches Abkommen aussehen, ohne dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA, die offizielle Bezeichnung des Iranischen Atomabkommens, Anmerkung des Übersetzers) zu gleichen? (Wir werden dieser Frage gleich weiter nachgehen.)
Folgendes verlautbarte Vox im vergangenen Jahr:
„Trump hasst das Abkommen mit dem Iran ganz gewiss nicht aus sicherheitspolitischen Gründen, immerhin hat er diesbezüglich bislang keine einzige Begründung abgeliefert. Experten glauben vielmehr, dass er eine solche sowieso nicht hat. ,Ich denke nicht, dass irgendwer ernsthaft der Ansicht ist, dass er mit den Einzelheiten des Deals vertraut ist‘, meint beispielsweise Sarah Kreps, Professorin an der Cornwell University, die sich in ihrer Arbeit mit Abkommen zur Waffenkontrolle beschäftigt.“
Was also könnte er gegen den Deal haben? Wenn er angeblich so viele gute Gründe hat, weshalb legt er sie nicht einfach auf den Tisch? Und wie bitte gedenkt er, sich mit Nordkorea zu einigen, wenn er der ganzen Welt zeigt, dass die USA nicht gewillt sind, sich an ihr Wort zu halten?
Die Wahrheit ist schlicht und einfach, dass Donald Trump das Abkommen nicht mag, eben weil es funktioniert und seine eigene Administration zähneknirschend zugeben muss, dass der Iran den Deal bislang in allen Punkten eingehalten hat. Dem neokonservativen Traum von Leuten wie Trump sowie seinen kriegstreiberischen Beratern gemäß dürfen die USA auf gar keinen Fall als diejenigen dastehen, die das Abkommen zerstört haben (und mittlerweile ist ja durchgesickert, dass die Amerikaner zu einhundert Prozent die Verantwortung dafür tragen). Vielmehr drängen sie darauf, den Deal so zu gestalten, dass er für den Iran völlig inakzeptabel wird. Ziel ist dabei, ihn auf diese Weise in den Augen der internationalen Gemeinschaft als ein gefährliches und unzuverlässiges Land hinzustellen, dem dringend militärisch beigekommen werden muss – und das entspricht genau dem, was die USA seit langem behaupten.
Diesbezüglich heißt es in der neokonservativen Anleitung zur Zerstörung des Irans mit dem Titel „Welcher Pfad führt nach Persien? Optionen für eine neue amerikanische Iran-Strategie“ (im Original: „Which Path to Persia? Options for a New American Strategy toward Iran“):
„All jenen, denen ein iranischer Regimewechsel oder militärischer Angriff (entweder durch die Vereinigten Staaten oder Israel) vorschwebt, sei gesagt, dass es gute Gründe gibt, weswegen man diese Option ins Auge fassen sollte. Um einen Regimewechsel durchzuführen, müsste man das iranische Volk allerdings davon überzeugen, dass seine Regierung ideologisch so verbohrt ist, dass sie, anstatt das zu tun, was für das Volk das Beste wäre, sich an eine Politik klammert, die das Land ruiniert. Das ideale Szenario bestünde darin, dass die USA und die internationale Gemeinschaft dem Iran ein so gutes Angebot machen, dass seine Bürger den Deal auf alle Fälle unterstützen, nur um dann zusehen zu müssen, wie das Regime ihn ablehnt. Ebenso wäre jedwede Militäraktion gegen den Iran höchstwahrscheinlich äußerst unpopulär in der Welt. Daher müsste auf internationaler Ebene eine Situation geschaffen werden, mit der sowohl die logistische Unterstützung der Operation gewährleistet als auch ein möglicher Bumerangeffekt minimiert werden könnte. Der beste Weg, um auf internationaler Ebene unseren Ansehensverlust zu minimieren und gleichzeitig die Unterstützung (wie widerwillig und heimlich auch immer) zu maximieren, wäre dann gegeben, wenn die Allgemeinheit glauben würde, die Iraner hätten ein großartiges Angebot zurückgewiesen – und zwar ein so gutes, dass nur ein Regime es ablehnen würde, das auf Atombombenbesitz abzielt.“
Das iranische Atomwaffenabkommen in seiner gegenwärtigen Form beinhaltet nämlich kaum einen möglichen Reibungspunkt zwischen dem Iran und den USA – beispielsweise den Test ballistischer Raketen. Trump möchte aber eben genau diesen Aspekt in das Abkommen einfließen lassen. Und warum? Aus dem oben beschriebenen Grund: um den Iranern einen so unannehmbaren Deal anzubieten, dass die Islamische Republik, selbst wenn sie ihm gutgläubig zustimmen würde, ihn trotzdem niemals in die Realität umsetzen könnte. Ansonsten verlöre sie damit eine ihrer wichtigsten Abschreckungsmöglichkeiten gegenüber einem Angriff der USA oder Israels.
