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kaischiemenz-blog · 5 years ago
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kaischiemenz-blog · 5 years ago
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Kai Schiemenz, Big Counter Blocks I, 2019, Glas
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kaischiemenz-blog · 5 years ago
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Kai Schiemenz, Säule II, 2016, Glas, 112 x 23,5 x 24,5 cm The exhibition ‘Bunte Steine’ is curated by Katherina Perlongo and Dr. Elisa Tamaschke Ausstellungsansichten
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kaischiemenz-blog · 5 years ago
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Kai Schiemenz; Ötzi, 2019, Polyester
The exhibition ‘Bunte Steine’ is curated by Katherina Perlongo and Dr. Elisa Tamaschke
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kaischiemenz-blog · 5 years ago
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Wanderungen zu bunten Steinen
Elisa Tamaschkeund Katherina Perlongo
Der österreichische Schriftsteller Adalbert Stifter (1805–1868) publizierte 1853 zwei Bände mit insgesamt sechs Erzählungen, denen er die Titel „Granit“, „Kalkstein“, „Turmalin“, „Bergkristall“, „Katzensilber“ und „Bergmilch“ gab und fügte sie unter dem Titel „Bunte Steine“ zusammen. In den Geschichten schildert Stifter die Schicksale einzelner Menschenleben auf dem Land. Seine Protagonisten, Kinder und Alte, bewegen sich in archaischen Berglandschaften, die zeitgenössische Kritiker wiederholt als allzu detailverliebte Schilderungen der Natur empfanden. So hatte schon 1849 Friedrich Hebbel in der Zeitschrift „Europa“ gegen die „alten und neuen Naturdichter“ polemisiert: „Wißt ihr, warum euch die Käfer, die Butterblumen so glücken? Weil ihr die Menschen nicht kennt, weil ihr die Sterne nicht seht! [...] Aber das musste so sein; damit ihr das Kleine vortrefflich liefertet, hat die Natur klug euch das Große entrückt.“[1]
Allerdings sind die von Stifter beschriebenen Landschaften wesentlicher Teil der menschlichen Schicksale darin, sie fordern heraus und sie retten auch. In der wohl berühmtesten Erzählung aus den „Bunten Steinen“, „Bergkristall“, gehen Bruder und Schwester in der Weihnachtsnacht nach dem Besuch bei ihren Großeltern über einen Gebirgspass zurück zu den Eltern nach Hause. Ein Schneetreiben – das eine beängstigende Stille mit sich bringt – zieht auf und sie verlieren den Weg. Ihre Lage wird verzweifelt. Der ältere Bruder macht der Schwester Mut, erklärt ihr seine Pläne, weiß doch aber zunehmend selbst nicht, wie weiter, und sie, Sanna, sagt immer wieder vertrauensvoll, mantraartig „Ja, Konrad.“ Der Leser gibt die Hoffnung auf, nicht allein deshalb, weil hier zwei dürftig bekleidete Kinder in den Schnee und in die Nacht geraten, sondern auch, weil die Schilderungen der Landschaft die Möglichkeit eines Überlebens nicht erlauben. Immer wieder stoßen die zwei an Felswände, wo sie die Zuversicht auf einen Abstieg hatten. Da heißt es dann grauenvoll mehrdeutig: „Jenseits wollten sie wieder hinabklettern. Aber es gab kein Jenseits.“[2] Der Schnee schmerzt ihren Augen: „Es schien eine große Lichtfülle zu sein, und doch konnte man nicht drei Schritte vor sich sehen; alles war [...] in eine einzige weiße Finsternis gehüllt.“ Auf der Suche nach Schutz gehen sie immer tiefer in das Gewölbe eines Grabens: „In der ganzen Höhlung aber war es blau, so blau, wie gar nichts in der Welt ist, viel tiefer und viel schöner blau, als das Firmament, gleichsam wie himmelblau gefärbtes Glas, durch welches lichter Schein hineinsinkt.“[3] Die Kinder fürchten sich in der Höhle, weil sie „so schreckhaft blau“ ist und gehen wieder hinaus in eine Landschaft, die doch auch nur noch aus Eis zu bestehen scheint. Letztlich werden Sanna und Konrad am folgenden Tag gerettet und diese Rettung erscheint dem Leser, der sich der grausamen Romantik des Autors anvertraut hat, wie ein urzeitliches Wunder.[4]
Adalbert Stifter hat die „Bunten Steine“ lapidar „allerlei Spielereien für junge Herzen“[5] genannt und manches Mal möchte man hinzufügen: für junge, aber kräftige Herzen. In der Einleitung berichtet Stifter von seiner eigenen jungendlichen Faszination für bunte Steine, die durchaus als Ausdruck eines damals aktuellen Interesses an der relativ neuen Wissenschaft der Geologie gewertet werden können[6]: „Als Knabe trug ich außer Ruten, Gesträuchen und Blüten, die mich ergötzten, auch noch andere Dinge nach Hause, die mich fast noch mehr freuten, weil sie nicht so schnell Farbe und Bestand verloren wie die Pflanzen, nämlich allerlei Steine und Erddinge. Auf Feldern, an Rainen, auf Heiden und Hutweiden, ja sogar auf Wiesen, auf denen doch nur das hohe Gras steht, liegen die mannigfaltigsten dieser Dinge herum. Da ich nun viel im Freien herumschweifen durfte, konnte es nicht fehlen, daß ich bald die Plätze entdeckte, auf denen die Dinge zu treffen waren, und daß ich die, welche ich fand, mit nach Hause nahm. [...] Wenn ich Zeit hatte, legte ich meine Schätze in eine Reihe, betrachtete sie und hatte mein Vergnügen an ihnen. Besonders hatte die Verwunderung kein Ende, wenn es auf einem Steine so geheimnisvoll glänzte und leuchtete und äugelte, daß man es gar nicht ergründen konnte, woher denn das wohl käme. Freilich war manchmal auch ein Stück Glas darunter, das ich auf den Feldern gefunden hatte, und das in allerlei Regenbogenfarben schimmerte. Wenn sie dann sagten, das sei ja nur ein Glas, und noch dazu ein verwitterndes, wodurch es eben diese schimmernden Farben erhalten habe, so dachte ich: Ei, wenn es auch nur ein Glas ist, so hat es doch die schönen Farben, und es ist zum Staunen, wie es in der kühlen feuchten Erde diese Farben empfangen konnte, und ich ließ es unter den Steinen liegen.“[7]
Wie eine Sammlung von Steinen erscheinen uns die für die Ausstellung ausgewählten Werke von William Tucker, Kai Schiemenz und Stefan Guggisberg, nehmen sie das Motiv von Gestein doch vielfältig auf, tangieren dabei auf verschiedene Weise Sujets, die auch bei Stifter anklingen und stehen doch ganz für sich selbst.
