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“Der Islam gehört nicht zu Deutschland” - Horst Seehofer MdB, BILD
Ich sehe mir gerade bei einer Tasse Kaffee die Sendung “Hart aber Fair” der ARD an. In dieser Ausgabe geht es um den berühmten Satz von Christian Wulff “Der Islam gehört zu Deutschland”, seine Wiederholung durch unsere Bundeskanzlerin und sein Recycling und Veränderung durch Innenminister Horst Seehofer: “Der Islam gehört nicht zu Deutschland”. Der Vollständigkeit halber muss ich auch den zweiten Satz erwähnen: “Die in Deutschland lebenden Muslime hingegen schon”.
In der Sendung sitzen neben Joachim Herrmann (CSU) und Cem Özdemir (B90/DIe Grünen) Enissa Amani, eine Muslima mit Kopftuch, die sich ehrenamtlich für die Integration von Flüchtlingen engagiert, und ein Soziologe. Ich habe im Moment die ersten 11 Minuten der Sendung gesehen und musste kotzen. Nicht weil da Muslime sitzen, die Werbung für eine Religion machen könnten, die dem Konservativen in mir nicht passt. Nicht, weil die CSU wieder undurchdachte Phrasen drischt oder Enissa Amani unqualifizierte Kommentare beiträgt, die ihr zustimmenden Applaus einbringen. Wer sagt denn auch gerne etwas gegen “Gott sei Dank haben wir solche Bewegungen [Amerikanisch-Puristische Bewegungen, die ihre Töchter formell mit ihrem Vater verheiraten um damit ihre Jungfräulichkeit zu garantierten] in Deutschland nicht. Keinesfalls kann man die generalisierend für das Christentum sehen.”? Und: Wer möchte da nicht klatschen? Nur, mit der Sache hat das nichts zu tun.
Was nicht wütend macht, ist dass in dieser ganzen Reihe mehr oder minder Qualifizierter nicht einer vernünftig darüber nachdenkt, was der oben stehende Satz bedeutet oder eben nicht bedeutet.
Vom Wortlaut ausgehend (woher auch sonst?): “Der Islam gehört nicht zu Deutschland!” kann hier zwei Bedeutungen haben. Die eine meint wohl, dass der Islam nicht Teil Deutschlands ist. Die andere meint wohl, dass der Islam nicht zu Deutschland passt und deswegen nicht Teil davon oder auch nur dagegengestellt werden sollte. Um klar zu machen, wo die Unterschiede liegen:
Ersteres beschreibt einen Fakt. Dieser kann wahr oder unwahr sein, aber wenn er wahr oder unwahr ist, kann er nicht das andere sein. Sicher, da muss dann die Diskussion geführt werden, welche Menge an Eigenschaften und Umständen Deutschland ist, und ob der Islam irgendwo in dieser Menge liegt, oder eben nicht. Aber er liegt entweder darin, oder eben nicht. Auch hier geht ein bisschen schwanger nicht.
Zweiteres ist eine Wertung. Über eine Wertung kann diskutiert werden. Sie ist nicht wahr oder falsch (in den meisten Fällen), wahr ist nur, dass sie jemand vertritt. Sicher kann sie richtig sein, aber diese Richtigkeit ist nicht durch Fakten zu erzeugen.
Wir halten also fest: Wahr und richtig sind zwei verschiedene paar Schuhe.
Würden in der Sendung über erstere Bedeutung diskutiert werden, so müsste sie innerhalb weniger Minuten beendet sein. Denn: der Islam liegt unstrittig in der Eigenschaftsmenge “Deutschland”. Es stehen Moscheen in Deutschland, es gibt hier lebende, praktizierende Muslime und einige davon sind in Politik, Medien und dem kulturellen Leben Deutschlands aktiv. Ich bezweifle, dass Horst Seehofer dem widersprechen wollte. Interessanter wäre die Frage, welchen Anteil der Islam an Deutschland hat. Geschichtlich ist diese Frage leicht zu beantworten:  Abgesehen davon, dass unterschiedliche Epochen und gedankliche Strömungen unterschiedlich Stellung zum Islam bezogen haben und beziehen, beginnt der Einfluss des Islams erst in den letzten Jahrzehnten. Seit 1961 leben und arbeiten Türken (mehrheitlich Muslime) in Deutschland. Wir haben sie gebraucht um das Wirtschaftswunder zu vollbringen. Für kulturellen Einfluss hatte niemand Zeit. Der begann erst in den Jahren darauf, in der Aufarbeitung der Gastarbeiterbewegung. Plötzlich spielen die Fragen der Religion und Kultur eine Rolle für die Durchmischung von deutschen “Ureinwohnern” und Gastarbeitern. Vorher war es nur die Arbeitskraft. Wer jetzt also behaupten möchte, der Islam habe seine Rolle beim Wirtschaftswunder gespielt, dem sei gesagt: das hat er, aber eine sehr kleine. Vielmehr haben Muslime und ihre Arbeitskraft eine Rolle gespielt, nich ihre Religion. Wirklich groß wurde der Einfluss erst, als die Identitätskrise, der Kinder und Kindeskinder türkischer (und marokkanischer etc.) Gastarbeiter sich Bahn brach. Die Gastarbeiter und ihre Arbeitskraft wurden nicht mehr benötigt, ihr originärer Daseinszweck war weg. An seine Stelle trat eine Menge Zeit und die Frage, welchem Land, welchem Kulturkreis und welcher Religion man sich zugehörig fühlt. Der klassische “third-generation-immigrant-struggle” der in der Literatur in jeder erdenklichen Form aufgearbeitet wurde. Erwähnt sei hier beispielsweise die Kurzgeschichte “My Son the Fanatic” von Hanif Kureishi, die bereits 1994 veröffentlicht wurde und die den meisten aus den süddeutschen Englisch-Abiturprüfungen der letzten Jahre ein Begriff sein dürfte.
