#IstBrustkrebsgutheilbar
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Hormone und Brustkrebs
Neben dem heftig umstrittenen Mammographie-Screening sorgt im Zusammenhang mit Brustkrebs und dessen Risken eine weitere Frage permanent für Diskussion und schürt Ängste bei Frauen: die Frage nach dem Sinn oder Unsinn einer Hormonersatztherapie im Klimakterium. Gerade in den vergangenen Jahren wurde durch die Ergebnisse einiger großer Studien der Benefi t dieser Behandlung immer wieder in Frage gestellt und die ganze Thematik sehr stark emotionalisiert. Daher lohnt sich ein kritischer Blick auf dieses Problem nicht nur im Zusammenhang zwischen Brustkrebs und Hormonen, sondern auch darüber hinaus. Die steigende Lebenserwartung selbst ist ein permanent größer werdender Risikofaktor für viele Leiden. Die Entstehung etlicher Krankheiten im fortgeschrittenen Alter ist aber auch bis zu einem gewissen Grad genetisch vorprogrammiert. Dazu gehören kardiovaskuläre Erkrankungen, Herzinfarkt, Schlaganfall (Apoplexie), Osteoporose und Demenz. Ihr Krankheitsbeginn und damit ihre Konsequenzen für Morbidität (Krankheitsstand) und Mortalität (Sterblichkeitsziffer) lässt sich durch Lebensgewohnheiten wie etwa Essverhalten, körperliche Aktivität und ähnliches mehr zum Teil günstig, aber ebenso auch negativ beeinfl ussen. Es wird immer wichtiger, diese Zusammenhänge zu erkennen. Denn in der heutigen Gesellschaft ist nicht allein das Altwerden selbst gefragt, sondern vielmehr ein Altern in guter Qualität, also in körperlicher und geistiger Frische und, wenn es sich dann machen lässt, auch noch bei jugendlichem Aussehen. Es geht also zusehends um eine Kompression der Morbidität im Alter – das heißt, es geht darum, den Zeitraum des Krankseins vor dem Tod möglichst kurz zu halten. Eine hohe Lebensqualität ist auch in den späten Jahren gefragt. Es sollte daher Ziel sein, das Alter in guter Qualität und Gesundheit sowohl körperlich als auch geistig zu erleben. Dies sollte nicht nur ein medizinisch-humanistisch geprägter Wunsch sein, sondern auch eine Grundvoraussetzung, die rasch steigende Kostenexplosion in der Medizin, zum Teil bedingt durch die immer aufwendigere medizinische Versorgung einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung, in den Griff zu bekommen. Hier sei darauf hingewiesen, dass heute bereits für eine 65-jährige Frau jährlich rund fünfmal mehr rezeptpfl ichtige Medikamente verschriebenen werden, als für eine 25-jährige. Dies trifft annähernd auch für Männer dieser Altergruppen zu. Vorsorgemedizin und nicht Reparaturmedizin wird in Zukunft immer mehr gefragt sein. Eine individuelle, richtig durchgeführte Hormonersatztherapie über einige Jahre hindurch, die eine Verkürzung der immer länger dauernden hormoninaktiven Zeit in der zweiten Lebenshälfte darstellt, kann für die Frau daher durchaus ein zielführender Weg in diese Richtung sein. Dazu gehört natürlich ebenso die Risikoabwägung und Risikominimierung den Brustkrebs betreffend. Auf Grund der geänderten Lebensbedingungen in der industrialisierten westlichen Welt werden die Menschen zunehmend älter, was zu einer sich deutlich ändernden Gesellschaftsstruktur führt. Immer mehr Menschen befi nden sich in der zweiten Lebenshälfte, bei sinkender Kinderzahl. Dies bedingt in vielen Lebensbereichen, darunter auch in der Gesundheitsvorsorge und in der Medizin, eine intensive Auseinandersetzung mit diesem Lebensabschnitt. Das trifft besonders auf Frauen zu, die in der westlichen Welt ein um etwa sechs bis acht Jahre höheres Lebensalter als Männer erreichen. Betrug das Lebensalter am Ende des 18. Jahrhunderts noch knapp über fünfzig Jahre, so ist es bis heute auf knapp 82 Jahre angestiegen, wobei die Frau rund ein Drittel dieser Zeit ohne Hormonproduktion in der Menopause beziehungsweise in der Postmenopause verbringt, was verschiedene Beschwerden und Erkrankungen verursachen beziehungsweise fördern kann. Die ständig verbesserten sozialen Umstände, die rasante Entwicklung der Medizin und die zunehmend bessere Ernährung sind im Wesentlichen für das zunehmend hohe Alter verantwortlich. Man kann durchaus behaupten: Die steigende Lebenserwartung ist kein natürlicher biologischer Vorgang, sondern wird von äußeren Faktoren bestimmt. Wenn man in die Dritte Welt, in die so genannten Entwicklungsländer blickt, dann hat sich die Lebenserwartung dort in den vergangenen Jahrzehnten nur geringfügig verändert oder ist sogar gleich geblieben. Sie liegt auch heute noch zwischen 51und 56 Jahren, abhängig von den einzelnen Ländern, also ungefähr dort, wo die Lebenserwatung in Europa noch vor 150 Jahren lag. In Asien liegt die durchschnittliche Lebenserwartung in den besser entwickelten Ländern noch immer rund zehn Jahre unter der der westlichen Welt. Ausnahme ist das wirtschaftlich hoch entwickelte Japan, das weltweit die höchste Lebenserwartung hat, sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern.