 Kai Schiemenz
Stifters Verzauberung angesichts schimmernder Farben der von ihm gehüteten Glasstücke lässt sich auf die Begegnung eines heutigen Betrachters mit den Skulpturen aus Glas von Kai Schiemenz übertragen, die er „Steine I–IV“ betitelt. Kostbaren Edelsteinen gleich reichen deren monochrome Farbkörper von einem warmen Bernsteinton, über ein grelles Grün und tiefes Grünschwarz bis zu einem leuchtenden Himmelblau. Als manifeste, zugleich aufregend ambivalente Gesteinstrukturen im Raum werden sie von schlichten, schweren Betonsockeln getragen und auf einer für die Ausstellung gefertigten Tischkonstruktion aus hellem Holz nebeneinander gezeigt. Ihre Präsenz im Raum geht mit dem Eindruck von Unwirklichkeit einher. Die Farbigkeit verhindert, dass der Betrachter die Steine unmittelbar mit etwas ihm Vertrauten in Einklang bringen kann, doch ihre Körper führen ihn. Der Ursprung dieser vier Glasskulpturen ist ein Steinbruch. Aus ihm hat Schiemenz Bruchstücke gehauen und hat, anstatt die einzelnen Steine in den Ausstellungsraum zu holen, sie auf Sockel zu stellen und zur Kunst zu erheben, die Gesteinsfragmente in farbiges Glas übertragen. Dieser Werkprozess des In-Glas-Gießens ist durch eine jahrhundertealte Handwerkstradition möglich, die in Böhmen zuhause ist. Zwischen der Abformung der vom Künstler ausgewählten Steine und dem Guss und schließlich dem finalen Kunstwerk liegen zahlreiche komplexe und langwierige Arbeitsschritte.Im Einzelnen sind diese schwer steuerbar und verändern damit die Erwartung an das entstehende Werk immer wieder: Eine mit Glasstücken gefüllte Silikonform bleibt über mehrere Wochen lang im Ofen, wird bis zu 1.000 Grad Celsius erhitzt, um dann langsam und kontrolliert abzukühlen. Die erkaltete Form wird schließlich aus dem Ofen genommen, das entstandene Objekt erscheint wie „ein roher Diamant“[8]. Das Besondere am gegossenen Glas sind die kleinen Einschlüsse und Abdrücke, die die Oberfläche des Materials bestimmen.[9] In Form von Kratzern, Scharten und weiteren kleineren Fehlern bleibt jede einzelne Arbeitsphase auf der Glasoberfläche sichtbar. Der Ursprung der Skulpturen, Stein gewesen zu sein, bleibt durch die nur partiell veränderte Form darüber hinaus unverkennbar evident. Ähnlich einem Sedimentgestein, welches das Ergebnis einer langen Entstehungszeit ist und in dem „tausendjährige […] geheimnisvolle Ablagerungen“[10] gespeichert sind und die es vermögen, uns über die Entstehung und Entwicklung der Erde Auskunft zu geben, sind auch Kai Schiemenz‘ Glassteine Ergebnisse eines langen Prozesses, in denen die für ihre Entstehung aufgewendete Zeit verewigt bleibt. Damit sieht sich der Betrachter im Moment des Anschauens mit einer Zeitlichkeit konfrontiert, die über das fertige Werk hinausgeht und auf sie zurückverweist. Die geologisch-prozessuale Parallele lässt sich noch einmal weiterführen: Die Verwandlung von flüssigem in gehärtetes Glas ist mit der Entstehung von magmatischem Gestein vergleichbar, das als Magma an die Erdoberfläche drang und dort zu einer festen Gesteinsform erstarrte.
Die visualisierte, also in Form gebrachte Zeitlichkeit ist dem Material Glas eigen. Der Aspekt des Lichts kommt, abhängig vom Aufstellungsort, als weitere Qualität hinzu. So verändert sich die Farbtransparenz der Steine durch die Intensität des Lichteinfalls. Bei geringerem Lichteinfall reicht der Blick in die dumpfe Tiefe des Skulpturenkörpers nicht weit, während stärkerer Lichteinfall größere Luzidität ermöglicht. Das an Gletscher erinnernde Blau der Skulptur „Steine II“ sei hier mit Stifters Konrad und Sanna in Verbindung gebracht: Die Kinder erschaudern beim Betreten der tief blau leuchtenden Eishöhle („gleichsam wie himmelblau gefärbtes Glas“), weil die Natur ihnen hier unwirklich erscheint. Dabei ist es allein das Licht, das in diese Höhlung fällt und sie phantastisch blau werden lässt. Die ebenfalls unwirklich blaue Skulptur von Schiemenz wird in diesem Assoziationskontext mit einem Mal Möglichkeit eines Naturereignisses.
Farbigkeit und Materialität verleihen den Skulpturen eine erzählerische Komponente. Diese Erzählung entwickelt sich paradoxerweise infolge eines Entzugs: Indem der Künstler die Bruchsteine in ein anderes Material überführt, nimmt er ihnen die Bindung an ihren Fundort und entzieht ihnen so ihre konkrete Geschichtlichkeit. Der Künstler erreicht mit der Übersetzung in Glas eine neue Erzählung: „Bei Glas, wie auch bei Wasser, kannst du durch die Oberfläche hindurchschauen. Glas ist dem Abwesenden verwandt. Normalerweise endet die Sichtbarkeit direkt an der Oberfläche von allem. Dahinter fangen die Vorstellungen und Mythen an und beim Glas gibt es plötzlich dieses Darinnen, dieses Dahinter. […] Wo das Unsichtbare und die Vorstellungen anfangen, beginnt dieses verführerische Schimmern.“[11]
Schiemenz bezog in Interviews das Unsichtbare, die Mythen und Vorstellungen auf die Geschichten von versunkenen St��dten, mit denen er sich in zurückliegenden Arbeiten beschäftigt hat. Doch tatsächlich lässt sich die Idee eines Nicht-ganz-Greifbaren auch individueller fassen: Der Blick in das farbige Glas führt in einen mikrokosmischen Raum, in dem die Betrachter keine Referenz zum alltäglichen Leben, durchaus aber zu ihrem In-der-Welt-Sein finden. Letzteres bedeutet immer wieder nicht zu wissen, stattdessen mit Ungewissheit, mit Ahnungen konfrontiert zu sein.
In den „Säulen“ von Schiemenz erscheint der Mensch als Bezugsgröße noch klarer. Auf dessen aufrechte Haltung hat Susanne Altmann formal vergleichend hingewiesen und auch auf das kulturelle Abhängigkeitsverhältnis von Architektur und Mensch, das sich darin ausdrückt.[12] Anders als die „Steine“ setzt der Künstler die Säulen aus einzelnen Versatzstücken zusammen. Es sind gebaute Objekte, die anschließend in Glas übertragen werden. Architekturmodelle, die, weil begehbar, den Betrachter zur Partizipation auffordern, sowieutopistische Ideen der Moderne, damit verbunden auch das Bauhaus, sind wiederkehrende Themen im Werk des Künstlers. Zuletzt und wohl folgerichtig hat er die menschliche Figur als Ideenbild konkret in sein Schaffen integriert. Im Georg Kolbe Museum stellt er sie den aufrechten Glasarbeiten „Coloured Cut-In“ zur Seite. Teil der Serie ist ein Kopf aus grün-gelblichem Kunststoff, aus dessen Schädeldecke ein Viertel entfernt wurde, präzise Schnitte formen die Leerstelle treppenartig. Auf dieser Stufenkonstruktion kreuzen sich eine eingekerbte senkrechte und eine waagerechte Linie. Die Manipulation des wenig menschlich aussehenden Kopfes – statt Augen hat er kreisrunde Vertiefungen – erinnert an die Arbeit „Der mechanische Kopf (Der Geist unserer Zeit)“ von Raoul Hausmann aus dem Jahr 1920. So verschieden die zwei Köpfe formal selbstverständlich sind, spielen doch beide mit dem Motiv des Vermessens und der Veränderung. Hausmann thematisiert die neuen technischen Herausforderungen der Moderne. Schiemenz, der auf diese immer wieder Bezug nimmt, schafft einen zur Konstruktion mutierten Architekturkopf, der als Zeichen für „Idee“ schlechterdings verstanden werden kann.
Die Pole Naturkonstruktion und menschliche Ideenkonstruktion kommen im Werk von Kai Schiemenz zusammen.
