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Überall organisieren und intervenieren: Ein Interview mit dem CLINCH Festival-Team
Das CLINCH Festival is back: Im Mai wird es die dritte Auflage geben, hoffentlich live, im Corona-Sonderfall digital. Als ein Ort, der Räume für künstlerische, theoretische und aktivistische Auseinandersetzungen von Schwarzen Menschen, People of Color und (Post-)Migrant*innen eröffnet und auf radikales Empowerment zielt, ist das Festival mittlerweile bundesweit bekannt und geschätzt. Mit den Macher_innen (v.l.n.r.: Melanie, Tini, Katharina) hat Nadia Shehadeh unter anderem über die Motivation des CLINCH-Teams, die Besonderheiten des Formats, Highlights des kommenden Festivals und der Vorgänger-Veranstaltungen und den CLINCH-Standort Hannover gesprochen.
Ihr seid das Team das hinter dem CLINCH Festival steht. Wer seid Ihr, was macht Ihr, und was treibt Euch an?
Melanie: Ich bin Melanie und habe das Festival damals mit meiner damaligen Kollegin Mariam entwickelt. Wir hatten uns schon sehr lange über Rassismen, (Selbst-)Repräsentation, Empowerment und die Unzulänglichkeiten innerhalb des Kulturbetriebes ausgetauscht. Und dann haben wir 2015 mit den Planungen für das erste CLINCH angefangen.
Mich haben damals verschiedene Dinge angetrieben. Konkret hat mich der Hannoversche Integrationsdiskurs genervt, der bis heute (Post)Migrant_innen und BIPoCs vor allem als Objekte betrachtet und nicht als handlungsmächtige, entscheidungsfähige Personen. In diesen Diskurs wollte ich intervenieren.
Inspiriert durch Netzwerke wie “Bühnenwatch” sollte das Festival auch ein Statement setzen für Selbstrepräsentation im Theater und Kulturbetrieb. Es wurde ja gerne behauptet, es gäbe keine Alternative zur Dominanz weiß-deutscher Akteur_innen. Das ist natürlich Quatsch. Und auch deshalb setzt sich das CLINCH für die Sichtbarkeit von Schwarzen und (post)-migrantischen Akteur_innen im Kulturbetrieb, in Wissenschaft, Aktivismus und politischer Bildung ein. Wichtig war mir darüber hinaus, Raum für Kontroversen zu schaffen, die innerhalb der (post)migrantischen und BIPoC-Communities virulent sind. Einerseits sollte es darum gehen, Differenzen sichtbar zu machen und Streit zuzulassen, andererseits sollte dies aber immer mit dem Ziel der Solidarität verbunden sein, denn sowohl klassenorientierte als auch diskurspolitische Positionen haben ihre Berechtigung. Sich darin spalten zu lassen begünstigt letztlich die gesamtgesellschaftliche Aufrechterhaltung rassistischer Strukturen, da es uns schwächt. Last but not least stecken in all dem auch persönliche Auseinandersetzungen um meine Position als postmigrantisches Gastarbeiterkind in der deutschen Gesellschaft, und ich hatte einfach keinen Bock mehr auf Debatten und Strukturen, die darauf ausgerichtet sind uns auszublenden.
Tini: Ich bin Tini und seit 2018 beim CLINCH dabei. Ich habe vorher schon Veranstaltungen organisiert, aber nicht im Rahmen von Lohnarbeit, sondern in selbstorganisierten Gruppen. Damit habe ich angefangen, weil ich selber Lust auf Veranstaltungen hatte, die mich interessieren - und davon gab es nur wenige. Wie Melanie ja schon zusammengefasst hat, kommen Leute wie ich im kulturellen Mainstream ja eher selten vor. Das habe ich früher, glaube ich, eher weniger bewusst so wahrgenommen, aber es hat mich immer gestört und ich wollte was ändern. Man könnte sagen, was mich schon immer antreibt, ist auch eine Art Wut auf die Verhältnisse. Ich entwickle mich aber auch persönlich immer weiter und lerne dazu - auch durch das CLINCH - und zur Zeit finde ich es besonders wichtig Räume zu schaffen, in denen Empowerment stattfinden kann, in denen wir schauen können, wie wir (als Marginalisierte und Allies) uns gegenseitig unterstützen und stärken können. Weil: wer macht das sonst?
