#Alpengasthof Kasern
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Dass die Toten im Hochmittelalter von Hintertux im Zillertal bis nach Steinach am Brenner getragen werden mussten klingt krass in unseren Ohren. Leichenzüge über Pässe und Jöcher waren aber im Tirol des Mittelalters keine Seltenheit. Im konkreten Fall mussten die Hinterbliebenen ihre Toten knapp 27 km weit transportieren und 936 m Aufstieg sowie 1.323 m Abstieg hinter sich bringen. Ich bin den Leichenzügen 600 Jahre danach auf ihrer Originalstrecke gefolgt.
Die Erzählungen klingen heute märchenhaft unwirklich. Es sind Berichte, dass bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts die in Hintertux Verstorbenen in einem zweitägigen Leichenzug nach Steinach Mauern gebracht werden mussten. Und dass dabei ein Wasserfall namens ‘Schleierfall’, das Tuxer Joch, der steile Abstieg ins Schmirn und die Schlucht bei St. Jodok zu überwinden waren. Bekannt und in Schmirn immer noch erzählt wird die Geschichte des ‚Leichenkammerls‘ beim Steckholzer-Bauern. Denn dort endete die erste Etappe, die Toten mussten für eine Nacht lang quasi ‘zwischengelagert’ werden. Im Totenkammerl eben.
Drei kleine Kreuze erinnern an die Toten, die über den Paradiesweg ihre letzte Ruhestätte in Steinach-Mauern fanden.
Eines der Erinnerungskreuze.
Auf diese schier unglaubliche Geschichte bin ich erst vor drei Jahren aufmerksam geworden. Ich erkundete für meinen Blog tirolerjakobsweg.wordpress.com den Jakobsweg vom Brenner nach Innsbruck. Bei der uralten Kirche in Mauern fielen mir drei schmiedeeiserne Kreuze auf, die den Toten von Hintertux gewidmet sind. Mein Entschluss war geboren, den Spuren der Leichenzüge des 14. Jahrhunderts über Berg und Tal zu folgen.
Mir gingen auch die ‚Legenden‘ nicht aus dem Kopf, die um diese hochalpinen Leichenzüge gesponnen wurden. Von Verstorbenen, deren Leiche im Winter auf dem Dachboden ‚zwischengelagert‘ und erst im Frühling nach Mauern – quasi in gefriergetrocknetem Zustand – zur Beerdigung gebracht werden konnten. Oder dass die Pomp Finebrer, also die Sargträger, erst in Schmirn festgestellt hätten, dass sich im Sarg Werkzeuge und anderes bäuerliches Gerät und nicht der Verblichene befand. Legenden hin, Wahrheit her. Ich musste diese Strecke unter meine eigenen Füße nehmen.
Die neue Kirche in Hintertux. Ohne Friedhof, die Toten werden in Lanersbach begraben.
Der Aufstieg zum Tuxer Joch über die Bergmähder der Hintertuxer Bauern.
Dieses geniale Panorama begleitete die Toten auf ihrem letzten Weg.
Weshalb Leichenzüge übers Hochgebirge?
Hintertux war bis ins Jahr 1483 kirchlich der Gemeinde Steinach am Brenner zugeordnet. Und damit der uralten Kirche von Mauern, oberhalb des heutigen Steinach gelegen. Weshalb das? Weil das hintere Zillertal mit größter Wahrscheinlichkeit vom Wipptal, genauer vom Schmirntal aus besiedelt worden war. Und: eine Verbindung ins tiefer gelegene Zillertal war damals praktisch nicht vorhanden.
Politisch blieb Hintertux bis 1926 sogar ein Teil der Gemeinde Schmirn. Weshalb so spät werden sich die kluge Leserin und der geistreiche Leser fragen? Weil erst damals eine Straße von Hintertux nach Mayrhofen errichtet worden war.
Da eine Bestattung in ‚geweihter Erde‘ für gläubige Katholiken unabdingbar zur Erreichung des Paradieses gewesen ist, blieb den armen Bewohner_innen nichts anderes übrig, als die Verstorbenen in einem zweitägigen Leichenzug nach Mauern bei Steinach zu bringen. Dort befand sich der Friedhof samt geweihter Erde. Es war quasi die erste Etappe des Weges ins Paradies für die bitterarmen Menschen. Genau mein Ding, dachte ich und beschloss, diesem letzten Weg vieler bettelarmer Bergbäuerinnen und Bergbauern bisweilen heftig schnaufend zu folgen.
