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Holy Hydra 2020
Hallo.
Hier spricht Captain Mändy, ein Kopf von Hydras vielen Köpfen, der an das Gute und Geile glaubt.
Ich sitze auf einem Baugerüst, in zirka 8 Metern Höhe. Es steht stabil, doch auch wenn ich mich gefühlt nicht bewege, schwankt es ein bisschen. Ich habe keine Höhenangst, dennoch habe ich großen Respekt vor der Höhe in der ich gerade sitze. Genauso wie vor dem Ort, in dem ich mich befinde.
Vor mir ein Staubsauger. Miele, Blizzard CX1, Excellence Ecoline. Der Schalter steht auf max., rechts daneben ein Knopf auf dem Clean, darüber ein Knopf auf dem Comfort steht. Der Staubsauger ist glänzend weiß, doch er schimmert blau. Sein Schlauch, mit all den vielen Rillen, leuchtet violett. Grau, schwarz, grau, schwarz, grau, schwarz, so viele Rillen, denke ich, während ich mich in der Vielzahl der Rillen des Schlauches verliere. Wieviele es wohl sind, frage ich mich, doch bevor ich anfangen kann zu zählen, fällt mein Blick auf die Kabelrolle dahinter. Eine Kabelrolle mit 4 Steckdosen, in einer steckt ein schwarzes, in einer ein weißes Kabel, zwei warten noch darauf zugesteckt zu werden. Das schwarze Kabel führt zum Staubsauger, das weiße zu einem Dreierverteiler, von dem weg ein schwarzes Kabel zu einer Schlagbohrmaschine führt. Bosch. Ein 12er Bohrer steckt. Voll von Staub und Ziegelgestein. Voll von heiliger Wand. In den Löchern, die damit gebohrt wurden, stecken jetzt Dübel mit Gewindeanker, auf denen Stahlseile quer durch die Kirche gespannt sind. Auf diesen Stahlseilen hängen Folien, gelbe Folien, fluoreszierende Folien, die leuchten, heller als alles, was ich bis jetzt leuchten sehen hab. Holy Foly. Und ich, mitten drin. Im Himmel. Rund um mich nichts als gelbe Folien, halbtransparent und an den Kanten scharf leuchtend. Ich bin überwältigt. Überwältigt von dem Ort an sich, davon wie diese sakrale Architektur wirkt. Überwältigt von der Höhe in der ich mich befinde, links und rechts, vorne und hinter mir, der Abgrund. Es wäre ein leichtes, hier zu verunglücken. Aber nein, ich will noch nicht gehen, ich will noch ein bisschen tanzen. Während ich weiterhin überwältigt bin, spüre ich, wie das Gerüst, auf dem ich sitze, ein wenig schwankt. Ganz ein bisschen nur, aber doch. Kurz finde ich es beunruhigend, aber dann, denke ich an ein Schiff, und fühle mich wohl. Captain Mändy im schwankenden Kirchenschiff, hoch oben auf dem Masten, umgeben von einer neongelben Wolke. Ich fühle mich surreal, nicht von dieser Welt. Ich versuche das passende Wort dafür zu finden, denke an Traum, Rausch, Ekstase oder eben Himmel. Aber nichts davon beschreibt mein Gefühl wirklich. Ist auch egal, denke ich weiter, und stelle mir vor, wie jeder, der diesen Raum in diesen Tagen betritt, ein vielleicht ähnliches Gefühl haben wird. Ja, ich stelle mir vor, wie in ein paar Tagen, dieses Gerüst auf dem ich gerade sitze, dann nicht mehr hier ist, aber ich diese Worte vorlese und in diesem jenen Moment, - also jetzt - sich jeder fragt, was ist es für ein Gefühl, das ich gerade spüre?
Die Kirchenglocke schlägt. Drei Mal, es ist viertel vor. Schon wieder.