Und genau deshalb wird das nahende Gipfeltreffen zwischen Trump und Kim Jong-un umso wichtiger. Denn, wie Trump vorgibt, will er den Nordkoreanern unmissverständlich klarmachen, dass er einen „richtigen Deal“ mit ihnen will. Wie aber soll dieser aussehen, wenn es der JCPOA mit dem Iran nicht ist?
Ein „richtiger Deal“ ist einer, den die Nordkoreaner in letzter Konsequenz nicht einhalten können. Und selbst wenn sie es könnten, würden seine Bedingungen das Land derart wehrlos machen, dass die USA mit Leichtigkeit einmarschieren könnten.
Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass das oberste Zie Washingtons darin besteht, einen Regimewechsel sowohl im Iran als auch in Nordkorea in die Wege zu leiten. Immerhin verfügen beide Länder über Ressourcen im Überfluss – und diese Ressourcen befinden sich zum Ärger der Amerikaner nun einmal leider in der Einflusssphäre ihrer beiden Hauptrivalen China und Russland. Diesbezüglich sollte nicht übersehen werden, dass die Trump-Administration in ihrer Nationalen Verteidigungsstrategie China und Russland als Hauptbedrohungen aufführt, nicht etwa den IS oder Al-Qaida, gegen die die Amerikaner angeblich Krieg führen.
Die USA werden jedenfalls keinen der beiden Deals einhalten, da sie letztendlich nur eine einzige Agenda verfolgen. Falls Sie das nicht glauben, sollten Sie sich mit den Kommentaren beschäftigen, die der neue Sicherheitsberater John Bolton verfasst hat und in denen er sich offen für einen gewaltsamen Regimewechsel sowohl in Nordkorea als auch im Iran ausspricht.
Ein Abkommen, das beide Länder einhalten, während sie so weitermachen wie bisher – das heißt, ihre Wirtschaft aufbauen, ohne den USA nachzugeben – wäre für die Amerikaner der absolute Deal Breaker. Wie Saïd Amin, Vorstandsmitglied des Nationalen Iran-Amerika-Rats (NIAC), unlängst in einer E-Mail an Anti-Media feststellte: „Kim Jong-un wäre schon ein Narr, wenn er auch nur einem der Versprechen der Trump-Administration Glauben schenken würde.“
Darius Shahtahmasebi ist Japanologe und Anwalt und schreibt zu außenpolitischen Themen auf www.antimedia.com. Man kann ihn auf Patreon unterstützen: https://www.patreon.com/thetvsleaking.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „The Real Reason Trump Abandoned the Iran Nuclear Deal“. Er wurde vom ehrenamtlichen Rubikon-Übersetzungsteam übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
Rubikon Magazin Rubikons Weltredaktion Quelle
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mediarium-blog · 7 years
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Kultur und Nation - oder:“Goethe? Ach ja, der. “
Als in der Kneipe am Tisch neben mir gerade wieder das Volk der ‘DIchter und Denker’ beschworen wurde, erinnerte ich mich an einen kleinen,  nie fertig gewordenen Essay, den ich unredigiert einfach mal hier in den Äther puste. (2,8 Seiten, Lesezeit: ca 5 min) . Kultur und Nation. Oder: Goethe? Ach ja, der.   