Ich konnte es kaum glauben: der Weg führt tatsächlich über den Wasserfall.
Auf der Iss nach einem etwa halbstündigen Aufstieg von Hintertux.
Der Wasserfall. Er wird über eine nahezu senkrecht abfallende Wand ‘umgangen’.
Erste massive Hürde: der Schleierwasserfall
Ich fuhr mit dem VVT-Bus an einem wunderschönen Herbsttag nach Hintertux und begann von dort den Aufstieg auf das Tuxer Joch. Konkret: ich folgte dem Weg bis zur sogenannten ‚Isse‘ auf etwa 1650 m Seehöhe. Eine Wegstrecke, die sich als grandios erwies. Die Dreitausender um den Olperer und der – noch – vorhandene Gletscher veredeln den Aufstieg mit wahrhafter Schönheit. Störend für das Auge: all die Liftstützen und das technische Geraffle, das mit dem Gletscherskilauf verbunden ist.
Auf der ‘Isse’ kann man bereits jenen Wasserfall erkennen, den es zu überwinden gilt: den Schleierwasserfall. Auf den ersten Blick fand ich es unmöglich, diesen Sturzbach durch eine danebenliegende, nahezu senkrecht abfallende Felswand zu überwinden. Klettern, dachte ich mir. Das hätte mir grad noch gefehlt. Aber: Das alles schaut unglaublich dramatisch aus, ist es aber nicht. Denn der Weg war besser und breiter als angenommen. Zudem war er gepflegt und perfekt mit einigen Seilen abgesichert. Sogar Steinstufen waren in den Fels gehauen worden. Ob die aus dem Mittelalter stammen?
Die gleißenden Schneefelder immer im Blick.
Der Paradiesweg erhält hier eine besondere Note.
Dennoch: die Überwindung des Wasserfalls ist nicht allzu gefährlich.
Jetzt frage ich mich: wie wurde der Sarg des Leichenzuges transportiert?
Was mir bei meinem Aufstieg über den Wasserfall in den Kopf schießt: Wie haben die Menschen damals den Sarg hinaufgeschleppt? Wurde der von einem oder gar zwei Männern getragen? Oder wurde er auf eine Kraxe gebunden? Benützten die Pomp-Finebrer des Mittelalters vielleicht einen hölzernen Schlitten, den sie in den weniger steilen Abschnitten zogen? Jedenfalls muss es eine ungeheure Anstrengung gewesen sein, mit einem Sarg am Buckel erst den Schleierfall und dann das Tuxer Joch zu überwinden.
Das wunderschöne Weitental
Kurz vor Erreichen des Tuxer Jochs.
Im weiten Bogen durch das Weitental
Durch das Weitental geht’s dann im großen Bogen zum Tuxerjoch-Haus und weiter zum Joch. Ein Alpenübergang, der bereits von den Menschen der Vorzeit begangen worden ist. Funde am Joch belegen, dass es vor allem Steinzeit-Jäger waren, die diesen Übergang benutzt hatten. Aus dem ursprünglichen, kleinen See am Joch ist inzwischen ein massiver Speicherteich geworden, mit dem die Skipisten von Hintertux ‚beschneit‘ werden. Ich kann mir aber lebhaft vorstellen, dass ein Trauerzug hier eine längere Rast einlegen musste. Vermutlich stetig betend, um mitzuhelfen, dem Toten das Himmelreich zu erbitten.
Das Tuxerjochhaus in 2.313 m Seehöhe.
Der Blick vom Tuxer Joch ins Schmirntal.
Das Jochkreuz.
Aus dem einstigen kleinen Teich der prähistorischen Jäger wurde ein Speichersee.
Mein erstes Ziel: der Alpengasthof Kasern
Der Abstieg nach Schmirn-Kasern kann auf einem neuen, soeben in den Hang gerammten Radweg oder aber der alten, historischen Wegtrasse zurück gelegt werden. Da wird es in Zukunft einige Wickel geben wenn die Mountainbiker mit vollem Hobel herunterstechen und von den Wanderern nicht gehört werden. Ich hoffe nur, dass der alte Weg wieder instand gesetzt wird, um derartige Konfrontationen zu vermeiden und Unfälle zu verhindern. Allein: der alte Weg ist teils von den Bauarbeiten arg in Mitleidenschaft gezogen worden.
