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Text
Eine Metapher ist sehr wichtig, um den menschlichen Körper zu denken.
Im vorliegenden Fall verwenden wir viele militaristische Metaphern: Kampf, Ausrottung, an der Front, Kollateralschäden…und so weiter.
Ja, es wird Kollateralschäden geben.
Ja, wir stehen an der Front bereit.
Ja, wir befinden uns im Kampf gegen den Feind.
Ja, wir werden ihn ausrotten.
Nur ist der Feind mikrokosmisch klein, mit dem blossen Auge nicht zu erkennen, er ist in uns und an uns (zuweilen fragen wir uns: Sind wir uns selbst der Feind? Aber das ist bloss die natürliche Anmassung des Menschen, alles auf sich selbst zu beziehen.)
Max Weber schrieb einst, vor ein paar Jahren: Wir versuchen die Zukunft zu berechnen, um sie zu beherrschen.
Die Zukunft ist wie das Wetter:
Wir versuchen, sie zu planen, sie vorherzusagen, aber 50 % sind halt noch immer keine 100 %.
Da müssen wir jetzt auch mal ehrlich sein.
Wenn die Wettervorhersage sagt, dass es zu 50 % regnen wird, dann heisst das eben nicht mit absoluter Sicherheit, dass es regnen wird.
Es regnet wahrscheinlich immer dann, wenn man grad keinen Schirm dabei hat. Und wenn man einen Schirm dabei hat, naja, dann regnet es vermutlich einfach nicht.
Und wenn die Menschen sich nicht mehr über das Wetter empören können, worüber empören sich die Menschen denn stattdessen? Die Menschen reden und reden und reden, als wäre es die einzige Möglichkeit, zu überleben, die Überlebensregel: Wenn du aufhörst zu reden, bist du tot.
Und weil sie jetzt nicht mehr so viel reden können, bzw. weil sie weniger Publikum haben, das zuhört, veröffentlichen sie all die unnötigen Worte, in die sie ihre unbeachteten Gefühle hineinzuverpacken versuchen, im Internet.
Problem Nummer eins: DAS INTERNET
Das Internet hat schon lange keine Lust mehr, es fühlt sich wie ein Müllhaufen für Worte (mit schlimmer Rechtschreibung und falscher Grammatik) und vor allem für Gefühle, vorwiegend der solchen negativen wie Angst, Geiz, Neid, Hass und Wut.
Das Internet leidet an einer Überdosis Bullshit (dieser Text gehört definitiv auch dazu).
Ich betrachte ein Graffiti auf der Mauer gegenüber und denke darüber nach, wie viele Menschen sich schon darüber aufgeregt haben, damit sie etwas zum Reden haben, und in wie vielen Internetforen sich Menschen schon gegen Graffitos ausgesprochen haben, damit die Foren voll wurden, frei nach dem Motto: Ich habe keine Antwort auf deine Frage, aber ich habe noch viel mehr Wortmüll, noch viel mehr zu sagen, es ist alles unnötig, niemand möchte das wissen, aber hier, friss, meine Wortschwemme ist wichtiger als dein Leiden, mein Leiden ist so gross, da sind all deine Worte, die du nicht dafür findest, verlorener als ein einsamer Mixer, der aus einem Raumschiff rausgeschmissen wurde, weil er zu laut war, und nun als Weltraumschrott irgendwo im Weltall abhängt.
Es war eine schöne Angelegenheit in Cafés zu sitzen und Gesprächen zu lauschen, kleine Einblicke in die Leben anderer Leute zu bekommen, und sich wieder auszuklinken, sich wieder dem mitgebrachten Buch zu widmen und die Gespräche Gespräche sein zu lassen. Die Gespräche im Internet schreien mich an, und ich kann nicht weg, ich muss hinsehen, ich muss die Worte aufnehmen, durch mich hindurch, und ich kann nicht mehr aufhören, kann nur weiterklicken und noch viel mehr (falschgeschriebene) Worte und noch mehr Gefühlschaos und noch mehr Ängste und Sorgen und Disharmonie und Beurteilen und Rechthaben und HEILLOSE ÜBERFORDERUNG. Ich muss mich von diesem Internet trennen, jetzt, sofort, scheiss auf social distancing, das, was ich jetzt brauche, ist social media distancing.
Ich bin online, während ich mit mir selber Wein trinke, ich bin online, wenn ich mit mir im Bett liege, ich bin online, wenn Daniel Koch im Fernsehen kommt und ich bin online, wenn meine Mutter anruft.
Ich habe schon lange nicht mehr so viel Senf ertragen und eigentlich schmeckte mir Senf nie besonders gut.
FIONA schreibt eine SMS Hei, Internet. Ich mach Schluss. Sorry. LG. Fiona
Das andere Problem ist der Kühlschrank.
FIONA Ich wäre jetzt gerne an einer Party mit meinen Freunden, von mir aus mit schlechter Musik und Vodkashots.
KÜHLSCHRANK Hier, trink eine Flasche Rosé.
FIONA Alleine?