Ich bin überwältigt. Immer noch. Überwältigt von so vielem. Das hier ist ein besonderer Ort, in einem ganz besonderen Jahr und - wie auch die letzten beiden Jahre - mit ganz besonderen Menschen. Ich, als Captain Mändy, als ein Kopf der Köpfe der Hydra, weiß, dass die Hydra, nicht anders kann. Nicht’s machen ist keine Lösung. Die Hydra, ja, die geile Hydra, heute und morgen, die Holy Hydra, das Geschöpf, das Tag und Nacht für die Subkultur kämpft, sieht es als seinen Auftrag, auch oder ganz besonders erst recht in solch schwierigen Zeiten für Kunst und Kultur zu kämpfen. Wir agieren aus einer inneren Notwendigkeit heraus, aus Leidenschaft, aus Glauben. Ja, der Glaube an das Gute und um es mit unseren Worten auszudrücken, der Glaube an das Gute und Geile. Wir, und alle hier involvierten und heute anwesenden Menschen, übernehmen mit unserem Tun und Dasein Verantwortung. Verantwortung für Kunst und Kultur. Verantwortung für Kirchenbauten und deren Erhalt. Mein Herz fühlt sich wohlig warm und gleichzeitig fängt es vor lauter Freude ganz schnell zu schlagen an, wenn ich daran denke, dass wir alle hier und jetzt gemeinsam ein Zeichen setzen, gegen leere Clubs und gegen leere Kirchen. Für bumbummitniveau, im Sinne von bumbum mit Respekt.
In diesem Sinne:
Danke, an alle Helfer*innen, die hier unzählige Stunden ehrenamtliche Arbeit reinstecken! Danke, an alle Artists, die hier für nichts als eine kleine Thank-you-Note ihr Bestes von sich geben! Danke, an 4youreye - ProjectionArt, die ihr hier zum bereits dritten Mal den Kirchenraum visuell verzaubert! Danke, an unsere Kooperationspartner*innen, insbesondere GFK - Gesellschaft für Kulturpolitik OÖ, Posthof - Zeitkultur am Hafen, afo architekturforum oberösterreich und Forum St. Severin sowie an alle unsere Sponsoren und Möglichmacher*innen. Danke, an die Stadtpfarre Urfahr und die Jugendkirche Grüner Anker, die uns diesen wunderbaren, ja heiligen Ort zur Verfügung stellen!
Danke, an euch, die ihr heute hier seit - ohne euch, wäre das alles nicht möglich.
Ich liebe euch.
Eure Captain Mändy, im Namen Hydra’s vieler Köpfe.
Eröffnungsrede, Holy Hydra, Stadtpfarrkirche Urfahr - Grüner Anker, Ars Electronica Festival Linz, 10. September 2020
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Eins, zwei, drei - verwunken.
Hessenplatz 2. NUZ. Mittwoch, vier Minuten nach Zehn Uhr.
Ich werde mit einem Lächeln von Laura begrüßt, bestelle einen Verlängerten und einen Ribisel- Walnuss-Kuchen und setze mich auf die, mit grauem Stoff tapezierte, Bank, links vom Eingang. Auf dem dreibeinigen Tischen daneben ist ein Schild platziert. Darauf steht, in liebevoller Handschrift geschrieben:
RESERVIERT 10:00 CAPTÄIN MÄNDY <3
Captäin Mändy, das bin ich. Ich blicke zu Jong. Jong, das ist die kleine, weiße chinesische Winkekatze, die normalerweise auf dem Lüftungsschaft residiert. Jong winkt. Sie hat alles im Überblick. Kein Kaffee, der ohne ihr Beisein über den Tresen wandert. Am liebsten spielt Jong Ich- sehe-ich-sehe-was-du-nicht-siehst. Bei jedem neuen Gast, fragt sie sich, was der wohl sieht. Und was er alles noch nicht gesehen hat. Am meisten freut sich Jong, wenn sie selbst entdeckt wird.
Ich blicke auf die Uhr. Es ist fünf nach halb Zwölf. Die Zeit vergeht wie im Flug, es ist allerhand zu sehen. Der Minutenzeiger liegt gerade auf einer Linie mit dem Siebener, für eine kurze Minute sieht es aus, als wären der Zeiger und die Ziffer miteinander verschmolzen. Jetzt nicht mehr. Der Sekundenzeiger tickt weiter, gleich ist es elf Uhr sechsunddreißig.