Die Deutschen und Goethe, das ist eine besondere Verbindung. Überall lässt es sich hören, in jeder Stadt, in jeder Schule, vom Stammtisch bis zu staatstragenden Veranstaltungen: Goethe, dieser Große, ein Ausdruck deutscher Hochkultur schlechthin, einer, der die deutsche Sprache zur Vollendung beherrschte; einer zu dem man hinaufblickt – einer derer, dem die Deutschen ihre Zuschreibung als Volk der ‚Dichter und Denker‘ verdanken, was dann in Jubiläen regelmäßig zelebriert wird.Aber wie halten Sie es eigentlich mit Goethe? Staubt er im Regal vor sich hin? Sie waren letztens im Theater? Naja, immerhin. Demnächst jährt sich gewiss wieder Geburts- oder Todestag, da können Sie dann ja mitfeiern. Denn seien wir ehrlich und unbeschämt: Nur bei den Wenigsten erfreuen sich die sogenannten Kulturgrößen lebendiger Aufmerksamkeit. Das ist wohl so mit den Toten - man gedenkt ihnen gelegentlich. Das Präfix ist wichtig, denn Gedenken hat nicht zwangsläufig auch etwas mit Denken zu tun, sondern bezieht sich auf etwas Vergangenes. Goethe dachte, wir ge-denken. Dieses Gedenken kennt Rituale - und Denkmäler, die ihren Status deutlich sichtbar nach außen tragen. Und so ist das Aktuellste, was vielen bei Goethe einfallen mag, wohl eine der zeitgenössischen Aufführungen, in der wieder einmal Naziuniformen oder nackte Haut über die Bühne geschleppt werden, um ihn, diesen jahrhundertealten Tausendsassa, doch irgendwie in die Moderne zu holen. Erfolgreich? Wer weiß. MancheR muss sogar auf die Erinnerungen der Schulzeit zurückgreifen, als ihnen wiederholt bedeutet wurde: Hier, im deutschen Kulturgebiet, wurde einmal gedacht, und gedichtet - und darüber sollen wir so etwas wie Stolz oder zumindest Pathos empfinden. Goethe steht dafür der zeitlose Status als Kultur- und damit Kollektivgut zu. Als Solches ist er überschätzt. Oder unterschätzt. Je nach Sichtweise. Überschätzt, wenn er als Dichterfürst auf einem Sockel drapiert wird, von dem er nur noch mit weitschweifigem Blick zum Übervater, zum Ewig-Wahren, zum Allgemeinwissen, nicht aber zum kritikwürdigen Künstler werden kann. Unterschätzt, weil seine Gedanken uns wohl mehr zu sagen hätten, würden sie nicht als zeitlos, sondern als zeitgenössisch diskutiert.Wohl auch, weil sich tote Künstler so schlecht wehren können, finden ihre Werke letztlich seltener zur gründlichen Geistes- denn zur nationalen Identitätsbildung Beachtung. Während wir uns, den Gegenwärtigen, für die Leistung der Gewesenen den Status einer Kulturnation verleihen, bleiben die Künstler selbst erstaunlich tot. Oder was können Sie noch aus der Hüfte vortragen? Wo hat Sie Goethe im Inneren berührt? Oder Schiller? Blieb von Tucholsky mehr hängen, als dass Satire alles dürfe? Was ist das eigentlich für eine Kultur, die man leichthin benennt, ohne von ihr allzu viel wissen zu wollen? Aus klugen und kulturschaffenden Einzelmenschen wird im kollektiven Gedächtnis ein ganzes Volk, jenes der ‚Dichter und Denker‘. Kulturpflege ist eben auch Nationbuilding. Mit diesem Schicksal steht Goethe nicht allein da, auch andere KünstlerInnen hat man in das Sammelbecken der Kulturgrößen hinabgestoßen, ihnen Denkmäler gebaut und in den Mythos der Nation gezwängt. So wird auch Brecht häufig als großer deutscher Literat selbst von jenen benannt, die, wenn überhaupt, eher Krimis und Thriller gelesen und von ihm oft nur gehört haben. So ist das scheinbar, wenn man Kulturgut wird. Als