 Stefan Guggisberg
Einmal schrieb Rainer Maria Rilke von dem „Horchen in die eigene Tiefe“[13] und meinte damit die zum Körperzentrum gekrümmte Bewegung der Aktfiguren Auguste Rodins. Auch bei dem Maler Stefan Guggisberg gibt es dieses „Horchen“: Es ist eine aufmerksame geistige Bewegung des Künstlers nach innen, die er, einem Ahnen folgend, auf das Blatt Papier übersetzt und schließlich an den Betrachter vermittelt. In einem geduldigen Prozess trägt Guggisberg Schicht um Schicht Farbe auf das Papier, schafft damit eine „Substanz“, einen „Farbkörper“[14]. Er selbst beschrieb diese Farbfläche als „Möglichkeitsfeld“, von der aus schließlich die intuitive „Bildfindung“ ausgehe.[15] Mit einem Radiergummi entfernt er in einem nächsten Schritt Teile der Farbschichten und zeichnet somit die Motive in die Farbfläche. Mithilfe eines Objektes, das per se Material entfernt, legt der Maler seine Motive frei. Es entstehen Farbstrukturen, die für den Betrachter kaum fassbar sind, weil sie mit der Ambivalenz von äußerster malerischer Präzision und – letztlich dadurch erreichter – gleichzeitiger Farbzerstreuung spielen. Resultat ist das faszinierende Paradoxon präziser Unschärfe. Die Motive scheinen sich einer momentanen Bewegung folgend aus einzelnen Farbpartikeln zusammenzusetzen und zugleich ist ihr sofortiges Auseinanderstreben denkbar. Die Farbe und alsodie Motive sind in diesen Blättern Ausdruck einer vorübergehenden Gegenwart. Marc Ries hat darauf hingewiesen, Guggisbergs Arbeitsprozess sei wesentlicher Teil der Bildbedeutung, seine Malerei radikalisiere die Frage nach der Herkunft der Bilder: „Woher kommen [sie], oder [...] was sind das für Gegenstände, die auf den Bildern abgebildet sind [...]? Sie [die Malerei] stellt die Frage nach dem Verhältnis von Abbild und Urbild, von Darstellung und Dargestelltem. Vieles von dem, was auf den Bildern sich vorfindet, ist zwar da, im Bild jedoch existieren diese Dinge möglicherweise nur als Teil von Bildern, als Teil von Bildflächen, aus denen sie hervorgehen.“[16]
Wiederkehrend sind die dargestellten Objekte Steine. Mit der oben beschriebenen Flüchtigkeit sind diese gerade nicht zu assoziieren. In dem Werk „Kollision“ (2015) ist die Fläche des Blattes mit einer Struktur ausgefüllt, die am ehesten an eine Felswand erinnert, allerdings von Dynamik durchpulst ist. Die zwischen Grau, zartem Orange, hellem Blau und leichtem Rosa changierenden Farbfelder evozieren die einzelnen Schichtungen eines Sedimentgesteins. Steinbrocken in der linken oberen Ecke und vereinzelt über das Motiv verteilt, nähren den Eindruck eines Blicks auf eine Felswand. Aufregend gestört wird dies von den Formen, die aus dieser heraustreten: Im Zentrum komprimiert sich der Felsen zu einer kreisrunden Form. An manchen Stellen geht sie plan in die Gesteinswand über, an anderen hebt sie sich, herausgearbeitet durch Schattierungen, von ihr ab. Der „Steinkreis“ tritt geradezu aus dem Bild heraus und steht in Kontrast zu der Tiefe, die ein dunkler Spalt im Felsen, der unter dem Kreis diagonal durchs Bild verläuft, produziert. Zugleich ist die Schattierung um den Kreis herum ambivalent. So ließe sich doch auch denken, der Kreis sei in die Wand oder in eine möglicherweise assoziierbare Bodenfelsplatte eingelassen. Fortsetzung und Höhepunkt findet die verwirrende Dynamik durch das leuchtend blaue Element, das wohl einst kugelförmig ausgebildet war, im Moment des Bildes aber auseinandersprengt und in kleinste Teile zerfällt. Aureolenartig strahlen feine Linien von dem Objekt aus. Sie verdeutlichen die Zerstörungskraft. Die blaue Kugel – ein weiterer Stein? – und darauf verweist ja schon der Titel, kollidiert mit dem Rand des großen Steinkreises. Der formstiftende Augenblick der Kollision geht mit einem Verbinden des großen Steinkreises mit der Felswand einher. An dieser Stelle wird die Felsenstruktur ebenmäßig. Dem blauen Element traut man die Potenz zu, Ursache für die Steinkreisbildung zu sein – nicht der Kreis war zuerst, sondern die Kollision von kleinem Objekt und Fläche hat ihn hervorgebracht, hat den Felsen in Bewegung versetzt.
Im Gegensatz zur räumlichen Unmittelbarkeit der Felswand in „Kollision“, ergreift ein tiefes, changierendes Blau in „Zone“ (2018) vom Raum Besitz. Es erstreckt sich weltraumartig über das großformatige Blatt Papier. Amorphe helle Flächen und Strukturen bewegen sich durch diesen Raum. Als farblicher und materieller Fremdkörper und trotzdem natürlicher Teil der Szenerie erscheint im Blickzentrum ein brauner Stein und tangiert leicht eine spiralenartige Farbstruktur. Auch hier ließe sich von einer „Kollision“ sprechen, doch wirkt sie, vielleicht durch den schwerelosen Raum bedingt, wie abgefedert. Von ihr geht keine explosionsartige Kraft aus. Eher fügen sich die einzelnen Elemente zu einem großen kosmischen Ganzen zusammen.
Was sind das für Orte, die Guggisberg in seinen Bildern aufruft? Sie spielen manches Mal mit der Illusion, mikroskopische Ansichten zu sein, wie bei „Zone“, im Falle von „Kollision“erscheinen sie auf Beobachtungen eines Naturereignisses zu gründen. Nie aber suchen sie das Abbild der Natur, sie bleiben reine Malerei, die in der inneren Bewegung des Künstlers ihren Ursprung hat, wie am intuitiven Arbeitsprozess deutlich wird. Und doch geht es motivisch um mehr, um das, was die Welt im Innersten zusammenhält: „Im Mikrokosmos, also sozusagen im Untergrund unserer wahrnehmbaren Welt herrscht eine große Lebendigkeit. Am Grunde sind [...] keine materiellen Teile, aus denen sich die Welt zusammensetzt, sondern Schwingungen, die in der einen, allumfassenden Beziehungsstruktur miteinander wechselwirken. In diesem Wechselwirken ‚mitteln‘ sich die Schwingungen aus. Und aus diesem Ausmittelungsprozess ‚gerinnt‘ die Realität, wie wir sie in unserem Alltag erfahren und in der wir die Dinge anfassen können.“[17]
In diesen Bildern eröffnet sich für den Betrachter ein Resonanzfeld, das Natur und Geistiges zusammenführt.
 William Tucker
Den Skulpturen von William Tucker zu begegnen, bedeutet durch eine Landschaft zu gehen. Im Ausstellungsraum muten die massiven Bronzekolosse an, Steinbrocken zu sein. Findlinge einer gewaltigen Natur, die nun als Fremdkörper in artifizieller Umgebung einen Platz gefunden haben und sich dort zu einer neuen Art von Landschaft zusammenfügen: Über den vom Menschen geschaffenen Raum scheinen die Objekte jedoch zugleich als Zeichen aus einer Vorzeit erhaben zu sein – und auch „hinüberdauernd in noch nicht gekommene Zeiten“[18]. Sie wollen umrundet und durchwandert, sie wollen aus der Nähe und Ferne angeschaut werden. Sie ziehen an und weisen von sich. Nach längerem Betrachten aber stellt sich eine Veränderung ein.[19] Es sind nun keine Steine mehr. Ja, sie sind es nie gewesen.
Vexierbildartig wandeln sich die naturnahen Objekte zu Körperfragmenten, zu Füßen, Knien oder Fäusten. Im Georg Kolbe Museum werden die sogenannten „Köpfe“ ausgestellt,Arbeiten, die überwiegend zwischen 1997–2000 entstanden.Im Ausdruck ermattet, schlafend, sterbend ruhen die Köpfe jeweils auf einer ihrer Gesichtshälften ohne Sockel am Boden.Ihre poetischen Titel lauten „Icarus“, „Sleeping Musician“, „Persecutor“, „The Hero at Evening“ und „A Poet of Our Time“. Ausnahmen von der horizontalen Position sind die aufgerichteten Köpfe „Bibi“ (1997) und „Hommage to Rodin (Bibi)“ (1999). Selbstverständlich handelt es sich bei den Köpfen nicht um Porträts im eigentlichen Sinne und doch sind sie überraschend individuell. Ihre stark bewegte, regelrecht aufgewühlte Oberflächenstruktur mit Klüften und Wölbungen zeichnen sie als Wesen mit eigenem Charakter aus.[20] Trotz ihrer teilweise überlebensgroßen Dimension, vielleicht gerade wegen ihr, wendet sich der Betrachter ihnen empathisch zu. Auch als Köpfe, und dezidiert nicht als Steine, sind sie Zeichen aus einer vorangegangenen Zeit.