Mein Blick wandert weiter. Zur Kaffeemaschine, der vielgeliebten. La Cimbali, das Herzstück des NUZ’. Hier drin spielt die Musik. Ich mag wie sie schnurrt. Jong auch. Wie ein zufriedenes Kätzchen. Rrrrr. Stets zu Diensten, in guten wie in schlechten, in langen wie in kurzen Zeiten. Wenn es pressiert und schnell gehen muss, dann gibt die gute Cimbali auch gerne mal einen Stresspresso aus. Zack, zack, zack und wieder munter. Miau. ... Hessenplatz 2. NUZ. Freitag, drei Minuten vor halb Fünf Uhr.
Ich werde wieder mit einem Lächeln von Laura und einem Winken von Jong begrüßt und bestelle einen Verlängerten und eine Cheesecake mit roten Pfefferkörnern.Es regnet. Jong winkt und sieht aus dem Fenster. Ich auch. Bus Nummer 41 wartet auf seine Abfahrt. Zwei Arbeiter der Linz AG Abfallwirtschaft sind zu sehen, in neongelbem Arbeitsgewand. Eine Frau mit rotem Schirm geht vorbei. Bus Nummer 43 fährt ein, was wiederrum Bus Nummer 41 endlich zum losfahren bewegt. Eine Familie mit zwei Kindern eilt zum Bus, die Kinder trödeln. Wobei, trödeln ist das falsche Wort, trödeln impliziert, bereits unter Zeitdruck zu stehen. Den haben die Kinder offensichtlich nicht. Der Bus fährt ab. Die Kinder sind weg. Die Eltern auch. Ein Mann mit einem schwarzen Fahrrad und einem, zu einem Zopf gebundenen, Fokuhila fährt vorbei. Ein Busfahrer eilt die Straße entlang, in der Hand einen Becher Automatenkaffee. Wäh, denke ich und sehe wie mir Jong bestätigend zuwinkt und der guten Cimbali heimlich zuzwinkert. Auto, Auto. Fahrrad. Auto. Auto. Bus. Bus Nummer 41 ist wieder da. Auto. Auto. Auto. Auto. Laufrad. Auto. Kinderwagen. Fahrrad. Lastenfahrrad. Bus Nummer 41 fährt ab. Freie Sicht auf die Busstation. Zwei gebrechliche Männer warten offensichtlich auf Bus Nummer 43. Der eine eine Maske im Gesicht, der andere ein Kapperl auf dem Kopf, beide frisch gebügelte Hemden. Ein Pärchen mit einem Chihuahua geht vorbei, eine in Schwarz gewickelte Frau, mit weißen Sneakers, die unter ihrer Hose hell hervor blitzen. Ein Mann mit knielangen Haaren, schleicht barfuß durch den Regen. Bus Nummer 43 ist wieder da. Erneut eilt ein roter Schirm am Fenster vorbei, diesmal in die andere Richtung. Richtung Trafik. Oh ja, den Mann unter diesem Schirm kennt Jong. Er raucht am liebsten selbstgedrehten Pueblo Tabak. Gelb. Jong würde auch gerne rauchen, aber vor lauter Winken kommt sie nicht dazu. Ist aber wohl auch besser so. Schon wieder Bus Nummer 43. Oder noch immer?
Jong kennt sie alle. Die WürstelstandlbesucherInnen, die BusfahrerInnen, die ArbeiterInnen von der LinzAG Abfallwirtschaft, die PfandflaschensammlerInnen, die SpielplatzbenutzerInnen und ihre Aufsichtspersonen, die arbeitenden Menschen, die frühmorgens mit den Postbussen aus Freistadt, Rohrbach, Bad Leonfelden und Gallneukirchen anreisen. Die Nicht-Arbeitenden Menschen, die OrdnungsliebhaberInnen und die OrdnungsverweigerInnen, die Sonntagsbummler und die ehemaligen sowie zukünftigen BewohnerInnen des Hessenplatzes...und den kleinen Jungen, der regelmäßig mit seinem Vater Winkekatze-Schauen kommt.
Es ist Zwölf Minuten vor Sechs Uhr. Ein Cappuccino wird bestellt. Ich mag das Geräusch der Kaffeemühle. Jong auch. Es ist das Geräusch der Vorfreude auf frischen Kaffee. Ein äußerst vielversprechendes Geräusch, davon gibt es nicht viele.
Ja, Jong kennt sie alle. Und sie mag sie auch alle. Die einen mehr, die anderen weniger. Und ich mag Jong. Ja, Jong und ich, wir lieben dieses Gräzl, das Gräzl der Vielfalt und gelebten Toleranz.