Kanonisierter steht ihm ein Status, kaum aber ernstgemeinte Auseinandersetzung zu, man mag ihn gerne nennen, nicht aber denken. Im Gegenteil muss er als Autorität dafür herhalten, dass man sich auf Seiten der AfD- und Pegida-AnhängerInnen widerständig und subversiv fühlen möchte, wenn man auf ein homogenes, biodeutsches Volk rekurriert, dass ‚ausgetauscht‘ werden solle. „Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, ist einer seiner Sätze, die man auf zahlreichen Facebook-Profilen solcher Zeitgenossen findet, zusammengepanscht mit deutschnationalen Symbolen. Ob man ihnen verraten sollte, dass es Brecht mit dem Marxschen Denken recht ernst nahm? Apropos Marx: Auch er darf gelegentlich aus der Mottenkiste geholt werden - systemaffirmativ, freilich. So musste sich sein meterhohes Bronzeabbild in Chemnitz zur Fußball-WM 2014 Schwarz-rot-gold auf die Wangen malen lassen, der zugehörige Sockel wurde zu jedem Spiel der DFB-Auswahl ins schwarz-weiße Trikot gekleidet. Stadt und verantwortliche PR-Agentur wollten damit Werbung für Chemnitz ‘mit einem Augenzwinkern’ machen. Was er, der Internationalist, dazu gesagt hätte, wissen wir nicht - und da Statuen leider unbeweglich sind, konnte auch seine Büste nicht zurückzwinkern, mit den Augen rollen oder missmutig den Kopf schütteln. Überhaupt wäre es ja schön, wenn Denkmäler winken könnten ... Wir jedenfalls lernen: Selbst wenn sein Denken für die Meisten aus der Mode gekommen ist, reicht es für Marx immer noch zur Deko für ein WIR-Gefühl. Proletarische Kollektivekstase - allerdings ohne Klassenkampf, denn der ist ja überwunden (der Kampf, nicht die Klassen). Erwähnter Tucholsky indes wird vor allem zitiert, wenn man sich damit gegen den ‚Sultan vom Bosporus‘ im Fall Böhmermann gegen Erdogan echauffieren möchte. Den Musikern ergeht es nicht viel besser. Hier erfand man seit dem 19. Jahrhundert die Nation nachträglich in die Komponistenbiografien hinein. Es war die Zeit eines aufkeimenden kulturellen Nationalismus, in dem ästhetische Charakteristika der Werke mit vermeintlichen nationalen Eigenschaften überein gebracht wurden. Das zur eigenen Nation Gehörige wurde auf-, fremdes abgewertet. Das betraf in deutschen Gefilden vor allem italienische und französische Musik - in vorigen Jahrhunderten der Hort musikalischer Entwicklungen, nun des nationalen Geltungsdrangs wegen degradiert. Beethoven, bereits verstorben und daher wehrlos, aber im Musikgeschehen noch höchst lebendig, wurde vom Wiener Klassiker zum Deutschen entrückt, zum Begründer eines ‘deutschen’ Musikweges, auf den sich Nachfolgende zu beziehen hatten - wie nicht zuletzt Wagner unermüdlich kundtat. (Dass sich Beethoven vom in Venedig geborenen Mozart-Gegenspieler Salieri in Gesangskomposition unterrichten ließ, mit Haydn als Lehrer hingegen wohl nicht sehr zufrieden war – geschenkt.) Trauriger Höhepunkt der völkischen Überhöhung ist Wagners Schmähschrift *Über das Judentum in der Musik*, in der er vor allem den jüdischstämmigen Mendelssohn-Bartholdy denunziert, der nicht nur in seinen Jugendjahren Inspiration war, sondern auch als Wiederentdecker Bachs gilt. Analog zur Dichtung hinterlässt auch das heutige