Psychische Krankheiten werden immer noch zu oft totgeschwiegen. Fuchsteufelswild setzt sich seit einigen Jahren dafür ein, dass das Thema auch öffentlich eine Plattform bekommt. Mit unserem Blog wollen wir euch als Betroffenen oder auch Angehörigen die Chance geben, eure Geschichte zu erzählen und anderen Menschen zu helfen. Anonym und echt.
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J.
Wenn ich heute mein 13-jähriges Ich beschreiben müsste, wäre es in erster Linie stark alkoholisiert und emotional unkontrolliert. In einer Sekunde überschwänglich, in der nächsten zerfressen von Schmerz. Beides natürlich so ehrlich, wie Gefühle nur sein können. Meine Eltern hatten sich vor kurzem getrennt, was mir nicht sonderlich viel ausmachte, aber allen anderen eine Erklärung für mein Verhalten gab, sofern sie davon wussten. Natürlich war ich oft wütend, natürlich war ich unkontrolliert, natürlich habe ich mich in meinem Zimmer verkrochen – ich war ja immerhin in der Pubertät und ein Scheidungskind. Herzlichen Glückwunsch Sie haben in der Durchschnittsdeutschen Kindheitslotterie gewonnen. Mich nervten zwar diese Aussagen, machten sie mich doch nur noch wütender, trotzdem hinterfragte ich natürlich nicht, wieso ich bin, wie ich damals war. Mit 17 wurde es mir dann schließlich zu viel. Kaum ein Wochenende zog ins Land, ohne dass ich komplett betrunken irgendeine Scheiße gebaut habe. Außer kotzen. Gekotzt habe ich nie. Aber dafür allerhand meiner Freundschaften sabotiert, mir die Hände an Häuserwänden blutig geschlagen, meine großen Lieben zerstört, oder das, was ich mit 17 dafür hielt, und mich in die offenen Arme meines ewigen Selbstmitleids begeben. Irgendwann habe ich sogar mal versucht mit Deo eine Bindehautentzündung zu provozieren, damit ich nicht in die Schule musste. Was im Nachhinein so dumm ist, dass ich darüber lachen muss, war damals ziemlich real für mich. Ich war der festen Überzeugung so viel Schmerz empfunden zu haben, dass mich nun nichts mehr schocken kann. Ich kenne mich, ich weiß wie Gefühle funktionieren, wo sie herkommen. In Ermangelung an Hilfe und Weitsicht machte ich also recht schnell zwei Ursachen für mein Befinden aus: Alkohol und Emotionen. Beides vermied ich darauf hin. Nach einem Jahr der Abstinenz in Bezug auf Alkohol fing ich wieder langsam wieder an, etwas zu trinken, etwas anderes jedoch boykottierte ich weiterhin. Ich war innerlich leer, ohne es damals zu bemerken. Da war nichts mehr. Zwar hatte ich keine wirklichen Glücksgefühle mehr, aber auch keine dunklen Tiefen mehr. Das war – zu diesem Zeitpunkt – alles, was ich wollte. Die darauffolgenden Jahre festigte sich dieser Zustand. Ich war emotional unnahbar, habe mit niemanden über mich gesprochen, habe niemanden an mich herangelassen, mich weiter isoliert. Einige Frauen wagten den Versuch und zahlten dafür auf der Gefühlsebene. Ein Umstand, der für mich scheinbar schlimmer war, als für sie, denn er brachte mich dazu, mich langsam immer mehr selbst zu hassen. Ich dachte und denke es heute oft immer noch, ich sei eine Belastung für jeden, der mir zu nahe kommt. Ich würde früher oder später jeden verletzen und – das ist vielleicht die Quelle all dem – ich bin es nicht wert, geliebt zu werden. Meine Mutter könne es nicht, mein Vater wolle es nicht, meine Freunde sollten nicht und meine Freundin denkt sie könne es, kann es aber nicht. Eine selbsterfüllende Prophezeiung, wie sich Jahre später herausstellen sollte. Meine Gedanken waren der Motor dessen, vor dem ich Angst hatte: allein zu sein. Damals tat ich das, von dem ich mir unterbewusst Linderung versprach. Ich trank wieder viel, hatte eher unverbindliche Arrangements mit Frauen, sprach noch weniger mit anderen und war kurzgesagt ein Arsch. Trotzdem half das Trinken in verschiedenen Hinsichten. Nach außen hatte ich ein intaktes Privatleben, war offen, kannte viele Menschen. Meine Maske wurde besser, sodass niemand es hinterfrage. Außerdem stellte Alkohol meinen Kopf und meinen Hass auf mich selbst ruhig. Nur die nüchternen Phasen, oh Mann, die nüchternen Phasen mag wirklich niemand. Damals vermutete ich auch zum ersten Mal vielleicht Depressionen haben zu können, aber wer sollte mir dabei schon helfen? Fremde Hilfe ist ein Zeichen für Schwäche, dachte ich damals, außerdem kennt mich niemand so gut, wie ich mich kenne und so weiter. Ich war arrogant. Also machte ich es mit mir selbst aus, verbrachte viel Zeit im Bett, viel Zeit alleine. Viel Zeit, die ich damit verbrachte, mich weiter damit zu beschäftigen, dass ich nicht liebenswert sei und nur Schmerz bringe. Aus einem schlechten Tag wurden schlechte Tage und aus Tagen letztendlich Wochen, die ich so verbrachte. Dies ging Jahre lang so und mittlerweile war ich soweit, dass ich nicht mal mehr wusste, wieso ich so bin, wie ich bin. Ich dachte, es sei normal, dass ich emotionslos und kalt sei und dachte Schmerz, wäre das einzige, was ich empfinden kann und damit auch das einzige ehrliche Gefühl. Ich fing an, meinen Schmerz zu genießen, ihn als Wahrheit zu akzeptieren, als einzige Wahrheit. Niemand wüsste, wie die Welt ist, nicht, wenn er oder sie nicht so fühlen wie ich. Es war ein sehr anstrengendes Wechselspiel zwischen schwarzen Phasen und vermeintlichen Hochs, in denen ich die schwarzen Phasen glorifiziere und die Angst, alleine zu sterben, ruhiger wurde. Das dauerte einige Jahre an, bis ich jemanden kennenlernte. Eine Frau, in die ich mich verliebte. Etwas von dem ich dachte, dass ich es nicht mehr könnte. In der bis dahin schlimmsten Phase verspürte ich zum ersten Mal wieder Hoffnung. Anfangs. Den schon nach wenigen Wochen, in denen ich wirklich und ehrlich glücklich war, fing ich wieder an, die Situation zu sabotieren. Alte Gedanken machten sich erneut breit. Sie könne mich nicht wirklich lieben, sie sei unehrlich mir gegenüber, sie müsse mich verlassen, solange es noch geht. Das sind die angenehmeren Vorwürfe. Für andere schäme ich mich bis heute so sehr, dass ich sie nicht aussprechen kann. Trotzdem steckte sie diese Vorwürfe gut weg und half mir meinen Kopf davon zu befreien, doch es schien so, als würde es meinen Kopf erst anspornen. Meine Gedanken wurden immer finsterer, die Anschuldigen immer bösartiger. Irgendwas war dieses Mal anders. Heute weiß ich, dass es Angst war. Angst nach so langer Zeit wirklich verletzlich zu sein. Diese Angst war so präsent, dass sie mich kontrollierte, zu meiner Realität wurde. Ich konnte meinen eigenen Gedanken nicht trauen, denn auch wenn es überzogen klingt, verzerrten sie mein ganzes Leben. Ich bildete mir Sachen ein, bei denen ich beweisen konnte, dass sie nicht stimmen, und trotzdem waren sie für mich Realität. Erst kämpfte ich dagegen an, doch irgendwann war ich machtlos. Ich fragte sie immer öfter, ob diese Situationen wirklich passierten oder ob ich sie mir eingebildet habe und erhöhte so den Druck auf sie. Ich zwang sie in die Rolle meiner Rettung, weil ich sie für mein Wohlbefinden verantwortlich machte, doch gleichzeitig terrorisierte ich sie. Ich brauchte immer mehr Bestätigung, um meinen Selbsthass zu übertönen. Doch es war nur eine Frage der Zeit, bis sie diese Situation nicht mehr aushielt. Noch nie in meinem Leben habe ich mich mehr gehasst als in diesem Jahr. Ich zerstörte das, von dem mein 17-jähriges Ich schon meinte, es zu zerstören. Das Jahr ging mit extremen Hoch- und Tiefphasen einher. Die Hochphasen ließen mich kämpfen und die Tiefen vergessen, außerdem ließen sie die Gefühle ihr gegenüber realer werden, als alles, was ich kannte. Der Preis war so hoch, dass ich dachte, nie wieder so etwas empfinden zu können. Es musste echt sein. Diese Liebe musste echt sein, da sie so nah am Schmerz war. Jedoch verlor ich schnell das Gleichgewicht und die schlechten Phasen überwogen. Letztendlich vernichtete ich – kein anderes Wort wäre treffender – diese Beziehung und mein Selbsthass nahm ein mir unbekanntes Ausmaß an. Wieder trank ich, doch dieses Mal mehr als je zuvor. Filmrisse, Freunde, die mich nach Hause tragen mussten, Telefonate um 5 Uhr morgens, weil ich irgendwo abgeholt werden musste, das volle Programm. Ich war hoffnungslos. Es war wie eine Sucht, deren kalten Entzug ich gerade durchmache, ohne auch nur die Möglichkeit je wieder den Rausch spüren zu können. Diese Zeit war katastrophal, doch so schlimm sie war, sie hatte trotzdem etwas Gutes. Ich wusste zum einen, dass in mir mehr war als Hass und Schmerz, und zum anderen, dass ich nie wieder mir oder jemand anderem, so etwas antun möchte. Sie war der Auslöser ein Eingeständnis mir gegenüber: Ich brauche Hilfe. Ich suchte mir eine Therapeutin, die es akzeptierte, dass mein Anliegen eher prophylaktisch ist und die mir und meiner Arroganz genug Stirn bieten konnte. Zwar dauerte es einige Zeit, bis wir an einem Punkt waren, dass ich wirklich über mich gesprochen habe, doch als dieser erst mal erreicht wurde, verspürte ich recht schnell, wie es mir besser geht und ich mehr mit mir ins Reine kam. Einige Freunde sagten, ich sei offener geworden und ich schaffe es mittlerweile sogar eine für beide Seiten gesunde Beziehung zu führen. All das, obwohl in mir oftmals immer noch diese Hoffnungslosigkeit aufkommt. Die Gedanken, die sagen, dass niemand mich lieben könne und dass ich nichts wert sei. Mittlerweile lasse ich aber zumindest zu, mir das Gegenteil zu beweisen. Oder versuche ist zumindest.