Auf den Hessenplatz, auf Ribisel-Walnuss-Kuchen, Schoko-Himbeermuffins, Cheesecake mit roten Pfefferkörnern, auf die Laura und den besten Kaffee der Stadt.
Auf das NUZ! Auszug Eröffnungsrede, Cafe NUZ, Hessenplatz 2, 4020 Linz, 25. Juli 2020
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Pink Toilet Party
Ich stelle mir vor, wie ich in einer Woche, also jetzt, vor euch sitze. In dieser Wohnung. An diesem Tisch, dem Herzstück der WG. Und mit meinen Fingern über den Spalt streiche. Ah. Ja, genau so.
Ich stelle mir vor, wie ich der Tisch bin, der vielgeliebte.
Wie ich hier so sitze, seit Jahrzehnten. Ich habe schon lange nichts mehr zu sagen, meine Gabe ist das Zuhören. Zuhören und schweigen. Aus dem selben Holz gebaut wie mancher Beichtstuhl, nur eben ein Tisch. Ich habe vier Beine und einen Rücken. Das reicht auch vollkommen aus, welcher Tisch braucht schon Hände oder einen Kopf. Vier Beine, ein Rücken und eine Lade. Eine Lade zum rein und rausschieben.
Ah. Ja, genau so.
Ahh. All die Hände die mich all die Jahre gestreichelt haben, die Finger, die sanft und wieder hart, manchmal ganz langsam und manchmal hastig über mich gestrichen sind, ohhh ja. Und die vielen Fingernägel, die mich gekrault und gekratzt haben, manche haben bleibende Narben hinterlassen. Aber jede einzelne war es wert.
All die Geschichten, die ich schon gehört habe - ich weiß alles über euch.
…
Ich weiß, wie eure Füße von unten aussehen und wie sie riechen, weil ihr auf mir getanzt habt, ich weiß, wie euer Speichel schmeckt, weil ihr verschüttetes Bier von mir geleckt habt, ich weiß, wer von euch welche Drogen nimmt und wer sie wie verträgt oder eben nicht. Ich weiß, wer von euch heimlich Schlager hört und wer Pop. … Ich weiß, wer seinen Kaffee mit Zucker und wer ohne und wer garnicht trinkt, wer heimlich World of Warcraft zockt und wer welche Pornos schaut. Ich weiß, wer von euch auf offen und gebildet und links und so macht, und dann doch beim Basti ein Kreuzerl macht. Ja, by the way, ich kann dich sehen, du kannst dich gleich verpissen. … Ich weiß, wer von euch bei Brettspielen schummelt und wer von euch sich schon unter mir vor bösen Geistern versteckt hat. Kein Scherz. … Ich weiß, wer in all den Jahren nie den Müll runter gebracht hat und wer nicht einmal das Klo geputzt hat. Ich weiß, von all den Ideen, die um mich herum entstanden sind, von all den, leider nie oder auch zum Glück, nie verwirklichten Projekten. … Ich weiß, wer Socken stricken kann, obwohl er garnicht so aussieht und wer heimlich die InTouch liest. Ich weiß, wer im Volksgarten vom Baum gefallen ist und wer beim Einzug von neuen Mitbewohnerinnen immer einen Ständer bekommen hat. Ich weiß, wer in Paris, in Budapest und Berlin gevögelt hat, wer auf Teneriffa und wer in Griechenland. Ich weiß, wer in welchem Zimmer Sex hatte, und wer schon alle Zimmer durch hat. Ich weiß, wer Spaghetti mit Ketchup ist, wer auf Lotus-Vanille-Räucherstäbchen steht und wer HeimscheißerIn ist. Ich weiß, wer wo eine Spirale tätowiert hat, wer einen Anker, wer ein hässliches Tribal und wer einen Pizzageist.
…
Auszug Eröffnungsperformance, Pink Toilet Party 4.0, Rainerstrasse 22, 4020 Linz, 22. Februar 2020
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Holy Hydra 2019
Liebes Universum,
Du kennst mich vermutlich, wahrscheinlich aber kennen mich nicht alle heute hier Anwesenden.