Das Menopausenalter, das im Gegensatz zur Lebenserwartung (noch) nicht von äußeren Faktoren beeinfl usst werden kann, hat sich in den vergangenen 2000 Jahren biologisch nur geringfügig, nämlich lediglich um rund fünf Jahre verschoben. Es liegt im Durchschnitt derzeit zwischen 51 und 52 Jahren. Der Zeitraum der Postmenopause ist also im Vergleich zu früher erheblich länger geworden, dies kann aber nicht als natürlicher physiologischer Prozess angesehen werden. Das heißt, durch die heutige Lebenserwartung der Frau von rund 82 Jahren in der westlichen Welt lebt sie in der Postmenopause noch rund 30 Jahre ohne Sexualhormonproduktion, besonders ohne Östrogene. Biologisch gesehen ein durch den technischen Fortschritt herbeigeführtes Novum, denn die Natur kennt nur bei ganz wenigen Tierspezies überhaupt eine Menopause, aber niemals in dieser Länge. Allein von diesem Gesichtpunkt aus ist neben dem medizinischen Aspekt die Frage nach einer Substitution, nach einem Ersatz der verloren gegangenen Hormone in der künstlich verlängerten Menopause zu diskutieren. Die Menopause kann, muss aber nicht zu klimakterischen Beschwerden und metabolischen Störungen wie zum Beispiel einer Osteoporose führen. Der Östrogenmangel löst jedoch bei etwa 70 bis Prozent aller Europäerinnen mehr oder weniger ausgeprägte klimakterische Beschwerden aus, die eine medikamentöse Behandlung notwendig machen können, um eine entsprechende Lebensqualität und Leistungsfähigkeit der Frau in diesem Lebensabschnitt zu erhalten. Steroidhormone, Östrogene, Progesteron und Androgene sind nicht nur aber eben auch in diesem Lebensabschnitt mitentscheidend für Wohlbefi nden, Lebensqualität und gesunden Stoffwechsel. Natürlich gab es immer schon sehr alte Menschen, aber wesentlich weniger als heute. Und diese haben wahrscheinlich auch damals ebenso sämtliche Probleme des langen hormonfreien Lebensabschnitts gekannt. Nur zum Vergleich: Im 17. Jahrhundert haben nur etwa 17 Prozent der Frauen die Wechseljahre erreicht und danach wenige Jahre in der Postmenopause gelebt. Heute erreichen in den industrialisierten Ländern rund 95 Prozent der Frauen das Wechselalter und haben dann noch eine Lebenserwartung von bis zu 30 Jahren. Übrigens zeigt das Klimakterium im zeitlichen Auftreten nur geringe ethnische und rassische Unterschiede. So liegt das Menopausenalter in den USA von Weißen und Schwarzen nur unwesentlich auseinander. Allerdings werden sozioökonomische Unterschiede diskutiert: Frauen mit niedrigem Sozialstatus und niedrigem Einkommen kommen früher in die Menopause als Frauen mit höherem Sozi- 86 alstatus. Ebenso scheinen Unterschiede sowohl im Menarchealter (die Zeit der ersten Menstruation) als auch im Menopausenalter zwischen Entwicklungsländern und westlichen Industrienationen zu bestehen. Auf Grund besserer Ernährung kommt es in den Industrienationen neben einem größeren Körperwachstum auch zu einem früheren Auftreten der Menarche und etwas späteren Eintritt der Menopause. Andererseits spielen aber auch die geänderten Lebensgewohnheiten der westlichen Hemisphäre zunehmend eine negative Rolle in der Beeinfl ussung des Menopausenalters. So konnte in Studien nachgewiesen werden, dass erhöhter Nikotinkonsum das Menopausenalter um bis zu zwei Jahre früher eintreten lässt. Das Nikotin bewirkt eine stärkere Gefäßveränderungen in den Eierstöcken (Ovarien), was zu einem verminderten Sauerstofftransport dorthin führt. Durch die so hervorgerufene Minderdurchblutung kommt es zu einer eingeschränkten Östrogenproduktion in den Eierstöcken. Zusätzlich wird durch andere Inhaltsstoffe der Zigaretten die Entwicklung dieses Hormons (die so genannte Aromatisierung von Androgenen als Östrogenvorläufer) gehemmt. Durch all diese Faktoren kommt es jedenfalls zu einer verringerten Produktion des