William Tucker erklärt die Köpfe aus einem Interesse für Erinnerung und Geschichte, Literatur und Poesie.[21] Wie Joy Sleeman herausgearbeitet hat, wurden die Skulpturen damit „images of something“[22] und bedeuten eine Entwicklung im Werk des Künstlers, der bis zu Beginn der 1980er-Jahre mit abstrakten geometrischen Formen und glatten Oberflächen arbeitete. Doch schon zuvor bezog sich der Bildhauer auf literarische Quellen, auf die er auch in seinen Titeln verwies. So verwendete er beispielsweise den Begriff „Beulah“ als Namensgeber einer abstrakten Werkserie (1971–72). „Beulah“ bezieht sich auf die Privatmythologie des britischen Malers und Naturmystikers William Blake, der dieses Bild für den Ursprung von Inspiration und Träumen im Unterbewusstsein entwickelt hatte. Im Unterschied dazu sind die Köpfe allerdings deutlich erzählerischer. „Bibi“ und die vergrößerte Variante „Homage to Rodin (Bibi)“ referieren auf Auguste Rodins „Mann mit der gebrochenen Nase“ (1874–75), für den ein älterer Arbeiter aus Saint-Marcel in Paris Modell gesessen hatte, der „Bibi“ gerufen wurde. Tucker hat dabei einen assoziativen, zufälligen Zugang zu Rodins „Bibi“ in seinem eigenen Schaffen gefunden: Ein Gipsfragment, dass er im Atelier aufbewahrte, erinnerte ihn an den versehrten Gesichtszug des „Mannes mit der gebrochenen Nase“.[23] Der brutale Einschlag auf dem Nasenrücken von Rodins Modell ist mit dem Umgang Tuckers mit seinem Arbeitsmaterial verglichen worden, den er selbst eindrücklich beschrieben hat: „At various times these sculptures might have been dropped on a concrete floor, smashed with an axe, cut in sections with a saw and the fragments reassembled.“[24] Der Über-Bildhauer Rodin ist, wie für so viele nachgeborene Generationen, auch für den 95 Jahre jüngeren Tucker bedeutende Referenzfigur, den er nicht nur in seinem künstlerischen, sondern zudem in seinem schriftstellerischen Werk Raum widmete. 1974 publizierte der damals noch in England (heute in Massachusetts) lebende Tucker „The Language of Sculpture“ und schuf damit wiederum ein Referenzwerk für eine ihm nachfolgende Generation. Das erste Kapitel gilt Rodin und Tucker beschreibt darin u.a., wie der Franzose (neben Degas) Volumen, Masse als fundamentale Komponenten in der Skulptur wiederentdeckte – und sie durch seinen Umgang mit Kontur aus jedem Betrachterblickwinkel beleben konnte.[25] Tucker arbeitet mit diesem Wissen in seinen eigenen Skulpturen, die zwar Masse, ja schwere Körper im Raum sind, aber denen durch die Bewegtheit der Oberfläche und ihre mehrdeutige Vielansichtigkeit eine berührende Verlebendigung zu eigen ist.
Die dynamische Potenz skulpturaler Werke hat schon Rilke in seiner Schilderung eines Besuchs im Louvre angesichts älterer Figuren festgehalten, die in seiner berühmten Abhandlung über Rodin zu finden ist: „Da waren Steine, die schliefen, und man fühlte, dass sie erwachen würden bei irgendeinem Jüngsten Gericht, Steine, an denen nicht Sterbliches war, und andere, die eine Bewegung trugen, eine Gebärde, die so frisch geblieben war, als sollte sie hier nur aufbewahrt und eines Tages irgendeinem Kinde gegeben werden, das vorüberkam.“[26] Rilke beschreibt hier die in Erstaunen versetzende, weil so wirklichkeitsnahe figürliche Bildhauerei vorangegangener Jahrhunderte, der Rodin aber mit seiner neuen Formsprache ein neues Maß an körperlicher Ausdruckskraft hinzufügen konnte. Tucker, in entfernter Tradition Rodins stehend, arbeitet nicht figürlich, sondern kreatürlich. Seine „Köpfe“ sind nicht Mensch, aber lebendig. Sie sind in der Essenz archaische Formen eines Zustandes, der zwischen Natur- und Mensch-Sein angesiedelt ist. Nach Rilke hat Rodins „Mann mit der gebrochenen Nase“ offenbart, dass der Bildhauer „den Weg durch ein Gesicht zu gehen wußte.“[27] Auch Tucker kennt diesen Weg. Er erweitert den Topos, ein von Lebenswegen gezeichnetes Gesicht als Landschaft zu verstehen, um die tatsächliche, motivische Ambivalenz zwischen menschlichem Gesicht und landschaftlichem Element.
„Bibi“ steht am Anfang der Reihe der „Köpfe“. Anders als dieser liegen die nachfolgenden und verweisen somit, wie Tucker bestätigt, auf die „Schlafende Muse“ (1917–18) von Constantin Brancusi.[28] „Sleeping Musician“ steht dieser Arbeit am nächsten, eine Art männliches, raueres Pendant zu der zarten Eleganz der Muse. Doch die verweisenden Bezüge lassen sich weiterführen. „A Poet of Our Time“ verkörpert, so Joy Sleeman, zum einen Erinnerungen an Gedichte Bertolt Brechts, zum anderen verweist es auf Philip Gustons Portrait des toten T.S. Eliot.[29] „The Hero at Evening“ spielt auf den sterbenden Simon Bolivar an, wie ihn Gabriel Garcia Marquez in dem Roman „Der General in seinem Labyrinth“ (2000) beschrieb.[30] Und „Icarus“ natürlich auf den am Boden Zerschellten. Dieter Schwarz machte darauf aufmerksam, dass die Köpfe „lesbare, vom Tod handelnde Figuren“ seien und zitierte in diesem Zusammenhang den jungen Tucker: „Skulptur ist eine Aussage über die physische Welt, über eine endliche Ordnung (Vollständigkeit) und damit über unsere Existenz in der Welt.“[31]
 Leben und Tod, Abstraktion und Landschaft
In den Werken von Kai Schiemenz ist das Motiv des Steins Zeichen einer Übersetzungsleistung: Ein Naturobjekt wird in ein von Menschen gemachtes Objekt verwandelt und trotzdem ist der Verweis auf den natürlichen und damit auch vorzeitlichen Ursprung des Steins dabei wesentlich. Durch das Material Glas erfahren die Objekte eine neue Dimension, die dem Betrachter ermöglicht, in sie hineinzusehen und damit in einen zugleich mythischen und geistigen Resonanzraum zu blicken. Der geistige Raum findet sich auch bei Stefan Guggisberg. Dessen Felsen und Steine verweisen auf den Mikrokosmos im Makrokosmos und sie sind dank ihrer Materialität, die von einer Dynamik der Farbschichten ausgeht, nicht nur Ausdruck für den Schaffensprozess des Künstlers, sondern auch geistiger Bewegungsraum für den Betrachter, der vor diesen Ölzeichnungen, ähnlich wie vor einem skulpturalen Objekt, auch körperlich in Bewegung versetzt wird. William Tucker hat mit seinen abstrahierten Köpfen Objekte geschaffen, die durch ihre bewegten Gesichtszüge, durch ihre massige Präsenz im Raum Züge einer geographischen Landschaft annehmen: Der menschliche Kopf wird bei ihm Naturobjekt. Lebendigkeit und Sterben gehen damit, wie oben gezeigt wurde, motivisch einher. Die spannungsreiche Ambivalenz zwischen Abstraktion, Kreatürlichkeit und Natur zeichnen diese Werke aus.
