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Der Mord
Der kleine Tod
Als der Schweiß auf unseren Körpern langsam trocknet, verschwindet auch das Prasseln des Regens. Atemlos, betäubt von der Intensität des Gefühls, das immer noch in meinem Schoß pulsiert. Unfähig die Gedanken zum Verweilen zu zwingen lasse ich sie in die vom Regen feucht geschwängerte Luft steigen nur, um die Bilder wieder in mein Hirn zurückstürzen zu sehen. Mit jedem wilden Herzschlag, jedem Pochen gegen meine Brust dämmert die Gewissheit – von diesen Stunden, wird nichts Greifbares bleiben.
Unser von den Blechwänden widerhallendes Stöhnen trocknet salzig und spurlos auf meinen Lippen. Dein Geschmack auf meiner Zunge – bittersüß – wird langsam schal. Die Stellen an meinem Körper die du zum Glühen gebracht hast prickeln nur mehr leicht, dabei dachte ich noch vor Stunden mit dem schmutzigen Betonboden verschmelzen zu müssen, um nicht meinen Verstand, meine Seele, meinen letzen klaren Gedanken zu verlieren. Dein Körper in mir, auf mir, um mich. Finger die mich kaum berühren und meine Gier doch noch mehr hoch peitschen. Deine Lippen die eine kühle Spur auf meiner fiebrigen Haut hinterlassen, erbarmungslos der Griff um meine Hände, jeder Laut ein ersticktes Röcheln, längst hast du mir jede Sprache und die Luft geraubt. Nur unter größter Anstrengung verlässt der Atem stoßweise meine Lunge und gierig sauge ich die feuchte Sommerhitze auf. Ertrinkend in deiner Gegenwart falle ich in eine scheinbar unendliche Schwärze. Kann dich nicht greifen, Finger finden keinen Halt. Deine Stimme ist ein fernes, dumpfes Tönen. Jagst Welle um Welle pure Lust durch jede Faser meines Daseins, brichst herein über meine Welt wie ein Sturm dessen brutaler Schönheit ich mich einfach nicht entziehen kann. Herrliche Hilflosigkeit bringt mein Herz zum Rasen, treibt mir Tränen in die Augen. Würde mein Leben nun langsam und zäh aus mir heraustropfen und in der Hitze verdunsten, nichts könnte ich dem entgegensetzen. Alles liegt in deinen Händen. Jede Barriere ist gefallen, alle Grenzen niedergerannt. Zweifel, Angst, Liebe, Hass - nichts hat mehr Bedeutung, keine Emotion kann schöner, kein Schmerz größer sein als das was du mich spüren lässt. Alle Nervenenden in meinem Körper liegen blank, reiben sich an den kleinen Steinchen am Boden, an deiner von Schweiß überzogenen Haut, brennen unter deinen Küssen, bäumen sich nur beim Gedanken an die nächste Welle hysterisch auf. Alles streckt sich dir entgegen, alles drängt dem Ende zu, der süßen Erlösung, die nur du schenken kannst und mir doch so grausam vorenthältst.
Draußen strömt der Regen aus den schweren Wolken, wäscht die von der Hitze träge gewordene Luft. Große Tropfen zerplatzen am staubigen Boden, werden zu dünnen, sich windenden Wasserwürmern, schwellen an, vereinigen sich zu einem kleinen Bach der stetig weiter wächst. Er nimmt Steine mit, lässt vertrocknetes Gras auf seiner Oberfläche tanzen, ertränkt Käfer die ihre letzen Minuten in der braunen Brühe verzappeln. Ab und zu greifen seine nassen Arme nach einem Stück Papier. Auf dem abschüssigen Weg rauscht das Wasser immer schneller, Schlamm und Erde mit sich reißend der Türschwelle einer von Unkraut überwucherten Blechhütte entgegen. In der kleinen Senke vor der letzten hölzernen Stufe bildet sich ein See, in dem sich das erste Blau des Himmels spiegelt. Bald tropft es nur mehr vereinzelt aus den Wolken und die Wiesen dampfen in der späten Nachmittagssonne. Der Boden duftet nach Leben und Tod, frisch und faulig zugleich. Hitze frisst den kleinen See so rasch auf wie er sich gebildet hat. Der Kreislauf schießt sich, um wieder von vorne zu beginnen. Das Leben plätschert dahin, nichts kann sich ihm entziehen, kein Weg führt in der Zeit zurück. Der flüchtige Moment kennt nur das Ziel Zukunft, macht die Gegenwart zum Mythos und das Morgen ständig unerreichbar. Und doch zieht er unachtsam an den zwei Menschen vorbei, die es geschafft haben sich vor der Zeit zu verbergen. Als ein gellender Schrei die Stille des Nachmittags zerfetzt muss die Zeit kurz stutzen und übersieht die Blechhütte im Unkraut, springt einfach die drei Meter weiter und fließt träge weiter.