Sexualhormons, was auch als Ursache des erhöhten Osteoporoserisikos von Raucherinnen angesehen werden kann. Die Möglichkeit, im Wechsel von außen Hormone zuzuführen und damit Beschwerden, die durch den Hormonmangel hervorgerufen werden, zu beseitigen, hat Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit von Frauen in der Menopause und Postmenopause entscheidend verbessert und darüber hinaus auch das Bild der postmenopausalen Frau in der Gesellschaft stark verändert. Es gibt sowohl in den skandinavischen Ländern als auch zum Teil in Deutschland Untersuchungen, die zeigen, dass die Leistungsfähigkeit von Frauen unter Hormonersatztherapie deutlich höher ist, als von Frauen ohne Therapie. Ebenso sind die Krankenstände von Frauen ohne Therapie deutlich höher. Für viele Frauen ist der Verzicht auf eine Hormonersatztherapie mit einem nicht unerheblichen Verlust an Lebensqualität und Wohlbefi nden verbunden. Obwohl es heutzutage eine sehr breite Palette von Hormonpräparaten in den verschiedensten Verabreichungsformen gibt, die es dem erfahrenen Spezialisten ermöglichen, eine individuelle Hormonersatztherapie adäquat und sinnvoll mit größtmöglichem Erfolg und minimalstem Risiko durchzuführen, sind viele Frauen verunsichert. Was umso tragischer ist, als auch die mangelnde Auseinandersetzung mit dem Spezialgebiet der Endokrinologie und mit den Bedürfnissen und Wünschen der Frau dazu führt,
dass selbst von ärztlicher Seite den Frauen nur wenig Hilfestellung gegeben wird. Das führt dazu, dass viele Frauen von einer Hormonsubstitution absehen oder eine bereits durchgeführte Behandlung kurzfristig wieder abbrechen. Hinzu kommen irrationale Ängste, Unwissenheit über die Hormone und deren Wirkungsmechanismen, Angst vor unbekannten Risken, öffentlich geschürter Krebsangst und Furcht vor möglichen Nebenwirkungen wie etwa ein Wiederauftreten von Blutungen oder Gewichtsprobleme. Gerade hier müsste der Arzt oder die Ärztin aufklärend eingreifen und somit den Frauen das Verständnis und die Sicherheit für die Therapie geben, beziehungsweise Ängste abbauen helfen, und nach einer qualifi zierten Risikoabschätzung im gegebenen Fall natürlich auch von einer solchen Therapie abraten. Die positiven Effekte einer richtig durchgeführten individuellen und zeitlich begrenzten Hormonersatztherapie überwiegen im Generellen die möglichen Gefahren durch eine geringe Erhöhung des Brustkrebsrisikos. Voraussetzung sind hierfür freilich die richtige Dosierung, das richtige Präparat und regelmäßige Kontrollen. Eines muss an dieser Stelle aber ganz klar gesagt werden: Die Verabreichung von Hormonen stellt natürlich einen weitreichenden Eingriff in den Organismus der Frau dar und sollte daher auch auf die Indikation von Wechselbeschwerden, die die Lebensqualität tatsächlich beeinträchtigen, beschränkt bleiben. Ein unrefl ektiertes Feilbieten von Hormonen etwa als Jungbrunnen und Anti-Aging-Mittelchen, welche am besten schon ab einem frühen Lebensjahr und möglichst lange eingenommen werden sollten, muss abgelehnt werden. Es sollte auf der anderen Seite jedoch auch nicht zu einer absoluten Notwendigkeit werden, Hormone gegen Wechselbeschwerden einzunehmen. Wenn die klassischen Symptome wie Schweißausbrüche und Hitzewallungen nicht im Vordergrund stehen und zu schweren Beeinträchtigungen führen, gibt es auch andere Möglichkeiten, etwa homöopathische Behandlungen, Phytoöstrogene, Melbrosia oder Gelee Royale. Auch eine Akupunktur kann helfen. Es muss aber auch für diese Therapien ganz klar gesagt werden, dass sie mehr schaden als nützen können, wenn sie nicht sachgerecht angewendet werden. Welche Risken sind durch eine Hormonersatztherapie nun tatsächlich zu erwarten und wie hoch sind sie? Seit Sommer 2002 werden die Ergebnisse der Women’s Health Initiative Study (WHIStudie) in der breiten Öffentlichkeit zum Teil sehr emotional, zum Teil auch unsachlich und in der Interpretation nicht immer ganz korrekt diskutiert. Nur ein Jahr später, wieder in den Sommermo- 88 naten des Jahres 2003, wurde die Diskussion neuerlich durch die Ergebnisse der One Million Women Study (OMWS) angeheizt und erfuhr einen fast unglaublichen Höhepunkt. Obwohl seitdem ein Teil der Ergebnisse nach erneuten sachlichen Beurteilungen und Feinauswertungen korrigiert und damit gleichzeitig einzelne Risikofaktoren deutlich reduziert wurden, haben die Diskussionen und Interpretationen dieser beiden Studien sowohl Ärztinnen und Ärzte also auch betroffene Frauen völlig verunsichert und die Hormonersatztherapie in Verruf gebracht. Zum besseren Verständnis dieses Hormonstreits eine kurze Replik der beiden Studien. Die WHI sollte im Wesentlichen die Auswirkungen verschiedener Einfl üsse der Lebensführung – zum Beispiel Ernährung und einige präventive Behandlungen – auf den Gesundheitszustand und das Erkrankungsrisiko von postmenopausalen Frauen ohne klimakterische Beschwerden untersuchen. In den USA wurden dafür in den Jahren von 1993 bis 1998 insgesamt 16.809 postmenopausale Frauen in eine groß angelegte prospektive, randomisierte doppelblinde Studie aufgenommen. Die Studienteilnehmerinnen wurden in drei Gruppen aufgeteilt. In der ersten waren Frauen, denen die Gebärmutter noch nicht chirurgisch entfernt worden war. Diese wurden mit einer Kombination von Östrogen und Gestagen behandelt und mit der zweiten Gruppe verglichen, in der die Frauen statt der Hormone ein Placebo erhielten. Eine dritte Vergleichsgruppe schließlich umfasste Frauen, die bereits eine Gebärmutterentfernung (Hysterektomie) hinter sich hatten, und die eine reine Östrogen-Monotherapie erhielten. Nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von mehr als fünf Jahren entschied im Mai 2002 dann die US-amerikanische Studienkontrollbehörde, das Data and Safety Monitoring Board, die Untersuchungen der Studie an der ersten Frauengruppe, die eine Östrogen-Gestagen-Kombination erhielten, vorzeitig abzubrechen, da in dieser Gruppe die Risken bei einer längeren Verabreichung höher als der Nutzen liegen würden. Als Grund für den Studienabbruch wurde die in einer Zwischenauswertung gefundene erhöhte Rate von Mammakarzinomen sowie ein erhöhtes Thrombose- und Herzinfarktrisiko angegeben. Die Kontrollbehörde sprach sich jedoch für die Weiterführung der Untersuchungen der dritten Frauengruppe, die nur Östrogen bekamen, über die geplante Studiendauer von acht Jahren aus. Der Grund: Die Nutzen-Risiko-Bilanz fi el bei diesen Frauen günstig aus. Eine erste Veröffentlichung dieser Auswertung erfolgte am 17. Juli 2002 im „Journal of the American Medical Association“ (JAMA). Das in vielen Diskussionen
vorge-brachte Argument, die Ergebnisse der WHI-Studie sprächen generell gegen eine Hormonsubstitution, ist aufgrund dieser Ergebnisse nicht nachvollziehbar. Die Untersuchungen der Frauen, denen die Gebärmutter entfernt worden war und die eine reine Östrogen-Monotherapie erhielten, wurden schließlich nach einer Studiendauer von 6,8 Jahren abgebrochen. Das Überraschende: Nach dieser Zeit waren die Risken für die Entstehung von Brustkrebs und Herz-Kreislauferkrankungen nicht gestiegen, sondern im Gegenteil zwar nicht signifi kant, aber doch zurückgegangen. Allerdings: Einen leichten, ebenfalls nicht signifi kanten Anstieg gab es bei den Risken für Schlaganfälle und venösen Thrombosen. Die Begründung für den vorzeitigen Abbruch lautete, dass keine weiteren Erkenntnisse durch die Fortführung der Studie bis zum Ende zu erwarten seien. Vielleicht wollte man aber auch nicht zulassen, dass die Abnahme des Brustkrebsrisikos eventuell statistisch signifi kant und damit nur noch schwer