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R., Borderline Persönlichkeitsstörung, Posttraumatische Belastungsstörung
Zu meiner Geschichte: Vor ca. 2 Jahren wurde bei mir eine Borderline Persönlichkeitsstörung sowie eine Posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert. Zusätzlich leide ich an depressiven Episoden. Zunächst möchte ich meine Interpretation und Gedanken von Borderline schildern, wie ich es empfinde: Borderline ist… Wie eine rasante Achterbahnfahrt oder wie eine Zugfahrt bei der die Notbremse kaputt ist Die ständige Suche und das Hinterfragen des eigenes Ichs Selbstzweifel und extreme Verletzbarkeit Die ständige Suche nach dem „Ankommen“ im Leben Vielseitig Schwierig zu beschreiben Nicht immer Selbstverletzung Angst vor dem Alleinsein und gleichzeitig vor zu viel Nähe Unkontrollierbar und emotional stark schwankend Sich nicht auf sich selbst verlassen können Ein Denken in dem es nur „schwarz“ oder „weiß“ gibt Gedankenchaos Ständige Angst vor dem Verlassen werden und der Ausgrenzung anderer Sich selbst abwerten Nicht nur auf traumatische und gewalttätige frühkindliche Erfahrungen innerhalb der Familie zu beziehen Um den Beginn meiner Geschichte und der daraus resultierenden Krankheit zu schildern, muss ich einen Rückblick auf meine Kindheit und Jugend mit einbeziehen, denn ab dieser Zeit fing das Chaos in meinem Kopf an. Dass etwas bei mir „anders“ ist als bei den meisten anderen Kindern wusste ich bereits in einem Alter von 5-6 Jahren. Während andere vergnügt und unbeschwert die Welt erkundeten, fühlte ich mich immer ein wenig verloren, fremd, einsam und wie ein „Störenfried“. Zusätzlich neigte ich zu Wutanfällen in der Kindheit, die meist nur innerhalb der Familie zum Vorschein kamen. Daraufhin lag der Verdacht einer ADS- Erkrankung nahe, sodass meine Eltern mit mir verschiedene Ärzte aufsuchten, ich verschiedene Therapien, wie zum Beispiel Ergotherapie besuchte und eine Zeit lang sogar Ritalin zu mir nehmen musste. Mit Beginn der Pubertät wurden meine negativen Gedanken schlimmer. Nach dem Tod meiner Großmutter setzte ich mich vermehrt mit dem Tod, Todessehnsüchten, Suizid und der Frage auseinander, was eigentlich der Sinn und Zweck davon ist, dass ich auf der Welt bin? Oft konnte ich mir darauf keine Antwort geben. Ich galt bereits für viele Gleichaltrige als „komisch“ oder „schwierig“, dies merkte ich insbesondere in der Schule. Meine Mitschüler fingen an mich auszuschließen und zu mobben, was meine negativen Gedanken und Todessehnsüchte verstärkte. Im Alter von 14 Jahren wurde ich komplett von meiner damaligen Klasse ausgeschlossen und soweit gemobbt, dass ich nur noch einen Ausweg sah: Die Schule verlassen und meinen Schmerz mit Alkohol und einer Mischung verschiedener Medikamente zu betäuben, die ich im Haus meiner Eltern fand. Nachdem meine Eltern dies bemerkten waren sie selbstverständlich geschockt und suchten Rat. Es folgten mehrere Arztermine und eine Vorstellung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie, in der ich anschließend 6 Wochen vollstationär untergebracht wurde. Anschließend wechselte ich die Schule, doch auch dort eckte ich schnell an und wurde zur Zielschiebe der Hass- und Mobbingattacken meiner Mitschüler. Nach meinem Schulabschluss schien der Spuk vorbei. Ich sah neue Perspektiven und eine Möglichkeit meinen eigenen Weg zu gehen und eine Ausbildung als Erzieherin zu beginnen. Alles schien perfekt... Vorerst…! Mit Anfang 20. kamen meine negativen Gedanken wieder, welche unteranderem durch das Scheitern meiner ersten Beziehung, sowie durch zahlreiche Affären und dem ständigen Gedanken perfekt sein zu müssen und den eigenen und den Ansprüchen anderer gerecht zu werden verstärkt wurde. Auch mein körperliches Selbstbild veränderte sich. Ich empfand mich als fett und hässlich und bekam einen regelrechten Ekel beim Anblick meiner Figur, obwohl ich eigentlich Normalgewicht hatte. Zusätzliche Bemerkungen von anderen bezüglich meiner geringen Oberweite und meinem trotzdem vorhandenen breiten Becken verstärkten diese. Ich begann verschiedene Mahlzeiten auszulassen und später mich regelmäßig zu erbrechen. Mit dem Auszug aus dem Heimatdorf in eine naheliegende Stadt normalisierte sich dies. Ich ging meinen Weg und arbeitete über 3 Jahre in einer Jugendhilfeeinrichtung Nähe Frankfurt. Es schien als hätte ich endlich meinen Weg und meine Ziele vor Augen. Doch nach einer Vielzahl von personellen Veränderungen, zahlreichen Überstunden und einer Dauerpräsenz auf meiner Arbeitsstelle, stieg der Stress und die negativen Gedanken kehrten zurück. Anfangs redete ich mir noch ein, dass dies alles nur eine Phase sei und es bald besser werden würde sobald die personelle Situation sich ändere und ich wieder ein angemessenes Maß an Privatleben habe. Aber es änderte sich nichts! Es wurde sogar noch schlimmer als zu allem Überfluss auf einer Party von einem Bekannten mir KO. Tropfen verabreicht wurden und er die Situation für seine Zwecke ausnutze. Anfangs verfiel ich in einen Modus von Verdrängung und stürzte mich noch mehr in die Arbeit. Dies funktionierte nur kurzfristig. Ich schmiss mir verschiedene Beruhigungstabletten und sogar Ritalin ein um die Erlebnisse des Übergriffs und die arbeitsbedingte Situation durchzustehen. Auch ein Wechsel des Arbeitsfelds konnte nicht dazu beitragen, dass sich etwas an meiner Situation änderte. Im Dezember 2014 war ich dermaßen überlastet und am Ende, sodass ich keinen anderen Ausweg mehr sah mich an meinen Hausarzt zu wenden. Dieser schrieb mich für mehrere Wochen krank und es folgte die Kündigung des Arbeitgebers innerhalb der Probezeit. Dies brachte erst richtig alles ins Rollen. Ich sah mich als Versager, da ich beruflich gescheitert war. Die Gedanken den Ansprüchen der Gesellschaft sowie meiner Familie nicht gerecht zu werden stiegen. Es ging soweit, dass ich nur noch heulend auf dem Sofa lag und ich es nicht schaffte bestimmten Tätigkeiten im Haushalt oder bestimmten Erledigungen nachzugehen. Ich fing erneut an mich mit Medikamenten vollzupumpen, versuchte das erlebte mit zahlreichen Affären zu bewältigen und begann mich mit Mitte 20 zu ritzen. Im Januar 2015 ließ ich mich in eine psychiatrische Klinik einweisen. Es fiel mir schwer über ein bisheriges Leben und meine Gefühle zu sprechen, oft fühlte ich mich missverstanden und ich neigte zu vermehrten emotionalen Schwankungen und verbalen Aggressionen die ich nicht mehr selbst steuern konnte. Gegen Ende des Klinikaufenthalts sowie nach zahlreichen Untersuchungen und Tests erhielt ich die Diagnose: Emotionale Persönlichkeitsstörung- Borderline Typus. Es traf mich wie ein Schlag. Alles was anfangs wie eine Art Arbeitsüberlastung oder Burnout aussah war nun eine Persönlichkeitsstörung. Mir schossen zuerst sämtliche negativen Assoziationen mit dieser Krankheit in den Kopf und die vielen Vorurteilen mit denen die Krankheit belastet ist. Zum Beispiel, dass Borderliner nicht fähig sind ein normales Leben zu führen und ihre Mitmenschen manipulieren und alle früher oder später in den Wahnsinn treiben und natürlich, dass alle sich ritzen um Aufmerksamkeit zu erwecken und generell total durchgeknallt sind, da sie ihre Emotionen nicht regulieren können. Zusätzlich hatte ich Angst vor der Reaktion meiner Familie und Freunde. Insbesondere Angst vor Ablehnung und kein Verständnis für meine Krankheit zu bekommen. Aus diesem Grund habe ich mir vorerst bewusst ausgesucht, wen ich in meine Krankheit einweihe. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Borderline- Erkrankten gehörte ich eher zu denen, die von frühster Kindheit sehr behütet innerhalb ihrer Familie aufwuchsen. Die Diagnose war somit für mich und meine Familie nicht einfach. Oft hatte ich das Gefühl sie haben Vorurteile und nehmen meine Empfindungen nicht wahr. Als wäre das nicht genug stand ein weiteres Problem direkt vor mir: Meine Arbeitslosigkeit! Nach meinem Klinikaufenthalt war ich auf mich alleine gestellt. Ich musste mich beim Arbeitsamt melden, eine Therapie beginnen und versuchen einen neuen Job oder ähnliches zu finden. Es war der Horror, alles wurde mir zu viel. Selbst beim Einkaufen konnte ich die Stimmen von Kindern und Jugendlichen nicht ertragen und musste sofort den Supermarkt verlassen, da mich alles an meine Zeit und mein Scheitern als Erzieherin erinnerte. In den nachfolgenden Wochen folgten verschiedene Besuche bei einem Psychologen und dem Arbeitsamt. Ebenfalls kam es zu einem psychologischen Gutachten, indem stand, dass ich vorerst nicht in der Lage sei in meinem alten Beruf zu arbeiten. Ich suchte lange nach einer Perspektive, eine Umschulung kam dabei weniger in Frage, schließlich wollte ich irgendwann wieder als Erzieherin arbeiten. Die Lösung sah ich nach einigen Wochen in einem Studium. Zum einen um mich pädagogisch neu zu orientieren, ebenso um Zeit zu gewinnen. Diese Idee stieß jedoch bei meiner Familie und einigen Freunden vorerst auf keinerlei Verständnis. Oft hörte ich Reaktionen, dass ich dafür zu alt sei, wie ich dieses finanzieren möchte und ob ich mich nicht damit überfordere. Zusätzlich stieg trotz meines Erwachsenenalters immer noch die Angst abgelehnt zu werden, aufzufallen und gemieden zu werden von anderen. Dadurch wurden meine Selbstzweifel verstärkt und ich landete kurz vor Beginn meines Studiums erneut für eine Woche in der Klinik, da meine Zweifel so groß waren, dass ich androhte erneut Tabletten zu schlucken und mich zu ritzen. Die ersten Tage hatte ich sehr starke emotionale Schwankungen und verlies kaum mein Bett und schottete mich komplett von meinem bisherigen Umfeld ab. Nach ein paar Tagen jedoch nutze ich diese eine Woche extrem für mich und begann nach einer Lösung zu suchen. Ich nahm das Angebot der Psychologen und Ärzte wahr eine Strategie zu entwickeln um meinen Ängsten entgegen zu wirken und mich nicht zu überfordern. Ich sagte mir immer wieder, dass ich es einfach versuchen müsse und ich mich dann immer noch um entscheiden kann. Zusätzlich wurde mir immer wieder die Hilfe der Ärzte, Therapeuten und verschiedener Beratungsstellen angeboten, sobald es wieder zu einem emotionalen Einbruch kommt oder ich mich überfordert fühle. Wie es mir heute 2 Jahre nach der Diagnose mit Borderline geht: Ich bin sehr froh, dass ich mich für das Studium entschieden habe. Es war anfangs nicht leicht und gerade im ersten Semester überforderten mich öfters diese Umstellung und auch die Gedanken daran, dass ich den Anforderungen nicht gerecht werden kann. Heute weiß ich, dass ich es kann. Zwar litt in dieser Zeit sehr das Verhältnis zu meiner Familie und insbesondere das Verhältnis zu meiner Schwester aber meine Familie akzeptiert meine Entscheidung und auch meine Krankheit verstehen sie mittlerweile. Ich kann sagen, dass ich mich seit ca. 1 Jahr nicht mehr geritzt habe. Das heißt jedoch nicht, dass alles gut ist oder ich gar „geheilt“ bin. Auch die Gedanken an die Selbstverletzung und den Tod sind teilweise noch vorhanden. Ich würde vielmehr sagen, dass ich durch die Skills und die Therapie die ich begonnen habe, einen Weg gefunden habe frühzeitig die Notbremse zu ziehen und mir, soweit dies meine emotionale Achterbahnfahrt zulässt, Hilfe zu holen. Rasche und unkontrollierte emotionale Einbrüche habe ich noch immer und es ist nicht leicht diese zu akzeptieren und damit zu Recht zu kommen. Trotzdem gibt es heute positive Dinge in meinem Leben und die sie ein bisschen bunter machen und nicht mehr nur schwarz oder weiß aussehen lassen. Mittlerweile kann ich sogar eine Beziehung führen und habe einen festen Freund, der über meine Krankheit Bescheid weiß und mich so nimmt wie ich bin. Ein weiterer Fortschritt besteht darin, dass ich seit ein paar Monaten neben meinem Studium in meinem alten Beruf als Aushilfe arbeite. Vor zwei Jahren hätte ich dies nicht so schnell prophezeien können. Der Großteil meiner Freunde ist ebenfalls über meine Krankheit informiert, sie akzeptieren diese und behandeln mich trotz all meiner Zweifel normal. Es tut gut zu wissen, dass ich mich Ende 20 sagen kann, dass ich endlich das Gefühl habe ein paar Menschen um mich zu haben die mich lieben, akzeptieren und mich nicht verurteilen oder gar meiden. Geheilt werden kann ich wohl nie aber ich möchte weiterhin versuchen mit Hilfe meiner Therapie und der Unterstützung meiner Freunde und Familie versuchen ein für mich geregeltes und selbstständiges Leben zu führen um meinen Alltag zu bewältigen. Ich möchte allen anderen, die ebenfalls an der Borderline Persönlichkeitsstörung leiden Mut zu sprechen, insbesondere denen die noch nicht lange diese diagnostiziert bekommen haben!