Die Zeit um mich steht still, eingefroren im Moment als mein Herz für einen Schlag aussetze, als sich meine eingekrampften Finger, die meine Handflächen blutig gekratzt haben, langsam lösen, als der Sturz vom Kamm des höchsten Brechers nicht schmerzhaft sondern lebensrettend war und die Gischt über meinem Körper zusammenschlägt, als sie über mich wegstreicht, alle Wunden kühl umfließt, dem rasenden Herzen beruhigend zuflüstert, als du mein Flehen endlich erhört hast.
Sonnenstrahlen kriechen über die hölzerne Schwelle der Hütte. Vor der Tür hat der Regen einen See gefüllt. Die Reflektionen des Wassers tanzen an den Blechwänden, tauchen den Betonboden in einen glitzernden Teppich, spiegeln sich in deinen Augen. Nichts hat sich verändert alles steht an seinem Platz nur meine Welt ist kurz aus den Fugen geraten und mag nicht mehr so recht in die Realität passen. Ich schließe die Augen und spüre dir nach. Als ich sie wieder öffne bist du weg. Lediglich das Zittern der Wasseroberfläche liefert den Beweis, dass dein nackter Fuß sie beim hinausgehen berührt hat.
Der kleinen Tod, la petite mort, aus dem man nackt und zitternd erwacht hat dich für eine Sekunde, den Lidschlag meiner Augen, zum Mörder gemacht, bis meine Tränen der Erleichterung für dich ausgesagt haben. Freispruch in allen Anklagepunkten.
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Der Rummel
Alles, was wirklich wichtig war in meiner Kindheit passierte im Sommer, umgeben von dem klebrig süßen Duft des Rummels, der Glitzerlichter und Riesenräder, die uns weit über eine Welt hoben, einer Welt gemacht aus verschlafenen kleinen Städten. Meine persönliche Welt war noch kleiner, sie war winzig und bestand aus meinem Zimmer, unserem Vorgarten, ein paar staubigen Straßen in der Nachbarschaft, und vertrauten Gesichtern. Endlose Sommertage folgten aufeinander wie die Perlen eines Rosenkranzes, die durch die Finger meiner Großmutter glitten – monoton und ruhig. Knarzende Schaukeln und das Zischen der Rasensprenger bildeten den Soundtrack meiner Erinnerung.
Wir liebten die ungestörte Stille des späten Augusts und machten ein Spiel daraus unsere nächste fieberhafte Erregung zu finden. Wie einfach das in jenen Tagen war. Betrunken von Adrenalin, wenn die Räder meines Fahrrads kaum den glühenden Straßenbelag berührten, high vor Lachen und völlig überzuckert von süßen, selten gekühlten Limonaden. Am Ende des Tages hallten unsere Stimmen von den steilen Wänden rund um den eiskalten Steinbruchteich wieder, in den wir uns stürzten. Jungsstimmen, die sich bald verändern, verwandeln würden und nie mehr genauso so vom Stein zurückprallen wie an diesen endlosen Tagen. Aber in diesem Sommer war alles woran wir dachten Freiheit, Zuckerwatte und das Versprechen magischer Nächte auf dem Rummel wo wir Achterbahn fahren würden bis uns schlecht war.
Ich war dabei wegen dem Nervenkitzel und hätte nie zugegeben, dass meine Augen unstet wandernd zwischen den Lichtern noch etwas anderes gesucht haben – Dich. Es waren deine Haare die wie ein feiner Schleier um dein Gesicht glitten, es war dein Lachen, ein Lachen das ich seit Jahren kannte, jetzt wollte ich es wecken wann immer ich konnte. Deine milchhelle, weiche Haut roch nach Kirschen und Sommer und du bis jede Nacht durch meine Träume getanzt. Mit Augen die blauer waren als letztes Jahr. Ich wollte dich, wusste aber nicht genau was ich eigentlich wollte nur dass du plötzlich nicht mehr das Mädchen warst mit wir schreiend und lachend durchs hohe Gras getobt sind. Plötzlich wollte ich wissen, wie deine Lippen schmecken. Da war eine Aufforderung in der Art wie du dich bewegt hast, ein ungeniertes „komm schon“, eine wiegende Einladung dir zu folgen und Mann war ich bereit dir zu folgen, wohin auch immer, wann auch immer, zumindest dachte ich das – ohne auch nur den Hauch einer Ahnung von Liebe zu haben. Ich wusste nicht, dass es Liebe war, wenn meine Hände zu schwitzen begannen wann immer du bei einem unserer Baseballspiele in den Zuschauerrängen gejubelt hast. Ich war klebrig und staubig aber getragen von Base zu Base von den Stimmen meiner Freunde. Es war nicht das riesige, alles verschlingende Gefühl, dass ich später noch kennenlernen würde, es war nicht kompliziert, nicht Lachen und Weinen, nicht Ganz oder Garnicht, es war sanft und süß wie das erste Eis nach einem langen Winter. Es war wie ein Versprechen das ich nicht dechiffrieren konnte. Wie alle meine Freunde suchte ich das Abendteuer und Antworten, auf die ich nicht mal die Frage wirklich kannte.