KÜHLSCHRANK Kichert hinterlistig Dir bleibt nur noch Blondie - und eine Flasche Rosé!
FIONA Ich würde jetzt lieber in einem Zug sitzen und nach Wien fahren.
KÜHLSCHRANK Hier, ich hab Schnitzel, das hilft gegen Sentimentalitäten. Und wenn du dann immer noch Hunger hast: Das Internet hat uns einen Einblick in die Speisekarte des Boardrestaurants der ÖBB zum Geburtstag geschenkt. Wir können uns gerne da durchfuttern. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Lachsfrühstück? Oder einem Scheiterhaufen mit Beeren-Apfelröster? Oder einem Käsekreiner?
(Ja, das Board-Restaurant der ÖBB hat durchaus ein sehr reichhaltiges Angebot).
KÜHLSCHRANK Ach und du siehst irgendwie ein bisschen deprimiert aus heute, wie wärs denn mit einem Spritzer zur Aufmunterung?
FIONA Ich hatte heute schon zwei…
KÜHLSCHRANK Komm schon, zwei, das ist doch noch gar nichts! Wien vermisst dich bestimmt auch sehr und so kannst du wenigstens im Geiste mit ihm anstossen.
Und so weiter und so fort… Sie sehen das Problem.
Was ich jetzt wirklich viel lieber tun würde:
Tauben vergiften im Park
Eine romantische Revolution starten
Nicht darüber nachdenken, was mein Leben wert ist
Und ich bin froh, dass ich am letzten Sonntag noch den ganzen Tag in der Sonne lag.
Damals, als man noch Witze versucht hat zu reissen, angesichts der gegenwärtigen Lage, aber eine dunkle Wolke breitete sich trotz den heissen Sonnenstrahlen immer mehr aus, wie ein Damoklesschwert über den wolkenlosen Himmel.
Schwebte über dieser Menschentraube, die sich an diesem herrlichen Sonntag im März fast schon verzweifelt ertrinkend in Alkohol am Leben festzuklammern schien.
Nur nicht die Fragen aufkommen lassen, dann gehts schon.
Wie ist es denn, alleine zu
Wie verschieben sich die Priorisierungen
Wie können wir
Ein letztes Mal aufbäumen
Ein letztes Mal Gesellschaft bevor man versucht
Sich all dem zu entziehen und
Wen will man noch sehen bevor man
Und trotzdem schaut man auf sein Handy
Und zählt die Toten
Exponentielles Wachstum
Züge werden erst existent, wenn sie ineinander rein fahren. Diese ganze Situation muss man sich also einfach wie zwei Züge vorstellen, die miteinander kollidiert sind. Unbeabsichtigt dabei: Kollateralschäden. Hier sind wir wieder bei der Kriegs-Metaphorik angelangt.
Wenn der Frühling kommt, werden wir immer Tauben im Park vergiften gehen. Nur diesen Frühling nicht, diesen Frühling sitzen wir alle zu Hause und warten und haben Angst und versuchen die Angst durch das Internet zu verarbeiten. Das Hadern und Zweifeln, das Selbstbefragen.
Es gibt für uns keine Räume mehr, in denen wir uns versammeln, um revolutionäre Gedanken miteinander auszutauschen und zu teilen. Diese Räume sind jetzt das Internet. Und niemand kann unterbrochen werden, jeder kann seine Wortschwemme einfach rauskotzen und dann ist sie nicht mehr tot zu kriegen, sie breiten sich aus, fast noch schneller als ein Virus.
ich will was anderes, ich will alles anders und ich will mein Herz nicht gebrochen und ich will nicht neben dir liegen, weil du saugst mich aus, du saugst mich sogar dann noch aus wenn da schon keine Luft mehr in mir drin ist. Deine Begeisterung macht mich sauer, zum Ausrasten bringt sie mich, ich bin böse ich will dass du keinen Spass hast im Leben ich will die absolute Kontrolle über dich und gleichzeitig will ich deinen Untergang.
Das grösste Problem ist immer noch Handy und Kühlschrank.
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Am Anfang war der Apfel
Fiona schreibt verzweifelt in einen Whatsapp-Chat.
FIONA Hilfe! Was verstehe ich unter einer „szenischen Skizze“?
FLO Eine Skizze ist eine Art Entwurf, eine kurze, stichwortartige Darstellung.
FIONA O Gott! Ich dachte, man müsse einfach eine Szene schreiben. Jetzt bin ich sehr verwirrt.
SOPHIA Ruf da an und frag nach!
FIONA Das trau ich mich nicht.
Fiona überlegt. Dann ruft sie Gott an. Es klingelt. Gott braucht lange, bis er ans Telefon geht. Sehr lange,
GOTT Hallo? Hier Gott.
FIONA Lieber Gott, ich habe eine Frage.
GOTT Ja, bitte?
FIONA Ich hab mir eine Szenische Skizze überlegt zu Adam und Eva im Paradies …
GOTT Eine was?