Ich bin die Hydra. Das vielköpfige Geschöpf aus der Linzer Unterwelt, das Tag und Nacht für die Subkultur kämpft. Mein Zuhause ist der Raumteiler Kulturverein, versteckt in einem Innenhof in der Humboldtstraße, meine vielen Köpfe symbolisieren die Freie Szene. Blicken lasse ich mich meistens nur bei Nacht, unsichtbar aber laut. Meine Köpfe stehen für #bumbummitniveau, aber #pssst.
Ich bin die Hydra. Aus der griechischen Mythologie stammend, bin ich bekannt dafür, dass mir zwei Köpfe nachwachsen, für jeden der mir abgeschlagen wird.
Ich bin ein kopflastiges Konstrukt, das aus einer unerklärbaren inneren Notwendigkeit heraus agiert und dessen kreativer Schaffensprozess sich wie von selbst ankurbelt, immer auf der Suche nach dem großen X. Permanent auf der Suche nach unbespielten Räumen und neuen Möglichkeiten.
Ich bin die Hydra, ich habe viele Köpfe, weswegen ich mich oft verkopfe. Ich bin ein vielköpfiges Wesen, das mehr ist als die Summe seiner Köpfe.
Eines dieser meiner Hirngespinste, einer dieser meiner verkopften Gedankengänge, ist folgender: Man stelle sich vor, ein neuer Erdenmensch wird geboren. Voller zukünftigem Tatendrang. Oder zumindest Seiensdrang. Vielleicht will dieser Mensch auch einmal nichts machen, nur sein. Wahrscheinlich aber, will er sogar etwas machen. Nicht nur überleben. Leben.
Dieser neugeborene Mensch wird also in eine Welt hineingeboren, in der es mit allergrößter Wahrscheinlichkeit keinen Platz mehr für ihn gibt. Aller Grund, im Sinne des Grundbesitzes - einem von Grund auf grässlichem Wort - der Welt ist schon vergeben. Jeder einzelne Quadratmeter ist schon verplant. Wie soll man denn da leben? Wie soll man denn da sein? Eine Absurdität. Die Tatsache, dass man geboren wird, ja, die Geburt selbst müsste die Berechtigung sein, um auf dem geborenen Planeten Platz zu finden, ja Platz zu bekommen.
Doch das ist noch nicht das Ende der Absurdität. Anstatt, dass wir auf diesem Planeten wohnen, wohnen dürfen, lebenslanges Wohnrecht zugesprochen bekommen, mit unserer Geburt, um dann unserem Tatendrang nachgehen zu können, müssen wir arbeiten, um zu wohnen.
Viele von uns gehen einer Erwerbsarbeit nach, deren Sinnhaftigkeit oftmals selbst nicht hinterfragt oder die Antwort und Konsequenz darauf gekonnt verdrängt wird. Wir gehen arbeiten, um in unserer Freizeit unbezahlte Arbeit, in unserem Fall Kunst- und Kulturarbeit zu machen, anstatt für Kulturarbeit entlohnt zu werden. Das muss sich ändern.
Darum bin ich heute hier. Mit euch. Ich möchte die gemeinsame Lebenszeit mit euch feiern. Den gemeinsamen Raum. Unseren gemeinsamen Traum. Ob heilig oder nicht. Ob Sakralraum oder Stadtraum. Anstatt uns permanent auf die Unterschiede zu fokussieren, sollten wir uns viel mehr auf die Gemeinsamkeiten konzentrieren, in diesem Fall den Raum. Der Raum der uns alle heute, hier vereint.
Wie schon erwähnt, ich bin die Hydra. Diese zwei Tage im Jahr, heute und morgen, bin ich sogar die Holy Hydra. Holy Hydra steht, wie Gläubige der katholischen Kirche selbst sagen, für den unzerstörbaren Glauben. In unserem Fall, der Glaube an uns selbst, der Glaube an die Freie Szene. Ja, der Glaube an die Freie Szene, der man dieser Tage ganz besonderen Glauben schenken muss, speziell in Oberösterreich. Der Glaube an die innere Schaffenskraft, der Glaube an den Tatendrang, der Glaube an das Gute und Geile - was auch immer das sein mag.
Danke, euch. Danke, uns. Danke, liebes Universum.