anzweifelbar werden könnte. Denn damit wären noch mehr Fragen für die Zukunft offen geblieben. Anders ist die Beeinfl ussung der Studienergebnisse durch die Verkürzung der Studiendauer nicht nachvollziehbar. Die One Million Women Studie (OMWS) ist eine rückblickende Erfassung von medizinischen Daten zur Inzidenz, also zur Häufi gkeit des Mammakarzinoms. Die Daten stammen aus Befragungen der Teilnehmerinnen am britischen Brustkrebs-Screeningprogramm mittels Mammographie. Knapp mehr als eine Million Frauen im Alter zwischen 50 und 64 Jahren füllten damals Fragebögen aus, die mit den Erkrankungs- und Sterbezahlen abgeglichen wurden. Demnach waren innerhalb von 2,6 Jahren 9364 dieser Million Frauen an Brustkrebs erkrankt, 637 starben daran. Die Erkrankungsrate betrug im Gesamten also 0,9 Prozent, die Sterberate 0,06 Prozent. Etwa die Hälfte aller Frauen befanden sich unter einer Hormontherapie. Dazu muss festgehalten werden, dass in Großbritannien keine regelmäßige Kontrolluntersuchungen vorgesehen sind und Mammographien nur alle drei Jahre durchgeführt werden. Dennoch: Von allen Frauen, die an Brustkrebs erkrankt waren, schluckten mehr als 3500 überhaupt keine Hormone, gut 5800 erhielten eine solche Therapie. Der Unterschied in den Erkrankungszahlen zwischen diesen beiden Gruppen liegt bei 66 Prozent: Das angegebene relative Risiko, das zu einem Aufschrei geführt hat. Auf die Gesamtzahl der untersuchten Frauen bezogen ergeben sich freilich ganz andere Werte: Von einer Million Frauen im Alter zwischen 50 und 65 Jahren nahm die Hälfte keine Hormone zu sich. Von diesen 500.000 Frauen erkrankten in fünf Jahren gut sieben Prozent an Brustkrebs. Von den 500.000 Frauen, die Hormone schluckten, entwickelten mehr als elf Prozent ein Mammakarzinom. Auch wenn – im Gegensatz zum wesentlich dramatischer klingenden relativen Risiko von 66 Prozent – das absolute Risiko von etwas mehr als sieben Prozent die Tatsachen etwas besser abbildet, so ist auch das nur ein Teil der Wahrheit, denn diese Zahlen spiegeln den statistischen Mittelwert und geben noch keine Auskunft über das Risiko der verschiedenen Formen der Hormonersatztherapie und über das altersbedingte Risiko. Die Studie hat aber auch ein unterschiedliches Risiko für verschiedene Arten der Hormonersatztherapie festgestellt. So ist die Gefahr einer Monotherapie mit Östrogen alleine weit weniger hoch, als eine Kombinationsbehandlung mit Östrogen und Gestagen. Im Vergleich zu Frauen, die keine Hormone nehmen, ist das relative Risiko an Brustkrebs zu erkranken bei alleiniger Östrogenbehandlung um etwa 30 Prozent erhöht, bei einer gemeinsamer Östrogen und Gestagentherapie um rund 100 Prozent. Weiteres wurde in dieser britischen „One Million Women Study“ das jeweilige Risiko auf die verschiedenen Altersgruppen und auch auf die Dauer der Hormoneinnahme aufgeteilt. Bei einer Analyse aller dieser Werte, ihrer Umlegung auf die Gesamtzahl der Studienteilnehmerinnen und der Angabe von absoluten Werten kommt man nun auf folgende, nicht mehr ganz so alarmierende, tatsächliche Zahlen: Von 1000 Frauen im Alter von 50 Jahren, die keine Hormone nehmen, erkranken laut dieser Studie 18 an einem Mammakarzinom. Von 1000 Frauen im selben Alter, die bis dahin zehn Jahre Östrogene allein schluckten, erkranken ebenfalls 18 an Brustkrebs, und von der gleichen Anzahl gleichaltriger Frauen, die zehn Jahre lang eine Kombination aus Östrogen und Gestagen einnahmen, entwickeln ebenfalls nur 18 einen Tumor in der Brust. Für diese Altersgruppe konnte die Studie also überhaupt keine Risikoerhöhung feststellen. Im Vergleich mit der Zahl von Mammakarzinomen, die auch ohne die Medikamente entstehen, ist die Zahl der zusätzlichen Krebsfälle durch eine Hormontherapie welcher Art auch immer gleich null. Anders sieht es jedoch bei älteren Frauen aus. Von 1000 Frauen im Alter von 60 Jahren, die keine Hormone nehmen, erkranken laut dieser heftig und kontrovers diskutierten Studie 38 an Brustkrebs, also 20 mehr als in der Gruppe der um zehn Jahre jüngeren Frauen. Was im einzelnen Fall natürlich extrem tragisch, aber dennoch absolut logisch ist, schließlich ist Krebs primär eine Alterserkrankung. Von 1000 Frauen im Alter von 60 Jahren,