Ein neuer Radweg ‘ziert’ den Abstieg ins Schmirntal. Man folgt aber besser dem alten Abstieg.
Der Kleine Kaserer türmt sich am Fuß des Tuxer Joches mächtig auf.
Der Abstieg erfolgt auf einer Strecke, die ich mit Genuss hinter mich gebracht habe. Denn Kasern ist mir ganz besonders ans Herz gewachsen. Dieser innerste Teil des Schmirntales vermittelt immer noch eine Natürlichkeit, die sehr selten geworden ist. Zudem: ich kann mir Kasern ohne den historischen Alpengasthof Kasern gar nicht mehr vorstellen. 1902 erbaut und noch im ‚Originalzustand’ erhalten wird er von Wanderern, Bergsteigern und Tagesausflüglern gleichermaßen geschätzt. Von der Gaststube aus genießt man einen spektakulären Blick auf das Olperermassiv und vor allem den Kleinen Kaserer. Aber es ist nicht nur das, was mich hier anlockt. Denn das Gasthaus für seine regionale Küche und die feinen (und mitunter riesigen) Kuchen bekannt. Ich persönlich bevorzuge hier den Zwiebelrostbraten vom Schmirner Almochs.
Ein Kalenderbild der Sonderklasse: Bauernhöfe in Kasern vor dem monumentalen Hintergrund des Kleinen Kaserer.
Mein kulinarisches Ziel am ersten Tag: der Alpengasthof Kasern mit seinem hervorragenden Zwiebelrostbraten vom Schmirner Almochs.
Ganz in der Nähe des Gasthofs befindet sich übrigens jener Hof, in dem die Leichenzüge des Mittelalters angeblich für eine Nacht lang Station gemacht hatten. Das angebliche historische ‘Leichenkammerl’ im Steckholzerhof musste jedoch einem Neubau weichen.
Der Steckholzerhof im Schmirntal. Hier endete die erste Etappe des Leichenzuges von Hintertux nach Steinach.
Das Tagesziel meiner 1. Etappe: das Hotel Olpererblick
Von Kasern aus geht’s dann mit vollem Bauch nach Schmirn/Toldern ins Hotel Olpererblick. Der Fußweg von Kasern nach Toldern ist entspannend. Das Hotel selbst ist ein Haus mit gepflegter Gastlichkeit, mit feinen und preiswerten Zimmern und guter Küche. Und das Hotel wird seinem Namen in vollem Umfang gerecht. Die Aussicht auf den mächtigen Olperer ist grandios. Zusammen mit den feinen Zimmern und einem außergewöhnlichen Frühstück (ein echtes, deftiges Tiroler Frühstück, ganz so wie ich es liebe) ist es ein ideales Etappenhotel zwischen Hintertux und Steinach.
Der Name steht für Qualität und eine fantastische Aussicht: Das Hotel Olpererblick in Schmirn/Toldern. Foto: Olpererblick
Und so schaut’s aus, dieses monumentale Bergpanorama, wenn man es vom ‘Olpererblick’ aus btrachtet.
Durch das Schmirntal weiter nach Steinach
Im Gegensatz zur ersten Etappe ist die Strecke nach Mauern am 2. Tag ein sogenanntes ‚Lercherl‘: Es geht abwärts auf der Schmirner Straße in den Hauptort Schmirn mit seiner barocken Kirche und einigen sehenswerten Bauernhäusern. Nach kurzer Zeit erreicht man den Weiler Aue, in dem die alte Schmirner Straße nach rechts abzweigt. Jetzt geht die Wanderung vorbei an einigen uralten und leider dem Verfall preisgegebenen Bauernhäusern. Eine Etappe, die einfach nur schön und erholsam ist.
Schmirn. Ein Dörfchen wie Samt und Seide…
Dieser malerische Bergbauernhof in Schmirn Toldern wird von den Bergen der Ortlergruppe umrahmt.
Die historischen Dachgiebel im Valser- und Schmirntal zieren zwei Gaißböcke.
Vermutlich von einem Gletscher geformt erhebt sich dieser Hügel wie eine Mini-Pyramide.