kollektive Musikerinnern den Eindruck eines schlechteren Meet & Greet. Wir kennen und nennen Bach, Händel, Beethoven, Haydn, Mozart, Mozart, Mozart, Schubert, Schumann, Mozart, ein bisschen noch Tschaikowsky, Vivaldi, Verdi, Ravel, vielleicht noch Grieg. Und Mozart. Wagner - ein Grenzfall, hassgeliebt. Kurzum: Was aus der stark an deutschen Tonschaffenden orientierten Schulzeit so hängen bleibt. Shosta - wer? -kovich, Shostakovich - achso, jaja, mal gehört. César Franck, Francois Couperin, Jean Sibelius? Nein? Benjamin Britten, Magnus Lindberg, Alban Berg, Arvo Pärt, Pierre Boulez? Nicht wirklich? Na gut, sind ja auch schon 20. Jahrhundert, das geht über die allgemeine Toleranzschwelle hinaus und gilt als akustische Zumutung. Also etwas zurück: Georges Bizet, Nikolai Rimski-Korsakow, Camille Saint-Saëns? Nein? Kleine Hilfestellung – von links nach rechts: die Oper Carmen, Der Hummelflug, Karneval der Tiere. Was deutsche und nicht-deutsche Komponisten schließlich heutzutage eint, ist, dass man sich im Einzelfall zwar ihrer Namen, kaum aber ihrer Musik entsinnt - und wenn, dann nur in Fragmenten, die griffig in eine Werbejingle-Soundbyte-Republik passen. Das hat doch auch der Bach geschrieben! Oder war es Beethoven? Mozart? Stimmt, Mozart, denkt man sich und pfeift die Kleine Nachtmusik vor sich her. War ja auch ein Deutscher. Oder doch Österreicher? Was denn nun? ... Ja, das ist vertrackt, wenn wir ihnen nachträglich eine Identität zuschreiben, bei dem die frühere territoriale Grenzziehung nicht mit der heutigen übereinstimmen will. Geschichte kann so garstig sein! Wer Klassik hingegen nicht nur als Ritual, sondern zum persönlichen Lustgewinn hört, oder mehr als drei Zeilen Ostspaziergang rezitieren kann, zählt schon zur argwöhnisch beäugten Kulturelite - oder ist LehrerIn. Der intensive Diskurs über diese Sorten von Kunst ist eine randständige Angelegenheit, nur die Form des Kulturkonsums light (Benennen, Überfliegen, Schulwissen) ist allgemeine Praxis. Das so geäußerte Kunstinteresse gilt weniger der Kunst als dem eigenen Status, wir betrachten vornehmlich, was uns als Betrachtende aufwertet. Die Deutschen loben sich mit dieser posthumen Wertschätzung zuallererst selbst, haben sich, wie es Tucholsky einst über die Berliner sagte, “in innigliche Verbindung mit dem gelobten Objekt” gebracht, und nun fällt “ein Glanz des Belobten (...) auf [sie] zurück”. Und sie lässt sich für jede noch so banale Überhöhung der Gegenwärtigen verwenden: Dichtervolk vs. rückständige Moslems; Kulturnation vs. Amerikaner; fleißige, kluge Deutsche vs. faule, unstrukturierte Südeuropäer. Kurzum: Salonfähiger Kultur-Chauvinismus. Und nun? Man muss nicht gleich in Kulturpessimismus verfallen, weil zu wenig oder zu selten Hochgeistiges gelesen würde. Zur Kultur gehört nicht nur Kunst - und zu Kunst nicht nur Dichtung und Klassische Musik, fraglos. Doch man sollte öfter dazwischen gehen, wenn mal wieder jemand die Altvorderen anführt, um sich zu überhöhen, sich seiner (‚biodeutschen‘) nationalen Identität zu vergewissern und ihren Glanz in die eigene Gegenwart zu verlängern - von der Eckkneipe bis in Staatsämter ein beliebtes Ritual. Solle man