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A., 27, Borderline
Ich bin 27 Jahre alt. Und anders als andere Menschen seit ich denken kann. Wenn ich es überhaupt noch weiß, wie es damals war, als ich noch ein Kind war. Denn wenn man so anders ist als ich, fällt es manchmal schwer sich zu erinnern. Manchmal sogar an Dinge die gestern passiert sind. Oder auch schöne Ereignisse. Ich habe Borderline. Festgestellt vor glaub ich 5 oder 6 Jahren. Davor wusste ich nicht was mit mir los ist. Und ich dachte lange, viel zu lange, das es ok ist sich zu verletzen wenn man sich gerade irgendwie richtig scheiße fühlt. Es ist nicht immer schlecht so zu sein wie ich bin. Ich finde Borderliner haben auch ganz symphatische Seiten an sich! Meine Erkrankung nennt sich: Emotional instabile Persönlichkeitsstörung: Borderline Typ (F60.31). Laut meiner Therapeutin bin ich psychisch behindert. Auch nett anzuhören. Aber genau so fühlt es sich manchmal an. Ich möchte hier keine körperlich oder geistig behinderte Menschen denunzieren, aber manchmal fühlt man sich wirklich behindert wenn man Borderline hat. Du bekommst nichts auf die Rolle. In meinen schlimmsten Zeiten war ich nur dazu fähig zu atmen und mir schöne Muster in jegliche Körperteile zu „malen“. Selbst Schuhe binden oder Tee kochen haben mich an den Rand der Verzweiflung gebracht und Weinkrämpfe ausgelöst. Mittlerweile geht’s mir etwas besser. Aber das schlimme an dieser Störung ist, das sie nicht heilbar ist. Ist ja nicht so wie mit Influenza oder einem Knochenbruch. Selbst manche Krebsarten sind (gott sei dank!!) heilbar. Aber Borderliner bist du dein Leben lang. Manchmal lebe ich ein ganzes Jahr ohne Borderline aber dann kommen auch Phasen in denen mir es nochmal so sehr bewusst wird wie anders ich bin. Und dann einfach so weiter zu machen wie bisher geht dann einfach nicht. Du bist unfähig auch nur irgendetwas zu tun, sei es arbeiten oder nett zu Menschen zu sein die du liebst. Deine Stimmung geht hoch und auch wieder runter. So wie es, meiner Meinung nach, in einem sehr gutem Borderline Fachbuch beschrieben wird: „himmelhochjauchzend zu tode betrübt“. Besser kann man es nicht ausdrücken. Du hast Lust einfach deine Sachen zu packen und abzuhauen. Und wenn der Druck in deinem Körper einfach zu groß wird, hast du einfach nur Lust dich in irgendeiner Art und sehr extremen Weise, schmerzvoll abzulenken. Sei es einfach tage lang nichts zu essen, Gras zu rauchen bis du kotzt, Alkohol zu konsumieren oder sich irgendwelche Verletzungen an Armen oder Beinen zuzufügen. Aber wie gesagt, es gibt auch gute Zeiten und auch schöne Seiten an meiner Borderline Erkrankung. Zum einen muss gesagt werden, das ich eigentlich nicht viel anders auf bestimmte Situationen reagiere als „gesunde“ Menschen. Ich bin halt einfach nur hypermegakrass empfindlich. Wenn andere Menschen in stressigen Situationen einen kühlen Kopf bewahren oder sich selbst sagen, Hey tief durchatmen das krieg ich hin, dreh ich komplett ab. Innerlich, nach außen hin erscheine ich nur zickig. Aber in dir drin tobt der totale Verzweifelungskrieg. Du möchtest alles hinschmeißen und kommst überhaupt nicht mehr klar. Flucht nach vorne ist der einzige Ausweg. In Zeiten in denen es mir richtig richtig mies ging habe ich mir teilweise sogar gedacht, Hey kein Problem: sollte was nicht klappen dann bringst du dich halt um. Gar kein Problem. Das war meine Patentlösung für alles. Klappt es mit der Arbeit nicht. Mach Schluss mit deinem Leben. Klappt es mit deinem Freund nicht. Schluss mit dem Leben. Waren deine Eltern scheiße zu dir und du denkst das wars jetzt, die werden mich nie mehr lieben und ich kann sie auch nicht mehr lieben. Schluss, mit dem Leben. Das mit den Lieben und Hassen ist auch so ein Problem. Ich kann Menschen jahrelang kennen oder gerade erst getroffen haben. Ein komischer Satz, ein falscher Blick, eine seltsame Bemerkung, schon wird derjenige abgestuft. Im schlimmsten Fall breche ich den Kontakt ab und möchte mit dem- oder derjenigen nichts mehr zu tun haben. Aufgrund dessen fällt es mir auch extrem schwer neue Freunde kennen zu lernen. Die Menschen die mich schon Jahre kennen, wissen mittlerweile wie ich ticke. Aber auch nicht immer, aber das ist auch ok. Dann melde ich mich einfach nicht, igel mich ein aber sie wissen das ich es nicht böse meine. Erstaunlicherweise wissen meine Eltern teilweise gar nicht wie sie sich verhalten sollen, aber ich denke auch das ist ok. Denn wenn ich selber manchmal nicht weiß wer ich bin oder was ich da gerade von mir gebe, ist das denke ich mal erlaubt. Aber es ist trotzdem jeder Tag ein Kampf und das für den Rest meines Lebens. Was jedoch schön ist und was ich mir auch von anderen Menschen wünschen würde: ich bin extrem einfühlssam und empathisch. Ich kann mich sehr gut in Menschen einfühlen, mit ihnen leider, weinen und lachen. Ich merke sehr schnell wenn es jemandem nicht gut geht, bin eine sehr gute und aufmerksame Zuhörerin und kann ziemlich gut zwischen den Zeilen lesen. Diese feinen Antennen sind zwar nicht immer hilfreich, aber die meiste Zeit bin ich sehr froh noch so zu fühlen und nicht so emotional abgestumpft zu sein wie andere Menschen. Alles in allem ist es unter dem Strich irgendwie immer bescheiden eine psyschiche Erkrankung zu haben. Es gibt zwar wie schon oben erwähnt, Zeiten oder auch Situationen in denen ich ganz dankbar bin so zu sein wie ich bin. Aber die meiste Zeit nervt es einfach nur, sein Leben nicht so leben zu können wie man es möchte oder an anderen Menschen sieht. Man wird einfach daran gehindert sich richtig zu entfalten, denn das würde einfach nur im totalen Chaos oder in der geschlossenen Psyschatrie enden. Also heißt es Tag für Tag aufstehen, versuchen sich selbst zu motivieren und auf den Tag zu warten an dem es mal wieder ein wenig heller ist.
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M., 25, Depressionen
Packen wir’s an
Oh, ein Thema, dass man lieber totschweigen sollte. Allein‘ für diesen Gedanken verdienst Du einen Mittelfinger.
„Du bist mein kleiner Teddybär, mit dem ich schlendernd durch die Stadt spaziere.“.
Ich wusste schon Jahre vor dem großen Knall, dass etwas mit mir nicht stimmt. Als ich irgendwann meinem eigenen und dem Druck von außen nicht mehr standhalten konnte, war es soweit …
Vor zwei Jahren bin ich plötzlich nicht mehr zur Arbeit gegangen, war beim Arzt und habe ihm erzählt, was passiert ist. Seine Reaktion kam überraschend: er stand auf, umarmte mich und sagte „Maria, ich freue mich, dass Du endlich zu mir gekommen bist.“. Er schrieb mich krank, diagnostizierte vorläufig eine reaktive psychische Störung. Ich löste am selben Tag mein Arbeitsverhältnis auf, spielte auch da mit offenen Karten und ich wurde mit der Sicherheit, dass ich jederzeit zurückkommen kann, verabschiedet.
Als die zwei Menschen, die mir alles bedeutet haben, den Rücken zukehrten, mein Freundeskreis und die Familie weit weg waren und die Stadt, in der ich lebte, oberflächlich und anonym wirkte, war ich auf mich allein‘ gestellt. Und alleine stirbst Du. Innerlich und äußerlich.
In dieser Situation traf ich eine verrückte Entscheidung. Vor ein paar Wochen erst angekommen, habe ich innerhalb weniger Stunden, die noch nicht bezahlte Wohnung gekündigt. Ich hatte kein Geld, keine Möbel, keinen Job und irgendwie kein Leben mehr.
Doch das war nicht die Situation, vor der ich am meisten Angst hatte. Wenn man aus intakten Verhältnissen kommt, alle einen geregelten Alltag und ein gutes Einkommen haben, Familien gründen, kann man mich nicht, wie ich - jedes verdammte Mal, aus der Norm fallen. Ich habe mich immer als Außenseiter gesehen. Aber wie reagieren die Eltern, wenn sie wissen, dass ihr Nesthäkchen psychisch instabil ist? Unter Tränen habe ich ihnen am Telefon gebeichtet, dass ich bis zum Ende des Monats kein Dach mehr über dem Kopf habe, mein Konto nicht mehr gedeckt ist, ich meinen Job aufgelöst habe und nicht weiß, wo ich nun unterkommen soll.
Ein paar Tage später standen meine Eltern hilfsbereit, aber ohne Verständnis, und zwei Freundinnen aus Berlin vor meiner Tür. Die Stunden vergingen und ich war wieder „Zuhause“, fremd zwischen vielen Umzugskartons. Nun saß ich da, als Versager, und kaum jemand wusste, dass ich wieder zurück bin. Wochenlang lag ich in völliger Dunkelheit im Zimmer, während die Tage verstrichen. Jeder lebte sein Leben, nur ich nicht. Geschlafen und getrunken habe ich selten, gegessen nur in Gesellschaft. Und dann kam der Tag, von dem ich wusste, dass er irgendwann kommt. Meine Eltern konnten und wollten mich nicht verstehen: „Maria, Ende der Woche bist Du hier weg.“.
Ich war sprachlos, schrieb ein paar Freunden, doch keiner verstand mich und diese seltsame Situation. Ich brach zusammen, informierte mich über meine Möglichkeiten und sagte schließlich meiner Mama, dass ich gehe, aber nur ins Krankenhaus, weil ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, was mein Kopf und meine Gedanken mit mir vorhaben. Ich durfte bleiben.