Ein alter, aus Holz erbauter Bauernhof ziert das Dorfzentrum von Schmirn.
Überrascht war ich einigermaßen vom Verlauf der alten Straße durch eine Engstelle, die durchaus als Schlucht interpretiert werden kann. Eher dunkel, kühl und nass. Aber schon in St. Jodok öffnet sich die Engstelle wieder. Und dann gehts in Richtung Steinach. Eine genauere Beschreibung könnt ihr im Anhang lesen.
Schluchtartig gehts zu zwischen Schmirn und St. Jodok.
Der Weg zwischen St. Jodok und Steinach.
Steinach am Brenner
Am Ziel der Leichenzüge: die Ursula-Kirche in Mauern
In Mauern angekommen erschienen mir nun die drei kleinen schmiedeeisernen Kreuze beim Eingang zur Kirche in einem etwas anderen Licht. Dass die Kirchenoberen ihren Hintertuxer ‘Schäfchen’ einen Gewaltmarsch abverlangten um die Toten zu beerdigen zeugen von einer Zeit, in der die Gläubigen am Gängelband geführt wurden. Bettelarme Bergbäuerinnen und Bergbauern mussten akribisch das tun, was irgendwelche Pfarrer, Bischöfe und Päpste daher fantasierten. Die ihnen zu allem Übel auch noch ständig Angst vor ewiger Verdammnis in der Hölle machten. Eine Zeit, die überwunden scheint. Aber, so glaube ich, der Tod zur damaligen Zeit ja wirklich eine Art Erlösung. Ich hätte jedenfalls nicht im Mittelalter leben wollen.
Dieser Friedhof bei der Ursula-Kirche in Steinach-Mauern war das Ziel der mittelalterlichen Leichenzüge von Hintertux.
Meine Bewunderung für diesen harten und zähen Menschenschlag, der vor 600 Jahren in abgelegenen Berggebieten lebte, ist mit dieser Wanderung jedenfalls nur noch größer geworden.
Die Daten zur Wanderung
Wegstrecke:
Von Hintertux aus den Weg ins Weitental wählen, der mit einem Wellblech verkleideten Fußgängertunnel beginnt. Dann bis zur Isse. Hier beginnt der Aufstieg zum Schleierwasserfall. Durch das Weitental dann bis zum Tuxerhoch-Haus.
Vom Tuxer Joch aus gibt’s seit neuestem zwei Möglichkeiten, nach Schmirn/Kasern abzusteigen. Einerseits über den neu in den Hang gebauten Radweg (!) oder über den alten, historischen Abstieg. Der ist aber streckenweise leider verschüttet, was auf die Bauarbeiten zurückzuführen ist.
Von Kasern dann zuerst entlang der Hauptstraße bis zum Tunnel, dann auf der alten Straße, die heute eine Wanderstraße ist, bis zum Hotel Olpererblick.
Vom Olpererblick bis in die Parzelle Aue und dort rechts auf die alte Schmirner Sstraße abzweigen, die direkt nach St. Jodok führt.
In St. Jodok vor der Bahnüberführung rechts hinauf in Richtung Stafflachwand-Klettergarten. Von dort den Forstweg bis zum Padastertal (mit der Wendelinkapelle). Beim ersten Haus die Abzweigung scharf nach rechts oben nehmen. Auf diesem Weg dann rund 300 m weitergehen bis links ein kleiner unscheinbarer Fußpfad nach Steinach-Mauern abzweigt.
Länge: 26,7 km
Höhenunterschied: 936 m Aufstieg, 1.323 m Abstieg. Höchster Punkt: Tuxer Joch, 2.338 m
Dauer:
von Hintertux zum Tuxer Joch über Iss-Schleierfall-Weitental: ca. 3,5 Stunden
vom Tuxer Joch nach Schmirn/Toldern: ca. 2 Stunden
von Schmirn Toldern via St. Jodok nach Steinach Mauern: ca. 2,5 Stunden
Von Hintertux nach Steinach: Der Weg ins Paradies. Als die Toten noch vom Zillertal über das Tuxer Joch und Schmirn nach Steinach/Mauern getragen werden mussten. Dass die Toten im Hochmittelalter von Hintertux im Zillertal bis nach Steinach am Brenner getragen werden mussten klingt krass in unseren Ohren.
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