Tumgik
#Der junge Häupting Winnetou
afaimsblog · 2 years
Text
Beruhigt euch, keiner will euch Karl May wegnehmen - Das wahre Problem, warum es nicht falsch wäre Rücksicht zu nehmen, und alles, was offenbar keinem bisher aufgefallen ist
Erinnert ihr euch noch vor ein paar Jahren, als sämtliche Streaming Services durchgedreht sind und diverse Serien-Episoden mit tatsächlichen aber auch angeblichen Back Facing darin entfernt haben um so irgendwie zu verhindern das schwarze Menschen auf der Straßen der USA totgeschossen werden, und Netflix deswegen bis heute nicht mehr ganz “Community” drauf hat und gerade die Anti-Bullying/ Selbstmord-Präventions-Folge über DnD gelöscht hat, weil sich ein Asiate als Drow verkleidet, was ja ganz eindeutig eine Art und Weise ist wie sich weiße Menschen über Schwarze lustig machen, und die “Golden Girls” zugleich sämtliche Folgen eingebüßt haben, in denen Gesichtsmasken vorgekommen sind? Damals haben die deutschen und österreichischen Medien jeden Tag darüber berichtet, nicht wahr? Und jeder hatte seine Meinung dazu wie falsch das doch war!
.... Was? Das war gar nicht so? Ach, ja stimmt, denn damals ging es ja “nur” um Fernsehserien, die noch dazu großteils nichts falsch gemacht haben, weil es sich ja nicht mal um Black Facing gehandelt hat. Aber diese Woche hat das Sommerloch zugeschlagen, und alle Kosvervativen in Österreich und Deutschlang sind alarmiert, weil die furchtbare furchtbare Wokeness ihnen ja sowieso schon alles wegnimmt und verbietet, und jetzt nehmen sie ihnen ein deutsches Kulturerbe weg - nämlich Karl May! Das geht doch eindeutig zu weit!
Nur, dass niemand sich bisher an Karl May vergriffen hat. Bei der ganzen Debatte geht es um Cash Grab Tie-In Merchandise zu einem Film, der sowiewso in die Kinos gekommen ist, also eben nicht zensiert wurde - nämlich und ein Begleitbuch und ein Stickeralbum zu dem neuen Film “Der junge Häuptling Winnetou”. Ravensburger, ein Verlag der übrigens nicht zum ersten Mal Thema eines Shit-Storms sowie eines Gegenshitstorms wurde (nur dass sich keiner mehr an den Grund für den letzten erinnern kann, da es da eben nicht um so wertvolles deutsches Kulturerbe, das dem deutsprachigen Menschen ihre Kultur verleiht, ging) hat sich nach einem Oneline-Shitstorm entschlossen die Bücher nicht herauszubringen bzw. zurückzuziehen. Ist das problematisch?
Ohne Zweifel, aber nicht aus den Gründen, die überall zitiert werden (von Leuten, die wie gesagt glauben es geht um Karl May, dabei geht es bei dieser Sache eigentlich gar nicht um Karl May, zumindest ging es nicht darum bis der Gegen-Shitstorm mit dem typischen konservativen “Aber wo wird es enden?!” das zum Thema gemacht hat), sondern weil diese Bücher von jemanden gemacht und hergestellt wurden. Das Problem ist Papierverschwendung, falls es schon Druckexemplare gab einerseits, und andererseits viel wichtiger Fragen nach Bezahlungen und Karriereschäden dadurch. Wurde der Autor oder die Autoren dieses Begleitbuches bezahlt? (Ja). Hätten die Anteile vom Gewinn des Buchverkaufes bekommen? (Vermutlich nicht, aber falls doch wäre das ein Probelm). Ist deren Karriere davon abhängig das man ihre Arbeit sieht? (Ja, aber vermutlich werden sie es überleben, dass man dieses eine Buch nicht veröffentlicht hat). Es sind diverse Arbeitsstunden in diese Projekte geflossen, aber jetzt wurden sie einfach gecancelt. Das ist das Problem hierbei, alles andere ist sekundär, eben weil es nicht um hochwertige literarische Produkte gehandelt hat, sondern wie schon erwähnt um Cash Grab Tie-In Merchandise. Viele Eltern dürften sich eher freuen, dass ihren Geldbörsel diese Bücher zu kaufen erspart geblieben ist. Aber möglicherweise hätten sie die sowieso nicht gekauft, denn - und hier kommt der Aspekt, über den keiner redet - Ravensburger hätte diese Bücher nicht gestrichen, wenn sie besonders große Verkaufserwartungen an sie gehabt hätten. Egal wie umstritten eine Publikation ist, wenn man sich als Verlag darauf verlassen kann, dass man wirklich hohen Gewinn macht, dann veröffentlicht man die, Shitsttorm hin oder her, vor allem, weil der damit einhergehende Shitstorm zu noch mehr verkauften Exemplaren führen würde. Ravensburger ist aber zu recht nie davon ausgegangen, dass diese Bücher ihnen besonders viel einbringen, also war es ihnen wichtiger ihren Ruf zu schützen als Gewinn zu erzielen.