Ich habe es aus diesem verdammt tiefen Loch geschafft. So tief war es seitdem nicht wieder. Für all‘ das gibt es aber kein Rezept. Entweder geht’s Dir beschissen oder eben nicht. Wenn’s Dir beschissen geht, musst Du es nicht totschweigen. Meine Tür ist immer offen, ob ich Dich nun zwei Jahre oder zwei Wochen kenne. Innere Dämonen stinken nach Arsch, aber ein gutes Gespräch ist ein Ort des Friedens. Der kleine Teddybär heißt übrigens Depression und wir schlendern nicht, sondern schleichen. Und nicht durch die Stadt, sondern durch unseren Kopf.
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V. / Häusliche Gewalt, Mobbing
Gerne möchte ich meine Erfahrungen mit anderen teilen.
Also wo fang ich an? Es begann damit, dass mein Vater Alkoholiker war, meine Mutter, mich und meine Schwester regelmäßig verprügelte, sie mit Prostituierten betrog und schließlich, als ich fünf war, einfach mit unserem gesamten Hab und Gut abgehauen ist. Als Kind versteht man sowas nicht. Wieso tut einem sein eigener Vater sowas an? Sind wir nicht gut genug? Bin ICH nicht gut genug? Meine Mutter musste mich und meine Schwester schließlich alleine großziehen. Wir waren aufgrund dieser Ereignisse leider keine einfachen Kinder, sodass meine Mutter oft aus Verzweiflung handgreiflich werden musste. Meine Schwester, ebenfalls traumatisiert, hat ebenfalls ihren Frust an mir ausgelassen und mich oft verprügelt. Erst als ich sie eines Tages mit einem Messer bedrohen musste, dass sie aufhören solle mich, zu schlagen, ließ sie es sein. Wir waren Kinder. Zu dem Zeitpunkt war ich wenn's hoch kommt acht Jahre alt. Nun ja, lernte in der Zeit noch einen Mann kennen, der ebenfalls ein totaler Psycho war, uns angeschrien hat und sich letzten Endes freiwillig hat einweisen lassen. Danach lernte sie meinen Stiefvater kennen, da war ich zehn. Mit ihm ist sie immernoch zusammen jedoch, jedoch konnte ich nie einen Vaterersatz in ihm sehen, vor allem weil er mich ebenfalls ein paar mal geschlagen hat und ich somit jeglichen Respekt ihm gegenüber verloren habe, auch wenn wir mittlerweile ganz gut miteinander klarkommen. Als hätte das alles nicht gereicht, wurde ich in der 8. und 9. Klasse gemobbt. Wir hatten nie viel Geld, sodass wir uns nunmal nicht die teuerste Kleidung leisten konnte, was ich persönlich nicht schlimm fand, was meine Mitschüler aber anders sahen. Ich wurde fertig gemacht, weil ich Haare bis zum Hintern hatte (ich mein, WTF, was ist das für ein Grund?), ich wurde ausgelacht, weil ich so unsicher war. Aber ganz ehrlich - nach so einer Kindheit? Wie denn nicht? Ich hatte Angst, in die Schule zu gehen; meine Noten wurden immer schlechter und ich war frühreif und suchte vergeblich Liebe beim anderen Geschlecht, da ich selbst kaum welche bekommen hab. Ich war seelisch ein Wrack. Ich fragte mich beinahe täglich, wieso man denn so viel Pech haben kann und wieso ich nicht erlöst werden könne. Ich wollte wirklich nicht mehr leben. Ich habe mich gefühlt wie Abschaum; ungeliebt, ungewollt, nichts wert. In Beziehungen eifersüchtig und Verlustängste; in der Schule, auch heute noch, mit 23 Jahren, kaum in der Lage Referate o.Ä. zu halten, aufgrund des Ausgelachtwerdens damals. (Blackouts, Atemnot, Schweißausbrüche - habe mir manchmal sogar freiwillig eine 6 geben lassen, um das Referat gar nicht erst zu halten). Vor zwei Jahren bekam meine Mutter dann Brustkrebs. Als wir diese Nachricht bekamen, dachte ich wirklich, dass es das nun endgültig für mich war. Was hätte ich getan, wenn die einzige Person, die ich noch habe, von mir gegangen wär? Ich hatte unglaubliche Angst und meine Mutter ohne Haare, krank und erschöpft zu sehen, war einfach unglaublich schlimm für mich. Zum Glück hat sie den Krebs besiegt. Wenigstens etwas Positives in meinem Leben..
Mich absichtlich selbst verletzt hab ich nie, außer einmal, um es zu probieren, worauf ich bis heute noch stolz bin (was nicht heißt, dass ich andere deswegen verurteile!). Ich hatte Videospiele als Flucht aus der Realität, in die ich sehr viel Zeit gesteckt habe, egal wie banal das klingt. Aber alles war besser, als die Außenwelt mitzubekommen. Oder ich habe Nähe bei Männern gesucht. Mir wurde einmal fremdgegangen, zwei mal wurde ich für eine andere verlassen. Was soll man da für ein Selbstwertgefühl haben, wenn man sowieso schon so traumatisiert von der Kindheit ist? Ich habe eine Zeit lang ziemlich viel Cannabis konsumiert. Das hatte alles nie etwas mit einer Abhängigkeit zu tun; ich wollte einfach nur abgelenkt/ nicht alleine sein. Weg von der Realität.
Ich habe sehr sehr viel durchgemacht aber habe mich zum positiven entwickelt und blieb stark. Ich halte nichts mehr von der Meinung anderer und bin nicht mehr so verschlossen wie damals. Ich habe zwar bis heute nicht viele Freunde, weil ich nunmal kaum jemandem vertraue aber die paar, die ich habe, sind mein ein und alles, ohne die ich heute nicht die wär, die ich bin. Ich habe so viel geschafft und bin, auch wenn es mehr als hart war, aus diesem Loch gekrochen und habe dieses unglaubliche Tief überwunden. Verlustängste habe ich leider immernoch und ich habe immer noch nicht gerade das stärkste Selbstwertgefühl, aber ich habe gelernt, mich zu akzeptieren. Mein Aussehen, meinen Charakter Das zu wertschätzen, was ich habe. Leider bin ich nach wie vor sehr emotional. Ich weine schnell und bin schnell verletzt. Aber man kann das Geschehene leider nicht aus dem Gedächtnis löschen. Niemand sollte sich für das schämen, was er ist, denn jeder ist einzigartig! Es gibt so viel Krieg und andere Probleme auf der Welt; wir sollten lernen, die kleinen Dinge wertzuschätzen und aufhören so oberflächlich zu sein und daran denken, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat.
Ich habe mich selten so ausführlich mit dem Geschehenen auseinandergesetzt und ich bin froh, dass ich das mit eurer Aktion tun konnte! Ich hoffe, ihr erreicht mit eurer Aktion viele Menschen und ich stehe voll und ganz hinter euch.
Ganz viel Liebe.
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N., 21, Soziale Angststörung
Ich war schon immer ein introvertierter, schüchterner Mensch. Aber als Kind und besonders als Mädchen fiel das niemandem negativ auf, ich war eben süß und schüchtern, angepasst und unauffällig. Aus heutiger Sicht weiß ich, dass es Extreme waren. Ich konnte nicht auf den Spielplatz gehen, wenn da andere Kinder waren, ich konnte meiner Mama nicht sagen, was ich anziehen will, ich konnte ihr nichtmal sagen, wenn es mir schlecht ging, es könnte ja sein, sie hatte grade Besseres zu tun.
Dann kam eine Zeit, in der das alles nicht so dramatisch war: Ich hatte meine Grundschulfreunde, meine bekannte Familie etc. Ich musste mich an nichts Neues gewöhnen, fühlte mich sicher und war ein „normales“ Kind. Kleine Probleme gab es immer, ich konnte Launen und Probleme nicht ansprechen, ich habe mich nicht getraut, mir die Haare zu schneiden oder auffällige Sachen anzuziehen, aus Angst, jemand würde mich auslachen. Ich konnte niemanden anrufen, den ich nicht kannte und selbst andere Gespräche waren mir unangenehm. Aber ich mogelte mich durch, weil ich eine Comfortzone hatte, in der ich mein Leben lebte.
Als ich 16 war, machte ich meinen Realschulabschluss und entschied mich, auf einem beruflichen Gymnasium mein Abitur zu machen (die Aussicht auf eine Ausbildung, fremde Menschen, war der Horror für mich, aber ich sagte mir eben, ich wäre noch zu jung für eine Entscheidung, die einen Job betrifft). Das bedeutete, in eine neue Klasse, eine neue Umgebung mit vielen Menschen geworfen zu werden. Das klappte erstaunlich gut, weil ich hier meine heute beste Freundin kennenlernte, vor der ich nie Ängste hatte. So nahm ich die anderen Ängste in mir weniger wahr und dachte, ich hätte den Absprung geschafft und mein Alter- und Reifeprozess hätte das Problem gelöst.
Dann lernte ich jemanden kennen und verliebte mich ziemlich. Aus heutiger Sicht sehe ich: Ich habe kaum Gefühle gezeigt, mich selten geäußert, keine Dates von mir aus vorgeschlagen und wirkte einfach komplett desinteressiert. Und alles, weil ich Angst hatte, dass meine Gefühle nicht erwidert würden oder dass ich einfach zu aufdringlich wirken würde. Schließlich entfernte er sich von mir und hatte natürlich auch kein Interesse mehr an weiteren Treffen. Ich war am Boden zerstört, machte mir am meisten selbst Vorwürfe, denn schließlich hätte es ja in meiner Hand gelegen und ich hab es versaut, andererseits auch, dass ich wohl nicht gut genug war.
Und dann kam der Einbruch. Ich bekam Panik, dass es immer so weiter gehen würde. Dass ich niemals eine Partnerschaft aufbauen könnte, weil ich nicht gut genug bin, immer nur zweite Wahl, dass ich niemals etwas alleine auf die Reihe kriegen werde, dass ich nicht weiß, was ich mal mit meinem Leben anfangen soll. Und all diese Gedanken kreisten ständig in meinem Kopf und wurden immer schlimmer. Meine „Schüchternheit“ verstärkte und verschlimmerte sich immer weiter, ich konnte nicht mehr einkaufen gehen aus Angst, ich könnte beim Bezahlen an der Kasse zu lange brauchen und die Leute hinter mir würden mich für dumm halten, ich wollte keine Freunde treffen aus Angst, ich könnte kein Gespräch aufrechterhalten, ich konnte nicht telefonieren, ich konnte nicht für die Schule lernen, weil meine Motivation verschwunden war, ich würde ja schließlich eh nichts schaffen. Ich sah den Menschen beim Sprechen nicht mehr in die Augen, ich wurde leiser, ich blieb zuhause und war schließlich allein und traurig und meiner Meinung nach auch einfach selbst Schuld dran, es lag ja schließlich in meiner Hand und ich war so dumm schüchtern und benahm mich nicht wie andere Leute in meinem Alter.