In Liebe, Deine Hydra Eröffnungsrede (gekürzt), Holy Hydra, Stadtpfarrkirche Urfahr - Grüner Anker, Ars Electronica Festival Linz, 5. September 2019
https://www.youtube.com/watch?v=lV4J_riVnUg
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Ein I ist ein guter Buchstabe zum Anfangen
...
Juni. Salzburg. Erster Arbeitstag in der Restaurations-Werkstatt.
Wir fahren zum Steintor. Es ist leicht regnerisch. Ein komisches Gefühl ist das, zurück in seiner Heimatstadt zu sein. Wie ich diese Stadt hasse. Aber geben wir der Stadt eine neue Chance. Wir sind also am Steintor. Das ist in der Steingasse, in der Altstadt von Salzburg. Ein kleiner Durchgang. Es war früher die Stadtmauer.
Josef und ich malen Buchstaben auf einer Steintafel unterhalb eines Wappens aus. Buchstaben, in Stein gemeißelt. Keine Ahnung wieviele Jahre alt. Viele, auf jeden Fall. Mit schwarzer Farbe, ganz vorsichtig. Es sind lateinische Buchstaben. Ich kann kein Latein, aber ohnehin sind nicht alle Buchstaben gleich ersichtlich, weil erst ein paar davon schon ausgemalt sind. Josef zeigt mir, wie man den Pinsel richtig in die Hand nimmt und die Buchstaben, ganz vorsichtig und mit viel Gefühl, ausmalt. So, und dann so. Das ist es. Er lacht. Ich lache.
Mein erster Buchstabe ist ein I. Ein I mit Serifen. Ich denke “I bims”. Ein I für Ich. Ja, ein I ist ein guter Buchstabe zum Anfangen. Langsam tupfe ich den feinen Pinsel in den Becher, der zwei, drei Zentimenter hoch mit schwarzer Pigmentfarbe befüllt ist. Bevor ich den, mit Farbe betupften, Pinsel an das I setze, probiere ich ein, zwei Mal in der Luft, das I nachzuzeichnen, bis ich schlussendlich vorsichtig inmitten des I’s ansetze. Ganz langsam rinnt ein bisschen Farbe im I nach unten. Ein Tropfen. Langsam betüpfle ich das I. Tauche noch einmal in den Farbbecher ein. Und wieder auf das I. Fahre langsam von oben nach unten und von unten nach oben. Fahre mit dem Pinsel in die Serifen, nach links und rechts. Dann fahre ich die Ränder nach. Die Outlines. Meine Hand ist noch ein bisschen zittrig. Es ist viel zu früh. Und ich habe nichts geschlafen.
Bin im Kopf bei dir. Ficken, ficken, ficken. Nein. Nächster Buchstabe here we go.
Ein P. Penis denke ich, sofort. Penis, Penis, Penis. Was ist nur los mit mir, frage ich mich. Aber ich kann meine Gedanken nicht steuern. Ganz langsam und bedacht male ich das P aus. Erst in der Mitte, dann den Bauch, dann die Outlines, dann den Rest. Ich tupfe ins P. Tupf, tupf. Penis, Penis. Ich stelle mir vor, wie das P wie ein Penis aussieht und ich, ganz bedacht und voller Anmut, die Outlines des Penisses betupfe. Ich stelle mir vor, wie damals, vor hunderten von Jahren, jemand diesen Penis in Stein gemetzt hat. Dann stelle ich mir vor, wie ich einen, oder ja besser gesagt deinen, diesen einen, Penis ebenso vorsichtig und bedacht mit schwarzer Farbe ausmale. Einen feuchten Strich mit meinem schwarzen Pinsel von deinen Schamhaaren bis zu deiner Eichel ziehe. Dein Penis langsam errigiert. Ich noch mehr Farbe auftrage. Langsam deine Eichel damit beträufle. Oh. Dein Penis immer dicker, länger, und härter wird. Und ich immer noch mehr Farbe auftrage. Bis alles nur noch schwarz ist. Ah.