die zehn Jahre lang bereits Östrogene schlucken, entwickeln 43 ein Mammakarzinom und von 1000 Frauen mit 60, die zehn Jahre lang Östrogen und Gestagen schlucken, erkranken 57 daran. Was müsste man also aufgrund dieser Studie, die nicht nur in Österreich zahlreiche Patientinnen verunsichert hat, einer Frau mit 60 Jahren sagen, die bereits seit zehn Jahren Östrogene gegen ihre Wechselbeschwerden geschluckt hat? Man müsste ihr sagen, dass von 1000 Frauen in ihrer Altergruppe laut Statistik bei 38 Frauen wahrscheinlich ein Mammakarzinom diagnostiziert wird. Und dass sich dieses Risiko durch die zehnjährige Hormonersatztherapie vermutlich um fünf Fälle erhöhen wird – also um 0,5 Prozent. Und hätte sie über diesen Zeitpunkt hinweg eine Kombinationstherapie mit Östrogen und Gestagen erhalten, wäre das absolute Risiko um knapp zwei Prozent gestiegen. Derart ausgewertet und betrachtet erscheint das Risiko einer Hormonersatztherapie doch ein klein wenig anders als mit der drastischen Angabe, dass eine solche Behandlung das Brustkrebsrisiko um 66 Prozent erhöht, die damals in den meisten Medien für Schlagzeilen und unter Patientinnen für entsprechende Panik gesorgt hat. Es gibt aber noch einige andere Kritikpunkte anzuführen. Im Gegensatz zu allen bisherigen Studien und Publikationen war in der OMWS das Risiko, an einem Mammakarzinom zu sterben, um derartige Dimensionen erhöht, dass sämtliche Forscher, die bisher Studien zu diesem Thema angestellt hatten, unfähige Stümper hätten sein müssen. Denn derartig gigantische Risikoerhöhungen hätten schon früher erkannt werden müssen. Im Gegensatz zu allen anderen vorangegangenen Studien ließen die Ergebnisse der OMWS vermuten, dass die Inzidenz von Brustkrebs bereits bei einer Hormoneinnahme über 2,4 Jahre hindurch ansteigen könnte. Die Teilnehmerinnen an der Studie hatten im Durchschnitt jedoch schon eine rund sechsjährige Hormoneinnahme hinter sich, als die Studie begann. Ebenso in Gegensatz zu allen bisherigen Untersuchungen war in der OMWS das Risiko auch bei anderen, synthetischen Hormonen wie beispielsweise Tibolon erhöht. Diese Ergebnisse, die in keinen anderen Studien nachvollziehbar waren und sind, ließen darauf schließen, dass sowohl schwere methodische Fehler als auch, bedingt durch das Studiendesign, Fehler in der Auswahl des Patientinnenkollektivs gemacht worden sind – zum Beispiel eine nicht ausgewogene Verteilung aller bekannten, aber insbesondere aller unbekannten Risikofaktoren, damit die Studienteilnehmerinnen überhaupt repräsentativ sind und die Ergebnisse auf alle betroffenen Frauen umgelegt werden können. Selbst die Studienautoren konnten die zahlreichen Kritikpunkte bis heute nicht ausräumen. Dennoch ist eines passiert: Die Ergebnisse machten Schlagzeilen, viele Frauen brachen auf Grund der darauf folgenden öffentlichen Diskussion, die auch zu einem Streit unter Medizinern führte, aus Verunsicherung und Angst ihre laufende Hormonersatztherapie sofort ab. Doch auf Grund der danach wieder auftretenden starken klimakterischen Beschwerden entschloss sich rund die Hälfte dieser Frauen in den Folgemonaten, doch wieder zu einer solchen Therapie. Weil ihre Lebensqualität ohne Behandlung so stark herabgesetzt war, dass sie in ihrem täglichen Leben deutlich beeinträchtigt waren. Der Hormonstreit, ausgelöst durch die einseitige Darstellung der Ergebnisse der OMWS, muss auch unter einem ökonomischen Gesichtspunkt betrachtet werden: Allein in Österreich fallen derzeit nach Auskunft der Statistik Austria 753.371 Frauen in das betroffene Alter zwischen 50 und 64 Jahren. Mehr als 20 Prozent von ihnen erhalten eine Hormonersatztherapie. 