Zum Glück habe ich eine aufmerksame Mutter, die mich direkt darauf ansprach und vorschlug, mich zu einem Therapeuten zu begleiten. Und ohne zu überlegen konnte ich diesen Strick ergreifen, weil ich wohl unterbewusst genau wusste, dass ich Hilfe brauchte, aber es selbst mal wieder nicht ansprechen konnte. Long story short: Ich bekam einen Therapieplatz und nach einigen Vorgesprächen meine Diagnose: Soziale Phobie, auch soziale Angststörung genannt, begleitet von Depressionen. Plötzlich machte alles Sinn, die Ängste vor Gesprächen, Augenkontakt, menschlicher Nähe, Kennenlernen, Freunde, Familie, Probleme und Gefühle ansprechen, ständiges beobachtet fühlen, sich mit anderen vergleichen und so weiter. Ich hatte einen Namen dafür, eine Krankheit, eine Diagnose und ich fühlte mich ernstgenommen. ich wusste jetzt, ich bilde mir das nicht ein und ich bin nicht „einfach nur extrem schüchtern“, sondern krank. Und Krankheiten kann man behandeln! Ab jetzt hatte ich die Motivation, gesund zu werden. Mein Leben sollte nicht weitergehen wie davor, ich wollte endlich wieder Herr meiner Sinne sein und mein Leben leben, nicht nur zusehen und mich für alles zu hassen. was ich bin und tue. Ich arbeitete hart, ich übte das tägliche Leben mit Experimenten und brachte mich bewusst immer mehr in Situationen, die mir unbehaglich waren, natürlich mit Hilfe meiner Therapeutin und in einem Rahmen, in dem ich nach und nach immer größere Erfolgserlebnisse erringen konnte. Ich überprüfte meine Ängste und stellte meine Gedanken in Frage und lernte, sie ins Positive umzukehren. Ich lernte wieder, Freunde zu kontaktieren, mit meiner Mutter oder meiner Schwester zu sprechen, einkaufen zu gehen und mir Zeit zu lassen, zu telefonieren und fremde Menschen nach der Uhrzeit zu fragen oder nach dem Weg. Aus heutiger Sicht sind das für mich Kleinigkeiten, doch damals waren es große, schwere Schritte, die mich Kraft und Anstrengung, aber vor allem Mut kosteten. Ich fasste wieder Selbstvertrauen, weil ich Dinge konnte und schaffte und das ganz alleine, ich war stolz auf mich und ich traute mich immer mehr, auch außerhalb den Therapie-Experimenten. Mein Leben gehörte wieder mir, ich hatte wieder Spaß und Freude und wurde aktiver.
Nach rund einem Jahr Therapie galt ich als stabil, nicht mehr depressiv und beschloss gemeinsam mit meiner Therapeutin, dass die Therapie nun ein Ende haben sollte und ich mein Leben fortan alleine bestreiten könnte. Danach wurde alles nur besser. Ich machte mein Abitur ohne große Probleme, ich trat bei der Abschlussfeier sogar auf und dann ging ich ein Jahr ins Ausland. Etwas, das früher nie möglich gewesen wäre. Fremde Menschen, ein fremdes Land, eine andere Sprache, weg aus der Comfortzone. Ich lernte weiter und weiter, ich wurde eins mit mir selbst, ich war selbstbewusst, stolz und probierte mich gern an neuen Dingen aus. Seit meiner Rückkehr im letzten Sommer hat sich daran nichts geändert. Ich habe eine Ausbildungsstelle, ich kann mich in meinem Verein engagieren, ich gehe aus, ich lerne Leute kennen und ich führe meine erste Beziehung.
Ich habe gelernt, mich selbst wieder gern zu haben, mein Leben zu gestalten und auf mich selbst zu vertrauen und mich nicht ständig selbst klein zu halten. Ich kann Dinge angehen und ausprobieren, spontan sein und mich öffnen. Und ich bin glücklich.
Diese Zeit hat mir gezeigt, egal wie es dir geht und für wie tief du das Loch hältst, in dem du sitzt: da ist ein Weg nach oben, er wird nicht leicht und er wird lang, aber wenn du ihn gehst, dann wird er es am Ende wert sein!
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S., Depressionen
Ich weiß nicht wann es anfing, Auslöser oder ähnliches gab es auch nicht. Ich hatte alles was man braucht um glücklich zu sein, könnte man annehmen. Wirklich alles. Aber ich war es einfach nicht. Von heut' auf Morgen war ich einfach...leer(?).
Das richtige Wort dafür hab ich nicht gefunden und werde es wahrscheinlich auch nicht finden. Aber ich weiß noch wie es sich anfühlte. Woran ich mich am meisten erinnere waren die "schönen" Tage, jetzt zumindest. Die Sonne schien so schön, warm und die Vögel zwitscherten. Ich lief gerade Nachhause und für mich wurde es Standart das alles um mich rum verschwommen und richtig grau aussah. So sah mein Alltag aus...Tag ein und aus. Grau. Ich nahm nichts wahr. Die Menschen die um mich waren, Musik, Kunst und Essen... das alles nahm ich nicht mehr wahr. Alles was ich wahr nahm, waren "meine" Gedanken. Sie bestanden nur aus Selbstmordgedanken, Selbstzweifel und Hass. So viel Hass... mir selbst gegenüber. Ich hatte Schmerzen, so unglaublich große Schmerzen obwohl ich physisch gesund war. Mir kam es so vor als würde ich täglich 30kilo Gepäck tragen. Ich spürte nichts anderes. Das wurde so unerträglich das ich mich danach sehnte was anderes zu spüren. Ich fing an mich selbst zu kratzen um etwas Erleichterung zu spüren. Am Anfang ganz leicht aber ich erwischte mich immer wieder dabei, dass es immer schlimmer wurde. So schlimm das ich blutete. Ich nahm auch Gegenstände wie Scheren, Messer, Nadeln... alles was "erleichtern" konnte. So ging es für eine Weile und das alles für mich war mein Alltag. Natürlich merken deine Freunde und Familie das irgendwas nicht stimmt aber sie wissen nicht was und wenden sich von dir ab. Ich wollte sterben... unbedingt. Ich habe es mir so sehr gewünscht. Die Träume in die ich sterbe waren die schönsten. Eines Tages (ein sehr schöner Tag) war ich wieder auf dem Weg nachhause. Es liefen in Dauerschleife dieselben Gedanken. Alles verschwommen, alles grau. Ich weiß nicht was passiert ist aber ich blieb plötzlich stehen. So stand ich da mitten auf dem Bordstein. Und das was passierte veränderte alles. Ich stand da und alles um mich rum wurde wieder scharf. Es blieb zwar alles grau aber scharf. Ich nahm die Wärme, Vögel, Pflanzen, Wind und Gerüche wahr. Ich nahm alles wahr. Ich stand für eine Ewigkeit einfach nur da. Wie gesagt, es war noch alles grau und in meinen Augen nichts wundervolles aber das war es mal. Und genau DAS wurde mir bewusst. Ich stand da...total verwirrt. Bis es mir klar wurde:
Ich habe Depressionen.
Ich kann nur sagen danach wurde alles besser. Ich glaub bis heute das der erste Schritt zur Besserung die Realisation ist. Mir war für lange zeit nicht klar was mit mir ist. Aber als ich merkte das so ein Leben kein Leben ist, verlief alles viel leichter. Natürlich war ich dann nicht von heut auf morgen wieder "gesund". Aber ich fing mehr an darüber nachzudenken. Ich öffnete mich meinen Eltern und das tat so unglaublich gut. Ich fing mehr an alles zu realisieren (nicht unbedingt zu genießen) aber die Welt war nicht mehr verschwommen. Ich ging in Therapie, ich lernte neue Leute kennen. Sie wussten das ich nicht "ok" war aber sie versuchten alles damit ich mich mit denen sozialisierte. Nach und nach kam die Sonne wieder durch. Es gab schlechte Tage, richtig schlechte Tage und es gab wieder wundervolle Tage. Aber irgendwann, war ich wieder ich.
Ich kann nur sagen es kann jeden treffen. Man braucht keinen Auslöser, Tragödie oder sonstiges. Die Depression ist ein Monster das von dir Besitz nimmt wann es will. Diese "Gedanken" die man hat, die sind nicht deine! Diese graue Welt die du siehst, siehst du nicht mit deinen Augen.
Egal ob du es gerade durchmachst und an dir zweifelst: Die Sonne wird eines Tages scheinen und du wirst es wieder genießen.
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Livia, 23, Zwangsstörung & Selbstverletzung
Ich war schon immer hochsensibel. Saugte schon als Kleinkind alle möglichen Reize und Informationen ungefiltert in mich auf. Die Konsequenz war, dass mir Orte und Dinge unglaublich Angst machten, ich keine Ahnung hatte warum und mir eigentlich ständig übel war. Mich geerdet fühlen, einen funktionstüchtigen Realitätsbezug haben – sowas hatte ich von Anfang an eher selten. So fing ich an in der Grundschule die ersten Nächte durchzumachen, denn wenn das Licht an war und ich meine japanischen Comics lesen konnte, war mir weniger übel. Und ich benutzte die Übelkeit als einzige Erklärung für mein Unwohlsein, ich war froh, eine Antwort gefunden zu haben. Denn ich fand mich richtig seltsam und hatte auch vor mir selbst Angst.
Ich hatte oft Panik- und Wutausbrüche, aber als Kind durfte ich das wohl nicht. Während ich ein Trotzkopf war, durfte mein Vater als Erwachsener wegen zusammenhanglosen Kleinigkeiten wahnsinnig wütend werden. Er machte mir oft große Angst und eines Nachts im Bett wusste ich nicht, ob er mich rütteln oder strangulieren wollte. Trotzdem hatte er so viele gute Seiten und verglichen mit den Horrorkindheiten meiner späteren Mitpatienten, hatte ich es gut. Nur leider machte ich es mir schlecht, unbewusst.
Mein Papa hatte mir die psychische Instabilität nicht zuerst aufgetischt, die war schon vorher da. Er hatte das ganze, also meine Kindheit, vielleicht nur ein bisschen versalzen. Also verschluckte ich lieber meine Wut - und meine etwas zu fantasievolle, hoch abergläubige Psyche schien irgendwas seltsames daraus zu machen. In der dritten Klasse fing ich damit an, Bewegungen eine bestimmte Anzahl oft zu wiederholen, bis mein Kopf endlich entspannte und ich Ruhe geben konnte. Ich durchsuchte mein Zimmer nach gefährlichen Dingen, da ich die unbegründete Angst hatte, Nachbarn könnten diese dort verstecken und mir Ungutes antun wollen. Oder war der Feind jemand in meiner Familie? Ich verbrachte manchmal Stunden mit meinen neuen Ritualen und Ängsten. Einmal schummelte ich bei einem Malwettbewerb und gewann, und war nun fest davon überzeugt, der liebe Gott würde mich hassen, mein Leben sei vorbei, ich hätte gesündigt. Ich sah mich schon früh als schlechten Menschen an.
Manchmal lag ich auch einfach nur da, und hatte das Gefühl nicht wirklich zu existieren oder zu träumen. Und hatte die Angst, eines Tages würde ich mich einfach auflösen, und meine Mutter nie wiedersehen.
In der frühen Pubertät wurde alles schlimmer. Meine Wutausbrüche, dieser Zwang Dinge zu wiederholen oder zu kontrollieren, oder mein Gesicht und meine Hände ständig zu waschen… Sogar das Packen meiner Schultasche dauerte Ewigkeiten und irgendwann lies ich es einfach bleiben. Mit 11 kam ich dann zu meiner ersten Psychologin, doch dort machte ich hauptsächlich meine Hausaufgaben (was insgesamt aber viel zu selten vorkam). Als ich dann anfing, mich mit den Rasierklingen meines Vaters zu ritzen, dachte ich: Endlich habe ich eine Lösung gefunden, mit meiner unbändigen Wut niemanden mehr zu verletzen, der mir am Herzen lag – und ich lag mir definitiv nicht am Herzen.
Mein neuer Psychiater diagnostizierte mir eine Zwangsstörung, er hörte sich meine wirren Theorien an, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass er mich sonderlich ernst nahm, sondern sich lieber über meine unangepasste Art amüsierte. Zuhause kam ich zu nichts mehr, jegliche Zeit ging für die Zwänge drauf. Manchmal schrie ich im Badezimmer, weil ich es einfach nicht verlassen konnte, und die Angst vor den Konsequenzen meiner „falsch“ ausgeübten Zwänge trieb mich in den Wahnsinn.