Katharina: Ich bin Katharina und habe im letzten März angefangen im Pavillon zu arbeiten. Dort bin ich seitdem für das Theaterprogramm zuständig. Ich habe in den letzten Jahren viel zu strukturellem Rassismus in Theater und Gesellschaft gearbeitet und mich immer wieder in Kulturprojekten dafür eingesetzt, auch die eigenen Arbeitsstrukturen zu überdenken. Deswegen freut es mich sehr, am CLINCH mitarbeiten zu können. Als Besucher_in habe ich das CLINCH immer sehr genossen und geschätzt und halte es für ein sehr wichtiges Festival in Hannover. Und da ich aus dem Theater komme, ist es mir persönlich sehr wichtig, Arbeiten der großartigen BIPoC-Theatermacher_innen, die es in Deutschland gibt, hier in Hannover zu zeigen.
Ihr habt ja zum Teil auch an den vorherigen CLINCHes mitgearbeitet. Was waren da Eure persönlichen Highlights?
Katharina: Ich war ja nur als Besucher_in da, aber mein größtes Highlight ist, dass es das CLINCH überhaupt gibt. Dass es in Hannover ein Festival gibt, das eine empowernde Alternative schafft und politisch und künstlerisch am (post)migrantischen Zahn der Zeit ist.
Melanie: Eigentlich ist es gar nicht so einfach eine Auswahl zu treffen - aber ich versuche es mal. 2018 gehörten zu meinen Favorites die Performance “Miss Yellow and me - I wanna be a Musical”, die witzig und zugleich bissig Stereotype über Asiat_innen dekonstruiert. Außerdem war ich absolut fasziniert von der Superpower von Leyla Yenirce und ihrer Lecture zur Intersektion von Klassismus und Rassismus. Und die Veranstaltung zum NSU Komplex, auf der Überlebende und Angehörige von Opfern rechter Gewalt gemeinsam mit Aktivist_innen über ihre Erfahrungen und Auseinandersetzungen berichtet haben, war gleichermaßen berührend und empowernd.
2016 waren meine Favorites die Buchvorstellung “Kinder der Befreiung” mit Marion Kraft, die eine Atmosphäre geschaffen hat, in der viele Menschen aus dem Publikum Lust hatten ihre eigenen Geschichten zu teilen. Außerdem die Performance “Meine Nase läuft - deine Stars hautnah” von Technocandy, die sich im besten Sinne grotesk mit der Normalisierung neurechten Denkens auseinandersetzt.
Tini: Melanie, wie lustig. Ich hatte auch direkt an Leyla Yenirce gedacht. Wir hatten sie ja eigentlich für einen Vortrag eingeladen - und dann hat sie angefangen zu rappen, und das war sowohl künstlerisch als auch inhaltlich großartig. Besonders toll und berührend fand ich auch die Lesung mit dem Gedichtband “Haymatlos”. Insgesamt fand ich es toll, mit so vielen klugen und inspirierenden Menschen zusammenzuarbeiten.
Das CLINCH ist ja mittlerweile eine feste Institution, und das letzte CLINCH im Jahr 2018 war ja fast ein bisschen wie ein Klassentreffen (post)migrantischer Stimmen aus Kunst, Kultur, Musik, Initiativen und Wissenschaft. Was glaubt Ihr macht Euer Format so besonders?
Melanie: Ich denke, dass auf jeden Fall die Interdisziplinariät gut ist, also die Verknüpfung unterschiedlicher Formate wie Theater, politische Debatten, Workshops, Musik, etc. Und besonders gut ist, dass die Mehrheitsgesellschaft nur in dritter Linie unsere Zielgruppe ist - das macht das Festival attraktiv.
Katharina: Das stimmt. Für mich ist es die Verknüpfung aus kuratiertem Festivalprogramm und einer engen Zusammenarbeit mit Menschen und Gruppen aus Hannover. Ob als Teil des Programms, als Kooperationspartner, als Besucher_in. Das Festival ist in Hannover verortet und schafft immer wieder neue Verbindungen zwischen allen Beteiligten.
Tini: Ich finde das Schöne bei einem Festival ist nicht nur, dass es so viele unterschiedliche Sachen gibt, sondern auch, dass es den Raum gibt, sich zwischen den Veranstaltungen zu begegnen und miteinander ins Gespräch zu kommen, sich zu vernetzen. Allerdings - so besonders ist unser Format jetzt gar nicht. Dass verschiedene Formate auf einer Veranstaltung - einem Festival zusammenkommen, gibt es ja öfter und das haben wir nicht erfunden. Du hast das CLINCH mit einem Klassentreffen verglichen, und ich glaube, das kommt daher, dass Communities das Festival eben auch nutzen, nicht nur als Besucher_innen, sondern auch als Mitgestalter_innen. Zum Beispiel hat eine Gruppe einen Safer Space beim letzten CLINCH gestaltet.
Was glaubt Ihr macht den besonderen Standortvorteil Hannover aus? Beim letzten CLINCH hörte ich von Gäst_innen nämlich oft: “Es muss nicht immer Belin sein...” Seht Ihr das auch so?