Wir können also erneut festhalten: Der Islam hat Einfluss auf die deutsche Kultur und Bildung. Er hat Einfluss auf unsere Lebensweise und sogar Eingang in unsere Abiturprüfungen gefunden. Der Islam gehört zu Deutschland, wenn auch erst seit einigen Jahrzehnten. Im Kontext der deutschen Geschichte betrachtet (ich ziehe jetzt hier der Einfachheit halber die erste althochdeutsche Erwähnung des Begriffes “deutsch” (4. Jhd. n. Chr.) als maßgeblichen Zeitpunkt des Beginns heran), spielt er jedoch eine kleine Rolle. Selbst wenn wir den spätest möglichen Zeitpunkt, die Ausrufung des deutschen Bundes 1815 als Beginn anlegen (was ich für völlig verfehlt halte), ist der Anteil des Islams ein geringer. Aber er besteht. (Kurze Anmerkung: Mir ist der Einfluss des Kalifat von Córdoba auf unsere heutige Kultur und Wissenschaft durchaus bewusst. Aber auch hier ist nicht der Islam die treibende Kraft, sondern Moslems. Hier muss aus meiner Sicht klar zwischen Einfluss des Islam und Einfluss seiner Gläubigen unabhängig vom Islam unterschieden werden.)
An dieser Stelle könnte die Talkshow beendet sein, wenn wir dieser Auslegung Seehofers Satz folgen. Die Verwendung von Begriffen und Argumenten wie der Religionsfreiheit und ähnlich großen Keulen legt jedoch nahe, dass diese Auslegung nicht alleinig gemeint sein kann. Dafür spricht hingegen die Argumentation der Kopftuchträgerin, die ähnlich argumentiert wie ich oben. So diskutieren also die “Anti-Islam-Fraktion” (ich nenne sie jetzt der Einfachheit halber einfach mal so) und die “Pro-Islam-Fraktion” auf völlig unterschiedlichen Ebenen. Die Anti-Fraktion argumentiert, warum der Islam nicht zu Deutschland gehören sollte (also auf der zweiten Bedeutungsebene) und die Pro-Fraktion, warum er es eben faktisch tut (also auf der ersten Bedeutungsebene).
Der Nachsatz Seehofers legt nahe, dass ihm dieser Unterschied bewusst ist. Er unterscheidet zwischen faktischer Zugehörigkeit und politischer Handlung und erkennt die Zugehörigkeit an, wehrt sich aber dagegen, der Religion der Einflussnehmenden politisch Rechnung zu tragen.
Diskutieren kann man eigentlich (außerhalb von kulturwissenschaftlichen und historischen Fachdiskussionen) über die Frage der faktischen Zugehörigkeit nicht. Diskutieren kann man nur darüber, ob man will, dass der Einfluss und die Zugehörigkeit weiter wächst, verschwindet, gleich bleibt oder ihr anders Rechnung getragen wird. Das möchte ich an dieser Stelle jedoch nicht tun. Wichtig ist nur zu bemerken, dass diese Talkshow schon in ihrer Anlage nicht dazu geeignet war, tatsächlich sinnvoll zu diskutieren und nicht nur zu reden. Das macht mich wütend.
Euer Hänfling
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Hallo Welt!
Jeder, der jemals irgendetwas mit Informatik zu tun hatte, beginnt seinen Blog so. Auch jemand, der wie ich nur viel im Internet unterwegs ist. Ist ja im weitesten Sinne auch Informatik. Das ist also nicht überheblich zu verstehen, ich weiß, dass ich nicht die ganze Welt begrüße. Vielleicht sollte ich lieber schreiben: “Hallo, Welt?” Denn genau darüber möchte ich schreiben. Über Politik und Religion, über Vor- und -urteile und über Vernunft. Und darüber, warum niemand mehr vernünftig ist. Warum wir alle beliebigen Narrativen folgen, anstatt uns unseres eigenen Verstandes zu bedienen. Und darüber, wo uns dass im Alltag begegnet und wie ich glaube, dass wir das vermeiden können. Dieser Blog soll auch weniger gelesen werden, sondern vielmehr dazu dienen meinen Gedankenwust zu ordnen und zu katalogisieren. Und er soll vielleicht ein kleines bisschen Hobby werden. 
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