In der Schule war ich nicht eins der coolen Kids, wie immer schon, und ich hörte eigentlich täglich negative Kommentare zu meinem Aussehen. Fühlte mich wie ein absoluter Alien, weltfremd. So hässlich, der Öffentlichkeit nicht zumutbar. Das war kein Mobbing, das war gerechtfertigt, dachte ich. Meine Noten wurden in den naturwissenschaftlichen Fächern unterirdisch schlecht, es hagelte sechsen, ich schlief im Untericht oder legte die Füße auf den Tisch.
Die Selbstverletzungen wurden immer schlimmer. Also kam ich schließlich mit 13 zum ersten Mal in die Kinder- und Jugendpsychiatrie. Ich hatte noch nie etwas davon gehört und hatte wahnsinnig Angst davor. Im Endeffekt war es wie eine lange Klassenfahrt und ich war endlich nicht mehr so einsam. Es stellte sich die Frage, ob es Sinn macht, nach dem Klinikaufenthalt wieder nachhause zu gehen und ich entschied mich dagegen. Außer der Gesellschaft von gleichaltrigen änderte der Aufenthalt nicht viel.
Also zog ich mit Anfang vierzehn 350 km weit entfernt in eine therapeutische Einrichtung für Jugendliche mit seelischen Problemen und Verhaltensauffälligkeiten. Zuhause war keine Option mehr, aber in dieser Einrichtung wurde gar nichts besser. So viele kranke Jugendliche unter einem Dach zu haben, das ist schon eine Herausforderung für jeden – besonders für die Bewohner, die nach Schichtende nicht nachhause gehen konnten. Der Lehrer an unserer Schule für Kranke wurde zu einer Art Mentor für mich. Mein Licht im Dunkeln.
Mein Selbstverletzendes Verhalten wurde wieder immer schlimmer, nicht selten musste ich im Krankenhaus genäht werden, oft verheimlichte ich es aber und ließ die Wunden einfach so irgendwie abheilen und verheimlichte sie, was gar keine gute Idee war. Narben, Narben, Narben. Blutige Bettwäsche, Pflaster, Verbände. Wenigstens darin wollte ich gut sein – sonst war ich ja ein Sorgenkind, hing in Kliniken rum, während meine früheren Schulfreunde in der 9.Klasse des Gymnasiums ein „normales“ Leben führten und nachmittags zu Starbucks gingen (so stellte ich mir das zumindest vor) und mein Bruder der einzige von uns Kindern war, der an die akademischen Erfolge unserer sehr intelligenten Eltern anknüpfen würde.
Ich benutzte meine Intelligenz lieber dafür, mir und anderen das Leben zur Hölle zu machen. Meine Zwänge blieben in der WG unverstanden. Die Betreuer wussten, dass ich irgendwas Komisches machte und das stundenlang dauerte und ich danach absolut fix und fertig war und nicht selten blutete und Schmerzen hatte, aber anscheinend konnten sie mich auch nicht davon abhalten oder es versuchen. Vielleicht waren meine wirren Theorien auch nicht zu verstehen, aber es wurde ja nicht einmal ausprobiert. Nur mein Mitbewohner wusste darüber bescheid und verstand es auch ein ganz kleines bisschen, aber der war auch selten da, betrank sich lieber mit den anderen Heimkindern und meine Jugend bestand so eher aus Isolation und vielen Medikamenten und deren Nebenwirkungen (tagelang schlafen, drastische Gewichtszunahmen in wenigen Wochen) als aus neuen Erfahrungen, dem sich ausprobieren, neue Meilensteine des Erwachsenwerdens erreichen und so. Ich hätte mit mir auch nicht gerne abgehangen, hätte ich die Wahl gehabt.
Es folgten zig Jahre, in denen ich dreimal die therapeutische Wohngruppe wechselte, in Kliniken in ganz Deutschland rumtingelte, doch nichts half wirklich. Ich fühlte mich stets missverstanden. Rutschte immer tiefer, fühlte mich immer kränker, glaubte, ich würde nie wieder gesund werden. Mit 16 versuchte ich mich umzubringen, da ich auf einmal die Wahnvorstellung hatte, meine Mutter und mein kürzlich verstorbener Vater wollten mir die ganze Zeit etwas antun und ich müsse alle vor meiner Mutter warnen, und ich diesen Gedanken nicht aushielt. Doch nach der Notoperation wartete kein neues Leben auf mich. Die Oberärztin besuchte mich im Überwachungszimmer, hörte sich meine Sorgen an, aber meinte nur: „Sie können hier die nächsten Monate bleiben. So etwas hatten wir bisher selten, wir können uns nicht auf sie verlassen.“ Damit meinte sie den Vorfall, und nicht das, was dahinter stand.
Also hatte ich ein paar Monate Dusch- und Toilettenbegleitung, und hätte ich auf meinen Reisen durch das Parelelluniversum der ‚Klapsenkinder‘ (wie wir uns nannten) nicht immer schon wunderbare Menschen getroffen, wäre ich wohl eingegangen. Danke auch, an alle pädagogischen Fachkräfte, die nicht das zwingende Bedürfnis hatten, alles zu verallgemeinern, zu verharmlosen, oder zu entmutigen.
Mein allererstes Problem, meine Zwangsstörung, fand in all den Jahren am wenigsten Beachtung. Stattdessen wurde lieber meine Borderlinepersönlichkeit intensiv ausgeleuchtet, was aber nicht immer zu meinem Besten war oder mich in Schubladen steckte. Wieder war ich das trotzige Kind, das grundlos wütend wird, so wie ich es in meiner Kindheit war.
In den zahlreichen Klinikaufenthalten, medikamentenvollgepumpten Tagen und Nächten und in den Wohngruppen sind viele uncoole Dinge passiert. Ich habe schlimme Dinge gesehen, Menschen kennengelernt, die sich komplett aufgaben und sich für die Krankheit entschieden. Zwangspsychiatrie – immer noch ein Wort, das Horror hervorruft. Mein Leben war wie unter einer Glasglocke; alles draußen schien unerreichbar. Wollte ich aus dem System ausbrechen, wurde mir von meiner Therapeutin verboten, eine Ausbildung zu beginnen.
Also zog ich wieder nachhause, gegen ärztlichen Rat, fing meine Ausbildung an und erlernte das Leben im normalen Umfeld, ohne jahrelang eingebübte Tagesstruktur mit Stimmungsbarometern und Medikamentenkontrolle, ganz langsam von neuem. Ganz langsam, wirklich. Und mit vielen Rückschritten und Rückfällen, die nach dem Ende aussahen.
Meinen letzten Klinikaufenthalt hatte ich im letzten Sommer; endlich ein Klinikaufenthalt, der mich mit meinen Zwängen weiterbrachte, und der mir zeigte, dass ich wenigstens nicht der einzige Mensch mit einem Depersonalisations, - Derealisationssyndrom bin, denn so nannte man das, was ich als Kind schon in meinem Bett mehr fürchtete als irgendwelche Monster.
Nun habe ich den Rollenwechsel fast perfektioniert. Ich helfe nun anderen Jugendlichen, die in ähnlichen Situationen wie ich damals stecken. Ich hätte niemals gedacht, dass ich mal aufhören würde, mich selbst zu verletzen. Das unzählige Besuche in der Chirurgie und das ständige Beschäftigen mit destruktiven Dingen irgendwann mal nicht mehr Gang und Gebe sein würden.
Drei Jahre ist es her, aber da sich mein Mindset komplett ändern musste, kommt es mir viel länger vor. Da sind immer noch Panikattacken nachts, die mich irgendwie in ein schwarzes Loch der Gefühle saugen, die mich Verzweiflung und Todesangst fühlen lassen, da ist immer noch die totale Entfremdung, das Gefühl, dass ich eigentlich gar nicht so wirklich da bin und dass meine Gedanken nicht mir gehören, dass ich keinen Zusammehang zwischen mir und Kindheitserinnungen sehe, da sind immer noch die Zwänge, die mir vorgeben, was zu tun und was nicht zu tun ist.
Die Zwänge haben mein Leben so beeinflusst, wie sonst nichts. Kleinigkeiten, wie einfach mal was einkaufen oder erledigen, waren oft undenkbar. Etwas angenehmes für mich tun? Undenkbarer. Stattdessen verzettelte ich mich ständig, schob mein Leben auf. Manchmal musste ich in der Öffentlichkeit irgendwelche Sätze wiederholen oder seltsame Bewegungen machen. Es war unangenehm angestarrt zu werden, aber noch unangenehmer, dem Drang nicht nachzugeben. Viel zu wenig Menschen wissen, was eine Zwangsstörung eigentlich ist und wie vielfältig die Symptomatik sein kann.
Es hat sehr viel Kraft gekostet, mein Leben komplett zu ändern, aber das Leben ist zu schade, um es unter der Glasglocke zu verbringen und von der Öffentlichkeit abgeschirmt zu werden, nur weil man nicht tickt wie der Vorzeigebürger, den es wahrscheinlich sowieso nicht mehr gibt. Lasst euch niemals als hoffnungslosen Fall abstempeln.
Menschen mit psychischen Erkrankungen finden sich überall. Lasst euch euer Leben nicht nehmen. Lasst euch nicht einreden, dass ihr etwas nicht könnt oder lieber noch lange damit warten solltet. Diagnosen können hilfreich sein; aber lernt lieber eure Stärken und die wunderbaren Dinge an euch auswendig, als irgendwelche Diagnoseschlüssel.
Über 15 Jahre Zwangsstörung, ein Jahrzehnt Selbstverletzung, und viele alte Narben, die mir immer noch Probleme bereiten. Doch ich lebe jetzt und ich hänge sehr daran. Es macht keinen Sinn, traurig zu sein, weil die Jugend komplett verloren gegangen ist. Ich versuche lieber, meine Hochsensibilität dafür zu nutzen, die großartigen Details im Leben lieben zu lernen.