Steine sind in den Arbeiten der drei Künstler nie Steine. Sie weisen immer über ihre Form hinaus, hin auf die Abstraktionen von Geist, Zeit, Licht, Seele und damit auf den Menschen, der ihnen gegenübertritt.
[1]Die alten Naturdichter und die neuen. (Brockes und Geßner, Stifter, Kopert usw.), zit. nach: Johannes John, Wolfgang Wiesmüller: Rezeption und Wirkung, in: Christian Begemann, Davide Giuriato (Hrsg.): Stifter-Handbuch. Leben, Werk, Wirkung, Stuttgart 2017, S. 369.
[2] Adalbert Stifter: Bergkristall, in: Bunte Steine. Erzählungen, hrsg. von Helmut Bachmaier, Stuttgart 2017, S. 210.
[3] Ebd., S. 208f.
[4] Die Bezugsebene zur Geburt Christi ist in der Geschichte immanent.
[5] In der berühmt gewordenen, weil programmatischen Vorrede (siehe Stifter 2017 (wie Anm. 2), S. 7). Darin geht er auch explizit auf seinen Kritiker Hebbel ein: „Es ist einmal gegen mich bemerkt worden, daß ich nur das Kleine bilde, und daß meine Menschen stets gewöhnliche Menschen seien. Wenn das wahr ist, bin ich heute in der Lage, den Lesern ein noch Kleineres und Unbedeutenderes anzubieten, nämlich allerlei Spielereien für junge Herzen.“
[6] Peter Schnyder: Geologie und Mineralogie, in: Begemann, Giuriato 2017 (wie Anm. 1), S. 249–253.
[7] Siehe Stifter 2017 (wie Anm. 2), Einleitung, S. 15f.
[8] Ebd. S. 10.
[9] Anja Kregeloh: Glas als Material der Kunst seit 1960, Aachen 2015, S. 23.
[10] Roger Caillois: Die Schrift der Steine, Graz/Wien 2004, S. 12.
[11]Kai Schiemenz im Interview mit Wita Noack, in: „IN FARBE“ (Ausst.-Kat. Mies van der Rohe Haus Berlin), Berlin 2017, S. 9.
[12] Susanne Altmann: Die Ordnung der Monumente. Neue Arbeiten von Kai Schiemenz zwischen archaischem Bildakt, beherzten Materialexpeditionen und unwissenschaftlichem Erkenntnisgewinn, in: Kai Schiemenz. Große und Kleine – Pistazie, Malve, Koralle (Ausst.-Kat. Städtische Galerie Wolfsburg), Köthen 2016, S. H8.
[13]Rainer Maria Rilke: Auguste Rodin, Leipzig 1919, S. 30.
[14] Siehe Marc Ries: Ohne Titel (Immanenz). Anmerkungen zur Malerei von Stefan Guggisberg, in: Stefan Guggisberg. Beginn, Berlin 2013, S. 30.
[15] Stefan Guggisberg: „Außer Fassung“. Mein malerischer Arbeitsprozess mit dem Diagramm, Diplomarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig 2008, siehe http://www.stefanguggisberg.com/Stefan_Guggisberg/Texte___Publikationen_files/ausser_fassung.pdf, zuletzt abgerufen am 23.12.2018, S. 6, 11.
[16] Ebd., S. 29.
[17] Stefan Guggisberg: „Außer Fassung“. Mein malerischer Arbeitsprozess mit dem Diagramm (Diplomarbeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig 2008), siehe http://www.stefanguggisberg.com/Stefan_Guggisberg/Texte___Publikationen_files/ausser_fassung.pdf, zuletzt aufgerufen am 23.12.2018, S. 23.
[18] Rilke 1919 (wie Anm. 13), S. 9.
[19] Diese Beobachtung ist schon vielfach gemacht worden, u. a. bei Julia Kelly: William Tucker. Oberflächen und Motive der Skulptur, in: William Tucker (Ausst.-Kat. Kunstmuseum Winterthur), Winterthur 2016, S. 23f.: „Ihre Form, Figur und ihr narrativer Gehalt lassen sich dagegen erst allmählich erahnen, nachdem man die Skulpturen aus allen möglichen Blickwinkeln und unterschiedlichen Entfernungen gesehen hat. Tuckers Rauheiten ziehen uns an, zwingen uns aber gleichzeitig, einen Schritt zurückzuweichen.“
[20] Tucker hat auf den für die Skulpturen wichtigen Unterschied zwischen Porträt und Charakter hingewiesen und hervorgehoben, „Charakter“ könne aus einem Prozess entstehen, anders als „Identität“ (in: Joy Sleeman: The Sculpture of William Tucker, Aldershot, Burlington 2007, S. 20).
[21] Ebd.
[22] Ebd.
[23] Ebd., S. 21.
[24] Ebd. Der zerschlagen anmutende „Icarus“ verknüpft diese Entstehungsgeschichte mit dem mythologischen Motivinhalt.
[25] William Tucker: The Language of Sculpture, London 31981, S. 22.
[26] Rilke 1919 (wie Anm. 13), S. 9.
[27] Ebd., S. 28.
[28] Grundsätzlich ist bei diesen Figuren auch auf den neolithischen, aufrecht stehenden Steinkreis von Avebury in der englischen Grafschaft Wiltshire verwiesen worden.
[29] Sleeman 2007 (wie Anm. 20), S. 23.
[30] Ebd., S. 23f.
[31] Dieter Schwarz: Die Unschuld der Skulptur, in: Tucker 2016 (wie Anm. 19), S. 54.
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kaischiemenz-blog · 7 years ago
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Ineinander, 2018 Terrazzo, Pigment, Keramik 48 x 30 x 12,5 cm
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kaischiemenz-blog · 7 years ago
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Threshold
Truly, Kai Schiemenz cannot be accused of indissoluble loyalty to genre and material. With him, everything is subject to a free volatility, from wood through steel to mixed materials, implemented and realized in installations, large constructions, and objects. Whereas he built whole stage sets, theaters, and arenas out of wood or tossed out steel beams as pick-up sticks of light, most recently he has been busy with glass, this undercooled glossiness and its magical ability not only to let brightness and light through, but also to store light auratically: volumetric compositions, exposed to the alchemical play of a hardly calculable coloration of this archaic material. This testified to a beauty of objects, which was long scorned as a concept and goal.
In Leipzig, Schiemenz shifts to yet other materials and other forms of presentation, to artificial marble bound in Acrystal resin and poured into cardboard; remnants remain attached, torpedoing the smooth wholeness. These compositions are not strictly geometrical, but free abstractions of the volumes. But added to this is a series – no, a whole collection – of more sculptures that pose riddles. Here a hand, there a head, in the back an arm fragment. What is this, what drives these searching movements in material and arrangement? Astonishingly enough, the Leipzig assembly displays a turn toward representational, figurative depiction. Suddenly arms grow on a constructivist sculpture. The logical construction of the directions and forces is reformulated into a sensual body. Here, a narrative aspect enters the design that, from a distance and approximately, says: Thou shalt make unto you an image again, return from the emptiness of abstraction to fleshly-pictorial fullness. Is this the case?
In a conversation, Schiemenz and I found ourselves in a dispute over two German terms – and at our limits. I asked him what he calls his objects, Skulptur or Plastik. Skulpturwas his prompt answer, before a quiet hesitation began; Plastikwas too Western, in his view. All of a sudden, Germany's division echoed and fulminated through the art space, the bad sign of 20th-century German history, because my feeling for language, too, wanted to place Skulpturand Plastikto the east and west of the Wall, respectively. Neither of us found the precise thought. Because already around 1900 – that is, long before the later political confusion – the encyclopedias wrote that "the terms Plastik,Skulptur, and Bildhauereiare usually used synonymously". Hardly any specialists still adhere to the distinction that a Plastikinvolves adding material (for example, clay), while a Skulpturarises through the elimination of material (chiseling, blows, hollowing). Decisive is that both are forms of Bildhauerei– and this term should be carefully considered, as well, because it is seldom used anymore. Hauen– to hit or hammer; Bild – a picture. Physically active chiseling, thinning, squeezing, hitting, always to bring a picture into the world. Apparently, Kai Schiemenz is on his way to this, on the threshold from abstraction to concretion, from the informal to the corporeal.