2,6 Millionen derartiger Verordnungen kosten die Krankenkassen jährlich 23,8 Millionen Euro. Ziemlich viel Geld für das öffentliche Gesundheitssystem, dem es fi nanziell ohnedies nicht besonders gut geht. Kein Wunder, dass gerade Gesundheitspolitiker und von der öffentlichen Hand unterstützte Organisationen gegen die Hormonersatztherapie Sturm liefen. Auf der anderen Seite darf natürlich auch nicht verschwiegen werden, dass sehr viele Ärztinnen und Ärzte und vor allem die Pharmaindustrie sich mit dieser Therapie eine goldene Nase verdienen. Da sehr viele Frauen als Privatpatientinnen die Hormone nicht über eine Kassenabrechnung beziehen, muss davon ausgegangen werden, dass noch etliche Millionen Euro mehr als die oben erwähnten knapp 24 Millionen für diese Medikamente jährlich ausgegeben werden. Jedenfalls stellt sich die Frage nach dem Stellenwert einer Hormonersatztherapie für die Zukunft. Nach den heutigen modernen Erkenntnissen führt eine Hormonersatztherapie in der Menopause zu einer geringen Risikoerhöhung für ein Mammakarzinom, sowohl bei Substitution von Östrogenen alleine, als auch bei einer Kombination von Östrogenen mit Gestagenen – hier wird das Risiko sogar stärker erhöht. In jedem Fall müssen Frauen von ihren Ärztinnen und Ärzten objektiv und umfassend über Nutzen und Risken aufgeklärt werden, in letzter Konsequenz sollte es dann in der freien Entscheidung der Frauen liegen, den zu erwartenden Nutzen und das zu befürchtende Risiko gegeneinander abzuwägen. Insbesondere beim Vorliegen weiterer Risikofaktoren für eine Brustkrebser- Hormone und Brustkrebs krankung sollte heute mit einer Empfehlung für eine Hormonsubstitution sehr zurückhaltend umgegangen werden. Gerade hier liegt ein Schwerpunkt der Zukunft: Es müssen postmenopausale Frauen, deren zusätzliche Risikofaktoren sich mit jenen einer Hormonersatztherapie potenzierten, rechtzeitig erkannt werden. Diese Möglichkeiten haben Ärztinnen und Ärzte wenigsten zu einem Teil bereits heute, sie müssen nur angewendet werden. Die Behandlung der Wechselbeschwerden mit einer Hormonersatztherapie daher zu verteufeln hält beispielsweise auch Peter Nawroth, der Vorstand der Abteilung für Innere Medizin und Endokrinologie an der renommierten medizinischen Universität Heidelberg, für ebenso falsch, wie einen Lobgesang auf die Hormone anzustimmen. Der Wissenschaft müsse es endlich gelingen, exakt herauszufi nden, welcher Frau diese Therapieform nutzt und welcher sie schadet, konstatiert er in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. Zwei Dinge scheinen heute jedoch klar geworden zu sein: In der Vergangenheit wurden zu vielen Frauen Hormone verabreicht, vielfach auf Wunsch und Drängen der Frauen selbst, denen die Therapie von Medizinern als Jungbrunnen verkauft wurde. Und die Tatsache, dass eine Kombinationstherapie von Östrogenen und Gestagen ein noch größeres Risiko in sich birgt, als Östrogen allein, muss Auswirkungen auf die Praxis haben. Denn postmenopausalen Frauen, denen die Gebärmutter (Uterus) nicht entfernt wurde – und das sind viele –, hat man bisher selten Östrogen allein gegeben, das galt mitunter fast als Kunstfehler: Weil man annahm, dass Östrogen allein das Gebärmutterkrebsrisiko fördert, kombinierte man fast immer. Diese Praxis muss jetzt neu überdacht werden. Dennoch: Für viele Frauen sind Hormone das Einzige, um Wechselbeschwerden wie Wallungen, Nachtschweiß, Scheidentrockenheit, Juckreiz, Libidoverlust, Schlafstörungen und andere die Lebensqualität gravierend beeinträchtigende Befi