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N., weiblich, Schizophrenie und Depressionen
Hi . Ich heiße N. und bin an Schizophrenie und Depressionen erkrankt . Alles begann mit dem Tod meines Vaters vor genau 8 Jahren . Dieses Ereignis hat mich und mein Leben komplett verändert . Ich wurde in sehr jungen Jahren stark depressiv und habe mich mit dem Thema " Tod " auseinander gesetzt und wollte Suizid begehen , auch noch Jahre später . Irgendwann beschloßen wir , nach Deutschland zu ziehen um ein neues Leben zu starten und alles was war hinter uns zu lassen . Hier begegnete ich Mobbing in der Schule , welches die Situation nicht besser machte . Ich verbrachte Monate in der geschlossenen Klinik . Nach jahrelangem Kämpfen dachte ich , ich hätte es endlich aus dem schwarzen Loch geschafft , aber ich irrte mich . Ich kam in die Oberstufe und lauter Schulstress wartete auf mich . Ich begann zu halluzinieren , Stimmen zu hören und Wahnvorstellungen zu haben . Ich dachte es würde an dem vielen Stress liegen aber das zog sich über Monate und ich begab mich zu meinem Psychologen . Diagnose - Schizophrenie . Ich konnte im ersten Moment garnicht fassen , welche Worte er da grade ausgesprochen hat - es fühlte sich nicht real an . Die Schizophrenie ist auf die Depressionen zurück zuführen und jeder Tag ist ein Kampf mit mir selbst . Ich habe Schwierigkeiten zu erkennen was real ist , und was nicht . Ich halluziniere , sehe meine größten Phobien , obwohl sie garnicht da sind . Ich höre öfters ein permanentes Telefon klingeln welches mich nervös und panisch macht , obwohl gar kein Telefon klingelt . Besonders nachts , bilde ich mir solche Dinge ein . Des Öfteren schon , habe ich mitten in der Nacht die Polizei gerufen weil ich der festen Überzeugung war , ich hätte jemanden auf dem Balkon vor meiner Glastür gehört und deutlich gesehen , obwohl da keiner war . Ich sehe seit etwa 2 Monaten das selbe Gesicht in verschiedenen Personen und bekomme Panikanfälle . In meinem Kopf wütet ein Teufel , welcher mir Sachen befiehlt , mich manipuliert und mich denken lässt , es waren meine eigenen Gedanken. Es führte letzte Woche sogar zur Selbstverletzung . Wie aus dem Nichts , schlug ich meinen Kopf mehrmals gegen die Badezimmer-Wand und riss mir Haare raus . Ich konnte nichts dagegen unternehmen , ich war wie in einem Bann . Ich habe durch die Schizophrenie ein starkes Gewaltpotenzial entwickelt , wenn die Stimme in meinem Kopf es mir befiehlt . Ich verletze aber lieber mich selbst , als anderen Menschen psychisch oder physisch Schmerz hinzuzufügen , das könnte ich niemals verantworten . Ich habe seitdem keine Nacht mehr durch geschlafen , wenn überhaupt . Oftmals liege ich bis zum nächsten Morgen wach und versuche mich in den Schlaf zu weinen , weil mich Ängste und Halluzinationen plagen . Ich habe sehr oft Mental Breakdowns und oftmals einfach aus dem nichts . Gottseidank habe ich einen liebevollen Freund an meiner Seite , der mir immer zur Seite steht und quasi Medizin für mich ist . Oftmals fühle ich mich garnicht krank und nehme deswegen meine Neuroleptika nicht ein , weil ich mich komplett gesund und normal fühle . Das Problem ist , nur Neuleptika also Antipsychotika sind das einzige , was gegen Schizophrenie helfen .Therapien , Freunde und Familie , sind nur eine begleitende Unterstützung , können aber nichts gegen die Psychose machen . Schizophrenie ist eine ernst zu nehmende Krankheit und nicht das , was den Leuten in Hollywood Filmen vermittelt wird . Deswegen bitte ich alle , die Warnzeichen einer Schizophrenie oder einer anderen psychischen Erkrankung , an sich oder einer Person aus der Umgebung erkennen , das Verhalten zu beobachten und die betroffene Person bitten , sich in ärztliche Behandlung zu begeben . Diejenigen die selbst davon betroffen sind - bleibt stark . Es klingt leichter als es ist aber kämpft dagegen an und lasst euch nicht von der Krankheit unterkriegen . Beistand einer geliebten Person kann wahre Wunder bewirken . Deswegen redet und vertraut euch jemanden an . Danke .
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J., 30 Jahre, Selbstverletzung
Ich war 15, als ich mich das erste mal schnitt. Und 29 Jahre alt, als ich es das bisher letzte Mal tat. Dazwischen lagen einige Jahre, in denen ich nicht im Traum daran gedacht hätte, mir ein Teppichmesser in den Arm zu rammen. Aber ich verstand schnell: So ganz werde ich das nie los.
An das erste Mal erinnere ich mich nicht mehr so genau. An zwei der zahlreichen „Episoden“ in den Jahren danach umso mehr. Einmal musste ich eine Kommilitonin zu Hilfe rufen, weil ich dachte „Jetzt bist du zu weit gegangen. Hier ist so viel Blut, du verblutest.“ Sie kam, sie umarmte mich, sie stellte keine Fragen, als ich wimmernd auf dem Fußboden lag. Ich hätte ohnehin nicht darauf antworten können. Sie lief im Regen zum Apotheken-Notdienst, holte Bandagen, säuberte und desinfizierte die vielen feinen Schnitte in meinen Unterarmen und an meinem Bauch, verband sie und nahm mich wieder in den Arm. Wir sprachen nie wieder darüber.
Das zweite Mal, das mir in Erinnerung geblieben ist, war weitaus später. Eigentlich, so dachte ich zumindest damals, bin ich darüber hinweg. Das war so ein Habit aus Teenagertagen. Fehlanzeige. Ich hatte kein Teppichmesser da. Ich wusste schon, warum. Also nahm ich ein scharfes Küchenmesser und schnitt. Meine Tränen tropften in jeden einzelnen der Schnitte, es brannte wie Hölle; dazwischen ein Glas Rotwein nach dem anderen. Auch an dem Abend rief ich einen Freund an – meinen besten. Er legte sich zu mir ins Bett und wir schauten fern, bis ich einschlief. Am nächsten Morgen musste ich mir unter Schmerzen mein T-Shirt vom Brauch reißen, es klebte in den Wunden fest.
Ich könnte jetzt schreiben, dass der Auslöser für das Schneiden bei mir immer Männer waren; oder zumindest etwas, das Männer (mir an)taten. Vermutlich war das in 75 Prozent der Fälle auch so. Als Sozialwissenschaftlerin entferne ich mich aber gerne immer einen Schritt und versuche, Variablen zu finden, die einen Vergleich möglich machen. Und deshalb schreibe ich lieber: Der Auslöser war immer der gleiche: Ein Überschwall an Gefühl, mit dem ich nicht umgehen konnte. In den seltensten Fällen waren es positive Gefühle, aber auch das kam und kommt vor. Sich selbst verletzen vor lauter Freude. Klingt schräg, oder?!
Ich habe eine Therapie gemacht. Erst eine Einzel-Gesprächstherapie. Später eine Gruppentherapie. Das hat mir sehr geholfen. Für mein Leben. Aber nicht gegen das Schneiden.
Heute habe ich wieder ein Teppichmesser in meiner Wohnung. Manchmal nehme ich es in die Hand und spiele damit rum. Das Knacken der einzelnen Riegel gibt mir komischerweise immer noch ein gutes Gefühl. Ich habe heute immer noch mit allen Gefühlen zu kämpfen, die über Hunger und Müdigkeit hinausgehen. Aber ich habe andere Wege gefunden, damit umzugehen. Ich gehe zum Sport, ich backe und koche und ich melde mich bei Freund*innen, wenn ich Hilfe brauche. Ich weiß aber auch aus der Erfahrung, die ich gesammelt habe, dass ich vermutlich irgendwann das Teppichmesser nochmal in die Hand nehmen werde, um mir weh zu tun. Vielleicht nicht heute. Vielleicht nicht morgen. Vielleicht auch nicht in 15 Jahren. Aber so ganz wird man das nicht los. Erst recht nicht, weil ich die Narben mein Leben lang mit mir rumtragen werde. Aber ich sage allen Menschen, die mich darauf ansprechen: „Ich habe mich geschnitten als ich jünger war. Heute mache ich das nicht mehr."
Ich bin keine Therapeutin, ich habe kein Patentrezept gegen Selbstverletzendes Verhalten. Aber ich weiß, was mir hilft: Das, was nicht raus kann, das was man spüren möchte, aber nicht spüren kann, muss seinen Weg anders aus einem herausfinden: zum Beispiel durch Sport, mit Freund*innen durch die Stadt ziehen oder manchmal auch durch einfaches Schreien.
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Raphael, 20, Wien, Depressionen
Mein Name ist Raphael, ich bin 20 Jahre alt und komme aus Wien/Österreich.
Wo fange ich an? Nun ja, „es“ – mit es bezeichne ich meine Krankheit, welche ich seit meinem 17. Lebensjahr tagtäglich mit mir umher trage, man nennt diese Krankheit auch Depression; begann alles noch recht harmlos. Ich war einfach öfter traurig, fühlte mich ausgeschlossen und war mit meinem Aussehen nicht zufrieden. In diesem Alter wusste ich schon dass ich schwul bin, was mich damals auch noch belastete. Mittlerweile bin ich stolz drauf schwul zu sein und schäme mich auch nicht dafür. Doch bis ich so denken konnte, dauerte es einige Zeit.
Meine Depression begann, auch wenn es Klischeehaft klingt, nachdem ich mich von meinem ersten Freund getrennt habe. Es war für mich was besonderes, so viel Zuneigung und körperliche Nähe von einem Menschen zu bekommen. Die Beziehung dauerte jedoch nicht lange, gerade mal ein Monat. Jedoch ich war unwiderruflich und unsterblich in ihn verliebt. Ich hätte alles für ihn getan. Umso heftiger traf es mich, als er ohne Grund anfing mich zu ignorieren und mir sagte, dass der „Zauber verloren ging“. Da wir eine Fernbeziehung hatten und mehrere Stunden auseinander wohnten, sagte ich ihm, dass es normal sei. Dies interessierte ihn aber nicht. Von Wolke 7 fiel ich von einer Sekunde zur anderen. Ich war wieder allein, obwohl ich mir nur wünschte, geliebt zu werden. Ich brauchte knapp 1 ½ Jahre bis ich über ihn hinweg gekommen bin. Während dieser Zeit durchlebte ich zahlreiche schlaflose Nächte, in welchen ich mich mit Tränen in den Augen an meinen Teddybären kuschelte. Als es mir so schlecht ging, dass ich nicht mehr weiter wusste, suchte ich eine Psychologin auf. Gottseidank gibt es bei uns ein Psychosoziales Netzwerk, welches kostenlos Hilfe bietet. Meine Betreuerin half mir über eine schwierige Zeit. Ich wusste teilweise nicht mal mehr wieso ich traurig war, wieso ich überhaupt weitermachen sollte, wieso ich überhaupt geboren wurde. Suizidale Gedanken waren mittlerweile schon an der Tagesordnung. Ich wollte nur dass es besser wird. Dass ich endlich wieder aufrichtig lachen konnte. Es wurde aber immer schlimmer. Ich isolierte mich komplett von der Außenwelt, schlief den ganzen Tag, brach jeglichen Kontakt zu Freunden ab und hörte sogar auf meine Hobbies auszuüben. Es konnte so nicht weitergehen…. Nach ein paar Monaten schickte mich meine Psychologin zu einem Psychiater, da sie sich ernsthaft Sorgen um mich und mein Leben machte. Dort bekam ich Medikamente, welche mir helfen sollten. Sie taten es anfangs auch, jedoch störten mich die Nebenwirkungen etwas. Extreme Fressflashs, Sexualprobleme etc. Erst nach einiger Zeit wurde es ein wenig besser. Jedoch als ich die 8. Klasse meines Gymnasiums widerholen musste, da ich nie anwesend sein konnte, verschlimmerte sich alles wieder. Schon wieder wurde ich in ein tiefes Loch geworfen. Toll! Ich verließ die Schule und konzentrierte mich auf meine Gesundheit, was ich schon früher hätte machen sollen! Ich lernte meinen mittlerweile Ex-Freund kennen, was mir wieder Hoffnung gab. Wir waren uns so ähnlich, dass es schon fast unheimlich war. Auch er hatte Probleme, und ich erkannte, dass ich nicht allein auf der Welt bin. Leider hielt diese Beziehung auch nicht lange… Und wie ihr euch vorstellen könnt- ich fiel in das nächste Loch. Noch nie war meine Depression so schlimm. Ich wollte einfach nur noch sterben! Ich konnte nicht mehr so weiterleben. Gelächelt habe ich lange nicht, es war mir alles scheißegal. Verpflichtungen hielt ich nicht ein. Ich war einfach am Boden und das Leben trampelte immer und immer wieder auf mir rum.
Mittlerweile geht es mir besser. Ich nehme zwar noch immer Tabletten, mittlerweile drei am Tag. Anders würde ich es wahrscheinlich auch nicht aushalten. Ich will sogar mein Abi nachmachen und bin nach Wien gezogen. Schön langsam geht es bergauf. Auch wenn es längst nicht so schnell geht wie gewünscht, bin ich sehr froh darüber.
