#Glotterwerk
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nonvaleurs · 4 years ago
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Glotterwerk: die verspätete wertbeständige Anleihe von 1924
Ende 1923 brach in der Hyperinflation die deutsche Markwährung endgültig zusammen. Viele Unternehmen mussten für ihre Investitionen nach kreativen Lösungen zur Schaffung von wertbeständigem Anleihekapital suchen. Eine von vielen seinerzeitigen Finanzkonstruktionen waren auf US-Dollar bzw. Feingold abgesicherte, wertbeständige Anleihen. Die badische Glotterwerk AG begab hierzu im Februar 1924 in Mark deutscher Reichswährung ausgestellte 6%ige Teilschuldverschreibungen, abgesichert auf den amerikanischen Dollar. Obwohl die Währungssanierung der Mark Anfang 1924 bereits vollzogen war, kam die Anleihe dennoch auf den Markt, wahrscheinlich um amerikanische Spekulanten zu bedienen.
Um eine bessere Stromversorgung im Glottertal zu erreichen, wurde am 23. Januar 1923 die im badischen Freiburg ansässige „Glotterwerk Aktiengesellschaft“ gegründet und kurze Zeit später in „Glotterwerk AG Süddeutsche Electricitäts-Gesellschaft“ umbenannt. Die Gesellschaft sollte durch Ausnutzung der Wasserkraft der Glotter die Elektrifizierung des Glottertals voranbringen. Die Glotter (auch: Glotterbach) ist ein etwa 40 Kilometer langer Zufluss des Flusses Dreisam im Schwarzwald in Baden-Württemberg.
Das Glotterwerk hatte Großes vor. Es wollte in den tiefen Tälern des Kandelmassivs mehrere Talsperren errichten und ein großes Kraftwerk bauen. Das Projekt hatte die volle Unterstützung der damaligen Landesregierung und die Planung war weit fortgeschritten, als die Hyperinflation und die Wirtschaftskrise des Jahres 1923 die Finanzierung des Projekts erheblich behinderten.
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Glotterwerk AG, Teilschuldverschreibung über 10 Milliarden Mark, Serie 1A, Nummer 2, ausgestellt in Freiburg im Februar 1924
Zwar war Anfang 1924 im Deutschen Reich nach Einführung der Rentenmark (der späteren Reichsmark) die deutsche Hyperinflation bereits Geschichte, dennoch begab im Februar 1924 die Glotterwerk AG unverdrossen 6%ige, auf US-Dollar und Feingold abgesicherte, wertbeständige Teilschuldverschreibungen mit 10 Milliarden Mark Reichswährung Nennwert und einem Volumen von 250.000 US-Dollar, entsprechend 375 Kilogramm Feingold.
Aufgedruckt auf jeder Teilschuldverschreibung zeigen sich folgende interessante Anleihekonditionen, nachfolgend wörtlich wiedergegeben:
 Teilschuldverschreibung über 10 Milliarden Mark Reichswährung rückzahlbar mindestens mit 75 Cents USA-Währung. Die Glotterwerk Aktiengesellschaft Süddeutsche E1ektricitäts-Gesellschaft in Freiburg in Baden (Deutschland) hat zum Zwecke des Ausbaues der Wasserkraft der Glotter die Aufnahme von Anleihen bis zum Betrage von 375 kg Feingold, entsprechend $ 250.000 beschlossen, eingeteilt in 10 Serien von je 37,5 kg Feingold = $ 25.000.
Die Glotterwerk Aktiengesellschaft Süddeutsche Elektricitäts-Gesellschaft, vertreten durch den unterzeichneten Vorstand, verpflichtet sich, durch vorliegende, einen Teil der Anleihe bildenden Teilschuldverschreibung der Firma G. von Polenz in New York oder deren Order 10 Milliarden Mark Reichswährung gemäß nachfolgenden Bedingungen zu bezahlen.
Die Schuld ist seitens des Gläubigers unkündbar, vom 1. Januar 1924 an mit jährlich 6% in halbjährlichen Raten verzinslich und nach erfolgter Kündigung, spätestens jedoch am 2. Januar 1954 zum Nennbetrage oder zum gesetzlichen Umrechnungskurse in einer etwaigen neuen Deutschen Reichswährung rückzahlbar, aber mit mindestens 75 Cents USA-Währung.
Die Anleihe ist seitens der Schuldnerin unkündbar bis zum 31. December 1933. Von diesem Zeitpunkt an hat die Gesellschaft das Recht, die gesamte Anleihe oder eine oder mehrere Serien unter Einhaltung einer sechsmonatigen Frist zur Rückzahlung zu kündigen.
Die Serien und Nummern der gekündigten Schuldverschreibungen und der Termin der Rückzahlung werden im „Deutschen Reichsanzeiger“ bekannt gemacht.
Der vorliegenden Teilschuldverschreibung sind 20 halbjährliche Zinsscheine, lautend über je 0,3 Milliarden Reichsmark und fällig am 1. Juli und 2. Januar jeden Jahres, erstmalig am 1. Juli 1924, sowie ein Erneuerungsschein beigegeben. Die Einlösung der Zinsscheine erfolgt mit dem Eintritt der Fälligkeit in Reichsmark oder zum gesetzlichen Umrechnungskurs in einer etwaigen neuen Deutschen Reichswährung.
Zahlungen erfolgen jeweils bei der Kasse der Gesellschaft in Freiburg; die Gesellschaft behält sich vor weitere Zahlstellen bekanntzumachen. Die Zahlung des Kapitals erfolgt nur gegen Rückgabe der Teilschuldverschreibung nebst den dazugehörigen, noch nicht fälligen Zinsscheinen und dem Erneuerungsschein. Fehlende Zinsabschnitte werden nach ihrem Nennwert an der Kapitalssumme in Abzug gebracht. Die Verzinsung endet mit dem Tage, an dem die Rückzahlung fällig wird.