Wie jedes Jahr würdest du das ganze Wochenende am Rummel sein und deiner Mutter beim Kuchenverkauf helfen. Wie jedes Jahr würdest du dich wegstehlen, wenn die Nacht anbricht, um deine Freundinnen zu sehen. Eine Gruppe von Mädchen, alle schön, alle strahlend und heller als die Lampions in den Bäumen – zumindest für uns. Dieses Jahr war ich entschlossen mehr von dir zu bekommen als die süßen Nachspeisen deiner Mutter.
In langen und ernsthaften Gesprächen im geheimen Lager der Jungs formte sich ein Plan – ein einfacher Plan. Als bester Werfer des Teams würde das Dosenschießen kein Problem für mich sein. Mein erster Preis wäre dann ein Kuss von dir im Austausch gegen das gewonnene Kuscheltier, dass ich dir mit großer Geste schenken würde.
Die Tage bis zur Eröffnung des Rummels zogen sich wie alter Kaugummi und schmeckten genauso schal. Das einzige Geräusch war das monotone Tadum, Tadum, Tadum meines Baseballs, den ich gegen die Hauswand schlug. Glühende Hitze brachte das Leben im Ort zum Erliegen. Oma hängte Wäsche auf und der Duft frisch gewaschener Laken erfüllte die Luft im Garten. Meine Gedanken kreisten um den Plan, um meine Chancen aus dieser Nacht wirklich etwas Besonderes zu machen. Ich war mich nicht ganz sicher ob ich das alles nur für den Ruhm unter den Jungs tun wollte oder um wirklich jenes Mädchen zu küssen, dass ich nun fast mein ganzes Leben kannte. Plötzlich drängte sich mir eine neue Erkenntnis auf: Ich war zwar unzweifelhaft der Beste Werfer im Team, hatte aber keine Ahnung wie man ein elfengleiches Wesen wie dich küssen sollte ohne sich komplett zum Trottel zu machen. Aber der Tag der Eröffnung rückte näher, unbeeindruckt von meinen neuesten, quälenden Bedenken.
Mir war den ganzen Nachmittag übel, lenkte mich aber ab mit kleinen Arbeiten in und rund ums Haus, sehr zum Erstaunen meiner Eltern. Ich sehnte die Nacht herbei und gleichzeitig wünschte ich es würde nie dunkel werden. Wir haben vereinbart uns bei der alten Mühle zu treffen und dann mit den Rädern gemeinsam zur Festwiese zu fahren. Ich kann mich nicht mehr erinnern wie ich an jedem Abend bis zum Rummel kam und auch nicht an die Lichter, Gerüche, oder Gespräche. Ich weiß nicht mehr ob das Riesenrad größer war als das Jahr davor und ob mein Lieblingszuckerwattestand noch direkt neben dem Eingang stand. Meine Augen suchten nur deine rotblonden Haare und angestrengt lauschte ich auf den Klang deiner Stimme im Gemurmel der Gäste und plötzlich warst du da. Ich sehe noch immer wie deine Augen vor Aufregung leuchteten, ich kann immer noch das Parfum riechen, dass du dir wahrscheinlich von deiner Mutter ausgeborgt hast und jedes Detail an dir beschreiben, von den kleinen Rosa Punkten auf deinem Sommerkleid, bis zum weißen Schal, der deine wilden Haare zusammenhielt. In diesem Moment wusste ich – du wirst meine erste Liebe sein – das Mädchen das ich nie mehr vergessen werde.
Ich stellte mich vor die kleine Pyramide aus Dosen, keine große Sache für einen Werfer wie mich. Ich fixierte die Mitte, hob meine Hand mit dem kleinen Lederball darin und dachte an deine Lippen.
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