An euch da draußen: Haltet durch, bleibt am Leben. Es lohnt sich. Ich weiß wie ihr euch oftmals fühlt, und ihr seit nicht allein. Bitte holt euch Hilfe, redet mit Freunden/ Psychologen/ etc. Aber tut etwas und lasst euch von diesem Schweinehund Depression nicht niederkriegen.
Eines meiner Lieblingszitate: Suicide doesn’t end the chances of life getting worse, Suicide eliminates the possibility of it ever getting better.
So, das war meine Gesichte im Schnelldurchlauf. Es gäbe noch so viel zu erzählen, jedoch will ich nicht zu viel negative Erinnerungen ausgraben.
Raphael
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Christina, 34, Essen, Inhaberin von Fuchsteufelswild, Generalisierte Angst- und Panikstörung
Ich war Anfang 20 und mir ging es gut, bis auf die typischen Probleme, die man so durch den Alltag hat. Mein Job war scheisse, meine Eltern übervorsichtig und ängstlich, was mich nervte. Aber es gab nichts, dass mir meinen Leben extrem erschwerte oder mir das Gefühl gab, dass etwas nicht stimmt. Meine erste Panikattacke kam aufgrund dessen mehr als unerwartet. Es war ein normaler Abend. Wir wollten ausgehen, trafen uns zum vortrinken. Wie jedes Wochenende in meinem „normalen“ Leben. Ich stand mit meiner Freundin am Fenster und rauchte eine Zigarette. Meine Freundin kiffte. Mit Kiffen hatte ich immer ein persönliches Problem und bekam stets ein komisches Gefühl, wenn ich den Geruch neben mir erahnen konnte. Wir pusteten den Qualm in die kalte Abendluft und ich redete mir ein, dass sich Luft und Qualm vermischen und ich den Qualm vom Joint inhalierte. Es vergingen einige Minuten, meine Gedanken schwirrten nur noch um den Joint und den Rauch. Ich redete mir immer weiter ein, dass sich meine Wahrnehmung ändert und bekam Herzrasen, schwitzige Hände und ein beklemmendes Gefühl, das ich nicht einordnen konnte. Trotzdem fuhren wir mit dem Taxi zur Party, ich versuchte mich zusammenzureissen. Und da war es. Das Gefühl, dass mir jemand die Kehle zuschnürt und ich völlig machtlos bin. Das Gefühl verschwand irgendwann im Laufe des Abends, doch er hinterliess viele Spuren und die ständige Angst vor der Angst. Das war er dann wohl: der Tag, ab dem sich alles änderte.
Es war ein schleichender Prozess, über Tage und Wochen. Immer öfter bekam ich keine Luft mehr, die Gedanken steigerten sich ins Unterträgliche. Ich machte weiter wie bisher und versuchte die Fassade aufrecht zu erhalten, doch nach einigen Wochen war auch das nicht mehr möglich. Ging ich shoppen, versteckte ich mich in den Umkleidekabinen, da ich Angst hatte, vor allen Leuten an einem Herzinfarkt zu sterben oder zumindest Ohnmächtig zu werden. Wenn ich Lebensmittel einkaufen musste, griff ich irgendwann nur noch auf Altbewährtes zurück, aus Angst, die anderen Lebensmittel könnten vergiftet sein. Alles drehte sich nur noch um Angst und Tod. Jede Sekunde. Es fiel mir immer schwerer, rauszugehen, Freunde zu treffen und mein soziales Leben aufrecht zu erhalten. Ich entwickelte Notfallpläne, nahm unbegründet Tabletten gegen Magenschmerzen, Kopfschmerzen oder Durchfall, um die Kontrolle über meinen Körper behalten zu können. Und dadurch bekam das Gefühl, für das ich keinen Namen hatte, noch mehr Kontrolle über mich.
Ich fing an zu trinken und und wechselte meinen Freundeskreis. Junge Leute, die unbeschwert waren und auch schon nach der Schule mit mir trinken wollten. Alles fand in meiner Wohnung statt, da ich das Haus nicht mehr verlassen konnte. Wodka in der Woche wurde zum Standard. Meine Arbeit leidete darunter, ich zahlte keine Rechnungen mehr, da ich mittlerweile sogar an dem Punkt war, dass ich die Post nicht mehr öffnen konnte. Auch an Autofahren war nicht mehr zu denken. Ich hatte Angst, dass ich während des Autofahrens verrückt werde und mich umbringe oder an einem Schlaganfall sterben würde. Die Panikattacken häuften sich und anstatt mich der Thematik zu stellen, legte ich mich schlafen, immer mit dem Gedanken, dass ich niemals aufwachen werde, weil ich im Schlaf sterbe.
An meinem Geburtstag bekam ich ein Küchenmesser als Geschenk von meinem besten Freund. Für mich ein Hinweis, dass ich kurz davor war, mich umbringen zu sollen/müssen. Die Freundschaft war in der Sekunde für mich gestorben. Grundlos, ausser für mich.
Erzählten mir meine Eltern von Todesfällen in der Bekanntschaft, brach ich mit viel Drama den Kontakt über Tage ab und verschanzte mich noch mehr, denn ich war mir sicher, dass auch ich so sterben werde, wie die Person von der meine Eltern redeten.
In der Zeit besuchte ich mindestens ein mal die Woche einen Arzt. Natürlich immer andere, damit alles nicht so auffiel. Speiseröhrenkrebs, Nierensteine, es gab nichts, dass ich nicht hatte. Aber ich hatte nichts physisches. Kein Arzt konnte mir helfen. Und noch schlimmer: Leider bemerkte kein Arzt, dass meine Schilderungen primär psychische Probleme als Grund hatten.
Nach furchtbaren und vor allem traurigen und mittlerweile sehr einsamen Monaten mit Wodka und Tabletten, entschloss ich mich aufgrund der Ratschlägen anderer dazu, alleine in den Urlaub zu fahren. Vielleicht würde dann alles besser werden. “Du hast einfach eine schlechte Zeit” „Einfach mal etwas entspannen“ „Die Seele etwas baumeln lassen“ „Abstand von dem ganzen Stress bekommen“ Tja, das war das, was von allen Freunden und auch der Familie ein stets gut gemeinter Tipp war.
Keiner verstand was mit mir los war. Wie auch, wenn ich es selbst nicht wusste.
Ich fuhr nach Borkum, der Ort, an dem ich die Hälfte meiner Jugend verbrachte, ein Ort, der mir zu 100% Sicherheit bot, wo ich die Menschen kannte und meine Notfallpläne funktionieren würde, wo ich Arztpraxen kannte und ich wusste, wie die Unterkunft aussieht. Die 2 Stunden Autofahrt schaffte ich durch viele Tabletten, dann betrat ich die Fähre, die 2 Stunden braucht, um an der Insel anzukommen. Die Fähre fuhr los, alles in mir wurde kalt und schwarz, ich fühlte so viel Benommenheit wie nie zuvor und ich fragte mich nur noch die eine Sache: Was, wenn ich verrückt werde und mich gleich von der Fähre stürze? Damit das nicht passiert, schloss ich mich zwei Stunden in der Toilette ein.
Das war für mich der Punkt, an dem ich nicht mehr konnte. Ich wollte keine Angst mehr vor Suizid, Essen, Herzinfarkten, Tumoren oder Schlaganfällen haben. Das Einzige, das ich wollte, war mein altes Leben zurück.
Ich fuhr direkt zurück und traf mich mit meinen Eltern, erzählte unter Tränen was mit mir los ist. Von dem Alkohol, den Tabletten, von der Panik und all der Angst, die mich begleitet. Glücklicherweise traf ich nicht auf Unverständnis, sondern meine Mutter ergreifte direkt Eigenintivative und rief bei verschiedenen Therapeuten an. Ich hatte das Glück und bekam eine Woche später einen Therapieplatz. Schon die erste Sitzung war ein voller Erfolg, denn jetzt hatte ich einen Namen für die Krankheit. Das machte es so viel einfacher. Ich fing an, Tagebuch zu schreiben um reflektierter agieren zu können. Außerdem fing ich mit Atemübungen an, um die Angst zu durchbrechen. Ich hätte es niemals geglaubt, aber es dauerte nicht lange, bis ich durch die Therapie lernte, mit meiner Angst umzugehen. Ich bin froh, dass mir meine Therapeutin von Anfang an klar gemacht hat, dass die Angst für immer ein Bestandteil in meinem Leben sein wird, ich aber lernen werde, nicht mehr in den Teufelskreis der Angst zu kommen. Langsam konnte ich wieder am Leben teilnehmen, rausgehen, Autofahren, Freunde treffen. Das aufblitzende, beklemmende Gefühl blieb jedoch. Jahr für Jahr, Monat für Monat, Tag für Tag. Jetzt. Immer. Es stellte sich heraus, dass sich über die Zeit eine Herzangst entwickelt hatte und auch heute kann ich nicht zwischen einem Muskelkater und einem Herzinfarkt unterscheiden. Krankheiten, sei es eine Nasennebenhöhlenentzündung oder Rückenschmerzen, führen immer noch dazu, dass ich paranoid werde und mir den Worst Case ausmale.
Die Zeit verging, mit kleinen Schritten ging es weiter vorwärts. Während ich es vorher nicht schaffte, bei anderen Leuten etwas zu essen, die Toilette zu benutzen oder länger als 2 Stunden zu bleiben, schaffte ich es 2013 das erste mal, mit Fuchsteufelswild und dem Team zu dem Hurricane Festival zu fahren. In eine unbekannte Stadt, Ferienwohnung, eine völlig unbekannte Situation, die ich trotzdem durch die in der Therapie gelernten Leitsätze meisterte. Das machte mich stolz. Und mutiger. Vor 2 Jahren schaffte ich es dann sogar, dass erste mal alleine bei Freunden zu übernachten, die ich das erste mal in ihrer Wohnung besuchte. Seitdem fühlte sich alles wieder “normaler” an.
Auch jetzt gerade habe ich Angst. Ohne Attacken, aber sie ist da. Gerade in der aktuellen PMS Zeit, in der meine Hormone und mein Kopf verrückt spielen, wird es mit der Angst schlimmer. Aber eins hat sich geändert. Ich rede darüber. Immer. Mit Freunden, Eltern, Partner und im Notfall auch mit Fremden. Denn ich habe für mich festgestellt, dass meine Offenheit dem Thema gegenüber dazu führt, dass ich schneller aus der Angst herauskomme und noch wichtiger: Ich schaffe es, realistische Gedankengänge zu haben.
Mir ist bewusst, dass mich die Angst, sogar Todesangst, begleiten wird. Bis ins Alter. Und das ist okay, weil ich sie angenommen habe. Die Angst ist nicht mehr mein Feind, sondern nur noch ein Begleiter, der mir manchmal das Leben erschwert. Ihr lieben Menschen da draussen: Habt keine Angst vor der Angst. Lasst es zu und stellt euch. Durchbrecht den Teufelskreis und habt eine Angst vor den Gedanken, die nicht mehr aufhören wollen. Sucht euch Hilfe, sei es eine Verhaltenstherapie oder Gesprächstherapie. Ein guter Anfang ist erst mal der Besuch bei eurem Hausarzt. Redet mit euren Eltern, Freunden, dem Partner. Schafft euch ein Umfeld, das euch stützt, nicht eins, das euch belastet. Nehmt euch Zeit für euch selbst und seid stets reflektiert. Ich will und kann niemandem den ultimativen Masterplan mitteilen. Denn jeder muss für sich selbst lernen, was der beste Weg ist. Trotzdem sollen euch diese und die folgenden Geschichten helfen, euch selbst zu verstehen und einen Lösungsansatz zum Angehen des Problems geben.
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