Aber der Boulevard hat natürlich sofort das eigentliche Problem dahinter erkannt - Karl May gilt als kulturell unsensibel bzw. problematisch. Was unter anderem an der allgemein bekannten Tatsache liegt, dass er ein Betrüger war, der über sein eigenes Leben gelogen hat, nie in Amerika war bevor der die Bücher geschrieben hat, und keinerlei erste Hand Erfahrungen mit der indigenen nordamerikanischen Kultur gemacht hat. Seine Werke werden bis heute als historische Abenteuerromane verkauft, obwohl sie im Grunde reine Fantasy sind. Und klar, natürlich sind sie überaus frauenfeindlich, brutal, und die Indianer in seinen Werken entsprechen nicht der Realität (die Weißen auch nicht, aber das ist ein anderes Thema). Liebhaber werden jetzt aber darauf verweisen, dass die Bücher aber nicht rassistisch sein können, wegen der brüderlichen Liebe zwischen Winnetou und Old Shatterhand und dem Trope des Noblen Wilden, obwohl gerade Letztere eben genau das ist, ein Anzeichen für Rassismus. Außerdem scheint es doch seltsam zu sein, dass man sich im deutschsprachigen Raum Gedanken um die Gefühle indigener Kinder macht. Nur, dass es sogar eine deutsche Organisation für Indigene gibt, was beweist: ja, offenbar gibt es diese Volksgruppe hier, als würde ein bisschen Rücksicht nehmen doch nicht besonders weh tun, oder? Aber das wäre zuviel verlangt wie es scheint, denn Karl May ist ja so wichtig für unsere Kultur, dass ein paar verletzte Gefühle einer Volksgruppe, die von uns und unseren verwandten Mit-Europäern im wahrsten Sinne des Wortes so gut wie ausgelöscht wurde, nicht zählen. Wieso sind die überhaupt so über-sensibel? Nur weil es mal ein Video-Spiel namens “Custer’s Revenge” gab, in dem man gefesselte Indianer-Frauen vergewaltigen konnte? Ist doch alles Schnee von Gestern.
Tatsächlich könnte es natürlich passieren, dass Karl May irgendwann nicht mehr gedruckt wird. Aber Zensur hat damit nichts zu tun. Denn die alljährilichen Karl May-Festspiele mögen zwar Erfolg haben, aber wie die letzten Tage gezeigt haben ist es trotzdem unbestreitbar, dass die jüngeren Generationen einfach kein Interesse mehr an Karl May haben, und das hat gar nichts mit politischer Korrektheit zu tun.
Schon für meine Generation war unser Hauptzugang zu Karl May im Grunde “Der Schuh des Manitu” und davor die Bully-Parade. Generation Z dürfte weder die Filme noch die Bücher kennen und hat vielleicht gerade mal den “Bully Parade”-Film gesehen. Und Kinder ... nun mögen dank Dauerwiederholungen vielleicht “Yakri” kennen, aber die Zeiten als man hierzulande Cowboys und Indianer gespielt hat, sind lange vorbei.