FIONA Szenische Skizze! Das Festhalten einer Idee! Das hat mit Theater zu tun…
GOTT Theater?! Wer von euch chaotischen Wesen hat sich das denn schon wieder ausgedacht? Ausserdem. Adam und Eva - das war doch meine Idee?!? Das Festhalten einer Idee? Ideen kann man doch nicht festhalten. Das ist doch was Ephemeres oder nicht?
FIONA Bitte! Konzentrier dich! Ich lese vor.
Es ist kein Vergnügen, ein böser Mensch zu sein.
Warum hast du das getan?
Was soll ich dazu sagen? Einer musste es tun.
Einer? Also du meinst einer von uns beiden?
Ja.
Entweder du oder ich?
Ja. Und da du dich ja eh nicht getraut hättest, ist es schlussendlich an mir hängen geblieben.
Aber du hast mich geradezu genötigt, in den sauren Apfel zu beissen.
Es war unser Schicksal, dies zu tun. Wie bereits gesagt, früher oder später wäre einer von uns beiden sowieso auf die Idee gekommen.
Ich wäre niemals auf diese Idee gekommen.
Dann hätte dich jemand auf diese Idee gebracht.
Nein!
Früher oder später wäre dieser Fall eingetreten, glaub mir.
Ich hätte mir das also lieber später gewünscht. Ich hätte gerne noch ein wenig länger in diesem Garten rumgehangen.
Willst du damit sagen, das sei alles meine Schuld?
Naja. Schon. Irgendwie.
Also ist es meine Schuld, dass du in den Apfel gebissen hast?
Ja.
Und es ist auch meine Schuld, dass wir jetzt nackt sind?
Sozusagen, ja.
Das heisst, wenn es mich nicht gäbe, dann wäre dein Leben jetzt besser?
Besser ist ein hartes Wort…anders, ich würde sagen anders.
Und du würdest auch sagen, du seist unschuldig?
Definitiv.
Dass dich nur wegen mir diese Strafe ereilt hat?
Ja, das würde ich sagen.
Aber… dann wärst du unfrei.
Unfrei?
Ja! Dadurch, dass ich etwas Böses getan habe, also in diesen Apfel gebissen, habe ich uns beiden die Freiheit ermöglicht.
Sagt wer?
GOTT Sagt die Weltliteratur.
FIONA Was?!
GOTT Die Weltliteratur!
FIONA schweigt
GOTT Die Bibel!
FIONA Gott, verstehst du denn nicht? Es geht darum, dass es eben nicht so einfach ist, gut oder böse zu unterscheiden, es gibt nicht nur dies oder jenes, es gibt noch wahnsinnig viele Grauzonen dazwischen!
GOTT singt Ich möchte ein Eisbär sein am kalten Polar FIONA Wieso das denn jetzt?
GOTT Na, Grauzone. Kennst du nicht? Diese Band! Eisbären müssen nie weinen.
FIONA Du hast doch dem Menschen die Sünde eingepflanzt, diese sogenannte „Erbsünde“…
GOTT Nein, nein, das ist alles ein grosses Missverständnis! Ursprünglich sollte der Mensch sein wie ich, aber dadurch, dass Eva in den Apfel biss…
FIONA Wenn es keine Äpfel gäbe, gäbe es auch keine bösen Menschen auf der Welt?
GOTT Richtig!
FIONA Aber da stimmt doch was nicht! Zum Beispiel in der griechischen Mythologie, das mit diesem Paris-Urteil, du erinnerst dich? Paris hat Aphrodite den Apfel mit der Aufschrift „für die Schönste“ zugedacht, und somit Helena gewonnen und den Trojanischen Krieg entfacht und die Welt damit eigentlich vom Gewicht der Menschheit „befreit“…
GOTT Genau damit kam das Böse in die Welt.
FIONA Mit Paris?
GOTT Mit dem Apfel! Mit Eris, der Göttin der Zwietracht, die ihn geworfen hat!
FIONA Das heisst, das Böse ist unvermeidbar?
GOTT Der Mensch erliegt immer der Verführung. Oder hättest du nicht denjenigen Gott ausgewählt, der dir den schönsten Mann versprochen hätte?
FIONA Er hätte mir ja nicht versprochen, dass der schönste Mann mich dann auch liebt?!
GOTT Goldene Äpfel sind auch schön. FIONA Wahrscheinlich aber mehr wegen dem Gold als wegen dem Apfel?
GOTT Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Allerdings habe ich dem Menschen mitgegeben, dass die Überschreitung der gesetzten Grenze eben das sein kann, was ihn antreibt. Der Mensch begehrt genau das. Und das steckt - schlussendlich, vielleicht im Biss in den wunderschön verführerisch glänzenden Apfel mit drin.
FIONA Also kommt das Böse immer durch den Apfel in die Welt…
GOTT So ist es. Aber egal, ich bin sowieso allergisch auf Äpfel. Das Vergnügen des in den sauren Apfel beissens überlasse ich gerne dem Menschen. Wie zum Beispiel dir.
Und Gott hängt das Telefon auf und eine Stimme sagt in Fionas Ohr: Kein Anschluss unter dieser Nummer. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Kein Anschluss unter dieser Nummer. Es ist endlos.
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