ndlichkeitsstörungen zu lindern. Wie aber kommt es überhaupt zum Versiegen der Hormonproduktion? Das Keimgewebe der Eierstöcke verbraucht sich während der Zeit der Geschlechtsreife. Beide Ovarien enthalten bei der Geburt etwa eine Million Eizellen, bis zur Menopause sind etwa 99 Prozent verbraucht. Enthalten die Ovarien keine reaktionsfähigen Eifollikel mehr, büßen sie auch die Fähigkeit zur Hormonbildung ein, es versiegt die Östrogenbildung. Die Fruchtbarkeit versiegt. Das hat auch einen logischen Grund: Wie oben ausgeführt, ist die heutige Lebenserwartung primär durch äußere Faktoren derart in die Länge gezogen worden, nicht jedoch durch biologische. Die Evolution hinkt dabei dem technischen Fortschritt nach, genetisch bedingt und physiologisch umgesetzt, hört der weibliche Organismus mit dem Eintritt ins Klimakterium auf, derart viel Energie für die biologische Möglichkeit einer nochmaligen Schwangerschaft aufzubringen, da der nicht mehr damit rechnet, seine Nachkommen bis zu deren Selbständigkeit betreuen zu können. Warum also hier noch investieren? Zu dumm nur, dass der medizinische und technische Fortschritt sowie eine ausgewogenere Ernährung die Lebensspanne derart stark nach hinten ausgedehnt hat. Das führt natürlich zu Beschwerden. Was hier vielleicht nach einem darwinistisch-reduktionistischen Frauenbild aussieht, wird in der Wissenschaft zusehends ernst genommen. Die Fruchtbarkeit einer evolutionären Sicht medizinischer Probleme wurde und wird auch zur Zeit noch stark unterschätzt. Ein Beispiel dafür ist das anscheinend erst vor nicht zu langer Zeit einsetzende Ansteigen der Häufi gkeit von Brustkrebs in westlichen Industriegesellschaften. Eine ganze Reihe von möglichen Ursachen dafür werden diskutiert, wie in diesem Buch bereits ausgeführt wurde. Der US-Anthropologe Boyd Eaton und seine Kollegen von der Emory Universität in Atlanta, Georgia, vermuten jedenfalls, dass dieser Anstieg mit dem Hormonstatus von Frauen zusammenhängt und suchen die Ursache in den Änderungen der Lebensweise von Frauen in modernen Gesellschaften, obwohl sie die Evolution nur an ein Leben in urzeitlichen Jäger-Sammler-Gesellschaften angepasst hat. In solchen primitiven Gesellschaften wurden Mädchen mit etwa 15 Jahren geschlechtsreif und bald darauf schwanger. Was darauf folgte waren zwei oder drei Jahre Stillen, auf die wieder eine weitere Schwangerschaft folgte. Nur in der Zeit zwischen dem Abstillen und der nächsten Schwangerschaft lebten die Frauen mit normalen Menstruationszyklen und damit auch mit enormen Schwankungen in ihrem Hormonspiegel. Im Gegensatz dazu werden Mädchen in modernen Gesellschaften mit zwölf oder dreizehn Jahren geschlechtsreif. Vielleicht zum Teil deshalb, weil in der heutigen Konsumgesellschaft selbst sehr junge Mädchen bereits so viel Fett angesammelt haben, dass sie einen Fetus ernähren könnten. Doch sie werden dann erst Jahrzehnte später oder vielleicht nie schwanger. Eine Frau, die in einer JägerSammler-Gesellschaft lebte, erlebte insgesamt vielleicht 150 Menstruationszyklen, während es bei einer Frau in einer modernen Gesellschaft 450 oder mehr Zyklen sind. Natürlich wird es nur wenige Leute geben, die vorschlagen würden, dass junge Frauen schon als Teenager schwanger werden sollten, weil das später ihr Krebsrisiko vermindert. Aber es könnte doch sein, vermutet diesbezüglich der US-Evolutionsforscher Georges C. Williams von der Universität von Kalifornien in Los Angeles, dass eine frühe Hormonzufuhr von außen, welche eine Schwangerschaft simuliert, dieselbe Wirkung hat. Nur müssten dazu eben solche synthetischen Hormone entwickelt werden, die kein Erkrankungsrisiko mit sich bringen. Entsprechende Forschungen werden derzeit bereit unternommen. Read the full article
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