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#tiredyouth
Ich lieg im Bett. Es ist schon viel zu spät. Zum Glück habe ich nicht diese Wecker-Funktion, die mir anzeigt, wie viele Stunden ich noch bis zum grausigen Erwachen habe. Mein Kopf rechnet automatisch: zehneinhalb Stunden bis zum Aufstehen. Nach diesem Tag auf jeden Fall viel zu wenig. 109 Millionen Gedanken, die ungeduldig in meinem Kopf sitzen und darauf warten, von mir bedient zu werden. Ich stelle meinen Wecker schonmal vorsorglich 15 Minuten weiter. Das bringt sicher was, ich wache dann morgen bestimmt viel vitalisierter auf als ohne die extra Viertelstunde. Ich will jetzt nicht denken. Ich mache mir meine Lieblings-Einschlafhypnose auf Youtube an, die funktioniert immer. Sowas gibt's da wirklich. Und ja, Leute ziehen sich sowas tatsächlich rein. Ich zumindest. Sanft beruhigende Musik ertönt und dazu eine freundlich warme, beruhigende Stimme. Einige Minuten redet sie darüber, alle Muskeln zu entspannen - der Körper wird schwer, ich müsse jetzt nichts tun außer zu atmen. Vor allem nicht denken. Stimmt eigentlich. Die Stimme sagt: "Zähle jetzt von zehn zusammen mit mir runter und atme dabei ruhig weiter. Zehn... Neun... Acht..." Acht? Ich denke daran, wie ich mir mal acht Kekse gleichzeitig in den Mund geschoben habe. Ich wollte testen, wie viele da reingehen. Ganz genau acht. Zwei rechts, zwei links, vier mittig. Ich sah aus wie ein Hamster, der sich zwei Hamster in die Backen gesteckt hat. Ich frage mich: fressen Hamster eigentlich Kekse? Und wenn ja, was sind wohl deren Lieblingskekse? Ach ja, einschlafen. Zählen. Die Stimme zählt weiter: "Sieben... Sechs..." Hehehe, sie hat Sex gesagt. Zumindest hörte es sich so an. Wie viele Menschen wohl gerade Sex haben. Und wie viele Babies dabei entstehen. Und wie die wohl aussehen. Meistens kommen die mit 'nem hochroten Kopf zur Welt. Auch komisch. Rot. Reimt sich auf Brot... Babys sind Brotköpfe. Irgendwie hab ich Hunger. Die Stimme: "Fünf... Vier..." Ich glaub, ich war heute nur vier Mal pinkeln. Das ist inakzeptabel. Zu wenig getrunken. Morgen muss das anders werden. Ab morgen werd ich mich auch super healthy ernähren. Vielleicht ist das wenige Trinken auch der Grund, warum ich immer so müde bin. Aber meistens bin ich zu müde zum Trinken. Ey, ich muss jetzt echt mal schlafen. Komm, Alte. Zähl weiter. Sie zählt: "Drei... zwei..." Ich denke: zwei Stunden lieg ich gefühlt schon hier rum. Zwei Stunden meines Lebens, die vielleicht auf einem anderen Fleck der Erde lebensverändernd hätten verlaufen können. Ich sollte jetzt aufbrechen. Raus aus diesem Leben mit Job und Verpflichtungen und dem ganzen Erwachsenenkram, den keiner machen will. Auf zum anderen Fleck der Erde, am besten zum Strand. Weg aus dem freiheitsberaubenden System, in dem wir gezwungenermaßen leben. Ich wollte mich schon immer selbstständig machen, mein Glück selber in die Hand nehmen und nicht fremdbestimmt irgendwelchen Regeln folgen, die ich nicht verstehe. Vielleicht mach ich ne Strandbar auf. In der darf man rauchen. Ist ja eh draußen. Also los. Schuhe an. Tasche packen. Und los. Rein in den nächsten Zug, das nächste Flugzeug. Morgen melde ich mich krank, starte in MEIN Leben und werde endlich restlos glücklich. Das ist ne gute Idee. Ich mach's jetzt einfach, wenn nicht jetzt wann dann? Dafür wird es nie den richtigen Zeitpunkt geben. Ich steh jetzt auf und mach's. Ach ne. Ich bin zu müde. "Eins."
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