But after the century of abstraction, this doesn't seem to develop without fright and violence. In the room stands a small sculpture titled "Rumpelstiltskin". It is a harmonious, dancer-like figure with beautiful proportions. The overlong arms rise from short, stamping legs, in order to – well, what? To tear in two the head, which has already cloven appallingly. Rumpelstiltskin is a Lar, one of the unobtrusive gods whose task is to protect the threshold and who is to be respected, tended, and listened to. He is the magician of transitions, until he himself is unmasked, exposed, and cleared up by name in the literal sense.
But precisely this sculpture is made of plasticine, an impermanent material; Kai Schiemenz takes his threshold lore to the point that he lets its gods disappear again immediately. Is this the enigma of the exhibition's mysterious title, which, obstreperous and banal at the same time, refers to flipping a fried egg and letting it turn and twist? Picture and representationalism – turned once more and fried again from the other, the abstract side? Who can know?
Text by Gerwin Zohlen Translated by Mitch Cohen
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kaischiemenz-blog · 7 years ago
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Kai Schiemenz, "Once Over Easy"  in Gallery Eigen+Art, exhibition view, photo: Otto Felber
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kaischiemenz-blog · 8 years ago
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'Das Lächeln der Moderne', glass, Biquit Porzellanrepliken von Göbel mit Intarsien, 2017, Mies van der Rohe Haus, Berlin
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kaischiemenz-blog · 8 years ago
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exhibition view 'In Farbe' at Mies van der Rohe Haus, Berlin, 2017
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kaischiemenz-blog · 8 years ago
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IN FARBE
'Wo das Unsichtbare und die Vorstellungen anfangen, beginnt dieses verführerische Schimmern'
  Wita Noack im Gespräch mit Kai Schiemenz
    WN       Was geht dir durch den Kopf, wenn du an diesen Ausstellungsort denkst?
  KS       Die ganze Geschichte! 
  WN       Denkst Du an deine Kindheit hier in der Gegend am Obersee? Meine Frage zielt ganz konkret auf die Räume des Mies van der Rohe Hauses, denn deine Themen sind ja Raum, Architektur und Skulptur. Und bei diesem Haus wurde der Raum schon einmal ganz radikal neu definiert. Du zeigst hier Kunstwerke in einem Kunstwerk.
  KS       Ich kenne dieses Haus seit meiner Kindheit, allerdings vor allem aus der Perspektive über den Obersee. Da konnte ich nicht allzu viel erkennen. Erst später besuchte ich hier die Ausstellung eines Kollegen. Da war ich zum ersten Mal hier und dachte: Was für ein schöner Ort! Was für eine charmante Villa!
  WN       Du bist Jahrgang 1966 und wurdest in Erfurt geboren. Wann bist du nach Berlin gekommen?
  KS       Mit zwei Jahren. Ich habe hier um die Ecke in der Konrad-Wolf-Straße, die zu meiner Zeit Berliner Straße hieß, gewohnt. Meine Eltern erzählten mir von diesem Haus, das Mies van der Rohe gebaut hatte Alle waren damals ganz scharf auf das Bauhaus. Für mich war aber die Regenwasserkanalisation am Obersee viel interessanter. Dort sind wir immer reingekrabbelt und haben Forscher gespielt. Wir sind eigentlich überall reingestiegen, auch in die alte Löwenbrauerei.
  WN       Liegt hier in Hohenschönhausen auch der Beginn deiner künstlerischen Betätigung?
  KS       Ich glaube es war eine Mischung aus kindlichem Forscherdrang und Freude am Fabrizieren. Meine Eltern ermöglichten mir vieles. Ich bekam im ehemaligen Luftschutzkeller eine Art Werkstatt eingerichtet, in der ich fast alles bauen konnte: Figuren, ein U-Boot und vieles mehr. Ich erinnere mich, dass ich einmal einen Vogel schnitzte, den ich in der Assyrischen Sammlung im Pergamonmuseum gesehen hatte. Das ist eine der wenigen Arbeiten, die ich aus meiner Kindheit retten konnte. Meine Eltern sind gerne mit mir in die Berliner Museen gegangen, und offenbar habe ich diese Besuche auch genossen. Es gab beispielsweise eine Ausstellung über die Kunst der Azteken, an die ich mich noch gut erinnern kann. Die wurde damals im Foyer des Maxim Gorki Theaters gezeigt, glaube ich zumindest. Eine großartige Ausstellung. Wenig später habe ich den Vorgarten meiner Eltern mit ‚riesigen‘ Aztekenköpfen verziert. So war das damals mit der künstlerischen Betätigung.
Später zur Wendezeit habe ich hier in der Nähe an der Kunsthochschule in Weißensee angefangen zu studieren. Das war für mich eine Zeit des Aufbruchs. Für viele Lehrende war es wohl eher das Gegenteil. Deshalb wechselte ich gleich an die UdK. Da konnte ich die ganze Westkunst aufsaugen …
  WN       … bei Lothar Baumgarten.
  KS       Lothar Baumgarten war gut, ebenso Katharina Sieverding. Es gab nicht viele, die mich interessierten, denn die HdK, heute UdK, speiste sich aus Professoren, die in den 1980er-Jahren meist als Maler berufen wurden. Was mich nicht weiter berührte, denn mein eigentliches Interesse galt Fragen, die sich um meine Herkunft, meine Ostvergangenheit drehten. Ich empfand es als Glück, dass ich die Wende mit Anfang Zwanzig erlebte. Viele, die nur ein paar Jahre älter waren, haben mit ihrer Kunst sehr weit entfernt vom öffentlichen Interesse gestanden. Sie sind dann auch in der West-Kunst nicht mehr aufgetaucht. Eine ganze Generation von Ostkünstlern ist im Westen unsichtbar geworden, vergessen. Aber mein Interesse, in die Vergangenheit zu schauen, ging über die Zeit im Osten hinaus hin zur Klassischen Moderne.
  WN       Kann man vor dem Hintergrund der Moderne über den Osten reflektieren?
  KS       Ich denke: Das ist das Bauhaus, das ist der Stil, der in die Gegenwart hineinragt. Man geht durch das Haus Lemke, das heutige Mies van der Rohe Haus, und es ist alles so erlesen, die Türgriffe, die Öffnungen und der kleine Innenhof...
Ich kann nicht genau sagen warum, aber in vielen meiner Arbeiten beziehe ich mich auf die Moderne. Vielleicht liegt es daran, dass die Moderne so stark in meine Kindheit hineinspielte oder dass letztendlich die Moderne ja fast alles sein kann, was mit einem Umbruch zusammenhängt. Das Wort selbst spricht ja von Gegenwart, von Neuzeit, von einem Irgendwie-mit-dabei-Sein in einer neuen Zeit und hatte genau deshalb auch viel mit meiner Vergangenheit im Osten zu tun.
‚Zukunft‘ war in der DDR eine wichtige Größe. Man bezog sich immer auf Entwicklungen, die erst noch kommen sollten. Wir lebten im real existierenden Sozialismus, aber jeder wusste, ‚das war eine Übergangszeit‘, irgendwann würde der Kommunismus kommen, in dem es kein Eigentum mehr geben sollte. Das Wort ‚Zukunft‘ gewann dadurch an Bedeutung. All die Bücher, die es in meinem Bücherschrank gab, hatten etwas mit der Reise in die Zukunft, ins All oder der Erforschung von etwas zu tun. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass mich die Russische Moderne und der Konstruktivismus so berührten. Und dann ist da noch ihr tragisches Scheitern. Es fiel mir nicht schwer, mich darauf zu beziehen. Bei Mies war es anders, er war zum Schwergewicht geworden. Nachdem er Deutschland in der Nazizeit hatte verlassen müssen, gehörte er dann zu den führenden Architekten in den USA.