Und warum auch nicht: Ich meine, was war das überhaupt für ein krankes Spiel, und warum sollte man das in einem Land spielen, wo es weder das eine noch das andere gibt? Wir spielen hier ja auch nicht Die Boxer-Rebellion oder Der Tag der Teilung in Indien oder auch nur Rob Roy VS. Warum sollten wir auch?
 Und dann war der Western über lange Zeit über im Grunde tot. In den letzten Jahrzehnt(en) war er dabei ein langsames Comeback zu machen, aber wir sind schon lange nicht mehr in 70ern oder 80ern - dieses Genre war einfach lange Zeit über praktisch ausgestorben, und das viel allumfassender als die Indigene Bevölkerung der USA. Folgerichtig gibt es heuzutage mehr als genug Menschen zwischen 10 und 50, die nichts mit dem Gerne oder den Klassikern aus diesen anfangen können. Man muss nur bedenken, dass “Prey” die erste indigene Protagonistin in einem Action-Film beinhaltet, und das im Jahr 2022! Cowyboys gab es immer wieder mal irgendwo hinein gesteckt, aber Amerikanische Ureinwohner? Es gibt Gründe warum “Outlander” noch mal extra vorsichtiger als die Ursprungsautorin war, als es an die Verfilmung der Amerika-Staffeln ging. Irgendwann wurde der Menschheit kollektiv klar, dass es nicht okay ist eine Rasse, die man praktisch ausgerottet hat, ohne Input von deren Nachfahren und von Historikern in Fiktion darzustellen. Aber zugleich interessierte viele Menschen das Thema einfach nicht mehr - auf wie viele Weisen noch kann man Indianer abmurksen und warum sollte man das immer noch tun? Ältere Menschen hören das ungern, aber im Grunde war es ein abgehalftetes Thema, das nur noch wenige interessiert hat. Und ein schwieriges - alles, was Leute wie Karl May in ihren Werken geschrieben haben, war ein Blick von Außenseitern auf eine Kultur ohne schriftliche Hinterlassenschaften, die ausgestorben ist. Aber während wir etwa über die Kelten behaupten können was wir wollen, weil es einfach zu lange her ist um wirklich zu wissen, was Sache war, gibt es indigene Nachfahren, die eben die Tatsache, dass all ihre Vorfahren als skalpierende Wilde dagestellt wurden,  stört.
Und als jemand, der jedes Mal eine Krise kriegt, wenn ich Österreicher in Hollywood-Filme sehe, die wirken als wären sie aus “The Sound of Music” entsprungen, kann ich das verdammt gut verstehen, denn diese Klischees stören mich auch. Ich will auch, das meine Leute mehr sind, als der jodelnde Lederhosen tragende Nazis von Nebenan, die Mozart liebt, die ewig leidene Sissi mit ihren langen Haaren, und die junge Marie Antoinette, die so eingebildet und egozentrisch ist, dass natürlich ein Partygirl sein muss. Und die Amis haben sich in der Realität nicht mal besonders gegen meine Kultur  versündigt.
Also ja, es gibt diese Problematik, die jüngeren Leuten nun mal bewusster ist als älteren. Aber die war nicht einmal der Grund dafür, dass der Western und damit auch Karl May verschwunden war. Es gab eine Martkübersättigung und auf die folgte eben Desinteresse. Und während dieser desinteressierten Zeit wuchsen Generationen heran, die Western kaum bis nicht kannten, und daher einen vollkommen anderen Zugang zu diesem Genre hatten.
Aber selbst die eingefleischten Fans - wann haben die das letzte Mal einen Karl May-Roman gekauft oder auch nur gelesen? Wie sich herausgestellt hat ist ja niemanden aufgefallen, dass sowohl das Deutsche als auch das Österreichische Öffentlich Rechtliche Fernsehen ihre Kar May-Lizenz nicht erneuert haben. Wer darüber nachdenkt wird feststellen, dass ewig kein “Winnetou” mehr im Fernsehen gelaufen ist. Und genau das ist der Grund: Weil keine Nachfrage daran mehr bestand. Dass der ORF und der ZDF keine Karl May-Verfilmungen mehr gespielt haben liegt nicht daran, dass sie politisch korrekt sein wollten, sondern daran, dass sie damit keine Quoten mehr gemacht haben. Was uns zurück zu Ravensburger und der Entscheidung die Tie-In-Bücher nicht zu bringen führt. Wozu was bringen, was keinen zu interessieren scheint?