Der Kapitalbetrag der gekündigten Teilschuldverschreibungen verfällt zugunsten der Gesellschaft, wenn die Einlösung nicht binnen 30 Jahren nach dem Fälligkeitstermin gefordert wird.
Die Zinsscheine verjähren mit dem Ablauf des zehnten Kalenderjahres seit ihrer Fälligkeit. Für das Aufgebotsverfahren im Falle der Vernichtung oder des Abhandenkommens der Schuldverschreibung und für die Geltendmachung von Ansprüchen bei verlorengegangenen Zinsscheinen gilt die jeweilige deutsche Gesetzgebung.
Zur Sicherheit der vorstehend eingegangenen Verpflichtungen hat die Gesellschaft auf ihrem Grundbesitz in Waldkirch bei Freiburg eine Sicherungshypothek eintragen lassen und das Bankhaus G. von Polenz zum Vertreter der jeweiligen Gläubiger bestellt. Freiburg im Februar 1924. Glotterwerk Aktiengesellschaft Süddeutsche Electricitäts-Gesellschaft
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 Glotterwerk AG, Teilschuldverschreibung über 10 Milliarden Mark, Serie 1A, Nummer 2, ausgestellt in Freiburg im Februar 1924 – Rückseite in englischer Sprache
Die Anleihezertifikate sind vorderseitig in deutscher Sprache verfasst, rückseitig gibt es eine Übersetzung in die englische Sprache. Der Grund hierfür: Das New Yorker Bankhaus G. von Polenz übernahm einen Teil der Anleihe zur Platzierung in den Vereinigten Staaten.
Deutsches Reich - die Situation im Dezember 1923: Durch die Hyperinflation war die Mark in der Währungsreform 1923/24 auf „1 Goldmark = 4,20 US-Dollar = 1 Billion Mark Reichswährung (= Papiermark)“ herabgewertet worden. Der Wert einer dieser Teilschuldverschreibungen über 10 Milliarden Mark Reichswährung war demnach auf ein Prozent von Goldmark und US-Dollar herabgesunken (= 0,01 Goldmark bzw. 0,042 US-Dollar). Allerdings waren ja glücklicherweise nach den Anleihebedingungen 0,75 US-Dollar je 10 Milliarden Mark Nennwert abgesichert und garantiert.
Ein Teil die Teilschuldverschreibungen wurde am 21. Mai 1924 in New York durch Aufstempeln in „Profit Sharing Certificates“ umgewandelt und auf den Bankier G. von Polenz übertragen. Vermutlich wurden diese Teilschuldverschreibungen tatsächlich in den Vereinigten Staaten platziert, aber danach nie oder nur mit wenig Geld bedient. Zumindest laufen 96 Jahre nach ihrer Ausgabe immer noch einige wenige Stücke in Deutschland und erstaunlicherweise auch in den Vereinigten Staaten von Amerika umher.
Der Umlauf der Teilschuldverschreibungen in den Vereinigten Staaten hängt mit den Aktivitäten des New Yorker Bankiers von Polenz zusammen, denn amerikanische Spekulanten erwarben in der Zeit der deutschen Hyperinflation (bis Ende 1923) gern deutsche Staatsanleihen, Industrieschuldverschreibungen, Aktien, etc., sozusagen zu „Cent- bzw. Pfennigpreisen“, in der Hoffnung auf eine später für „Sie“ profitable Währungssanierung in Deutschland.
Die Aufwendungen in Dollar für solche Spekulationswertpapiere waren seinerzeit für Devisenbesitzer nur geringfügig. So hätte ein Amerikaner im Dezember 1923 bei einem Wechselkurs von „1 Goldmark = 4,20 US-Dollar = 1 Billion Mark“ für 4,20 US-Dollar theoretisch 10.000 Stücke deutsche Anleihezertifikate über nominal je 100.000 Mark erwerben können (bzw. 100 Stücke deutsche Anleihezertifikate über nominal je 10 Milliarden Mark).
Bei diesen spekulativen Anleihen wurde die Währungsspekulation aufgrund der sich rasant entwickelnden Hyperinflation und der ungünstigen Umtauschrelation zur neugeschaffenen Rentenmark bei der Währungsstabilisierung 1923/24 jedoch ad absurdum geführt.
Solche damals erworbene, spekulative Wertpapiere befinden sich teilweise heute noch in den Händen der Nachkommen früherer amerikanischer Spekulanten. Ein weiterer Grund für die vielen heute noch im Ausland auftauchenden, deutschen Inflationsanleihen: Im Dritten Reich erfolgte eine große Auswanderungswelle in die Vereinigten Staaten und andere Staaten, insbesondere durch vermögende, jüdische Bürger des Deutschen Reiches. Viele nahmen ihre unbedienten Anleihestücke in der Hoffnung auf eine spätere Entschädigung mit in die Emigration. Solche Papiere finden sich manchmal auch heute noch in den Nachlässen der Nachkommen solcher Emigranten.
Inflation, Weltwirtschaftskrise und die oben beschriebene missglückte Finanzierung beendeten das Elektrifizierungsprojekt der Glotterwerk AG jäh. Mit den wenigen eingesetzten finanziellen Mitteln erreichte die projektierte Anlage am Kandel nur die geringe Energieleistung von 1.368 Kilowatt. Die unbedeutende Stromversorgung der Glotterwerke endete allerdings erst 1951, da wurde die Gesellschaft aufgelöst.
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Blick ins Glottertal
Bildquellen: HGG und Wikipedia (9/2020)
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Hans-Georg Glasemann
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