Tini: Berlin ist ja bekannt dafür, dass es dort alles gibt, egal ob Kunst, Kulturangebote, Essen, Mode... Communities von marginalisierten Menschen, wie zum Beispiel Queers oder BIPoCs sind dort einfach größer und ich kenne viele Leute, die es deswegen nach Berlin zieht, weil sie so eine Community vermissen oder suchen. Da das aber natürlich nicht geht, dass alle einfach nach Berlin ziehen, müssen wir daran arbeiten, dass es auch an anderen Orten *diversere* Kulturangebote gibt und Communities gestärkt werden. Das hat dann nichts direkt mit Hannover zu tun, auch wenn hannover natürlich auch sehr praktisch in der Mitte liegt und mit den meisten Verkehrsmitteln gut zu erreichen ist. Aber es könnte auch mal CLINCHes in Karlsruhe geben oder in Bayreuth.
Melanie: Ich glaube auch nicht, dass es einen Standortvorteil gibt. Ich glaube aber, dass es extrem wichtig ist, dass wir uns überall organisieren. überall empowern und überall intervenieren. Denn Gesellschaft verändert sich ja nicht, weil sich was in Berlin tut. Das sei hiermit auch allen Förder_innen mitgeteilt.
Ihr seid ja auch bekannt dafür, nicht nur bundesweit nach Stimmen zu suchen, sondert bindet auch insbesondere lokale Strukturen, mit denen Ihr selber gut vernetzt seid, mit ein. Was ist Euer Ansporn, und wie gelingt es Euch, so gut mit Eurer Stadt in Kontakt zu sein?
Tini: Seit CLINCH 1 hat sich die Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen und Organisationen immer mehr vergrößert, was auch ein Ergebnis von Feedback zu den vorherigen Festivals war. Beim diesjährigen CLINCH arbeiten wir konkret mit sieben Gruppen zusammen und Einzelpersonen, mit denen wir im Austausch über unser Programm waren und die selbst Ideen oder Programmpunkte eingebracht haben. Ein Ziel von uns ist es Akteur_innen und Communities zu vernetzen, bzw. eine Plattform dafür zu bieten. Dass der Bedarf da ist, merken wir an den positiven Rückmeldungen. Wir binden aber auch nicht die ganze Stadt in die Organisation des Festivals mit ein. Unser eigener politischer Anspruch ist es, eine postmigrantische dekoloniale Perspektive sichtbar zu machen. Deswegen fragen wir auch konkret Organisationen an, die diese Perspektive teilen.
Melanie: ich würde gern betonen, dass die lokale Vernetzung in vielerlei Hinsicht der Verdienst der lokalen Akteur_innen selbst ist, die das CLINCH zu ihrer Sache gemacht haben, auf uns zugekommen sind und Ideen eingebracht haben.
Ein Blick auf das kommende CLINCH: Mit welche Highlights können wir im Mai rechnen?
Tini: Einige der Highlights sind ja schon bekannt, weil ein Großteil des Programms vom letzten Jahr bleibt. Aber es gibt auch ein paar neue Formate. Unter anderem freue ich mich sehr auf eine Lesung mit Gedichten von Semra Ertan, die sich 1982 aus Protest gegen Rassismus das Leben genommen hat, und deren Gedichte nun in einem Sammelband veröffentlicht worden sind. Ich glaube aber, das größte Highlight ist aber, nach so langer zeit wenig sozialer Kontakte wieder mehrere Leute auf einmal sehen zu können.
Melanie: Ein besonderer und neue Programmpunkt wird die Gala am Eröffnungsabend sein, mit der wir lokale Akteur_innen und Initiativen für ihre Community-, Empowerment-, und antirassistische Arbeit ehren wollen. Diese Ehrungen gelten einerseits den Personen und Gruppen, stehen aber auch stellvertretend für alle Aktivist_innen im (post)migrantischen und postkolonialen Kontext, die viel zu wenig öffentliche Wertschätzung für ihre Arbeit bekommen. Wir hoffen, dass uns trotz Corona ein glamouräser Festakt gelingt!
Katharina: Ich freue mich besonders auf den Festivalabschluss. Max Czollek wird zum Thema “postmigrantischer Antifaschismus” lesen, die Frankfurter Künstlerin Ülkü Süngün wird eine öffentliche Performance in Erinnerung an die Opfer des NSU machen, und dann wird es noch eine große Abschlussveranstaltung mit lokalen und bundesweiten Akteur_innen zum Thema “Migrantifa Jetzt!” geben. Und da ich glaube, dass wir genau das dringend brauchen, freu ich mich sehr auf diesen kraftvollen und vielleicht auch ein bisschen wütenden letzten Festivaltag.
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