Aber nein, kaum wird ihnen etwas weggenommen (obwohl das nicht passiert ist) schreien die Fans auf. Aber wie gesagt der Film ist ins Kino gekommen. Klar, es ist ein Kinder-Film, und daher nicht von Interesse für Erwachsene, aber die gestrichenen Bücher waren das noch weniger. Der Film ist im Jahre 2022 in die Kinos gekommen. Also ist Karl May zumindest irgendwie noch in genug damit jemand Geld in die Produktion investiert hat. Und solange das jemand tut, werden auch weiterhin Filme kommen.
Denn in unseren Breiten gibt es zwar Zensur (man muss nur “Legacies” auf sixx zur PrimeTime aufdrehen, wenn man sich davon überzeugen will), aber es gibt keine verbotene Inhalte abgesehen von Nationalsozialistischen. “Mein Kampf” ist verboten, aber “Winnetou” ist es nicht nur noch nicht, er wird es auch niemals sein. Ein Verlag oder mehrere oder sogar alle können sich entschließen das Buch nicht mehr neu aufzulegen, das ja, aber das wäre keine Zensur. Jeder, der schon mal versucht hat, ältere Roman-Reihen ganz zu lesen, der kann bescheinigen, dass Verlage dauernd damit aufhören Romane neu aufzulegen oder gar nie damit anfangen. Aber noch ist das nicht passiert, und es wird immer irgendeinen Verlag geben, der bereit ist trotzdem zu bringen, was andere als politisch unsensibel ansehen. Wenn es erlaubt wäre, würde sogar irgendwer “Mein Kampf” drucken. Vielleicht gründet irgendwer irgendwann sogar einen neuen Verlag nur um Karl May zu retten, zuzutrauen wäre es diesen seltsamem Kult der deutsch(sprachigen) Cowyboys und Indianer.
Doch selbst, wenn das nicht passieren sollte: Wahre Fans haben ihre Ausgaben zu Hause stehen und haben sie immer noch, ob neue Auflagen gedruckt werden oder nicht. Und die tun diese ihren Kindern an, ob die wollen oder nicht. Außerdem gibt es im Jahr 2022 alles irgendwo im Internet, Karl May mit Sicherheit auch. Selbst wenn die Bücher nicht mehr neu aufgelegt werden würden, es würde sie immer noch geben. Und irgendwann würde vielleicht wieder eine junge Generation geben, die sich für altmodische Abenteuerromane und Western interessiert, und dann würden die Bücher so oder so neu aufgelegt werden, vielleicht mit Vorwort, vielleicht auch ohne.
Die Wahrheit ist: Keiner will irgendwem Karl May “wegnehmen”. Weil das auch überhaupt nicht möglich wäre. Das denken nur die konservativen älteren Leute, die kein Problem damit haben, dass homosexuelle Inhalte zensiert werden, sich aber aufregen, wenn “ihr” Karl May, den sie zuletzt vor 40 Jahren gelesen und vor 20 gesehen haben, unter Beschuss gerät. Weil das ja irgendwie aussagen würde, dass etwas mit ihnen nicht stimmt, weil sie nie ein Problem damit hatten die Abenteuerromane eines Betrügers zu lesen und die klischeehaften Verfilmungen aus Italien von denen anzusehen. Also geben sie stattdessen lieber allen, die darauf hinweisen, dass Karl May eben nicht gerade das größte Kulturgut der deutschsprachigen Raums ist, das Gefühl, dass irgendetwas mit ihnen nicht stimmt, weil sie die Genialität nicht erkennen.
Denn irgendwie muss man ja das Sommerloch füllen.
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