  WN       Haben auch deine Archiskulpturen mit dem Thema Ost-Moderne zu tun?
  KS       Der russische Konstruktivismus in den 1910er- und 20er-Jahren war auch eine politische Bewegung. Nach dem Motto: Wir bauen etwas, was es eigentlich nicht gibt. Wir erfinden ein neues Zusammenleben. Dieser Gedanke floss in der einen oder anderen Weise in meine Skulpturen mit ein. Meine großen Skulpturen waren anfangs begehbare Architekturmodelle, 1:1-Modelle, bei denen der Besucher unversehens auf eine Bühne gestellt wird und sich in einer Situation wiederfindet, in der er beim Beobachten beobachtet wird. Es lassen sich aber auch Ansätze aus Performancekonzepten der 1960er-Jahren in ihnen finden.
  WN       Kommen wir zurück zur Ausstellung: Die grüne Glasskulptur Rungholt scheint formal wieder den Bogen zur Klassischen Moderne zu schließen. Du bist ja über die Thematik „Glas“ in die von Julius Weiland konzipierte gleichnamige Ausstellungsreihe ins Programm des Hauses gekommen: Was bekommen die Besucher hier zu sehen, Glasskulpturen oder Rauminstallationen, oder beides?
  KS       In der Ausstellung berühren sich zwei Themen. Als erstes natürlich das Thema Glas und dann die Frage meines Umganges mit Mies van der Rohe und mit der Moderne. Anfangs konnte ich mir vorstellen, eine Brücke zwischen beiden zu schlagen. Später erschien mir die Brücke eher wie eine Grätsche, ein Spagat, der schwer zu halten war, und jetzt bleibt es einfach beim Glas.
  WN       Was reizt dich eigentlich so am Material Glas?
  KS       Bei Glas, wie auch bei Wasser, kannst du durch die Oberfläche hindurchschauen. Glas ist dem Abwesenden verwandt. Normalerweise endet die Sichtbarkeit direkt an der Oberfläche von allem. Dahinter fangen die Vorstellungen und Mythen an. Und beim Glas gibt es plötzlich dieses Darinnen, dieses Dahinter. Man schaut ins Material hinein, da ist eine Blase, tiefer drinnen wird es dunkler und dann bildet sich plötzlich negativ die Rückseite ab. Das heißt: Da wird etwas hinzugefügt, was sich an der Oberfläche bricht. Wo das Unsichtbare und die Vorstellungen anfangen, beginnt dieses verführerische Schimmern. Von dort ist es dann auch nicht mehr weit bis zu einer Arbeit wie Rungholt. Rungholt ist Teil einer Reihe von Skulpturen, die sich auf im Meer versunkene Städte beziehen. Vineta, Rungholt, Rethra, Ys sind einige dieser Orte, die seitdem, halb sagenhaft, halb historisch, den Horizont der Nord- und Ostsee mit Fantasien beleben. Da geht es um Projektionen: etwa die Hybris einer Stadt und die darauf folgende Katastrophe als Strafgericht der Götter, die von den Folgen der Vermessenheit und dem Hochmut der Bürger der Stadt erzählt. Dieses Imaginieren der Städte unter Wasser, so erscheint es mir, ist der Betrachtung der Glasskulpturen ähnlich.
  WN       Du störst dich nicht daran, dass das Material Glas mit seinen besonderen Eigenschaften vielleicht auch zu schön wirken könnte?
  KS       Das ist grade ein interessanter Aspekt: der Hang zum Kunstgewerblichen, zur Veredelung. Das andere, was Glas so anziehend für Skulpturen macht, ist, dass sich der Prozess der Umsetzung nur sehr schwer steuern lässt und dabei eigentlich fast nie das Erwartete entsteht. Meine Skulpturen sind meist groß und grob. Manchmal gibt es eine Fläche, die wie ein Fenster poliert wird. Diese Arbeiten haben eine starke Verbindung zu meinen partizipativen Skulpturen. Sie laden den Besucher ein, lächeln ihn erst mal an, wecken das Begehren. Sie verhalten sich so, als wollten sie mit dem Betrachter die Position tauschen, ihn zum Erstarren zwingen.
  WN       Deine Glasskulpturen werden in Böhmen auf traditionelle Weise in einer Werkstatt in Handarbeit hergestellt. Die einzelnen Schritte bei der Fabrikation des Glases bleiben sichtbar. Du spielst mit der Materialität und thematisierst die Bearbeitungsspuren. 
  KS       Wo endet das Kunstwerk und wo fängt es an? Natürlich sind die Glasskulpturen das Endprodukt. Andererseits sind sie ein Speicher und Zeugen der Herstellung, und der Prozess der Herstellung wiederum ist auch ein Prozess der Aufladung. In eine solche Skulptur, fließt eine Menge Zeit, Geld und Energie, es fließt eine ganze Kette von Kulturtechniken hinein. Erst kommt die Zeichnung, dann wandelt sich die Idee in ein Modell aus Styropor um. Das wird zu den Glasmachern transportiert, wo ein Silikonabdruck entsteht. Der wird zur Gussform, die mit Glasstücken befüllt in den Ofen kommt und bei circa 1000 Grad in die Form schmilzt. Dieser Prozess kann bis zu vier Wochen dauern. Danach kommt die Skulptur erkaltet aus dem Ofen, wie ein roher Diamant in weißem Zuckerguss. Dieser wird beseitigt, manchmal werden Überstände abgetragen, manchmal wird etwas poliert oder geklebt. Du siehst, es ist ein sehr langer Prozess, bei dem eine Menge schiefgehen kann. Immer wieder wird die Form in ein anderes Medium übersetzt. Hinzukommt, dass alle Beteiligten eigene kulturelle Vorstellungen vom möglichen Ergebnis haben. Diese fließen genauso in die Skulptur mit ein und beeinflussen das Ergebnis. Alle diese Tätigkeiten bleiben in der einen oder anderen Weise in der Skulptur sichtbar.
  WN       Lass uns noch über die Arbeiten sprechen, die aus diesem Rahmen fallen. Du zeigst hier erstmalig in einer Ausstellung zwei Köpfe. Sie sind aus Biskuitporzellan gearbeitet und haben in der Stirn eine Glasintarsie.  
  KS       Genau. In diesem Fall mache ich es nicht aus Glas, sondern aus farbigem Kunststoff. Das ist mein kleiner Tribut an das Thema der Moderne. Diese Skulpturen sind aus einem Geist heraus entstanden, den ich mit dem Aufkommen der Moderne verbinde.
  WN       Inwiefern?
  KS       Die Moderne hat viel mit Architektur zu tun, ob es sich um Malerei handelt, um Skulptur oder um Farbenlehre. Die Architektur wird als einzigartige Kunst- und Kulturrichtung wahrgenommen, eben wie das Beispiel dieser Villa. Auf der anderen Seite brauche ich nur aus dem Fenster zu schauen, dann sehe ich diese Plattenbauten, in denen sich auch die Idee des Bauhauses wiederfindet. Sie sind jedoch nicht nur der Verbindung von Ästhetik und Funktionalität, sondern vor allem der Ökonomie der Zeit geschuldet und haben kaum noch eine Verbindung zu dieser herrlichen Villa.
  WN       Und die Köpfe?
  KS       Das ist eine persönliche Geschichte. Ich verbrachte die Sommerferien immer bei meinen Großeltern. Es war eine großartige Zeit, weil ich viel mir selbst überlassen war. Meine Großeltern wohnten in der Nähe von Gotha, in Neudietendorf. Sie hatten im Wohnzimmer über dem Fernseher Porzellanrepliken von den berühmten Stifterfiguren aus dem Naumburger Dom. Ich war fasziniert von diesen zwei Köpfen, die vom Mittelalter zeugen sollten und über dem West-Farbfernseher hingen.