Ich sehe mich wieder im P. Wie ich das P ausmale. Es ist fast fertig. Ein feuchter Tupfer noch in die Mitte. Oh. Was für ein schönes P. Und so male ich weiter. ... Auszug aus: Eine erotische Lesung mit musikalischer Begleitung von Anja Jemc, Spätschicht, Landestheater Linz, 16. Mai 2019
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Holy Hydra 2018
Lieber Gott,
beziehungsweise liebe Göttin. Vielleicht bist du ja auch eine Frau. Vielleicht auch liebe Götter, oder Göttinnen, wenn ihr mehrere seit. Vielleicht bist du weder ein Mann noch eine Frau, im besten Fall bist du beides. Und noch viel mehr. Also nicht entweder oder. Sondern alles. Oder eben nichts.
Heute bist du auf jeden Fall alles. Und weil wir heute hier, im Grünen Anker, zu Gast sein dürfen, und sie hier an dich glauben, lieber Gott, möchte ich dich heute auch mit “lieber Gott” ansprechen. Und an dich glauben. Auch wenn ich eigentlich nicht an dich glaube. Obwohl ich glaube. Nicht an alles. Aber an vieles. Zum Beispiel an die Liebe. Ja, ich glaube an die Liebe. Auch wenn sie manchmal weh tut. Und manchmal unfair ist. Aber grundsätzlich ist sie gut. Und vorallem, sie ist da. Hier, jetzt, in diesem Moment. Danke dir. Danke euch. Danke uns.
Vor Kurzem habe ich einen Text gefunden, den ich vor sieben Jahren, zu Beginn meines Studiums geschrieben habe. „Was ich einmal machen will? Mit meinem Leben? Keine Ahnung. Aber das spielt ja jetzt zum Glück noch keine Rolle. Bin jetzt erst einmal froh, das richtige Studium gefunden zu haben. Und wenn ich so darüber nachdenke, wie ich hier sitze, dann bin ich gerade glücklich. Sehr glücklich sogar. Also Party hard bis zum Ende!“
Und jetzt sitze ich hier. Mit euch. Sieben Jahre später. Zum Abschluss meines Studiums.
Danke euch allen. Euch allen, also uns allen. Euch allen, die ihr an uns geglaubt habt. Und uns allen, die wir an uns geglaubt haben. Und immer glauben. Aber auch euch allen, die ihr heute nicht hier seit und danke auch euch allen, die ihr nicht an uns geglaubt habt. Vielleicht glaubt ihr ja das nächste Mal an uns. Aber so oder so, wir machen’s ja trotzdem. Und das ist gut so. Denke ich.
Oder um es mit den Worten Bertolt Brechts, aus „Über Politik und Kunst“, auszudrücken: „Was die Künstler betrifft, so halte ich für sie am besten, wenn sie unbekümmert darum machen, was ihnen Spass macht: Sie können sonst nicht gute Arbeit leisten.“
Nicht, dass das alles hier immer Spass gemacht hat, aber ja, vereinfacht gesagt, machen wir das hier alles aus Spass. Und Überzeugung. Oder noch besser gesagt, aus der Überzeugung, dass das hier, der Weg, oder zumindest einer der Wege, in dem Fall unser Weg, zum Glück ist. Auf der Suche nach dem kleinen bisschen mehr. Diesem plus X.
Auch wenn ich mir zwischendurch immer wieder gedacht habe: Und immer wieder, immer wieder, frag ich mich, warum mach’ ich das alles eigentlich noch mal genau? Warum? Ich müsste das alles ja garnicht machen. Und dann denke ich mir, vielleicht mach’ ich das alles nur für die letzten fünf Minuten.
Morgen, fünf Minuten bevor die Musik aus geht, wenn Björn und Klaus die letzte Nummer auflegen und wir unsere Hände zum Himmel strecken – komplett zerstört, aber mit dem grössten Grinsen im Gesicht, das unsere Gesichter je gesehen oder gefühlt haben, wenn wir den letzten Bass in unseren Herzen fühlen, oh ja, diese fünf Minuten, die dann wieder viel zu schnell vorbei sind, aber in diesen paar Minuten man sich wünscht, dass sie unendlich sind, darauf freue ich mich. Auf diesen Moment vollkommener Zufriedenheit.
So wie jetzt.
Holy Hydra! Eröffnungsrede (gekürzt), Holy Hydra, Stadtpfarrkirche Urfahr - Grüner Anker, Ars Electronica Festival Linz, 6. September 2018 https://www.youtube.com/watch?v=CQfgwJ7fax4&t=5s
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