sich gern auf die großen DenkerInnen berufen, aber nicht, um sie als Autoritäten für eine deutsche Identität heranzuziehen, die es zu ihren Zeiten nicht gab und die daher nur retrospektive Vereinnahmung ist. Statt ums Gedenken sollte es dabei um das Durch- und Weiterdenken gehen. Ein Land der ‘Dichter und Denker’ würde sich jedenfalls nicht in retrospektivem Eigenlob zunicken, sondern den Fragen der Zukunft stellen: Umweltverschmutzung und Naturverbrauch, Armut, Urbanisierung, Migration, eine radikal ungerechte Welthandelsordnung, global strukturierte Ausbeutungsverhältnisse. In der selbsternannten Kulturnation räumten jedoch in jüngerer Vergangenheit eher Scharfmacher wie Sarrazin richtig ab, der von Feuilleton bis Leitartikel große Aufmerksamkeit bekam. Ausgerechnet der hat es mit dem Denken ja nun nicht so, eher mit dem Meinen, Behaupten, Anfeinden. Affekthascherei statt Ratio, aber verkauft sich gut. Das ‘Land der Dichter und Denker’ sei gefährdet, warnt er, durch Zuwanderung dummer anatolischer Bauern, durch die Erosion der Familie, durch linke Gedanken. Den Soundtrack dazu liefert heute das Flammenknistern angezündeter Asylbewerberheime und das Parolengegröle ‘besorgter Bürger’, die ihre ‘Kulturnation’ nur mit Gleichgesinnten und Deutschgeborenen teilen wollen. Prost Mahlzeit. Dabei haben die schon verstorbenen Kulturgrößen durchaus noch einiges beizutragen, wenn wir sie denn ernst nehmen. Goethes Naturverständnis, das trotz aller technischen Fortschritte von ihrer Unbezwingbarkeit und ihrem Eigenwert ausgeht, mit dem unseren zu spiegeln – ein lohnenswerter Diskurs. Marx würde wohl darauf hinweisen, dass zwischen Natur und Mensch ein dialektisches Verhältnis besteht, dass also die Zerstörungen der Umwelt notwendig gravierende Folgen für die Gesellschaften haben: von der Klimamigration bis zur Verelendung der BäuerInnen in der sog. Dritten Welt. Auch seine analytischen Begriffe sind für gegenwärtige Herausforderungen nutzbar, dafür muss man noch nicht mal Kommunist werden. Ein wiedererstarkender Rechtspopulismus in der „alten Welt“, kritische Konfrontationen zwischen Europa und Russland – wer einen Blick in Tucholskys Aufsätze wirft, findet anregende Perspektiven dazu, die auch zur Selbstkritik einladen. So bemängelte er angesichts des anhaltenden Franzosenhasses, dass in der Medienberichterstattung der damaligen Zeit mehr Vorurteile und Selbstvergewisserungen publiziert wurden als Artikel, die das gegenseitige Verständnis erhöhen. Man muss nicht Lügenpresse rufen, um sich dabei zu ertappen, dass man zwar viel über Putin und Erdogan hört, so viel über die tatsächlichen Befindlichkeiten, Diskurse, Sorgen und Hoffnungen der Menschen in betreffenden Ländern gar nicht weiß. Wer also demnächst Goethe, Schiller oder wen auch immer belobigt, möge sagen, was genau denn heute mit ihnen anzufangen ist. Sie haben viel mehr zu sagen, wenn ihre Werke für individuelle Erweckungserlebnisse statt zum Nationbuilding Verwendung finden. Und wem zu Goethe nicht mehr einfällt, als „ach ja, der“, hat mehr begriffen, als wer ihn gewohnheitsmäßig einen ‚großen Deutschen‘ nennt.  
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