  WN       Und jetzt stehen Reminiszenzen an diese Figuren, mit einer Einlegearbeit versehen, in deiner Ausstellung?
  KS       Ich verwende in der Ausstellung andere Porzellanköpfe, die nicht so direkt auf die Uta weisen, denn die Uta ist in den 1930er-Jahren zur Nationalikone und First Lady der Deutschen stilisiert worden. Aber die ursprüngliche Idee der Arbeit bezieht sich auf die originale Stifter-Figurengruppe aus dem Naumburger Dom mit der schönen Uta und dem Ekkehard. In den 1930er-Jahren fing man jedoch an, die Uta als Wandbüste oder Fotografie millionenfach zu vervielfältigen, sie fand sich so in vielen Wohnzimmern als Replik wieder. In dieser Vervielfältigung steht die Uta-Figur eben nicht für das Mittelalter, sondern für ihren Missbrauch in der Moderne.
  WN       Wie passt das mit dem Mies van der Rohe Haus zusammen?
  KS       Die Moderne und die industrielle Massenproduktion sind Teil voneinander. Das Haus Lemke ist da eher ein Sahnehäubchen der Moderne.
  WN       Und in den Köpfen für die Ausstellung bringst du diese Welten nun zusammen?
  KS       Ich zitiere Bauhaus-Malerei, wie Walter Dexel oder El Lissitzky, und diese Zitate werden auf die Gesichter projiziert und als Intarsie eingelegt. So treffen in der Skulptur zwei verschiedene Arten von Kulturverständnis zusammen, die fast unabhängig voneinander, aber zur gleichen Zeit nebeneinander existierten. Der Schlüssel ist die industrielle Produktion.
  WN       Über die Jahrhunderte und Stilrichtungen hinweg hast du in einer Collage das zusammengebracht, was unmöglich zusammengehört. Ist das auch eine Kritik an erstarrten Formen?
  KS       Das ist Sampling. Man legt eins in das andere, blendet sie ineinander und plötzlich entsteht etwas Drittes. Manchmal funktioniert es.
  WN       Vielen Dank für das Gespräch
 Mies van der Rohe Haus, Ausstellung 'In Farbe' 2017
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kaischiemenz-blog · 8 years ago
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Big Shapeshifter II, 2016, Keramik
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kaischiemenz-blog · 8 years ago
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STONES! STONES?
It was probably only a matter of time before Kai Schiemenz, who trained as a stonemason, found his way back to stone – at least in the motto of his exhibition “STONES”. But he doesn’t fulfill this verbal promise “one to one”. You’ll seek in vain for hewn blocks here. But let’s look back briefly at Schiemenz’s large and small form composites of multicolored Styrofoam (2015/16). Didn’t they, too, always circle around the problematic of stone masonry? These rapid, almost sketchy constructions, steles, and pillars seem like playful replicas of the traditional slowness of working in stone, of its dignified gesture, and of irreversible decisions about form. Nothing about them is set in stone. In this way, the Styrofoam objects nonchalantly undermine the authority of stone in art and architecture.
 But forward into the present: to the degree that Schiemenz not only presented such light objects autonomously, but also used them as molds for his newer cast glass objects – as transitional bodies, so to speak – he must have thought as much about stone as the trigger of. I deliberately write “trigger”, because we still do not see any stone sculptures in the current presentation, but a variety of other materials: ceramics, aluminum, wood, and glass, of course. Primarily opaque glass bodies in different colors. In its material compactness, glass comes recognizably closest to stone. And that’s not all: these are cast-glass replicas of artistically processed stones. The translation of the form from one substance to the other, alone, testifies to an achievement, demanding in terms of design as well as technique, as well as to pleasure in craftsmanship. But equally fascinating is the intellectual dimension of this decision, because the material, stone, however it is given shape, usually stands at the end of a creative process: after drawing and a clay or plaster model. But in Schiemenz’s current works, the stone, too, is a transitional body and not the concluding artistic statement.
 This mental game with transformation undoubtedly began during Kai Schiemenz’s many years working in the glass workshop of Zdeněk Lhotský in Bohemia. Doesn’t the production of an artificial solid material of silicate and minerals repeat geological-historical processes in miniature? The encounter of substances whose metamorphosis through extreme heat and then cooling leads, in nature, to forms that can never be fully calculated. The analogical craftsmanship or industrial processing in glassmaking uses these chemical and physical reactions in a controlled way, but, especially with colored glass, a certain alchemical mystery nonetheless remains. Traditional recipes of the glassworks and glassmakers’ old experimental knowledge play a role. Liquefaction, the admixture of coloring metals or trace elements, the temperature, and the hardening do not necessarily lead to the desired results; this creative uncertainty always thrills Kai Schiemenz.
 And here, too, the physically absent stone transcends its function as mere casting form, because Kai Schiemenz uses basalt that he found in a quarry in the Lusatia region. Like a classic sculptor, he drew geometrical forms out of these boulders. These cubes grow as if organically out of the basalt, and sometimes they interlock. Incompletely formulated, they sacrifice a possible perfection to the primal rawness of the stone. Basalt in particular is an astonishing natural form whose serial symmetry and formations that seem as if designed have long inspired artists and landscape architects. For example, in his Wörlitzer Park, Prince Leopold III of Anhalt-Dessau not only erected an artificial volcano, but also a veritable platform of basalt from Saxony at its feet. This served as both an aesthetic example of artful creation and as a natural-scientific specimen. By being set up beside the miniature Vesuvius, this installation includes a statement, a taking of sides in the 19th-century’s learned controversy between the Neptunist and the Plutonist School. Adherents of the latter were (rightly) convinced that this wondrous stone was not, as their adversaries claimed, oceanic sedimentary stone, but rather abruptly cooled magma. This “basalt controversy” was only partly about proving who was geologically right; it was also about nothing less than the origin of the world – whether from the sea or from fire. So, basalt not only has an inspiring form symmetry, but also a cultural-historical dimension. Schiemenz’s choice of hard basalt and glass technology thus functions as a symbolic reference to its emergence from fluid. In addition, the artist arranges the objects in a landscape of pedestals. And after we have descended into it, we may feel a little as if we were in an (abstract) grotto. For this situation, Schiemenz skillfully uses the quasi-underground structure of the gallery space as a setting and associational signpost pointing into the interior of the earth.
 Along with the aforementioned protagonists – invisible stone and visible glass – the exhibition “STONES” offers further surprising material summersaults. The textured aluminum plaques, for example, are also cast “translations” of wooden panels coarsely trowelled with structure paste. Kai Schiemenz calls them “technically produced pictures in which the artistic act initially appears extremely reduced”. The ensuing casting in a shimmering material offsets this impression, of course, especially because more sensations occur on the surface. Schiemenz lays colored geometries over it; their matte finish seems oddly familiar. Right: we know this finish from everyday life, from banal objects with would-be glamour: ice cream tubs, siphons, flashlights, ballpoint pens… anodized (electrolytically oxidized) aluminum) is the magic formula with which Schiemenz stages his reading of Pop Art. He does not carry out his ennobling of the profane by holding consumer goods ichnographically aloft, but by using this technology that is seldom associated with art. He thereby remains true to himself as a keen-witted border crosser, because his appropriation of glass and ceramics successfully challenges the trivializing typecasting of such products as arts-and-crafts. No wonder: Kai Schiemenz’s passion is initially for the material processes and as yet unattempted metamorphoses – i.e., the respective process itself – and only afterward for the possible result. A true alchemist gains entry through the back door.
 Text by Susanne Altmann
Translation by Mitch Cohen
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kaischiemenz-blog · 8 years ago
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Stones/ Steine at Eigen + Art Berlin, 2016
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kaischiemenz-blog · 8 years ago
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exhibition view ‘Stones’ at Eigen + Art Berlin, 2016
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kaischiemenz-blog · 8 years ago
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  Squares (purple), at Gallery EIgen + Art, 2016, anodized aluminium
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kaischiemenz-blog · 8 years ago
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Bars and Strips II, 2016, pen and ink, 42 x 29,5 cm
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